Eisblaue Augen von Chi_desu (Shounen-Ai) ================================================================================ Kapitel 6: Ein verlorener Traum ------------------------------- Es war kurz nach Weihnachten, als ich endlich meine neue Wohnung bezogen und mich so einigermaßen in der Stadt eingewöhnt hatte. Mein Job hatte sich als echter Glückstreffer herausgestellt, und ich war zum ersten Mal seit langem rundum glücklich. Ich hatte in Köln meine Freundin zurückgelassen, ein liebes Mädchen namens Anya. Es hatte über vier Jahre gedauert, soweit über Kay hinweg zu kommen, doch nun war sie meine Freundin, und wir hatten uns geschworen, uns so oft wie nur möglich zu sehen und dieses eine Jahr uns nicht auseinander bringen zu lassen. Aber nur weil Anya nicht bei mir war, hieß das nicht, dass ich mich nicht amüsieren durfte. Deswegen ging ich an einem Jännerabend zusammen mit den neuen Arbeitskollegen aus. Zuerst feierten wir ganz normal, dann beschlossen drei von uns, noch in einen Club zu gehen der anscheinend etwas ganz besonderes war. Dort erwartete uns erst mal nur eine Menschenansammlung, die sich vor dem Eingang und dem Türsteher staute. Wir warteten eine geschlagene halbe Stunde, bis wir endlich vor dem Türsteher standen und der uns musterte. Unter seiner Kapuze lugte helles Haar hervor. "Ihr könnt reingehen.", sagte er düster und nahm einen Zug von seiner Zigarette. Sein Blick streifte mich und ich stutzte. Seine Augen waren blau. Auch er schien nur einen Moment lang inne zu halten. Zögernd schob ich mich an ihm vorbei. Diese Augen... sie kamen mir so bekannt vor. Und seine Stimme, so tief und so... Ich fuhr herum. "Kay?", fragte ich laut. Sein Kopf ruckte in die Höhe. Ich hatte Recht gehabt. "Kay...", wiederholte ich fassungslos. Er streifte seine Kapuze ab und schaute mich an. Und jetzt blitzte Verstehen in den blauen Augen auf. "Lukas?!" "Hallo...!!", sagte ich, noch immer überrascht über das plötzliche Wiedersehen. "Wie... wie geht es dir?" Ein Schatten huschte über sein blasses Gesicht. "Mir geht's gut." Die Ringe unter den Augen, die blasse Hautfarbe und das Zittern seiner Hände, als er an der Zigarette zog, straften seine Worte Lügen. Außerdem hatte er einen tiefdunklen blauen Fleck unter dem linken Auge, wie nach einem Faustschlag. Ich wollte etwas dazu sagen, aber jemand in der Menge fing an zu schimpfen. Unruhig trat Kay von einem Fuß auf den anderen und sagte: "Ich hab jetzt keine Zeit, sorry." Wollte er mich jetzt einfach so wegschicken? Das konnte nicht sein Ernst sein. "Dann sag mir, wann du frei hast. Ich komme raus und wir unterhalten uns ein bisschen." Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich. Irgendwie sah es aus, als wäre ihm das alles unangenehm. Wieso? Hatte ich irgendwas falsches gesagt? War das meine Schuld? Wollte er mich loswerden? Trotzdem antwortete er schließlich: "Um vier werde ich abgelöst." Dann wandte er sich von mir ab und unterbrach so abrupt unsere Unterhaltung. Wie betäubt betrat ich den Club, der sich als ziemlich düsterer Ort entpuppte. Die Musik war einsame Spitze, mit einer Live-Band auf der Bühne und allem, aber die Typen die hier rumhingen waren mir nicht geheuer. Und Kay arbeitete an so einem Ort? Den ganzen Abend lang konnte ich mich auf nichts mehr konzentrieren. Ich hatte nur noch sein blasses Gesicht vor Augen. Den Bluterguss unter seinem Auge. Die zitternden Hände. Auf einmal kamen mir die Erzählungen seiner Eltern wieder in den Sinn, die von einer Veränderung ihres Sohnes gesprochen hatten, von Alkohol und Drogen, und ich malte mir die schlimmsten Dinge aus. Ich wusste nicht, warum ich mir solche Sorgen machte, um