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Schrott zu Schrott...

von

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Manche Dienstage kommen mir vor wie ein zweiter Montag

Als Teo an diesem Abend nach Hause kam war es gerade einmal 21 Uhr. Bis er seinen alten Stadtplan wieder aufgestöbert hatte, herausfand wo sich die Adresse auf dem geheimnisvollen Zettel der noch geheimnisvolleren Frau befand und eine gute Fahrradroute dorthin gefunden hatte verging noch etwas Zeit, doch selbst nachdem er sich seinen Weg markiert und den Plan in die Schultasche gesteckt hatte, konnte er nicht einschlafen. Er ging in Gedanken jedes vorstellbare Szenario durch, dass ihn Morgen erwarten könnte, auf jede Kleinigkeit wollte er vorbereitet sein, um seine Schussligkeit halbwegs unter Kontrolle zu haben. Leider war morgen Unterricht und Teo hoffte diesen so schnell wie nur möglich hinter sich bringen zu können.
 

Als Teo dann Stunden später doch endlich einschlief träumte er von der hübschen Frau.

In seinem Traum waren sie im Kino, es war dunkel, aber der Film spendete immerhin noch so viel Licht, dass er ihr Gesicht erkennen konnte. Teo erkannte nicht welchen Film sie sich da ansahen, aber wen interessierte das schon?

Ihre Hand lag auf der gemeinsamen Lehne und er konnte nicht anders als ihre Hand zu ergreifen. Sie drehte sich kurz zu ihm um und lächelte, sah dann aber wieder auf die Leinwand und nahm mit der noch freien Hand etwas Popcorn. Teo würdigte den Film keines Blickes – weshalb er wohl auch nicht wusste was da lief – und suchte weiter Augenkontakt mit seiner Begleitung. Als er mit seinen Fingern an ihrem Unterarm entlang strich grinste sie wieder, während sie noch etwas von dem Popcorn im Mund hatte und dies auch weiter kaute. Sie wich Teos Streicheleinheiten mit einer Flucht nach Vorne aus, indem sie ihren Arm an seine Schulter legte und sich ihm mit ihrem Kopf langsam näherte. Teo befeuchtete seine Lippen – jetzt würde er sie endlich küssen! Er wurde aufgeregter, atmete schneller und ihm wurde warm. „Ich kenne nicht einmal deinen Namen…“ bemerkte Teo in einem Flüsterton und sie hauchte ihm zu: „Den verrate ich Dir wenn Du mich küsst. Also los, küss mich Teo!“ Darauf hin schloss Teo die Augen, spitze die Lippen leicht und näherte sich seiner Herzensdame…

„Eiscreme! Wer möchte ein Eis!?“ Teo schreckte in seinem Sitz auf und sah die Eisverkäuferin an, die mit monotoner Stimme ihr Blöken fortsetzte: „Schoko, Vanille, Erdbeere, Himbeere, Banane – Schnee in allen Geschmacksrichtungen! Schnee! Wer möchte Schnee!?“ – Moment! Schnee? Müsste es nicht Eis heißen? Und warum klang die Stimme der Eisverkäuferin auf einmal wie die seiner Mutter?

Jetzt schreckte Teo nicht in seinem Sitz, sondern in seinem Bett auf, denn da war kein Kino, sondern nur sein abgedunkeltes Zimmer. Da war auch keine hübsche junge Frau, die neben ihm saß und es gab keine Eisverkäuferin, nur seine Mutter, die zum Fenster hinausstarrte und sich kopfschüttelnd zum Wetter äußerte: „Wer möchte denn diesen vielen Schnee?“

Teo fand diese Frage absolut überflüssig – Niemand mag Schnee! Man muss irgendwo hin, es schneit und man kommt nicht voran, weil die Straßen glatt sind und so muss man dann also in der Kälte stehen und warten. Niemand wartet gerne und Niemand friert gerne, deswegen mag auch niemand Schnee! Außer vielleicht an Weihnachten, da wollen ihn plötzlich Alle!

Es half jedoch auch nichts den Schnee zu hassen, denn nachdem Teos Mutter ihn aus dem Bett gejagt hatte, er eine Scheibe Toast im stehen gegessen und einen Kakao im gehen getrunken hatte jagte sie ihn auch schon zur Schule.

„Lauf lieber, es ist viel zu glatt.“ Ermahnte sie ihn dann noch, aber wie das mit jungen Leuten nur allzu oft ist, ignorierte Teo die Warnung seiner Mutter und nahm sein Rad – um nicht ganz fünf Minuten später auf die Schnauze zu fliegen. Zum Glück beherzigte er wenigstens einen anderen Rat, den er sich seit Mitte September anhören durfte.

