Das Leben danach von KenIchijoji ================================================================================ Kapitel 69: Die Aufnahmen, Teil 2 --------------------------------- Samstag, 8. Juni 2019 Büro von Masao   ~ Beginn der 2. Aufnahme ~   Dr. Shihito: „Okay Herr Yagami, dann erzählen Sie mir doch bitte, wie die Woche lief. Hat mit Ihrer Frau und den Kindern alles geklappt, haben Sie sich wie verordnet etwas zurückgenommen?“   Taichi: „Ja, ich habe mich etwas zurückgenommen und meiner Frau mehr Aufgaben überlassen, wie Sie es geraten haben und sie ist cool damit und akzeptiert auch die Tatsache, dass ich über den Therapieinhalt nicht reden darf.“   Dr. Shihito: „Heute möchte ich mich gern näher mit Ihrer Schwester befassen. Ich habe ein wenig in den alten Akten gelesen und dort stand, dass das Verhältnis zwischen Ihrer Schwester Hikari und Ihnen ziemlich angespannt war eine Weile. Erzählen Sie mir davon und auch, wie das Verhältnis früher war, wie es sich im Laufe der Zeit entwickelt hat. Beginnen Sie damit, wie es aktuell ist und gehen Sie dann Stück für Stück in die Vergangenheit zurück. Versuchen Sie Veränderungen an Zeitpunkte zu knüpfen, an Ereignisse.“   Man hörte das Rascheln von Papier   „Ich habe hier einen Zeitstrahl, auf dem ich alles markieren werde, schließen Sie einfach die Augen, lassen Sie sich von mir nicht stören.“   Taichi: „Die Beziehung zu Kari war ein Auf und Ab, als Kinder waren wir ein Herz und eine Seele, das blieb auch lange so, eigentlich solange, bis ich halt mit Sora zusammen war und Kari war dann irgendwie auch eine Zeit lang nicht im Land…, als es mir dann so schlecht ging, habe ich Distanz geschaffen, ich wollte ihr diese Probleme nicht aufbürden, das war so der Punkt, wo unser Verhältnis nicht das beste war, Jess sah fast so aus wie Kari und hat in mir diesen Beschützerinstinkt geweckt, ich denke in ihr konnte ich das fehlende, gute Verhältnis zu Kari kompensieren, Jess war wie eine kleine Schwester für mich…, Kari hatte sie sogar noch kennenlernt kurz bevor sie starb. Kari wusste bis vor drei Jahren auch nichts von Taki, aber das hatte sie mir nicht übelgenommen. Als ich die Therapie mit Mimi hatte, war unser Verhältnis wesentlich besser, vor allem auch, als sie dann schließlich mit ihrem Verlobten zusammenkam. Als sie dann schwanger wurde, veränderte sie sich allerdings sehr, sie wurde, man kann sagen richtig bitchig und war neidisch auf meine Frau, weil Mimis Schwangerschaft besser verlief als ihre eigene, Kari hatte lange mit Morgenübelkeit und den Hormonschwankungen zu kämpfen. Nach der Geburt ihrer Tochter ging es dann richtig los, sie hatte Wochenbett-Depressionen, aber der ganz üblen Sorte, sie hat ihren Verlobten quasi tyrannisiert, das ging so weit, dass er sich freiwillig in Behandlung begeben hat um nicht zusammen zu brechen, von da an hat er aufgehört ihr Verhalten zu entschuldigen und hat seine Drohung wahr gemacht und sie verlassen, um ihr zu zeigen, dass er das sehr wohl ernst meinte, dass er geht, wenn sie sich weiter so aufführt, es hat sehr lange gedauert, bis sie zu Aiko eine mütterliche Bindung aufbauen konnte, es fiel ihr schwer anfangs, eines Tages habe ich mich mit Kari auf einen Kaffee getroffen, ich wollte wissen was mit ihr los ist, naja sie ist ausgetickt und hat mich vor die Wahl gestellt Mimi oder sie, ich habe sie dann im Café sitzenlassen, weil ich mich für meine Frau und meine Kinder entschieden hatte und das würde ich jederzeit wieder tun.