Zum Inhalt der Seite

Maybe...

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Liebe Lesenden...

Willkommen!

Du hast meine Hellsing-Fanfiction angeklickt, dafür ein ganz dickes DANKE!! ^ ^

(Ich hoffe, die folgenden Seiten werden dich nicht allzu sehr enttäuschen. Es ist meine erste Hellsing-Fan-fiction und meine zweite Fan-fiction überhaupt... *gulp*)

Ausgangspunkt meiner Story ist die 13. Folge des Hellsing-Animes. Da diese mit einem derart fiesen Cliffhanger endet, habe ich mir meine eigene Version überlegt, wie es so weitergehen könnte mit den lieben Hellsing-Leutz...

Mein erstes Kapitel hier ist noch ein bisschen "so zum Warmwerden", eine kleine "Trainings-Strecke" für mich, ein Einstieg in die Story. Ich hoffe, ihr mögt es trotzdem lesen.

In folgenden Kapiteln werde ich mich auch verstärkt mit "zwischenmenschlichen" (menschlichen?!? *kicher*) Belangen zwischen einigen der Figuren befassen, es wird stellenweise romantisch werden, auch witzig (Hellsing als romantic comedy?? o_O Nein, ich habe keine erhöhte Temperatur, es geht mir gut, ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte usw...) und dramatische Szenen soll es auch geben. (Ich werd's jedenfalls versuchen...)

Die Hauptpersonen (dramatis personae... *g* ) sind Alucard, Integra, Walter, Seras und Maxwell und Anderson sollen auch ihre Auftritte haben. Zudem wird es ein paar Rückblicke geben, (by the way - hieß Integras Vater wirklich Arthur? Sachdienliche Hinweise werden gern entgegengenommen!)
 

Ach ja: Klare Sache, Hellsing und sämtliche Hellsing-Figuren sind alle dem Kohta Hirano seine, ich bekomme hierfür kein Geld (aber vielleicht ja ein paar konstruktive Kommentare...? ^ ^) - immerhin, ich habe Spaß daran, das hier zu schreiben - und ich hoffe, euch geht's beim Lesen ähnlich!

Besiegte. Sieger

Kapitel 01 - Besiegte. Sieger
 

Sirenen heulten durch die Nacht. Der Bloody Tower stand in Flammen.

Integra starrte in den flammendroten Himmel.

Vorbei. Es war vorbei. Einfach alles war vorbei.

Irgendwo brachen glühende Dachbalken zusammen, wieder stürzte ein Gebäudeteil in sich zusammen. Seras hatte sie gerade noch rechtzeitig aus dem brennenden Tower gerettet - fast wünschte Integra, ihr wäre das nicht gelungen. Dann läge sie jetzt unter den brennenden Trümmern. Und hätte ihre Ruhe.

Alucard hatte Incognito besiegt.

Doch bei allem, was in dieser Nacht geschehen war, wurde das fast zur Nebensache.

Der zerstörte Tower - man würde sie und die Hellsing-Organisation zur Verantwortung ziehen. Der Tower war umzingelt von Kamera-Teams und Reportern; in sämtlichen Nachrichtensendungen und Zeitungen würde morgen von der Hellsing-Organisation die Rede sein. Integra ballte die Fäuste.

Immer und immer wieder hatte ihr Vater ihr gepredigt, dass die Hellsing-Organisation im Verborgenen wirken müsse. Noch vor wenigen Stunden hatten die beiden königlichen Gesandten ihr einen handschriftlichen Brief überbracht, in der die Königin ihr, Integra, und der Hellsing-Organisation ihr Vertrauen und ihre Solidarität zusicherte. Sie hatte den Brief verbrennen müssen, natürlich.

Aber jetzt - wie würde die Königin auf diese Vorkommnisse reagieren? Ohne die Unterstützung der Regierung wäre die Hellsing-Organisation am Ende. Sicher, mit dem Vermögen, das sie von ihrem Vater geerbt hatte, könnte sie die Organisation weiterführen - zumindest für kurze Zeit. Ghouls vernichten und damit dem Leitsatz der Hellsings treu bleiben... Aber ohne die Unterstützung hätten sie keine Einnahmen, nur Ausgaben. Die Personal- und Materialkosten waren immens. Das Ende der Organisation wäre nur eine Frage weniger Monate...

Und Fargason... Wahrscheinlich hatte er sich immer gewünscht, im Kampf für die Organisation zu sterben, und trotzdem... Mit 17 Jahren hatte sie bei ihm die Grundausbildung absolviert. Sie hatte selbst erleben wollen, wie die Hellsing-Rekruten ausgebildet wurden. Fargason verlangte viel von den Rekruten - und doch blieb er immer fair, geduldig und menschlich und erreichte damit wahrscheinlich viel mehr, als hätte er rumgebrüllt. Das hatte Integra sehr imponiert. Im Gegenzug hatte sie (ohne es zu wissen) auch Fargason und ihre Mit-Rekruten beeindruckt - ein derart dickköpfiges, zähes und wild entschlossenes 17jähriges Mädchen hatten sie nie erlebt. Die allgemeinen Lästereien, dass ein Teenager eine Organisation wie diese leitete, hatten damals schlagartig geendet.

Integra biss sich auf die Lippen. Fargason war für sie wie ein zweiter Vater gewesen...nein. Eher... wie ein dritter Vater. Zweit-Vater - das war jemand anders.

Sie starrte zu dem Gebäude hinüber, hinter dem der Hubschrauber abgestürzt war. Das brennende Gebäude verschwamm vor ihren Augen. Walter...

Trotz des Feuers überall wurde ihr kalt. So kalt, dass sie glaubte, nie wieder so etwas wie Wärme empfinden zu können. Solange sie denken konnte, war Walter da gewesen. Wenn sie doch nur mal "danke für alles" gesagt hätte... Jetzt war es zu spät.

Oder?

'Verdammt', dachte sie verzweifelt, 'ich muss doch spüren, ob er noch lebt oder nicht.'

Sie schloss die Augen und fühlte - nichts. Gar nichts. Es war vorbei. Sie hatte alles verloren.
 

Hinter ihr im Gras raschelten Schritte. Schritte von zwei Paar schweren Stiefeln.

Integra öffnete ihre Augen wieder. Nein, sie hatte nicht alles verloren - sie waren noch da. "Unsere beiden Rotaugen", wie Walter sie im Scherz immer genannt hatte.

"Seras?" sagte Integra. "Danke."

"Oh, ähm - schon OK, Lady Integra. Also, wir sollten jetzt von hier verschwinden. Lady Integra", sagte Seras.

"Das solltet ihr unbedingt", antwortete Integra. "Ich kann hier allerdings nicht weg..."

"Du kannst, Master", sagte eine dunkle Stimme. Integra erschauerte.

"Du weißt", fuhr die dunkle Stimme fort, "wenn du ein Wesen der Nacht wärst..."

Integra fuhr herum. Alucard stand dichter hinter ihr, als sie erwartet hatte. Sie trat einen Schritt zurück.

"Ich bin kein Wesen der Nacht! Und ich will keins werden!"

"Eines Nachts vielleicht doch..."

"...aber diese Nacht ist nicht heute. Und morgen auch nicht. Und jetzt geht, alle beide."

Seras verstand - was häufiger vorkam - nichts. Sie warf Alucard einen fragenden Blick zu.

Der betrachtete Integra. Amüsiert, aber auch anerkennend. Integra und ihr verdammter Stolz. Selbst jetzt - in ihrem zerfetzten Anzug, zerzaust, verletzt - stand sie aufrecht, mit geballten Fäusten. Die Unbeugsamkeit in Person. Aber sie hatte wohl recht. Das war jetzt wirklich nicht der richtige Moment... Er stellte sich das irgendwie... feierlicher vor. Eine Art Zeremonie.
 

Integra lauschte. Sie kreisten sie ein - wie sie erwartet hatte. Sie drehte sich zu Alucard und Celas um. "Was ist denn noch?" zischte sie. "Hier bricht jeden Moment die Hölle los."

"Die Hölle...", murmelte Alucard, "dann bin ich hier ja richtig... ist ja gut! Wir sind schon weg. Fräulein Polizistin - Abmarsch. Ruf mich, wenn du mich brauchst, my Master."

Die beiden Vampire verschwanden in der Dunkelheit.

Integra lächelte bitter. 'Wahrscheinlich brauch ich dich nie wieder...', dachte sie. Und verstand nicht, warum ihre unendliche Traurigkeit und diese ausweglose Verzweiflung auf einmal noch unendlicher und auswegloser wurden.
 

Seras fühlte wie Alucard sie am Kragen packte und durch die Schatten zerrte, immer weiter weg von Lady Integra.

"Können wir denn echt gar nichts für sie tun?" fragte Seras, während sie neben ihm herstolperte.

"Im Moment nicht." Alucard blieb stehen und drückte sich in eine Mauernische. "Geh in Deckung, Fräulein Polizistin." Seras huschte hinter den nächsten Mauervorsprung.

Im selben Moment flammten Scheinwerfer auf und tauchten alles in gleißendes Licht.

Die Scheinwerfer waren alle auf Lady Integra gerichtet. Zum Schutz vor dem Licht hatte sie den linken Handrücken vor ihre Augen gelegt.

"Lady Wingates-Hellsing", ertönte eine blecherne Lautsprecherstimme, "heben sie beide Arme über den Kopf. Sie sind festgenommen."
 

Eine Stunde später.

Die Löscharbeiten am Bloody Tower dauerten noch an. Die Polizeiwagen waren größtenteils verschwunden. In einem von ihnen hatte man Integra weggefahren.

Einige der Scheinwerfer wurden bereits abgebaut, die Flammen wurden allmählich kleiner, Dunkelheit senkte sich herab.

In einer Mauernische an einem unbeschädigten Teil des Bloody Towers lehnte Alucard und starrte aus rotglühenden Augenschlitzen auf die Stelle, an der Integra festgenommen worden war.

In der Mauernische daneben hockte eine reichlich entnervte Seras und fragte sich, wie lange sie noch hier bleiben würden...
 

In einem Londoner Krankenhaus.

Benjamin Scott war nun seit fünf Jahren bei der Londoner Polizei und hatte schon einige Verhaftungen miterlebt, aber diese war irgendwie anders.

Nervös hielt er sich an seiner MG fest. "Akute Fluchtgefahr!" hieß es.

Er betrachtete die Frau ihm gegenüber. Sie saß auf einer Behandlungsliege. Sie hatten ihr eine Wolldecke um den Oberkörper gelegt, so dass Scott nur ihre Beine (beide Füße waren fest auf den Fußboden gestemmt) und den Kopf und eine Hand, die die Wolldecke zusammenhielt, sehen konnte. Im "Normalzustand" musste die Gute eine ziemliche, wenn auch etwas herbe, Schönheit sein - mit ihrem irgendwie goldbronzenen Teint und dem hellblonden, fast weißen langen Haar. Gesicht und Haare waren im Augenblick allerdings mit Ruß bedeckt. In ihrem rußig-staubigen Gesicht wirkten ihre unfassbar blauen Augen auf den Betrachter fast wie ein Schock. Doch jetzt hielt sie den Blick gesenkt und starrte auf ihre Schuhe.

Lady Integra Wingates-Hellsing. Eine Adlige. Und Leiterin der sogenannten Hellsing-Organisation, irgendwie ein ganz mysteriöser Laden. Niemand wusste, was genau im Bloody Tower geschehen war, die Untersuchungen waren noch lange nicht abgeschlossen. Doch die Geschehnisse wurden mit einigen anderen merkwürdigen Ereignissen in Verbindung gebracht, die in letzter Zeit in Großbritannien vor sich gegangen waren.

Vor Gericht würde ihr eine Menge vorgeworfen werden... Fast tat ihm die Frau ein bisschen leid. Ihre Lippen, zu einem schmalen Strich zusammengekniffen. Zwischen ihren hellen Augenbrauen eine steile Falte. 'Wahrscheinlich hat sie Schmerzen', dachte er. Als er sie in diesen Raum geführt hatte, hatte sie gehinkt und auf ihrem zum Teil zerrissenen weißen Hemd hatte er Blut gesehen. Und so lethargisch, wie sie vor sich hin starrte, stand sie vermutlich auch noch unter Schock. Nach der Behandlung im Krankenhaus sollte sie jedoch sofort und direkt in ihre Zelle gebracht werden.

Der Arzt ließ auf sich warten.

Durch die halb offene Zimmertür konnte er die Ärzte und Schwestern auf dem Flur herumlaufen sehen. Beim Brand des Bloody Tower hatte es viele Verletzte gegeben; die Ärzte hier hatten alle Hände voll zu tun. Seine Hände, die die ungewohnte MG hielten, schwitzten. Scott wischte sie an seinen Hosenbeinen ab. Diese Lady Hellsing machte ihn nervös; allein mit der Art, wie sie völlig reglos da saß. Woran dachte sie wohl?
 

Genaugenommen dachte Integra an nichts. In ihrem Kopf herrschte dumpfe, leere Verzweiflung. Die totale Kapitulation.

Es tut mir leid, Vater. Alucard. Walter. Seras. Fargason. Ihr alle, die ihr das Hellsing-Wappen auf eurer Uniform tragt.Sie nahm kaum wahr, was um sie herum geschah. Die Stimmen und das Gerenne draußen im Flur, der arme Kerl, der da neben der Tür stand und auf sie aufpassen sollte und völlig überfordert wirkte - das alles kam ihr vor wie ein Traum. Wie ein Traum von jemand anderem.

Die Tür wurde weiter geöffnet, ein zweiter Polizist schaute herein. "Alles in Ordnung, Scott?" fragte er.

"Jaja", sagte Scott. Der zweite Polizist warf einen Blick auf Integra und wollte sich wieder zurückziehen. Dabei stieß er noch fast in der Türöffnung mit zwei Krankenschwestern zusammen, die - eine nach links, eine nach rechts - an ihm vorbeihasten wollten. Der kleine Tumult ließ Integra kurz aus ihrer dumpfen Lethargie aufschrecken.

"Du auch zur Not-OP in 042?" fragte die eine Schwester.

"Nein", sagte die andere, "ich muss die Bluttransfusion vorbereiten für Mr Cum D... Ddoll...neazz in 017." Beide hasteten weiter.

Wäre Scott nicht gerade wieder damit beschäftigt gewesen, seine Hände an den Hosenbeinen abzuwischen, hätte er gesehen, wie Integra zusammenzuckte.

Walter...

Walter war hier und wenn er eine Bluttransfusion erhalten sollte, hieß das, dass er noch lebte. Noch.

Sie musste ihn sehen, musste sehen, wie es ihm ging.
 

Scott blickte auf seine Uhr. Jetzt waren sie schon seit fast eineinhalb Stunden hier, diese Lady Hellsing und er. Noch immer war kein Arzt bei ihr gewesen.

Eine Bewegung - instinktiv umklammerte er die MG fester und sah Lady Hellsing an.

Aber ihr war bloß die Wolldecke von den Schultern gerutscht und auf den Boden gefallen. Fast erschrocken starrte sie auf die Decke zu ihren Füßen. Dann sah sie ihm in die Augen, ein kaum wahrnehmbares Lächeln auf den Lippen, als wollte sie sich entschuldigen. Diese unglaublich blauen Augen, ihr rußiges, blutverschmiertes, zerrissenes Hemd - sie tat ihm leid.

"Moment, bitte", sagte er, ging zu ihr, und hockte sich neben die Decke. Mit einer Hand (mit der anderen hielt er noch immer die MG) versuchte er, die Decke zusammenzuraffen, um sie ihr wiederzugeben.

Bevor er überhaupt begriff, wie ihm geschah, war sie aufgesprungen und versetzte ihm einen kräftigen Tritt. Scott verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach hin. Auch die MG erhielt einen Tritt - das Gewehr landete unter dem Medikamenten-Schrank und Integra stürmte hinaus.

"Halt!" rief der Polizist, der im Flur Wache stand. Sofort waren drei Waffen auf sie gerichtet.

'Wie viele Polizisten haben die zu meiner Bewachung hier abgestellt?' dachte Integra. 'Zehn? Zwölf? Meine Güte, was fühle ich mich geehrt...' Sie rannte los.

"Stehen bleiben!" schrie einer der Polizisten. "Nicht schießen!" schrie ein anderer.

"Haltet sie!"

Innerhalb weniger Augenblicke herrschte Chaos auf dem Krankenhausflur. Ärzte, Krankenschwestern, Sanitäter und Pfleger die aufgrund des Geschreis irritiert auf den Flur gerannt kamen, dazwischen Polizisten, die sich gegenseitig Befehle zubrüllten und versuchten, Integra aufzuhalten.

Integra rannte den Flur entlang. Rücksichtslos schupste sie sich den Weg frei.

Wo, wo, wo war der Raum 017?! Hier war 029. 027 - sie rannte weiter, dort war die Eingangs-Halle, dann kam wieder ein Flur...

"Vorsicht am Ausgang!" schrie jemand. "Haltet sie, verdammt noch mal!!"

Da waren wieder drei Polizisten. Der in der Mitte stand gebeugt da, die Arme ausgebreitet - wie ein Torwart, der auf einen Elfmeter wartet, dachte Integra und hätte fast gelacht.

Werd' jetzt nicht hysterisch! Sie rannte an der Eingangshalle vorbei und sah kurz das Erstaunen auf den Gesichtern der Polizisten, als sie keine Anstalten machte, aus dem Gebäude zu rennen.

023, 021 - da vorne, das musste es sein! 017 war ein Behandlungsraum mit einem Fenster zum Flur, Integra rannte direkt darauf zu. Im letzten Moment konnte sie abbremsen, ihre Handflächen landeten krachend auf der Fensterscheibe.

Die dünnen Metall-Schalosien waren so gekippt, dass man in den Raum hineinsehen konnte.

In dem Raum stand ein einzelnes Bett, darauf lag ein Mann. Er hatte das Gesicht vom Flurfenster abgewandt. Sein Oberkörper war bandagiert wie bei einer Mumie, der linke Arm war eingegipst, und auch die rechte Hand war dick verbunden.

Außerdem hatte er einen Kopfverband. Schulterlange, dunkle Haarsträhnen flossen ungebändigt auf das Kissen - das obligatorische gelbe Haarband musste irgendwann in den letzten zwei Stunden abhanden gekommen sein...

Der Mann hatte die Augen geschlossen.

"Walter!" schrie Integra und hämmerte mit beiden Handflächen gegen die Fensterscheibe. "Walter!"

Walter öffnete die Augen und wandte den Kopf zum Fenster. Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. Er hob die rechte Hand so weit es ihm möglich war und versuchte, mit Zeigefinger und Mittelfinger ein Victory-Zeichen zu formen. Als das wegen des dicken Verbands nicht recht gelang, grinste er Integra verlegen zu.

Tränen hinterließen helle Spuren in Integras rußigem Gesicht, als sie Walters Lächeln erwiderte.

Dann packte jemand von hinten ihre Arme und drehte sie ihr auf den Rücken.

"So, Verehrteste, das versuchen wir nicht noch mal!" kläffte der Polizist, der sie nun von dem Fenster wegzerrte.

"Da kann ich sie beruhigen", antwortete Integra würdevoll.

Vollkommen ruhig ließ sie sich durch die Reihen schwer bewaffneter Polizisten (und perplexer Ärzte und Krankenschwestern) abführen, mit dem aufrechten Gang einer Königin.

Noch war nichts verloren. Sie hatte Alucard und Walter. (Na gut, und Seras...)

Die tragenden Säulen der Hellsing-Organisation waren noch immer intakt. Sie würde kämpfen.

Hellsing ist noch lange nicht am Ende!

...and the telephone keeps on ringing...

Das zweite Kapitel und ich merke schon jetzt, dass es mir nicht gegeben ist, die Kapitel-Titel einheitlich deutsch ODER englisch zu halten... >_>

Nun, es ist meine erste veröffentlichte Fanfiction - da nehme ich mir einfach mal eine kleine Narrenfreiheit raus - ihr mögt es mir bitte freundlich nachsehen... ^ ^°

Mit so positiver (und so schneller!! Cherry10001! Das war bestimmt Rekord!) Resonanz habe ich nicht gerechnet. Ich habe mit wachsender Begeisterung (OK - Gier...) die Fan-Fictions hier gelesen und irgendwann hatte ich Lust, das selbst mal zu probieren... Ich hatte eine Geschichte im Kopf, die unbedingt aufs Papier wollte (vielmehr: in den PC...) und dachte mir, ich stell sie mal online, mal sehen, was passiert. Und siehe da...

Leute, danke!! Ich war wirklich fast zu (Freuden-)Tränen gerührt.

Und weiter geht's...
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Der Tag war grau und wolkenverhangen. Schleier aus Nieselregen ließen die Aussicht verschwimmen.

Alucard hatte lange in seinem Sarg geschlafen - tief und traumlos, wie ein Stein. Jetzt wanderte er ziellos durch Hellsing Manor.
 

Er hatte Integra in ihrer Zelle aufgesucht. Eine unterirdische Zelle. Er wusste, wie sehr Integra Sonnenschein liebte; diese Zelle musste die Hölle für sie sein. Außerdem hatten sie ihr - als zusätzliche Schikane - Handfesseln angelegt. Ein weißer Leder-Riemen - eigentlich ganz schick *g*. Alucard bleckte leise kichernd die Zähne.

Aber nichts und niemand würde jemals Integras Stolz brechen - wahrscheinlich nicht einmal er selbst. Er hatte ihr sein Blut angeboten, hatte ihr seine blutüberströmte Hand direkt unter die Nase gehalten. Sie hatte gelächelt - kaum wahrnehmbar - und einen Moment lang hatte er geglaubt, sie würde sein Angebot annehmen.

Doch dann hatte sie seine Hand weggeschoben.
 

Alucard hatte bei seinem ziellosen Herumwandern Integras Arbeitszimmer erreicht. Auf dem großen Tisch lagen, wie immer, zahllose Papiere und Berichte, der Stuhl war schräg beiseite geschoben - fast als wäre Integra nur kurz aufgestanden um sich eine Tasse Tee zu holen und würde jeden Moment zurückkommen.

Lautlos ging Alucard über die kühlen Schachbrettmuster-Fliesen, strich dabei mit den Fingerspitzen auf der Tischkante entlang. Vor dem hohen Fenster blieb er stehen und sah hinaus. Der leere Truppenübungsplatz lag, verschwommen im Nieselregen, unter ihm.

Die Truppenmitglieder waren wohl zuhause, in der Kaserne - oder beim Polizeiverhör.

Die nächste Zeit würde... interessant werden. Wie auch immer - die Antwort auf die Frage, wie es mit der Hellsing-Organisation weiterginge, würde bald fallen.

Alucard wandte sich vom Fenster ab, der Wand zu und betrachtete das Porträt von Sir Hellsing, Integras Vater.

"Tja, mein Alter...", sagte Alucard.

Er wandte sich zum Gehen, blieb aber in der Mitte des großen Raumes stehen. Er hatte es schon die ganze Zeit gespürt, seit er wieder in Hellsing-Manor war - irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas stimmte ganz entschieden nicht. Er lauschte konzentriert. Irgendwo in einem der Nebenzimmer schlug eine Uhr (sechs Uhr abends) und Seras kam die Haupttreppe empor. Sonst nichts. Und trotzdem spürte er ein namenloses Unbehagen.

Er nahm wahr, wie Seras in der offenen Tür des Arbeitszimmers auftauchte. Er drehte sich zu ihr um.

"Wo ist denn Walter?" fragte Seras.

Und schlagartig wusste er, was nicht stimmte. Natürlich, Walter war nicht da.

"Vielleicht... einkaufen?" schlug Alucard vor.

"Glaub ich nicht", sagte Seras und kratzte sich am Kopf. "Meistens lässt er eine Notiz da, wenn er das Haus verlässt. Und außerdem sind noch alle Autos da, ich hab extra in den Garagen nachgesehen." Das Unbehagen, das Alucard spürte, wuchs.

"Vielleicht ist er ja mit dem Hubschrauber einkaufen geflogen?" versuchte er einen Scherz.

"Aber der ist doch kaputt", sagte Seras. "Walter und Lady Integra sind mit dem Hubschrauber beim Tower angekommen, hab ich selbst gesehen. Walter hat Lady Integra mit seinen Drähten im Innenhof abgeseilt und dann ist der Hubschrauber abgeschossen worden und..."

Seras stockte, als sie sich ihrer Worte bewusst wurde. Die beiden Vampire starrten sich an.

Seras schlug sich die Hand vor den Mund.

"Bist du dir sicher?" fragte Alucard. Seras nickte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Das Telefon auf Integras Arbeitstisch läutete. Mit einem im Grunde dezenten, sogar für empfindliche Vampirohren angenehmen, Ton. Doch Alucard und Seras zuckten zusammen und starrten das Telefon an, das klingelte. Und klingelte.

Dann verließen sie stumm, fast fluchtartig das Zimmer.
 

In einem Londoner Krankenhaus befand Walter sich wohlbehalten in seinem Bett und genoss es, dass sich zur Abwechslung mal jemand um ihn kümmerte. Gerade hatten zwei überaus reizende Krankenschwestern das Bettgestell so hergerichtet, dass er aufrecht sitzen und aus dem Fenster schauen konnte.

Walter hatte diverse, farblich interessante Prellungen, eine Kopfverletzung, die schlimmer aussah, als sie wirklich war, allerdings waren sein linker Arm sowie ein paar Rippen gebrochen und seine Hände schmerzten. Diese Drähte waren schon teuflisch...

Trotz seiner bandagierten Hände versuchte er, zu telefonieren. (Die Krankenschwestern hatten angeboten, für ihn die Telefonnummern zu wählen und den Hörer an sein Ohr zu halten, aber er hatte lieber allein sein wollen.)
 

Das Telefon in Integras Arbeitszimmer klingelte. Zwei Minuten lang, drei Minuten.

Dann klingelte das Telefon in der Küche. Dann das in der Bibliothek, dann in Walters sogenannter "Waffenschmiede" und dann der Apparat in der kleinen Küche im Keller.

"Keiner da!" blaffte Alucard das Telefon an und ging.
 

Seras hatte sich in ihrem Hydraulik-Sarg versenkt und weinte. Gedämpft hörte sie das Klingeln des Telefons. Jemand versuchte, Walter anzurufen. Aber Walter war nicht da. Walter würde nie wieder da sein.

"Hör auf, hör endlich auf!" schluchzte sie. Vier Minuten vergingen, dann endlich hörte das Telefon auf zu klingeln.
 

Seufzend legte Walter den Hörer auf. Es war wohl an der Zeit, Alucard und Fräulein Victoria mit Handys auszustatten...

He and his master

Kapitel 3 - He and his master
 

Alucard war auf dem Weg zum Gefängnis. Die Nacht kam und er schlenderte durch die Straßen. Im Vorbeigehen hatte er einer Heckenrose drei Blüten abgerupft und sie sich ins Knopfloch gesteckt. Noch immer waren Passanten und Touristen in den Straßen Londons unterwegs. Die teilweise irritierten Blicke, die seiner überdurchschnittlich großen Gestalt, seiner ungewöhnliche Sonnenbrille (bei Nacht...) und seinem ebenfalls ungewöhnlichen blutroten langen Mantel und den Rosenblüten im Knopfloch galten, bemerkte er nicht.

a) weil ihn die Blicke von Passanten und Touristen nicht interessierten und b) weil er seine Gedanken sortierte. Auf einer Brücke blieb er stehen und starrte, die Ellenbogen aufs Brückengeländer gestützt, in das dunkle Wasser. Eine verbogene Straßenlaterne direkt neben ihm, funzelte mit trübem Licht zum Wasser hin, als hätte sie dort unten etwas verloren. Ein Plastikbecher dümpelte auf der Wasseroberfläche und nahm Schluck für Schluck aus der schmutzigen Brühe.

Alucard sah hinauf zur Mondsichel. Walters Abgang berührte ihn mehr, als er vor irgendwem zugegeben hätte. Verdammt, der alte Knochen würde ihm fehlen. Dass Walter tot war, würde Konsequenzen haben, die gerade zu diesem Zeitpunkt fatal für die ganze Organisation sein konnten. Wie würde es ohne Walter - und sein Organisationsgeschick und seine 100%ige Kenntnis zu allem, was Hellsing betraf - weitergehen? Keine der möglichen Antworten gefiel ihm.

Ganz abgesehen davon, wie Integra diesen Verlust verkraften würde...

Nachdem sie ihren Vater früh verloren hatte (und ihre Mutter noch viel früher), war Walter ihre "Familie" gewesen. Und diese törichten Menschen hingen so sehr an dem, was sie ihre Familie nannten...

Hier konnte er das sogar nachvollziehen. Walter war schon eine Klasse für sich gewesen. Wahrscheinlich ahnte Integra noch nichts davon, dass sie Walter verloren hatte.

Alucard hatte nicht die geringste Ahnung, wie er ihr das beibringen sollte. Normalerweise war er nicht zimperlich, aber in diesem Fall...

Zudem war Integra momentan selbst nicht ganz "stabil" und in seelischer Schieflage. Was, wenn sie nun, da sie auch noch Walter verloren hatte - möglicherweise - Selbstmord beging? All seine - Alucards - Pläne wären mit einem Schlag zunichte.

Wie sollte er den Rest der Ewigkeit ertragen?

Nein, er beschloss, ihr - zunächst - nichts von Walter zu sagen.

Er nahm die Rosenblüten aus dem Knopfloch.

"Farewell, Walter", sagte er und warf die Blüten hinunter ins Wasser.
 

Integra saß in ihrer Zelle am Tisch. Sie hatte das Abendessen beiseite geschoben und stattdessen Papiere vor sich ausgebreitet (sie kann einfach nicht ohne Papier- und Formularkram sein...) und legte sich Strategien für die Gerichtsverhandlung zurecht.

Sie dachte an Walter und hoffte, dass er im Krankenhaus ein bisschen Ruhe haben würde. Der Arme hatte wirklich mal eine Auszeit verdient. Aber wie sie ihn kannte, räumte er wahrscheinlich schon den Krankenschwestern und Pflegern hinterher und brachte die Ärzte bei der Visite um den Verstand, indem er Korrekturen und Alternativen für ihre Behandlungsmethoden vorschlug. Vielleicht hatte er auch schon ein paar völlig neuartige medizinische Gerätschaften entworfen...

Integra nahm einen Bleistift und wandte sich wieder ihren Papieren zu.

Ob in Hellsing Manor alles in Ordnung war? Sicher waren noch genügend Blutkonserven für Alucard und Seras da. Sie würden wohl klarkommen, obwohl sie allein im Haus waren.

Alucard und Seras waren allein im Haus...

Und wenn schon... 'Konzentrier dich', dachte Integra und schaute auf die Liste der Aspekte, die die Organisation entlasteten (die Liste war noch nicht sehr lang...).

Was machten Alucard und Seras wohl die ganze Zeit? Die langweilten sich doch bestimmt, so völlig ohne Aufträge... Nun, Alucard könnte ihr endlich ein paar Dinge beibringen, die sie immer noch nicht beherrschte, also... zum Beispiel... ach, es gab bestimmt noch Hunderte von Dingen, die dieses... dieses Polizistenmädchen lernen musste.

Oh natürlich, und Alucard würde sie hinterher loben, TOLL GEMACHT, FRÄULEIN POLIZISTIN und sie würde ihn, wie immer, anhimmeln und "Danke, Meister" hauchen.

Der Bleistift in Integras Hand zerbrach knackend.

Sie schmiss die Bleistifthälften auf den Tisch, schob die Papiere ärgerlich zusammen und sprang vom Stuhl auf...

"Unkonzentriert, my Master?"

Sie prallte zurück.

"Du sollst nicht immer plötzlich einfach da sein!" fauchte sie Alucard an.

"Dabei hast du doch gerade noch an mich gedacht", grinste er.

"Und du sollst meine Gedanken nicht lesen!"

Alucard seufzte amüsiert. Sie hatten noch keine drei Sätze gewechselt und schon war sie wieder 360. (Die 180 ließ sie grundsätzlich aus...)

Wie ein gefangenes Tier tigerte sie in der Zelle auf und ab. Er ließ sie tigern, lehnte sich an die steinerne Mauer und beobachtete sie. Ihre Wut verrauchte allmählich, ihre Schritte wurden langsamer, stoppten dann. Sie verschränkte die Arme um ihren Oberkörper, als wäre ihr auf einmal kalt.

"Weißt du", sagte sie mit einem Blick auf die Papiere auf dem Tisch, "ich mache mir Sorgen um Walter."

Alucard zuckte zusammen. Ganz locker bleiben jetzt...

"Wer... Ach... Walter. Jaa... also... hö...wieso..."

"Ich weiß auch nicht. Natürlich ist er in der Klinik gut aufgehoben, aber ich fürchte..."

Alucard riss die Augen auf. "Klinik?"

"Ja, er ist doch im selben Krankenhaus in dem ich auch behandelt worden bin." Sie nannte ihm die Adresse.

"Aber ich fürchte", fuhr sie fort, "die Polizei wird sich ihn ebenfalls vornehmen. Sie werden ihn ausquetschen und sie werden nicht warten, bis er wieder fit ist. Dabei hat er wirklich mal Erholung verdient. Und dann dieser Prozess...", sie massierte mit beiden Händen ihre Schläfen. "Verdammt, es hängt soviel davon ab. Der Schutz dieses Landes vor Kreaturen, von denen die Bevölkerung nichts ahnt - nichts ahnen darf! Und dann unsere ganzen Mitarbeiter - es hängt soviel davon ab, was ich vor Gericht sagen werde... Warum erzähl ich dir das eigentlich alles?"

Alucard kam auf sie zu. Sie wich misstrauisch zurück. Er blieb nicht stehen, aber sie blieb stehen - musste stehen bleiben, denn hinter ihr war die Mauer.

"Du weißt", sagte er und stand direkt vor ihr, "es gibt einen viel einfacheren Weg, ohne all diese Sorgen, ohne einen Prozess..."

Langsam, als wollte er ein scheues Tier nicht erschrecken, hob er seine rechte Hand. Mit dem Zeigefinger strich er behutsam über die dünne, kaum sichtbare Narbe auf ihrer Wange. Dort, wo der Streifschuss von ihrem Onkel Richard sie damals verwundet hatte... Ihr Blut, das ihn so köstlich wiedererweckt hatte...

Fünf Sekunden, zehn... dann schlug sie seine Hand weg.

War klar, dass sie gleich wieder lostoben würde... Er fand das attraktiv. Integra, sonst absolut kühl und beherrscht, legte dann ein vielversprechendes Temperament an den Tag. Und diese leichte Zornesröte stand ihr gut. Ihre eisblauen Augen kamen dann noch besser zur Geltung.

"Wie stellst du dir das vor?" zischte sie. "Wir trinken Brüderschaft mit unserem Blut und spazieren dann durch die Wand nach draußen, oder was?" Alucard brachte eine nonchalante Kombination aus Grinsen, Schulternzucken und Nicken zustande.

"Ich werde nicht fliehen", schrie sie ihn an. "Seh ich wie ein erbärmlicher Feigling aus?"

"Du siehst wütend aus", sagte Alucard diplomatisch. Er lächelte. "Das ist mein Master. Nun - mein Angebot bleibt jedenfalls bestehen."

"Tausend Dank. Ich bin schwer gerührt. Alucard - wag' es nicht, hier wieder mit Blut rumzukleckern! Die Wächter haben vorgestern die Scherben und das Blut gesehen und haben gedacht, ich hätte versucht, mich umzubringen! Und das hab ich jetzt davon!"

Sie zeigte, soweit ihre Handfesseln es zuließen, auf den Tisch. Das Essen war angerichtet: Roastbeef, verschiedene Gemüsesorten, etwas Reis und Soße - auf einem Plastikteller. Daneben ein edler Rotwein: Im Pappbecher. Das Essen war bereits in mundgerechte Häppchen zerschnitten, als Besteck hatte man ihr lediglich einen Plastiklöffel hingelegt.

Alucard grinste. "Aber dort ist eine Flasche Wasser. Welch ein Leichtsinn."

"Oh", Integra nutzte die Gelegenheit und rückte an der Wand von ihm weg, und nahm die gläserne Wasserflasche in die Hand. Sie runzelte die Stirn. "Die ist noch von vorgestern, die haben sie vergessen. Wirklich leichtsinnig - wo ich doch ach-so-suizidgefährdet bin", sagte sie sarkastisch.

Alucard schlenderte zum Tisch. Dort nahm er den Pappbecher mit dem Wein und trank einen Schluck. Er verzog das Gesicht.

"Was ist das für ein Zeug?"

"Bordeaux."

Alucard schauderte theatralisch. "Sogar Blutgruppe 0 schmeckt besser. Nun", er wandte sich zu ihr um. "du siehst, ich nehme kein Blut, weil du es nicht wünschst. Bei diesem Becher Bordeaux", feierlich hob er den Pappbecher, "du sollst wissen, dass ich da sein werde, wenn du mich brauchst."

"Sei nicht kitschig."

"Ich bin nicht kitschig." Sein Gesichtsausdruck änderte sich. Das obligatorische spöttische Grinsen verschwand. Er wurde ernst. Er stellte den Becher zurück auf den Tisch und kam auf sie zu. Integra wich zurück, bis an die Wand. Er kam noch dichter an sie heran als eben. Sie konnte ihre Spiegelbilder - zwei winzig kleine Integras - in seinen blutroten Augen sehen. "Es ist nun mal so", sagte er leise, "dass du mir gehörst. Niemand wird dir jemals etwas tun. ICH bin dein Schicksal. Und du meins - jedenfalls vorübergehend. Denn eines Tages wirst du sterben. Vielleicht... Wie stellst du dir eigentlich die Zukunft der Hellsing-Organisation vor? Du bist der letzte Hellsing-Spross. Was passiert, wenn du stirbst?"

Integra schwieg. Er starrte sie schweigend an. Sie starrte trotzig zurück.

Er lachte leise, wandte sich ab und ging wieder in die Mitte des Raumes. Er setzte sich auf die Tischkante.

"Du solltest", fuhr er fort, "möglichst bald einen Nachfolger in die Welt setzen - oder einfach nicht sterben. Egal, für welche Variante du dich entscheidest - ich stehe dir selbstverständlich gern zur Verfügung, Master."

Die Wasserflasche flog auf ihn zu. Mit einer betont lässigen Bewegung fing er sie mit der linken Hand direkt vor seinem Gesicht auf.

"Na, na", sagte er spöttisch, "was werden deine Wächter denken, wenn sie schon wieder Scherben finden?" Behutsam stellte er die Flasche zurück auf den Tisch.

"Aber", fuhr er in geschäftsmäßigem Stil fort, "es freut mich außerordentlich, dass du noch immer voller Energie steckst. Das lässt einen hoffen."

Und wieder ging er auf sie zu. Integra schloss entnervt die Augen. Wie oft will er diese Choreografie heute noch wiederholen...?

Dieses Mal blieb er etwa einen Meter vor ihr stehen. Und betrachtete sie. Sie spürte, dass er sich bewegte und öffnete die Augen. Völlig reglos beobachtete sie ihn. Mit einer Sanftheit, die sie irritierte, nahm er eine ihrer langen, weißgoldenen Haarsträhnen, die über ihrer Schulter lag und ließ sie durch seine Finger gleiten. Als er fast bei den Haarspitzen angelangt war, beugte er sich ein winziges Stück weit vor und sah zu ihr auf.

