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Die letzten zehn Tage

von

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Tag 9 - Samstag

Um viertel vor vier ging ich los. Ich war gerade mal aus der Haustüre rausgekommen, als mir meine Cousine schon entgegenkam. Ich versuchte noch, zu entkommen, aber da ich in meiner Intelligenz den Schlüssel gerade fallen gelassen hatte und sie schon zu nah gekommen war, waren die verbleibenden Fluchtmöglichkeiten begrenzt.

"Hey!", rief sie überrascht aus, "du kommst ja mal aus dem Haus! Bist du auf dem Weg zur Bücherei? Die hat Samstags doch zu!"

Ich schüttelte den Kopf. "Ich bin auf dem Weg zum Park", erklärte ich ihr, "ich hole noch einen unserer Gäste für heute Abend ab."

"Dein Herzblatt von letztem Samstag?"

"Dana!"

Sie setzte ihre Unschuldsmiene auf. "Was denn?"

"Ich bin sicher, Mum wartet schon auf dich", drängte ich sie mit drohendem Unterton in der Stimme.

"Die kann warten", sagte sie gelassen und nicht im Geringsten beeindruckt. "Es kommt schließlich nicht jeden Tag vor, dass ich die Chance habe, meiner kleinen Cousine ein Date zu vermasseln." Ihr Grinsen reichte von einem Ohr bis zum anderen.

"Ich muss jetzt gehen", ermahnte ich sie und lief los. Statt einfach nach oben zu meiner Mutter zu gehen, kam sie mir hinterher. "Ich komme mit." Hätte ich nicht genau gewusst, dass sie genau das erwartete und wollte, hätte ich sie jetzt zusammengeschissen, aber es war wohl für mich besser, den Mund zu halten. Vor allen Dingen sicherer. Manchmal war es trotz allem besser, sich ein bisschen was gefallen zu lassen.

Ich weiß nicht, um wie viele Ecken ich schon gegangen war, um sie loszubekommen, aber es waren viele. Ich lief dreimal um den gleichen Häuserblock, ging in ein Geschäft hinein, wieder hinein, wieder hinaus, das Ganze bestimmt zehn Mal – sie folgte mir stoisch. Schließlich gab ich seufend auf. "Also gut", sagte ich und drehte mich zu ihr um. "Aber wenn du anfängst zu nerven sorg ich dafür, dass du bald weg bist – ob freiwillig oder nicht ist mir dann egal, auch wenn du noch so oft älter bist als ich."

Sie grinste. "Okay. Willst du zum Park?"

"Woher weißt du das?", fragte ich überrascht zurück.

"Weil du genau vor dem Tor entnervt aufgegeben hast. Das kam etwas verdächtig rüber."

Sie hatte Recht. Ich hatte es noch nicht einmal bemerkt, aber ich war die ganze Zeit über immer weiter in die Nähe des Parks gekommen. Und da wunderte ich mich auch noch, warum Dana wusste, wo ich hin wollte.

Langsam schlenderten wir über den Kiesweg. Ich hatte viel Zeit eingeplant, damit ich bloß nicht zu spät käme, und am Ende war ich so nervös gewesen, dass ich noch eine Viertelstunde früher als geplant losgegangen war, deswegen hatte ich jetzt noch ungefähr zehn Minuten. Trotz allem ertappte ich mich zwischendurch immer wieder, wie ich nach Chris Ausschau hielt.

Ich warf einen kurzen Seitenblick auf Dana. Sie ging so selbstbewusst und gut gelaunt neben mir her, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass sie jemals so schüchtern gewesen war, wie meine Eltern mir immer wieder erzählten. Meine Neugierde regte sich.

"Wer war eigentlich dein erster Freun-uooooaa!"

Ich weiß, ich hatte ein Faible für professionell-tragische Abgänge, aber in dem Moment fand ich das gar nicht witzig. Wütend saß ich auf dem Boden und betrachtete den Ast, auf dem ich ausgerutscht war, mit zusammengekniffenen Augen. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Warum hatte ich nur dieses starke Gefühl, er würde mich angrinsen?

"Ein Typ aus meiner Klasse", antwortete meine Cousine mir und schritt an mir vorbei, als befände ich mich gar nicht in dieser misslichen Lage. "Er sah nicht unbedingt aus wie der typische Superheld, aber er konnte, wenn er wollte, wirklich galant sein. Und zumindest in meiner Gegenwart wollte er meistens. Und außerdem konnte er einfach nur klasse tanzen und war sehr einfühlsam. Er war derjenige, bei dem ich gemerkt habe, dass die richtigen Freunde zu einem halten, selbst wenn sie andere Freunde nicht leiden können. Davon hatte ich nicht viele, aber nachher waren wirklich auch nur noch diejenigen übrig, die es wirklich verdient hatten."

Sie drehte sich zu mir um, während sie rückwärts weiterlief, und winkte mir zu. "Bis später!", rief sie noch, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging mit beschwingten Schritten weiter.