einen jungen Mann den ich seit 5 Jahren nicht gesehen hatte. Ich fürchtete mich etwas vor unserem Gespräch. Würden diese Gefühle, die mich so lange gequält hatten, nun zurückkehren? Würde alles von vorne anfangen? Oder aber würden wir uns nach diesem Gespräch nicht mehr wiedersehen? Nein, das wollte ich auch nicht. Die Zeit schien rückwärts zu laufen. Als ich aus dem Gebäude kam, machte ein anderer statt Kay den Türsteher. Mein blondes Wunder stand statt dessen lässig an die Wand gelehnt und rauchte schon wieder. Er begrüßte mich mit einem Kopfnicken. "Wollen wir ein bisschen spazieren gehen?", fragte er und stieß sich von der Wand ab. Ich stimmte zu und wir entfernten uns von dem Club. Die beiden, mit denen ich gekommen war, waren so gut wie vergessen. Wieder einmal hatte ich nur noch Augen für Kay, obwohl das Herzklopfen, vor dem ich mich so gefürchtet hatte, nicht zurückgekehrt war. Offensichtlich war ich doch über ihn hinweg. Die ersten paar Minuten schwiegen wir, und es war eine angespannte, unangenehme Stille. Dann fragte er aus heiterem Himmel: "Was willst du hier? Haben meine Eltern dich geschickt?" "Was?" Ich kapierte zuerst gar nicht, was er meinte. "Spiel nicht den Unschuldigen. Was solltest du sonst hier in Salzburg machen.", blaffte er. "Was haben meine Eltern dir dafür angeboten? Solltest du mich zurück holen?" Jetzt kapierte ich. "Du bist ein Idiot!", zischte ich und blieb stehen. "Nur zu deiner Information, ich WOHNE hier! Ich hab einen geilen Job angeboten bekommen, wenn das nicht gewesen wäre, dann hätte ich mir sicher eine andere Stadt als deine ausgesucht! Und deine Eltern wissen überhaupt nichts davon!" Prüfend, ja fast schon misstrauisch starrte er mich an, dann huschte so etwas wie ein Lächeln über sein Gesicht und er sagte: "Sorry. Langsam werde ich wohl paranoid. Hallo, Lukas. Ist schön dich mal wiederzusehen." Er kam zu mir und schlang seine Arme locker um mich für eine freundschaftliche Umarmung. Für so etwas war er früher nie zu haben gewesen. Aber wenigstens schien er sich jetzt zu freuen, mich zu sehen. Ich fürchtete mich ein wenig, als mir der Duft seiner Haare in die Nase stieg, der noch immer der selbe war, der Geruch von Zigaretten, vermischt mit seinem angenehmen Duft, aber es löste allenfalls ein Gefühl von Heimweh in mir aus. Dann ließ er mich los und wir gingen weiter. Ich wusste nicht, wohin, sondern folgte ihm einfach. "Was arbeitest du denn?", erkundigte er sich. "Ich arbeite in einer Werbeagentur. Wir entwerfen Konzepte für TV-Spots und Plakate, und ab und zu richten wir große Werbeevents aus." "Na das passt wie die Faust aufs Auge. Du hast es geschafft mit deinem Sarkasmus Geld zu machen." Er grinste und ich war sehr erleichtert, etwas vom alten Kay in ihm wiederzuentdecken. "Und du? Studierst du noch?", fragte ich. Schnell verdüsterte sich sein Gesicht wieder. "Ich hab das Studium geschmissen. Ich arbeite hier im Club, warte auf eine Chance dass ich auf die Bühne darf." "Du studierst nicht mehr? Aber warum? Du warst doch derjenige von uns dem das Lernen so leicht fiel! Du warst der mit den Möglichkeiten, der mit der hohen Intelligenz! Wenn ich mein Studium geschafft habe, dann.." "Ich hatte einfach keine Lust mehr.", unterbrach er mich ruppig. Dann wurde er ruhiger und fügte hinzu: "Das ist nicht so einfach. Es hat sich alles verändert." Die Worte hatten etwas beunruhigend endgültiges für mich. Ich wollte nicht, dass sich alles veränderte. "Sturkopf.", murmelte ich, um mich selber von meinen düsteren Gedanken abzulenken. "Blödmann.", maulte er zurück. Ich grinste. Wenigstens das war noch gleich geblieben. Trotzdem wurde ich schnell wieder