"Gute Nacht, Integra", sagte er, hob die Haarsträhne an seine Lippen und küsste sie. "Ich bin nicht weit weg."

Dann richtete er sich wieder auf und ließ die Strähne behutsam aus seinen Fingern gleiten.

Er wandte sich ab und glitt in den Schatten und sah deshalb nicht, dass sie lächelte.

Vier Schwestern für Walter

Vier Schwestern für Walter
 

Vielen, vielen Dank für die neuen Kommentare!! *verbeug*

Inzwischen komme ich auch mit der Kapitel-Einteilung hier einigermaßen klar... ^ ^v

Ein ganz dickes Anerkennungs-knuddelz an alle, die trotz des anfänglichen Überschriften-Chaos tapfer weitergelesen haben!! ^ ^°

Dieses Kapitel ging mir bemerkenswert flott von der Hand... *g*

OK, ich hab's diesmal übertrieben (allmählich wird das ja eine Boulevard-Komödie...). Es wird aber auch wieder ernste Momente geben, Ehrenwort! o_ov *feierlich-schwört*
 

Naja, im nächsten Kapitel werden wir (und noch jemand... *g* ) noch mal die liebe Integra im Knast besuchen. Ein Kapitel, auf das ich mich schon sehr freue!

Aber nun erstmal voilà! - Kapitel 4.

Bühne frei für Walter's Hospital-adventures... *g*
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Im Krankenhaus, in dem Walters Genesung täglich bestens voranschritt, bemerkte niemand den nächtlichen Besucher...

Es war ungefähr 2 Uhr nachts als Alucard durch die Gänge des Krankenhauses huschte.

Walter schlief bestimmt, und er wollte ihn nicht stören.

Er ging in ein leeres Schwesternzimmer und stöberte in einigen Papieren, Unterlagen, Krankenblättern und erfuhr, dass Walter sehr bald aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte. Gut so. Alucard trat den Rückweg an - zuvor gönnte er sich allerdings noch ein paar besonders frische Blutkonserven... *g*
 

Walter wurde im Krankenhaus bestens umsorgt. Er genoss die besondere Aufmerksamkeit von Mildred, Molly, Rachel und Judy - vier aufopferungsvollen Krankenschwestern, die alles dransetzten, ihm seinen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten.

Anfangs war ihnen dieser Typ schon etwas suspekt erschienen; ein Mann in diesem Alter, mit langen, tiefdunklen Haaren, mit höchst merkwürdigen Schnittverletzungen an den Händen, der nachts mit einem Hubschrauber über dem Tower abgeschossen worden war - der alte Knabe musste schon einigermaßen durchgeknallt sein... Und außerdem fragte die Polizei täglich nach ihm...

Walter hatte deshalb mit wachsender Begeisterung drauflos improvisiert und Mildred, Molly, Rachel und Judy erzählt, er sei eigentlich ein ehrenamtlicher Mitarbeiter in einem kleinen, ganz, ganz unbekannten Hubschrauber-Museum.

("Schwester Rachel, Sie kennen das South-End-Hubschrauber-Museum nicht? Da können Sie mal sehen, WIE klein und unbekannt es ist!")

Und eigentlich habe er nur die Nachtflug-Tauglichkeit eines bestimmten, alten Hubschraubers testen wollen - dummerweise gerade in der Nacht, in der im Tower ja wohl die Hölle losgewesen sein musste... Tja, und da ist er abgeschossen worden.

("Na, meine Damen, ich sage Ihnen - das war ein Schreck!")

Und diese tiefen Schnittwunden an den Händen - tja, während des Absturzes, also beim Aufprall, als er aus dem Hubschrauberwrack geschleudert wurde, musste er irgendwie mit den Händen an die Rotorblätter geraten sein...

Die vier Damen Mildred, Molly, Rachel und Judy hingen an Walters Lippen und seufzten mitfühlend. Im Grunde tat es ihm ein bisschen leid, ihnen in seiner charmantesten Art derartige Märchen aufzutischen, aber... nun, er hatte schließlich keine andere Wahl, oder?

Und dass die Polizei täglich nach ihm fragte? Na, kein Wunder! Schließlich wusste noch immer niemand, was genau in jener Nacht im Bloody Tower vorgefallen war - die Zeitungen hatten die wildesten Spekulationen gebracht.

("Haben Sie das auch gelesen, meine Damen - sogar von Vampiren war die Rede! Ich bitte Sie! Vampire!")

Und da er ja nun gerade in besagter Nacht ÜBER den Tower geflogen war, sei die Polizei wohl der Meinung, er sei ein wichtiger Zeuge. Dabei habe er doch gaaar nichts gesehen, also wirklich nicht!

"Fühlen Sie sich denn schon gut genug für eine Zeugenaussage?" fragte Schwester Molly.

Oh, Walter wusste genau, was er der Polizei sagen würde. Aber zuvor hätte er sich doch gern mit Integra besprochen.

"Nein", sagte er leise, und versuchte, möglichst leidend auszusehen, "ich fühle mich wirklich noch nicht gut genug..."

"Keine Sorge, Mr Cum Dolneazz, die Polizei wird Sie nicht belästigen!" gelobte Nachtschwester Mildred und sah ihre drei Kolleginnen an. Die vier Krankenschwestern nickten sich grimmig zu. Fortan wurde Walter von seinen Krankenschwestern bewacht. Kein Polizeisergeant schaffte es näher als sieben Meter vor seine Zimmertür - dort wurde er freundlich, aber bestimmt, von mindestens einer Schwester hinauskomplimentiert.
 

Kurz und gut - nur wenige Stunden nach seiner Einlieferung lagen die Krankenschwestern Walter zu Füßen. Lernschwester Judy fand es klasse, dass ein Typ, der ihr Großvater hätte sein können, "so cool drauf war", Rachel, Molly und Nachtschwester Mildred hatten noch nie einen derart kultivierten, angenehmen Patienten erlebt.

Schwester Molly fand besonders die langen, dunklen Haare aufregend, die ihm trotz allem "extrem-typisch-britisch-sein" irgendwie was exotisches gaben und nur an den Schläfen sehr dekorativ zu ergrauen begannen. Für sein Alter war dieser Mr Cum Dollneazz auch noch erstaunlich fit. Schwester Rachel und Nachtschwester Mildred waren beeindruckt von seinem altersuntypisch durchtrainierten Körper.

"So, Mr Cum Dollneazz", pflegte Schwester Rachel stets zu flöten, "Zeit, den Oberkörper-Verband zu wechseln!"

"Oh bitte", sagte Walter höflich entnervt, "den hat Schwester Mildred heute schon zweimal gewechselt." Schwester Molly riss die Augen auf. "Dieses Miststück", fauchte sie und raste ins Schwesternzimmer (wo während Walters Anwesenheit mitunter bürgerkriegsähnliche Zustände unter den Krankenschwestern herrschten...)

Schwester Molly sah die Gelegenheit für eine Revanche am Abend gekommen: Mr Cum Dollneazz trug sich mit dem Gedanken, zu duschen...

"Meinen Sie, Sie können das allein?" erkundigte sich Schwester Molly fürsorglich.

"Ja, das meine ich", sagte Walter sehr höflich (wenn auch mit leicht panischem Blick).

"Also, ... na ja, wegen Ihrem Gipsarm..."

"Das geht sehr gut. Danke."

"Sie klingeln, wenn Sie Hilfe brauchen, nicht wahr?"

Walter deutete eine höfliche kleine Verbeugung an und Schwester Molly verließ ihn.
 

Schwester Molly: *ins-Schwesternzimmer-renn-und-den-Klingel-Lautsprecher-anstarr*

Walter: *ins-Badezimmer-renn-und-die-Tür-von-innen-dreimal-abschließ*
 

Hinterher saß Walter auf seinem Bett und speiste - wobei er von seinen vier Damen beaufsichtigt wurde. Dummerweise hatte er am ersten Tag hier verlauten lassen, dass ihm der Porridge sehr gut schmecke. Jetzt bekam er jeden Tag vier Portionen. Und da er keine der Schwestern kränken wollte, aß er stets alle Schälchen artig leer. "Seine" vier Krankenschwestern saßen alle rund um sein Bett (obwohl Nachtschwester Mildred eigentlich frei hatte) und betrachteten ihn hingerissen.

Walter betrachtete - ganz und gar nicht hingerissen - seine vier Portionen Porridge. (Mittlerweile schmeckte ihm der nicht mehr so gut...).

"Sagen Sie mal", fragte Schwester Rachel, "haben Sie keine Frau?" "Nein."

'Ha!' dachte Nachtschwester Mildred und zupfte ihr Schwesternhäubchen zurecht.

"Und auch keine Kinder?" fragte Lernschwester Judy.

(Dieses vorlaute Ding! dachte Nachtschwester Mildred. Selbstverständlich hat ein unverheirateter Gentleman KEINE Kinder!).

"Doch", sagte Walter und Nachtschwester Mildred zuckte zusammen, "ich habe... nun ja...so eine Art Tochter." Er lächelte selbst über die etwas schräge Umschreibung.

"Ach", sagte Mildred pikiert, "aber besonders eng scheint ihr Verhältnis ja nicht zu sein. Sie kommt Sie ja überhaupt nie besuchen!"

"Nun", sagte Walter höflich, "wissen Sie, sie sitzt grad im Gefängnis."

Die Schwestern sahen ihn mit großen Augen an und Nachtschwester Mildred fragte sich allmählich, ob die Polizei jeden Tag wirklich nur wegen einer "Zeugenaussage" zu Mr Cum Dollneazz kam. Womöglich war er doch ein Gangster...

Nachtschwester Mildred fand das furchtbar abenteuerlich und... romantisch. Wenn einer aber auch schon einen so verwegenen Namen hatte! *schmacht*
 

Doch der Tag des Abschieds nahte unerbittlich. Walter war ganz damit beschäftigt, einen Plan zu machen, was er bis zu Integras Rückkehr vorbereiten und erledigen musste (und er zweifelte keinen Moment daran, dass sie sehr bald nach Hellsing Manor zurückkehren würde), so dass er die Niedergeschlagenheit seiner vier Krankenschwestern kaum bemerkte.

Und dann war es soweit - Rachel, Molly und Nachtschwester Mildred standen mit Trauermiene in Walters Zimmer und sahen bekümmert zu, wie er einen Mantel überzog. Rachel nutzte die Gelegenheit, stürzte noch einmal auf ihn zu und krempelte mit aller Vorsicht den Mantelärmel über Walters Gipsarm. (Molly und Nachtschwester Mildred zischten leise).

Es hatte Walter einige Mühe gekostet, die vier Damen davon abzuhalten, sich mit Filzstiften auf seinem Gipsarm zu verewigen. (Er hatte befürchtet, sie könnten Blümchen und Herzchen darauf malen, die Alucard zu hause garantiert kommentieren würde...)

"Meine Damen", sagte Walter feierlich und deutete eine letzte kleine Verbeugung an, "ich danke Ihnen für..."

Lernschwester Judy polterte in den Raum. "Mr Cum Dollneazz - Sie werden abgeholt!"

Und schon war sie wieder draußen.

Walter zog überrascht die Augenbrauen nach oben. Wer - um alles in der Welt - würde ihn abholen? Sollte Integra doch schon aus dem Gefängnis... Aber nein, das konnte nicht sein.

Walter verließ sein Krankenzimmer und trat hinaus in den Flur - und blieb überrascht stehen. Und war direkt ein bisschen gerührt...

Fräulein Victoria erkannte er sofort, aber bei Alucard musste er doch zweimal hinsehen. Und ehrlich gesagt erkannte er ihn nur an seinem Grinsen (das er immerhin so weit gedämpft hatte, dass seine spitzen Fangzähne nicht zu sehen waren).

Seras hatte Alucard schließlich doch davon überzeugen können, dass er in seinem roten Mantel und vor allem mit seinem roten Hut unnötig Aufmerksamkeit auf sie lenken würde. Sie hatte eine gepflegte Shopping-Tour absolviert (einmal die Oxford Street rauf und runter..) und diverse Klamotten für ihren Meister mitgebracht.

Seras selbst trug einen Minirock, Turnschuhe und ein Shirt. Alucard, der lässig an der Wand lehnte, hatte sie eine Jeans aufgenötigt. Seras würde diese Hose als "echt knackig" bezeichnet haben. Walter hingegen war sich sicher, noch nie eine engere Jeanshose gesehen zu haben. Er fürchtete, dass der arme Alucard wohl nur mit Hilfe eines Chirurgen-Bestecks aus dieser Hose zu befreien war. Außerdem trug Alucard ein helles T-Shirt mit irgendeiner wilden Aufschrift und darüber eine offene, schwarze Lederjacke und - natürlich - seine Sonnenbrille. Abgesehen von der Hose, die Walter unangemessen eng fand, sah Alucard irgendwie... erschreckend normal aus.

Jedenfalls für Walter. Molly, Rachel, Judy und sogar Nachtschwester Mildred waren reif fürs Sauerstoffzelt.

Walter (innerhalb weniger Sekunden völlig out-of-interest, der Arme...*g*) hatte inzwischen Seras begrüßt. Behutsam hakte sie sich an seinem Gipsarm unter.

"Tschüß!" rief sie den vier Krankenschwestern zu - und war bestürzt, über die tödlichen Blicke, die sie erntete. Zuerst kapierte sie nicht recht... doch dann wurde ihr klar, dass die vier sie für Alucards Freundin hielten. (Oh verdammt, wie ihr dieser Gedanke gefiel!)

Sie lächelte zuckersüß. (Hach, ging's ihr gut!!)

"Na dann los, ne?" sagte sie neckisch zu Alucard. (Was geistreicheres fiel ihr grad wirklich nicht ein...). Alucard folgte Seras und Walter, drehte sich jedoch noch einmal halb zu den vier Krankenschwestern um und schenkte ihnen ein Lächeln. Ein Lächeln, das er manchmal jenen gönnte, die ihn wollten, aber nicht bekamen.

Schwester Molly musste sich auf die Lippen beißen um nicht leise zu wimmern.
 

Alucard und Seras, mit Walter in der Mitte, marschierten den Krankenhausflur entlang.

"Wie geht es Integra? Warst du bei ihr?" erkundigte sich Walter.

"Jo, ich war mal da", sagte Alucard.

"Zwei bis drei mal jeden Tag...", brummte Selas. Walter lächelte.

"Ihr müsst mir unbedingt berichten, was inzwischen vorgefallen ist... Oh, zum Ausgang geht es übrigens dort entlang!" bemerkte Walter und deutete zur Treppe.

"Stimmt", sagte Alucard gutgelaunt und Seras tätschelte beruhigend Walters Gipsarm.

Sie führten ihn den Flur entlang, der zu dieser Zeit menschenleer war. Walter fand das etwas rätselhaft, aber er beschloss, erst mal abzuwarten... und weiter Konversation zu betreiben.

"Waren überhaupt genug Blutkonserven da?" fragte er und beobachtete beunruhigt, wie Alucard ein Fenster öffnete (sie befanden sich in der fünften Etage) und Seras ihn - Walter - sanft, aber bestimmt Richtung Fenster schob.

"Ich musste oft daran denken. Ich hatte befürchtet, es wären nicht mehr genug Blutkonserven da und ihr wärt gezwungen, loszuziehen und na ja... Und wieso seid ihr nie ans Telefon gegangen... ähm."

Alucard war halb aus dem Fenster geklettert, hockte rittlings auf der Fensterbank, legte sich den latent paralysierten Walter in Kartoffelsack-Manier, aber sehr, sehr behutsam, über die rechte Schulter und schwang sich nach draußen. Seras folgte.

"Also gut", sagte Walter ergeben, "warum verlassen wir das Krankenhaus über die Feuerleiter?"

"Integra wünscht, dass du dich erholst", erklärte Alucard und begann, die Leiter herunterzusteigen.

"Ah ja", sagte Walter, und schaute, kopfüber an Alucards Rücken herabhängend, durch die Sprossen der gefährlich schwankenden Feuerleiter auf den Hinterhof des Krankenhauses - der fünf Stockwerke unter ihnen lag.

"Unten beim Empfang haben wir Polizisten gesehen", erzählte Seras. "In zivil. Aber Zivil-Polizisten erkenne ich sofort. Ich war ja selbst... mal einer. Naja, die haben sich nach dir erkundigt, haben erfahren, dass du jetzt entlassen wirst und wollten da unten auf dich warten und dich bestimmt sofort zu irgend so'nem Verhör mitnehmen. Wir haben uns gedacht, dass du bestimmt lieber erst nach hause möchtest und mit Integra reden und so."

"Vampire, die mitdenken", sagte Walter versonnen, "dass ich das noch erleben darf..."

Besu-huch!!

Vielen, vielen Dank für die neuen Kommentare! Ich freue mich riesig, dass "Walters Schwestern" (und Alucards Jeanshose...) euch gefallen haben! ^___^

Ihr schreibt, dass euch gerade die lustigen Szenen gefallen - das freut mich natürlich; andererseits hoffe ich, dass ihr mir auch bei den ernsteren Kapiteln (die bald folgen werden) treu bleibt! Natürlich wird es immer wieder spaßige Szenen geben, versprochen!!
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Seras Victoria stand und der Dusche und sang. (Nicht schön, aber laut). Was die Top Ten der UK-Charts gerade hergaben. Sie fühlte sich großartig, sie schäumte fast über vor guter Laune.

Walter war wieder zuhause, Lady Hellsing würde wohl auch bald zurückkehren - die Organisation würde weiterbestehen. Und nun, fand Seras, war es an der Zeit, sich um andere... Belange... zu kümmern...

Die Eifersucht der Krankenschwestern hatte sie ... inspiriert. (OK, man könnte auch sagen: angeturnt). Alucard hatte ja auch klasse ausgesehen. Direkt zum Anbeißen... *kicher*

Und im Grunde waren sie beide doch wirklich ein leckeres Paar.

Sie sprang aus der Duschkabine, wischte den beschlagenen Spiegel mit einem Handtuch ab und betrachtete sich. Na, ihr Körper konnte sich sehen lassen, aber echt! Sie verstand wirklich nicht, wieso Alucard ihr noch nie irgendwelche Avancen gemacht hatte...

Aber vielleicht war er in dieser Hinsicht ja schüchtern, wer weiß.

(Alucard und schüchtern!? o_O)

Oder Lady Hellsing duldete so was nicht. (Insgeheim hegte Seras die Vermutung, dass Lady Hellsing selbst scharf auf Alucard war.)

Aber - Lady Hellsing war nicht da. Die Gelegenheit war so was von günstig...

Seras wickelte das Handtuch um sich und zwinkerte sich im Spiegel aufmunternd zu.

Jawohl - sie würde in Alucards Gemach stürmen und so tun, als hätte sie sich in der Tür geirrt. Sie würde "vor Schreck" das Handtuch fallen lassen... und alles weitere würde sich irgendwie entwickeln...

Sie verließ das Bad, trat in den düsteren Flur, holte tief Luft, stürmte in seinen Raum und ließ das Handtuch fallen.

"Huuuch, Meister Alucard, was bin ich erschrocken! Da hab ich wohl die Türen verwechselt, und..." Der Raum war leer. Alucards Sarg stand aufgeklappt und leer in der Ecke.

Enttäuscht raffte sie das Handtuch wieder um sich und verließ den Raum.

Direkt neben dem Bad war vor einer Weile eine kleine Küche für Alucard und Seras eingerichtet worden - und von dort hörte Seras jetzt ein leises Klappern...

Alucard plünderte dort manchmal den Kühlschrank oder erwärmte Blutkonserven in der Mikrowelle auf 37 Grad. (Er fand das so "authentischer"...)

Seras grinste ein kleines, spitzzahniges (recht lüsternes...) Grinsen - und stürmte in die Küche. Und ließ das Handtuch zu Boden gleiten.

"Huuuch, Alucard", rief sie, "was bin ich erschrocken! Ich hab ja nicht gedacht, dass du hier bist und..."

"Ich bin aber nicht Alucard", sagte Walter.

Stille senkte sich auf die Küche herab.

Walter starrte Seras an. Seras starrte Walter an. Walter steckte sich sein Monokel ans Auge.

Dann sagte Walter "Oh."

Und dann: "Ähm. Fräulein Victoria, Sie... wissen ja, dass der Keller an manchen Stellen recht zugig ist. Da können Sie sich so... also... so ohne alles, schrecklich leicht erkälten."

"Äh, oh ja, glaub ich auch", sagte Seras. Und raffte das Handtuch wieder um sich.
 

Seras: *peinlichpeinlichpeinlich*

Walter: *grins*
 

"Ja, dann...", sagte Seras, "ich bin weg."

Sie huschte davon. Walter schüttelte amüsiert den Kopf und räumte weiter neue Blutkonserven in den Kühlschrank. Was war bloß mit den Frauen los in letzter Zeit? Die waren doch früher nicht so gewesen. (Oder? o_O) Vielleicht lag es an Klimaveränderungen oder an irgendwelchen Rückständen oder Schwermetallen im Grundwasser... Erst die Krankenschwestern, und nun auch noch Fräulein Victoria.

Er kicherte leise vor sich hin. Eine echte Rothaarige. Wie niedlich...

Soso, Fräulein Victoria auf der Jagd nach Alucard. Integra würde aus dem Stand explodieren, wenn sie das jemals erfahren würde. Es sei denn, sie bekäme vorher Fräulein Victoria in die Finger... Integra würde Mittel und Wege finden, die kleine Vampirin zum Explodieren zu bringen...
 

Der von Seras so dringend gesuchte Alucard befand sich - wieder einmal - in einer ganz bestimmten Gefängniszelle. Doch er hielt sich still im Schatten auf. Manchmal kam er hierher und beobachtete seine Herrin einfach nur, ohne sie merken zu lassen, dass er da war.
 

Es war warm in der Zelle. Integra hatte ihre Anzugjacke über den Bettpfosten gehängt und trug nur ihre weiße Bluse und eine dunkle Hose. Sie saß auf einem der Stühle, den Hinterkopf auf die Stuhllehnen-Oberkante gestützt, so dass sie direkt an die Zellendecke starrte. Das lange, mondhelle Haar floss bis hinunter auf die Sitzfläche des Stuhls. Sie rauchte eine Zigarre.

Sie paffte einen formvollendeten Kringel. (Manchmal gelangen ihr drei hintereinander.) Aus halbgeschlossenen Augen beobachtete sie, wie er Richtung Decke driftete. Dort löste er sich auf. Ihr Zeitgefühl hatte sich ebenfalls aufgelöst. Die fensterlose Zelle machte sie wahnsinnig.

Sie zwang sich zu diesen fast meditativen Ruhephasen, sonst wäre sie längst durchgedreht.

Alucard war auch wieder da. Er lungerte im Schatten rum, irgendwo schräg hinter ihr, und dachte, sie würde das nicht merken. Rührend, irgendwie.

Ich bin zwar nur ein Mensch, dachte Integra, aber ich bin weder schwach noch blöd.

Wenn ich allerdings noch lange in dieser Zelle bleibe, werde ich vielleicht beides und schlimmeres. Und diese Handfesseln! Diese Demütigung!

Sie hatte sich noch nie so miserabel gefühlt.

Auf dem Tisch stand ein Pappbecher mit Tee. (Ein PAPPbecher! Wie sie das schon wieder hasste!) Ganz ruhig... Noch ein Zug aus der Zigarre. Noch ein Zigarrenqualmkringel. Dann drückte sie die Zigarre aus und trank einen Schluck Tee.

Erbärmlich. Walter hätte diesen Tee "eine Verunglimpfung der britischen Tee-Kultur" genannt. Integra nannte es "abartiges Gebräu".

Immerhin, der Tee war heiß. Integra schloss die Augen und erinnerte sich an einen Spruch, den sie mal in irgendeinem Laden auf einem Poster gelesen hatte:

Lächle und sei froh - es könnte schlimmer kommen...
 

...und sie lächelte und war froh - und es kam schlimmer.
 

Die Klappe an der Zellentür wurde aufgeschoben. Die untere Gesichtshälfte eines der Wächter erschien in der Öffnung und sagte: "Besuch für Sie."

Erstaunt und ein bisschen benommen richtete Integra sich auf. Besuch...? Vielleicht war Walter bereits aus dem Krankenhaus entlassen. Ein neues, kleines Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Doch das Lächeln starb, bevor es wirklich geboren war...

Enrico Maxwell enterte in elegantem Sturmschritt die Zelle. In einer großen Geste schmiss er seinen Sommermantel aufs Bett.

"Es stimmt also wirklich! Das KANN doch alles nicht wahr sein!" rief er. "Meine hoch verehrte Lady Integra Wingates-Hellsing im Gefängnis!? Noch dazu im unterirdischen Hochsicherheitstrakt!?"

("Da gehört die auch hin!" hatte Pater Ronaldo im Vatikan geäußert.)

"Da dachte ich mir, ich komme dich besuchen!" Er lächelte auf Integra hinab.

"Verdammt", seufzte Integra, (Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs...) "Und ich in meiner grenzenlosen Naivität hatte geglaubt, so was wie Folter würde mir erspart bleiben."

"Aber Verehrteste", sagte Maxwell, "du missverstehst da etwas. Durch mein Hiersein wird vielleicht einiges... besser. Für dich." Er grinste.

Alucard, Anderson und dieser verfluchte Maxwell - sie sollten einen Wettbewerb veranstalten: "Das grenzdebile Grinsen des Jahrhunderts". Schwer zu sagen, wer da Sieger sein würde... Integra wandte den Blick ab und starrte die gegenüberliegende Mauer an.

Maxwell genoss die Situation. Integra... Sie erschien ihm immer wie eine unterkühlte Wildkatze. Er wusste, wenn sie könnte, wie sie wollte, hätte sie ihm längst - schon vor Jahren - die Augen ausgekratzt. Aber jetzt... Ihre Hände waren gefesselt.

(Maxwell seufzte innerlich. Die Wildkatze in Handfesseln! *grrr*)

Er konnte sich vorstellen, wie sie litt. Ihre eisblauen Augen blitzten. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn auch noch glühende Funken aus ihren Nasenlöchern geschossen wären.

"Und die Hände haben sie dir auch noch gefesselt!" rief er mit (nicht gut) gespieltem Mitleid. (Essig in die Wunde kippen - eines seiner Spezialgebiete...)

Mit einer geschmeidigen Bewegung glitt er auf den Stuhl neben ihr.

"Das hast du nicht verdient", sagte er leise und legte seine rechte Hand auf ihre linke Hand.
 

Im Schatten bleckte jemand mit blutroten Augen die Zähne...
 

Maxwells Hand war warm und trocken. Aus irgendeinem Grund überraschte Integra das. Sie musste an die Schlange denken, die sie mal als Kind im Zoo hatte streicheln dürfen. Sie hatte erwartet, dass die Schlange kalt und glitschig sein würde. Aber sie war warm und trocken. Wie Maxwells Hand.

"Du verschwendest deine Zeit", sagte Integra. "Und meine erst recht." Sie schaute sich höchst interessiert den Pappbecher auf dem Tisch an.

"Ich möchte dir ein Angebot machen", sagte Maxwell.

"Ach", entgegnete Integra, griff mit der freien Hand nach der Zigarrenschachtel und betrachtete sie, als hätte sie noch nie eine Zigarrenschachtel gesehen.

Maxwell fühlte sich ein wenig durch den Eindruck gekränkt, dass es in dieser Zelle offenbar mindestens 48 Dinge gab, die interessanter waren als er.

Integra hatte eine Zigarre aus der Packung befreit und steckte sie sich in den Mund. Eilfertig zückte Maxwell ein kostbares, verschnörkeltes Feuerzeug. Die kleine Flamme schoss direkt vor der Zigarrenspitze empor. Integra wandte den Kopf ab, langte nach ihrem eigenen Feuerzeug und zündete sich die Zigarre an. Maxwell steckte sein Feuerzeug weg.

Immerhin hatte er, um das Feuerzeug zücken zu können, ihre Hand loslassen müssen. Integra war erleichtert - jedenfalls so lange, bis seine Hand auf ihrem Knie landete.
 

Im Schatten riss ein gewisser Jemand seine blutroten (empörten) Augen auf.
 

"Also", begann Maxwell pompös, "dass wir alle zusammenkämpfen gegen Vampire - quasi dass wir uns vereinen im Kampf gegen den Vampirismus - das war mal deine Idee, vor... na, sieben Jahren. Erinnerst du dich? Integra?"

"Dunkel", sagte sie kühl. "Diese merkwürdige Formulierung", ergänzte Integra, "ist übrigens allein auf deinem Mist gewachsen. Außerdem halte ich mittlerweile absolut nichts mehr von dieser Idee."

Maxwell lächelte. (Verdammt, dieses Weib musste jemand in der Antarktis direkt aus einem Eisberg gehauen haben! Aber wart's ab, Verehrteste...)

"Überleg es dir", sagte Maxwell. "Ich habe vor, bei deinem Prozess ein paar Aussagen vor Gericht machen zu lassen. Du musst wissen, Anderson war vor Ort, als diese merkwürdige Aktion am Bloody Tower stattfand. Er wird sich als Zeuge melden. Und das Gericht wird einen ehrwürdigen Priester..."

"Ehrwürdig! Anderson!" brach es aus Integra heraus.

"Iscariot ist eine einflussreiche Organisation.. Du solltest uns nie - wirklich nie - unterschätzen, Verehrteste."

"Was willst du, Maxwell?"

"Dir helfen. Dir und deiner armen, gebeutelten Organisation. Sei einfach ein bisschen... kooperativ." Die schwer beringten Finger wanderten von ihrem Knie Richtung Oberschenkel.

"Wie hab ich das zu verstehen?" Integra bemühte sich um einen sachlichen Ton, klang aber ein bisschen angestrengt.

"Nun, auch wir bekämpfen den Vampirismus und all seine unerfreulichen Begleiterscheinungen. Aber - zugegeben - ihr, Hellsing, seid uns im technologischen Bereich voraus..."

"Ja, da auch...", stimmte Integra zu.

"Nur da!" fauchte Maxwell. "Wir", er schlug sich mit der Hand gegen das silberne Kreuz, das an einer dünnen Kette vor seiner Brust baumelte, "die 13. Kongregation des Vatikans, die Division Iscariot, wir haben schon gegen Untote, Besessene und Ghouls gekämpft, als dein Ururur-wasweißich-Opa noch durch die Karpaten gestolpert ist und seinen ersten - und soweit ich weiß - einzigen Vampir dressiert hat!"
 

Alucard, im Schatten, fletschte die Zähne. Am liebsten hätte er diesem Iscariot-Schnösel den eigenen silberblonden Zopf ins Maul gestopft.
 

"Aber... wir wollen nicht streiten", Maxwell hatte wieder in seine Maske aus frettchenhaftem Charme zurückgefunden. Seine Hand an Integras Bein glitt höher. Sie atmete hörbar durch die Nase ein. Maxwells Mundwinkel zuckten. Das hatte bestimmt noch niemand bei ihr gewagt. Madonna santissima, wie fest dieser Oberschenkel war, so durchtrainiert... Halt, erst musste er sich auf den Text konzentrieren, den er sich auf der Fahrt vom Vatikan nach London ausgedacht hatte.

Um sich besser konzentrieren zu können, rückte er noch näher an sie ran. Sie spürte seinen Atem an ihrem Hals, an ihrem Ohr. "Was mir vorschwebt", flüsterte er, "ist eine... gegenseitige Durchdringung... unserer Organisationen. Ich glaube, das würde uns beide sehr... sehr zufrieden stellen..."

'Ist mir schlecht', dachte Integra.

"Hellsing", fuhr Maxwell fort, "könnte, nach einigen Umstrukturierungen, Bestandteil von Iscariot werden. Ihr könntet weiterarbeiten und wir profitieren von euren Kenntnissen, und können eure Geräte und Technologien mitbenutzen..."
 

'So', dachte Alucard, 'und die Leiterin der Hellsing-Organisation würdest du wahrscheinlich auch gerne "mitbenutzen". Hundesohn, dämlicher.'
 

"Ihr wollt mit uns zusammenarbeiten?" fragte Integra verblüfft.

"Ja!" sagte Maxwell, seine Lippen dicht an ihrem Mundwinkel.

"Lüge!" schrie Integra ihm ins Gesicht. Maxwell zuckte erschrocken zurück.

"Enrico Maxwell", zischte Integra, "sobald du meine Organisation hast, wirst du mich umbringen lassen."

"Aber, aber, Verehrteste", säuselte Maxwell, "dieser Verdacht trifft mich fürwahr tief, und ich meine, eine Entschuldigung wäre hier angebracht."

"Dann erzähl mir, was ihr mit mir vorhabt."

"Dir wird nichts passieren", beteuerte Maxwell. "Und diesem... deinem... ähm... Butler auch nicht. Ihr bekommt gute Posten, keine Sorge. Verantwortungsvoll und so. Und dein Butler freut sich doch sowieso bestimmt schon auf die Pensionierung, oder?

"Und Alucard? Und Seras?"

"Naja", Maxwell lächelte gewinnend. (OK - er hat es jedenfalls versucht...). "Da wird die Sache schon schwieriger. Dein halb-domestizierter Nosferatu (im Schatten knirschte ein rotäugiger Jemand sehr mit den Zähnen...) ist ein Risiko. Wir können nicht verantworten, dass er uns aus dem Ruder läuft. Anderson ist da kooperativer, (oh, Maxwell hat ein neues Lieblingswort...) er kann sogar nebenbei als Priester tätig sein - geschickte Tarnung, nicht wahr?

Naja, dieses Mädchen - wie heißt die noch gleich, Sara? - kann ja erst mal bleiben. Sie bekommt eine faire Chance."

(Eine Vampirin - Maxwell fand das interessant. Riskant, aber interessant. Könnte einen gewissen Kick haben... Obwohl sie ihn wahrscheinlich nicht so reizen würde, wie dieser blauäugige Eisberg, da direkt neben ihm... Maxwell begann ihren Oberschenkel zu kneten, es fiel ihm zunehmend schwerer, ruhig zu atmen.)
 

'Ich bring ihn um, ich bring ihn um, ich bring ihn um, ich bring ihn um, ich bring ihn um...', dachte Jemand mit blutroten Augen im Schatten der Gefängniszelle.
 

Aber Alucard wollte sehen, wie Integra reagierte...

Er kannte sie genau und konnte ihre verborgenen Reaktionen mit der Präzision eines Mikrometers in jeder Situation fühlen - und er spürte, dass sie innerlich brodelte.

Integra nahm einen Zug aus ihrer Zigarre und sah Maxwell an. Betrachtete ihn, wie sie ein Bakterium unter einem Mikroskop betrachtet hätte.

Er hatte bemerkenswert grüne Augen. Seine Stimme war nicht unangenehm, klang aber immer etwas affektiert. Er hatte glatte Haut, sinnliche Lippen, Haare, um die ihn manche Frau beneidet hätte und eine gute Figur. Integra konnte sich vorstellen, dass manche... Menschen ihn attraktiv fanden. Im Grunde war es also gar nicht übel, eine Frau zu sein, die von Enrico Maxwell begehrt wurde.

Aber viel besser war es, eine Frau zu sein, die Enrico Maxwell sehr gelassen ansah und ihm ins Gesicht sagte: "Maxwell, du widerst mich an."

Maxwell blinzelte bestürzt. DAS wiederum hatte bei ihm noch keine gewagt. Aber Integra war noch nicht fertig:

"Deine gegenseitige Durchdringung kannst du dir sonst wohin stecken. Ich werde Hellsing nicht in deine schmierigen Finger geben. Niemals!"

Besagte Finger hatten mittlerweile definitiv den Strafraum erreicht. Integra nahm noch einen genussvollen Zug, blies Maxwell den Zigarrenqualm ins Gesicht und drückte die Zigarre auf seinem Handrücken aus.

Maxwell sprang brüllend auf und wedelte seine Hand durch die Luft. Dann gab er einen ausführlichen, lauten, detaillierten, italienischen Gefühlsausbruch zum besten. Zum Schluss wechselte er wieder ins Englische, damit Integra genau verstand, was er jetzt von ihr hielt:

"Du verfluchtes, frigides Protestanten-Miststück!"

Alucard, im Schatten, wurde von lautlosem Gelächter geschüttelt.

Integra legte den Zigarrenstummel sorgfältig in den Aschenbecher, erhob sich und hämmerte an die Zellentür. Sofort öffnete sich die Klappe in der Zellentür, die obere Gesichtshälfte einer Wache erschien wieder. "Ja, bitte?"

Integra deutete auf Maxwell, der noch immer fluchend seine Hand tätschelte. "Der Herr möchte gehen."

Mit wutverzerrtem Gesicht verließ Maxwell die Zelle. "Wir sehen uns wieder", fauchte er Integra zu.

"Ja", sie nickte, "das habe ich befürchtet. Ich hoffe, du erwartest nicht, dass ich mir bis dahin das Rauchen abgewöhnt habe." Sie schmiss ihm seinen Mantel hinterher.

Die Zellentür fiel krachend zu.

Integra stemmte die Fäuste in ihre Hüften und atmete einige Male tief durch. Alucard lauschte verzückt; er liebte es, sie so atmen zu hören.

Dann drehte sie sich zu ihm um.

"Und - wie war ich?" fragte sie zynisch.

Alucard zuckte leicht zusammen. Schon wieder hatte sie ihn bemerkt, als er eigentlich unbemerkt bleiben wollte. In letzter Zeit häufte sich das unangenehm...

Memories I - The Midnight-Musketeers

^___^ Maxwells Auftritt ist gut bei euch angekommen, klasse!!! Ganz herzlichen Dank für eure Kommentare!! (Hat mir selbst auch viel Spaß gemacht, das Maxwell-Kapitel!!! Hähä...) Der gute Maxwell ist jetzt erst mal wieder zutiefst beleidigt in den Vatikan abgedampft, aber keine Sorge - den haben wir nicht zum letzten Mal gesehen. Er wird in dieser Geschichte noch den einen oder anderen Auftritt haben.
 

So - und nun hätten wir also eines der (von mir bereits mehrfach angedrohten) humorfreien Kapitel. (Ja, die Kategorie "Drama" muss ja auch mal bedient werden... Bedenkt - zuerst war die gesamte Geschichte als "Drama" konzipiert.)

Keine Comedy-Elemente also - dafür hat sich eine (sehr dezente) Andeutung von Shonen-ai eingeschlichen... O_O

Kennt ihr das, wenn die Figuren in einer Geschichte, die ihr schreibt, plötzlich eigene Wege gehen?

Ich schwöre o_ov - als ich anfing, dieses Kapitel zu schreiben, hab ich an so etwas nicht im entferntesten gedacht. Aber - die Wege einer Fanfiction sind unergründlich...

Nun, mit diesem Paar hat, glaube ich, noch keiner gerechnet - ich auch nicht! Zuerst war ich von meiner eigenen Idee entsetzt; aber je länger ich darüber nachdenke, umso plausibler erscheint mir das ganze.

PS. Sorry - dieses Kapitel ist länger geworden, als beabsichtigt... >_< (Ich hoffe, ihr haltet tapfer durch...)

Entschuldigt bitte die Abwesenheit von Humor (der hatte anderswo zu tun...) - aber dieses Kapitel ist recht wichtig für den weiteren Story-Verlauf.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Walter überquerte die Schachbrettmuster-Fliesen im großen Arbeitszimmer, zog die schweren Vorhänge auf, öffnete die hohen, riesigen Fensterflügel und ließ Sonnenlicht und Luft hinein. Tief atmete er die frische Luft ein. Integra würde alles zu ihrer Zufriedenheit vorfinden.