„Junge, es ist kalt, zieh dir was Warmes an.“

Die dicke Kleidung machte seinen Sturz nicht erwähnenswert und so konnte er getrost weiterfahren… Nein, er hielt es jetzt doch für besser sein Fahrrad zu schieben und kam sogar noch pünktlich zur Schule.
 

Mathematik in den ersten beiden Stunden. Wer hatte sich bloß diesen saublöden Stundenplan ausgedacht? Nur Sozialkunde hätte Teo noch dösiger gemacht, aber die monoton reizlose Stimme des Mathematiklehrers tat sein Nötiges, um in Teo den Wunsch zu wecken, seine Bettdecke wieder von unten sehen zu wollen und so drapierte er die überkreuzten Arme mit seinem blauen Schopf.

Zu Teos Glück verließ seine Klasse den Saal nicht und weil er von niemandem gestört wurde, wachte er erst zu Herrn Gabriels Verlesung der Deutsch Hausaufgaben am Ende der sechsten Stunde wieder auf. Herr Gabriel war sehr bemüht Hochdeutsch zu sprechen, was ihm meistens auch gelang, auch wenn man hin und wieder merkte, dass er aus dem „hohen Norden“ kam. Irgendwie fragte sich Teo jetzt, wo die unbekannte Frau wohl her stammte und warum sie hierher gezogen war oder ob sie schon länger in der Stadt wohnte oder vielleicht nur beruflich hier zutun hatte. Irgendwie hatte er gehofft, sich wieder zu ihr in das Kino zu träumen – Leider vergebens.

Teo war nach seinem Nickerchen fast so erledigt, wie die Mitschüler, die nicht geschlafen hatten – außer Raffael vielleicht. Der saß nämlich neben Teo und war gerade dabei, ihren gemeinsamen Tisch mit einem Totenschädel zu verschönern und irgendwie schien der Lehrer auch das nicht zu bemerken. Teo rieb sich den schlaf aus den Augen – immerhin war er jetzt ausgeruht. Er sah zu seinem Tischnachbarn rüber und warf dann einen kurzen Blick auf den gesamten Tisch, auf dem Raffaels gesamte Kunstwerke des vergangenen Halbjahres zu bestaunen waren. Ein ganzer Haufen düsterer Motive, Namen von Metall und Gothic Bands und irgendwelche Kritzeleien, die Teo nicht deuten konnte. Was er allerdings ganz eindeutig sah, war, dass der Tisch bald mehr aus schwarzem Edding als aus Holz bestand.

„Meinste nich’ es is langsam genug?“ wollte er wissen und nickte mit dem Kopf in Raffaels Richtung, bekam aber als Antwort nur kurz ein verächtliches Schnauben und einen spöttischen Gesichtsausdruck zugeworfen, dann widmete sich der Künstler wieder seinem Werk. Raffael redete nie besonders viel, also zumindest nicht mit jedem, Teo war einer der wenigen, mit denen er sich gut verstand. Aber Raffael machte sich meist auch nicht viel aus Gesellschaft und diese Abwehrhaltung versuchte er auch zu zeigen, durch seine düstere Kleidung, den schwarz gefärbten Haaren und Piercings durch Nase, Ohren und durch die Unterlippe – Keiner wusste genau ob er nicht noch eins hatte, das man nicht sehen konnte.

Teo, der seine Haare selbst oft färbte – wenn denn das nötige Geld dafür da war – ließ sich von Raffaels Fassade nicht beeindrucken. Man könnte sogar behaupten, die beiden wären Freunde, allerdings war ihnen dieser Begriff zu wider und so beschloss man einfach nur zu sagen, man kenne den jeweils Anderen ganz gut.

Herr Gabriel war inzwischen mit seinen sehr ausführlichen Ausführungen fertig und wünschte allen Schülern noch einen schönen Tag, obwohl er eher so klang als würde er sie alle zum Teufel wünschen – was man angesichts einiger Schüler vollends verstehen kann.

„Kommste mit, was essen?“ fragte Raffael „Dienstags und Mittwochs is die Pampe in der Mensa noch halbwegs genießbar und ich brauch jetzt was Warmes.“

Teo hätte hier an sich einen Witz auf Raffaels kosten gemacht, immerhin bot sich „Ich brauch was Warmes“ nahezu maßgeschneidert für ihn an, aber irgendwie war Teo mit den Gedanken noch woanders und bestätigte ihn schlicht mit seinem Aufstehen und damit seine Tasche zu schnappen und Raffael zu folgen.
 