“   Man hörte Tai tief durchatmen   „Von der Sache damals habe ich Ihnen ja letztes Mal, erzählt wo sie so krank war, jedenfalls hatte ich geschworen sie nie mehr im Stich zu lassen, deswegen wollte ich sie immer in meiner Nähe wissen, bis halt Mimi in mein Leben trat da hat es dann etwas nachgelassen, außerdem hatte sie ja dann auch ihren Verlobten und Aiko, Anfang das Jahres sind sie in unsere Nähe gezogen und Kari kommt eigentlich sehr häufig vorbei…, es verwirrt mich manchmal, denn Kari wollte ihren Freiraum, den gebe ich ihr ja auch, aber gleichzeitig will sie mich in ihrer Nähe wissen…, erst nabelt sie sich ab, dann wieder doch nicht, es ist manchmal ziemlich verwirrend, zumal sie selber bei Dr. Masao Watanabe in Therapie ist und da gute Fortschritte macht. Sie hat selbst vieles durchgemacht und ich hoffe, dass irgendwann alles geregelt ist, was geregelt werden musste, jetzt steht erstmal ihre Hochzeit an, darauf freue ich mich schon. Ich habe immer versucht, ein guter, großer Bruder zu sein, aber ich habe es nicht immer geschafft.“   Dr. Shihito: „Herr Yagami, ich möchte bitte, dass Sie mir jetzt ganz genau und ruhig zuhören. Was zwischen Ihnen und Ihrer Schwester passiert ist, ist wirklich schlimm, aber Sie können ihr daran keine Schuld geben. Sie hat es nicht anders gelernt und da sind Sie, leider Gottes, nicht ganz unschuldig dran. Sie haben Kari viel zu sehr überbehütet, es gab in ihrem Leben nie Raum für andere Menschen und als Sora dann in Ihr Leben trat, fühlte sie sich plötzlich zurückgestellt, das zieht sich durch die ganze Erzählung, die Sie mir gerade gegeben haben. Damals ist es gar nicht so sehr aufgefallen, weil sie im Ausland war, aber dann kam sie zurück und Sie wollten nichts mehr von ihr wissen, von jetzt auf gleich, nachdem Kari all die Jahre die Priorität ihres Lebens war. Das hat bei ihr eine schwere Psychose ausgelöst und sie hat alle anderen Frauen als Feindbilder betrachtet. Das mit Jess wird ihr den Rest gegeben haben, dass Sie sich Ersatz in jemandem gesucht haben, der ihr ähnlich sah… dann wurde ihr der Sohn verheimlicht, vielleicht hat sie so getan, als mache ihr das nichts aus, aber tief in sich drin ist sie gebrochen gewesen, was auch die schwere Wochenbettdepression untermauert. Ihr Verlobter konnte die Fixierung auf Sie vielleicht etwas unterdrücken, aber als Ihre Frau dann in der Schwangerschaft wieder mehr Aufmerksamkeit brauchte und Kari klar wurde, dass sie ein Mädchen bekommt, ist diese Psychose wieder aufgewallt. Sie hat ihr eigenes Kind als Keil zu Ihnen betrachtet, Ihre Frau ja sowieso. Ohne ihren Verlobten, das sage ich Ihnen nun ganz ehrlich, hätte sie das alles nicht gepackt, ihre Depression hätte sie und auch Ihre Nichte in den Tod getrieben. Dass sie keine Bindung zu ihrem Kind aufbauen konnte, hängt auch damit zusammen, ist Ihnen eigentlich bewusst, was Sie Ihrer Schwester über all die Jahre angetan haben? Sie wollten sie beschützen, ja… aber Sie haben Kari fast in den Tod getrieben und das wird zwangsläufig auch mit dem Rest Ihrer Familie passieren, wenn wir nicht sofort handeln! Ihre Schwester hätte ohne die Therapie vielleicht ihr Leben bereits beendet, wollen Sie wirklich, dass Ihre Frau auch in diese Lage kommt?