Alle aktuell anfallenden Dinge waren erledigt oder entsprechend delegiert. Walter hatte alles unter Kontrolle; die Organisation lief zur Zeit auf Sparflamme, aber sie lief. Sobald der Prozess vorüber war, würde alles wieder seinen gewohnten Gang gehen. In bestimmten Bereichen könnten einige Innovationen sogar bewirken, dass manches noch besser liefe als in der jüngeren Vergangenheit. Der Prozess würde übermorgen beginnen.

Walter wandte sich vom offenen Fenster ab und blieb vor dem Porträt von Sir Arthur Hellsing stehen.

"Übermorgen wird sie wieder hier sein. Du wirst sehen", sagte er zu dem Bildnis, "alles wird gut werden. Du kannst dich auf uns verlassen." Er deutete eine kleine Verbeugung an.
 

Dann staubte Walter den großen Arbeitstisch ab, ohne zu wissen, dass vor vielen Jahren genau an diesem Tisch die Hellsing-Organisation in ihrer jetzigen Form gegründet worden war.

Damals hatte Sir Abraham Hellsing (Integras Großvater) seine beiden Söhne - Arthur (Integras Vater) und Richard (Integras Onkel) - zu sich gerufen.

Sir Abraham hatte beschlossen, die Zahl der "Hellsing-Mitarbeiter" deutlich aufzustocken, eine richtige kleine Armee aufzubauen. Es mangelte nicht an fähigen Bewerbern, allerdings hatte es zuweilen Probleme damit gegeben, den neuen Rekruten die Ziele der Hellsing-Organisation klarzumachen. Wenn ihnen nach einigen Monaten und zahllosen Tests die wahren Ziel der Organisation - sehr schonend - erklärt wurden, reichten viele die sofortige Kündigung ein. Wobei sie sich meistens in sehr deutlichen Worten über Sir Abrahams Geisteszustand äußerten und ankündigten, diese "beispiellose Verhöhnung" an die Presse weiterzugeben.

Sicher, die Labore unten im Keller des Hellsing-Anwesens - besonders die Unterabteilung "Gehirnwäsche" - leisteten gute Arbeit. Die Rekruten, die dort in Behandlung waren, erinnerten sich hinterher nicht einmal an den Namen Hellsing. Sie hatten ein, zwei Tage lang einen leichten Kopfdruck, aber danach waren sie wieder ganz die Alten. Trotzdem wünschte Sir Abraham, dass dieses "Verfahren" nur in Ausnahme-Situationen in Kraft treten sollte. Zumal er nicht wusste, ob er sich wiederum 100%ig auf die Ärzte in seinen Laboratorien verlassen konnte... Es war ein Teufelskreis.

Um dem zu entgehen, hatte sich Sir Abraham - zusammen mit seinem älteren Sohn Arthur - überlegt, wie sie an neue Rekruten kamen; ganz junge Männer sollten es sein, fast noch Kinder, die in die Organisation "hineinwachsen" und sich so völlig mit ihr identifizierten sollten.

Sir Abraham plante, einem nahegelegenen Waisenhaus einen Besuch abzustatten und ca. 30 Jungen mitzunehmen. Sie sollten auf dem riesigen Hellsing-Gelände in neu gebauten Häusern wohnen, betreut werden und ganz normal zur Schule gehen. Spätnachmittags und abends sollten sie ihre Ausbildung erhalten.

Richard fand die Idee bescheuert. Aber Sir Abraham und Arthur hatten nichts anderes von ihm erwartet. Wahrscheinlich war er einfach noch zu jung für derartige Überlegungen.

~

Die Jungen des Waisenhauses hatten sich in vier langen Reihen auf dem großen Hof ihres Heims aufgestellt. Sir Abraham, sein Sohn Arthur und zwei Hellsing-Mitarbeiter saßen an einem kleinen Tisch. Die Jungen mussten einzeln vortreten und einige Fragen beantworten.
 

Ganz hinten in der letzten Reihe stand ein kleiner Junge. Er sah aus, wie aus dem Altkleidersack gezogen. Seine Kleidung war zerknüllt, er selbst war blass, sein dichtes, schwarzes Harr war stumpf und zerzaust. Apathisch betrachtete er, was weiter vorne vor sich ging. Ein Mann (ein Sir sogar!), ein blonder Junge (sein Sohn offensichtlich) und zwei uniformierte Mitarbeiter waren da. Sie stellten Fragen - manche Jungen gingen nach der Befragung weg, einige durften sich links auf das Rasenstück setzen und warteten offensichtlich auf weitere Tests. Es schien um irgendwas militärisches zu gehen. Vor ein paar Wochen hätte ihn das brennend interessiert. Aber jetzt war sowieso alles zu spät.

Er betrachtete sich in der Regenpfütze, in der er stand. Er wusste, was diese Männer und der blonde Junge sofort von ihm denken mussten: Kränklich, scheu, viel zu klein für sein Alter, schmächtig, mickrig, zu nichts zu gebrauchen.

Wenn sie ihn trotzdem etwas fragen sollten... er wusste gar nicht, ob er antworten konnte, ob seine Stimme überhaupt noch da war. Er hatte seit Wochen nichts mehr gesagt.

Denn - mit wem sollte er sprechen? Warum sollte er sprechen?
 

Arthur Hellsing betrachtete die Jungen, die vor ihnen auf dem Innenhof des Waisenhauses standen und war entsetzt. So viele leere, traurige Gesichter. Ganz besonders der kleine Dunkelhaarige, dort hinten. Die Jungen waren alle ungefähr so alt wie er selbst - fast 14 - aber dieser Junge wirkte viel jünger - ein Junge der aussah, als würde er jeden Tag geschlagen werden und der schon nicht mehr weiß, wie er sich benehmen soll und sich immer nur duckt und kriecht.
 

Der hellblonde Junge hatte ihm zugelächelt. Er sah so gepflegt und zufrieden aus. Der kleine dunkelhaarige Junge schluckte. Das war seine Chance, hier weg zu kommen, seine letzte Chance... Vor ihm waren nur noch fünf andere Jungen.
 

Sir Abraham Hellsing blätterte in seinen Unterlagen.

"Meine Güte, das sind ja jetzt schon über 50. Ich glaube, das reicht als Vorauswahl - die Sport-Tests werden ja so schon den ganzen Nachmittag dauern."

"Wie Sie wünschen", sagte ein Mitarbeiter des Waisenhauses, "Die Bengel, die jetzt noch kommen, können Sie ohnehin vergessen."
 

,Also gut', dachte der dunkelhaarige Junge, 'bei den Sporttests hätte ich sowieso versagt. Es soll wohl so sein.' Er wandte sich ab und ging fort. Er humpelte.

Arthur sah ihm nach. Der arme Kerl tat ihm leid. Arthur hatte ein schlechtes Gewissen, wenn er an sein Leben in Hellsing-Manor dachte. Die größten Unannehmlichkeiten in seinem Leben waren die Auseinandersetzungen mit seinem idiotischen Bruder Richard.

Kurz darauf begannen die Sport-Tests. Der dunkelhaarige Junge saß auf der kleinen hölzernen Tribüne am Rand des Sportfeldes und sah zu.

Wenig später wurden sogar Zielscheiben aufgebaut! Die bisher ausgewählten Jungen sollten also auch noch schießen! Die Jungen hatten sich um Sir Hellsing versammelt und konnten den Beginn dieser Übung kaum erwarten.

"Arthur", sagte Sir Hellsing zu seinem Sohn, "wie wär's mit einer kleinen Vorführung?"

Arthur nickte und rannte los, um seine Pistole zu holen. Er war ein exzellenter Schütze - die Jungen würde staunen, was er drauf hatte! Sein Pistolenkoffer lag im Bentley seines Vaters. Er holte den kleinen Waffenkoffer, öffnete ihn, als er an der hölzernen Tribüne vorbeikam - und ächzte entsetzt.

Natürlich - er hatte in letzter Zeit kleine Probleme gehabt, darum war die Waffe gerade gestern von Grund auf durchgecheckt worden. Sie lag im Koffer - ordentlich in ihre Einzelteile zerlegt. Arthur war ein fabelhafter Schütze - aber er hatte - aus purer Bequemlichkeit - nie gelernt, seine Waffe auseinander zu nehmen und wieder zusammenzusetzen. Das machte Curtis, der Butler.

Sein Vater hatte ihn schon so oft ermahnt, ja angeschrieen, das endlich zu lernen. Bei der letzten Auseinandersetzung hatte es sogar eine Ohrfeige gesetzt (die erste in Arthurs Leben) und eine Woche später hatte Arthur seinem Vater hoch und heilig geschworen, er könne das jetzt.

Was leider gelogen war. Er wagte nicht daran zu denken, was gleich auf dem Sportfeld, vor all diesen Jungen, los sein würde, wenn er damit rausrückte, dass er immer noch nicht in der Lage war, seine eigene Waffe zusammenzusetzen.

Ratlos stellte er den Waffenkoffer auf die hölzerne Bank und ratlos setzte er sich daneben.

Erst jetzt bemerkte er, dass drei Meter weiter der kleine dunkelhaarige Junge von vorhin saß und ihn fragend ansah.

"Hi", Arthur schickte ein missglücktes Grinsen zu ihm rüber. "Du weißt nicht zufällig, wie man ein Gewehr zusammensetzt? Ich bin voll erledigt..."

Der dunkelhaarige Junge rückte näher. Er warf einen Blick in den Waffenkoffer. Er hatte noch nie ein Gewehr in der Hand gehabt. Aber eigentlich... sah das alles ganz logisch aus... Wie eine Art Puzzle. Vielleicht... könnte dieses "Puzzle" sein Leben retten. Er griff in den Waffenkoffer. Keine halbe Minute später lag die perfekt zusammengesetzte Waffe auf seinen Handflächen. Strahlend hielt er sie Arthur hin.
 

Zum Dank für das Gewehr-Zusammenlegen überredete Arthur seinen Vater, den dunkelhaarigen Jungen auch mal schießen zu lassen. Er machte das so ausgezeichnet, dass Sir Abraham sich breitschlagen ließ, ihn auch die Sport-Tests nachholen zu lassen.

In der Mittagspause saßen Arthur und der dunkelhaarige Junge zusammen in der Junisonne auf dem Rasen und aßen etwas. Der Junge versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber er war völlig ausgehungert. Als Arthur ihm von seinem Essen abgeben wollte, lehnte er jedoch ab. Erst als Arthur sagte, er sei absolut satt, also wirklich, und es wäre doch schade, das Essen wegzuwerfen, nahm er es an.

Arthur beobachtete ihn betroffen. Er wusste nicht, was Hunger und Verzweiflung sind, aber dieser Junge wusste das. Trotzdem war er nett, zuweilen sogar witzig. Er sagte nicht viel, aber das war auch nicht nötig. Arthur und er verstanden sich ohne viel Worte, als würden sie sich seit Jahren kennen.

Doch Arthur bemerkte noch etwas anderes - eine Gruppe von vier Jungen. Sie waren bei der Befragung vorhin gleich in der ersten Runde rausgeflogen, weil sie seinem Vater nur idiotische, unverschämte und indiskutable Antworten gegeben hatten. Sie schlichen um Arthur und den dunkelhaarigen Jungen herum. Arthur bekam eine Gänsehaut, wenn er in ihre Gesichter sah. Er spürte, dass allein seine Gegenwart sie daran hinderte, dem dunkelhaarigen Jungen etwas zu tun.

"Was wollen die von dir?" fragte Arthur.

"Mich umbringen", antwortete der Junge schlicht.

"Was!?... Warum?" fragte Arthur bestürzt.

"Weil sie sich's vorgenommen haben. Sie finden das lustig. Sie sind, glaub ich, Sadisten." Der Junge runzelte die Stirn. "Ich hab von so was mal gelesen. Ich darf mir aussuchen, ob sie mich im Klo ertränken, mir Gabeln und Messer zu fressen geben oder mich am Fahnenmast aufhängen. Ich glaube, die Sache mit dem Fahnenmast würde ihnen am besten gefallen."

"Hör mal, du veralberst mich, oder?" sagte Arthur. Der Junge schüttelte den Kopf.

"Der eine von ihnen hat schon mal einem Jungen mit einer Heckenschere..."

"Nein!" sagte Arthur. "Du wirst nicht hier bleiben. Auf keinen Fall!"
 

Nach dem Mittagessen musste er sich für den Sport-Test umziehen. Da die vier Jungen wieder in der Nähe rumhingen, begleitete Arthur ihn in die Umkleidekabine. Arthur stellte sich auf eine der Bänke und schaute aus den hochgelegenen, schmalen Fenstern.

"Ist Sir Abraham dein Vater?" fragte der dunkelhaarige Junge, während er sich umzog.

"Ja." Arthur wandte sich um.

"Das sieht man. Ihr seht euch absolut ähnlich; die hellen Haare und so", sagte der andere.

"Ja...", sagte Arthur wie betäubt. Der dunkelhaarige Junge hatte ihm den Rücken zugewandt. Entsetzt starrte Arthur auf den mageren Körper, der übersät war mit Prellungen, Striemen, Abschürfungen und entzündeten Wunden.
 

Bei den Sport-Tests schnitt er nicht gut ab.

'Kein Wunder', dachte Arthur, 'bei dem zerschundenen Körper...'

Als Sir Abraham die 30 Jungen auswählte, die er zur Hellsing-Organisation mitnehmen wollte, war der kleine Dunkelhaarige nicht dabei.

Der Junge schaute zu Boden, der Blick so apathisch wie am Anfang. Er sah aus, als hätte er genau die Hiobsbotschaft gehört, die er erwartet hatte. Vorbei... Und er war so dicht dran gewesen...
 

"Vater", sagte Arthur zu Sir Abraham, "er kommt mit uns."

"Arthur", Sir Abraham legte seine Hand auf die Schulter seines Sohnes und führte ihn ein paar Meter weit weg. "Sieh ihn dir an. Klein und schwach. Der Junge sieht... krank aus."

"Sieh DU ihn dir an, nachdem er vier Wochen lang endlich wieder vernünftig was gegessen hat", erwiderte Arthur heftig. "Bitte. Ich glaube, er ist unglaublich geschickt mit technischen Dingen. Gib ihm eine Chance. Was hast du denn zu verlieren?"

Abraham betrachtete seinen Sohn nachdenklich. So hatte er Arthur noch nie erlebt. Widerworte und trotziges mit-dem-Fuß-aufstampfen waren eigentlich Richards Gebiet.

"30 Jungs sind mit dem Bus auf dem Weg zu unserem Anwesen. In den fertiggestellten Gebäuden ist für genau 30 Jungen Platz..."

"Er kann in Hellsing-Manor wohnen, wir haben genug Zimmer frei. Bitte Vater, nimm ihn mit. Auf meine Verantwortung." Sie sahen sich einen Moment schweigend an. Dann wandte sich Sir Abraham ab.
 

Direkt vor dem dunkelhaarigen Jungen blieb Sir Abraham Hellsing stehen.

"Junger Mann", sagte er, "pack deine Habseligkeiten zusammen, du fährst mit uns. Ich habe noch nie erlebt, dass mein Sohn sich so sehr für jemanden ins Zeug gelegt hat. Ich erwarte einiges von dir."

Der Junge stand kerzengerade und blickte Sir Abraham ernst an.

"Ich werde sie nicht enttäuschen. Sir!" Er hatte eine angenehme Stimme. Leise, aber fest.

"Wie heißt du eigentlich?" fragte Sir Abraham.

"Walter, Sir. Walter Cum Dollneazz."
 

Und so war es - Walter enttäuschte Abraham und Arthur Hellsing nicht.

Im Gegenteil; innerhalb kürzester Zeit hatte er sämtliche Erwartungen übertroffen. Der Junge war hoch intelligent und ein Naturtalent was technische Dinge betraf; er konnte formen, schleifen, schweißen, fräsen, Gewinde schneiden, schmieden, plattieren, hartlöten, bohren und vor allem - konstruieren.

Nachdem er sich erholt hatte und wieder ganz gesund war, zeigte sich, dass Walter zudem geschmeidig und gewandt war wie eine Raubkatze. Sir Abraham sorgte dafür, dass er eine besondere Ausbildung erhielt.

Alles was Walter tat, tat er mit einer 110%igen Präzision. Außerdem war er ein freundlicher, angenehmer Mensch. Sir Abraham wünschte, sein Sohn Richard hätte nur ein paar der Eigenschaften, die Walter hatte. Manchmal dachte er sogar daran, Walter zu adoptieren.

In dem Falle wäre Richard jedoch durchgedreht und hätte dem armen Walter das Leben zur Hölle gemacht.

Darum wurde er der Nachfolger des alten Butlers Curtis. So konnte Walter immer ganz selbstverständlich in der Nähe von Sir Abraham und Arthur sein - sogar bei den Sitzungen der Knights of the round table - zumindest bei denen, die in Hellsing Manor stattfanden, und das waren die meisten.

~

Fünf Jahre später.

Sir Abraham stand am Fenster seines Arbeitszimmers (das in vielen Jahren Integras Arbeitszimmer sein würde) und blickte hinaus. Arthur und Walter waren allein auf dem Truppenübungsplatz und testeten eine Waffe, die Walter konstruiert hatte.

Sie funktionierte einwandfrei - alles andere hätte Sir Abraham sehr gewundert.
 

Walter war glücklich. Er hatte bei der Hellsing-Organisation ein Zuhause und seine Bestimmung gefunden. Und in Arthur hatte er einen Freund gefunden. (Und mehr, als nur das.)
 

Sir Abraham betrachtete die beiden jungen Männer vom Fenster aus - die zwei hätten rein äußerlich nicht gegensätzlicher sein können. Sein Sohn Arthur hatte schulterlange, glatte, weißblonde Haare, die ihm grundsätzlich ins Gesicht fielen. Arthur war ständig damit beschäftigt, sich die Haare mit beiden Händen hinter die Ohren zu schieben. (Eine Handbewegung, die Sir Abraham noch den letzten Nerv kosten würde! Irgendwann, irgendwann würde er dem Jungen die Haare eigenhändig kurz scheren!) Arthur hatte eine Vorliebe für Schlaghosen, Turnschuhe und weite, merkwürdig gemusterte Hemden. (Irgendwann, irgendwann würde Sir Abraham ihn anständig einkleiden!)

Walters Haar war dicht, schwarz und wirkte, obwohl es ebenfalls alles andere war als "kurz geschoren", immer ordentlich. Außerdem trug er stets jene Kleidung, die Arthur die "Butler-Kluft" nannte; schwarze Hose, weißes Hemd, Weste und (perfekt gebundene) Krawatte. Dazu schwarze Schuhe, die so penibel geputzt waren, dass man sich in ihnen spiegeln konnte.
 

Sir Abraham am Fenster lächelte.

Der Tag, an dem Arthur die Leitung der Hellsing-Organisation übernehmen würde, rückte näher. Er würde es natürlich schaffen, keine Frage, aber Sir Abraham hätte es sehr beruhigend gefunden, wenn Arthur... Unterstützung haben würde - und auf Richard konnte man nicht zählen. So leid es ihm tat - Sir Abraham hatte nicht das geringste Vertrauen in seinen jüngeren Sohn. Arthur hingegen war verantwortungsvoll und hatte all das, was Hellsing ausmachte, vollkommen verinnerlicht. Allerdings war er manchmal ein wenig zögerlich, fast ängstlich. Doch mit Walter an seiner Seite würde es gehen. Der Junge verfügte über ein immenses Knowhow; er war nicht nur der hervorragendste Kämpfer der Hellsing-Truppe sondern verfügte über ein Spezial-Wissen wie kein zweiter. Sir Abraham war froh, dass die beiden sich so nah standen. (Wenn er auch nicht ahnte, WIE nah...)
 

Allerdings kannten Arthur und Walter noch immer nicht "die Geheimwaffe" der Hellsings.

Doch die Zeit war reif. Sir Abraham ließ die beiden zu sich rufen.
 

Wenig später folgten Arthur und Walter Sir Abraham durch enge Kellergänge. Arthur und Walter betrachteten schweigend die dicken Mauern, die im diffusen Licht grünlich wirkten. Von diesen Gewölben hatten beide bislang nichts geahnt. Bis auf das Geräusch ihrer Schritte war es absolut still. Totenstill.

"Ich begreif nicht, was das hier werden soll", sagte Arthur. Seine Stimme klang in den stillen Gewölben unangemessen laut.

"Ich möchte euch jemanden vorstellen", antwortete Sir Abraham. Er lachte leise. "Ja, genaugenommen besuchen wir unseren besten Mitarbeiter."

"Ach", Arthur lachte nervös, "und der wohnt hier im Keller?"

"Genau", antwortete sein Vater. Walter wölbte eine Augenbraue. Er hatte seit längerem so eine Vermutung, dass...

"Jetzt mal im Ernst", sagte Arthur, "Was hat das zu bedeuten?"

"Nun", erwiderte Sir Abraham geduldig, "ich habe euch von unserem Urahnen erzählt."

Arthur und Walter nickten. Wenn Sir Abraham von DEM Urahnen sprach, war klar, welchen Hellsing-Urahn er meinte...

"Er hat sich seinerzeit einen Vampir dienstbar gemacht. Und zwar nicht irgendeinen Vampir, sondern..."

"Was?!" unterbrach ihn Arthur: "Du willst damit jetzt nicht sagen, dass wir diesen Vampir immer noch... immer noch haben?"

Sir Abraham lächelte nur.

"Das ist nicht wahr", stammelte Arthur fassungslos. "Du kämpfst mit einem Vampir - gegen Vampire?"

Sir Abraham nickte. "Gift gegen Gift."
 

Alucard saß auf einem Stuhl in seinem Kellerraum. Seine Füße hatte er mitsamt der schweren Stiefel auf den Tisch gelegt. Er wusste, dass er Besuch erhalten würde, und hatte den Raum entsprechend "vorbereitet". Kerzen flackerten in den Haltern an den Wänden. Er trug eine schlichte, schwarze Hose und ein helles, gerüschtes Hemd mit weiten Ärmeln, es stammte aus dem 18. Jahrhundert. Aus einer sentimentalen Laune heraus hegte und bewahrte er dieses Hemd. Ansonsten trug er lieber Rot. (Das passte einfach furchtbar gut zu seinen Augen...(Nein, Alucard ist NICHT eitel. Alucard doch nicht!! (...))

Seine nachtschwarzen Haare trug er an diesem Abend lang.

'Da seid ihr ja', dachte Alucard. Eine halbe Minute später klopfte es an die Tür und seine Besucher traten ein. Alucard blieb sitzen und betrachtete sie.

Sein Meister. Mit seinen beiden Grünschnäbeln. Oh hell, wie hießen die noch gleich - Arthur und Richard? Halt - der dunkelhaarige Bengel war kein Hellsing, das spürte Alucard. Vielleicht hatte Sir Abrahams Frau ihn betrogen und nun trug ein Kuckucks-Ei den Namen Hellsing... Alucard fand das höllisch komisch und grinste.

Die beiden jungen Männer waren in den Raum getreten und erblickten Alucard... O_O

Ein rascher Blick von Sir Abraham erstickte den Ausruf, zu dem Arthur schon Luft geholt hatte. Arthur und Walter starrten Alucard an - die Stiefel auf dem Tisch (er ließ sich nicht dazu herab, aufzustehen, um seine Besucher zu begrüßen), die pechschwarzen Haare, die blasse Haut, die roten Augen (ein... Vampir eben...), das höhnische Grinsen (spitze, sehr spitze, lange Eckzähne...).

Die Blicke der beiden wanderten weiter - von den flackernden Kerzen, zum Weinglas mit der roten Flüssigkeit (die nicht nach Wein aussah...) bis hin zu seinem Sarg, der offen in der Ecke stand...

"Nun", begann Sir Abraham, "das ist Alucard..."

"Für das junge Gemüse Meister Alucard", bemerkte der Vampir. Seine dunkle Stimme war nicht wirklich unangenehm - in Arthurs Ohren klang sie jedoch irgendwie nach Gruft.

"Das ist Arthur, mein ältester Sohn und Nachfolger." Sir Abraham schob Arthur sanft, aber bestimmt an den Schultern ein Stück nach vorn. Alles in Arthur sträubte sich dagegen, sich dem Vampir zu nähern. Sir Abraham räusperte sich ungehalten. Arthur ging widerwillig zwei Schritte vor und Alucard nahm die Füße vom Tisch und erhob sich träge.

"Na, Sir Hellsing in spe?" sagte Alucard und betrachtete seinen zukünftigen Meister. Arthur nickte ihm unbehaglich zu. Alucard spürte, dass er Angst vor ihm hatte. Das versprach interessant zu werden... Er grinste noch breiter. Arthur wich dem Blick der blutroten Augen aus. Stille.

Sir Abraham runzelte die Stirn. Er würde sowohl mit Arthur wie auch mit Alucard noch ein ernstes (ein sehr ernstes!) Wort reden müssen...

"Und das", fuhr Sir Abraham fort, "ist Walter - unser... zweitbester Mitarbeiter."

Alucard wandte sich zu dem anderen Jungen um. Aha, er sah Respekt, aber definitiv keine Angst.

"Guten Abend, Meister Alucard." Oh, und so höflich. Walter streckte ihm die Hand entgegen.

Alucard betrachtete die Hand. Wann hatte er zuletzt jemandem die Hand geschüttelt... Vor 100 Jahren? 200, so um den Dreh? Eine ungewohnte Geste für den No Life King.

Walters quecksilberfarbene Augen betrachteten Alucard - freundlich, interessiert und absolut ruhig. "Hallo, Walter", sagte Alucard und schüttelte ihm die Hand.
 

Die Jahre vergingen. Arthur - mittlerweile Sir Hellsing - lernte, mit Alucard umzugehen.

Die Hellsing-Organisation - inzwischen ausgestattet mit der vollen (wenn auch geheimen) Unterstützung der Queen - arbeitete höchst effektiv und erzielte denkwürdige Erfolge.

Erfolg - das bedeutete nicht nur "erfolgreicher Kampf gegen Ghouls etc." sondern auch gerade die Geheimhaltung derartiger "Vorkommnisse und deren Eliminierung".

An der Spitze der Organisation befand sich ein bemerkenswertes Dreigespann: Sir Arthur Hellsing, Walter (der in den Reihen der Ghouls seinem "Künstlernamen" Angel of Death alle Ehre machte) und Alucard. Die Kämpfe und Erlebnisse dieser drei würden ganze Bücher (ja, Bücherregale!) füllen - aber das ist eine andere Geschichte.

Erwähnt sei nur, dass die drei sich selbst im Scherz (und wenn niemand hinhörte...) "the Midnight-Musketeers" nannten. *g*

Doch die Nächte der drei mitternächtlichen Musketiere waren gezählt...

Der Prozess / The traitor's work

Bevor juristisch versierte Personen auf die Barrikaden gehen - ich gestehe, ich habe nicht viel Ahnung von juristischen Prozeduren und von juristischen Prozeduren in England noch weniger. Für dieses Kapitel solltet ihr ohnehin das logische Denken ausschalten...

Und damit wären wir auch schon beim Thema:

Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid!!!! Aber ich musste sie einfach wiederbeleben.

Ich brauchte unbedingt ein "Feindbild" (neben Anderson und Maxwell) - und ich habe mich irgendwie gescheut, neue zu erfinden. (Ich weiß nicht, ob der Manga ein paar gute "Feindbilder" hergibt - ich kenne bislang nur Band 1 u_u).

Nun... ich habe in dieser Fan-Fiction noch einiges vor, und ich glaube, bei einigen Szenen werdet ihr... werdet ihr mich schon ein bisschen komisch ankucken. Fürchte ich. ^ ^°
 

PS. Auch ich habe mich dafür entschieden, dass Sir Penwood der Verräter ist. Vielleicht tun wir dem Armen furchtbar Unrecht, aber der kommt im Anime schon so unsympathisch rüber und auch im Ultimate Fanguide ist er ein heißer Kandidat für den Posten des Verräters.
 


 

Der Tag der Gerichtsverhandlung.

Integra war nervös. Sie hätte es vor niemandem zugegeben, aber so war es. Sie hatte eine ganz bestimmte Vorstellung - vielmehr eine Hoffnung? - wie der Prozess ablaufen würde. Doch was, wenn diese Hoffnung nicht erfüllt wurde? Spes saepe fallit - Hoffnung täuscht oft. Der erste lateinische Satz, den sie damals gelernt hatte.

Nein, diese Hoffnung würde nicht getäuscht werden.

'Aber der Ruf der Hellsing-Organisation...', dachte Integra.

'...wird er jemals wieder reingewaschen, rehabilitiert werden und ins Vergessen der Massen absinken?' dachte auch Walter.

Denn nur dort - im Vergessen, in der Unauffälligkeit - konnte Hellsing effektiv arbeiten und die Zielsetzungen erfüllen. Trotz aller Geheimhaltungsversuche hatten natürlich sämtliche Nachrichtensendungen und Zeitungen über die Vorfälle im Tower berichtet. Der Name Hellsing geisterte seitdem durch die Medien. Natürlich waren die genauen Fakten und Vorkommnisse nicht an die Öffentlichkeit gelangt - dafür spekulierten die Medien wild drauflos.

Die Meldungen waren allesamt reißerisch, beleidigend und spekulativ und waren von fast jedem im Lande ignoriert worden - bis auf die paar Millionen, die auf beleidigende, reißerische und spekulative Meldungen scharf waren.

Wann immer Walter eine Zeitung aufschlug oder eine Nachrichtensendung einschaltete, hatte er das dringende Bedürfnis, a) die Zeitung zu zerreißen, b) den Fernseher mit ganz bestimmten Drähten zu zersäbeln und c) mehrere Großpackungen Beta-Blocker und blutdrucksenkende Mittel zu sich zu nehmen. (Und es brauchte schon einiges, um Walter aus der Ruhe bringen...)

Er hatte mehrere der teuersten Rechtsanwälte zu Integra geschickt, damit sie deren Verteidigung übernehmen sollten. Aber sie hatte abgelehnt. 'Dieses Mädchen', dachte Walter. 'Eigensinnig und dickschädelig.' Aber im Grunde war er doch irgendwie stolz auf sie...
 

Integra saß im Gerichtssaal. Sie dachte an die Organisation, an ihren Vater, und versuchte sich vorzustellen, wie er sich in dieser Situation verhalten hätte. Er hätte bestimmt Vertrauen gehabt... Also hatte auch sie Vertrauen. Jawohl. Der Prozess KONNTE nur so enden...

Sie nahm den Gerichtssaal, all die Leute um sie herum, kaum wahr. Wollte sie nicht wahrnehmen. Keiner von ihnen verdiente einen Aufenthalt in ihrem Bewusstsein.

Die Zuschauerränge blieben leer. Der Prozess sollte unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Nur einige wenige Menschen saßen dort - immer noch zu viele. Integra wusste nicht, was diese Leute dazu privilegierte, dem Prozess beiwohnen zu dürfen. Auf diese Weise würden natürlich wieder Informationen nach außen dringen.

Integra seufzte innerlich. Am liebsten wäre sie freihändig die Wände hinaufgerannt. Immer und immer wieder hatte ihr Vater insistiert, dass der Name Hellsing niemals in den Medien auftauchen dürfe. Aber nach den Vorkommnissen im Tower hatte sich das nicht verhindern lassen. Walter war im Krankenhaus, die Hellsing-Mitarbeiter in führenden Positionen waren in Verhören gewesen - so konnte Walter die Nachrichtensperre erst einige Tage nach den Vorkommnissen verhängen lassen.

Wieder erschien ein Mann auf der Treppe, die an den Zuschauerrängen hinunterführten. Integra musste so gedankenversunken gewesen sein, dass sie ihn erst jetzt bemerkte. Fast schien es ihr, als habe er sich aus dem Nichts materialisiert. Das war natürlich Unsinn. Diese - zuweilen lästige - Fähigkeit, plötzlich irgendwo aufzutauchen, hatte nur Alucard.

o_O

Integras Blicke wanderten zurück zu dem Mann...

Natürlich. Sie hätte es sich denken können. Dieses Grinsen gab es (zum Glück...) nur einmal weltweit. Integra senkte den Blick und starrte auf die Tischplatte vor sich. Sie wusste nicht, ob sie über seine Anwesenheit gerührt oder ärgerlich sein sollte. Sie runzelte die Stirn. Warum um alles in der Welt hatte er eine derart enge Jeans an... Bequem sah das nicht aus. Die konnte er sich unmöglich selbst ausgesucht haben. Seras wahrscheinlich.

Integra biss sich auf die Unterlippe. Na, spätestens heute nachmittag würde sie zurück in Hellsing Manor sein, und dann ist Schluss mit solchen..., solchen Aktionen, MEINE LIEBE...
 

Alucard hatte sich in die zweite Reihe gesetzt. Integra, die es gewohnt war, dass er sich stets überall hinlümmelte, war erstaunt, wie manierlich er sitzen konnte. Doch jetzt nahte ein Gerichtsdiener. Er beugte sich zu Alucard vor. "Entschuldigung", flüsterte er diskret, "diese Verhandlung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt..."

"Ja, ist das so?" fragte Alucard interessiert. Der Gerichtsdiener blickte in blutrote Augen. Und wusste nicht mehr so recht, was er eigentlich sagen wollte...

"Sie... haben... keine Geneh... Ge... Gehen Sie bitte." Folgsam erhob sich Alucard und ging.

Fünf Sekunden später saß er auf der anderen Seite der Zuschauerränge.

Das Spiel wiederholte sich dreimal. Dann gab der Gerichtsdiener auf. Verließ den Gerichtssaal und ließ sich krankschreiben.
 

Schließlich erfolgte der Aufruf: "Calling criminal action 01-08766-6, Great Britain versus Integra Fairbrooks Wingates-Hellsing."
 

Alucard beobachtete diese Gerichtstypen angewidert. Wie sie mit ihren Talaren und den albernen Perücken herumstolzierten. Dieser eine da widerte ihn besonders an. Schon die Art, wie er Integra Fragen zukläffte. Sie antwortete ruhig, fast etwas einsilbig. Auf ihrem Gesicht der kühle Ausdruck, den sie grundsätzlich als Panzer gegen die Welt aufsetzte.

Etwa zehn Minuten nach Prozessbeginn öffneten sich die Saaltüren erneut. Alucard saß mit dem Rücken zur Tür und konnte daher nicht sehen, wer da kam. Doch an Integras Lächeln erkannte er, dass genau das eintrat, was sie (und Walter (und Alucard selbst auch)) vermutet hatten.

Die beiden Gesandten des Königshauses gingen durch den Mittelgang, bis vor den Richtertisch. Dort überreichte einer von ihnen dem Richter einen Brief, auf dem das Wappen und das Siegel der königlichen Familie prangte. Dann wandten sie sich wieder um, nickten Integra freundlich zu und gingen.
 

Der Richter öffnete den Brief. Seine Augenbrauen wanderten mit jedem Satz, den er las, höher, bis sie ganz unter dem Perückenansatz verschwunden waren. Dann stand er auf, räusperte sich und wandte sich an die Anwesenden.
 

Auf Veranlassung der Queen wurden alle Untersuchungen gegen die Hellsing-Organisation mit sofortiger Wirkung abgebrochen. Sämtliche diesbezüglichen Unterlagen waren zu vernichten und Lady Integra Fairbrooks Wingates-Hellsing wurde von allen Anklagepunkten freigesprochen. Die Nachrichtensperre bleibt bestehen.

Außerdem wurden der Hellsing-Organisation alle erdenklichen Maßnahmen zur Rehabilitierung der Organisation seitens des Königshauses zugesichert.

Das einzige, was Integras triumphalem Abgang aus dem Gerichtssaal fehlte, war ein Tusch aus dem Orchestergraben.
 

Zwei Stunden später.

Integra schloss die Tür ihres Arbeitszimmers hinter sich, lehnte sich an die Tür und atmete tief durch. Sie schaute zu dem Porträt ihres Vaters.

"Da bin ich wieder", sagte sie leise.
 

Sir Penwood, der Verräter aus den Reihen der Knights, war inzwischen verurteilt und einer "internen Exekution" zum Opfer gefallen. Walter hatte diesem Kerl schon immer misstraut. Allein seine Angewohnheit, immer erst dann zu sprechen, wenn alle anderen bereits ihre Meinung kundgetan hatten.

Nun, Sir Penwood war aus dem Weg geräumt - doch sein "Projekt" lief...

Im Keller eines verlassenen medizinischen Labors in Soho standen zwei große, gläserne Behälter. Beide enthielten eine leicht rötliche Flüssigkeit, in der zwei Körper heranwuchsen. Die beiden Körper hingen zudem an diversen Schläuchen und waren nahezu ausgereift. Hätte es einen Zeugen der Vorkommnisse in diesem Kellerlabor irgendwo in Soho gegeben, hätte er in diesem Moment erlebt, wie die Digitalanzeige an den Behältern von 99,5 % auf 100 % umsprang.

Die Behälter platzten auf, die Nährflüssigkeit planschte auf die dunklen Fliesen, Scherben klirrten und die beiden Körper fielen unsanft in das Gemisch aus Flüssigkeit und Scherben.

Eine Weile blieben sie wie betäubt liegen.

Dann begann die eine Gestalt sich zu bewegen. Mit einer langsamen Bewegung strich sich die Gestalt Haare aus dem Gesicht, tastete um sich und als die Finger nur Flüssigkeit, Scherben, lange, nasse Haarsträhnen und Schläuche ertasteten, grollte die Gestalt leise.

"Widerlich", knurrte die Figur und an der Stimme erkennen wir nun, dass es sich dabei um einen Mann handelte.

Die Gestalt daneben - auch ein Mann, aber mit kurzen, dunklen Haaren - richtete sich ruckartig auf. Glotzte entgeistert seine eigenen Hände an. Betastete seine Hände, sein Gesicht, seine Rippen, seine Hüften. Dann lachte er. Und jeder, der dieses Lachen gehört hätte, hätte sofort an der Zurechnungsfähigkeit der Gestalt gezweifelt.

"Ey krass", kreischte er, "ich leb wieder! Und du auch!"

Er zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Gestalt neben sich. Dann betastete er erneut sein Gesicht.

"Ah, voll der Dreck", bemerkte er dann, "meine Piercings sind alle nicht mehr da. Okay - lass ich mir die eben neu stechen. Luke, glaubst du, diese extrem süße Tussi in dem Piercing-Schuppen von letztem Mal ist noch da?"

"Wohl kaum", knurrte Luke. "Ich meine mich zu erinnern, dass du die gesamte Belegschaft leergesoffen hast."

"Richtig!" kreischte Jann. "Mann, das war'n Spasss!"

"Sieh mal", sagte Luke, "da liegen Klamotten für uns."
 

Für Sir Penwood, den Verräter aus der Runde der 13, war es eine Kleinigkeit gewesen, die Valentine-Brothers "wiederherzustellen". Er hatte sich eingehend, - jahrelang! - mit den Freak-Chips und den Möglichkeiten, die diese bargen, beschäftigt.

