Kind des Schicksals von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Teil 2 ----------------- Mein Zimmer hatte ich mir so gemütlich wie möglich eingerichtet. An der Wand hingen Poster aus verschiedenen Teeniezeitschriften. Die Mädchen aus meiner Klasse schenkten mir oft welche, denn außer Franzi und mir konnte niemand was mit Rockmusik anfangen. Ich setzte mich auf mein Bett, das eigentlich eine ausklappbare Couch war, und starrte an die Wand auf ein Bluss Kamj-Poster. Die Jungs um John Martin waren meine absoluten Lieblinge. Ich besaß jede ihrer CDs und einige T-Shirts konnte ich ebenfalls mein Eigen nennen. Mum hatte mein Zimmer nicht mehr betreten, seit ich diese Poster aufgehängt hatte. Sie mochte deren Musik überhaupt nicht und hatte mich oft angeschrieen, ich solle die Musik leiser machen. Als ich Bluss Kamj noch nicht kannte und andere Bands hörte, hatte sie das nie gesagt. Sie war oft gekommen und hatte mitgesungen. Aber gegen meine Lieblingsband schien sie einen tiefen Hass zu hegen. Bestimmt würden andere aus Trotz die Musik lauter machen, aber ich tat, was meine Mutter mir befahl. Wir kamen eigentlich gut miteinander aus, abgesehen von kleineren Streitigkeiten, die es in jeder Familie gab. Viele konnten sich nicht vorstellen, dass meine Mutter und ich alleine lebten. Aber ich hatte es nie anders gekannt und war diese Situation gewöhnt. Ich war am 04. September 1988 in New York geboren worden. Kaum auf der Welt, zog meine Mum Izabell - jeder schrieb den Namen anders und vor allem falsch - mit mir nach Deutschland, weit weg von allen Verwandten und Freunden. Sie war kurz vor meiner Geburt von meinem Vater, ihrer großen Liebe, verlassen worden, weil ihm seine berufliche Karriere wichtiger gewesen war. Sie sprach nur sehr ungern über ihn. Ich wusste weder seinen Namen, noch seinen Beruf. Ich wusste nicht, wo er lebte und ob er verheiratet war und Kinder hatte. Aber wahrscheinlich wusste Mum es selbst nicht. Sie war damals erst 16 gewesen, fast so alt wie ich heute. Ihren Geburtstag hatte sie noch in Amerika gefeiert, sie war eine Woche nach mir geboren, allerdings ein paar Jahre früher natürlich. Ich legte das aktuelle Bluss Kamj-Album ein und hörte mir mein Lieblingslied Private Mind an. Der Song war gerade eine Minute gelaufen, als das Telefon läutete. Ich drückte auf "Pause" und rannte zum Telefonapparat. Es war Franzi. Ohne auch nur daran zu denken, mir "Hallo" zu sagen, legte sie los: "Noisedeath sind auf Tour!" Mein Herz machte einen großen Hüpfer. Noisedeath waren nach Bluss Kamj meine Lieblingsband und hatten eine wirklich hervorragende Sängerin. Ich wusste, dass Franzi nicht angerufen hätte, wenn nicht ein Konzert in einer nahe gelegenen Stadt stattfand. Ich ahnte, dass sie vor ihrem Computer saß und das fertig ausgefüllte Formular für die Ticketbestellung darauf wartete abgeschickt zu werden. "Bleib dran, ich frag' meine Mum schnell!" Ich legte den Hörer auf die Seite und rannte zu Mum ins Zimmer. Sie nähte gerade und hörte mich nicht. Ich ging um den Tisch herum und wartete, bis sie aufsah, damit sie nicht erschrak, wenn ich sie antippte. Sie bemerkte mich fast sofort und hob den Kopf. "Was gibt's?", fragte sie und stellte die Nähmaschine ab. Sie hob den eben genähten Stoff zwischen uns, um ihre Arbeit zu betrachten. "Kann ich mit Franzi auf ein Noisedeath-Konzert?" Sie grummelte etwas und legte den Stoff weg. "Das ist die Band, die Heavently Battle gesungen hat. Linda Young, du kennst die Band doch!" "Jaja. Wo spielen die?" Ich zögerte und flitzte zurück zum Telefon. "Franzi, welche Stadt?", schrie ich ins Telefon, als hinge von dieser Frage mein Leben ab. "In Werningburg, am 14., also in fast zwei Wochen." "Geht ihre Mutter auch mit?", fragte Mum, die jetzt neben mir stand. Franzi hatte es gehört und bejahte. "Dann will ich auch mit, ich mag die Band." Sie lachte, strich mir über die Haare und ging in die Küche. Ich hörte nach einer Weile den Wasserkocher und rief: "Mach mir auch was, egal was es ist." Ich redete mit Franzi noch ein bisschen über unsere Ferienpläne und ich erzählte ihr, dass wir in den Winterferien nach Amerika fuhren. Wie immer wurde sie richtig neidisch: "Verdammt hast du aber auch ein