Das Beta-Guard Projekt von Yomiuri (Die Vorgeschichte der Alphas) ================================================================================ Kapitel 11: Verbiegen von Regeln und Moral ------------------------------------------ In der Nacht mache ich mich noch einmal auf den Weg in das Forschungslabor. Lange nachdem ich dafür gesorgt hatte, dass jeder dort gesehen hatte wie ich um 14 Uhr eben dieses verlassen hatte. Heute haben Sam und ich es endgültig beschlossen. Ich sagte ihr, wie viele nach dem Serum gestorben waren oder wie schlecht es um einige der bisher Überlebenden bestellt war. Sie hatte einige Tage zum Nachdenken gebraucht, nur um mir dann mitzuteilen, dass sie ihre Meinung nicht geändert hatte. Also stehe ich jetzt hier, mit dem Buch über Genetik, welches sie mir am frühen Vormittag in mein Zimmer gebracht hatte. Ich umgreife den Verschluss meines Rucksackes, in welchem ich das Buch mit mir herumtrage. Plötzlich geht im zweiten Stock ein Licht an. Es muss eines der Labore sein, aber sicher nicht das in welches ich einzudringen vorhabe. Ich betrete das Gebäude mit einem dicken Kloß im Hals. Ich hatte mich bisher immer an alle Gesetze und Regeln gehalten. Sie haben schließlich alle ihren Sinn und ihre Berechtigung. Kurz überlege ich alles wieder abzublasen, Sam anzurufen und ihr mitzuteilen, dass ich das nicht für sie tun kann, das es einfach nicht richtig ist, sie nicht ausgewählt worden ist und sich nun damit abfinden muss. Aber würde ich mich damit abfinden können? Tu ich es jetzt gerade oder tat ich es in den vergangenen drei Monaten? Ich hatte die letzten Wochen damit verbracht mir eine Lösung einfallen zu lassen, währenddessen hatte ich jedoch bemerkt, dass Sam und ich mittlerweile auf verschiedenen Erden zu leben scheinen. Ich war kein normaler Mensch mehr, sie schon. Es fing bereits an uns auseinander zu bringen und keiner von uns beiden wollte das zulassen. Deswegen stehe ich hier und werde es für sie durchziehen, für uns. Dieses eine Mal werde ich das Gesetz etwas dehnen. Hatte ich nicht immerhin unterschrieben, dass ich an einem Experiment mit diesem Serum teilnehme? In diesem Zusammenhang würde Sam allerdings mein Versuchsobjekt sein. Bei diesem Gedanken wird mir übel und ich verziehe das Gesicht. Ich musste einen anderen Vergleich, oder in diesem Fall eine andere Ausrede, finden um dieses Vorhaben vor mir selbst zu gerechtfertigen. Während ich darüber nachdenke, laufe ich in die erste Etage. Da die Aufzüge videoüberwacht sind, nehme ich die Treppen und lasse dort das Licht aus. Im dunklen Treppenhaus muss ich mich auf meine Schritte konzentrieren, um nicht zu stolpern. Es ist absolut still im Treppenhaus und ich habe das Gefühl, dass meine Atmung extrem laut ist. Ich gehe weiter, bemüht möglichst lautlos zu laufen, doch das hallen meiner Schritte scheint ohrenbetäubend zu sein. Eine gefühlte Ewigkeit vergeht bis ich das Treppenhaus wieder verlassen habe und den dunklen Flur entlanglaufe bis zu dem Labor, in dem mein Zielobjekt sich aktuell befindet. Ich stehe direkt vor der Schiebetür zum Labor, als innen plötzlich das Licht angeht. Ich stehe in kurzer Schockstarre da und die Gedanken in meinem Kopf überschlagen sich so sehr, dass sie in einem unentwirrbaren Knoten zusammenfügen. „Fynn? Was machst du so spät noch hier?“, fragt mich die Person vor mir. „Vor allem im stockdunklen?“, der Kopf der Gestalt vor mir neigt sich zur Seite. Meine Augen brauchen einen Moment, bis sie sich an das plötzliche, grelle Licht der Neonröhren gewöhnt haben. Mein Hirn versucht bereits vorher auszumachen, wer mich da während meines Raubzuges erwischt hat. Die Stimme ist weiblich und die Gestalt vor mir einen Kopf kleiner als ich, die Frisur ist kurz und irgendwie stachelig, sofern ich das erkennen kann. Der Knoten in meinem Kopf lässt einen Faden locker. Erin, es ist Erin die mich erwischt hat. Logisch. Seit anfang an arbeitet sie direkt in dem Labor mit, in dem das Serum produziert wird. Sie kennt die genaue Zusammensetzung von jeder einzelnen Phiole. „Hey… Erin“, mein Hals ist wie die Wüste: total ausgetrocknet. Ich räuspere mich und versuche möglichst selbstbewusst zu klingen. Mist! Was soll ich ihr für eine Ausrede präsentieren? „Ich hatte nur etwas vergessen und wollte es schnell für eine Vorlesung besorgen“, sage ich und hoffe, dass sie nicht bemerkt wie nervös ich in Wirklichkeit bin. Erins Kopf neigt sich noch etwas weiter zur Seite. Sie ist skeptisch, oder neugierig, so ganz durchschauen kann ich sie nicht. Also nestle ich an meinem Rucksack rum, bis ich den Reißverschluss erreicht habe um ihn aufzuziehen. Der einzige Gegenstand, der für eine Vorlesung an einer Uni wichtig sein könnte, also wichtig genug um Nachts noch schnell in ein Labor einzubrechen, ist das Genetikbuch. In diesem Moment bin ich froh, dass Sam so eindringlich darauf bestanden hat, dass wir es in diesem Buch transportieren. Als hätte sie geahnt, dass ich es als Tarnung brauchen würde. „Genetik?