Es war kein Zufall gewesen, dass Jann und Luke Hellsing-Manor während einer Sitzung der Knights angegriffen hatten. Alles lief so gut, zahlreiche Hellsing-Soldaten wurden zu Ghouls, doch dann hatten dieser dubiose Butler, die beiden Vampire und Lady Integra selbst seinen Plan doch noch vereitelt und die Valentine-Brüder vernichtet. Jedoch nicht gründlich genug...

Im anschließenden Durcheinander war es Sir Penwood gelungen, die Überreste von Jann und Luke einzusammeln.

Integra war außer Gefecht gesetzt, indem sie dazu gezwungen wurde, ihre eigenen - zu Ghouls gewordenen - Soldaten zu erschießen. Sofort danach hatte sie sich wortlos abgewandt und war gegangen. Und sobald sie außer Sichtweite war, war sie gerannt. Gerannt, bis in ihr Schlafzimmer. Dort hatte sie sich eingeschlossen, sich auf ihr Bett geworfen und hatte in fast kindlicher Verzweiflung ihrem Schmerz freien Lauf gelassen. Walter war ihr gefolgt, hatte vor ihrem Zimmer gestanden, die Hand auf der Türklinke und hatte überlegt, wie er ihr helfen konnte. Kurz darauf erschien auch Alucard. "Du kannst nichts für sie tun", hatte er zu Walter gesagt. Schließlich war Walter gegangen und hatte die "Bergung" der gefallenen Soldaten koordiniert.

Seras hatte geholfen, die verletzten Soldaten in den Krankenflügel zu transportieren.

Sir Penwood hatte das Aschehäufchen (ehemals Jann) im Konferenzraum in eine Plastikhülle gefegt und war in den Keller hinuntergestiegen. Hier hatte er sich wirklich gefürchtet - um nichts in der Welt wollte er diesem Blutsauger begegnen. Er hatte Glück. Alucard hielt sich zu diesem Zeitpunkt - unbemerkt - in Integras Zimmer auf.

Sir Penwood hatte aufgelesen, was von Luke übrig war (nicht viel... Doch es reichte.) und hatte alles in das verlassene Labor in Soho gebracht.

Auch wenn sie letztlich versagt hatten - Jann und Luke waren die besten Freaks, die sie bis dahin zustande gebracht hatten. Nun wollte er testen, ob auch die Wiederherstellung funktionierte.

Und, wie wir bereits wissen, sie funktionierte...
 

Integra durchquerte ihr Arbeitszimmer und sah aus dem Fenster. Sie spürte, dass die Gefahr nicht gebannt war. Im Gegenteil. Irgendein Unheil braute sich zusammen.

Gibt es Geschöpfe des Abgrunds? Gibt es diesen Abgrund - eine Welt, in die uns böse Wesen hineinziehen wollen, weil sie selbst hineingestürzt sind? Beschütze mich vor ihren Fallen! Ich weiß, dass um so mehr Dornen auf dem Weg wachsen, je weiter man vorankommt und dass irgendwann Gesicht und Hände zerrissen sind.

Sie warf dem Porträt ihres Vaters einen Blick zu, dann setzte sie sich an ihren Arbeitstisch.

Auf dem Tisch stand ein großer, bunter Blumenstrauß. Außerdem hatte Walter alle aktuellen Unterlagen in thematisch-sortierten Stapeln auf dem Tisch platziert.

Seufzend zog Integra den ersten Stapel zu sich heran.

Es klopfte. Noch bevor Integra "Herein" sagen konnte, öffnete sich die Tür.

Kurz darauf stand neben dem Blumenstrauß ein Sektkühler mit einer Flasche Champagner, Integra saß auf ihrem Platz, Walter und Alucard standen vor dem Tisch und Seras hockte auf der Tischkante (würde sie sonst nie, nie, nie wagen, aber zur Feier des Tages...) und alle hielten ein Glas Champagner in der Hand.

"Also", sagte Seras weil sie das Gefühl hatte, was sagen zu müssen, "schön, dass Sie wieder hier sind und frei und überhaupt. Und so."

Und dann berichtete sie, wie Alucard und sie Walter aus dem Krankenhaus "befreit" hatten.

"Was?!" unterbrach Integra. "Alucard hat ihn die Feuerleiter runtergeschleppt? Aus dem fünften Stock?? Mit seinen gebrochenen Rippen??? Seid ihr noch zu retten????" Integra wurde mit jedem Fragezeichen lauter. Alucard stieß Seras mit dem Ellenbogen an.

"Sie ist süß, wenn sie tobt, oder?" fragte er.

Integra sah aus, als wollte sie ihm ihren Champagner ins Gesicht schütten - trank ihn dann aber lieber. Und warf den Briefbeschwerer nach Alucard.

"Seine Absichten waren nur die besten", sagte Walter diplomatisch und hob den Briefbeschwerer auf.

Eine Stunde später widmete Integra sich schließlich doch ihrer Arbeit. Walter ging, um verschiedene Besorgungen zu tätigen und Seras war vom Champagner ein bisschen beschwipst und beschloss, sich vor der Nacht lieber noch 'ne Runde in ihrem Hydrauliksarg zu versenken.

Nur Alucard trödelte im Arbeitszimmer herum, bis Integra und er allein waren. Er sah aus dem Fenster, sagte dem Porträt von Sir Hellsing "guten Tag" und schlenderte im Arbeitszimmer umher, als sähe er es zum ersten Mal. Integra beobachtete ihn aus dem Augenwinkel.

"Ist noch was?" fragte sie schließlich entnervt. Alucard sah sie erstaunt an, als würde er erst jetzt bemerken, dass sie auch noch da war.

"Ach ja", sagte er und kam zu ihrem Arbeitstisch herüber. Er ging um den Tisch herum, bis er neben ihr stand. "Ich wollte dir nur noch zum Ausgang deines Prozesses gratulieren", sagte er.

"Danke", antwortete sie förmlich und griff nach einem weiteren Formular.

"Es ist gut, dass du wieder hier bist", sagte er und strich mit seinen Fingern leicht über ihre Wange. Dann war er in der Wand verschwunden.

Integra starrte noch lange auf das Formular in ihrer Hand - ohne auch nur ein einziges Wort zu lesen.

Memories II - Das Bannsiegel

Da ist es - das nächste Kapitel. Hat etwas länger gedauert, "Dank" des fantastischen Wetters.

Ich möchte mich wieder einmal bei meinen treuesten und fleißigsten Kommentar-Schreibern bedanken (Cherry 10001, DarkEye, Nex_Caedes, CMT und Saiyama! Danke!! *verbeug* Und natürlich freue ich mich ebenfalls wie wahnsinnig über jede neue Stimme! (Willkommen, Xell!))

So, jetzt geht's direkt weiter.

Im Diskussionsforum habe ich interessante "Gesprächsrunden" gelesen, in denen es darum ging, warum Alucard eigentlich von Integras Vater versiegelt wurde. Nun - hier also mein persönlicher Entwurf des Szenarios, das zu Alucards Versiegelung geführt haben könnte...
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 

Die ersten Strahlen der Morgensonne sickerten durch die langen, weißen Vorhänge. Integra blinzelte, gähnte ausgiebig, streckte sich - und stutzte. Sie schlug die Bettdecke beiseite und sah, dass sie in ihrem (nun reichlich zerknüllten) Anzug im Bett lag.

Offensichtlich war sie gestern wieder vor ihrem Laptop eingeschlafen und Walter hatte sie in ihr Schlafzimmer "geschafft". Normalerweise beschränkte er sich darauf, ihr eine Wolldecke um die Schultern zu legen. Doch seit sie aus der Haft zurück war, war er noch fürsorglicher als zuvor. Sie richtete sich auf. Ihre Schuhe standen ordentlich nebeneinander vor dem Bett (Integra selbst hätte sie beim Zubettgehen irgendwohin gepfeffert (und morgens fluchend nach ihnen gesucht...)), ihre Brille lag zusammengeklappt auf dem Nachttisch. Sie lächelte und streckte sich noch mal. Sie war zufrieden, damit, wie die Arbeit der Organisation nach ihrer Rückkehr lief.

Wenig später lief sie durch das Waldstück, das zum Hellsing-Anwesen gehörte. Ihr allmorgendliches Ritual und diesmal genoss sie es ganz besonders. Wie sehr ihr das gefehlt hatte; die Bewegung, die Sonnenlichttupfen auf dem Waldboden, die kühle Morgenluft...

Sie dachte noch immer über Walter nach - Walter, der immer für sie da gewesen war, solange sie denken konnte. Ob es nun darum ging, ein Lob für eine gute Zensur abzuholen oder einen ausgefallnen Milchzahn (+ zugehöriger Zahnlücke) zu präsentieren - Walter war immer ihre erste Anlaufstelle gewesen. Später hatte er sie u.a. in sämtlichen Kampfsportarten unterrichtet.

Vermutlich wirkte ihre Beziehung auf Außenstehende etwas distanziert, dabei war sie das absolut nicht. Als kleines (wildes) Mädchen war sie ihm öfter mal um den Hals gefallen, doch irgendwann hatte das aufgehört. Sie runzelte die Stirn. Wenn sie so darüber nachdachte... ja, an dem Tag, als ihr Vater, Sir Hellsing, starb, hatte sie ihn das letzte Mal umarmt.

Sie war damals auf ihr Zimmer gegangen und hatte sich auf ihr Bett gesetzt. Sie war wie betäubt. Dad war gerade gestorben. Sie war jetzt die Leiterin der Hellsing-Organisation. Aber sie konnte Dad nicht mehr um Rat fragen, nie mehr. Alles war leer. Und schwarz. Und tat weh. Aber der Leiter der Hellsing-Organisation weint nicht. Der Leiter der Hellsing-Organisation war stark. Und Tränen waren ein Zeichen von Schwäche.

Wenig später war Walter in ihr Zimmer gekommen. Er strich ihr mit der Hand sanft über den Kopf. Sein trauriges Lächeln gab ihr den Rest. All die Trauer, der Schmerz, die Leere, die Angst, das Verlassensein fanden ihren Weg und sie weinte wie sie noch nie zuvor in ihrem 13jährigen Leben geweint hatte. Walter hatte sich neben sie auf die Bettkante gesetzt und sie hatte ihn umklammert wie eine Ertrinkende. Walter hatte sie in den Arm genommen, hatte sie sanft hin und her gewiegt wie ein ganz kleines Kind. Er hatte auch geweint.
 

Ohne Walter als Berater an ihrer Seite hätte sie ihr Erbe niemals bewältigen können. Die ersten Sitzungen mit den Knights of the round table waren Alpträume gewesen. Die Knights hatten keinen Hehl daraus gemacht, dass sie ein 14jähriges Mädchen inkompetent und lächerlich fanden.

Integra war nach jeder dieser ersten Sitzungen in ihr Arbeitszimmer gerannt und hatte Dinge an die Wand geschmissen, hatte die Bücherregale angeschrieen und getobt. Walter hatte sie toben lassen. Es kam der Punkt, an dem sie in ihr Schlafzimmer rannte und sich vor Wut heulend auf ihr Bett warf. Walter ging unterdessen ins Arbeitszimmer, fegte dort die Splitter und Scherben zusammen, dann folgte er ihr. Er rückte sich einen Stuhl neben ihr Bett, reichte ihr ein Taschentuch und sobald sie wieder einigermaßen ansprechbar war, überlegten sie sich gemeinsam Vorgehensweisen. Er übte mit ihr das freie Reden, und wie sie sich durch dumme Kommentare der Knights nicht mehr aus der Ruhe bringen ließ.
 

Sie hätte ihn wirklich öfter mal umarmen sollen. Aber damit konnte sie doch jetzt nicht mehr anfangen... Sie nahm sich jedoch fest vor, öfter mal "Danke" zu sagen...

Das Frühstück schien eine erste günstige Gelegenheit zu sein. Walter schenkte ihr Tee ein und deutete dabei verächtlich auf die Zeitungen, die auf dem Tisch lagen.

"Der Name Hellsing geistert immer noch durch die Zeitungen", sagte er. "Wenn dein Vater das wüsste, würde er sich im Grab umdrehen!"

"Es wird ja weniger", entgegnete sie. "Wir sind nur noch auf Seite 5, bald verlieren sie ganz das Interesse. Ach, Walter?" "Ja, bitte?"

"Ähm... danke, dass du mich heute nacht in mein Zimmer gebracht hast."

Walter sah sie verblüfft an. "Aber... das habe ich doch gar nicht."

Integra biss fast ein Stück aus ihrer Tasse.

'Alucard...', dachte sie. Sie sah Walter an und sah, das er dasselbe dachte.

Augenblicklich verfiel Integra in eine hektische Betriebsamkeit. Sie drückte Walter ein paar Berichte in die Hand, und marschierte in ihr Arbeitszimmer.

Walter sah ihr mit hochgezogenen Augenbrauen nach. Alucard hatte noch nie einem weiblichen Hellsing dienen müssen. Es war klar, dass er... spezielle Machtspielchen versuchen würde. Walter fragte sich, ob Integra stark genug dafür war. Stärker als ihr Vater...

Damals...
 

Die Gestalten tauchten aus der Finsternis auf wie Figuren in einem Traum. Die drei Männer trugen lange Mäntel und bewegten sich vollkommen lautlos in der dunklen Seitenstraße. Dort war das Haus, in dem sich angeblich Ghouls eingenistet hatten. Alucard, Arthur Hellsing und Walter verständigten sich - wie immer - durch Blicke. Walter wollte gerade um die linke Seite des Hauses herum eilen, als Arthur ihn - wie immer - am Mantelgürtel zurückhielt. Eine Art Ritual. Walter lächelte.

"Pass auf dich auf", flüsterte Arthur kaum hörbar und küsste Walter.

Alucard beobachtete dieses Procedere jedes Mal interessiert, grinste breit und dachte sich seinen Teil. ("Menschen..." *Augen-verdreh*)

Eigentlich war es meist überflüssig, dass Arthur und Walter mitkamen. Alucard wäre in 9 von 10 Fällen bestens allein zurecht gekommen. Aber Arthur Hellsing kümmerte sich gern selbst um "besondere Belange" und Walter wollte in Übung bleiben. Die drei "Midnight-Musketeers" waren versierte Ghoul-Killer. Fast 20 Jahre lang erlebten sie haarsträubende Abenteuer (die man vielleicht auch mal niederschreiben sollte...). Grandiose Jahre waren das. Walter war glücklich, Arthur war glücklich und sogar Alucard war so was ähnliches wie glücklich. Aber dann, eines Nachts...
 

Walter hielt mit seinem MG drei Straßen entfernt vom "Zielpunkt". (Nein, MG steht hier nicht für MaschinenGewehr, sondern für eine Automarke. Ein richtig schickes Wägelchen... *schwärm*)

Er eilte durch die schwarze Nacht. Alucard wartete bereits am verabredeten Treffpunkt.

"Wo ist Arthur?" fragte Walter.

"Arthur? Ach, der kommt später", sagte Alucard in einem völlig untypischen Plauderton. "Oder gar nicht", fügte er leiser hinzu. "Warum?" fragte Walter verwundert.

"Hat 'ne Verabredung zum Essen", sagte Alucard und prüfte etwas am (völlig intakten) Magazin seines Gewehrs.

"Eine Verabredung zum Essen?" wiederholte Walter fassungslos. Wegen einer Verabredung zum Essen hatte Arthur noch nie (noch NIE!) einen Auftrag vernachlässigt. Arthur pflegte sogar die Knights zu versetzen, wenn es darum ging, eigenhändig einen besonders gelagerten Ghoul-Vorfall zu klären. Das müsste schon die Queen höchstselbst sein...

"Essen - mit wem?" fragte Walter. "Ist doch egal", murmelte Alucard.

"Mit wem?!?" schrie Walter. Wäre Alucard nicht Alucard gewesen, sondern irgendein Mensch - Walter hätte ihn am Kragen gepackt und geschüttelt.

"Eine gewisse Miss Wingates."

"Ach", sagte Walter. Siedend heiße Eifersucht durchtoste ihn.
 

Arthur gesellte sich in dieser Nacht nicht mehr zu ihnen. Und auch in den folgenden Nächten erfüllten Alucard und ein missgelaunter, wortkarger Walter diverse Aufträge allein.

Manchmal kamen sie vor Arthur wieder in Hellsing Manor an. Walter stand auf einem der zahlreichen Balkone hinter einer Säule und beobachtete, wie Arthur sich von Fairbrooks (so hieß Miss Wingates mit Vornamen) verabschiedete. Wie er "Pass auf dich auf", zu ihr sagte und sie küsste. Und noch mal küsste. Und noch mal. Und wie er ihr nachsah, als sie in ihrem Cabrio davonfuhr.

Manchmal glaubte Walter, vor Eifersucht durchdrehen zu müssen. Doch er blieb der perfekte, tadellose Butler, der er stets gewesen war (und bleiben würde), dessen höflich-zuvorkommendem Verhalten man nicht ansah, wie es innen aussehen mochte.

Oft hatte er daran gedacht, fortzugehen. Irgendwohin, einfach nur weg. Doch er fühlte sich der Hellsing-Organisation zu verbunden.

Arthur ging ihm aus dem Weg. "Ich habe zu tun", sagte er. Walter wusste, wann er unerwünscht war und darum fand er es hochgradig beleidigend, dass Arthur daraufhin auch noch die Tür zu seinem Arbeitszimmer abschloss. Und zwar dreifach. Und er wusste auch, dass Arthur nichts anderes zu tun hatte, als mit Miss Wingates zu telefonieren. Stundenlanges Gesäusel. (Das war schließlich eine von Walters leichtesten Übungen - ein Telefon abzuhören...)

Walter verbrachte viele Abende damit, neben Alucard auf dessen Sargdeckel zu hocken. Alucard erzählt ihm Begebenheiten aus den letzten 400 Jahren, die ihn seinen Kummer kurzzeitig vergessen ließen.

Arthur Hellsing und Miss Fairbrooks Wingates heirateten schließlich. Alucard wurde nicht müde, sich darüber zu wundern, wie Arthur es geschafft hatte, eine solche Frau zu ergattern. Zugegeben, die Dame gefiel ihm. Sie war eher zierlich, hatte lange, hellbraune Locken und ihre grünen Augen standen in einem atemberaubenden Kontrast zu ihrem dunklen Teint, der ihr etwas exotisches verlieh. Was Alucard überhaupt nicht gefiel, war Arthurs Befehl, sich von Fairbrooks fern zu halten. Er durfte sich ihr nicht mal zeigen und sollte am besten überhaupt "unsichtbar" bleiben. Arthur selbst hatte sich nach seiner Heirat aus der aktiven Ghoul-Bekämpfung zurückgezogen und widmete sich ganz der Leitung der Organisation.

Seine junge Frau - Fairbrooks Wingates-Hellsing - wusste nichts von den wahren Zielen der Organisation. Sie glaubte, es handle sich um eine Geheimorganisation, die "normale" Verbrecher bekämpfe, eine Art "Privat-Armee", die... na ja, die Polizei irgendwie unterstützte. Arthur ließ sie in dem Glauben.

Fairbrooks liebte Partys und Feiern über alles und so geriet sie öfter in Situationen, bei denen sie auf irgendeiner Fete gefragt wurde, welchem Beruf ihr Mann nachgehe und sie wusste nichts darauf zu antworten. Wenn sie genauer darüber nachdachte, fand sie es immer merkwürdiger, dass Arthur ihr nie erzählt hatte, um was es in dieser Organisation ging. Auf ihre Fragen gab er ausweichende, nichtssagende Antworten.

Ganz sicher, er verheimlichte ihr was. Und sie würde herausfinden, was das war...
 

Es war in einer der nächsten Nächte.

Fairbrooks hatte Arthur bereits "gute Nacht" gesagt und war ins Schlafgemach gegangen. Nach einer Weile hatte sie es leise, sehr leise, wieder verlassen und wartete in einer dunklen Ecke des Flures darauf, dass Arthur sein Arbeitszimmer verließ. Um ihm zu folgen.

Sie konnte ihm dort völlig unbemerkt auflauern, denn Walter schien nicht da zu sein.

Walter schien überhaupt ein wichtiger "Bestandteil" der Organisation zu sein. Welche Rolle mochte er da spielen? Sie wusste nie, was sie von Arthurs Butler halten sollte. Er benahm sich ihr gegenüber äußerst reserviert.

Um halb zwei in der Nacht verließ Arthur endlich das Arbeitszimmer. Fairbrooks folgte ihm mit einigem Abstand durch die dunklen hohen Flure von Hellsing Manor.

Tatsächlich betrat Arthur Hellsing einen Geheimgang. Fairbrooks folgte ihm mit einigem Abstand. (Zum Glück hatte sie sehen können, welches Buch aus dem Regel gezogen werden musste, damit das ganze Regal wie eine Drehtür herumschwang.)
 

Walter und Alucard waren gerade nach Hellsing Manor zurückgekehrt. Hinter ihnen lag die anstrengende, aber erfolgreich abgeschlossene "Klärung" eines "Falles". Die Ghouls waren zur Strecke gebracht und Zivilpersonen waren nicht behelligt worden.

Arthur ließ sich von ihnen berichten, wie alles abgelaufen war. Unterdessen gönnte Alucard sich diverse Blut-Konserven und Walter machte sich daran, die "Spezialdrähte" zu säubern.

Fairbrooks stand hinter einem Mauervorsprung und hörte eine Weile zu. Sie wurde nicht schlau aus dem, was da gesprochen wurde. "Ghouls" - das sagte ihr nun überhaupt nichts. Und klar - Walter gehörte zu diesem "Sondereinsatz-Kommando", aber die dritte Stimme, die sie hörte - eine dunkle Stimme, als spräche die Nacht selbst - die hatte sie noch nie gehört...

Entschlossen, Arthur und Walter endlich zur Rede zu stellen, trat Fairbrooks hinter dem Mauervorsprung hervor - und erstarrte augenblicklich.

Fairbrooks stand vor einem Waffen-Arsenal, wie sie es noch nie gesehen hatte. (Und nie wieder sehen wollte.) Außerdem gab es eine Regalwand mit großen Gläsern. Körperteile von Ghouls - vor dem "zu-Staub-werden" gesichert - waren darin in Formalin eingelegt.

Walter saß etwas abseits an einem Tisch und säuberte hauchdünne (tödlich scharfe...) Silberdrähte. Er legte die fadendünnen Drähte in flache Becken. Die Flüssigkeit in den Becken färbte sich rot.

Arthur stand neben einem Tisch und sprach mit dem dritten Mann.

Dieser dritte Mann... Er saß auf einem Stuhl (die Füße in schnallenbewehrten, schweren Stiefeln auf dem Tisch) trotzdem erkannte Fairbrooks, dass er ungewöhnlich groß war. Seine Haut war auffallend blass, die nachtschwarzen Haare lang. Den linken Arm hatte er lässig auf die Rückenlehne gestützt. In der rechten Hand hielt er eine Blutkonserve. Gerade schlug er seine Zähne (lange, spitze Zähne...) in die Blutkonserve, um sich die rote Flüssigkeit genüsslich einzuverleiben. Fairbrooks keuchte entsetzt. Arthur und Walter drehten sich erschrocken um. Der dritte Mann wandte sich langsam zu ihr um. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte er. Lange, spitze Zähne und blutrote Augen. Er stand auf.

"Guten Abend, Mrs Wingates-Hellsing", sagte er mit seiner nachtdunklen Stimme.

Fairbrooks schrie.
 

Und schrie und schrie. Sie rannte davon, durch das gesamte Anwesen, zu ihrem Auto und fuhr davon, flüchtete nach London, zu ihren Eltern.

Am nächsten Morgen rief sie Arthur an, noch immer völlig hysterisch. Sie verlangte Erklärungen und vor allem verlangte sie, dass das "langhaarige Monster" verschwinden müsse. Was es mit der verdammten Organisation eigentlich auf sich hätte. Sie würde alles, was sie gesehen hatte, ihrem Vater erzählen, ein ehemals einflussreicher Journalist, der in die Politik gewechselt war. Und außerdem wollte sie sich scheiden lassen. Arthur redete stundenlang auf sie ein. Es gelang ihm, sie zu einem gemeinsamen Urlaub zu überreden.

Drei Wochen später kehrten sie zusammen nach Hellsing Manor zurück. Fairbooks verlangte noch immer, dass das "Monster" verschwinden solle. Arthurs Erklärungen, Alucard (so hieß das Monster) sei Hellsings wichtigste Waffe, wollte sie nicht hören. Sie wollte nicht akzeptieren, dass diese... Kreatur eine Berechtigung hatte, hier, unter einem Dach mit ihr zu sein.

Arthur wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte und wollte nicht auf Alucards Dienste verzichten. Andererseits wollte er Fairbrooks um nichts in der Welt verlieren.

Solange Arthur nicht wusste, was er tun sollte, erteilte er Alucard keine Aufträge mehr - was er Alucard durch Walter mitteilen ließ. Daraufhin blieb Alucard für eine Weile in seinem Sarg und war beleidigt. Die Korrespondenz zwischen Arthur und Alucard fand nur noch über Walter statt. Jeden Tag stieg Walter in den Keller hinab, klopfte höflich an den Sargdeckel und brachte Alucard ein paar Blutkonserven.

Alucard erkundigte sich dumpf aus dem Inneren des Sarges heraus, ob es was neues gäbe? Einen neuen Auftrag für ihn? Und Walter musste täglich antworten, dass es leider noch keine neuen Aufträge für ihn gäbe, es täte ihm sehr leid und - unter vier Augen gesagt - er fände die derzeitige Situation ebenfalls sehr unerfreulich.

Arthur war mit dem Status quo einigermaßen zufrieden. Solange Alucard in seinem Sarg schmollte, musste er keine Entscheidung treffen.

Eines Nachts jedoch flog Alucards Sargdeckel krachend auf und kurz darauf glitt ein sehr wütender Alucard durch die Wand des Arbeitszimmers. Alucard stellte sich vor Arthurs Arbeitstisch auf und betrachtete wortlos seinen Herrn. Arthur schien vollkommen vertieft in seine Unterlagen und beachtete den Vampir nicht.

"Seit wann diene ich deiner Familie?" fragte Alucard nach einer Weile.

"Schon lange", murmelte Arthur unwillig.

"ZU lange!" zischte Alucard. "Mein Dasein besteht darin, in eurem Namen Ghule und ähnliches Pack auszulöschen und was habe ich davon? Der werte Herr ignoriert mich. Tut so, als wäre ich nicht da."

Arthur zog eine Augenbraue hoch.

"Donnerwetter, ganz schön zickig, Lord Alucard", sagte er spöttisch. "Das ist aber nicht der Alucard, den ich kenne."

"Wer, bitteschön, ist der Alucard, den du kennst?"

"Bitte", sagte Arthur, "ich habe keine Zeit für diese Albernheiten. Halte dich bereit und gib Ruhe. Und jetzt verschwinde."

Alucards Augen wurden zu rotglühenden Schlitzen. SO redete man nicht mit dem No Life King...
 

Vor Wut fast rasend verschwand er. Wenn er keine Aufträge mehr zugeteilt bekam, würde er sich seine Aufträge selbst suchen.

Vorhin waren die Hellsing-Wagen ausgerückt; es dauerte nicht lange, und Alucard hatte sie in London entdeckt. Die Hellsing-Armee hatte ein Gebäude mit "Ghoul-Befall" umstellt.

Genau das richtige für seine Wut heute Nacht... Alucard fletschte die Zähne und ging geradewegs auf das Gebäude zu.

"Verschwinden Sie!" rief ihm einer der Hellsing-Soldaten durch ein Megaphon zu.

Und noch einer, der mir sagt, ich soll verschwinden, dachte Alucard und spürte, wie Wut, Hass und Blutgier in ihm pulsierten - und Verachtung. Verachtung für diese armseligen Sterblichen und auch für sich selbst - einem Diener dieser erbärmlichen Menschen.

"Verdammt", zischte einer der Hellsing-Soldaten, "das ist doch der Vampir."

"Welcher Vampir?"

"Na... unser Vampir. Dieser Hellsing-Vampir. Was machen wir jetzt?"

Sein Kollege griff wieder zum Megaphon.

"Alucard", rief er, "verschwinde... verschwinden Sie von hier. "Sie... also. Sir Hellsing hat darauf hingewiesen, dass Sie nicht befugt sind. Bleiben Sie stehen, sonst müssen wir Sie erschießen." Waffen wurden entsichert.

Alucard ging ungerührt.

"Bleib stehen!" rief ein Soldat. "Ich erschieß dich!"

"Versuch's", sagte Alucard.

_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _
 

Walter hatte Arthurs Arbeitszimmer bereits vor einigen Minuten betreten. Ratlos betrachtete er seinen Herrn. Arthur saß an seinem Arbeitstisch, das Gesicht in den Händen vergraben.

'Ich hab ihn provoziert', dachte Arthur. 'Ich habe ihn unterschätzt, ich hätte nie gedacht, dass er derart durchdrehen würde.'

Die Soldaten hatten in jener Nacht versucht, Alucard am Betreten des Hauses zu hindern. Sie hatten auf ihn geschossen. Alucard hatte sich mit einem regelrechten Massaker gerächt.

Fairbrooks hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten, als sie davon erfuhr. Sie war noch immer in ärztlicher und nun auch psychiatrischer Behandlung.

Die Angehörigen der Soldaten verlangten Aufklärung.

Die gesamte, restliche Hellsing-Armee, die sehr wohl wussten, was passiert war, Fairbrooks und ihre Eltern, die Knights of the round table - sie alle verlangten Alucards Tötung. Andernfalls wollten sie mit Informationen über die Hellsing-Organisation an die Öffentlichkeit treten.

Selbst wenn ich wollte, dachte Arthur und grinste hysterisch, wie soll ich einen Unsterblichen umbringen?

Der Druck war unerträglich geworden. Er nahm Beruhigungsmittel; an manchen Tagen eine ganze Handvoll.

"Walter", sagte Arthur tonlos. "Ich habe ihn nicht mehr unter Kontrolle. Ich muss ihn versiegeln. Walter?"

Walter schwieg.
 

Walter hatte sich noch Jahre später darüber gewundert, dass Alucard mit seinen hypersensiblen Sinnesorganen das Betäubungsmittel nicht geschmeckt hatte, welches in den nächsten Blutkonserven enthalten war. Oder hatte er sich trotz äußerlichem Kampf innerlich mit dem Gedanken abgefunden, versiegelt zu werden, einige Jahre zu ruhen?

Wie viele Jahre? Nun, für Alucard spielte das "wie lange" ja eigentlich keine Rolle...

Alucard hatte das Betäubungsmittel in einer Dosis verabreicht bekommen, die einen Menschen umgebracht hätte. Alucard war immerhin reichlich benommen und taumelte, als Arthur mit zwei Revolvern vor ihn trat. Er hatte beidhändig auf ihn geschossen. Alucard brach zusammen. Trotzdem schoss Arthur weiter, bis die Magazine leer waren. Alucard war durch das Betäubungsmittel immerhin so benommen, dass er nur sehr langsam von den Schusswunden regenerierte. Es gelang Arthur, ihn zu fesseln und zu verschnüren wie eine Mumie.

Schweißgebadet versuchte Arthur, Alucard ins hinterste Kellerverlies zu zerren.

"Walter, hilf mir!" befahl er.

"Nein", sagte Walter.

Fassungslos starrte Arthur seinen ehemaligen Geliebten an. Walter erwiderte den Blick kühl mit seinen quecksilberfarbenen Augen. Fluchend zerrte Arthur Alucard ins Kellerverlies und versiegelte ihn dort. Vollkommen erschöpft lehnte Arthur an der Wand des Kellerverlieses.

"Ich habe doch keine andere Wahl", murmelte er. Walter, der stumm zugesehen hatte, sagte noch immer nichts. Er trat drei Schritte zurück als Arthur den Kellerraum verließ. Die beiden Männer warfen noch einen Blick auf Alucard, dann fiel die dicke Tür ins Schloß.

Wortlos stiegen sie die Treppe hinauf. Walter hielt sich ein paar Meter hinter Arthur.

"Du weißt, Walter", sagte Arthur, "nur ein Hellsing kann das Bannsiegel lösen. Ich empfehle dir, nicht zu oft an den Keller zu denken. Denk am besten überhaupt nicht mehr an das, was mal war."

Walter hatte den Kopf gesenkt und betrachtete seine Schuhspitzen, wie sie langsam, Stufe für Stufe, weitergingen.

Arthur hatte den oberen Treppenabsatz erreicht, drehte sich um und blickte zu Walter hinab.

"Es ist ja nicht für immer", sagte er in einem anderen, weicheren Tonfall. "Seine Zeit wird wiederkommen und viel früher als wir uns das vorstellen, fürchte ich. Eines Tages werde ich ihn wieder erwecken. Ich oder mein Nachfolger."

Memories III - Die Tochter des Hauses

Liebe Lesenden,

Vielen Dank für eure Kommentare! (Und ein herzliches Willkommen an Veggie-Girl und Sessy-Chan! ^___^)

Oha, jetzt wo der Hellsing-Manga auch hierzulande erscheint, gerate ich von einem Dilemma ins nächste. Die Story nimmt ja dort einen deutlich anderen Verlauf als im Anime. Nun stehe ich ständig vor der Frage - soll ich diesen Aspekt / diese Wendung / diese Figur aus dem Manga in meine Story übernehmen oder der bisherigen Spur treu bleiben?

Zu euren Kommentaren - tja, die liebe Fairbrooks (ich hab Integras Mutter einfach mal so genannt) ist nicht besonders gut angekommen...

OK, ich habe Fairbrooks nicht als "Sympathieträgerin" konzipiert, das ist wahr. Aber jetzt tut sie mir fast ein bisschen leid... u_u (Vor allem, weil ich weiß, wie's mit ihr weitergeht...)

Naja, ich fürchte, da muss sie durch... ;)

Und der Humor kommt zu kurz, sagt ihr - auch wahr. Ja, im Moment durchläuft die Story eine etwas "humorlose" Phase (und eins sag' ich euch: Es wird stellenweise noch richtig tragisch werden!) - aber der Humor wird auch wiederkommen, versprochen!! (Spätestens bei Maxwells nächsten Auftritten... ^__^ *lol*)

Und eigentlich ist dieses Kapitel auch gar nicht mehr sooooooo ernst... Und das nächste Kapitel wird ein nettes "Alucard x Integra"-Kapitel werden! ^___~

___________________________________________________________________________
 

Walter hatte die Berichte und Protokolle der Einsätze der letzten Woche im Hellsing-Quartier eingesammelt und brachte den Aktenordner nun in Integras Arbeitszimmer.

Als er eintrat, saß Integra (natürlich...) an ihrem Arbeitstisch und wälzte mit (wie immer...) verbissener Miene ein paar Akten. Nein, Walter fand, dass ihre Miene heute noch etwas verbissener wirkte als sonst. Walter ahnte, was - nein, wer! - durch ihre Gedanken spukte.

Integra war in der vergangenen Nacht an ihrem Arbeitstisch eingeschlafen und Alucard hatte sie in ihr Bett getragen. Walter wusste nicht, was davon zu halten war. Er schätzte Alucard sehr. In den Jahren ihres gemeinsamen Kampfes gegen Ghouls war der No Life King fast so etwas wie ein Freund für ihn geworden. Trotzdem bereiteten Walter die Blicke, mit denen Alucard Integra manchmal musterte, gewisse Sorgen... Diese Blicke - wie sollte man es nennen, was in ihnen zum Ausdruck kam? Verliebte Gier? Oder eher lüsterne Gier, korrigierte Walter sich in Gedanken. Er war sich nicht sicher, ob Alucard so etwas wie "Verliebtsein" überhaupt kannte. Wenn er daran dachte, wie abfällig Alucard sich über Menschen und ihre "ach so sensiblen Gefühlchen" äußerte, schien es wahrscheinlicher, dass der Vampir solche Empfindungen aus seinem Repertoire gestrichen hatte.

Und außerdem fragte Walter sich, was Integra wiederum für Alucard empfand... Gewiss, sie wahrte ihre kühle Fassade, aber was lag hinter dieser Fassade?

Wie auch immer - ob sie nun Alucards "Empfindungen" erwiderte oder nicht - sein Verhalten musste Integra irgendwann zu einer Reaktion provozieren.

Walter seufzte innerlich, als er sich sämtliche Möglichkeiten durch den Kopf gehen ließ - keine einzige davon gefiel ihm sonderlich...

Was, wenn Alucard tatsächlich...sozusagen... Integras "Partner" wurde... ach, du liebe Zeit, nächster Gedanke. Und was, wenn auch sie ihm nicht gewachsen war - würde sie ihn ebenfalls versiegeln, wie ihr Vater es getan hatte? Integras Bannsiegel würde Alucard auf ewig versiegeln. Denn nur ein Hellsing konnte das Siegel aufheben und Integra war der letzte Hellsing...

Nun gut - auch bei Arthur sah es lange Zeit so aus, als würde er der letzte Hellsing sein...

Walter betrachtete Integra. Sie saß an ihrem Arbeitstisch und warf ein paar Papiere durcheinander. Walter musste lächeln, als er sich an seine allererste Begegnung mit Integra erinnerte, genau hier - im Arbeitszimmer...
 

---
 

Walter wusste nicht mehr, wie er die Jahre nach Arthurs Hochzeit und Alucards Verbannung überstanden hatte. Arthur behandelte ihn freundlich-förmlich, als wäre Walter nie mehr gewesen als sein Butler und die zweitbeste "Waffe" der Hellsing-Organisation.

Fairbrooks Wingates-Hellsing jedoch misstraute ihm ganz offen. Sie und Walter behandelten einander mit höflicher Eiseskälte. Eines Tages hatte Fairbooks ihn geradeheraus gefragt, ob er auch ein Vampir sei.

In manchen Nächten wachte Walter schweißgebadet auf - er träumte, Arthur würde über ihm stehen mit einem angespitzten Holzpflock in der Hand. Hinter ihm stand Fairbrooks und rief "Das Herz! Du musst sein Herz treffen!"

(Ich sage jetzt nichts zum Thema "Traumsymbolik"... *hüstel*)
 

Walter engagierte sich nach wie vor in der Organisation. Ansonsten sah er mit Erstaunen, wie das Leben um ihn herum seinen Fortgang nahm, ohne sich um sein Unglück zu scheren. Manchmal empfand er seine Einsamkeit so intensiv, dass es ihn erschreckte

Aber auch Arthur und Fairbrooks waren nicht wirklich glücklich. Nachdem seine junge Frau mehrere Fehlgeburten erlitten hatte, gab Arthur die Hoffnung auf einen Nachfolger fast auf, den er sich so sehr wünschte und der die Organisation unter dem Namen Hellsing weiterführen sollte. Doch dann - Fairbrooks und Arthur waren schon 7 Jahre miteinander verheiratet und Arthur war mittlerweile fast 50 - bekamen sie schließlich doch noch ein Kind.

Eine schrecklich komplizierte Angelegenheit. Die Ärzte kämpften tagelang um Fairbrooks' Leben. Sie gewannen schließlich, rieten ihr jedoch dringend von jeder weiteren Schwangerschaft ab.

Das Kind hingegen - ein fäustchenballendes Bündel, das mit einer bemerkenswert kräftigen Stimme ausgiebig zu brüllen pflegte - war wohlauf und erfreute sich bester, fast trotziger Gesundheit.

Das Kind hatte nur einen Makel - es war ein Mädchen.