“   Man hörte die fast schon dramatische Sprechpause und das nahezu theatralische Seufzen Dr. Shihitos   „Was mache ich nur mit Ihnen, Herr Yagami? Ihr Wunsch in allen Ehren, aber es wird nur bergauf gehen bei ihr, wenn wir an Ihrem Verhalten arbeiten. Durch ihre Reaktion auf Kari machen sie alle Fortschritte zunichte, Sie sind der Faktor, der die Abnabelung verhindert, aber das können wir hier therapieren. Sie haben damals Ihre Frau und Ihre Kinder Ihrer Schwester vorgezogen, eine völlig plausible und auch richtige Entscheidung… unter normalen Umständen, aber so wie Sie vorher zu Ihrer Schwester waren, haben Sie damit bei ihr ein Verlusttrauma ausgelöst, dass nur Sie wieder beheben können. Widmen Sie Ihrer Schwester mehr Zeit, zeigen Sie ihr, dass sie Ihnen genauso wichtig ist wie Ihre Familie. Überlassen Sie die Kinder eine Weile Ihrer Frau und kümmern Sie sich um Ihre Schwester. Die Gefahr ist noch nicht gebannt, möglicherweise könnte ein weiterer Versuch dieser radikalen Abnabelung dazu führen, dass sie sich und auch ihre Tochter umbringt, Menschen mit Verlusttraumata neigen dazu, irrationale Dinge zu tun. Die Abnabelung muss therapiebegleitend erfolgen, Schritt für Schritt. Wenn Sie möchten, spreche ich die weiteren Schritte mit Dr. Watanabe ab, dann können wir das aufeinander abstimmen, um die Gefahr größtmöglich zu verringern.“   Taichi: „Ich habe immer nur ihr bestes gewollt... nicht ihr schlechtestes...ich habe sie nach der Beziehung mit Sora aus meinem Leben rausgehalten, weil ich ihr keinen Kummer machen wollte..., sie sollten diesen Zustand nicht sehen... mit den Medikamenten, im Entzug…, ich wollte ihr das nicht zumuten. Ich habe auch erst vor zwei Jahren erfahren, dass ihr Exfreund sie damals zum Sex gezwungen hat, ich würde diesen Kerl am liebsten immer noch in der Luft zerreißen, aber das ich schuld daran bin, dass es ihr so scheiße ging? Ich weiß nicht, sie hatte ihren Verlobten ja trotzdem immer an ihrer Seite und ich würde niemals wollen, dass ihr oder meiner Nichte etwas passiert. Ich habe sie nicht bewusst mit Jess ersetzt, Jess wurde mir damals zugewiesen, damit ich sie auf den richtigen Weg zurückbringe, dass sie fast wie Kari aussieht, das wusste ich im Vorfeld gar nicht…, aber ich hatte versprochen diesem Mädchen zu helfen und das habe ich auch versucht... Und wie soll ich meiner Familie gerecht werden, wenn ich mich wieder nur auf meine Schwester fixiere? Das geht nicht... ich will weder meine Frau und meine Kinder, noch meine Schwester und meine Nichte ins Unglück treiben! Ich kann es einfach nicht glauben, dass ich all die Jahre anstatt ihr zu helfen sie nur zerstört habe und ihre psychischen Krankheiten verschuldet habe, anstatt der große Bruder zu sein, den sie all die Zeit gebraucht hätte…“   Es folgte eine Sprechpause und man hörte Tai weinen   „Ich wollte das alles doch nicht..., ich wollte ihr niemals wehtun..., niemanden..., ich hatte immer so große Angst sie zu verlieren und wollte sie vor bösen Dingen beschützen..., irgendwann kamen immer mehr Sachen dazu und ich wusste nicht mehr, wie ich allem gerecht werden sollte..., also habe ich einfach nur noch irgendwie funktioniert und nicht mehr viel über das, was ich tue, nachgedacht... in der Hoffnung, irgendwann wird alles besser..., ich dachte durch ihre Therapie mit Masao ist alles im Griff..., sie hat sehr gute Fortschritte gemacht bisher..., deswegen wollte ich sie auf Distanz halten, damit sie nicht wieder in ihr altes Muster fällt..., dass sie sich voll auf ihren Verlobten und ihrer Tochter fokussieren kann..., aber alles was ich tue ist immer falsch…“   Dr. Shihito: „Freilich wollten Sie immer das Beste für sie, aber zwischen dem, was wir beabsichtigen und dem, was wir durch unser Handeln auslösen, liegen manchmal Welten. Oft reicht eine kleine Fehlentscheidung, um ganze Leben auszulöschen, ich denke, vom Butterfly-Effekt haben Sie schon mal gehört? Klar waren Sie selbst mit dem eigenen Leben überfordert, aber das ändert leider nichts am Ergebnis, so viel Verständnis man dafür auch aufbringen sollte. Aber um einmal kurz auf den Exfreund ihrer Schwester zu sprechen zu kommen, ist er Ihnen ähnlich?