Liebe, Leid und Leben von theDraco (Mamorus Jugend) ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Ein schreckliches, lautes Piepsen durchbrach die Stille. Die Lichtblitze, die verschwommenen Schatten, das golden glänzende Haar, all das verschwand vor Mamorus Augen. Die Szenerie wurde durch eine vertraute Umgebung ausgetauscht: das Schlafzimmer seines Onkels und seiner Tante. Verschlafen blinzelnd sah er sich um. Er spürte, wie eine große Hand ihm über den Kopf fuhr. Ächzend und stöhnend drehte er sich um und sah in die sanften, hellblauen Augen seines Onkels. "Is noch vielssufrüh", nuschelte Mamoru und rieb sich die Augen, "wie schbätisses?" "Dir auch einen wunderschönen guten Morgen", flötete Seigi, "und es ist sechs Uhr." Einige Herzschläge lang blinzelte Mamoru seinen Onkel aus kleinen Augen an, dann drehte er sich mit einem Knurren um und zog die Decke über seinen Kopf. Etwa zwanzig Minuten später gesellte sich Mamoru doch zu seiner Tante in die Küche, wo schon das Frühstück bereitet wurde. "He, Schlafmütze! Du hier? Ich dachte, Du wärst längst wieder im Reich der Träume!", begrüßte Kioku ihn. "Wo ist Onkel Seigi?", wollte Mamoru wissen, während er sich, immer noch im Pyjama, an den Küchentisch setzte. "Er duscht gerade", antwortete Kioku. "Na, was ist das für ein Gefühl, mal so früh aufzustehen?" "Ein beschissenes. Und das machst Du jeden Tag, Tante Kioku?" "Hab ich eine andere Wahl?", sagte sie, "würde ich es nicht tun, käme Dein Onkel regelmäßig zu spät zur Arbeit. Außerdem hab ich so noch ein bisschen was von ihm. Ich sehe ihn ja sonst den ganzen Tag lang nicht. Willst Du Tee?" Mamoru bejahte, dann stand er auf, um seiner Tante behilflich zu sein. Es dauerte nur einige Augenblicke, da kam Seigi in die Küche. Er hatte sich schon angezogen und quälte sich gerade mit seiner Krawatte ab. Seine haselnussbraunen, kurzen Haare waren immer noch gut feucht und der Geruch seines Rasierwassers war schnell in der ganzen Küche verteilt. Er war ein hochgewachsener Mann und musste sich schon ziemlich tief bücken, um seiner Frau einen Kuss zu geben. "Danke, Schatz", flötete diese und wies auf den Tisch, "setz Dich. Frühstück ist gleich fertig." Genau das tat Seigi fröhlich pfeifend. Mamoru pflanzte sich neben ihn, warf ihm einen skeptischen Blick zu und fragte: "Wie kann man um die Uhrzeit nur so gut gelaunt sein?" "Wenn Du mal erwachsen bist", erklärte Seigi, "fällt es Dir auch nicht mehr ganz so schwer, frühmorgens aufzustehen. Bei den allermeisten Leuten legt sich die Morgenmuffligkeit, wenn sie etwas älter sind." "Bei den meisten? Nicht bei allen?" "Nun", meinte Seigi gedehnt, "Ausnahmen bestätigen die Regel, nicht wahr?" Kioku trug inzwischen das Essen auf, und Seigi bediente sich reichlich. Mamoru verspürte irgendwie noch keinen Hunger. Und so fragte er weiter: "Onkel Seigi? Sag mal, wie hast Du Tante Kioku eigentlich kennen gelernt?" Seigi grinste verschmitzt, als er stolz zu berichten begann: "Ich habe früher in einer Band gespielt. Wir hießen ..." "Moment mal, Moment mal", wurde er von Mamoru unterbrochen, "? Is ja schwer originell!" Sein Onkel zuckte mit den Schultern. "War nicht meine Idee. Jedenfalls waren wir richtig gut. Ich habe am Klavier gespielt. Wir hatten öfters mal kleine Auftritte, mit denen wir einen Teil unserer Studienzeit finanzierten. Und einer dieser Auftritte fand in diesem kleinen, gemütlichen Lokal statt." Seigi warf Kioku einen verliebten Blick zu. "Damals", so fuhr er fort, "war Deine Tante noch in der Schule. Sie arbeitete als Kellnerin in diesem Lokal, als Ferienjob. Sie war mir sofort aufgefallen. Diese zierliche Gestalt, die langen, schwarzen Haare, dieses süße Stupsnäschen..." Kioku setzte sich neben ihn und kniff ihn neckisch in die Wange. "Sie hat mich so sehr fasziniert", erklärte er