Das einzige Kind, das die Hellsings je haben würden, war ein Mädchen... Die Armee war enttäuscht. Wenn Arthur Hellsing sich in wenigen Jahren zur Ruhe setzen würde, hätte sich das Thema "Hellsing-Organisation" erledigt. Ein Mädchen wäre schließlich nie in der Lage, eine derartige Organisation zu leiten. Und sie alle würden sich nach neuen Arbeitsplätzen umsehen müssen. Und wie sollten sie ihre langjährige Tätigkeit für Hellsing in ihrem Lebenslauf unterbringen - einer Organisation, die so geheim war, dass sie nicht darüber reden durften...?

Arthurs Bruder Richard tat sein bestes, die Enttäuschung und Ablehnung der Truppen gegenüber dem Kind zu schüren. (Dass Arthur und Fairbrooks schließlich doch noch ein Kind bekommen hatten, passte ihm überhaupt nicht. Dadurch rutschte er in der Erbfolge wieder einen Platz weiter nach hinten. Hass, Hass, Hass. Dieses Gör hatte er so dringend gebraucht wie eine Kakerlake im Kaffee!)

Arthur hingegen liebte und vergötterte seine Tochter vom ersten Moment an. Sie war seine Tochter und natürlich würde sie eines Tages in der Lage sein, die Organisation zu leiten!

Es dauerte ein paar Wochen, bis Walter die Tochter des Hauses zum ersten Mal zu sehen bekam, denn Fairbrooks hatte das Baby in ihrem Zimmer und er hütete sich, diesen Raum zu betreten. So "kannte" Walter die Kleine zunächst nur aus Arthurs Erzählungen, Berichten und Schwärmereien. *Augen-verdreh* (Was Walter dieses Kind egal war!)

Eines Tages rief Arthur ihn ins Arbeitszimmer. Walter betrat den Raum.

"Sir?" fragte er mit leicht gequälter Höflichkeit.

Arthur saß am Arbeitstisch. "Ah, Walter", sagte er. "Mir ist aufgefallen, dass du meine Tochter noch gar nicht kennengelernt hast." Walters Miene verfinsterte sich noch mehr.

Erst jetzt bemerkte er, dass Arthur das Baby auf dem Arm hielt. Walter wusste selbst, wie furchtbar albern es war - aber er war eifersüchtig auf dieses Kind. Schon allein wie Arthur nur noch von "seiner Kleinen" sprach, wie er sie liebevoll auf dem Arm hielt und mit verklärtem Blick anlächelte.

Arthur stand auf und ging auf Walter zu.

Walters Augen weiteten sich vor Entsetzen, so dass ihm das Monokel herunterfiel. (Er trug es erst seit kurzem und hatte sich noch nicht recht daran gewöhnt...) Er fing es im Herunterfallen auf und putzte es dann nervös mit seiner Krawatte.

Ach du liebe Zeit, Arthur erwartete jetzt hoffentlich keine ekstatischen Begeisterungs-Bekundungen wegen der Niedlichkeit seiner Tochter. Walter fürchtete, dass ihm das irgendwie nicht gelingen würde... Und hoffentlich sollte er das Kind nicht auch noch auf den Arm nehmen. Keine Ahnung, wie man so etwas in den Händen hielt...

Arthur hatte Walter fast erreicht, als ein sehr aufgeregter Peter Fargason ins Zimmer stürmte.

"Sir!" rief er. "Oberste Alarmstufe! Ein Ghoul-Angriff im Buckingham-Palast!"

"Verdammt", sagte Arthur bestürzt und rannte zur Tür. Erst nach einigen Metern bemerkte er, dass er das Baby noch immer auf dem Arm hielt.

"Walter", sagte er, "bring sie bitte in ihr Zimmer."

Damit drückte er dem entsetzten Walter das Baby in die Arme.

Walter hörte Arthur und Fargason die Treppe hinunterpoltern. Dann war alles ruhig. Er hielt das kleine Menschenbündel vorsichtig und, wenn auch etwas unbeholfen, im Arm und verzog das Gesicht. Er würde jetzt auch viel, viel, viel lieber gegen blutrünstige Ghouls kämpfen, statt mit einem Säugling auf dem Arm hier rumzustehen.

Er wagte einen vorsichtigen Blick nach unten, Richtung seiner linken Armbeuge. Das Baby schlief. Gut so. Braves Kind.

Seeehr, wirklich seeeehr behutsam trat Walter mit dem Kind auf dem Arm ans Fenster, ins Sonnenlicht. Die gebrüllten Befehle, unten auf dem Truppenplatz, drangen nur gedämpft zu ihnen hinauf.

Die Gelegenheit war günstig, sich Arthurs Tochter einfach mal anzusehen.

Integra - Walter fand den Namen ungewöhnlich. Nun, Walter wusste, dass Arthur als Jugendlicher eines Tages von seinem Vater, Abraham Hellsing, in den begehbaren Hellsing-Tresor geführt worden war. Der Tresor war riesig und er war gefüllt mit Goldbarren.

Gold war das "Zahlungsmittel", mit dem vampirbefreite Ortschaften den Hellsings damals für ihre Hilfe gedankt hatten.

"Diese 'vergoldete Dankbarkeit' jener Menschen hat es uns ermöglicht, die Hellsing-Organisation zu gründen", erklärte Abraham Hellsing. Arthur stand wie geblendet vor dem Gold im Hellsing-Tresor.

"Das ist das kostbarste, was man besitzen kann, nicht wahr?" hatte er gefragt. Abraham Hellsing hatte gelächelt und mit den Schultern gezuckt.

Arthur hörte nie auf, über die Dichte und die Integrität des Goldes zu staunen. Er war absolut fasziniert von seiner Reinheit, Ungewöhnlichkeit, Glätte und Unzerstörbarkeit. Vielleicht hatte er mit dem Namen Integra all diese Eigenschaften des Goldes auf seine Tochter übertragen wollen.

Walter fand das etwas dramatisiert und rührselig, aber... nun, so waren frischgebackene Väter wohl. Und die Kleine hatte mit Integra vielleicht noch Glück gehabt. Sie hätte ja auch Goldy heißen können...

Tatsächlich hatte ihre Haut einen rosig-goldigen Schimmer. Außerdem hatte die Kleine dichte, weißblonde, weiche Haare und trug einen blauen Strampelanzug. Natürlich, Arthur und Fairbrooks hatten fast nur blaue Babysachen geschenkt bekommen. Damit hatten die Knights und selbst die Hellsing-Truppen deutlich gemacht, dass sie eigentlich mit einem männlichen Nachfolger gerechnet hatten.
 

Die Kleine kräuselte im Sonnenlicht ihre winzige Nase und rieb sich mit einer winzigen, schlafenden Faust über ihr Gesicht und Walter stellte fest, dass er so etwas wie... Zuneigung für dieses kleine Menschlein empfand.

Walter wusste, dass dieses Kind wenig Gelegenheit haben würde, so zu sein wie andere Kinder und viel allein sein würde. Genau wie er. Und auf einmal war da der Wunsch, dieses winzige Geschöpfchen zu schützen und ihr beizustehen bei allen Widrigkeiten, die in ihrem - sicherlich ungewöhnlichen - Leben auf sie zukommen mochten.

"Du wirst nicht allein sein", versprach er ihr leise, um sie nicht zu wecken, "Du hast mich. Und ich hab dich."

Denn eigentlich... Arthurs Tochter war eigentlich auch ein bisschen seine Tochter. Irgendwie. Fand Walter. Und da es nicht zu erwarten war, dass er sich noch auf konventionelle Weise ein Kind zulegen würde, sah er von jenem Augenblick an Integra als die Tochter, die er nie haben würde. Und nun irgendwie doch hatte.

In diesem Moment wachte Integra auf und öffnete die Augen. Die Kleine hatte die blausten Augen, die Walter je gesehen hatte. Walter war noch ziemlich ergriffen von seiner "Adoption im Geiste" und war sich absolut sicher, dass "sein kleines Mädchen" eines Tages eine hinreißende Schönheit sein würde. Gerührt lächelte er das Baby an.

Die Kleine erwiderte seinen Blick ernst und schien sich zu fragen, ob dieser Kerl weiter einfach bloß so da rumstehen oder endlich was Nützliches tun und sie ein bisschen schaukeln oder ein Fläschchen für sie holen würde.

Als nichts geschah, griff sie nach seinem Monokel, das so aufregend in der Sonne glitzerte.

"Oh... ähm... nein... das... geht bestimmt kaputt", sagte Walter höflich und hielt das Kind mit ausgestreckten Armen von seinem Gesicht weg. Das winzige Kinn des Babys bebte vor Enttäuschung.

Walter hatte Integra zwar heute zum ersten Mal gesehen, er hatte sie aber durchaus schon gehört... Er wusste, dass sie imstande war, das obere Stockwerk von Hellsing Manor zusammenzubrüllen. Ach du liebe Zeit, sie schniefte schon irgendwie... bedenklich, das kleine Gesicht zornig verzogen...

Ratlos begann er, sie unterm Kinn zu kitzeln. Sie gluckste. Dann lachte sie. Ein zahnloses, so bezauberndes Babylachen, dass Walter auch lachen musste. _
 

---
 

Der heutige Walter betrachtete die heutige Integra. Inzwischen war sie alles andere als ein winziges Geschöpfchen, trotzdem würde sie wohl immer "sein kleines Mädchen" bleiben, das er glaubte, beschützen zu müssen.

Sie warf - mal wieder - wütend ein paar Papiere auf ihrem Schreibtisch herum. Zwischen ihren tiefblauen Augen eine perfekt senkrechte Zornesfalte.

Walter überlegte, was wohl geschehen würde, wenn er sie - wie damals - zur Aufheiterung unterm Kinn kitzeln würde. Die Reaktion hätte er wirklich zu gern gesehen... Oder vielleicht lieber doch nicht...

Mühsam unterdrückte er ein Lachen.

"Was ist, Walter?" fragte Integra, den Blick auf den Unterlagen.

"Oh", sagte Walter, "Verzeihung, ich wollte eigentlich husten."

"Warum tust du's dann nicht?" fragte sie zerstreut. Walter hustete gehorsam.

Integra hob den Kopf und sah Walter an. Ihre linke Augenbraue wanderte Richtung Haaransatz. Walter räusperte sich verlegen.

Und sie mussten beide lachen.

"Wie wär's mit einer Kanne frischem Tee?" fragte Walter dann.

"Sehr gern, danke", sagte Integra und sah ihm nach, als er ging.
 

Erst als Walter fort war, zog sie seufzend ein paar Unterlagen unter den "offiziellen" Hellsing-Papieren hervor und blätterte mit gerunzelter Stirn darin. Es ging da um einen ganz bestimmten Vampir...

Strong enough?

Vielen Dank für die (erstaunlich vielen!) Kommentare zum neunten Kapitel! (Dank an Cherry 10001, VeggieGirl, Yoela, Sessy-Chan, DarkEye, Saiyama, Xell, Kaen und Samyuel! Dank auch an AoD!) Wow, "Die Tochter des Hauses" hat von allen bisherigen Kapiteln die meisten Kommentare erhalten - sogar mehr, als das Maxwell-Kapitel! O_O

Obwohl - die meisten haben ja nur etwas zu den letzten beiden Sätzen des Kapitels gesagt *snif*, zu dem Cliffhanger, in dem es um Alucard (?) ging. (Jaaaaaaaa, *irres Lachen* - man nennt mich auch Lady Cliffhanger! ^__~ )
 

Nun geht es endlich weiter...

Ich habe für dieses Kapitel länger gebraucht als gewöhnlich. Eigentlich sollte dieses Kapitel wieder unter die Kategorie "Humor" fallen - aber; es ging nicht.

Alucard und Integra wollten einfach nicht humorvoll sein! Und im Grunde haben sie Recht; die Situation, in die Integra in diesem Kapitel gerät, ist alles andere als witzig. Also habe ich den beiden ihren Willen gelassen (die Autorin als Sklavin ihrer Figuren... o_O (und dabei sind das nicht mal meine, das sind dem Kohta Hirano seine... >_<))

Und da die Geschichte allmählich auf eine tragische Stelle zusteuert, ist es OK und wahrscheinlich richtig, den Humor einstweilen zurückzuschrauben.

Nun, lest selbst. Ich bin gespannt auf eure Reaktionen!!
 

--------------------------------------------------------------------------------
 

Es war Abend geworden. Noch immer lag "jener" Aktenordner vor Integra auf dem Tisch. Dieser Ordner hatte nur indirekt etwas mit den aktuellen Belangen der Organisation zu tun - aber sehr viel mit ihren ganz eigenen, persönlichen Belangen...

Integra ließ ihre Blicke über den Schreibtisch wandern - der Computer und der Laptop, die hochmoderne Telefonanlage, stapelweise Computerausdrucke, ein Kabelschalter mit einer Reihe von Knöpfen, Berichte, Analysen, Aktenordner - ihre Blicke wanderten durch das Zimmer, hinüber zu den hohen Schränken an den Wänden im Halbdunkel des großes Raumes. Hohe, dunkle Schränke die vollgestellt waren mit weiteren Aktenordnern. Manchmal hatte sie das alles so satt... Manchmal dachte sie daran, mehr Dinge zu delegieren, an andere weiterzugeben. Nein, nein, so sollte sie nicht denken. Sie leitete diese Organisation. Sie musste die Kontrolle über die Organisation behalten. Vor allem musste sie die Kontrolle über sich selbst behalten...

Zugegeben, sie vergrub sich in ihrer Arbeit, weil sie sich und der Welt beweisen wollte, dass sie eine fähige und würdige Leiterin dieser Organisation war. Und weil sie beseelt (na gut - besessen) davon war, diese Welt von unreinen Kreaturen zu reinigen.

Und ... weil die Arbeit sie davon abhielt, merkwürdige Gedanken in bezug auf Alucard zu denken. Zum Beispiel daran, dass er sie heute Nacht, als sie - wieder einmal - an ihrem Arbeitstisch eingeschlafen war, in ihr Zimmer getragen hatte. Sie ertappte sich immer wieder dabei, dass sie sich überlegte WIE er sie getragen haben mochte - wie einen Kartoffelsack über der Schulter oder wie eine... Braut über die Schwelle?

Sie wollte solche Gedanken nicht denken. Und um nichts auf der Welt wollte sie von Alucard bei solchen Gedanken erwischt werden. Wenn aber solche Gedanken übermächtig wurden (wie so oft in letzter Zeit) griff sie zu diesem Aktenordner...
 

Vlad Draculea (1431-1476), las sie, Draculea, was soviel hieß wie "Sohn des Drachen", "kleiner Drachen", "Teufelchen" oder "teufelsgleich". Später Vlad Tepes - Vlad, der Pfähler, weil er seine gepfählten Feinde am Wegesrand aufstellen ließ, um zu zeigen, was er mit Leuten tat, die sich ihm zu widersetzen versuchten.

Integra musste daran denken, wie Alucard Incognito aufgespießt, gepfählt hatte...

Sie betrachtete das Bild, ein altes Gemälde von Vlad Tepes. Die langen, dicken, dunklen Locken, die wulstigen Lippen, die lange, nach unten gebogene Nase, die großen, braunen Augen, die bogenförmigen, dünnen Augenbrauen...

Nein. Da bestand wirklich keinerlei Ähnlichkeit.

Und doch...
 

Im Jahr 1931 war Vlads Gruft in Snagov geöffnet worden. Die Gruft war leer, Vlads sterbliche Überreste waren spurlos verschwunden. Für manche erneut ein Beweis dafür, dass Vlad ein Wiedergänger ist. Einige meinten weiter, er halte sich irgendwo in Rumänien versteckt und werde wieder hervorkommen und sein Land verteidigen, wenn Rumänien ihn braucht.

Vielleicht, dachte Integra und lächelte bitter, steckt er aber auch in einem ganz anderen Winkel der Welt...
 

Integras Urahne Prof. Abraham van Helsing (der sich später in England niederließ und seinen Namen in Hellsing umänderte) hatte den Vampir, diesen Fürsten oder Grafen, unterworfen. Seitdem und bis in alle Ewigkeit würde dieser nun der Familie seines Bezwingers im Kampf gegen seinesgleichen beistehen müssen...

Zeit seines Daseins war er ein Fürst, ein Graf, gewesen. Wie fühlte er sich nun, da er zur bloßen "Waffe" degradiert war?

Habe ich ihn wirklich unter Kontrolle?

Vlad Tepes war ein Fürst gewesen. Und nicht nur das - ein außergewöhnlich stolzer, grausamer und sadistischer Herrscher.

Und doch waren da zwei Frauen, die diese... Kreatur geliebt hatten. Vlads Frau, die sich auf der Flucht vor Feinden von einer Klippe gestürzt hatte und dann noch eine gewisse Ilona. Integra ärgerte sich, dass sie bislang noch keine Bilder von diesen Frauen hatte finden können...

Warum dachte sie eigentlich über diese Frauen nach? Sie waren seit mehr als 500 Jahren tot und überhaupt war Vlad Tepes eine abstoßende, widerwärtige, hassenswerte, grausame Kreatur.

Und doch...

Nein, nein! Integra raufte sich verzweifelt die Haare. Kein Und doch...

Und doch... (nein!!) ... fragte sie sich immer öfter, was sie eigentlich für diesen... Vampir empfand. Er war eine Kreatur der Nacht. Seine Gegenwart verursachte ihr eine Gänsehaut - doch diese Gänsehaut hatte nichts mit Angst oder Kälte zu tun...

Als junges (dummes, törichtes, albernes) 15jähriges Ding hatte sie manchmal daran gedacht, wie es wohl wäre, wenn er und sie... Sie hatte das längst eingestellt. Eine unnütze Gedankenspielerei, die Energien band, die sie anderswo dringender brauchte und effektiver einsetzen konnte.

Mit fünfzehneinhalb hatte sie beschlossen: Ich bin kein... Teenager, der blöde Heftchen liest, das Zimmer mit plüschigen, bunten Überflüssigkeiten vollstopft, dumm rumkichert und irgendwelche Typen anhimmelt. Ich bin Sir Hellsing. Ich leite die Hellsing-Organisation. Ich habe eine Verantwortung diesem Land gegenüber. Ich werde meinen Vater, die Queen und dieses Land nicht enttäuschen.

Sie sagte sich das immer und immer wieder. Und irgendwann glaubte sie fest daran.

Und doch waren da Empfindungen für Alucard... Wenn sie in friedlichen Sommernächten auf dem Balkon saß und bei einem Glas Wein auf den nächtlichen Park und in den Nachthimmel schaute, leistete er ihr fast immer stumm Gesellschaft. Ohne ein Wort saßen sie dann da und sahen zu den Sternen.

Integra war verblüfft - nein, erschüttert - als sie erkannte, wie viel diese Sommernächte ihr bedeuteten.

Als er dann Seras angeschleppt hatte - sie hätte ihn zerreißen können! (Und dieses Polizistenmädchen gleich mit!) Die ganze Nacht war sie in ihrem Arbeitszimmer auf und ab marschiert, wutschnaubend. Irgendwann hatte sie innegehalten und sich gefragt, warum mache ich das eigentlich... Sie hatte sich eingestehen müssen, dass sie eifersüchtig war. Sie hatte sofort aufgehört, darüber nachzudenken.

Inzwischen hatte sie sich an Seras gewöhnt, fand sie sogar ganz nett. Die Kleine war loyal und bemühte sich, eine gute Kämpferin zu sein. Insgeheim imponierte Integra, wie schnell Seras sich mit ihrer neuen "Lebens"situation abgefunden hatte.

Von ihr drohte keine Gefahr - auch in Hinsicht auf Alucard. Integra wusste, er hatte Seras hauptsächlich mitgebracht, um sie, Integra, zu provozieren. Aber sie hatte vor, sich nicht weiter provozieren zu lassen, von diesem... diesem...

Alucard... dachte sie. Und dann: Verdammt! Er hatte nun einmal... nun ja... eine (und bei dem bloßen Gedanken sträubten sich ihre Nackenhaare) eine... ja... erotische Ausstrahlung, die selbst auf sie wirkte, durch ihren selbsterschaffenen Panzer drang...

Seit fast zehn Jahren war sie mit äußerster Vorsicht darauf bedacht, die Wünsche ihres Herzens vor ihrem Kopf geheim zu halten; die Phantasie, die Wünsche einfach abschalten, in der Realität bleiben.

Aber die Realität konnte ein verdammt einsamer Ort sein.

Außerdem war da stets die Gefahr, dass er ihre Gedanken las...

"Was liest du da?" fragte eine dunkle Stimme direkt hinter ihr. Integra zuckte zusammen und schlug den Vlad-Ordner zu.

"Nichts", sagte sie. Und spürte, dass ihre Wangen brannten. Wie lange ist er da schon?! Hat er gesehen, dass ich Texte über Vlad Tepes lese? Oder (noch schlimmer!) hat er in meinen Gedanken gelesen?

Alucard hatte seine verschränkten Arme oben auf die Rückenlehne ihres hochlehnigen Arbeitszimmerstuhls gestützt. Sein Kinn hatte er wiederum auf einen Unterarm gelehnt und betrachtete sie von oben herab.

"Ah ja, nichts...", sagte er und lachte leise.

"Protokolle, Berichte - was sonst", zischte sie und ließ den Ordner in einer Schublade verschwinden. "Ich warte übrigens immer noch auf den Bericht von deinem letzten Einsatz."

Er grinste und pustete sachte in ihr Genick. Er wusste, dass sie das zur Weißglut trieb. Er liebte es, Dinge zu tun, die sie zur Weißglut trieben. Und er genoss es zu sehen, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten.

"Den Bericht wollte ich dir gerade bringen", sagte Alucard, beleidigte Unschuld in der Stimme. Er umrundete den Arbeitstisch, bis er vor Integra stand. Er hatte heute auf seinen roten Mantel, den Hut und sogar auf die Sonnenbrille verzichtet. Er trug lediglich den grauen Anzug, in dem er ungewohnt seriös aussah. Als Integra ihn ansah, fiel ihr einmal mehr auf, dass sein Kleidungsstil ihren eigenen kopierte. Sein Anzug war ähnlich geschnitten wie ihrer und sein rotes Krawattentuch war sogar exakt in der Art gebunden wie ihr blaues.

"Der Bericht von vorgestern Nacht, my Master." Alucard deutete eine Verbeugung an, wie Walter sie nicht viel formvollendeter hinbekommen hätte.

"Na endlich." Integra riss ihm das Papier aus der Hand. Sie betrachtete das Blatt und seufzte. "Du hast eine schockierende Handschrift", bemerkte sie. "Ich wünschte, du würdest dir von Walter endlich beibringen lassen, wie man einen Computer bedient."

"Bring du es mir doch bei", schlug er vor und grinste wölfisch.

"Ich verstehe wirklich nicht, warum du dich so zierst, einen Computer anzurühren", fuhr Integra fort ohne auf seinen Vorschlag einzugehen. "Du bist doch sonst nicht so zurückhaltend. Im Gegenteil! Meistens wartest du gar nicht erst ab, bis du einen Auftrag bekommst, sondern handelst einfach!"

"Beispiele!" forderte Alucard.

Integra zögerte und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr.

"Na..., nun, als du... diese Polizistin angeschleppt hast. Und das ist nur ein Beispiel! Du zeigst grundsätzlich im falschen Moment entschieden zuviel Eigeninitiative!"

"Wer - ICH?" fragte Alucard. Zutiefst gekränkte Unschuld in der Stimme, jetzt noch ergänzt mit großen, großen, mitleidheischenden, roten Augen.

'Hm', dachte Integra, 'der kann noch geschickter arm aussehen als ein Hund, der unterm Tisch um ein Stück Wurst bettelt.'

"Tja", antwortete Alucard, "das liegt vielleicht daran, dass ich manchmal ein Hund bin..."

Integra schwieg verblüfft, aber nicht lange: "Du sollst meine Gedanken nicht lesen!" schrie sie.

Er lachte leise. "Und", sagte er dann, "gibt es heute nacht nichts für mich zu tun? Sag mir, was ich tun soll. Siehst du, Integra, ich warte auf deine Anweisungen. Ich brauche deine Instruktionen."

"Was du brauchst, ist ein Tritt in den Hintern. Instruktionen! Du machst ja doch, was du willst!"

"Integra", sagte er, (wie sie es hasste, wenn er mit ihr sprach wie mit einer begriffsstutzigen Vierjährigen!!!) "Manchmal muss ich einfach selbst Entscheidungen treffen. So wie bei Seras. Ansonsten tue ich, was du mir sagst. My master. Du bist der Boss, keine Angst. Du hast doch keine Angst, oder? Integra?"

Und sie hasste es auch, wenn er sich so über den Tisch beugte, wenn dieses Grinsen so dicht vor ihrem Gesicht gegrinst wurde. Und das wusste er genau.

"Danke für deinen Bericht, Alucard", sagte sie kühl. "Du kannst jetzt gehen."

Er blieb stehen. Und sah sie an. Sie starrte zurück. Er sah kurze Unsicherheit in ihren Augen aufflackern. Dann wandte er sich zum Gehen. Integra atmete auf - doch Alucard verließ das Zimmer nicht. Er durchquerte den großen Raum und ging zu dem Sessel, der im Halbdunkel an der Wand stand. Integra hatte dort oft als kleines Mädchen gesessen, wenn ihr Vater zu tun hatte und sie trotzdem in seiner Nähe sein wollte. Dann hatte sie dort gesessen, hatte ihm bei der Arbeit zugesehen oder in einem Buch geblättert.

Alucard ließ sich in dem Sessel nieder wie ein Haufen fallengelassener Wäsche.

Integra versuchte, ihn zu ignorieren und sich auf diverse Akten zu konzentrieren. Sie konzentrierte sich wirklich, fast krampfhaft, denn sie wusste, dass sie ihm nichts vormachen konnte. Er würde sofort merken, wenn sie nur so tat, als ob sie arbeitete.

Alucard betrachtete sie. Der Lampenschein im ewig dämmrigen Arbeitszimmer ließ ihr helles Haar aufleuchten. Mit verbissener Miene blätterte sie in einigen Ordnern, oder tippte mit rasender Geschwindigkeit auf der Tastatur ihres PCs. Seit sie aus der Haft entlassen war, hatte sie sich von einem extremen Workaholic zu einem absolut extremen Workaholic entwickelt.

Sie arbeitete bis zum Umfallen. Wie gestern, als sie schließlich, mit dem Kopf auf der Schreibtischplatte, eingeschlafen war. Und er sie zu ihrem Bett gebracht hatte.

Hätte Integra nicht versucht, ihn jetzt fieberhaft zu ignorieren, hätte sie vielleicht gesehen, dass Alucards Grinsen eine Spur weicher war als sonst. Es war schon fast kein Grinsen mehr, sondern eher ein... Lächeln.
 

Er hatte sie in ihr Bett gelegt, hatte sie zugedeckt und war auf dem Bettrand sitzen geblieben. Ihr schlafendes Gesicht war so ungewohnt entspannt, friedlich und verletzlich. Ein leichtes, kaum wahrnehmbares Lächeln lag auf ihren Lippen.

'Was für ein Traum mag das sein, der dich lächeln lässt? ' hatte Alucard gedacht. Ganz dicht hatte er sich über sie gebeugt, bis seine Lippen fast ihr Gesicht, ihren Hals berührten.

"Endlich hab ich dich gefunden", flüsterte er, kaum hörbar. "Ich hab so lange nach dir gesucht... Und wusste gar nicht, dass ich dich suche. Ich dachte immer, ich hätte das alles hinter mir."

Fast hatte er Lust, sie aufzuwecken, zu sehen, wie sie reagieren würde, hier so nah bei ihm. Doch er fürchtete sich vor ihrem Erwachen, vor ihrem Erschrecken und ihrer Wut. Er würde dadurch alles zerstören. Alles... was da war. Ihr tiefes, kindliches und doch immer zerbrechliches Vertrauen in ihn.

So saß er da, stumm, die halbe Nacht lang über seine schlafende Herrin gebeugt.
 

Nun beobachtete er, wie sie an ihrem Arbeitstisch saß und sich einen Zigarillo ansteckte. Alucard hasste Zigarettenqualm. Integra war der einzige Mensch, bei dem er diesen Geruch akzeptierte, ja sogar mochte. Vor allem mochte er es, wie sich ihre eher schmalen, aber doch sinnlichen Lippen um den Zigarillo schlossen... Er grinste lüstern.

Integra zündete den Zigarillo an und warf ihm über die Feuerzeugflamme hinweg einen drohenden Blick zu. Der kleine Feuerschein irrlichterte in ihren tiefblauen Augen.

Auch sie beobachtete ihn jetzt. Diesen Schemen im diffusen Halbdunkel, mit den rotglühenden Augen, die sie beobachteten. Diese Kreatur, dieser... Mann, dessen Alter man nicht schätzen konnte. Nun - Integra wusste natürlich, wie alt er war, aber ein Nichtsahnender hätte ihn vielleicht auf... Mitte 30 (?) geschätzt - wenn da nicht diese jahrhundertealten Augen wären... Diese Augen, die sie nun unentwegt anstarrten...

'Mr Alptraum, Mr Überheblichkeit, Mr AufderLauer, Mr DenMondanstarren, Mr Unberechenbar, - was soll das', dachte Integra. 'Was willst du...'

Eine Weile belauerten sie sich gegenseitig. Dann ertrug Integra die lauernde Stille nicht länger.

"Hast du nichts anderes zu tun, als hier rumzulungern?" fragte sie gereizt.

"Nein", antwortete Alucard höflich.

"Dann geh dir den Mond ansehen! Die Nachtluft inhalieren! Oder ruh dich aus! Genieße eine ereignislose Nacht!"

"Ob diese Nacht ereignislos bleibt, liegt ganz an uns, my Master..."

Integra verschluckte sich beinahe am Rauch ihres Zigarillos.

"Alucard, geh endlich! Du bist eine Plage!"

Als die Plage sich noch immer nicht rührte, drückte Integra den Zigarillo im Aschenbecher aus. Genauer: Sie zerdrückte ihn wütend, bis nur noch winzige Krümelchen und Fetzen übrig waren.

"Alucard!" schrie sie. "RAUS! Durch die Tür oder durch die Wand - mir egal - aber verschwinde!" Sie schlug ihre Faust mit solcher Kraft auf den Tisch, dass ihre Brille ihr nach vorn auf die Nase rutschte.

Sie schob die Brille zurück - eine kindlich-trotzige Geste, die ihn rührte. Er erhob sich und kam auf sie zu. Wieder stand er vor ihrem Schreibtisch und sah sie an.

Integra griff nach einem neuen Zigarillo. Mit zittrigen Händen zündete sie ihn an.

'Warum, zum Teufel, zittere ich?' dachte sie wütend. 'Es ist nur Alucard! Es ist... Alucard...' Und das Zittern hörte nicht auf.

"Alucard!" schrie sie ihn an, obwohl er nichts gesagt hatte. "Hör auf! Lass mich in Ruhe, ich arbeite!"

Mit einer kurzen Bewegung zog er den Stecker aus dem Computer.

"Jetzt nicht mehr", sagte er. Integra starrte auf den schwarzen Bildschirm.

Sie hatte vor wenigen Minuten alles abgespeichert, es waren nicht viele Daten verloren gegangen, trotzdem war sie entsetzt, gelähmt. Wenn sie ihre Berichte und Dateien nicht hatte, konnte sie sich nicht darauf konzentrieren. Sie war gezwungen, Alucard ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken - diese Gedanken würden wieder kommen. Diese Gedanken, die sie nicht denken wollte. Diese Gedanken, von denen er nichts wissen durfte!

"Bravo", sagte sie eisig. "Wie man nicht gespeicherte Daten vernichtet, weißt du ja schon. Als nächstes solltest du dich mit dem An- und Aus-Schalter beschäftigen. Du wirst sehen, aus dir wird noch ein richtiger Computer-Experte."

Sie raffte ärgerlich ein paar Aktenordner auf dem Tisch zusammen und hielt sie sich wie ein Schutzschild vor die Brust.

"Aber überstürze nichts", sagte sie sarkastisch, "du hast ja Zeit." Sie wandte sich abrupt um und trug die Aktenordner zu einem Regal.

Alucard sah ihr nach. Bei ihrer Umdrehung hatte eine Strähne ihres langen Haares seinen Arm gestreift - sanft wie der Flügelschlag eines Schmetterlings.

"Das ist wahr", sagte er, "ich habe Zeit. Aber du vielleicht nicht..."

Er hörte wie sie die Akten ins Regal knallte. Dann kam sie zurück. Sie stellte sich direkt vor ihn. So standen sie beide vor Integras Arbeitstisch - Integra, die Arme verschränkt; verbissen ihren Zigarillo paffend, Alucard, sehr entspannt und fast freundlich ihre eisigen Blicke erwidernd.

'Verdammt', dachte Integra. 'Das war dumm. Ich habe mich auf ein Blick-Duell mit ihm eingelassen.' Sie starrte ihn so konzentriert an, dass es ihr fast Tränen in die Augen trieb und wusste doch, dass niemand - wirklich niemand - ein "Blick-Duell" gegen Alucard gewinnen konnte. Doch zu ihrer grenzenlosen Überraschung wandte er schon nach kurzer Zeit seinen Blick ab. Statt dessen beugte er sich über ihren Schreibtisch.

Sehr vorsichtig schob er ihren Laptop, den Kabelschalter, den Aschenbecher und diverse Papiere zur Seite.

Integra runzelte die Stirn. "Was machst du?" fragte sie.

"Ich mache Platz", erklärte er freundlich.

"Wofür?"

Alucard nahm ihr den Zigarillo aus dem Mund und drückte ihn sorgfältig aus.

"Für dich", sagte er und eine halbe Sekunde später lag Integra rücklings auf ihrem Schreibtisch, tödlich entsetzt und absolut außerstande, sich zu bewegen. Alucard stützte sich auf ihre Handgelenke, die irgendwo neben ihrem Kopf waren. Mit seinen Oberschenkeln stemmte er sich gegen ihre Beine, sein Körper lag auf ihrem Körper und seine roten Augen waren ihrem Gesicht viel zu nah...

"Alucard...lass... mich...los!" zischte sie unter Aufbietung all ihrer Autorität. Und wusste doch, dass er sie nicht loslassen würde. Er hatte eine Grenze übertreten, die er bis heute noch nie übertreten hatte. Er würde sich nicht mit einem süffisanten Lächeln zurückziehen. Heute nicht.

Integra hatte nichts als Verachtung übrig für Frauen, die bei jeder Schwierigkeit gleich zu heulen anfingen. Doch jetzt war sie selbst den Tränen kläglich nahe.

Sie wandte den Kopf zur Seite und suchte auf dem Portrait ihres Vaters nach Erleuchtung. Doch ihr alter Herr ließ sie heute im Stich.

Integra versuchte sich zu rühren. Es war hoffnungslos. Alucard spürte, wie sie ihre Arm- und Schultermuskeln anspannte und lachte leise.

"Ich vermute, du findest das lustig", fauchte sie. "Natürlich", fuhr sie bitter fort. "Primitive Gemüter erfreuen sich an primitiven Späßen."

"Dein Gemüt ist mindestens so primitiv wie meins", sagte Alucard.

'Mein Kopf', dachte Integra, 'ich kann meinen Kopf bewegen...' Sie verpasste ihm eine Kopfnuss.

"Das hat dir mehr weh getan als mir", flüsterte Alucard.

'Sie gibt nicht auf, sie gibt einfach nie auf', dachte er und konnte sich einer gewissen Anerkennung nicht erwehren.

Noch immer versuchte Integra, ihr Gesicht von ihm wegzudrehen. Sie erinnerte sich an ihr allererstes Zusammentreffen, damals, im Kellerverlies, als sie 13 Jahre alt war. Als er vor ihr kniete, sie Master nannte und ihre rechte Hand küsste... Sie hatte damals erwartet, dass er nach Blut riechen würde, oder irgendwie nach Gruft, staubig und vermodert...

Sie war angenehm überrascht - er roch nach kühler Nachtluft. Damals und jetzt.

Alucard seinerseits fuhr mit seinen Lippen und seiner Nase über ihren Hals, ihre Schläfen und berauschte sich am Duft ihrer Haut, ihrer Haare.

Ihre Lippen berührten sich fast.

"Ich warne dich", zischte Integra. Und hoffte trotzdem, er würde... Alles in ihr drängte sich ihm entgegen...

"Alucard", stammelte Integra, "bitte... hör auf. Und verschwinde."

Er hörte nicht auf und er verschwand nicht.

"Hörst du nicht, was ich sage!?" schrie sie.

"Doch", sagte er, "aber ich höre auch, was du denkst."

Das war das allerschlimmste - zu wissen, dass er wusste, dass sie ihn begehrte, sich danach sehnte...

"Das ist nicht wahr", flüsterte Integra. "Du willst, dass ich so etwas denke. Aber ich denke so etwas nicht."

Sie schloss die Augen, ganz fest, und suchte nach irgendeinem Gedanken, irgendeinem, der nichts mit Alucard zu tun hatte, der sie an ihre Pflicht erinnerte. Sie öffnete die Augen wieder, ballte ihre Hände zu Fäusten und dachte: God save our gracious Queen, Long live our noble Queen, God save the Queen! Send her victorious, Happy and glorious, Long to reign over us, God save the Queen! O Lord our God arise, Scatter her enemies And make them fall...

Alucard betrachtete sie, lauschte dem Klopfen ihres Herzens und fühlte, wie sein Blut danach verlangte, sich mit ihrem zu mischen. Er versenkte seine rotglühenden Blicke in ihre Augen, als würde er den Grund ihrer Seele ausloten.

"Die Nationalhymne", seufzte Alucard. "Was anderes fällt dir nicht ein? Ein Schutzschild aus Worten." Er schüttelte den Kopf. "Das funktioniert nicht. Du denkst immer noch daran..."

"Nein!" schrie sie. "Nein", sagte sie dann noch einmal, und zwang sich zu einem sachlichen Tonfall. "Das ist nicht korrekt. Du projizierst deine... Geilheit auf mich und behauptest, ich würde so fühlen wie du! OK - ich bin müde und ich bin überarbeitet. Glaub aber nicht, das reicht, um mich zu manipulieren, um mir einzureden, dass ich... Dinge denke, die ich niemals denken würde! Niemals!"

"Glaubst du dir das selbst?" fragte Alucard.

"Lass mich los!" schrie Integra und versuchte, sich aufzubäumen. Sie konnte sich noch immer nicht rühren.

"Es ist nicht schön, so schwach zu sein, oder?" flüsterte er in ihr Ohr. "Wir könnten das ändern. Du würdest außergewöhnlich mächtig werden. Nur ein kleiner Biss. Tut nicht sehr weh... frag Seras."

"Natürlich", Integra lachte kurz auf, doch das Lachen klang wie ein Schluchzen. "Seras hast du dein Blut auch angeboten. Ist das dein obligatorischer Anmach-Spruch? Trink mein Blut, Baby, und folge mir in die Ewigkeit? Damit du es weißt, Alucard", sie starrte ihm in die Augen, "ich werde mich nie - hörst du gut zu? - NIE! einem... einem Untoten hingeben! Ihr Kreaturen, ihr Toten, die ihr nicht in euren Gräbern bleibt - ihr widert mich an!"

Alucard zuckte unmerklich zusammen. Sie hatte ihn getroffen.