ernst. "Wieso bist du nicht nach Hause zurückgekommen, wenn du dein Studium geschmissen hast?", erkundigte ich mich. "Auf die Vorträge meiner Eltern hatte ich wirklich keine Lust.", antwortete er. "Ich finds klasse hier in Salzburg." In so einem schäbigen Club zu arbeiten, damit war er wirklich zufrieden? Aber offensichtlich war es ihm unangenehm, darüber zu sprechen. Die kleine Gasse, durch die er uns geführt hatte, endete in einem großen Hof, mit vielen Türen und mehrstöckigen Wohnblocks. "Hier wohne ich.", sagte er und lehnte sich gegen die Wand. Anscheinend hatte er auch nicht die Absicht, mich hereinzubitten. Von außen wirkte dieser Wohnblock auch nicht sehr einladend. Ich ließ nicht zu, dass sich wieder diese unerträgliche Stille ausbreitete, und fragte: "Wie ist es dir sonst so ergangen, die letzten Jahre? Ich hab dich vermisst, du warst nie zu Hause wenn ich am Wochenende oder in den Ferien da war." "Die letzte Zeit war ziemlich scheiße.", gestand er. "Ich habe ewig nach einem guten Job gesucht, und von meinen Eltern wollte ich kein Geld nehmen. Es hat lange gedauert, das im XTC zu finden." Ich brauchte einen Moment und zu kapieren dass das der Name des Clubs war. Irgendwie bezeichnend, fand ich. Da waren sicher sowieso die Hälfte der Leute irgendwie zugedröhnt gewesen. "Und diesen Job willst du behalten?", fragte ich. Er zuckte die Schultern. "Türsteher will ich nicht bleiben. Ich will auf die Bühne, meine Musik auflegen, singen.", antwortete er. "Man hat mir versprochen dass ich meinen Auftritt kriege, sobald mal irgendwer ausfällt." "Klasse...", murmelte ich recht wenig begeistert. Ich hatte Kay noch nicht wirklich bei einem Auftritt erlebt, deswegen wusste ich auch nicht, wie gut er war. Nur dass er Musik wirklich liebte und einen sehr guten Musikgeschmack hatte, das wusste ich. Das war ein weiterer Punkt, den ich an ihm so geliebt hatte. Früher. Um vom Thema abzulenken fragte ich: "Und wie ist das passiert?" "Was?" "Na dein blaues Auge." "Oh." Wieder schien er nach einer Ausrede zu suchen. "Kleine Schlägerei, nichts weiter. Hab irgendwie Ärger mit so ein paar Typen." Zu gerne hätte ich nachgefragt, aber ich merkte sehr wohl, dass er nicht darüber reden wollte. Früher hätte ich nachgebohrt, aber irgendwie waren wir uns seltsam fremd geworden. Ich konnte nicht weiter danach fragen. "Und... was nun?" Er zuckte die Schultern, als wollte er sagen "Mir doch egal!" Was war mit dem fröhlichen Jungen passiert den ich damals so lieb gewonnen hatte? Wo war sein Lachen geblieben? "Du, ich friere. Ich geh jetzt." "Warte." Ich wühlte kurz in meiner Tasche und zog dann eine Visitenkarte hervor. "Hier, meine Nummer. Du kannst mich immer anrufen, wenn was ist." Ich gab sie ihm und einen Moment lang berührten unsere Finger einander. Seine Haut war kalt. Achtlos stopfte er die Karte in seine Tasche und nickte. Wich meinem Blick aus. "Wir sehen uns sicher irgendwann noch mal. Tschüß." Ohne auch nur meine Antwort abzuwarten drehte er sich um und marschierte davon. "Kay...", rief ich halbherzig hinter ihm her. Was gäbe es denn für einen Grund, ihn aufzuhalten? Wir hatten nichts mehr miteinander zu tun. Aber er hatte jetzt meine Nummer. Vielleicht würde er sich ja wirklich melden, wenn er Probleme hatte. Als er in einem Hauseingang verschwunden war, drehte ich mich langsam um, und ging davon. Nach dem Abschluss hatte ich so sehr auf ein Wiedersehen mit Kay gehofft, aber ich hätte nie gedacht, dass es so aussehen würde. Diese Kälte, mit der er mich behandelt hatte... und diese schmerzhafte Stille... es war tatsächlich so... Alles hatte sich verändert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)