weiter, "dass ich nach unserem Auftritt immer noch am Klavier sitzen blieb und ein Solo hinlegte: von Elvis. Sie wusste genau, wer gemeint war. Nicht wahr, Schatz?" Kioku hatte gerade die Backen voll und kaute genüsslich. Seigi drückte ihr einen Kuss auf die Wange. "Die restlichen Bandmitglieder von hatten sich um einen großen Tisch versammelt und tranken noch was. Aber Kioku und ich, wir haben uns in ein ruhiges Eckchen verzogen und uns kennen gelernt. Liebe auf den ersten Blick, Du verstehst? Und wir sind heute noch so verliebt wie am ersten Tag. Das könnte jetzt gut fünfzehn Jahre her sein, oder? Und seit zwölf Jahren sind wir nun verheiratet", endete Seigi und trank einen Schluck Kaffee. "Und woher wusstest Du so genau, dass Du mit ihr zusammen sein wolltest? Woher willst Du gewusst haben, ob der Mensch, den Du zum ersten Mal gesehen hast, und dessen Namen Du noch nicht einmal kanntest, der Partner fürs Leben sein könnte?", fragte Mamoru und griff nun doch nach einer Scheibe Toast. "Ich meine, was ist Liebe auf den ersten Blick, dieses unbekannte, geheimnisumwitterte und dennoch so oft rezitierte Etwas?" "Du stellst Fragen", meinte Seigi etwas irritiert, "so was weiß man nicht einfach so. Man muss es fühlen. Man muss es ausprobieren. Man muss ein gewisses Risiko eingehen, sonst findet man es nie raus. Man muss mit der Zeit einfach gewisse Erfahrungen sammeln." "Erfahrungen", murmelte Mamoru. Erneut hatte ihn dieser Begriff eingeholt. Anscheinend waren Erfahrungen tatsächlich etwas sehr Wichtiges. "Tu nicht so", meinte Seigi lächelnd, "als würdest Du so was nicht kennen. Ich bin mir sicher, Dir hat auch schon ein Mädchen den Kopf verdreht, oder? Sonst würdest Du nicht so Fragen stellen." Mit hochroten Wangen überging Mamoru diese Frage und stellte stattdessen lieber selber eine: "Und hattest Du vorher schon viele Erfahrungen gesammelt? Ich meine, hattest Du vor Tante Kioku noch andere Freundinnen gehabt?" "Natürlich hatte ich die", antwortete Seigi schulterzuckend, "jede Menge sogar." "Casanova", nannte Kioku ihn liebevoll, "so viele hast Du Charmeur auch wieder nicht abgeschleppt." Darauf grinste Seigi frech. "Woher willst Du das denn wissen?" Zu Mamoru gewandt sagte er: "Aber jede dieser Beziehungen vor Kioku hielt sich nicht allzu lange. Meistens drei oder vier Monate. Oder auch kürzer. In diesem Alter probiert man noch sehr viel aus." "Eine Frage hab ich noch", betonte Mamoru, dessen Gesichtsfarbe sich langsam wieder normalisierte, "in welchem Alter hattest Du Deine aller erste Freundin?" Seigis sanfte, hellblaue Augen ruhten eine Weile auf Mamoru eh er eine Antwort gab: "Ich war etwa so alt wie Du. Womöglich auch ein kleinwenig jünger." Mamoru biss kommentarlos in seinen Toast, während er nachdachte. Ihm wurde schmerzlich klar, dass andere aus seiner Klassenstufe längst liiert waren oder zumindest früher mal eine Beziehung hatten. Gedankenverloren strich er sich über die paar Bartstoppeln, die aus seinem Kinn sprossen. , wurde ihm bewusst. "Mach Dir nichts draus", tröstete ihn Seigi, der seine Gedanken gelesen zu haben schien. Er klopfte dem Neffen aufmunternd auf die Schulter. "Jeder hat seine eigene Zeit. Die einen etwas früher, die andren etwas später. Aber ich bin mir sicher, Du wirst nicht leer ausgehen." Nach einem Blick auf die Uhr stellte Seigi fest, dass er los musste. Er verabschiedete sich, sammelte seine Siebensachen zusammen und war binnen kürzester Zeit verschwunden. Seufzend drehte Kioku sich Mamoru zu und wollte wissen: "Waren das etwa diese wichtigen Männersachen, die Du gestern Abend noch mit ihm besprechen wolltest? Das hätte ich Dir auch noch sagen können." Mamoru nickte geistesabwesend. Obwohl noch längst nicht alle seine Fragen beantwortet waren. Er wollte nicht alles auf einmal in die Runde