Er wandte den Blick ab, blickte in eine Ferne, die sie nicht sehen konnte. Er nickte und lächelte dann über etwas. Etwas, das offenbar gleichzeitig lustig und bitter war. In seinen Augen lag wieder dieser jahrhundertealte Blick - und eine jahrhundertealte Traurigkeit. Eine Traurigkeit, die auch Integra auf einmal spürte. All diese einsamen Jahrhunderte und dann dieser Fluch, der ihn auf ewig an die Familie Hellsing fesselte, ihn zu einem Werkzeug machte.

'Er hat allen Grund, Hellsing zu hassen. Vor allem - mich zu hassen', dachte Integra. 'Aber er hasst mich nicht...'

Natürlich, er provozierte sie, trieb sie zur Weißglut und hatte seinen Spaß daran, aber Integra wusste, dass er ihr niemals etwas antun würde - im Gegenteil. Was auch immer geschah, Alucard würde an ihrer Seite sein.

"Verzeih mir", dachte sie.

Er lehnte seine kühle Wange an ihre tränennasse Wange. "Dir verzeih ich alles", sagte er.

Sie war traurig, sie war verzweifelt, sie wusste nicht mehr, was sie tun und was sie denken sollte. "Alucard", sagte sie leise. "Lass mich jetzt bitte los."

"Ich hab dich längst losgelassen", entgegnete er.

Er hatte ihre Hände freigegeben - wann?

Sie wischte sich Tränen aus den Augen, sah zu ihm hinauf. Er stand noch immer über sie gebeugt, die Hände auf den Tisch gestützt und erwiderte ihren Blick.

Sie runzelte die Stirn, dann weiteten sich ihre Augen.

"Ich hab was gehört", flüsterte sie.

Alucard nickte. "Das wird Walter sein, der dir deinen Tee bringt."

Im selben Moment öffnete sich die Tür. "So, hier ist der Tee", sagte Walter. "Ich habe heute eine neue Sorte ausprobiert, und... Ach du liebe Zeit." Walter ließ das Tablett nicht fallen, aber ein leises Klirren deutete darauf hin, dass nicht viel gefehlt hatte.

"Siehst du", sagte Alucard zu der noch immer unter ihm liegenden Integra, "Walter mit deinem Tee."

Walter stand wie erstarrt mitten im Raum. Er wirkte, als hielte er die Luft an, als sähe er, wie sich ein zähnefletschendes Raubtier über Integra beugte und er Angst hätte, das Tier durch eine unbedachte Bewegung zum Zubeißen zu reizen.

"Guten Abend", sagte Alucard höflich, richtete sich auf, nickte Integra und Walter zu und verließ den Raum.

Integra ließ sich vom Tisch gleiten. Mit erhabener Eiseskälte zupfte sie ihre Anzugjacke gerade, strich sie sich Haarsträhnen aus dem Gesicht und durchquerte den Raum.

Auch Walter wagte wieder, sich zu bewegen und stellte das Teetablett behutsam auf Integras Tisch ab. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie zu einem Glasschrank ging, die Schranktür aufriss, eine Flasche und ein Glas herausnahm und sich gut fünf Zentimeter Whiskey einschenkte. Sie trank das Glas in einem Zug leer. Sie kam zurück zum Tisch, in der einen Hand das Glas, in der anderen die Flasche.

"Walter", sagte sie.

"Ja?"

"Ich möchte nicht darüber reden."

"Ich auch nicht."

"Danke", sagte Integra. "Ich muss nachdenken."

Walter deutete eine kleine Verbeugung an und verließ den Raum. Er hatte die Tür kaum hinter sich geschlossen, als er Integra herumpoltern und Fußtritte gegen das Mobiliar austeilen hörte. Nachdenken konnte bei ihr ein äußerst geräuschvoller Vorgang sein.

Walter war ratlos. Sollte er Alucard Vorwürfe machen? Er hatte in seinem Leben viel gesehen und erlebt und wusste, dass es am bekömmlichsten war, sich in jede Situation zu fügen. Oder?

Walter seufzte. "Que sera, sera", murmelte er.

Freak-Attack (1)

Ich bin geplättet. Echt geplättet. So viele Kommentare! Klasse! Eure Kommentare sind echt mein Lebenselixier!!!

DANKE euch allen!!!!!!! (d.h. Yusuka_Chan, VeggieGirl, Samyuel, Saiyama, Cherry10001, Yoela, das-schrecken, Draculea, Marishka, Kaen, Xell, MicaAurel, Nex_Caedes, kiddo-chan und Aaliyah1) *verbeug*

Ich habe mich (schweren Herzens) entschlossen, dieses Kapitel in zwei Teile zu "zerlegen", weil es extrem lang geworden ist. ^ ^°

Also, es geht weiter - und Freak Attack (2) wird auch bald kommen!! Versprochen! o_ov )
 

-------------------------------------------------------------------
 

Drei Tage später. Der Abend war bereits angebrochen. Integra saß an ihrem Arbeitstisch und schaltete den Computer aus. Die letzten drei Tage und Nächte waren ruhig gewesen, fast zu ruhig. Die Truppen hatten kein einziges Mal ausrücken müssen. Die Ruhe vor dem Sturm?

Sie griff nach der Fernbedienung und schaltete den CD-Player an. Eine italienische Oper; Turandot von Puccini. Integra liebte diese Musik und auch die Geschichte um die unnahbare Prinzessin Turandot...

Sie faltete die Hände vor sich auf dem Tisch, lehnte sich zurück und genoss diesen seltenen Moment der Entspannung.

Es würde eine lange Nacht werden... Integra ließ sich von der Musik umströmen. Sie fühlte sich seltsam friedlich.

Etwas später, nach einem Blick auf die Uhr, erhob sie sich. Sie hatte noch Zeit bis zu dem Termin am späten Abend, aber sie musste vorher noch ein Gespräch führen. Ein Gespräch, das ihr am Herzen lag. Sie schaltete die Musik aus und verließ den Raum.
 

Alucard hockte auf seinem Sargdeckel, die Stirn in ärgerlich-konzentrierte Falten gelegt. Walter hatte seine "Drohung" wahrgemacht und ihm (Alucard) und Seras Handys verpasst - "zwecks besserer Erreichbarkeit" (Zitat Walter).

Seras schien sich mit Handys bereits auszukennen - sie schickte ihm ständig SMSen (aus dem Kellerraum nebenan...). Da Alucard mit seinem Handy leider gar nicht zurecht kam, hatte er versehentlich all ihre SMSen ungelesen gelöscht.

Alucard knirschte mit den Zähnen.

Walter, der sonst gern und lange über technische Neuerungen referierte und erklärte, selbst wenn alle bereits alles kapiert hatten, hatte ihn mit einer seitenlangen Gebrauchsanleitung (und hämisch lächelnd) allein gelassen. Alucard vermutete, dass good old Walter das als eine Beschäftigungstherapie betrachtete, die ihn - Alucard - davon abhalten sollte, Integra zu belästigen.

Integra... Er wusste, er war zu weit gegangen. Niemand hat das Recht, andere zu Figuren in seinem Traum zu machen und von ihnen zu erwarten, dass der Traum wahr wird.

Wenn aber zwei denselben Traum haben...?

In dem Fall - wie lange sollte dieses Spiel noch weitergehen? Natürlich kannte er ihre eisernen Prinzipien, aber... im Grunde belauerten sie sich schon seit Monaten (Jahren??), schlichen in immer enger werdenden Kreisen umeinander - und wollten doch beide das gleiche.

Sie ist nur ein Mensch... Das ist so wenig.

Ein Mensch. Zugegeben, ein schöner Mensch - ein Mensch mit langem, mondscheinhellem Haar wie Seide, mit unfassbar blauen Augen, einer dunklen und doch wunderbar weiblichen Stimme, der er bis in alle Ewigkeit zuhören könnte und einem durchtrainierten Körper (der leider in Anzüge und Korsagen gepfercht wurde).

Ein zynischer, stolzer, kalter, pflichtbesessener Mensch. Aber hinter der Fassade verbarg sich eine junge Frau, die sich danach sehnte, manchmal keine Pflichten zu haben, manchmal auf Prinzipien zu pfeifen, die sich danach sehnte, zu leben. Zu lieben, vielleicht.

Alucard war inzwischen bereit, zuzugeben, dass er, der No-Life-King diesen Menschen - einen schwachen, sterblichen Menschen - so sehr begehrte, wie er noch nie in seinem langen Dasein etwas begehrt hatte. Integra aber hatte ihm in aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben, was sie von ihm und seinesgleichen hielt.

Ihr Kreaturen, ihr Toten, die ihr nicht in euren Gräbern bleibt - ihr widert mich an!

Worte, die schmerzten. Eine eiskalte Hand, die sich um sein Herz schloss und zudrückte... 'Mein Herz', dachte er und lächelte bitter.

Er machte Integra keinen Vorwurf. Er hatte sie provoziert, sie hatte sich nicht mehr anders wehren können als mit Worten. Es war ein Fehler gewesen, er hatte viel von dem, was er erreicht zu haben glaubte, zerstört. Das alles wieder herzustellen (wenn es denn überhaupt wiederherzustellen war...) würde lange, sehr lange dauern. Wahrscheinlich würde sie in den nächsten Wochen überhaupt nicht mit ihm reden.

Ja, es war sein Fehler gewesen. Vielleicht war alles ein Fehler...

Alucard starrte vor sich hin. Es klopfte an die Tür.

Das war nicht Seras' hektisches Anklopfen (das meistens noch von "Meister? Hallo, keiner da? Meisteeer?"-Rufen begleitet wurde). Das war auch nicht Walters höflich-diskretes Anklopfen. Dieses Klopfen hatte er noch nie gehört, aber er wusste, wer...

Integra war erst drei- oder viermal hier in seinem Raum gewesen. Bei diesen Gelegenheiten hatte sie nicht angeklopft. Sie war wutschnaubend hereinmarschiert und hatte getobt wegen irgendeiner Aktion, irgendeinem Einsatz, der nicht so gelaufen war, wie sie sich das vorgestellt hatte.
 

"Ja... bitte", sagte Alucard und setzte sich aufrecht hin.

Integra betrat den Raum, fast schüchtern. Sie schloss die Tür hinter sich. Sie sah ihn kurz an, lächelte verlegen und sah sich in dem Raum um. Alucard stand auf.

Eine Weile betrachteten sie beide den Kellerraum ringsum, als sei das der erste Kellerraum, den sie sahen. Dann redeten sie gleichzeitig.

"Alucard, ich wollte dir..."

"Integra, du musst wissen,..."

Schlagartig herrschte wieder Schweigen.

"Du zuerst!"

"Nein, du!"

"Ladies first", sagte Alucard galant.

"Na dann", Integra schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. "Neulich." Sie stockte. "Du weißt schon. Ich war unfair. Ich... habe Dinge gesagt, die mir leid tun. Aber ... du... hast... Du bist..." Eine hilflose Geste ihrer Hände. "Es tut mir leid." Sie sah zu Boden.

"Ich...", sagte Alucard. Er war verblüfft. Noch nie hatte sich irgendein Hellsing für irgendwas bei ihm entschuldigt. "Ich weiß, dass ich zu weit gegangen bin, Integra. Ich hab dich verletzt und dadurch habe ich mich selbst verletzt. Sehr viel schwerer verletzt, als dich." Er senkte den Kopf. "Ich hoffe, du verzeihst mir."

Und so standen sie da, mit gesenktem Kopf darauf wartend, dass der andere das Schweigen brach.

Nach einer Weile hob Integra den Kopf ein wenig - ihr Blick traf direkt Alucards Blick, der soeben den Kopf gehoben hatte, um zu schauen, ob Integra schaute...

Verlegenes Grinsen.

"Frieden?"

"Frieden."

Er streckte ihr seine Hand hin und sie kam auf ihn zu.Und umarmte ihn.

Alucards Verblüffung steigerte sich ins Unermessliche; er brauchte einige Momente, um diese Umarmung zu begreifen, zu realisieren. Irgendwann ließ die Überraschung nach und machte Platz für etwas anderes. Etwas, das sich fast wie Glück anfühlte.

Er schloss sie in die Arme, sehr vorsichtig, sehr behutsam, als halte er etwas ungeheuer kostbares und zerbrechliches in den Armen. Ja, das musste Glück sein - Glück und absolutes Erstaunen darüber, wie nah sie ihm auf einmal war. Gleichzeitig war eine Ruhe in ihm, als habe sich eine langgehegte Ahnung endlich erfüllt. Ein Versprechen, das Ende einer langen Geschichte... Und wenn sie nicht gestorben sind, dann...

Er hielt sie einfach nur fest, seine Wange, seine Lippen an ihrem Haar.

Dieser Moment darf niemals enden...

Langsam, fast zögernd, löste Integra sich aus ihrer Umarmung.

"Ich muss jetzt gehen", sagte sie.

"Wohin?" fragte er.

"Eine Versammlung der Knights", sie verdrehte die Augen. "Sir Islands hat einen neuen Gebäudekomplex bauen lassen - dort treffen wir uns; Besichtigung und Besprechung in einem Abwasch."

Er nickte. Für ihn stand fest, dass er sie heimlich, als Schatten, begleiten würde. Und der Blick, den sie ihm beim Abschied zuwarf, zeigte ihm, dass auch sie wusste, dass er bei ihr sein würde.
 

Integra schloss die Tür hinter sich, wandte sich um - und stieß beinah mit Seras zusammen.

"Llllady... Hellsing", stammelte Seras verwirrt. (Sie hatte Integra noch NIE hier unten im Keller gesehen.) "Ich dachte... ich wollte... Ihnen gern etwas zeigen - wenn Sie demnächst mal Zeit haben. Dauert nur ein paar Minuten", setzte sie dann forsch hinzu.

"Warum nicht jetzt?" fragte Integra zu Seras' grenzenlosem Entsetzen.

Sie schluckte, nickte und führte Integra in ihren Raum. Seras hatte sich einer Arbeitsgruppe angeschlossen, die die Eröffnung einer (kleineren) Hellsing-Niederlassung auf dem europäischen Festland (genauer gesagt, in Amsterdam) vorbereitete. Seras präsentierte Integra die bisherigen Überlegungen, Pläne und Berechnungen. Abgesehen von einigen "äähhhs" und "aaalsooos" gelang ihr das recht gut; sie hatte sich lobenswert in die Materie eingearbeitet.

"Sehr gut. Weitermachen!" sagte Integra, die erschütternd gut gelaunt war. Seras wollte schon aus Erleichterung und zum Spaß "Jawoll!" rufen und die Hacken zusammenknallen... als Integra ihr die Hand auf die Wange legte.

"Ich verlass mich auf dich, Seras Victoria", sagte sie. "Du bist Walter eine große Hilfe."

Sie verließ den Raum. Zurück blieben Seras - und viele, große Fragezeichen.
 

Wenig später stand Integra auf den Stufen vor dem Hauptportal von Hellsing Manor und atmetet tief durch. Ein schöner Sommerabend. Die Abendluft war wie blaue Seide.

Walter hatte ihren weißen Sportwagen bereits vorgefahren. Er hielt ihr mit einer kleinen Verbeugung die Fahrertür offen. Sie lächelte ihm zu, bedankte sich mit einem kleinen Knicks und warf ihre Aktentasche schwungvoll auf den Beifahrersitz. Walter lächelte irritiert - Integra hatte gute Laune. Ja, für ihre Verhältnisse war sie fast schon übermütig.

"Sieh mal", sagte sie jetzt, und deutete mit der Hand zum blauen Abendhimmel hinauf. "Fledermäuse!"

In der Tat - einige Fledermäuse flogen über ihnen unruhige Bahnen. Schweigend sahen Integra und Walter ihnen zu.

"Weißt du noch, wie Dad sie immer genannt hat?" fragte Integra nach einer Weile.

Walter nickte unbehaglich. "Kleine schwarze Todesengel."

Integra nickte versonnen. Dann, als müsse sie sich fast gewaltsam aus der Erinnerung losreißen, wandte sie sich Walter zu. Eine Welle der Zuneigung für den alten Butler schlug über ihr zusammen. Walter, der fast noch mehr an Hellsing und die ehernen Prinzipien glaubte als sie selbst, ihr Ersatz-Vater, Walter, der immer für sie da gewesen war... Sie biss sich auf die Lippen. "Walter!"

Er wandte sich ihr zu, Integra packte entschlossen seine Krawatte, zog seinen Oberkörper ein kleines Stück herab und verpasste seiner hohen Stirn einen Kuss.

"Bis dann!" sagte sie und stieg ins Auto. "Du brauchst nicht auf mich zu warten, es wird sicher spät!" Die Autotür fiel zu und das weiße Auto raste davon.

Walter blinzelte verblüfft. Dann steckte er die Krawatte sorgfältig zurück in die Weste.

Die Rücklichter des Wagens verschwanden im Blau des Sommerabends. Da war eine merkwürdige Traurigkeit, die Walter sich nicht erklären konnte. Sie war so schön, wenn sie lächelte... Er schaute hinauf zum Himmel, aber die Fledermäuse waren verschwunden.

Freak-Attack (2)

Es geht weiter... Dies Mal war ich wirklich schnell, oder? *Schweißtropfen-abtupf*

Und ihr habt mich einmal mehr völlig geplättet - Marishka, MicaAurel, Saiyama, Yoela, das-schrecken, Draculea, black-drancer, VeggieGirl, Xell, Yusuka_Chan, Cherry10001 und kiddo-chan!!! *alle-total-abknuddel*

Wisst ihr, in meinem Leben läuft im Moment einiges unrund, aber eure Kommentare schaffen es doch irgendwie immer, mich aufzuheitern! ^____^

Arigato!!! *verbeug*

So, aber jetzt geht es endlich weiter!!!
 

---------------------------------------------------------------------
 

Sir Islands war mächtig stolz auf das neue Gebäude. Auf den innovativen Architektur-Stil, auf die Klimaanlage, die Lage des Gebäudes, die großen, hellen Konferenzräume - ausgestattet mit den allerneusten Technologien und Multimedia-Präsentationsmöglichkeiten. Obwohl es bereits dunkel wurde, führte er die Knights zunächst außen um das Gebäude herum.

Integra hatte die Knights heillos damit erschreckt, dass sie ihnen freundlich lächelnd "guten Abend" gewünscht, Sir Islands zu dem Neubau gratuliert und sich bei Sir Heyworth nach seinem 11jährigen Sohn erkundigt hatte, der gerade eine Blinddarmoperation hinter sich hatte. Das war mehr "small talk" als in den letzten fünf Jahren zusammen.

Das Gebäude stand außerhalb Londons, inmitten eines riesigen, noch brach liegenden Baugeländes. Bagger waren überall zu sehen, Kräne, Betonmischmaschinen und aufgeschüttete Sand- und Kieshaufen. Die Arbeiten auf dem flachen Dach des Gebäudes waren noch nicht abgeschlossen; dort sollten noch Solarzellen installiert werden.
 

Die Knights wurden, während sie das Gebäude besichtigten, ihrerseits "besichtigt".

An einen Bauwagen gelehnt stand eine Person mit einem langen, blutroten Mantel. Alucard beobachtete Integra, die im Kreis der schwarz- und graugekleideten, meist untersetzten Männer wie ein Fremdkörper wirkte. Er bewunderte ihre langen, hellen Haare, ihre aufrechte Haltung, ihren entschlossenen Gang. Alucard konnte den Blick nicht von ihr wenden. Er war erstaunt darüber, wie sehr er sie liebte. Manchmal lächelte sie versonnen vor sich hin und ganz offensichtlich hörte sie nicht mal mit halbem Ohr auf das, was Sir Islands alles zu seinem neuen Gebäude zu sagen hatte.

'Sie denkt an mich', dachte Alucard. Am liebsten wäre er auf den Bauwagen gesprungen und hätte "I'm the King of the world!" gebrüllt.

(Hell, genau wie in einem dieser schrecklichen Filme aus Seras' DVD-Sammlung... Alucard hatte diese Szene bis jetzt grauenhaft albern gefunden. Bis jetzt...)
 

Die Liebe ist die Taufpatin der Dummheit.

Das war bislang einer von Alucards Lieblingssprüchen gewesen, doch heute...

Hätte er in diesen Momenten etwas weniger auf Integra und etwas mehr auf die Umgebung geachtet, wäre ihm

a) eine "Person" aufgefallen, die in einem der leeren Bagger saß und ebenfalls Integra anstarrte und

b) noch eine weitere "Person", die hinter einem Kieshaufen kauerte und wiederum die Person in dem Bagger belauerte...
 

Integra und die Knights besichtigten das Gebäude schließlich auch von innen und eine dreiviertel Stunde später begann die eigentliche Versammlung.

Integra hatte den Knights die Erfolgsquoten ihrer Organisation aus den letzten drei Wochen mitgeteilt. Die Truppe hatte nur zu drei Einsätzen ausrücken müssen (einer davon ein Fehl-Alarm); eine auffallende Anhäufung von Freak-Attacken war demnach nicht zu verzeichnen. Die Öffentlichkeit war auf die Arbeit der Truppe nicht aufmerksam geworden.

"Und wie steht es mit den Testreihen zu dem neuen Waffentyp?" erkundigte sich Sir Atwood.

"Ich hoffe, die Tests sind endlich abgeschlossen, damit wir mit eventuellen Verbesserungen und letztlich der Produktion beginnen können."

"Die Testreihen sind abgeschlossen", entgegnete Integra, (und registrierte das vorwurfsvolle "endlich") "ich werde Ihnen die Ergebnisse schwarz auf weiß vorlegen. Ich habe Tabellen erstellt, um Ihnen den direkten Vergleich zu erleichtern." Sie lächelte Sir Atwood honigsüß an.

Integra öffnete ihren schmalen, schwarzen Aktenkoffer - und fluchte innerlich. Sie hatte vorgehabt, jedem der Knights einige Tabellenblätter mit den Waffentest-Ergebnissen vorlegen zu können. In dem Koffer lag jedoch nur ihr eigenes Exemplar; sie hatte völlig vergessen, die Blätter zu kopieren.

'Das kommt davon, wenn man mit den Gedanken wer weiß wo ist...', dachte sie, musste aber lächeln, denn immerhin waren das... angenehme Gedanken gewesen...

"Entschuldigung", wandte sie sich an die Knights, "Sir Islands, ich habe bei unserem Rundgang vorhin einen Kopierer gesehen..."

"Vierter Stock, vor Raum 428", brummte Sir Islands. Integra erhob sich, ignorierte die vorwurfsvoll hochgezogenen Augenbrauen und gerunzelten Stirnen und verließ mit ihren Papieren den Konferenzraum.
 

Wenig später stand sie ein Stockwerk höher in dem dunklen Flur vor dem Kopierer. Im Gegensatz zu dem Kopiergerät funktionierte die Deckenbeleuchtung hier noch nicht. Es war noch immer warm, Integra knöpfte ihr Jackett auf und fächelte sich mit einigen Papieren Luft zu. (Sobald sie zu den Knights zurückkehrte, würde sie ihr Jackett selbstverständlich wieder schließen.) Das monotone Summen des Kopierers hatte eine einlullende Wirkung. Sie schloss die Augen halb und ging im Kopf noch einmal die Punkte durch, bei denen am Round Table noch Verhandlungsbedarf bestand.

"Da bist du ja. Endlich", sagte eine Stimme, keine vier Meter von ihr entfernt. Integra riss die Augen auf. Goldfarbene Augen starrten sie an. Integra machte eine Bewegung als ob ihre rechte Hand vor Schreck blitzschnell zu ihrer Herzgegend flog. Doch ihre Hand fuhr zielsicher (wie oft hatte sie das geübt...) unter ihre Jackettjacke, zum Schulterhalfter, zum Griff des kleinen Revolvers.

Goldene Augen...? Sie sah genauer hin. Die Gestalt kam näher. Ja, goldene Augen, schwarze Haare, die Mütze mit dem Horus-Augen-Symbol, Piercings, ein bekifftes Grinsen... nein, das war unmöglich, sie hatte ihn erschossen...

Er war direkt vor ihren Augen in Quecksilberflammen aufgegangen. Und jetzt stand er wieder vor ihr. Ihr wurde kalt.

"Aha", sagte Jan, "ich sehe, du erinnerst dich. Ja, ich bin's - Mr Valentine, der jüngere. Janni! Erstaunt, Verehrteste? Dann staun halt, solange du noch kannst."

Er stemmte beide Hände in die Hüfte und betrachtete sie, anzüglich grinsend.

"Weißt du eigentlich, dass du in unseren Kreisen die meistgehasste und meistbegehrte Frau bist? Befehlshaberin der Vampirjäger." Er spuckte aus. Integra wich einen Schritt zurück.

"Alle reden von deinem verdammten, unschuldigen Hellsing-Blut. Ich wollte sehen, ob du immer noch so arrogant bist, so siegessicher, so selbstgerecht, wenn deine Unschuld beim Teufel ist!" Er lachte. "Wenn aus der Eisernen Jungfrau eine billige Freak-Schlampe wird", setzte er hinzu, das Wort genüsslich ausschmatzend.

"Ich hätte dich ins Nirvana geritten. Aber aus unserem date ist ja nichts geworden", er zischte vor Hass. "Weil du mich ja erschießen musstest. Mit Quecksilberkugeln. Kamst dir sehr gerissen vor, was?"

Er spuckte wieder aus. Integra wich noch einen Schritt zurück.

"Aber heute", Jan grinste wie wahnsinnig, "heute wird Janni gewinnen und kriegt, was er will. Heute wird alles nachgeholt." Er begann, an seinem Gürtel herumzufummeln.

Integra schoss. Dreimal. Sie traf ihn exakt zwischen den Augen - wie damals. Jan gluckste.

"Glaubst du echt, die Nummer klappt zweimal?"

Er schlug sich mit der flachen Hand auf den Hinterkopf und die drei Patronen fielen mit leisem Klingeln auf das Linoleum. Jan Valentine kreischte vor Lachen.

Integra rannte los. Noch immer bemühte sie sich, zu verstehen, was mit Jan geschehen war. Er war dicht hinter ihr; sie hörte seine Schritte, seinen Atem. Sie rannte unbeleuchtete Flure entlang, dunkle Treppen hinauf, Treppen hinunter - wo war der verfluchte Konferenzraum? Oder besser; wo war der Ausgang? Sie hatte sich verirrt.

Und wo war Alucard?? Verdammt!?! Sie wusste doch, dass er hier irgendwo war! Sie spürte, wie sie panisch wurde. Ihre Gedanken riefen nach ihm. Nie - nicht einmal jetzt - hätte sie sich vor Jan Valentine die Blöße gegeben, laut nach Alucard zu schreien...
 

Jan sprintete hinter ihr her, den herausgezogenen Gürtel in der Hand. Luke hatte gesagt, sie sollten abwarten...

Aber er hatte seine ganz persönliche Abrechnung mit Integra. Er wusste, es hatte keinen Sinn, sie in Hellsing Manor anzugreifen - er hatte absolut keine Lust, dem Vampir zu begegnen, der Luke damals zerlegt hatte und auch diesen zynischen Butler wollte er nicht wiedersehen. Dieser Kerl mit dem Zopf, der so harmlos dekadent aussah und dann alles mit diesen fiesen, silbrigen Fäden niedermetzelte... Die Erinnerung daran, wie ein einziger herablassender Butler seine Ghoultruppe fast zu einem Drittel eliminiert hatte, peitschten Jans Rachegelüste, seinen Hass und seine Gier an. Er war jetzt dicht hinter Integra, fast konnte er nach ihrem hellen Haar greifen...
 

Alucard saß auf dem Rand des Flachdachs und betrachtete den Mond. Die Dunkelheit hatte sich für einen klaren Sommerabend viel zu schnell verdichtet. Kein Windhauch war zu spüren. Eine lautlos wartende Heimlichkeit lag in der Luft. Die Nacht war schwarz und still und warm. Baumwipfel, in denen die Nachthitze brütete. Und doch fröstelte Alucard. Der Mond war blutrot.

"Eine seltsame Nacht", murmelte Alucard.

"Du spürst es also auch?" fragte eine spöttische Stimme hinter ihm.

Alucard sprang auf. Anderson stand nur wenige Schritte von ihm entfernt.

Anderson lachte leise. "Du hast mich nicht gehört? Was ist los mit dir, zahmes Hellsing-Schoßhündchen?"

"Was willst du?" fauchte Alucard durch zusammengebissene Zähne.

Anderson zuckte mit den Schultern. "Ein Freak ist hier. Den werde ich eliminieren. Aber vielleicht fange ich mit dir an, zum Aufwärmen."

"Ein Freak", sagte Alucard, "sieh an." (Verdammt, wieso hatte ER das nicht gespürt?!) "Und was hat der Vatikan mit diesem Freak zu schaffen?"

Anderson lachte bellend. "WIR, die 13. Kongregation des Vatikans, die Division Iscariot, bekämpfen Vampire seit ewigen Zeiten! WIR sind die Exekutive von Gottes Streitmacht! Und wer seid ihr?" Er beugte sich etwas vor und fletschte spöttisch die Zähne.

"Sieh dich doch an - hockst auf einem Dach, starrst den Mond an, führst Selbstgespräche und merkst nicht, wenn sich von hinten jemand anschleicht. Degenerierter Karpaten-Abschaum. Protestanten-Sklave!"

"Lass uns beginnen, Judaspriester", sagte Alucard. Seine Stimme war ruhig und leise - aber es lag eine diamantene Schärfe darin.
 

Der Kampf war heftig - aber kurz. Alucard verfügte über gewaltige Kraft, Kampferfahrung und Gerissenheit - und die Wut auf Anderson verdreifachte all das noch...

Und doch war er überrascht, wie schnell er Anderson diesmal unter Kontrolle hatte. Anderson stand vor ihm, direkt an der Dachkante, mit leeren Händen und starrte ihn hasserfüllt an. Alucard hatte seine geliebte Jackall in der rechten Hand, in der linken eines von Andersons Spezial-Schwertern.

"Sieht aus wie eine Maurerkelle oder ein überdimensionierter Brieföffner", hatte Walter mit hochgezogener Augenbraue gesagt, als Alucard ihm vor einer Weile eines von Andersons Schwertern gezeigt hatte.) Alucard musste grinsen, als er daran dachte. Er setzte Anderson die Spitze des eigenen Schwertes an die Kehle.

"Labern kannst du gut, kämpfen solltest du noch üben", sagte Alucard. "Ist hier wirklich ein Freak, oder war das ein Spruch? Los, spuck's aus!"

Anderson kicherte vor sich hin.

Alucard ritzte die Haut an Andersons Hals ein und setzte ihm zusätzlich die Mündung der Jackall an die Stirn.

"Vorsicht, Judaspriester", sagte er leise, "es wäre bekömmlicher, das zu tun, was derjenige am anderen Ende der Jackall zu dir sagt. Also - ist hier ein Freak?" Anderson nickte, wobei er sich, wegen dem Schwert an seinem Hals, fast selbst die Kehle aufschlitzte.
 

Hastige, rennende Schritte ertönten, wurden lauter. Die Tür, die auf das Dach führte, wurde aufgestoßen und Integra kam auf sie zugerannt, dicht gefolgt von Jan.

"Den meinte ich", bemerkte Anderson und versetzte Alucard, der entgeistert Integra und Jan anstarrte, einen Tritt in die Magengegend.

Jan holte unterdessen mit seinem Gürtel aus und schlug zu. Die Gürtelschnalle traf Integra am Hinterkopf. Sie stürzte zu Boden und blieb benommen liegen.

Jan wollte sich auf sie stürzen, blieb jedoch wie versteinert stehen, als er Alucard und Anderson entdeckte.

"Der gehört mir", sagte Alucard.

"Nein, mir" entgegnete Anderson.

"Voll krasse Scheiße", zischte Jan und starrte Alucard und Anderson an.

Integra ballte die Fäuste. Ihr Hinterkopf schmerzte furchtbar. Alucard, Anderson und Jan standen um sie herum, sie lag im Zentrum dieses Dreiecks. Während die drei sich gegenseitig Warnungen und Beleidigungen zukläfften, begann sie sehr langsam, an den Rand des Daches zu kriechen, weg von den dreien. An einem Baugerüst-Teil zog sie sich vorsichtig hoch. Wieder raste der stechende Schmerz durch ihren Kopf. Sie lehnte ihre Wange an das kühle Metall des Baugerüstes. Sie schaute zu Jan und fror.

Das hatte es noch nie gegeben - eine besiegte Kreatur der Nacht war zurückgekommen...

Vielleicht kamen sie jetzt alle zurück...

Vielleicht warten sie in Hellsing Manor schon alle auf mich; Incognito, Boobhanshee, Luke, die Ghoul-Armee, Lief und Jessica, der Priester von Cheddar, Mutter...

Integra kicherte hysterisch. Alucard, Anderson und Jan warfen ihr verwirrte Blicke zu.

Dann ging alles sehr schnell.

Alucard feuerte seine Jackall ab und gleichzeitig warf Anderson Schwerter. Jan schluckte, dann starrte er an seinem von Kugeln durchsiebten, von Schwertern durchbohrten Körper hinunter. Er schnitt eine hasserfüllte Fratze, taumelte und stürzte polternd den Treppenaufgang hinunter.

Alucard und Anderson verharrten in ihren Bewegungen, jederzeit bereit, den anderen anzugreifen und belauerten sich zähnefletschend.

Integra stand noch immer gegen das Baugerüst gelehnt und starrte an die Stelle, an der Jan Valentine von der Bildfläche verschwunden war.

"Und", wandte sie sich an Alucard und Anderson, hysterischen Sarkasmus in der Stimme, "wer von euch darf jetzt einen Strich auf seine Strichliste malen?"

"Halt's Maul, Weib", knurrte Anderson und warf eines seiner Schwerter nach Integra. Das Schwert zuckte durch die Nacht wie ein Blitz.

Integra wich aus, warf sich nach links. Zwei, drei reflexschnelle Schritte...

... Alucard realisierte erleichtert, dass das Schwert sie verfehlte...

... doch der dritte Schritt war ein Schritt in die Nacht, ins schwarze Leere...
 

Alucard hörte, wie Integra entsetzt nach Luft schnappte, sah, wie ihre Hand in dem weißen Handschuh nach dem Baugerüst griff und daran vorbei in die Nacht griff.

Er spürte ihr eisiges Entsetzen - oder war es sein eigenes?

Eine überirdische Klarheit, wie nur die zusammengepressten Sekunden zwischen Leben und Tod sie haben...

Vorbei...

Stille... ein endloser Augenblick...

Dann der Aufprall.

Der Aufprall, der grässlich nach Knochen klang.

Der letzte Befehl

Es geht endlich (!!!) weiter!

Zu meiner Entschuldigung kann ich euch sagen - ich war echt im Stress!

Ich mache gerade einen Multimedia-Kurs (Photoshop, CorelDRAW, Flash MX, Powerpoint, etc.), der findet täglich statt von 8.00 bis 15.30. Danach (ich wohn' ja "außerhalb", darum lohnt es sich nicht, nach Hause zu fahren) musste ich fast täglich noch gut 2 Stunden in der Stadt bleiben (oder mit AmberKid auf dem Mittelaltermarkt abhängen (*AmberKid-zuwink*)

Das war klasse, ich habe mir dort wilde Feigen, persischen Honig, Kirschwein und massenhaft Inspiration (für mein Fantasy-Projekt) geholt! ^____^ )

Danach musste (durfte!?) ich noch ins Theater, weil ich fast täglich Aufführungen und/oder Proben hatte und war meist erst zwischen 22.00 und 23.00 zu hause... x_x (Worauf hab ich mich da eingelassen...)

Aber das interessiert euch alles bestimmt gar nicht, also... *räusper*

Ihr armen Lieben! Ich weiß, der Cliffhanger war böse, ~_^ aber mit so vielen, heftigen Reaktionen habe ich nicht gerechnet! Es tut mir leid! *verbeugverbeugverbeug*

Dass ihr so sehr mitfiebert, das... das war mir echt nicht klar... *schluck* ... Ich bin richtig gerührt! (Echt wahr!!)

Ich hoffe, ihr verzeiht mir und bestraft mich nun nicht mit Kommentar-Entzug! O_O°
 

-------------------------------------------------------------------------
 

Alucard hörte, wie Integra entsetzt nach Luft schnappte, sah, wie ihre Hand in dem weißen Handschuh nach dem Baugerüst griff und daran vorbei in die Nacht griff.

Er spürte ihr eisiges Entsetzen - oder war es sein eigenes?

Eine überirdische Klarheit, wie nur die zusammengepressten Sekunden zwischen Leben und Tod sie haben...

Vorbei...

Stille... ein endloser Augenblick...

Dann der Aufprall.

Der Aufprall, der grässlich nach Knochen klang.
 

Für einen Moment - oder war es die Ewigkeit - schien die Zeit still zu stehen.

Er starrte in die Schwärze der Nacht, an die Stelle, an der sie doch gerade noch gewesen war.

Das war nicht passiert, das konnte nicht wahr sein.

Im nächsten Moment war er bei ihr. Sie lag auf dem Rücken, den Kopf zur Seite geneigt, die Augen geschlossen. Eine nächtliche Brise bewegte eine Strähne ihres langen hellen Haares. Ein schmales Blutrinnsal an ihrem Mundwinkel, ein weiteres an ihrem linken Ohr. Ihre Haut war bestürzend blass, ihre Arme und Beine unnatürlich verrenkt - wie bei einer zerbrochenen Puppe.

All diese einsamen Jahrhunderte waren nicht umsonst gewesen - er hatte sie gefunden.

Hatte er sie gefunden, nur um sie gleich wieder zu verlieren?

Hatte er noch immer nicht genug gebüßt für seine Greueltaten vor ewigen Zeiten?

Ich habe mein Anrecht auf ein bisschen Glück auf ewig verwirkt...

Alucard ließ sich neben Integra auf die Knie sinken.

"Meine Schuld", flüsterte er tonlos. "Alles. Es tut mir leid."

Er beugte sich über sie. Als seine Fingerspitzen die weiche Haut ihrer Wange berührte, war ihm, als schnüre ihm eine eiserne Faust die Kehle zu. Nachdem er sich Nacht für Nacht diesen Stern herbeigewünscht hatte, war nun wieder alles vorbei. Sein ewiges Dasein verlor seinen letzten Rest Sinn und doch würde er auf dieser Welt bleiben müssen. Allein auf dieser Welt, die ihm umso weniger gefiel, je genauer er sie kannte.

Alles, was kaum begonnen hatte, war vorbei und ließ ihn noch einsamer zurück, als jemals zuvor.

Etwas drang in seine dumpfe Verzweiflung... Alucard starrte in Integras regloses Gesicht.

Er witterte ihr Bewusstsein. Er legte seine Fingerspitzen an ihren Hals. Schwach, so schwach, spürte er das Pulsieren ihres Blutes.

Sie war noch nicht gegangen. Alucard keuchte fassungslos. Vielleicht... Er durfte jetzt keine Fehler machen. Reglos verharrte er, unfähig, irgendetwas zu tun. Wie im Fieber überstürzten sich die Gedanken in seinem Kopf. Weg, sie muss hier weg...

Hastig und doch unendlich behutsam hob Alucard sie hoch. Entsetzt spürte er die unzähligen Knochenbrüche, die sie beim Sturz davongetragen hatte.
 

