~7~
Vier Tage. So lange hatte er Gackt nicht mehr gesehen. Und Miya konnte kaum fassen, wie sehr er den anderen bereits vermisste. War das normal? Lag es vielleicht einfach an der Gewissheit, dass aus diesen vier Tagen irgendwann vier Wochen, dann vier Monate und schließlich vier Jahre werden würden? Er wusste es nicht und wollte auch gar nicht weiter darüber nachdenken. Doch was sein Kopf sagte war seinem Herzen offenbar vollkommen gleichgültig, denn es schmerzte weiter und ließ ihn nachts kaum schlafen und auch sonst nicht zur Ruhe kommen. Der Gedanke daran, dass er Gackt nicht mehr einfach so besuchen und mit ihm reden konnte, wenn ihm danach war, ließ den Gitarristen nicht mehr los. Aber warum? Warum traf es ihn so hart dass er denjenigen, der ihm noch vor wenigen Monaten total egal gewesen war, nicht mehr sehen konnte? Sicher, sie waren schnell zu guten Freunden geworden, aber… trotzdem… es war merkwürdig. Und sehr unangenehm. Dennoch bereute er keine Sekunde lang, dem Sänger begegnet zu sein.
Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet Miya in diesem Moment, dass es Zeit für einen Spaziergang mit Gizmo war. Dieser lag dicht an ihn geschmiegt auf der Couch und gab sich schon seit besagtem Tag alle Mühe, sein trauriges Herrchen mit seiner Gesellschaft aufzumuntern, folgte ihm auf Schritt und Tritt und hatte sich zu einem wahren Kuschelmonster entwickelt. Und jedes Mal, wenn Miya in der Küche oder im Wohnzimmer saß und einfach gedankenverloren vor sich hinstarrte, winselte oder bellte die kleine Fledermaus ihn so lange an bis er ihr seine Aufmerksamkeit schenkte und darüber wenigstens für kurze Zeit seine Sorgen vergaß. Es war richtig rührend, und Miya war unglaublich froh und dankbar darüber, Gizmo bei sich zu haben. Zur Belohnung ging er mit seinem Hund länger vor die Tür als früher, dehnte ihre Spaziergänge aus und ließ ihn herumtoben, anstatt wie sonst nur eine kleine Runde zu drehen und danach sofort wieder nach Hause, ins Studio oder zu Terminen zu eilen. Allerdings machte er sich die Mühe, dafür extra in den abgelegenen Park zu fahren, in den sie immer mit Gackt und Belle gegangen waren. Er war ja auch früher öfters mal hingefahren, weil ihm die Ruhe so gefiel, und es erschien ihm sehr unwahrscheinlich, dort auf den anderen Musiker zu treffen. Also schnappte er sich auch jetzt die Leine und seinen Schlüsselbund und machte sich zusammen mit Gizmo auf den Weg.