“   Taichi: „Äußerlich ein wenig, aber wir sind charakterlich zwei völlig verschiedene Personen.“   Dr. Shihito, mit betroffener Stimmlage: „Nun Herr Yagami, vielleicht war das mit Jess nur ein Zufall, auch wenn die daraus entstandenen Emotionen durchaus auch mit einer Art Ersatz zusammenhängen, aber Ihre Schwester… sie hat Sie durch den Exfreund ersetzt, der Ihnen so ähnlich ist, weil sie einen Beschützer brauchte, diesem vermutlich blind vertraute… wahrscheinlich kam es deswegen auch zu den sexuellen Übergriffen, weil sie zu gutgläubig war und projiziert hatte. Und es hat niemand gesagt, dass Sie sich vollkommen auf Kari fixieren sollen, aber vielleicht ein wenig mehr Raum bieten, bis die Abnabelung erfolgreich war. Und die Selbstvorwürfe kann ich Ihnen nicht nehmen, aber wir können dafür sorgen, dass die Dämonen der Vergangenheit Frieden finden werden. Aber Sie dürfen sich nicht länger vor dem Offensichtlichen verschließen. Sie haben nicht nur Ihre Schwester psychisch krank gemacht, Sie selbst sind schwer psychisch krank und brauchen eine geeignete Behandlung, aber dafür sind Sie hier und ich hoffe, dass es noch nicht zu spät ist, dass ich Ihnen helfen kann, Herr Yagami.“   Taichi: „Ich habe immer gedacht..., dass ich das Richtige tue... verdammt!“   Man konnte hören, wie jemand mit voller Wucht irgendwo gegen schlug   Dr. Shihito, besorgt und beschwichtigend: „So beruhigen Sie sich doch wieder Herr Yagami und setzen Sie sich hin!“, sagte Shihito durchaus bestimmt. „Wenn Sie sich nicht beruhigen, muss ich Sie zwangseinweisen lassen und dann wird sich automatisch das Jugendamt einschalten. Sie lieben doch Ihre Frau und Ihre Kinder, richtig? Dann lassen Sie mich Ihnen helfen, denn aktuell kann ich kein Gutachten ausstellen, dass Ihnen einen weiteren Umgang mit den Kindern erlauben könnte.“   Taichi: „Ich wollte doch nicht das SOWAS passiert, das erst recht nicht! Ich hasse diesen Kerl bis aufs Blut für das, was er meiner Schwester angetan hat!“ Es dauerte einen Moment, ehe von Tai deutlich ruhiger folgte: „Natürlich will ich weder meine Frau, noch meine Kinder verlieren, ich liebe meine Familie, ich tue auch alles, was nötig ist um die Gefahren auszumerzen..., ich weiß nur nicht immer genau wie, deswegen bin ich ja hier und brauche Ihre Hilfe.“   Dr. Shihito, beschwichtigend: „Solche Aussagen könnten Sie Ihre Familie kosten, denken Sie daran, dass wir die Gespräche aufzeichnen, wenn es zu einem Zwischenfall kommt, wird man mich gerichtlich meiner Schweigepflicht entbinden und dann muss ich solche Sachen herausgeben. Was meinen Sie wohl, was passiert, wenn die Richter so eine Aussage hören, von jemandem, der durch Psychosen zu Gewalt neigt? Also halten Sie besser den Ball etwas flacher. Ich helfe Ihnen, so gut es in meiner Macht steht, aber Wunder vollbringen kann ich auch nicht.“   Man hörte die beiden hin und her laufen, ehe die Schritte abebbten   Dr. Shihito: „Ich spritze Ihnen jetzt eine pflanzliche Mischung aus Baldrian, Johanniskraut und ein paar Vitaminen, damit Sie wieder zur Ruhe und zu Kräften kommen. Ich will, dass Sie Kraft für Ihre Familie haben, ich sehe die Liebe in Ihren Augen für Frau und Kinder. Aber so schaffen Sie das nicht.“   Man hörte, wie er die Spritze aufzog und diese anschließend kurze Zeit später in eine Metallschale gelegt wurde   „Jetzt warten Sie noch ein paar Minuten und dann fahren Sie nach Hause, ich rufe Ihnen ein Taxi. Hinters Steuer darf ich Sie unter Beruhigungsmedikation nicht mehr lassen.