Während die beiden durch die Schulflure schlappsten machte sich Raffael Schuster wohl doch ein bisschen Geistige Arbeit wegen Teos Gemütszustand, weil dieser weiterhin total gedankenverloren neben ihm herlief. Er war zwar absolut nicht der Typ Mensch, der sich besonders um andere Sorgen machte, aber ein wenig neugierig war er doch und so begann er nach einiger Abwägung – er hatte Befürchtungen ihm würde wirklich ALLES erzählt werden – in der Mensa ein Gespräch einzuleiten.

„Sag mal wie heißt’n die Kleine?“

„Hm?“ war das Einzige, was Teo als Antwort geben konnte, weil er damit beschäftigt war den vorbereiteten Fahrplan im Kopf noch mal durchzugehen, dazu die Essensausgabe – er war maßlos überfordert!

„Hey Alter, ich kenn dich jetzt, seit der Siebten. So komisch bist Du nur wenn Du an etwas Arbeitest oder wenn’s ne Tussi is.“

„Bin ich das?“ hakte Teo nach und nahm sich von den Kartoffeln.

Raffael stieß ein ausatmendes kurzes Lachen aus, das genauso gut hätte ein niesen sein können und erläuterte: „Oh ja! Darf ich dich an Christin erinnern!?“

„Christina! Mit A! Ich muss Dich jedes Mal verbessern und da war ich nicht komsich!“ nörgelte Teo und fügte noch hinzu: „Außerdem war ich mit ihr fast 11 Monate zusammen, ich hab mir schon überlegt, was ich ihr zum Einjährigen schenken könnte, wer wäre da nicht schlecht drauf?“

„Also gibst Du’s zu. Du warst komisch!“ wollte ihn Raffael scheinbar aus der Reserve locken, doch dann hätte er Teo sicher nicht ignoriert und einfach weiter geredet „Und Heute bist Du auch wieder so komisch. Also wenn Du Gestern nicht noch einen Job gefunden hast und dort gleich ne Nachtschicht eingelegt hast, würde ich sagen Dich hat ne Frau wach gehalten.“

Teo sah ihn etwas verdutzt an, wären er sich – ohne darauf zu Achten – Soße auf den Tellerrand und somit auch auf das Tablett goss. Er war ein wenig verdutzt und versuchte sein Erstaunen in Worte zu kleiden. „Ich glaube fast Du solltest Ermittler werden.“ Dann erst bemerkte Teo sein mißgeschick und fluchte leise.

„Ha! Ich wusste es!“ stieß Raffael begeistert aus und fuhr – leider – fort: „Und? Hat sie Dich ordentlich geritten? Hast Du…?“

Teo griff gerade nach ein paar Servietten um die Soße dort zu entfernen, wo sie nicht hin sollte, als er Raffael voller schwindender Bewunderung unterbrach: „Ich ziehe meinen Berufsvorschlag, Dich betreffend, zurück!“

Raffael Schuster, der selbst grade kein Sexualleben zu haben schien, war irgendwie enttäuscht, nicht wenigstens ein paar schmutzige Geschichten zu hören. Doch Teo wollte ihn nicht ganz im dunkeln tappen lassen und verriet ihm einige Momente später am Tisch, dass er seit gestern Abend an diese Frau denken musste und erzählte in groben Zügen, wie er ihr begegnet war – natürlich verschwieg er den für ihn unangenehmen Teil mit dem Macchiato.
 

„Und wie alt sagtest Du ist sie?“ war die erste frage die Raffael beantwortet haben wollte, doch Teo konnte ihm da leider keine verbindliche Auskunft geben: „Ich sagte doch: So Mitte bis Ende Zwanzig, schätze ich.“

„Hey Alter, machste Dich jetzt auch schon an ältere Weiber ran!“ brach Raffael grinsend heraus und wurde sogleich zurückgepfiffen.

„Pssst! Muss doch nicht gleich jeder wissen!“

Teo blickte sich kurz um, ob jemand von den Beiden Notiz genommen hatte und als er sicher war, dass keiner der anderen Schüler seinen Tischnachbarn registriert hatten fuhr er fort: „Außerdem ist das gar nicht sooo viel älter. Und ich weiß ja nicht mal ob das ne Anmache war oder doch nur ein Jobangebot.“

Mit Beendigung dieses Satzes schien Teo wieder etwas trübsinniger zu werden und begann in seinem Essen herum zu stochern. Doch sein Gesprächspartner wollte ihn nicht so einfach wieder in seine Gedankenwelt flüchten lassen.

„Wenn es um Arbeit ginge, dann hätte sie doch drauf geschrieben um welche Art von Arbeit es sich handelt, oder?“ bekräftigte ihn Raffael und schaufelte sich darauf ein großes Stück Schnitzel in den Mund.