Zwanzig Minuten später verewigte dieser sich bereits an dem ersten Baum und sprintete anschließend im Zick-Zack über die Wiesen, während Miya ihm gemächlich folgte. Wie er erwartet hatte war weit und breit niemand zu sehen, also konnte er den Hund frei herumlaufen lassen. Und Gizmo entfernte sich sowieso nie allzu weit von ihm, daher musste er ihn nicht ständig im Auge behalten. So schlenderte der Gitarrist langsam den Weg entlang, und trotz des schönen und sonnigen Wetters verfinsterten sich seine Gedanken erneut. Er wusste selbst nicht warum er sich zweimal täglich damit quälte, in diesen Park zu kommen, ihre Bank zu sehen und sich an die vielen Gespräche zu erinnern, die sie darauf geführt hatten. Miya setzte sich auch nie sondern ging immer daran vorbei, aber sein Herz wog trotzdem jedes Mal doppelt so schwer wie vorher. Auch heute war da keine Ausnahme, doch zum Trübsal blasen blieb ihm diesmal nicht so viel Zeit wie sonst, denn er wurde von einer plötzlichen Erscheinung abgelenkt und hielt überrascht den Atem an. Der Gitarrist vermutete stark dass es nur wenige Dackel in Tokyo gab, und garantiert noch sehr viel weniger kugelrunde Dackeldamen, die auch noch ohne zu zögern und mit lautem Begrüßungsbellen auf ihn zuhoppeln würden. Also kam er unweigerlich zu dem Schluss, dass diese kleine Murmel da tatsächlich Belle war. Und auf einmal war sein Kopf völlig leer. Vernünftige Gedanken wie 'Wo eine Belle ist, kann ein Gackt nicht weit sein.' oder 'Er wollte mich doch nicht mehr sehen!' prallten an einer unsichtbaren Mauer ab und verschwanden im Nirgendwo, und in diesem Moment zählte nur das Gefühl, das er schon seit vier Tagen entbehren musste. Freude. Er freute sich, Belle zu sehen. Und dieser schien es nicht anders zu gehen, denn mittlerweile war sie bei Miya angelangt und vollführte trotz dickem Bauch wahre Luftsprünge. Um sie davon abzuhalten hockte er sich hin und wuschelte die trächtige Hündin erst einmal kräftig durch, doch dann hielt er inne, denn eine vertraute Stimme drang durch das laute Kläffen an sein Ohr. "Belle, komm-" Diese zwei Worte genügten um seinen Kopf hochschnellen zu lassen, und was er sah war Gackt, der an einer nahen Wegbiegung stand und ihn geschockt anstarrte. Auch bei dem Sänger schien sich der Verstand auf unbestimmte Zeit verabschiedet zu haben, denn er bewegte sich in den folgenden Sekunden keinen Zentimeter und brachte auch kein Wort über die Lippen.
Sie hätten sich wahrscheinlich noch eine ganze Weile weiter stumm angeglotzt, doch die lautstarke Ankunft des vierten Mitgliedes der kleinen Gruppe riss sie aus ihrem Trance. Gizmo hatte Belle gehört und kam mit Lichtgeschwindigkeit angesaust, rannte seine Herzensdame dabei fast über den Haufen. Und dann ging das Bellen und Anspringen erst richtig los. Amüsiert beobachtete Miya das aufgeregte Treiben der beiden Hunde, doch schließlich wanderte sein Blick wieder hinüber zu Gackt, der noch immer wie angewurzelt dastand, nun aber seine Schuhe genauer betrachtete. Das klitzekleine Lächeln auf Miya's Mund erstarb. "Du freust dich, im Gegensatz zu den beiden, offensichtlich nicht besonders über unser Wiedersehen, stimmt's? " Als hätten diese Worte ihm Leben eingehaucht, setzte der Ältere sich endlich in Bewegung und kam langsam auf ihn zu. "Das sollte dich eigentlich nicht besonders wundern." erwiderte er und blieb in einem Sicherheitsabstand von zwei Metern stehen. Miya seufzte kaum hörbar und senkte den Blick. "Hätte ja sein können, dass du es dir doch noch mal anders überlegst." Da sah Gackt ihn nachdenklich an. "Bist du deshalb hier? Um mich davon zu überzeugen, dass wir doch weiter miteinander befreundet sein könnten?" Empört über diese Unterstellung blickte Miya wieder auf und in die Augen seines Gegenübers. "Bild' dir mal nicht zu viel ein. Ich bin nicht deinetwegen hier, ich dachte du gehst mit Belle wieder in den Park in deiner Nähe. Aber wenn du willst komme ich nicht mehr her."