“   ~ Ende der 2. Aufnahme ~   In allen Gesichtern sah man einfach nur noch den Schock, Kari hatte irgendwann begonnen zu schluchzen und war von Masao in den Arm genommen worden, was sie sich allmählich wieder beruhigen ließ. Mimi sah sie dabei an, wirkte durchaus betroffen und mitfühlend. „Wir wussten zwar schon, dass er Tai die Schuld an deiner Vergewaltigung gegeben hat, aber auf welch perfide Weise er das getan hat, ist schon abartig. Allein wie er die Frage nach Daisuke gestellt hat… er wusste genau, wie der aussieht, darauf könnte ich wetten und Tai hat den Scheiß auch noch geglaubt. Dieser manipulative Charakter… dieser Kerl war der reinste Psychopath.“ Kari stand sichtlich immer noch unter Schock, während sie die beiden ansah. „Ich… ich hab nie Tai die Schuld an allem gegeben, nie… ohne Tai hätte ich die Zeit nach den Übergriffen doch gar nicht überstanden… ich konnte ihm damals nicht die Wahrheit sagen, weil ich mich so geschämt habe… dass ich so schwach war, mich von einem Mann so behandeln zu lassen… aber er wusste, dass Davis nicht gut zu mir war und hat mich immer wieder getröstet, mir Mut gemacht, mir das Gefühl gegeben, dass es irgendwie weiter geht…. Wenn jemand schuld daran ist, dass es so bergab ging während der Schwangerschaft, dann Davis, weil ich durch ihn nicht mehr wusste, wie ich mit T.K. umgehen sollte, aber darüber haben wir ja schon ausführlich gesprochen, Masao…“ Sie senkte den Blick und schaute auf ihre Hände. „Genau deswegen regt es mich immer so auf, wenn T.K. über mich bestimmen will, weil er mir damit das Gefühl gibt, dass ich schwach bin, mich nicht wehren kann… er versetzt mich gefühlsmäßig in die Zeit mit Davis zurück… deswegen habe ich ihm vorhin an den Kopf geknallt, er wäre so wie Davis… weil meine Emotionen am Rad drehen, wenn man mich einengt… ich habe dann Angst, sehe wieder die Bilder von damals vor mir… ich hab gedacht, ich hätte das alles nach der Aussprache überwunden, aber ich träume immer noch davon, habe manchmal sogar noch den Geruch seines alkoholverseuchten Atems in der Nase, wenn ich die Bilder sehe…“ Mimi sah Masao an, da bestand aber definitiv noch ordentlicher Therapiebedarf bei Kari. Sie seufzte leise. „Dieser Dreckskerl hat genau gewusst, dass er ihn mit mir, den Kindern und Kari bekommt, er hat es ganz genau gewusst und perfide ausgenutzt, um ihm den ersten Medikamentencocktail zu spritzen. Dadurch hat er bei ihm doch erst recht das ausgelöst, was er ihm vorher versucht hat anzudichten. Ich… ich bin einfach nur sprachlos, wie man so menschenverachtend und skrupellos sein kann… Aber wenn ich daran denke, wie hasserfüllt Sora gestern am Meer der Dunkelheit noch meinte, dass wir uns noch auf einiges gefasst machen könnten, bereitet mir nach der Geschichte mehr als nur Sorgen.“ Kari sprang fast von ihrem Stuhl auf. „WIE BITTE?! SORA?!“ Sie starrte Mimi an, aber mehr besorgt als hasserfüllt. „Wie kommt Sora dahin?“ Mimi sah sie fest an. „Setz dich hin, dann erzähle ich es dir.“ Kari spurte überraschenderweise sofort und Mimi begann von der Aussprache mit Jess zu erzählen, da diese Tai immer die Schuld an ihrem Tod gegeben hatte, den er ja aber gar nicht zu verschulden hatte, sondern dieser verdammte Shihito. Als sie zu Ende berichtet hatte, Masao wusste von den Geschehnissen ja auch noch nicht, nickte Kari zufrieden. „Gut, dass du der Giftschlange mal ordentlich die Meinung gegeigt hast. Glaubst du denn echt, sie hat das ernst gemeint?