„Ja, irgendwie hast Du recht, aber ich bin trotzdem etwas verunsichert.“ Diesen Satz konnte Teo kaum zu Ende bringen, weil sein geschätzter Freund und Mitschüler ihn mit vollem Mund und voller Eile auf etwas aufmerksam machte.

„Fit, ef if fon einf!“ was in etwa so viel heißen sollte wie: „Shit, es ist schon Eins!“

Mit Raffaels Blick auf die Kantinenuhr ahnte aber auch Teo was gemeint war, fragte aber noch mal in einfach Ja-Nein-Fragen nach um Raffael zu Ende kauen zu lassen, ohne das dieser sich hätte großartig beeilen müssen, was er allerdings doch tat.

„Heute ist Dienstag?“ – Raffael nickte.

„Englisch?“ – Wieder ein nicken.

„Die Lehnhardt?“ – Diesmal nickte Raffael nicht nur, er verzog regelrecht das Gesicht. Und das, obwohl er noch mit schnellem kauen beschäftigt war.

An der Schule der beiden, die in den letzten Jahren stark an Schülern zugenommen hatte, beschloss man, eine Art „Schichtbetrieb“ einzuführen, um die Köche und das andere Personal etwas zu schonen. So konnten nie alle Schüler gleichzeitig in der Mensa sein. Allerdings wurde dadurch auch die Mittagspause auf eine halbe Stunde reduziert, was immer noch im gesetzlichen Rahmen lag, da man auch noch zwei viertelstündige Pausen zwischen den Doppelstunden davor hatte. Oft hatten einige Schüler jedoch das Nachsehen, wenn sie erst spät an die Essensausgabe kamen und somit wenig Zeit überhaupt etwas zu essen.

Dann hatten Teo und Raffael auch noch das Glück bei Frau Lehnhardt Unterricht zu haben. Mit ihrer Englisch-Lehrerin Ester Lenhardt war nicht gut Kirschen essen, sie bestrafte jeden noch so kleinen Fehltritt und sah einen Verstoß gegen die Hausordnung als eine persönliche Beleidigung an. Sie war einer der Lehrkörper, vor denen man keinen Respekt hatte, aber – zum Vorteil für Frau Lehnhardt – man hatte Angst vor ihr. Kein Wunder also, dass sich keiner ihrer Schüler gern verspätete, denn Pünktlichkeit war eines der Dinge, die sie am meisten schätzte.

Beide standen von ihren Plätzen auf, Raffael verschwand schnell in der Menge der Schüler, deren Unterricht erst später weiter ging. Teo jedoch schwang erst das eine Bein über die Bank, nahm dann das Tablett vom Tisch und mit einer Drehbewegung mit der er sich eigentlich nur vom Tisch entfernen wollte sah er das Unglück nicht kommen.

Das Unglück hieß in diesem Fall Nicole und hatte einen weißen Rollkragenpullover an – Das heißt natürlich, vorher war er weiß. Nach dieser Begegnung mit Teo war die Bezeichnung „Soßenbraun“ treffender.

„Du blödes Arschloch!“ schrie Nicole und sah dabei an sich hinab, was Teo natürlich nicht zu der Annahme bringen konnte, zu denken, er wäre nicht gemeint gewesen.

„Es.. es tut mir leid!“ versuchte er sie zu beruhigen, was allerdings nur mäßig bis überhaupt nicht klappte – im Gegenteil sie gab ihm sogar noch eine Ohrfeige bevor sie wütend davon stampfte und dabei eine Tropfspur hinterließ.

So ziemlich jeder der Anwesenden richtete seine Blicke auf die erzürnte Nicole, bis sie den Raum verlassen hatte, dann war Teo mit an anstarren dran, was ihn nicht weiter gestört hätte, wären unter diesen Blicken nicht auch die der Küchenhilfe gewesen. Diese stand nur wenige Sekunden später neben ihm und streckte ihm mit den einfachen aber dafür umso eindeutigeren Worten „Du wischst das auf!“ einen Mopp und einen Eimer entgegen. Diese Küchenhilfe hatte einen ekelerregend auffallenden Damenbart, aber Teo dachte daran, dass es ihm sicher nicht helfen würde sich darüber lustig zu machen und so begann er unter den Augen der bärtigen Dame – und unter denen seiner Mitschüler – den Boden von der Soße zu befreien, was ihm letzten Endes volle zehn Minuten Verspätung einbrachte. Seine eigene Hose und die Schuhe – die auch was abbekommen hatten – hatte er dabei nur flüchtig von der Soße befreien können, ohne sich noch mehr zu verspäten. Nun stand er da, außer Atem, total genervt und mit dürftig gereinigten Hosen.



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