"Nein, schon gut, ich werde nicht mehr herkommen." beeilte Gackt sich mit der Antwort, dann sah er etwas verlegen zu Boden als er merkte dass Miya ihn anstarrte. "Das ist so albern…" stöhnte dieser schließlich und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. "Ich kann ja verstehen dass du dich in meiner Gegenwart unwohl fühlst, aber deswegen müssen wir doch nicht voreinander flüchten und alles daran setzen, uns niemals wiederzusehen! Du wirst mich nicht vergessen wenn du ständig daran denkst, wie du mir am besten aus dem Weg gehen kannst!" Die Worte sprudelten nur so aus dem Gitarristen heraus, und seine Stimme hatte mittlerweile einen schon fast verzweifelt klingenden Ton angenommen. Doch der andere erwiderte erst einmal gar nichts, sondern presste die Lippen aufeinander und schaute Miya einfach nur an, der seinem traurigen Blick tapfer standhielt. Dann öffnete Gackt den Mund und flüsterte "Ich werde dich so oder so nie vergessen… und du weißt auch ganz genau, warum." Bei diesen Worten konnte der Gitarrist seinem Gegenüber nun doch nicht mehr in die Augen sehen, und Gackt fühlte sich in seiner Annahme bestätigt dass es Miya unangenehm war, von ihm geliebt zu werden. "Aber du hast Recht," fuhr er mit festerer Stimme fort, "es wäre ziemlich kindisch, jedes Mal schreiend wegzulaufen oder mich zu verstecken wenn ich dich sehe. Das war dumm von mir, entschuldige. Ich muss jetzt weiter."
Beide wussten dass das gelogen war, denn eigentlich hatte er Zeit im Überfluss, doch Miya sagte nichts, nickte nur und sah zu wie Gackt an ihm vorbeiging und dabei nach Belle rief. Die Hündin hörte allerdings nicht auf ihn sondern spielte lieber weiter mit Gizmo, also blieb der Sänger wieder stehen und schaute Miya hilfesuchend an. Gemeinsam gingen sie wortlos hinüber zu den beiden Tieren, und der Gitarrist hielt seinen Hund auf Abstand während Gackt Belle anleinte und dann hinter sich herzog. Sie gab den Widerstand auch bald auf und folgte ihm gehorsam. Nach ein paar Metern machte sich die Hoffnung, es endlich überstanden zu haben, ihn ihm breit, doch dann hörte er Miya plötzlich leise "Gackt" rufen, und ihm fiel auf wie selten der Gitarrist seinen Namen aussprach. Und wie sehr es ihm gefiel, wenn er es tat. Langsam sah er zurück zu dem Jüngeren, der noch immer auf der Wiese hockte und Gizmo festhielt, und wartete. Zu seiner Verwunderung erhellte ein sanftes Lächeln Miya's Gesicht. "Du hast dich geirrt. Ich muss dich gar nicht davon überzeugen, dass wir weiter miteinander befreundet sind. Freundschaft misst man nämlich nicht daran, wie oft man sich sieht oder miteinander spricht, sondern daran, wieviel man einander bedeutet. Also bist du immer noch mein Freund, und daran wirst du auch nichts ändern können." Gackt's gleichgültige Maske verriet nicht, was er bei diesen Worten empfand, und das war auch gut so. Warum musste Miya nur so etwas sagen? Gerade dann, als Gackt es fast geschafft hatte! Bis zum Parkplatz hätte er das Ziehen und Stechen in seiner Brust noch ertragen können, wäre erst hinter dem Steuer seines Wagens zusammengesackt und hätte die Kontrolle über seine Gefühle verloren. Doch nun stürzte alles über ihm ein. Abrupt drehte er sich um, ging ohne ein einziges Wort an den Gitarristen zu richten, und ließ diesen enttäuscht und verletzt zurück. Dabei wollte er doch nur nicht, dass Miya die Tränen in seinen Augen sah.