Die Knights im Konferenzraum hatten sich leise unterhalten. Sir Islands blickte ungnädig auf seine Taschenuhr. Sollte Lady Hellsing den Kopierer im unbeleuchteten Flur des vierten Stocks nicht gefunden haben? Er seufzte. Wahrscheinlich war sie zu stolz, um zurück zu kommen und sich noch einmal nach dem Standort des Kopierers zu erkundigen. Verständlich. Das wäre wirklich peinlich. Sir Islands seufzte. Das versprach ein langer Abend zu werden... Hoffentlich fand sie den Kopierer bald und hoffentlich funktionierte er...

Plötzlich sprang Sir Byatt mit einem Schreckenslaut auf. Die anderen Knights zuckten zusammen und starrten ihn an.

"Verzeihung, Gentlemen", stammelte Sir Byatt. Er war der jüngste der Knights und hatte erst kürzlich den Sitz von Sir Penwood eingenommen.

"Ich..." stammelte Sir Byatt und deutete mit zitternder Hand zum Fenster, "ich glaube, jemand ist vom Dach gestürzt. Und... ich glaube, es war Lady Integra. Die hellen Haare..."

Sir Atwood war als erster am Fenster. Er riss es auf und beugte sich hinaus. Die Nacht war undurchdringlich; ihm war, als blicke er in ein Tintenfass. Und doch - da schien eine Silhouette unten auf dem Rasen zu sein. Und noch eine! Bewegten sie sich? Warum war es so entsetzlich dunkel?

"Hallo?" rief Sir Atwood hinunter. "Hallo, ist da jemand?"
 

Alucard hörte Sir Atwoods Rufen nicht mehr. Behutsam trug er Integra durch die Nacht.

Als er merkte, dass sie zu Bewusstsein kam, machte er Halt und kniete sich vorsichtig nieder. Sie waren auf einem einsamen Hügel angelangt. Er hielt Integra im Arm wie ein kleines Kind. Sie war schwer verletzt. Jede noch so kleine Bewegung musste ihr unendliche Qualen bereiten.

"Bleib ganz ruhig", flüsterte Alucard, obwohl sie sich nicht rührte. Sie hatte ihre Augen jetzt halb geöffnet. Sie ließ sich ihre Schmerzen nicht anmerken, aber auf ihrer Oberlippe und der Stirn bildeten sich winzige Schweißtropfen. Alucard strich ihr sanft über die Haare.

"Halt noch ein bisschen durch, ja?" Alucard versuchte, lässig und zuversichtlich zu klingen. Doch in ihm krampfte sich alles mit Eiseskälte zusammen. Er durfte sie nicht verlieren! Er kramte in seiner Manteltasche hektisch nach dem tausendfach verfluchten Handy.

"Ich ruf das Rettungsteam aus dem Hauptquartier", erklärte Alucard mit größter Sachlichkeit. "Mit dem Helikopter sind die in wenigen Minuten hier und... und in ein paar Tagen bist du wieder hergestellt und kannst uns alle rumkommandieren." Alucard nickte tapfer. "Ja. In ein paar Tagen."

Integra lächelte matt. "Ich sterbe... das weißt du", sagte sie. Ihre Stimme war leise, kraftlos, stockend.

"Nein", sagte er und seine Stimme kippte. "Nein!"

Der mächtige No-Life-King - er marschierte durch die Tragödien anderer Leute, ohne dabei Schaden zu nehmen. Er war seit jeher angefüllt mit einer fast heiligen Bosheit. Er hasste die Menschen, verfluchte sie, glaubte, dafür ausreichenden Grund zu haben, und vielleicht hatte er das auch.

Und doch hielt er in dieser Sommernacht hilflos schluchzend einen sterbenden Menschen im Arm.

Das Leben scherte sich nicht um seine Unsterblichkeit. Wann immer er begann, etwas - jemanden - zu lieben, wurde es ihm genommen. Zu lieben hieß zu verlieren. So war es immer und so würde es immer bleiben.

Alles wiederholt sich und er war wieder darauf hereingefallen.
 

Im Konferenzraum herrschte Aufregung - die Knights waren die Treppen hinuntergelaufen. Einige von ihnen standen nun vor dem Kopierer. Die Tastatur blinkte noch, wartete auf neue Eingaben. Im Ausgabe-Fach lagen einige Papiere, weitere Papiere lagen auf dem Fußboden. Doch von Integra keine Spur.

Ein paar andere Knights waren direkt nach draußen auf die Rasenfläche gelaufen - doch die Rasenfläche war leer. Nichts deutete daraufhin, dass vor wenigen Momenten jemand vom Dach gestürzt war.

"Na, Sir Byatt", sagte Sir Islands spöttisch, "da ist wohl Ihre Phantasie mit Ihnen durchgegangen."

"Und wo ist Lady Hellsing?" fragte Sir Byatt zurück. Die Knights schwiegen ratlos.

"Gentlemen, sehen Sie sich das an." Sir Thomas hatte sich hingekniet und hob etwas vom Rasen auf. Die Knights kamen näher und betrachteten den Gegenstand in Sir Thomas' Hand. Es war Integras zerbrochene Brille.
 

Wieder und wieder strich Alucard behutsam über ihren Kopf. Er hatte das Bedürfnis, sie an sich zu drücken, sie festzuhalten, sie nie wieder loszulassen, sie hier zu halten - oder mit ihr zu gehen.

"Alles ist meine Schuld", flüsterte er und zog sie vorsichtig an sich. Bei seiner Bewegung biss sie die Zähne zusammen und schloss die Augen. Alucard zuckte ebenfalls zusammen. Wenn er wenigstens etwas gegen ihre Schmerzen tun könnte...

"Alucard", sagte Integra. Ihre Stimme wurde immer schwächer, er musste sein Gesicht dicht an ihres halten um sie noch verstehen. Sie öffnete ihre Augen wieder und sah ihn an.

"Du weinst", murmelte sie verwundert. Sie versuchte, ihre Hand zu heben, konnte es aber nicht. Vorsichtig nahm Alucard ihre Hand und legte sie an seine Wange.

"Hör mir zu", flüsterte sie. "Mein letzter Befehl für dich..."

"Ja, Master." Das Rot in Alucards Augen schien zu lodern.

JETZT.

Der Augenblick war da. Jetzt würde der Befehl kommen, auf den er schon so lange wartete...

"Alucard...", jedes Wort schien ihr eine Qual zu sein. "Geh zu Walter und ... sag ihm... danke von mir. Danke ... für all die Jahre."

"Das ist alles!?" keuchte er.

"Ja. Nein... Dir natürlich... auch danke. Und jetzt..."

"Ja?!"

"...jetzt bist du frei." Ein schmerzerfülltes Lächeln.

"Ich will nicht frei sein. Verdammt! Ich will nicht mehr frei sein! Versteh das endlich!"

Er hätte sie am liebsten geschüttelt. Aber Integras Hand, ihr Arm sackten zu Boden. Sie hatte die Augen geschlossen und ihr Kopf sank langsam zur Seite.
 

Alles versank in tiefster Finsternis. Alles ringsumher löste sich auf. Da war nur noch ein leiser Klang, eine traurige Melodie, die der Wind der Nacht zuflüsterte - das Leitmotiv seines armseligen, einsamen Daseins. Ein für-immer-und-ewig-da-sein-müssen, ohne Ende.

Er legte seinen Kopf ins Genick, schloss die Augen und schrie die Nacht an.

Diese winzige Zeitspanne zwischen Geburt und Tod, die ihr euer Leben nennt.

Ein Menschenleben - lachhaft. Ein falscher Schritt und alles ist vorbei. Ein Flämmchen im Wind, nicht mehr als ein Feuerfunken.

Funken fliegen in die schwarze Nacht und versinken. Man kann sie nicht aufhalten. Man kann ihnen nur nachsehen

Doch. Ich kann sie aufhalten.

"Du bleibst bei mir", sagte er leise und zog sie an sich.

In der Ferne die Lichter Londons. Der Horizont funkelte, mit Lichtern besät, wie ein Juwelenband, das sich die Erde um den Hals legte.
 

Es war eine ruhige Sommernacht...
 

...und Walter hatte sich früher als sonst in seine Räumlichkeiten zurückgezogen. Er hatte es sich mit einem kleinen Glas Sherry in einem Sessel bequem gemacht, und gestattete seinen Augen, vornehm auf den Seiten der Times zu weilen.

Nach kaum fünf Minuten landete die Times im Altpapier und Walter kehrte mit einem Buch zu seinem Sessel zurück. Keine fünf Minuten später stand das Buch wieder im Regal. Walter zappte durch sämtliche Fernsehprogramme. Nach wenigen Minuten flog die Fernbedienung zurück auf den Tisch und landete neben dem unberührten Sherry-Glas.

Walter ging auf und ab. Sah aus dem Fenster. Ging wieder auf und ab. Irgendetwas stimmte nicht mit dieser Nacht. Irgendetwas trieb ihn an den Rand des Wahnsinns.

Das Telefon klingelte. Wahrscheinlich gab es einen Ghoul-Alarm. Walter war fast erleichtert; endlich würde er etwas tun können - einfach irgendetwas!

Sir Islands meldete sich am anderen Ende der Leitung. Er klang nervös.

"Oh, Mr Cum Dolneazz, entschuldigen Sie bitte die späte Störung", sagte er. "Sagen Sie - ist Lady Integra in Hellsing Manor angekommen?"

"Nein", antwortete Walter und in seinem Kopf schrillten zahllose Alarmglocken.

"Nicht? Oh", sagte Sir Islands. Walter hörte im Hintergrund die anderen Knights leise murmeln. "Tja. Das ist ja... Nun, nichts für ungut, Mr Cum Dolneazz, auf Wiederhö..."

"Was ist mit Lady Integra?" Walters Tonfall war mindestens so scharf wie seine silbernen monowires.

"Also...", Sir Islands zögerte. "Sie... ist verschwunden."

Walter legte ohne ein weiteres Wort auf. Ziellos ging er durch Hellsing Manor. Vielleicht war sie ja doch schon zurückgekehrt... Nein, war sie nicht. Sie war nicht da.

Nun. Das alles hatte natürlich noch gar nichts zu bedeuten, ermahnte sich Walter in Gedanken. Wahrscheinlich gab es eine ganz simple Erklärung.

Walter sah noch einmal im Arbeitszimmer nach. Nichts. Er griff nach dem Telefon und rief Seras an.

"Meister Alucard?" fragte Seras. "Nö, der ist nicht hier. Hab ihn seit Stunden nich' gesehen. Ist was los, Walter? Sollen wir ausrücken?"

Walter hörte, wie sie ihre Halconnen durchlud. Trotz aller Anspannung musste er lächeln. "Nein, nein, Fräulein Victoria, es ist alles in Ordnung."

Er legte auf und spürte, dass nichts in Ordnung war.

Alucard war also auch nicht hier - sicherlich war er bei Integra.

Warum nur beruhigte ihn das nicht?

Walter fühlte sich beobachtet. Er schaute auf und sah in die Augen des Sir-Hellsing-Porträts. Arthurs Blicke schienen ihm so vorwurfsvoll, dass er regelrecht aus dem Raum floh.
 

Alucard hatte Hellsing Manor erreicht. Er durchquerte die große Eingangshalle, die von bläulichem Mondlicht durchflutet war. Er trug Integra in seinen Armen. Sie war noch nicht wieder bei Bewusstsein. Vorsichtig befühlte er mit seiner Hand ihren rechten Arm. Die Knochenbrüche verschwanden - sie regenerierte bereits. Er nickte ihr zufrieden zu - wie ein Lehrer einem besonders aufmerksamen und gelehrigen Schüler.

Alucard war berauscht von ihrem Blut und der Aussicht, dass sie nun für immer bei ihm bleiben, für immer zu ihm gehören würde. Er, der Herr ihres Blutes, konnte ihr Erwachen kaum erwarten.

Oh, natürlich - sie würde ihm wieder vorwerfen, er habe "zu viel Eigeninitiative" gezeigt. Und wenn schon, dachte er und grinste wölfisch.

Mach mir Vorwürfe - hundert Jahre lang.

Das ist besser, als wenn deine Stimme für immer verstummt wäre.

'Sie wird durchdrehen', dachte er. Sie wird toben, schreien, wüten...

Alucard betrachtete ihr schlafendes Gesicht und musste sich eingestehen, dass er im Moment noch nicht daran denken wollte, wie sie reagieren würde, wenn sie begriff, dass sie zu einer Kreatur der Nacht geworden war.

Und er wollte auch nicht daran denken, wie Walter darauf reagieren würde...

Morgen würde ein verdammt harter Tag werden...

"Alucard!"

Alucard blieb wie angewurzelt inmitten der Eingangshalle stehen.

Der harte Tag hatte bereits begonnen...

Walter war auf dem oberen Treppenabsatz aufgetaucht. Als er Integra in Alucards Armen entdeckte, riss er entsetzt die Augen auf.

"Es ist alles soweit in Ordnung. Wirklich", sagte Alucard, aber Walter war bereits die Treppen hinuntergeeilt und kam auf sie zu.

"Was, um Himmels Willen, ist passiert? Soll ich einen Arzt rufen?" Walter starrte auf Integras blutverschmiertes Hemd.

"Walter, bitte! Du hilfst am besten, indem du sie einfach in Ruhe lässt. Vergiss es, leg dich ins Bett und schlaf ein paar Stunden. Morgen klären wir die Details."

Alucard drängte sich grob an Walter vorbei. Der alte Knochen hatte so eine Behandlung wirklich nicht verdient, aber Alucard wollte ihn in diesen Augenblicken einfach los sein.

Er wurde ihn natürlich nicht los.

Wie ein Schatten folgte Walter ihm in Integras Schlafzimmer. Behutsam legte Alucard seine Herrin auf ihr Bett. Er wäre gern mit ihr allein gewesen, aber Walter wimmelte um ihn herum, wie eine aufgeregte Glucke, die sich um ihr Küken sorgt.

"Sag mir bitte, was passiert ist." Walter klang inzwischen ärgerlich.

"Ich habe gesagt, ich erzähl dir morgen, was los war. Geh jetzt", knurrte Alucard drohend.

Er wollte Walter jetzt nichts erklären müssen. Alucard hätte es niemals ausgesprochen - aber er hatte Walter gegenüber ein schlechtes Gewissen. Walter tat ihm leid, wie er versuchte, etwas näher an Integra heran zu kommen, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Wahrscheinlich ahnte er längst, was geschehen war...

Dieses schlechte Gewissen machte Alucard noch ärgerlicher.

Er schirmte Integra, so gut es ging, mit seinem Oberkörper gegen Walter ab.

Sehr behutsam zog er ihr die Anzugjacke aus. Eigentlich sollte er ihr auch die Anzughose ausziehen. Einfach, damit sie es bequemer hatte.

Aber angesichts von Walter, der wie eine drohende Gewitterwolke neben ihm aufragte, ließ Alucard die Hände von ihrem Hosenbund.

"Die Schuhe. Wenn du schon dabei bist", sagte Walter eisig.

Alucard kniete neben dem Fußende des Bettes nieder und wollte gerade nach Integras rechtem Fuß greifen - da merkte er, wie Walter mit einem schnellen Schritt neben das Kopfende trat.

Alucard biss die Zähne zusammen.

Walter schob Integras Hemdkragen mit zwei Fingern etwas nach unten.

Die Bissspuren und der Bluterguss an ihrem Hals verblassten bereits, waren aber noch immer deutlich zu sehen.

Walter zuckte zurück, als habe er sich verbrannt.

Alucard wartete ab, was nun passieren würde.
 

Nichts passierte.

Alucard, der noch immer neben dem Fußende des Bettes kniete, warf Walter von unten herauf einen Blick zu. Er hatte wütendes Gebrüll und bittere Vorwürfe erwartet, aber diese Stille war schlimmer.

Walter stand einfach nur da, wie ein stummer Vorwurf, und sah Integra traurig an.

"Ich hatte keine andere Wahl", sagte Alucard.

Walter schloss die Augen und atmete tief durch. Und öffnete seine Augen wieder.

"Es war nur eine Frage der Zeit", sagte er ruhig.

"Weiß sie, was mit ihr passiert ist?" erkundigte er sich sachlich.

"Nein. Noch nicht."

Doch dann nahm Walter sein Monokel ab und wischte sich mit der Hand über die Augen.

"Verzeihung", bemerkte er, "ich bin ein miserabler Schauspieler." Er schluckte.

"Ich hatte keine andere Wahl", wiederholte Alucard leise.

"DAS SAGTEST DU BEREITS!" schrie Walter.

"WAS HÄTTEST DU GETAN? NA LOS, SAG'S MIR!" schrie Alucard zurück.

Integra seufzte leise.

Schlagartig waren Alucard und Walter still und starrte sie wie gebannt an.

Integra bewegte sich ein wenig, runzelte leicht die Stirn und - Alucard und Walter hielten die Luft an - öffnete die Augen.

Sie öffnete die Augen und sah die beiden Männer blicklos an. Dann schlossen sich ihre Augen wieder und ihr Kopf sank auf die Seite und sie schlief weiter, mit ruhigen, flachen Atemzügen. Walter und Alucard starrten wortlos.

Sie hatten rote Augen erwartet, wie bei Alucard und Seras. Aber Integras Augen waren so tiefblau wie immer.

"Wenn sie aufwacht", begann Walter, "ich denke, es wäre besser, wenn du dann nicht hier bist."

"Vielleicht ist das so." Alucard fletschte leicht die Zähne, stand aber gehorsam auf. Er warf noch einen Blick auf Integra. "Ich bin nicht weit weg."

Er verließ das Zimmer.

No-Life-Queen (1)

Ihr Lieben,
 

es geht weiter! Ich will vorweg gar nicht viele Worte machen (da kommen noch genug... ^^°), aber ich möchte mich unbedingt wieder einmal für eure Kommentare bedanken!!!!!

Nex_Caedes, Marishka, MicaAurel, Draculea, Cherry10001, VeggieGirl, das-schrecken, Aaliyah1, Yoela, kiddo-chan, Saiyama, Kaen und black-drancer - DANKE!!!!!!!! *verbeug* Ich hab mich wieder so sehr gefreut! ^____________^

Über 100 Kommentare - ich... ich bin... sprachlos und kann das gar nicht recht glauben...
 

Und dann das hier:

Ich habe eine Fan-Fiction-Empfehlung!!!!!! O_O

*laut-schreiend-im-Zimmer-im-Kreis-renn-und-schließlich-selig-lächelnd-umkipp*

Oh Neri-chan, du süße Süße! *.* *Nerissa-knuddel-und-nie-wieder-loslass*
 

So, aber jetzt geht's wirklich weiter... ^ ^°
 

--------------------------------------------------------------------------
 

Walter saß auf einem Stuhl neben Integras Bett und betrachtete sie besorgt. Es würde lange dauern, bis sich Verstand und Gefühl an den Schock und die neue Situation gewöhnt haben würden.

Sie schlief noch immer tief und fest. Er kannte Integra lange genug, um in jeder Stimmungslage mit ihr klarzukommen. Und doch hatte er Angst vor ihrem Erwachen. Sie würde rasen, sie würde durchdrehen, sie würde versuchen, sich selbst zu vernichten.

Sie wird es nicht verkraften, eine Kreatur der Nacht zu sein. Integra war seit frühester Kindheit besessen von ihrem Hass auf Ghoule und Vampire.

Walter würde diesen Tag nie vergessen... Integra war damals vier Jahre alt gewesen.
 

-----------------
 

In jener Nacht waren vier Ghouls in Hellsing Manor eingedrungen. Sir Hellsing, Walter, Fargason und die Truppe hatten die ganze Nacht lang das weitläufige Gebäude abgesucht und hatten schließlich drei der Ghouls zur Strecke gebracht. (Mit Alucard, dachte Walter, wäre das ganze in zehn Minuten erledigt gewesen. Aber Alucard lag versiegelt im Kellerverlies...)

In den frühen Morgenstunden hatten sich Walter und Arthur müde und erschöpft im Arbeitszimmer getroffen. Sie hatten telefonisch neue Rekruten angefordert und planten gerade die weitere Vorgehensweise, als draußen auf dem Flur Schreie und Schüsse ertönten. Die Tür des Arbeitszimmers wurde aufgerissen, und der vierte Ghoul stürmte herein. Reflexartig hob Walter den Revolver. Ein Schuss und der Ghoul zerfiel zu Staub.

Doch die Gefahr war noch nicht gebannt...

"Hast du das auch gesehen?" fragte Walter.

Arthur nickte. "Sein widerliches Maul war blutverschmiert. Er muss jemanden erwischt haben. Wir müssen herausfinden, wen."
 

Die schweren Gardinen waren zugezogen und trotzdem war es ihr in dem Zimmer zu hell. Ihre Augen brannten, als sie sie öffnete. Fairbrooks' Hände verkrallten sich in ihrem Kopfkissen. Sie hatte Schmerzen und ihr war heiß und kalt und sie spürte grenzenlosen Hass und gleichzeitig fühlte sie sich so stark wie nie zuvor. Sie war vollkommen verwirrt und eine Stelle an ihrem Hals brannte wie Höllenfeuer. Sie betastete ihren Hals. Als sie ihre Hand betrachtete, klebte Blut daran. Blut...

Eines der Dienstmädchen klopfte an die Tür. "Lady Wingates?" fragte sie leise.

"Verschwinde!" knurrte Fairbrooks.

Das Dienstmädchen schluckte verwirrt. Lady Wingates litt an Depressionen, das wusste sie. Sie hatte extreme Stimmungsschwankungen und verließ ihren Raum manchmal tagelang nicht. Einmal hatte sie sich im Bad sogar die Pulsadern aufgeschnitten und ausgerechnet ihre kleine Tochter Integra hatte sie so gefunden. Zum Glück hatte Lady Wingates gerade noch gerettet werden können. In letzter Zeit schien es aber bergauf mit ihr zu gehen.

'Ein Rückfall', dachte das Dienstmädchen und zog sich eilig zurück. Am besten, sie sagte irgendwem Bescheid...

Fairbrooks jedoch stutzte und hob den Kopf. Blut... "Bleib hier!" schrie sie.

Doch das Dienstmädchen war schon auf dem Weg in die untere Etage.

Fairbrooks sprang aus dem Bett und folgte ihr...
 

In der unteren Etage starrte das Dienstmädchen entsetzt auf die vielen Einsatzkräfte. Schwere Uniformen, Helme, Waffen und alles rannte aufgeregt durcheinander. Und dann stieß sie auch noch mit Sir Hellsing und Walter zusammen, die aus dem Arbeitszimmer stürzten.

"Verzeihung, Sir", sagte sie schüchtern. "Ich glaube, Lady Wingates fühlt sich nicht wohl."
 

Fairbrooks schlich durch den oberen Flur. Sie fletschte die Zähne. Diese verdammte kleine Schlampe von einem Dienstmädchen schien verschwunden zu sein. Doch dann...

...witterte sie auf einmal ein viel jüngeres, besonderes Blut...
 

Durch die ganze Aufregung, die in Hellsing Manor herrschte, war Integra früh aufgewacht. Die Kleine war im Schlafanzug auf nackten Füßen durch ihr Zimmer geplatscht und hatte ihre Zimmertür ein kleines Stück geöffnet. Draußen liefen die Hellsing-Einsatzkräfte herum.

'Aha. Die Soldaten machen eine Übung', dachte sie. Das machten die dauernd. Draußen, auf dem großen Platz. Dass sie jetzt auch im Haus übten, war neu. Aber Daddy sagte, dass Übungen wichtig waren und sie durfte dabei nicht stören. Also schloss sie ihre Zimmertür wieder. Sie hatte sich auf den Fußboden gehockt und hatte ein Puzzlespiel ausgekippt.

Irgendwann war der Lärm auf den Gängen weniger geworden, aber Integra war so in ihr Puzzle vertieft, dass sie es nicht merkte. Die Zimmertür öffnete sich. Integra sah auf.

"Mama", sagte sie.

Fairbrooks betrat den Raum und betrachtete Integra. Sie breitete die Arme aus.

"Komm, Schatz", sagte sie. Integra war schon aufgesprungen und wollte gerade auf ihre Mutter zulaufen, als sie innehielt. Irgendetwas war... falsch.

Ihre Mutter kam ihr fremd vor. Integra wich zwei Schritte zurück.

"Komm endlich her!" schrie Fairbrooks. Ihre Augen glühten rot, ihr Gesicht eine gierige, hassverzerrte Fratze. Integra war starr vor Entsetzen. Sie wehrte sich nicht, sie konnte nicht einmal schreien, als ihre Mutter - nein, dieses... Ding, das aussah wie ihre Mutter - ihre langen, weichen Haare packte und sie zu sich zerrte.

"Lass sie los, Fairbrooks", sagte Arthur.

Er und Walter standen in der offenen Zimmertür. Arthur Hellsing hatte einen Revolver auf den Ghoul, der einmal seine Frau gewesen war, gerichtet. Doch so lange sie Integra umkrallt hielt, konnte er nicht auf Fairbrooks schießen. Und er schien auch nicht vorzuhaben, auf sie zu schießen. Er begann, liebevoll, flehentlich auf sie einzureden. Walter runzelte die Stirn.

Arthur musste doch wissen, dass er sie nicht mehr erreichen konnte...

Er ließ sogar die Waffe sinken. Walter versetzte ihm einen Schubs, Arthur taumelte wenige Schritte nach vorn. Sofort kreischte der Ghoul auf und riss beide Arme abwehrend nach oben.

Walter hechtete los, riss Integra an sich und rollte sich ab. Fairbrooks, bzw. der Ghoul, kreischte erneut und wandte sich zu ihnen um - geifernd vor Wut und Blutgier.

'Verdammt', dachte Walter. Er hockte in einer Zimmerecke auf dem Boden, war unbewaffnet und die Kleine klammerte sich an ihm fest - er konnte nichts tun. Der Ghoul kam immer näher. Arthur war seine letzte Hoffnung. Walter hielt Integra die Ohren zu und drückte ihr Gesicht gegen seine weiße Hemdbrust, damit sie so wenig wie möglich sah und hörte von dem, was hier geschah..

"Schieß endlich!" zischte er Arthur zu.

"Es geht nicht", stammelte Arthur. Sein Gesicht war von Schweiß und Tränen überströmt, er hielt den Revolver jetzt mit beiden Händen und trotzdem zitterte die Waffe. "Verdammt, sie ist meine Frau!"

"Du kannst sie nicht mehr retten! Schieß!" schrie Walter. "Oder willst du deine Tochter auch noch verlieren?"

Der Schuss war ohrenbetäubend. Doch die Stille, die dem Schuss folgte, war noch schlimmer.

Der Ghoul, der einmal Fairbrooks gewesen war, war nun nichts weiter als ein Haufen Staub. Arthur hatte den Revolver fallen lassen, war auf die Knie gesunken und hatte beide Hände vor sein Gesicht geschlagen. Sein Körper wurde von lautlosem Schluchzen geschüttelt.

Und Integra hatte sich an Walter festgehalten, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.
 

Es dauerte lange, bis Integra sich von diesem Schock einigermaßen erholt hatte.

Sie war kein normales Kind. Das erwartete auch keiner von ihr. Für ein Kind, das auf diese Weise seine Mutter verloren hatte, ist die Welt, wenn nicht für immer zerbrochen, so doch wenigstens für immer verzerrt.

Doch zum Glück war sie ein starkes (vor allem willensstarkes!) Persönchen. Schon ihre Trotzphase war spektakulär gewesen. (Böse Zungen behaupteten, Integra habe ihre Trotzphase überhaupt nie hinter sich gelassen...)

Arthur Hellsing und Walter hatten sich bemüht, das beste aus ihrer unheilbaren Besessenheit und ihrem Hass auf Vampire und Ghoule zu machen und hatten sie konsequent ausgebildet.

Manchmal waren ihre Fortschritte beängstigend gewesen. Als kaum zehnjähriges Mädchen hatte sie ein frühreifes Verständnis für alles, was der Vernichtung von Ghoulen diente. Walter war es jedes Mal unbehaglich, wenn er sie beim Kampftraining beobachtete und sah, wie sich dieses dünne Mädchen mit den langen hellen Haaren und den tiefblauen Augen in eine kalte, emotionslose Kampfmaschine verwandelte. Viele sagten: "Sie lebt gar nicht. Sie funktioniert bloß." Arthur jedoch war so stolz auf sie gewesen.

Integra, nie wirst du eine Waffe finden, an die du dich nicht schnell und leicht gewöhnen wirst. Schon jetzt verstehst du dich darauf, unhörbar leise zu gehen, unerwartet einzutreffen, dich niemals überraschen zu lassen.

Je älter sie wurde, um so besser hatte Integra zu verstehen gelernt, was mit ihrer Mutter geschehen war. Dass sie bei dem Angriff einfach nicht mehr sie selbst war. Das hatte ihren Hass auf Ghoule und Vampire, die ihrer Mutter das angetan hatten, nur noch mehr gesteigert.
 

'Und jetzt', dachte Walter und betrachtete die schlafende Integra traurig, 'bist du selbst...'
 

Walter vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Er sah Arthur vor sich, als wäre es gestern gewesen. An diesem Tag, als er vom Arzt kam und wortlos in sein Arbeitszimmer ging. Nein - schlich. Jeder Schritt fiel ihm da schon schwer. Walter war ihm nach einer Weile gefolgt. Arthur hatte am Fenster gestanden und hinaus geblickt. Irgendwohin in die Ferne.

"Der Arzt", begann Arthur, ohne sich umzudrehen, "sagt, ich habe noch vier Monate."

Dann hatten sie beide geschwiegen, bis Arthur sich zu ihm umdrehte.

"Walter, du wirst auf sie aufpassen. Das wirst du doch, nicht wahr?"
 

-------

Ja.

Ja, ich habe deine Tochter beschützt. All die Jahre. Natürlich. Denn in all diesen Jahren ist sie auch irgendwie meine Tochter geworden. Ich habe versucht, ihr seltsames Leben angenehmer zu gestalten, für sie da zu sein, sie zu unterstützen, ihr zu helfen, wo ich nur konnte. Sie hat mir vertraut.

Aber ich konnte nicht verhindern, dass das passiert. Ich habe versagt. Es tut mir leid...
 

Mit einem leisen Aufschrei richtete Integra sich auf. Sie saß aufrecht in ihrem Bett und starrte vor sich hin, entnervt von einer langen Reihe scheußlicher Träume.

Sie war verwirrt. Völlig verwirrt. Sie lag in ihrem Bett in ihrem Zimmer - warum verwirrte sie das so? Irgendetwas war falsch daran, dass sie hier war...

Walter saß auf einem Stuhl neben ihrem Bett. Sein Kopf war ihm auf die Schulter gesackt. Er schlief.

Eine Sonnenaufgangsbrise bewegte leicht die Vorhänge am Fenster. Das Sonnenlicht, das durch die Vorhänge drang, war schwach, ganz schwach - und doch stach es in ihren Augen.

Warum ist Walter hier?

Was ist mit meinem Hemd? Woher kommt das ganze getrocknete Blut?

Sie schloss die Augen.

Was war geschehen? Letzte Nacht... Alucard, die Konferenz, die Knights, Jan Valentine, Anderson, das Dach... und wieder Alucard...

Als habe ihr Körper ein eigenes Gedächtnis, konnte sie das Gefühl, ins Leere zu greifen und zu fallen, immer noch spüren. Und der Aufprall. Alles tat so unvorstellbar weh...

Jetzt tut nichts mehr weh. Ich bin gestorben.

Walter auf dem Stuhl neben ihrem Bett. Er hatte so ausgesehen, als hätte er geweint.

Er hat geweint, weil ich gestorben bin. Mein armer Walter.

Aber...

Ich bin NICHT gestorben. Ich kann denken, ich kann meinen Körper bewegen...

Warum?

Sie suchte im Dunkel ihres Bewusstseins nach einer möglichen Erklärung.

Immer sah sie Alucards rotglühende Augen vor sich.

Hat er... Nein. Nein, nein das hat er nicht. Das wagt er nicht!

Ihre Zunge tastete in ihrem Mund umher...

NEIN.

Integra keuchte. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten.

Das ist ein schlechter Traum. Ein verdammt schlechter Traum, und ich bin mitten drin. Aber bald wache ich auf.

Sie WUSSTE, dass sich alles in Wirklichkeit zurückverwandeln würde, wenn sie die Augen öffnete... Sie öffnete die Augen.

Und alles blieb, wie es war.

Sie sprang auf und rannte zum Spiegel. Sie starrte in den Spiegel und lachte. Ihre Augen waren so tiefblau wie immer, nichts war geschehen.

Doch ihr Lachen starb, bevor es wirklich geboren war. Sie starrte ihr Spiegelbild an; den eben noch lachenden, jetzt vor Entsetzen verzerrten Mund...

Schreckliche, weiße, lange Fangzähne.

Sie schrie. Und schlug ihrem Spiegelbild mit der Faust ins Gesicht.

Walter schreckte hoch.

Er stand auf, ganz langsam. Sehr langsam und behutsam ging er auf sie zu; als nähere er sich einem scheuen, gefährlichen Tier. Integra starrte ihr Bild im gesprungenen Spiegel an.

"Integra?" sagte er leise.

"Walter", entgegnete sie kläglich.

Sie tastete auf der Kommode nach ihrer Ersatz-Brille.

"Ich glaube, die brauchst du nicht mehr", bemerkte Walter.

Trotzdem setzte sie die Brille auf - so umständlich, als sei sie nicht sicher, wo sich ihre Nase befand. Sofort verschwamm alles vor ihren Augen. Sie brauchte keine Brille mehr. Sie nahm sie ab und schmiss sie in die Zimmerecke.

Sie schaute wieder in den Spiegel und sah Walter an, der schräg hinter ihr stand.

"Ist es nicht merkwürdig", sagte sie und wandte sich zu ihm um, "wie viel sich in einer einzigen Nacht unwiderruflich ändern kann?"

Walter streckte die Hand aus und strich mit den Fingerspitzen über ihre Wange.

"Sieh es mal so", sagte er tapfer, "du kannst nun für immer die Organisation leiten."

Ihre Mundwinkel zuckten, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie lachen oder weinen sollte. Das Lächeln, das schließlich daraus wurde, wirkte nicht weniger traurig, als wenn sie stattdessen in Tränen ausgebrochen wäre.

"Für immer ist eine verdammt lange Zeit", sagte sie.

Dann fiel sie Walter in die Arme und klammerte sich an ihm fest. Wie damals.
 

Wenig später stieg Walter die Treppen ins Kellergeschoss hinab.

Er war aufgewühlt und sehnte sich nach einer ruhigen halben Stunde. In der Kellerküche genehmigte er sich sein erprobtes Mittel gegen Schicksalsschläge aller Art - eine Tasse Tee.

Er setzte sich in einen Stuhl und lehnte sich zurück - obwohl an einem Tag wie diesem keine Position bequem sein würde.

Er trank seinen Tee und tat so, als würde er die beiden Vampire, die ihm gegenüber saßen und ihn mit rotglühenden Augen erwartungsvoll anstarrten, gar nicht sehen.

"Und?" fragten Alucard und Seras schließlich unisono.
 

Da ihr olivgrüner Anzug rettungslos verdorben war, trug Integra heute einen anthrazitfarbenen Anzug, der ihr (wie Walter schüchtern anzumerken gewagt hatte) viel besser stand.

Integra ging, nein, sie marschierte mit wild entschlossenem Stechschritt den Gang entlang.

Sie fühlte sich durch und durch elend. Aber ihr Vater hatte immer gesagt: "Wenn du verzweifelt bist oder Kummer hast - tu etwas! Einfach irgendetwas. Lass nicht zu, dass der Kummer dich betäubt und auffrisst."

Und so hatte sie beschlossen, ihre Arbeit aufzunehmen, als sei nichts geschehen.

Walter war zunächst entsetzt gewesen.

"Du willst ins Hauptquartier?" hatte er gefragt. "Mit deinen Zähnen - unmöglich!"

"Ich hab' keine andern", hatte sie erwidert.

So war sie im Truppen-Quartier gewesen und hatte höchstpersönlich die Berichte der letzten Woche abgeholt. Es war merkwürdig...

Seit... nun, seit letzter Nacht hatte sich nicht nur ihre "Daseinsform" geändert - auch ihre Ausstrahlung schien eine ganz neue geworden zu sein. Sie hatte ihr neues Spiegelbild angestarrt und hätte nicht in Worte fassen können, was sie da sah. Ihre Bewegungen waren geschmeidiger geworden, das Haar schien noch weicher geworden zu sein, ihre Gesichtszüge irgendwie "feiner". Sie wirkte... zum Verrücktwerden weiblich.

Walter schien es auch bemerkt zu haben und die Hellsing-Rekruten, die ihr begegnet waren, schienen es auch zu merken. Integra lächelte und stieg in den Fahrstuhl. Ein Rekrut stieg ebenfalls in den Fahrstuhl.

Integra lehnte den Kopf an die Lift-Wand und starrte auf ihre Schuhspitzen. Alles war wirklich... sehr merkwürdig. Sie sog an ihren neuen Zähnen. Sehr, sehr merkwürdig... Sie fragte sich, wann ihr Durst nach Blut erwachen würde.

Der Rekrut lehnte ihr gegenüber an der Wand und betrachtete sie. Glotzte sie vielmehr an.

Die Chefin... Man sagte, sie sei ein Eisschrank. Ein klasse Geschoss, aber leider eisig kalt. Wäre es nicht spannend zu beobachten, was passierte, wenn dieses Gerät zu tauen anfing?

"Alles in Ordnung, Lady Hellsing?" fragte er. "Sie sehen so... na ja..."

Integra erschauerte unwillkürlich. Kaum zu glauben, dass es noch eine zweite Person gab, die ähnlich schmierig klang wie Maxwell...

"Danke, mir fehlt nichts", sagte sie und versuchte, beim Sprechen den Mund so wenig wie möglich zu öffnen. (Das dürfte auf Dauer anstrengend werden...)

"Ich denke doch, dass Ihnen was fehlt", fuhr er fort. "Man sagt, Sie sind allein. Immer allein gewesen. Ich kann gar nicht glauben, dass eine Frau wie Sie noch nie einen Mann... na, Sie wissen schon." Er ließ sein Blicke an ihrem Körper rauf und runterwandern und grinste anzüglich. "Ich halte das für eine Verschwendung von erstklassigem Material."

Integra betrachtete erstaunt ihre Schuhspitzen. Sie spürte, wie eine heiße, herrliche Wut in ihr empor brodelte. Es war keine Wut, die sie ... wütend machte; es war eine Wut, die sie amüsierte. Dieser lächerliche Bengel.. Als sie den Kopf hob und ihn ansah, sah sie ihn wie durch einen roten Schleier. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und packte seinen Kragen mit der linken Hand.

"So sprichst du nicht mit mir, Kleiner, ist das klar? Ob das klar ist!?!" Sie schüttelte ihn.

Ein seltsames Geräusch drang an ihr Ohr, eine Art Gurgeln.

Es stammte von dem Rekruten, der verzweifelt nach Luft röchelte. Seine Augen quollen ihm aus dem Kopf und sein Gesicht war dunkelrot und verzerrt. Integra blinzelte verblüfft.

Sie hatte noch immer bloß mit der linken Hand seinen Kragen gepackt - doch seine Füße baumelten etwa 30 Zentimeter über dem Boden. Dabei wog der Kerl bestimmt seine 80 Kilo, auch wenn es ihr nun so vorkam, als wären es höchstens 5 Kilo...

Erschrocken über sich selbst ließ Integra ihn los. Er fiel krachend vor ihr auf den Boden.