Glück! Warum können meine Eltern nicht Amerikaner sein? So wie deine. Ich möchte auch mal nach Amerika!" Wir verabredeten uns für den nächsten Tag, um erste Vorbereitungen für das Konzert zu treffen. Dann legte ich auf und ging zu Mum in die Küche. Zwei Tassen mit Latte Macchiato standen auf dem Tisch und ich wollte mich gerade setzten, als es klingelte. "Ich geh schon!" Es war der Postbote, der unten vor der Tür stand und fröhlich mit seiner tiefen Stimme in die Sprechanlage brummte: "Ist Izabell Simmons da?" - "Ja, einen Moment. MUM FÜR DICH!" Ich ging zurück in mein Zimmer und ließ Private Mind weiterlaufen. Make no mistake, there's no compromise Just try and see it through my eyes I'm trying, trying to forget My world will never be the same Den Rest des erst angefangenen Tages verbrachte ich damit mein neuestes Buch zu lesen. Ein englisches Buch, indem ein 17jähriges Mädchen schildert, wie sie nach Amerika kam und dort auf die schiefe Bahn geriet. Franzi hatte es mir ausgeliehen, nachdem sie die 364 Seiten in knapp einer Woche verschlungen hatte. Sie interessierte sich brennend für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und würde Ende September drei Wochen lang dort verbringen, da die Lehrer der Austauschorganisation unserer Schule sowohl sie als auch mich ausgewählt hatten. Sie war mehr als stolz mit einer Amerikanerin, genauer gesagt, einer New Yorkerin, befreundet zu sein. Dauernd sollte ich ihren Wortschatz mit neuen Vokabeln erweitern, dabei war mein Englisch auch nicht besser als das ihre. Schließlich lebte ich seit fast 16 Jahren hier in Deutschland und war mit der deutschen Sprache aufgewachsen. Mum, die zweisprachig aufgewachsen war, war immer der Meinung gewesen, dass mir das Schulenglisch später reichen würde. Ich hatte deswegen schon oft Streit mit ihr gehabt, weil Englisch ja eigentlich meine Muttersprache hätte sein müssen. Viele Leute fragten mich, wie gut ich mein Englisch war und waren erstaunt, wenn ich ihnen sagte, dass ich erst seit drei Jahren diese Sprache lernte. Aber dafür war ich die Beste der Klasse und hatte von meinen Amerika-Reisen jede Menge neuer Wörter und auch Erlebnisse mitgebracht. Ich musste über dem Buch eingeschlafen sein und das für ziemlich lange. Als ich aufwachte hatte Mum die Musik abgemacht, die Vorhänge geschlossen und mich zugedeckt. Ich kramte die winzige Taschenlampe aus der obersten Schublade meines Nachttisches und beleuchtete damit die Ziffern meiner Armbanduhr. Es war 01.33 Uhr. Die Ohrstöpsel lagen ebenfalls in der ersten Schublade und ich nahm sie heraus, damit ich Musik hören konnte. Ich steckte sie in die Ohrhörerbuchse meines CD-Players und ließ das zweite Bluss Kamj-Album Bloody Pain laufen. Von draußen schien das sanfte Licht der Straßenlaterne auf den Zimmerboden. Aber ich konnte partout nicht mehr einschlafen, also ging ich in die Küche, um mir eine Flasche mit Leitungswasser zu füllen. Ich sah ein kleines Paket und einen Brief auf dem Tisch liegen und ging hinüber. Beide waren an Mum adressiert und ich fragte mich, was sich in dem Päckchen befand. Sie hatte es nicht geöffnet, wohl aber den Brief. Und warum sie ihre Post hier liegen ließ, war mir ebenfalls ein Rätsel. Normalerweise nahm sie die Sachen sofort an sich und verstaute sie irgendwo in ihrem Büro oder schmiss sie weg, wenn es nicht wichtig war. Ich hob den Brief gegen das schwache Licht unserer Küchenlampe. Er war handgeschrieben und ich konnte die Schrift nicht lesen. Vielleicht war der Schreiber des Briefes auch der Absender des Paketes. Aber warum schickte er die Sachen dann einzeln? Das war sowohl überraschend als auch unlogisch. Und vielleicht schrieb er in dem Brief, was sich in dem Päckchen befand und Mum war deshalb nicht sonderlich erpicht darauf, es zu öffnen. Ich wusste es nicht und irgendetwas sagte mir, dass ich es auch besser nicht wissen sollte. Ich brachte den Brief wieder in seine ursprüngliche Position und kroch zurück in mein Bett. Es lief gerade Surrender und bei dem langsamen Gesang von John Martin schlief ich schließlich ein. Watch the wounds bleeding This pain is defeating me Will I ever get over it? Baby, don't open up old sores Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)