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Sie hatten ihren Leader wieder. Von einem Tag auf den anderen war Miya zurück zu dem arbeitswütigen Sklaventreiber mutiert, den seine drei Bandkollegen so vermisst hatten, übernahm so gut wie alle Aufgaben, kümmerte sich um die gesamte noch ausstehende Organisation der Promotion und zukünftiger Liveauftritte selbst und war wieder ganz der Alte. So schien es jedenfalls auf den ersten Blick, doch dem geübten Beobachter – und dazu konnten sich Tatsurou, Yukke und Satochi inzwischen ruhigen Gewissens zählen – fiel etwas entscheidendes auf: Es machte ihm keinen Spaß mehr. Er überhäufte sich regelrecht mit Arbeit, sogar noch mehr als früher, doch sie wurden das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Dass er mit allen Mitteln versuchte, sich von etwas abzulenken woran er nicht denken wollte. Doch bessere Beobachter zu sein hatte sie – zumindest einen von ihnen – leider nicht gerade einfühlsamer gemacht…
Die Mitglieder von MUCC hatten sich an diesem Tag zur Probe für einen bevorstehenden Liveauftritt getroffen, und aus irgendeinem Grund war Tatsurou diesmal besonders aufgedreht, änderte zum Beispiel beim Singen ab und zu nach Belieben den Text oder sang absichtlich so schief, dass es klang als hätte man einen Kojoten vor das Mikro gesetzt. Oder er hampelte an den Stellen der Songs, bei denen er Pause hatte, wie ein Affe vor Yukke herum und lenkte ihn damit manchmal so sehr ab, dass der Bassist sich aus Versehen verspielte. Und während Satochi, der heute ebenfalls zu viel gute Laune gefrühstückt hatte, sich in solchen Momenten hinter seinem Drumset halb scheckig lachte, waren Miya's Nerven zum Zerreißen gespannt. Doch als verantwortungsbewusster und erfahrener Leader gab er sich alle Mühe, die Ruhe zu bewahren und Tatsurou nicht an den Hals zu springen. Stattdessen versuchte er es mit einem (ziemlich naiven) Appell an dessen Vernunft – sofern der Sänger so etwas überhaupt besaß.
"Tatsurou, lass bitte den Quatsch und konzentrier dich endlich."
"Aye aye, sir!"
"Ich meine es ernst, der Auftritt ist sehr wichtig."
"Aye aye, sir!"
"Und hör auf mit diesem dämlichen 'Aye aye sir'."
"Aye aye, sir!"
Er wollte ihn schlagen, er wollte ihn aus dem nicht vorhandenen Fenster schmeißen, er wollte ihn mit seinen Gitarrensaiten erwürgen, an der Lampe aufhängen und als Punching Bag benutzen – doch alles was Miya tat war, sich auf einen Hocker fallen zu lassen, seinen Kopf in beide Hände zu stützen und frustriert zu stöhnen. Und weil Tatsurou anscheinend nicht sehr an seinem Leben hing, setzte er noch einen drauf. "Och du armes Kerlchen, in letzter Zeit bist du immer so traurig und still. Es läuft wohl nicht mehr so toll mit deinem Gackt, hm?" Bei diesen Worten richtete Miya sich sofort wieder auf und starrte den Sänger wütend an. "Halt gefälligst deine blöde Klappe, wenn da heute nur Müll rauskommt! Ich hab es langsam echt satt mit dir!" Noch konnte er sich einigermaßen beherrschen, doch wenn Tatsurou so weitermachte – und das hatte dieser anscheinend vor – konnte Miya für nichts garantieren. "Aha, da hab ich ja voll ins schwarze getroffen!" rief der Jüngere triumphierend und stolzierte auf seinen Leader zu. "Mr. Perfect hat wohl keine Zeit mehr für dich, und deshalb machst du wieder einen auf Workaholic und vergräbst dich in der Arbeit. Hab ich Recht oder hab ich Recht?" Mit halb zusammengekniffenen Augen funkelte Miya, der inzwischen seine Gitarre abgestellt hatte und aufgestanden war, seinen Gegenüber bedrohlich an. "Du hast gleich ein paar Zähne weniger in deiner vorlauten Fresse, und glaub mir, das meine ich todernst! Also halt endlich den Rand!" Doch selbst diese für den Älteren sehr ungewöhnliche Ausdrucksweise reichte Tatsurou nicht als Warnzeichen. Nur Yukke, der den halb zornigen und halb verzweifelten Blick seines Freundes ernst nahm, versuchte zwischen den beiden zu schlichten. "Hey Tatsurou, das reicht jetzt aber wirklich. Lass Miya in Ruhe, du siehst doch dass ihm das Thema zu schaffen macht."