werfen. Er wollte nicht fragen, wann und wie sich seine Eltern kennen gelernt haben. Noch nicht. Er wollte die heitere Stimmung nicht zerstören, indem er seinen Onkel Seigi an dessen verstorbenen, älteren Bruder erinnerte: Mamorus Vater. Ihm war aber bewusst: Er musste seine Neugierde befriedigen. Er musste eines Tages diese Frage stellen, der Vollständigkeit halber. Und er würde noch ganz andere Fragen stellen müssen. So viel war noch unbeantwortet. Ihm war schon früher klar geworden, dass der Weg zum Erwachsenwerden lang und steinig war. Aber dass er so viele Komplikationen verursachen würde, damit hatte Mamoru nicht rechnen können. Und er konnte kaum ahnen, wie schwierig dieser Weg noch werden würde... Nach einem ausgiebigen Frühstück, einer heißen Dusche, einer Rasur und diversen weiteren morgendlichen Ritualen war Mamoru endlich bereit für die Schule. Er verabschiedete sich von Kioku, hatte diesmal sogar an Lunchbox und Schal gedacht, und verließ einige Minuten zu früh die Wohnung. Er wollte auf dem Weg etwas nachdenken. Über das Erwachsensein. Und über Erfahrungen. Und vor allem über Motoki. Doch mit einem Schlag war sein Kopf wie leergefegt. Denn was er nur wenige Meter vor sich um die Ecke gehen sah, war so makellos, dass die Götter selbst sich fragen mussten, ob man diese Anmut und diese strahlende Schönheit nicht lieber mit Unsterblichkeit segnen sollte: Hikari Kage. Lange Zeit stand Mamoru da und starrte die sanften Konturen dieser wunderhübschen jungen Frau an. Diese endlosen Beine, die zierlichen Arme, dieser perfekte Hintern... Und der Wind spielte mit ihren faszinierenden schwarzen Haaren, die einmal mehr an einen wilden, zügellosen Wasserfall erinnerten, dem sich nichts, überhaupt gar nichts in den Weg stellen konnte. Anmutig schritt diese Göttin auf Erden ihren Weg entlang und schien wie der schönste aller Engel über den weißen Schnee zu schweben. Willenlos wie ein Zombie musste Mamoru immer wieder diesen einen Gedanken wiederholen. Er war gerade noch geistesgegenwärtig genug, sich den Speichel vom Kinn zu wischen, bevor er losrannte. Er hatte Hikari schnell eingeholt. "G- gu- guten Mo- Morgen, Hikari", stotterte er. Vor lauter Aufregung gehorchte ihm seine Zunge gar nicht mehr. "Erst denken, dann schlucken, dann reden", riet ihm Hikari mit einer schier einzigartigen Coolness. Sie würdigte ihn keines Blickes. , dachte Mamoru begeistert. "Ich... ich wollte Dich fragen, darf... darf ich Deine Schultasche tragen?" , freute sich Mamoru. Wie angewurzelt blieb Hikari stehen und starrte ihn an. "Bitte?", fragte sie verwirrt, "bist Du mein LeNOR, oder was?" "Lenor?", fragte Mamoru verwirrt, "der Weichspüler?" "LeNOR", erklärte Hikari geduldig, ". Hältst Du mich für so verweichlicht, dass ich nicht mal diese Tasche tragen kann? Freundchen, lass Dir eins gesagt sein: der Begriff passt nur mäßig auf uns Frauen. Schreib Dir das hinter die Ohren." "So hab ich das auch gar nicht gemeint", rechtfertigte sich Mamoru, nun schon etwas zuversichtlicher, "Ich wollte Dir nur einen Gefallen tun. Also? Darf ich?" Hikari pustete sich eine Haarsträhne aus dem sanften, etwas genervt dreinblickenden Gesicht und fragte: "Wer bist Du überhaupt?" Für Mamoru brach eine Welt zusammen. Er konnte diese Worte noch nicht einmal stottern. Ihm war, als falle er in unendliche Tiefen. "Nu glotz nich so", meinte Hikari, "Ich weiß schon wer Du bist. Aber wofür hältst Du Dich, dass Du es wagst, mir immer wieder zu nahe zu kommen, wo Du doch genau weißt, dass ich schon mit Chikara zusammen bin?" Eine ganze Gebirgskette fiel Mamoru vom Herzen, als er hörte, dass er Hikari doch aufgefallen war. Etwas besseres hätte ihm gar nicht passieren können! Im Geiste jauchzte er und sprang herum. In der Realität jedoch beließ er es bei einem Grinsen. Er zuckte