“, Erin zieht eine Augenbraue hoch. „Sag mir wenn ich mich irre, aber du hast das doch gar nicht auf deinem Vorlesungsplan?“, bemerkt sie recht aufmerksam, während sie wieder mit ihrer eigentlichen Handlung, dem Reinigen der Laborinstrumente, fortfährt. „Ja, richtig…“, sage ich schnell. Der Knoten in meinem Kopf gibt weitere Fäden frei, die wie Gummischlangen in mir herumwabbeln. Im Ausreden finden war ich bisher nie gut und Erin ist ziemlich scharfsinnig, was es mir beinahe unmöglich macht eine Lüge wie die Wahrheit klingen zu lassen. „… Sam braucht es für ihre Vorlesung“, füge ich hinzu. „Ich hatte es mir ausgeliehen als ich darüber nachgedacht habe vielleicht Genetik meinem Studienplan hinzuzufügen“, beende ich schließlich diese fette Lüge. Jetzt habe ich auch noch Sams Namen hineingezogen. Ich könnte mich selbst ohrfeigen. „Verstehe“, sagt Erin in einem halben Singsang und spült dabei ein Reagenzglas mit der Hand ab. Etwas unsicher, was ich jetzt tun soll, stehe ich da. Der Schrank mit den Phiolen voller Serum nur wenige Meter neben mir. Ich kann es nicht riskieren jetzt den Schrank zu öffnen und eine der Phiolen auszuwählen. Immerhin will ich ja nicht das falsche erwischen. Es muss ein Serum sein, wodurch keiner von uns verstorben ist. „Und wirst du es tun?“, fragt Erin plötzlich. Sie sieht mich mit ihren hellblauen Augen an. Erneut stehe ich stocksteif da. Sie hat mich durchschaut, aber wie? Ich bemerke, wie sie erneut den Kopf schief legt und mich fragend ansieht. „Wie?“, versuche ich Zeit für eine weitere Ausrede zu schinden. „Naja… nimmst du den Genetikkurs in deinen Plan mit auf?“, ihre Stirn ist gerunzelt. Mir fällt ein Stein, oder besser gesagt ein Asteroid, vom Herzen. Sie hat mich also nicht durchschaut, noch nicht. „Achso!“, rutscht es mir etwas zu erleichtert heraus. „Nein. Eher nicht..“ antworte ich, wieder möglichst ruhig. Ich versuche lockerer zu werden, als ich mir innerlich vornehme, es heute doch nicht durchzuziehen. Wenn heute eine der Phiolen verschwinden sollte, wäre Erin die Zeugin dafür, dass ich nachts im dunklen durch das Labor geschlichen bin und dann würden Dr. Sasson und Dr. Augustine nicht lange brauchen um mich bei Dr. Wellington zu melden. Dieser wiederum würde ziemlich schnell auf die Verbindung zwischen Sam und mir kommen und wir würden mit der ganzen Aktion auffliegen. Es wäre ein absolutes Desaster. Erin seufzt und wirft den Lappen beiseite. „Fynn… ich merke doch was los ist“, sagt sie dann und sieht mich mit ihrem wissenden Ausdruck in den Augen an. Ich stehe schweigend da. Sicherlich, innerlich raste ich aus vor Panik, dass sie diesmal ins Schwarze treffen könnte, aber vermutlich ist es schlauer ihr erst weiter zuzuhören um mich nicht doch noch selbst zu verraten, falls sie doch daneben liegt. Abwartend sehe ich sie an, bis sie weiterspricht: „Du verhältst dich schon länger so merkwürdig“, erklärt sie mir, „und das kann ich sogar verstehen. Bei allem was hier so mit uns und den Fähigkeiten los ist und denen die gestorben sind, dann deine Trennung von Sam…“, erneut seufzt sie, während sie anfängt ihre Putzmaterialien aufzuräumen. „Du hattest noch keine Gelegenheit mal in Ruhe mit jemandem zu sprechen… wegen Sam meine ich?“, erneut sieht sie mich mit einem durchdringenden Blick an. „Trennungen sind nie leicht… besonders nicht unter diesen verrückten Umständen, aber vielleicht kannst du dich ja einem der psychologischen Betreuer hier anvertrauen? Dieser Dr. Coulson scheint ganz nett zu sein“, gibt sie mir den Rat. Erst bin ich verblüfft, aber dann stelle ich fest, dass sie mir die perfekte Entschuldigung für mein Verhalten geliefert hat. Ich muss ihr nur recht geben, dann habe ich ja nicht so ganz gelogen, nicht wahr? Ich sollte dringend meine moralischen Ansichten überdenken! „Ja… stimmt, Erin“, ich nicke. „Das werde ich gleich morgen früh vor meiner ersten Vorlesung in Angriff nehmen“, sage ich, um endlich aus dieser Situation zu kommen. Hastig verabschiede ich mich und verlasse das Gebäude so schnell wie möglich. Ohne das Serum für Sam… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)