"Alles was ich sehe ist ein kleines Häufchen Elend, das vor irgendwas davonläuft. Und vor so jemandem hab ich keinen Respekt. Geh nach Hause, verkriech dich in dein Bett und heul dir dort die Augen aus, bis du den Typ endlich vergessen hast und-" Weiter kam der Sänger jedoch nicht, denn Miya hatte ihn blitzschnell mit einer Hand am Kragen gepackt und ganz nah an sein Gesicht herangezogen. Satochi ließ vor Schreck seine Sticks fallen, Yukke hielt die Luft an und Tatsurou kniff in Erwartung eines Schlages die Augen zu, doch als dieser auch nach ein paar Sekunden nicht kam öffnete er sie langsam wieder und starrte in die fast schwarzen Iriden des Gitarristen. Er konnte spüren wie der Ältere vor Anspannung zitterte, wie unregelmäßig sein Atem ging und wie stark sich die Hand in seinem Shirt verkrampfte, und zum ersten Mal an diesem Tag tat ihm sein Verhalten leid. Nicht weil er sich um sein Gesicht sorgte, sondern weil ihm in diesem Moment bewußt wurde dass der Gitarrist wirklich tief in seinem Inneren litt. Doch er kam nicht mehr dazu, eine Entschuldigung oder etwas ähnliches zu äußern, denn Miya zischte leise "Eher vergesse ich dich, du ignoranter Wichser, als dass ich ihn vergesse.", ließ dann von Tatsurou ab und marschierte zur Tür, die er mit einem lauten Knall hinter sich zuschlug. Zwischen den drei zurückgebliebenen Musiker herrschte erst einmal Stille, bis Yukke plötzlich hastig seinen Bass ablegte und ebenfalls zur Tür eilte. Dabei kam er an Tatsurou vorbei und ließ es sich nicht nehmen, dem Sänger in Miya's Namen einen ordentlichen und verdienten Schlag gegen den Oberarm zu verpassen. "Baka..." hörte dieser ihn noch murmeln, dann hatte auch der Bassist den Raum verlassen.
Yukke rannte durch die Gänge zum Haupteingang, und als er ins Freie trat entdeckte er Miya gerade noch rechtzeitig, bevor sein Freund um die Ecke des Gebäudes verschwand. Er hatte offenbar nicht die Absicht, seinen Wagen zu nehmen. Der Jüngere sprintete hinter ihm her, und als er Miya fast eingeholt hatte rief er seinen Namen, doch der Gitarrist drehte sich nicht um sondern ging einfach weiter. "Jetzt warte doch bitte mal." versuchte Yukke es erneut als er neben ihm ankam und ebenfalls im Schrittempo weiterlief, dabei riskierte er einen vorsichtigen Blick in das verschlossene Gesicht des anderen. "Tatsurou ist manchmal echt ein Idiot, aber das wissen wir doch schon lange. Nimm es ihm bitte nicht allzu übel, er trägt sein Herz nun mal auf der Zunge und spricht alles, was ihm in den Sinn kommt, auch sofort und schonungslos ehrlich aus." Das einzige was Miya darauf erwiderte war ein geknurrtes "Lass mich in Ruhe.", doch es klang bei weitem nicht so abweisend und gefährlich wie gerade im Proberaum. Es klang eher müde. Yukke versuchte es deshalb mit hartnäckiger Geduld und ging einfach weiter neben dem Leader her, und nachdem sie eine ziemlich lange Strecke schweigend zurückgelegt hatten gab Miya endlich auf und blieb stehen. Da das Gebäude, in dem sie immer probten, nicht im Zentrum der Stadt lag und um diese Zeit die meisten Menschen entweder auf Arbeit oder in der Schule saßen, war außer ihnen kaum jemand auf den Straßen unterwegs, und so ließ er sich kurzentschlossen auf der Bordsteinkante nieder und zündete sich eine Zigarette an. "Kann ich auch eine haben?" fragte Yukke und setzte sich neben ihn, erwartete aber eigentlich keine Reaktion. Doch er hatte sich geirrt, denn Miya hielt ihm wortlos seine Schachtel hin und er nahm sich dankend eine Zigarette und das Feuerzeug daraus. Auch die nächsten Minuten verbrachten sie schweigend Seite an Seite, bis der Bassist sich schließlich doch vorwagte.