“ Mimi seufzte niedergeschlagen. „Wenn ich das nur wüsste, Kari…, wenn ich das nur wüsste…“   Abgesehen von den Offenbarungen in der Datei war Masao überrascht, dass sie anscheinend irgendwie zu Kari durchgedrungen waren. Er sah sie ernst an. „Kari hör zu, T.K. ist nicht Davis, in keinerlei Weise. Gestern Abend wollte er dich nur beschützen, denn sei ehrlich, hättest du den Anblick ertragen, deinen Bruder so gebrochen zu sehen? Aber ihm an den Kopf zu werfen er sei wie Davis, das musst du doch selbst zugeben, war unter der Gürtellinie… er liebt dich sehr, sonst hätte er dir die Aktionen nach der Geburt von Aiko nicht verziehen, aber du fängst wieder an in dieses Muster zu verfallen… du kriegst deinen Willen nicht und rastest komplett aus und denkst, wenn du heim kommst hat er sich wieder eingekriegt und alles ist gut und läuft weiter…, aber irgendwann hat auch er eine Grenze erreicht, denn ich denke, dass die ganzen Dinge ihn ziemlich verletzt haben…, weil so wie du sagtest hast du ihm nicht mehr wirklich zugehört und seine Worte nicht ernst genommen,  aber das solltest du...“ Er seufzte leicht. „Eine Beziehung ist immer mit Arbeit verbunden und die ist manchmal nicht wenig, nimm als Beispiel deinen Bruder und Mimi, sie sind verheiratet, aber die letzten Wochen waren auch dort hart, Mimi musste den Kindern Tais Verhalten irgendwie erklären, dann gab es einen Abend, wo er bei klarem Verstand war… und nun ist er in diesem Entzug… Mimi ist komplett auf sich gestellt für zwei bis drei volle Monate, wo sie Tai weder sehen noch hören darf. Zusätzlich muss für drei kleine Kinder alleine sorgen und ihnen irgendwie erklären, warum Papa so lange weg ist… du hast immer noch T.K., der an deiner Seite ist und dir hilft..., sei es mit Aiko oder was auch immer… überleg dir mal, wie es für dich wäre, wenn du so lange abends alleine im Bett einschlafen und auch aufwachen müsstest.  Ich will dir damit nicht sagen, dass du nicht auch Probleme hättest, aber du kannst jederzeit zu T.K., Mimi kann nicht zu ihrem Mann und vermutlich wird Tai nicht an seinem Hochzeitstag da sein können und verpasst weitere Entwicklungsschritte seiner Kinder. Wir müssen weiter an der Abnabelung arbeiten und auch daran was wir tun können, damit du T.K. nicht mehr mit Davis vergleichst, wenn es mal Streit gibt. Ich will dir nur helfen Kari, das musst du lernen zu verstehen.“   Tatsächlich hörte Kari zum ersten Mal seit Langem Masao mal wieder richtig zu. Da er Karis Therapeut war, hielt sich Mimi auch erst mal raus, sie würde sich nur einmischen, wenn es mit ihr direkt zu tun hatte. Kari sah Masao an, ehe sie leise seufzte. „Ich weiß es nicht, aber vermutlich wäre ich ziemlich hysterisch geworden und total durchgedreht… und hätte damit alles noch viel schlimmer gemacht. Ich habe es bereits auf dem Weg hierher bereut, dass ich T.K. so etwas Fieses an den Kopf geknallt habe, ich weiß ja, dass er immer Rücksicht auf mich nimmt, aber in Bezug auf Tai macht er immer so krasse Sachen, dass mich das vollkommen verwirrt. Manchmal könnte man fast meinen, dass er eifersüchtig auf Tai ist.“ Darüber dachte Mimi im Stillen nach, während sie Kari weiterreden ließ, Masao schickte wahrscheinlich gerade Stoßgebete zum Himmel, dass seine Bitte erhört worden war und Kari wieder zur Vernunft zu kommen schien. „Ich weiß, dass ich ihm nach der Geburt echt einiges zugemutet habe und eigentlich wollte ich doch auch nie wieder an diesem Punkt ankommen… ich versteh mich doch selbst nicht mehr, Masao, ich wollte doch eigentlich gar nicht so ausrasten… aber es stimmt, ich wollte nicht hören, was er sagt, weil ich wusste, dass er vermutlich Recht hatte, aber ich wollte doch so unbedingt zu Tai…“ Als Masao über ihre Ehe mit Tai sprach, ergriff Mimi nun auch das Wort. „Weißt du was ich manchmal glaube, meine Liebe? Du idealisierst unsere Ehe und versuchst dich daran zu messen, obwohl es das