mit den Schultern und meinte so gelassen, wie es ihm nur möglich war: "Ich halte mich für einen netten Kerl, der das Bedürfnis verspürt, einer hübschen Dame zu helfen." Er wurde leicht rot bei diesen Worten. Doch das überging Hikari. Sie sah sich suchend um. "Wo ist hier ne hübsche Dame? Weißt Du was, Kleiner? Ich verspüre das Bedürfnis, Dich hier einfach eiskalt stehen zu lassen. Du langweilst mich. Es ist nicht so, dass Kerle nur nett sein müssen. Da muss noch etwas mehr dahinter stecken. Werd erwachsen, vielleicht kapierst Du es dann irgendwann mal." Sie drehte sich um und lief weiter. Doch Mamoru hatte nicht vor, schon aufzugeben. Er nahm allen Mut zusammen, holte sie wieder ein und fragte: "Und was genau fehlt mir noch? Komm schon, ich will das wissen! Das interessiert mich!" Im Gehen funkelte Hikari ihn erbost an. Dieser Kerl erdreistete sich doch tatsächlich, ihr weiter nachzustellen! "Schmeiß mal Deine Wachstumshormone an und besorg Dir ein neues Styling, dann reden wir weiter." Es kränkte ihn zwar ein wenig, so harte Kritik zu erfahren von jemandem, in den er so sehr verschossen war, aber er sah diesen Tipp als gute Chance an. , wurde ihm bewusst. Er straffte die Schultern, reckte den Kopf in die Höhe, legte ein ernsteres Gesicht auf, verbeugte sich dann tief vor Hikari und fragte mit klarer, freundlicher Stimme: "Darf ich Dir dennoch diese Last abnehmen? Es wäre mir eine große Ehre." Augenrollend hielt ihm Hikari die Tasche hin und seufzte resigniert: "Bitte, wenn Du mich dann in Ruhe lässt! Aber Du hältst die Klappe, kapiert? Und Du bist selbst schuld, wenn wir so Chikara begegnen und er Dich dann auf den Mond katapultiert, klar?" Mamoru nickte, griff freudestrahlend nach der Tasche und schlenderte siegessicher neben Hikari her. Erst da erinnerte er sich an den letzten Abend. Ihm wurde schmerzlich bewusst, wie sehr ihm der gute Freund fehlte, und wie viel beide schon erlebt haben. Das musste man doch wieder geradebiegen können! Mamoru versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen: "Sag mal, was genau findest Du eigentlich an Chikara? Ich meine, eine Frau wie Du hat was besseres verdient als ein Anabolika frühstückendes Monstrum, für den die Worte und Fremdworte sind?" Hikari sah ihn wütend an: "Erstens: Du wagst es tatsächlich, so mit mir über meinen Freund zu sprechen? Und zweitens: Was meinst Du wohl, was eine Frau wie ich verdient? Etwa so ein Milchbrötchen wie Dich?" "Nein, ich meine", stammelte Mamoru, "...ich meine, wieso ausgerechnet er?" "Warum nicht er?", wollte Hikari wissen. Mamoru seufzte, während er nach den passenden Worten suchte. "Ich hätte doch nur gerne gewusst, aus welchem Grund Du Dich ausgerechnet für ihn interessierst, wo es bestimmt Tausende anderer Jungs gibt, mit denen Du vielleicht sehr viel glücklicher sein könntest." "So wie mit Dir etwa?" Hikari lachte. "Du willst es also unbedingt wissen, wie? Na ja, in einem Punkt hast Du schon Recht: Chikara ist bekloppt wie ein Schnitzel von zwei Seiten. Besonders was den Umgang mit anderen Menschen betrifft. Aber er kann mich beschützen, wenn's drauf ankommt." "Vor wem beschützen?" Hikari hatte dieses boshafte, kalte Lächeln der Fernsehschurken auf den Lippen, als sie antwortete: "Vor ungebetenen, aufdringlichen Pubertierenden, die zu viele Fragen stellen." Das Schicksal war ihm gnädig. Weder auf dem Weg, noch in der Schule begegneten sie Chikara. Auch Mamorus Bedenken, Hikari könnte ihrem Liebhaber etwas von gewissen aufdringlichen Pubertierenden erzählen, waren sehr schnell verstreut. Es gab an diesem Morgen nur einen einzigen Faktor, der Mamoru so gar nicht in den Kram passte: Motoki war nicht da. Der Lehrer verkündete, seine Mutter habe angerufen und ihn als krank gemeldet. ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)