"Hatte er denn Recht?"
"...Was von all dem, was er gesagt hat, meinst du denn genau?"
"Na dass du irgendwie Stress mit Gackt hast und dich deshalb in die Arbeit stürzt."
"Ich will nicht darüber reden, Yukke."
"Darf ich dich dann vielleicht daran erinnern dass du auch noch andere Freunde hast, mich zum Beispiel, die sich um dich sorgen und es dir langsam auch echt übel nehmen, dass du sie immer mehr ignorierst und ausgrenzt?!"
"Versuchst du mir gerade ein schlechtes Gewissen einzureden?"
"Darauf kannst du wetten! ... Und, klappt es?"
"Irgendwie schon..."
"Sehr gut. Und jetzt erzähl dem lieben Onkel Yukke endlich mal, was Sache ist. Ich hab bestimmt den einen oder anderen heißen Tipp für dich, wie alles wieder in Ordnung kommt."
"Den brauch ich nicht, ich weiß selbst wie alles wieder in Ordnung kommt. Entweder ich treibe jemanden auf, der sich mit Gehirnwäsche auskennt, oder ich werde schwul."
Damit hatte Miya es geschafft, Yukke wenigstens für kurze Zeit sprachlos zu machen. Verwirrt starrte der Bassist ihn an. "Wie... wie... häh? Könntest du mir das vielleicht so erklären, dass ich nicht an deinem Geisteszustand zweifeln muss?" Und nach einigem Zögern und Hin- und Herüberlegen erzählte der Gitarrist seinem langjährigen Freund schließlich die ganze Geschichte. Er fing mit ihrer ersten Begegnung an, schilderte wie er Gackt vom Selbstmord abgehalten und ihn jeden Tag im Krankenhaus besucht und sich um seine Tiere gekümmert hatte, wie sie sich angefreundet und zusammen Klavier gespielt hatten, sogar dass Belle von Gizmo Nachwuchs erwartete ließ er nicht aus. Dann kam Miya zum schwierigen Teil und erzählte von Gackt's Liebesgeständnis und seinem Entschluss, dass sie sich nicht mehr sehen sollten, und er verschwieg auch nicht wie sehr ihn das mitnahm. Musste er aber eigentlich gar nicht, es war ja vorhin ziemlich offensichtlich gewesen. Yukke unterbrach ihn keine einziges Mal, hörte sich alles mit erstaunter Miene an und legte ihm zum Schluss einen Arm um die Schulter. "Das würde ich an deiner Stelle nicht tun, sonst sind wir morgen 'das neue Traumpaar der Musikszene'." zitierte Miya die Klatschzeitung von damals und Yukke senkte verlegen den Blick, ließ seinen Arm aber, wo er war. "Tut mir leid dass wir dich wegen dem Bild so blöd angemacht haben..." Da lächelte Miya zum ersten Mal seit langem. "Hör auf, dich für andere zu entschuldigen, du hast doch als einziger nichts dazu gesagt. Apropos gesagt... was ich dir gerade erzählt habe bleibt unter uns, okay? Ich habe keine Lust, mir von Tatsurou wieder Schwachsinn anhören zu müssen von wegen was für eine kleine Schwuchtel Gackt doch wäre und dass ich mich bestimmt bei ihm damit angesteckt hätte." Yukke nickte daraufhin und Miya stellte erleichtert fest, dass er sich tatsächlich ein kleines bisschen besser fühlte, nun da er sich endlich jemandem anvertraut hatte. Der Gitarrist übersah dabei völlig, dass ein Nicken noch lange kein Versprechen war...