Als ich mich gerade fragte, was das bitteschön sollte, und mich mühsam aufrappeln wollte, hielt mir jemand seine Hand entgegen. Mein Blick wanderte vom schmalen silbernen Ring am Ringfinger über das Armbändchen weiter am Arm hoch, bis er auf das Gesicht fiel. "Kann ich dir helfen?", fragte mich ein grinsender Mund, während die Augen vom Ast in meiner Hand auf mein Gesicht zurückwanderten.

Christian.

Mist.
 

Ungefähr zwei Stunden später saßen wir am Grill in unserem Garten und sahen dem Ast zu, wie er langsam in seine Einzelteile zerfiel. Ich hatte mich schüchtern an Christians Seite gekuschelt, der daraufhin rot geworden war und zögernd wie immer seinen Arm um mich gelegt hatte. Ich fühlte mich vollgefressen, schläfrig und einfach rundum wohl.

"Wie viele Würstchen hast du gepackt?", brummte ich leise.

"Vier Stück und zwei Steaks. Du?"

"Drei Würstchen und drei Schüsseln Salat. Ich bin so voll."

Zur Antwort bekam ich nur ein leises, recht geschafftes "Papp".

"Na, ihr zwei?", fragte in dem Moment mein Bruder und ließ sich neben uns ins Gras fallen. Chris machte Anstalten, seinen Arm beschämt wegzuziehen, aber ich hielt ihn fest. "Na, du zwölf?"

Es war ein altes Ritual zwischen meinem Bruder und mir. Chris sah zu Boden und betrachtete unsere Gartenflora. Warum musste er nur ausgerechnet jetzt so schüchtern reagieren? Er war schon den ganzen Abend so zurückhaltend gewesen, aber in der Gegenwart meines Bruders war es noch schlimmer.

"Ich dachte mir, ich sollte euch vielleicht wieder etwas in die Grillparty einbeziehen", sagte Alex grinsend, mehr in Chris' Richtung als in meine. "Ihr sitzt so abseits."

"Schon okay", murmelte dieser. "Hier sitzen wir immerhin an der Futterquelle."

"Ihr habt noch Hunger?" Alex fielen fast die Augen aus dem Kopf. "Ihr habt die meisten Sachen zu zweit verputzt, sodass ich nochmal zum Supermarkt musste, und jetzt habt ihr noch Hunger?"

"Ich nicht", wehrte ich ab. "Ich möchte einfach nur ein bisschen hier sitzen und dem Ast da oben beim Brennen zusehen."

Alex warf einen abschätzenden Blick auf das kleine Stück Kohle, das vom Ast noch übriggeblieben war. "Du willst dem Ast beim Brennen zusehen? Dann kommst du wohl etwas zu spät. Der ist schon am Verglühen. Kann es sein", fügte er verschmitzt mit einem Seitenblick in meine Richtung hinzu, "dass ihr eigentlich nur eine Gelegenheit zur trauten Zweisamkeit sucht? Dann würde ich auch wieder verschwinden."

Ich sah ihn giftig an. Er hatte Recht, ich wusste es eigentlich, aber ich fand es alls andere als galant, es so auszuformulieren. Als er meinen Blick bemerkte, zuckte er nur amüsiert mit den Schultern. "Bin schon weg."

Dann waren wir wieder alleine.
 

Als ich Chris später das Gartentor aufschloss, damit er nach Hause konnte, war ich etwas enttäuscht. Es war eigentlich ein recht schöner Tag gewesen, aber ich hatte mir mehr erwartet. Warum musste Chris immer dann so selbstbewusst werden, wenn wir alleine waren, dann aber alles wieder hinscheißen und den Kopf einziehen, wenn jemand anderes dabei war?

Ich sah ihm zu, wie er die Straße entlang ging und einen Stein vor sich herschoss. Seufzend drehte ich mich um und ging den Kiesweg wieder hoch. Als ich am Holunderstrauch vorbeiging, sah ich dahinter meinen Bruder stehen, der mich mitfühlend ansah.

"War wohl heute nichts, hm?", fragte er. Als ich nicht antwortete, fuhr er einfach fort. "Na ja, setz ihn nicht so unter Druck, wenn er so weit ist, kommt er schon auf dich zu – oder du übernimmst das Steuer."

Mit diesem Ratschlag entschwand er dahin zurück, wo er hergekommen war: In die Büsche.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2006-08-06T14:11:29+00:00 06.08.2006 16:11
Schließe mich dem Kommentar von microminni vollstens an ^^
Super geschrieben,aber alles.. :) *Fan ist*
Von: abgemeldet
2006-07-18T11:14:30+00:00 18.07.2006 13:14
Super Kapitel. Aber schon blöd für die Ich-Person, dass mit dem Christian. Ich hoffe in den nächsten Kapiteln wird das noch was =)
Bye


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