perfekte Glück nicht gibt, für niemanden. Wir haben auch unsere Krisen, aber wir sind so aufeinander eingespielt, dass es nach außen hin keiner mitbekommt. Erinnere dich mal, als ich mit Misaki schwanger war, da hatten Tai und ich eine ziemlich heftige Ehekrise. Und diese ganze Scheiße von damals spielt bis heute in unsere Beziehung mit rein. Weißt du was es für ein Schlag ins Gesicht war, als ich von Tai hörte, dass er seinen toten Sohn in unserem Makoto sieht? Ich war immer davon ausgegangen, dass er das Trauma von damals überwunden hat, nur um dann von Masao hören zu müssen, dass ich ihm zu viel durchgehen lasse und ihn dabei unterstütze, alles zu verdrängen. Dazu unsere drei Kinder, du weißt selbst wie anstrengend Aiko gerade ist, das haben wir im Doppelpack und zusätzlich ein Baby, dass von morgens bis abends unsere volle Aufmerksamkeit braucht. Ich bin weiß Gott gerne Mutter, aber an manchen Abenden sitze ich auch da und fühle mich kraftlos oder niedergeschlagen. Aber ich weiß, dass ich auf Tai dann zählen kann, weil er mir IMMER den Rücken freihält. Misaki wird nicht so mitkriegen, dass Tai weg ist, aber ich habe keine Ahnung, wie ich das Makoto oder Kazumi erklären soll… Das wird echt eine schwere Angelegenheit und egal wie ich es mache, es werden Tränen fließen. Und da ist dann keiner, der mich abends in den Arm nimmt oder tröstet. Aber ich werde das durchziehen, weil ich Tai liebe und an ihn glaube. Immer. Egal was er tut.“ Kari seufzte leise, sie verstand schon, was Mimi sagte und sah dann Masao an. „Ohne T.K. würde ich nichts schaffen, er hilft mir auch heute noch wahnsinnig viel mit Aiko, weil ich oft überfordert bin mit ihr, manchmal liege ich abends heulend im Bett und denke, dass mich meine Tochter nicht leiden kann, aber dann ist T.K. da, der mir Hoffnung gibt und mich darin bestärkt, es weiter zu versuchen. Ich will niemals ohne ihn aufwachen müssen, Masao. Das wäre das Allerschlimmste für mich… ich werde mit ihm reden, gleich nachdem wir hier fertig sind. Ich weiß, dass er zu Hause sein wird… aber ich glaube, wenn ich so weitermache, dann wird er nur noch da sein wegen Aiko, aber nicht mehr wegen mir.“   Masao war doch etwas erleichtert, dass Kari so langsam Einsicht zu zeigen schien und wohl auch bemerkte, dass ihr Verhalten gegenüber T.K., gelinde gesagt, beschissen war. „Kari… vermutlich ist er sogar etwas eifersüchtig, aber ich kann ihm das nicht verdenken, er ist dein Verlobter, der Vater deiner Tochter und du entziehst ihm Aiko in gewisser Weise und ziehst Tai ihm vor in so gut wie jeder Lebenslage. Du musst auch mal so denken, T.K. und Mimi zum Beispiel verstehen sich ja auch sehr gut, jetzt überleg mal, wie es dir damit gehen würde, wenn er Mimi dir ständig vorziehen würde, auch in Bezug auf Aiko, du würdest vor Eifersucht vermutlich an die Decke gehen, dass T.K. nicht sofort laut wird oder ausflippt liegt daran, dass er zum ruhigen Typ Mensch zählt. T.K. sollte die männliche Bezugsperson von Aiko sein und nicht Tai, dein Bruder hat eigene Kinder, die ihn und seine volle Aufmerksamkeit brauchen, genauso wie Mimi auch noch was von ihm haben will und das alles ist normal, er hat eine eigene Familie gegründet und das hast du auch,. Das bedeutet jetzt nicht, dass ihr zwei nicht mehr eine Familie seid, aber jeder hat sein eigenes Leben, was nun mal Vorrang hat, aber du versucht dich jedes Mal aufs Neue immer und immer wieder auf Tai zu fixieren und dann ist doch klar, dass es T.K. nicht passt, wenn er von dir Gemotze bekommt, sobald er mal Kritik äußert. Du wolltest unbedingt zu deinem Bruder und dann? Er war kaum aufnahmefähig, sondern komplett durch den Wind, Mimi ist sein Ruhepol, die Person, die es als einzige schafft ihn in den Griff zu kriegen und sei es auch nur für einen kurzen Moment. Wäre er nicht etwas klar bei Verstand gewesen, wäre er gestern Abend Knall auf Fall direkt im Entzug gelandet, du hättest nichts tun können, auch wenn du da gewesen wärst.“ Er sah Kari nachdenklich an. „Ich fürchte du vergisst manchmal wo du wärst, wenn du T.K. nicht hättest, daran müssen wir arbeiten, dass du es dir jedes Mal aufs Neue ins Gedächtnis rufst, ob die Situation gerade wirklich so schlimm ist, dass du so austicken musst, der Weg wird nicht leicht, aber wir kriegen das schon noch in den Griff. Doch du musst lernen dich von deinem Bruder zu trennen, dass es okay ist, sein eigenes Leben zu führen, sonst wird es immer und immer wieder so weitergehen.“   Kari seufzte leicht und nickte schließlich. „Vielleicht hast du ja recht, ich habe nie darüber nachgedacht, dass es auf T.K. so wirken könnte, als würde ich ihm Tai immer vorziehen, das will ich ja eigentlich auch gar nicht, ich liebe ihn und will ihn heiraten. Wobei es fraglich ist, ob diese Hochzeit jemals stattfinden wird. Ich weiß ja nicht mal, ob er mir das alles noch mal verzeihen wird, ich habe ihm wirklich eklige Dinge an den Kopf geworfen. Ich weiß ja auch, dass T.K. ein sehr ruhiger Mensch ist, genau das schätze ich ja eigentlich an ihm, er ist mein Ruhepol. Dass Tai seine eigene Familie hat weiß ich doch und im Grunde bin ich ja froh, dass er Mimi hat, weil sie ihn ausgleicht, so wie es bei mir mit T.K. der Fall ist.“ Sie sah Mimi an. „Es tut mir leid, dass ich dir die Schuld an der Sache mit Shihito gegeben habe, du konntest ja auch nicht ahnen, dass er von Sora geschmiert worden war, allen anderen Patienten gegenüber, Jess mal abgesehen, hat er sich ja vorbildlich verhalten, T.K. hat das gestern bei seinen Recherchen durchaus festgestellt.“ Masaos Einwände bezüglich Tai ließen sie einen Moment innehalten, ehe sie erneut seufzte. „Ja, ich verstehe was du meinst, damals blieb Matt ja auch keine andere Möglichkeit, als Tai sofort in den Entzug zu schicken, sonst hätte er sich mit den Medikamenten wahrscheinlich das Leben genommen. Ich fühle mich immer noch so schuldig, weil ich damals den Abstand gehalten habe, statt für ihn da zu sein, ich habe mich abspeisen lassen mit Ausreden, obwohl er mich damals mehr denn je gebraucht hätte.“ Mimi sah Masao an, da hatten sie ja gleich zwei mit Schuldgefühlen. Tai fühlte sich schuldig an Karis Krankheit damals und sie an seinem Medikamentenmissbrauch einige Jahre zuvor. Was Masao dann noch sagte, wollte Kari eigentlich noch kommentieren, doch dazu sollte es nicht mehr kommen.   T.K. unterdessen betrank sich hemmungslos weiter, während sich Masao mit den beiden die Aufnahmen anhörte und mit Kari redete. Sein Alkoholpegel war wirklich weit weg von jeglicher Verkehrstauglichkeit und dass er überhaupt noch laufen konnte, grenzte schon fast an ein Wunder. Er ging komplett achtlos in Richtung nach Hause, wobei es eher Torkeln als Gehen war und sah durch den Alkoholspiegel auch nicht das Auto, was bei grün über die Ampel fuhr. Der Fahrer hatte keine Chance mehr noch rechtzeitig zu bremsen, als T.K. plötzlich auf die Straße torkelte und nahm ihn voll mit, sodass dieser einige Meter weiter geschleudert wurde und nun bewusstlos und blutend am Boden lag. Während Passanten den Krankenwagen riefen, leistete der Autofahrer direkt auch Erste-Hilfe, bis die Sanitäter eintrafen, sich um ihn kümmerten und direkt in die Uniklinik brachten.       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)