Integra war froh, dass sich die Fahrstuhltür in diesem Moment öffnete. Fast fluchtartig verließ sie den Fahrstuhl.

Entgeistert starrte sie ihre Hände an. Sie fürchtete sich vor sich selbst, vor dem zerstörerischen Potential ihrer neuen Kräfte.

Obwohl... Eigentlich...

Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Ein Lächeln, das für irgendwen nichts Gutes bedeutete.

Sie fühlte sich in Stimmung für eine Begegnung mit Alucard...

No-Life-Queen (2)

Integra gewöhnt sich an ihre neue Daseinsform...

Liebe Lesenden, ich bin in einer irgendwie merkwürdigen Verfassung - mir sind fast nur Slapstick-Szenen mit der armen Neu-Vampirin Integra eingefallen (hihi, Integra, der Vampir-Azubi!! ß seht ihr? Da geht's schon los!)

Aber ich habe mich entschlossen, dieses nun doch kein Comedy-Kapitel werden zu lassen.

Nein - ich versuche, dass sich ernste, humorvolle, tragische und dramatische Szenen ungefähr die Waage halten. (Gar nicht einfach... u_u° - vor allem, wenn man in so einer seltsamen Slapstick-Phase ist...)

Hmmm, ich glaube, es wird Zeit für einen weiteren Maxwell-Auftritt... Nyarharhar... ^ ^ )

Aber zunächst einmal...

...wir erinnern uns - Integra hat gerade einen ihrer eigenen Rekruten "gemaßregelt" und dabei ihre neuen Kräfte entdeckt...
 

--------------------------------------------------------------------------------
 

Entgeistert starrte sie ihre Hände an. Sie fürchtete sich vor sich selbst, vor dem zerstörerischen Potential ihrer neuen Kräfte.

Obwohl... Eigentlich... Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Ein Lächeln, das für irgendwen nichts Gutes bedeutete.

Sie fühlte sich in Stimmung für eine Begegnung mit Alucard...
 

------------------------------------------------
 

Es war soviel mehr

Soviel mehr als nur ein Biss

Soviel mehr als der damit verbundene Schmerz

Soviel mehr als die Träne, die über meine Wange liefen

Soviel mehr als die Angst, was danach passieren würde

Es war der Schmerz über das Verlorengegangene

Es war der Gedanke an das, was war und nie wieder so sein würde

Es war der Gedanke an all das, was noch nie geschehen war und nun vielleicht geschehen würde

Es war eine Befreiung

-------------------------------------------------------
 

Walter trank seinen Tee und tat so, als würde er die beiden Vampire, die ihm gegenüber saßen und ihn mit rotglühenden Augen erwartungsvoll anstarrten, gar nicht sehen.

"Und?" fragten Alucard und Seras schließlich unisono.

"Wie geht es denn Lady Integra" fragte Seras. "Ist sie sehr... aufgeregt oder wütend oder was?"

"Ach", sagte Alucard mit einer Lässigkeit, die er gar nicht empfand, "ich bin mir sicher, good old Walter hat unserem aufgeregten Vögelchen das Gefieder geglättet."

Walter warf ihm einen vernichtenden Blick zu. "Ich finde die Situation nicht sehr spaßig. Sie neigt zu selbstzerstörerischen Maßnahmen. Sie hat sich ja schon einmal fast umgebracht, um sich von unreinem Blut zu reinigen!"

"Aber Lady Integra ist doch jetzt auch ein Vampir, nicht?" fragte Seras. "Und sie ist bestimmt ziemlich mächtig, denke ich mir. Selbst wenn sie versucht, sich umzubringen, das wird ihr nicht so leicht gelingen. Obwohl...", Seras legte den Zeigefinger an ihr Kinn und überlegte. "Lady Integra kennt da bestimmt Methoden..."

"Danke für diese Einschätzung der Situation", sagte Walter zynisch und trank noch einen Schluck Tee. Dann seufzte er. "Sie wirkt relativ ruhig. Aber ich halte sie für völlig unberechenbar - oder wenigstens kurz davor."

Alucard erhob sich. "Ich glaube, ein Besuch ihres Masters wird sie beruhigen." Er grinste.

"Lass sie in Ruhe!" warnte Walter. "Ich glaube, du bist das letzte, was sie augenblicklich sehen will. Sie wird dich anfallen, versteht du?"

Alucards Grinsen wurde noch breiter. "Wunderbar! Ich wollte schon immer mal von Integra angefallen werden. Bisher hat sie sich leider immer allzu gut beherrscht."

"Na schön", murmelte Walter. "Und wenn sie dir dann den Kopf abreißt, werde ich nachsehen, was du die ganze Zeit als Hirn benutzt hast."

Alucard wölbte spöttisch eine Augenbraue. "Walter, Walter, so kenn ich dich ja gar nicht. Ich möchte ihr einfach nur guten Morgen sagen..."

"Guten Morgen, Alucard", sagte Integra mit sanfter Stimme und mörderischer Miene.

Seras sprang auf. "Guten Morgen, Sir! Boss... Chefin. M...mylady....L...Lady Hellsing." Sie wusste einfach nie, wie sie Integra anzusprechen hatte. Und nun erst recht nicht mehr. Diese Frau war ihr schon als Mensch unheimlich gewesen - aber jetzt...

Sie war... sie sah aus... Sie hatte... Sie war atemberaubend.

Integra stand in der Türöffnung und starrte Alucard an. In ihren Augen glimmte was undefinierbares.

"Sieh an", sagte Alucard leise. Er betrachtete ihr Gesicht mit forschendem Blick. Er schien zu finden, was er darin suchte. Seine Erwartungen waren hoch gewesen, doch sie hatte sie weit übertroffen. Eine berauschende Schönheit. Bezaubernd, betörend, tödlich.

Walter und Seras waren mit ihren Stühlen zurück, bis an die Wand, gerutscht. Ihre Blicke schnellten zwischen Alucard und Integra hin und her, wie bei einem Tennismatch.

Alucard erwiderte den Blick aus Integras rätselhafterweise noch immer tiefblauen Augen.

Er kannte Integra, wenn sie wütend auf ihn war. Natürlich. Wütend auf ihn zu sein, das war eigentlich ihre Grundstimmung... Aber die Emotionen, die jetzt in ihr tosten, waren... gewaltiger als alles, was er jemals an ihr erlebt hatte.

Ich werde mich nicht entschuldigen, meine Liebe, dachte er. Ich werde mich nicht mal rechtfertigen!

"So, wirst du nicht?" fragte sie.

"Aha, das kannst du also schon", sagte Alucard. (Verdammt! Er würde sich daran gewöhnen müssen, dass sie nun auch seine Gedanken lesen konnte...)

"Natürlich - es ist das Blut der Hellsings, das dich zu etwas besonderem macht. Trotzdem wirst du noch viel lernen müssen. Betrachte dich als Klassenkameradin von ihr." Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter auf Seras.

"Alucard...", sagte Integra drohend.

"Ab sofort bitte: Master", sagte Alucard und grinste süffisant. "Ich kann es kaum erwarten, das aus deinem Mund zu hören, Integra: Alucard, my Master."

"Ich werde dich bestimmt nicht so nennen, mein Lieber", erwiderte Integra. Sie schenkte ihm ein atemberaubend tödliches Lächeln.

Seras hielt die Luft an und Walter schloss die Augen.

"Pass gut auf, Integra", Alucards Stimme war leise. "Bilde dir nicht ein, du seiest stärker als ich. Ich habe dich zu dem gemacht, was du bist. Ich bin dein Meister. Du willst es nicht wahrhaben, aber du jetzt bist bestenfalls auf Seras' Level... äh..."

Integra kam auf ihn zu. Mit festen, entschlossenen Schritten. Und noch etwas geschah: Ihre tiefblauen Augen veränderten sich. Es war, als würde Blut in sie hineinlaufen. Das Tiefblau wurde rot.

"Dir scheint immer noch nicht klar zu sein, wer hier wessen Master ist. Das ist bedauerlich, Alucard. Wirklich bedauerlich."

Sie packte seinen Kragen, machte eine kurze Ausholbewegung - und (ein zutiefst verblüffter) Alucard flog krachend gegen die Wand.

Er richtete sich wieder auf und betrachtete sie mit fasziniertem Entsetzen.

Integra schluckte. OK - das hatte funktioniert. Aber was, was, was wenn er jetzt aufstand und das gleiche (oder schlimmeres?!) mit ihr veranstaltete?

"Nicht übel", sagte Alucard wie ein Lehrer zu seinem Lieblingsschüler, der eine korrekte, aber nicht ganz vollständige Antwort gegeben hatte. "Obwohl ich vermute, diese Kraft resultiert bloß aus deiner momentanen Wut. Das war nur ein Affekt."

"Dann pass auf, dass ich nicht noch einen Affekt kriege", fauchte Integra. "Außerdem bist du nicht der erste, mit dem das funktionierte. Affekt!"

"Ach du liebe Zeit", murmelte Walter.

"Aha", Alucard war hingerissen. "Hast du das gesehen, Fräulein Polizistin? Dabei ist sie eine blutige Anfängerin - sozusagen." Er grinste und erhob sich ganz. "Wenn ich nur daran denke, wie du sein wirst, nachdem du mein Blut getrunken hast..." Er betrachtete sie voller Besitzerstolz. Seine Augen glühten.

"Dein Blut kann mir gestohlen bleiben", erklärte Integra.

"Warum auf einmal so abweisend?" Alucard kam vorsichtig näher. "Du warst doch gestern noch anders. Lass uns da weitermachen, wo wir gestern aufgehört haben."

Integras Gesicht wurde eine regungslose Maske. "Keine Ahnung, was du meinst."

Er zuckte mit den Schultern. "Es wird dir schon wieder einfallen."

Er legte seine Hand unter ihr Kinn und hob so ihr Gesicht an, zwang sie ihn anzusehen. Ihre Augen waren nun wieder blau.

Er lächelte. "Ich krieg dich sowieso. Das ist längst beschlossene Sache. Das weißt du. Du ahnst es schon lange, vielleicht schon dein Leben lang. Dein Herz ahnt es. Na, du weißt schon", er deutete auf ihre linke Brust, sein Finger stoppte wenige Millimeter, bevor er den Stoff ihres Jacketts berührte. "Im Grunde deines Herzens - irgendwo da, wohin schon seit Jahren kein Licht mehr gefallen ist."

"Das sagt der richtige!" zischte Integra. "Du hattest überhaupt noch nie Licht im Herzen."

Alucard sah sie ernst an. "Du bist das Licht meines Herzens."

Walter verschluckte sich am Tee.

Seras sagte etwas, das so klang wie mmnnnääähhh.

Integra schien nicht zu wissen, ob sie schreien, ihm eine scheuern, ihm in die Arme fallen oder einfach lachen sollte. Ihre linke Augenbraue zuckte.

Sie drehte sich ohne ein weiteres Wort um und trug ihre wütende Ratlosigkeit in ihr Arbeitszimmer.
 

Integra saß an ihrem Tisch im Arbeitszimmer. Das matte Sonnenlicht, das den Raum durchflutete, schien weit entfernt, eher eine Erinnerung als die Gegenwart. Sie stand auf und wollte die Vorhänge zuziehen... Nein! Nein, das Sonnenlicht durfte ruhig hereinkommen. Sie würde sich eben daran gewöhnen müssen, dass sie nun etwas lichtempfindlicher war. Mit etwas Disziplin würde sie das sicher hinbekommen...

Schuldbewusst warf sie dem Porträt ihres Vaters einen Blick zu. Wenn du wüsstest...

Alucard glitt durch die Wand in den Raum.

"Hab ich dich gerufen?" fragte Integra gereizt.

"Nein. Ich wollte mich lediglich erkundigen, ob ich dir irgendwie helfen kann?"

"Kannst du. Raus!" schrie Integra.

Alucard verbeugte sich spöttisch und glitt rückwärts durch die Wand.

Integra kehrte zu ihrem Tisch zurück.

Ja, gestern war noch einiges anders gewesen... Nie hätte sie es zugegeben, aber Alucard hatte recht; schon seit längerem spürte sie, dass eine Veränderung in ihr Leben eintreten wollte. Wollte, denn sie hatte beschlossen, sich dagegen zu sträuben.

Diese Veränderung hatte mit Alucard zu tun, mit Träumen und Wunschvorstellungen, die sie seit ihrer Jugend gesponnen und daraus einen Umhang gewoben hatte, mit dem sie Alucard umhüllt hatte.

Aber er hasst uns Hellsings für immer. Er wird mir weh tun. Wann immer ich ihm vertraue oder ihm gegenüber eine Schwäche offenbare, wird er mir weh tun. Er kann gar nicht anders.
 

Die dreizehnjährige Integra hatte es wahnsinnig aufregend gefunden, bei ihrer Jagd gegen Vampire ausgerechnet einen Vampir zur Seite zu haben. Sie mochte Alucard. Sie mochte seinen staubtrockenen Humor, mit dem er den armen Walter gern schockierte. Er war so stark und mächtig - und er gehörte ihr! Sie war völlig unbefangen mit ihm umgegangen, wie ein Kind, dass mit einem riesigen Hund aufgewachsen war und ihn lieb und nett fand, während er auf alle anderen einfach nur gefährlich wirkte.

Oft hatte sie Alucard spät abends mit der Erklärung, sie könne gar nicht schlafen (seufz) in ihr Zimmer zitiert. Er musste dann auf der Bettkante sitzen und ihr von "früher" erzählen. Alucard ließ sie stets lange bitten und betteln und quengeln, bevor er sich dazu herabließ - mit höchst genervter Miene, versteht sich. Aber im Grunde hatte er Spaß daran. Er mochte seine "kleine Herrin" (und er mochte es, wie sie wütend wurde, wenn er sie so nannte...).

Natürlich, sie war nervtötend altklug, aber gleichzeitig ein bezauberndes kleines Ding. Oft saß er noch lange, nachdem sie eingeschlafen war, auf ihrer Bettkante und betrachtete sie. Da waren Empfindungen für dieses Mädchen, von denen er geglaubt hatte, er hätte all das längst hinter sich.

Aber...

Sie ist eine Hellsing. Eine gottverdammte Hellsing.

Er sagte sich das immer und immer wieder.

Und doch saß er immer und immer wieder auf ihrer Bettkante und betrachtete ihr schlafendes Gesicht im Mondlicht. Sie wusste nicht, dass er sie beobachtete. Vielleicht wusste sie es aber auch...

Die Zeit verging und Integra wurde immer schöner und fraulicher. Und irgendwann merkte sie selbst, dass sie längst aufgehört hatte, ein Kind zu sein und dass Alucard vielleicht mehr für sie sein könnte, als eine Waffe...

Sie betrachtete ihn nun ebenfalls... Alucard. Er war von einer eigentümlichen, irgendwie morbiden Schönheit. Keiner der "normalen" Männer war wie er. Und auf dem Truppenübungsplatz der Hellsings lief ja genügend "Vergleichs-Material" herum. Natürlich, einige der Rekruten waren wirklich nett und einige wirklich gutaussehend und ein paar waren sogar beides - aber Integras Gedanken kreisten immer und ausschließlich um Alucard.

Und dann kam dieser Tag...

Integra - sie war inzwischen 15 - hatte ihr tägliches Kampf-Training absolviert. In der Nacht zuvor waren zwei Ghouls zur Strecke gebracht worden; einen davon hatte Integra höchstselbst erledigt. Und am Vormittag hatte sie den Knights einen Vorschlag zur Umstrukturierung der Truppen vorgelegt - und die Knights hatten erstmals ohne Gegenstimme einen Vorschlag von ihr akzeptiert. Integra war in euphorischer Stimmung. Sie hatte Alucard in die Umkleiden der Trainingshalle beordert, um ihm von ihren Erfolgen der letzten 24 Stunden zu berichten.

Alucard lehnte an der weiß gekachelten Wand vor den Duschkabinen. Integra duschte in einer der Kabinen und plapperte ohne Punkt und Komma. Gerade erzählte sie, wie sie die Knights mit ihren Vorschlägen "platt gemacht" hatte. ("Oh Alucard, die blöden Gesichter hättest du sehen sollen, als ihnen nichts besseres einfiel! Ha!")

Alucard hörte ihr nicht wirklich zu. Er hatte die Augen geschlossen und hörte das Rauschen des Wassers. Verdammt. Er konnte an nichts anderes denken, als an dieses Wasser, heißes Wasser, das an ihrer bronzefarbenen Haut hinunterperlte... Und an Hände, die duftenden Schaum überall auf diesem Körper verteilten...

Er riss die Augen auf. "Integra!" sagte er. "Ich gehe jetzt."

"Warum?" fragte sie.

Alucard seufzte. "Weißt du", sagte er in einem scherzhaften Ton, "ich möchte Walters Nerven schonen. Wenn er erfährt, dass ich hier bin, während du duschst, nun... Er könnte denken, ich bin hier, weil... weil du mir gefällst oder so."

Das Wasserrauschen in der Duschkabine endete abrupt. Die Tür der Kabine öffnete sich und Integra stieg heraus. Direkt vor Alucard blieb sie stehen. Sie hatte sich ein weißes Handtuch um den Körper gewickelt. Wasser tropfte von den Spitzen ihrer langen mondhellen Haare. Sie strich sich die Haare mit einer Hand unbeholfen aus dem Gesicht und sah ihn an mit ihren irritierend blauen Augen. Sie lächelte schüchtern und schluckte. Ihre Hände umklammerten die obere Kante des Handtuchs. "Gefalle ich dir denn?" fragte sie leise.

Sie war absolut hinreißend. Alucard musste nun ebenfalls schlucken. Ihre Schönheit, ihre Jugend, ihre schüchterne Unbeholfenheit ...

Aber du bist eine Hellsing, du bist eine verdammte Hellsing...

"Ob du mir gefällst?" fragte er heiser. "Lass mal sehen."

Mit diesen Worten riss er ihr das Handtuch weg.

Kompliment - sie war reaktionsschnell. Sie ließ sich sofort auf die Knie fallen, verschränkte die Arme vor der Brust und machte sich ganz klein - so dass nichts "wesentliches" von ihrem nackten Körper zu sehen war.

Wie sie nackt vor ihm auf den Fliesen kauerte, das Gesicht auf ihren Knien - diese Erniedrigung zerriss ihm das Herz, aber er konnte nicht mehr zurück.

"Du fragst, ob du mir gefällst", sagte er abfällig. "Also - nicht besonders."

"Alucard, warum?" flüsterte sie.

"Warum? Schau mal in den Spiegel, du leidenschaftslose, flachbrüstige, kleine Eule."

Er wandte sich ab und ging.

"Das meinte ich nicht", murmelte sie. Tränen tropften auf die Fliesen.

Alucard hasste sich für diesen Zwischenfall. Wenn er wenigstens so etwas wie Häme, Genugtuung oder zynische Freude dabei empfunden hätte... Er hatte sie zutiefst gedemütigt. Und alles war gelogen. Natürlich gefiel sie ihm. Und wer sie einmal in Wut erlebt hatte, wusste, dass sie alles andere als leidenschaftslos war. Na, und von flachbrüstig konnte auch keine Rede sein... (auch wenn sie sich fortan in Anzugjacken und Jacketts einschnürte, in denen sie tatsächlich so wirkte).

Seit diesem Tag war ihr Verhältnis ein völlig anderes gewesen. Ihr Zimmer war fortan für ihn tabu. Nie wieder hatte sie ihn darum gebeten, ihr von "früher" zu erzählen. Seit diesem Tag war Integra ihm gegenüber kühl, distanziert und zynisch. Nur manchmal ertappte er sie, wie sie ihn nachdenklich, fast traurig, betrachtete.
 

Bei der Erinnerung an damals knirschte die heutige Integra mit ihren neuen Fangzähnen.

Dann drückte sie einen Knopf der Sprechanlage und orderte Frühstück.

Wenig später näherte sich Walter mit einem Frühstückstablett und sorgenvoller Miene der Tür zum Arbeitszimmer. In einer dunklen Ecke des Flures beobachteten ihn zwei rotglühende Augen. Walter zuckte zusammen, das Frühstückstablett klirrte leise. Walter ärgerte sich über seine Schreckhaftigkeit. Er atmete tief durch.

"Nun, Alucard", sagte er zu den rotglühenden Augen. "Was stehst du hier wie eine Teufelsfratze im Flur herum? Hast du nichts zu tun?"

"Noch nicht", murmelte Alucard. "Sie hat mich gerade rausgeschmissen. Das heißt, sie wird in etwa ein oder zwei Stunden wieder nach mir brüllen. Da kann ich ja gleich hier bleiben."

"Leg dich in deinen Sarg und schlaf", empfahl Walter, betrat den Raum und servierte Integra das Frühstück. Integra stand vor einer verspiegelten Schranktür und betrachtete ihr Spiegelbild. (Da ist aber jemand eitel geworden, du liebe Zeit... ~_^)

"Walter", sagte sie. "Habe ich mich verändert? Abgesehen von den Zähnen..."

Walter, der gerade Tee eingeschenkt hatte, richtete sich auf. "Ja", sagte er. "Du siehst umwerfend aus. Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf."

"Oh, jederzeit", erwiderte Integra und lächelte ihrem Spiegelbild anerkennend zu. Dann kehrte sie zu ihrem Arbeitstisch zurück und widmete sich ihrem Frühstück.

Integra bewies einen geradezu trotzigen Appetit. Sie verschlang zunächst ein Sandwich mit Orangenmarmelade. Dann eines mit Roastbeef. Und dann noch ein Gurkensandwich...

Walter beobachtete das und äußerte Besorgnis. Immerhin sei sie nun ein Geschöpf der Nacht und als solches sollte sie doch eigentlich Blut...

Integra winkte ungeduldig ab und leerte ihre Teetasse.

Sie konnte und wollte sich nicht damit abfinden, sich fortan ausschließlich von Blut zu ernähren. Sie hätte es niemals zugegeben - aber allein der Gedanke war widerlich. (Himmel hilf, dachte sie, ich stelle mich genauso peinlich an wie diese kleine Polizistin...)

Walter seufzte. "Aber vielleicht ist es schädlich", sagte er ratlos.

Integra entgegnete etwas, was jedoch nicht zu verstehen war, da sie den Mund voller Sandwich hatte.

"Wenn du erlaubst", sagte Walter, "befrage ich lieber einen Experten."

Er öffnete die Tür. "Alucard? Komm doch bitte herein."

Verunsichert durch die wechselhafte Behandlung, die ihm hier zuteil wurde, trat Alucard durch die Tür. "Und?" fragte er.

"Sie isst!" Walter deutete mit dem Finger auf Integra. Die hatte beide Fäuste auf ihren Arbeitstisch gestemmt und kaute trotzig.

"Darf sie das?"

Alucard zuckte mit den Schultern. "Dieses Zeug", er zeigte auf die Sandwiches, den Tee und die Obstschale, "überhaupt Lebensmittel - sie enthalten für dich fast keinen Nährwert mehr. Obwohl", er sah in ihre blauen Augen, "bei dir weiß ich nicht genau... Aber im Prinzip ist das alles bloße Zugabe, reine Nostalgie. Oder auch Gier. Naschsucht." Er lachte leise.

"Aber es schadet ihr nicht?" erkundigte sich Walter.

"Nein, ganz sicher nicht", sagte Alucard.

In diesem Moment war ein unterdrückter Schmerzenslaut von Integra zu hören, sie krümmte sich, verzog das Gesicht und schlug sich beide Hände vor den Mund.

"Ich denke, es schadet ihr nicht", zischte Walter.

"Also..., ich dachte wirklich...", murmelte Alucard verunsichert. Die beiden traten vorsichtig näher zu Integra und betrachteten sie besorgt.

"Verdammt!" herrschte sie die beiden an. "Ich hab mir mit diesen verdammten Zähnen auf meine verdammte Zunge gebissen!"

"Beneidenswert", hauchte Alucard. "Du musst zugeben - dein Blut ist köstlich, nicht wahr?"

"Apropros Blut", sagte Walter. "Du solltest wirklich versuchen... also... es wäre besser für dich..." Er stellte ein Longdrink-Glas, gefüllt mit Blut, auf den Tisch.

"Genau", Alucard bleckte die Zähne. "Du willst doch deine wunderbaren Kräfte nicht gleich wieder verlieren? Integra?"

Integra betrachtete das Blutglas und schauderte innerlich. Allein dieser leicht metallische Geruch... Alucard verfolgte ihre Gedanken, als würde er sie selbst denken.

"Ich will das nicht", sagte sie leise, aber entschlossen.

"Du wirst dich daran gewöhnen müssen", erwiderte Alucard. "Das ist dein neues Dasein. Es wird nie mehr so werden wie früher, aber es wird normal werden, weil sich deine Konzeption für das Normale ändern wird."

"Ach, hau doch ab mit deinen abgelutschten Floskeln!" fauchte Integra. "Neues Dasein. Konzeption. Wenn ich das schon höre!"

Alucard grinste und beobachtete sie, wie sie grübelnd das Blutglas betrachtete. Nachdenklich nagte sie mit ihren langen Zähnen an ihrer Unterlippe und bei ihr sah sogar das zauberhaft aus. Dann ging sie zu einem der Schränke - und kehrte mit einer Whisky-Flasche zurück. Entschlossen kippte sie einen ordentlichen Schuss Whisky in das Glas.

"Na, ich weiß ja nicht...", bemerkte Walter.

"Aber ich", sagte Integra. "Cheers."

Sie leerte das Glas in einem Zug. Sie schloss die Augen und schüttelte sich etwas. Aber - nun, sie hätte es niemals zugegeben - aber... dieses rote Zeug hatte eine... belebende Wirkung. Irgendwie.

Sie lehnte sich zurück und blickte unentschlossen vor sich hin. Sah kurz Alucard an. Dann Walter. Dann wieder die Tischplatte direkt vor sich.

"Nun", sagte sie schließlich, "ich weiß alles, was man über Vampire und Ghouls wissen kann. In der Theorie gibt es wirklich nichts über diese Nachtschattengewächse, was ich nicht weiß. Aber...", ihr rechter Zeigefinger malte unsichtbare Figuren auf die blanke Tischplatte. Kringel. Kreise. Achten. Integra runzelte die Stirn. "Aber... seit ich selbst... also, das ist etwas völlig anderes. Ich fürchte, mein theoretisches Wissen hilft mir nicht viel." Sie lächelte verlegen. "Alucard...", sie atmete tief durch. Diese Worte kosteten sie Überwindung.

"Alucard", sie sah ihn an, "bring mir bei, was es bedeutet, ein Geschöpf der Nacht zu sein. Das ist ein Befehl", setzte sie hinzu.

"Sehr gern." Alucard deutete eine Verbeugung an. "Unter einer Bedingung..."

"Nein!" schnaubte Integra. "Ich werde dich NICHT meinen Master nennen!"

Alucard seufzte gespielt gequält und grinste Walter zu. "Ich glaub', ich tu's trotzdem", sagte er gönnerhaft.

"Nett von dir", erwiderte Walter. Er warf dem Porträt von Integras Vater einen Blick zu und zuckte hilflos mit den Schultern.
 

Etwas weiter weg, irgendwo im Luftraum über England...

Paladin Alexander Anderson lehnte sich in seinem Flugzeugsessel zurück und kicherte vor sich hin. (Die Stewardessen tuschelten bereits.)

Anderson sah aus dem Fenster. London verschwand unter ihnen. Er grinste.

Dieses lächerliche Protestanten-Geschmeiß. Anderson hätte losbrüllen mögen vor Lachen. Hellsing!

Ihr könnt eure Lady - diese babylonische Hure, dieses herrische, verblendete Weib - vom Rasen abkratzen...

Was wohl Signore Maxwell dazu sagen würde...
 

-------------------------------------------------------------------------------
 

P.S. Wie immer möchte ich mich bei meinen lieben, fleißigen Kommentar-Schreibern aufs allerherzlichste bedanken!!!!! ^___________^

Danke an Aaliyah1, Xell, Saiyama, kiddo-chan, Feurrige, Kaen, MicaAurel, VeggieGirl, Nerissa (danke noch mal für die Empfehlung!!!! *mega-knuff*), Marishka, black-snow, Cherry10001, Jaecky-chan, Nex_Caedes, Yoela, das-schrecken und black-drancer!!!

Fühlt euch geknuddelt!

Memories IV - Maxwell und das Protestanten-Biest

Ich möchte mich wieder aufs allerherzlichste bei allen Kommentarschreibern bedanken! Das sind: amy_k, MicaAurel, JaeckyChan, das-schrecken, Yoela, Nex_Caedes, Marishka, Yusuka_Chan und Nerissa, (waaaaah - die Empfehlung, ihr drei Süßen!!!!! *im-Kreis-renn*), Saiyama, Kaen, Cherry10001, new integra-chan, VeggieGirl, kiddo-chan, black-snow, , Xell, Integra-sama und Brazi.

DANKE!

Ihr Lieben, es ist mal wieder so weit - ein neues Maybe...-Kapitel ist am Start! *Schweiß-abtupf* Es tut mir leid, wenn ihr warten musstet, aber ich bin job-mäßig gerade so eingespannt und im Stress... *umkipp*

Wenn es also demnächst mal ein bisschen länger dauert mit der Fortsetzung - habt Geduld und Verständnis! *mit-weißer-Fahne-rumwedel* A little understanding! (Zitat aus "Cabaret" ^ ^ ) Es geht auf alle Fälle weiter!

GROßES Ehrenwort!

Übrigens werde ich dieser Geschichte in den nächsten Kapiteln noch zwei Wendungen / Ereignisse "verpassen", bei denen ich monstermäßig gespannt bin, wie ihr die aufnehmen und darauf reagieren werdet! *jetzt-schon-zittert*

So - mehr sag' ich jetzt nicht dazu; ihr werdet merken, was ich meine... ^ ^

Und noch etwas - die *Gedicht-Zitate, die Maxwell in diesem Kapitel zum besten gibt, stammen - glaube ich! - von Henri Becque.

----------------------------------------------------------
 

Integra war sehr zufrieden damit, wie rasch der Alltag nach Hellsing-Manor zurückgekehrt war. Selbst Walters Sorgenfalten glätteten sich zusehends. Integra ging den Pflichten ihrer leitenden Position nach wie gewohnt (abgesehen davon, dass sie neuerdings zu einer gewissen Nacht-Aktivität neigte und erst am späten Vormittag aufstand.)

Integra hatte sich bei den Knights entschuldigen lassen. Sie hatte ihr Verschwinden neulich abends damit erklärt, dass eine heftige Sommergrippe sie schachmatt gesetzt habe. Als sie die Statistiken kopierte, habe sie einen schlimmen Fieber- und Schwindelanfall erlitten. Sie habe sich per Handy ein Taxi bestellt und sei sofort nach hause gefahren und bitte vielmals um Entschuldigung. Ihre zerbrochene Brille? Oh, die musste ihr runtergefallen sein, als sie auf das Taxi wartete, vielen Dank. Sir Islands erklärte am Telefon, er sei erfreut, dass es ihr nun wieder besser ging. Doch ein gewisser argwöhnischer Unterton blieb.

Das nächste Treffen mit den Knights sollte wie gewohnt in Hellsing-Manor stattfinden. Es gab einiges vorzubereiten. Integra wusste nicht, wie viel die Knights von dem "Zwischenfall" mit Alucard, Jan Valentine und Anderson mitbekommen hatten - sie wollte daher versuchen, so "normal" wie nur möglich zu erscheinen. Walter beschaffte ihr eine Brille mit Fensterglas, ihre Augen waren ohnehin blau; Integra sah aus wie immer. Bis auf die Zähne.

Hellsing-Manor verfügte über einen kleinen Hospital-Trakt, ausgestattet mit hochmodernem medizinischen Equipment.

Zusammen mit Walter suchte Integra einen der Behandlungsräume auf und befahl ihm, ihre Fangzähne rund zu schleifen. Nachdem Walter eine Weile höflich protestiert hatte, auf Integras ungeduldige Nachfrage hin aber auch keine bessere Idee hatte, tat er das schließlich.

(Zuvor hatte sich Integra mehrfach von Alucard versichern lassen, dass Fangzähne innerhalb kürzester Zeit "regenerierten", also nachwuchsen.)

Kurz vor der Versammlung strich Integra mit der Fingerspitze über ihre Zähne. Noch war alles in Ordnung, sie konnte den Knights ohne Bedenken gegenüber treten.

"Lass dich nicht provozieren", riet Walter, "du weißt, dass deine Augen dann rot werden."

"Und beiß keinen", bemerkte Alucard. "Die Knights sind schon als Menschen unerträglich. Als Ghouls stelle ich mir die komplett widerwärtig vor."

Integra seufzte. "Und", sagte sie gequält, "hat das Fräulein Polizistin auch noch einen schlauen Tipp für mich?"

Aber das Fräulein Polizistin zog es vor, keinen Tipp zu haben und schüttelte wortlos den Kopf. Integra ging.

"Ich verstehe nicht", sagte Seras, "wieso sie blaue Augen hat. Ich hätte meine blauen Augen auch gern behalten!"

Walter zuckte mit den Schultern. "Ich habe keine Ahnung. Ich vermute, sie hat menschliche Gene oder menschliche DNA beibehalten, das mag am Blut der Hellsings liegen. Ich würde dieses Phänomen gern untersuchen, dazu müsste ich Lady Integra Blut abnehmen, aber... na ja, irgendwann vielleicht."

"Hast du sie schon gefragt?" erkundigte sich Seras.

"Nein", murmelte Walter. "Ich trau mich nicht..."

Integra begrüßte unterdessen die Knights und begegnete ihren argwöhnischen Blicken. Sie lächelte. So selbstsicher hatte sie sich noch nie gefühlt...
 

Irgendwo im Vatikan:

Pater Ronaldo betrat das riesige Büro von Enrico Maxwell. Bevor er zu sprechen begann, betrachtete er Maxwell einen Moment lang nostalgisch. Er kannte den kleinen Enrico schon als Messdiener. Der Knabe berechtigte zu den schönsten Hoffnungen und Pater Ronaldo hoffte insgeheim, seinen Schützling eines Tages als Papst zu sehen. Doch Maxwell hatte sich bereits früh für die Division Iscariot interessiert und hatte all sein Streben darauf konzentriert. Nicht ALL sein Streben, zugegeben... Pater Ronaldo seufzte innerlich. Maxwells gutes Aussehen war ein gewisses Handicap... Ihm lagen viele Frauen - und wohl auch einige Männer - zu Füßen. Wenn er sie doch nur allesamt dort liegen lassen würde! Aber nein, der dumme Bengel musste sie ja alle aufsammeln und ließ ihnen eine Aufmerksamkeit angedeihen, die mit dem Zölibat nicht konform ging...

Maxwell saß an seinem riesigen Schreibtisch und sah die Post durch. Das Eingangskörbchen quoll fast über. Maxwell war genervt. Und nun war auch noch Pater Ronaldo aufgekreuzt und räusperte sich unablässig.

"Was?" fragte Maxwell unwirsch.

"Verzeihung", sagte Pater Ronaldo, "Pater Anderson ist da. Er sagt, er hat eine wichtige Mitteilung zu machen."

"Soll reinkommen." Pater Ronaldo nickte und verließ den Raum.

Maxwell blätterte in den Briefen.

- Einladung zum Katholikentag in Berlin

- ein dänischer Professor bat um Eintritt in die Vatikanbibliothek um nach verschollenen Partituren von Antonio Vivaldi zu forschen

- eine Beschwerde der Vatikanbibliothek über die vielen Wissenschaftler die derzeit (mit Signore Maxwells Erlaubnis) in der Vatikanbibliothek ein und aus gingen

- zwei Vaterschaftsklagen

- ein Brief von Kardinal Angelotti, dem Gerüchte von diversen Vaterschaftsklagen zu Ohren gekommen waren und nun (dringend!!!) um ein persönliches Gespräch mit Signore Maxwell bat

- die (ziemlich hohe) Rechnung für den Messwein des letzten Quartals

Na, das übliche.

Die Tür öffnete sich und Anderson betrat den Raum. Mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum.

"Signore Maxwell", sagte Anderson. "Ich habe sie umgebracht!"

"Wen hast du umgebracht?" fragte Maxwell zerstreut. Zwei Vaterschaftsklagen... Die Namen der Frauen sagten ihm gar nichts. Er sollte sich wirklich angewöhnen, wenigstens hinterher nach dem Namen zu fragen...

"Lady Hellsing!"

Er horchte auf. "Was ist mit Lady Hellsing?"

"Ich hab sie umgebracht!"

Maxwell starrte Anderson an. "Du hast WAS?"

Anderson stand da, mit gefletschten Zähnen. Maxwell wusste - das sollte ein Lächeln sein. Jetzt erwartete er womöglich auch noch Lob.

"Anderson...", stammelte Maxwell (Madre santissima, warum war es ihm nicht möglich, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen!?) "warum? Also... ich meine, bravo, Anderson! Bravo! Obwohl du keine Order dafür hattest..."

"Es ergab sich so", grinste Anderson.

"Ah." Maxwell versuchte ebenfalls zu grinsen. Er stand auf und sah aus dem Fenster.

Anderson sah sich fragend nach Pater Ronaldo um. Der zuckte ratlos mit den Schultern.

"Verehrte Lady Hellsing", murmelte Maxwell, "nun bist du also in den ewigen Jagdgründen."

"Sie ist in der Hölle", verkündete Pater Ronaldo mit Genugtuung.

Maxwell legte den Kopf in den Nacken: "Es ist mir nichts von ihr geblieben, Kein Lockenband, das halb verblich, Kein Bild - kein Brief, den sie geschrieben; ich hasste sie, sie hasste mich." *

Anderson und Pater Ronaldo wechselten einen betretenen Blick.

"Signore, hab ich was falsch gemacht?" fragte Anderson bestürzt.

"Nein, es ist nur... man gewöhnt sich auch irgendwie an seine Feinde...", Maxwell lächelte. "Und jetzt raus! Raus mit euch!" Er machte Handbewegungen, als wollte er ein paar Hühner verscheuchen. Als Anderson und Pater Ronaldo verschwunden waren, setzte er sich zurück in seinen eleganten Ledersessel, der sanft zurückschwang.

Er hatte tatsächlich... nichts - nichts, was ihn an sie erinnerte. Aus irgendeinem Grund irritierte ihn das. Tatsächlich hatte sie ihm nie geschrieben, sie hatte immer angerufen. Maxwell hatte sich immer lebhaft vorstellen können, wie sie seine Briefe erhielt und schon über das Iscariot-Siegel wütend wurde und seine Briefe mit dem Briefmesser aufschlitzte. Um dann gleich darauf wutschnaubend zum Telefon zu greifen und ihn direkt anzufauchen.

Sicher, da waren Fotos. Fotos von einem Treffen (dem ersten und letzten...) der Iscariot-Leitung und einigen Hellsing-Leuten. Aber das war vor Integras Zeit gewesen. Nicht sie war auf diesen Fotografien zu sehen, sondern ihr Vater. Trotzdem erinnerten diese Fotos Maxwell an sein erstes Treffen mit Integra...

-------

Integra war vor wenigen Wochen 16 geworden. Und augenblicklich stand eine tiefe Sorgen-/Wut-/Ratlosigkeits-Falte zwischen ihren tiefblauen Augen. Sie hatte Walter aufgesucht und stand nun vor ihm, die Arme verschränkt. Walter, der diese spezielle Falte zwischen ihren Augen kannte, seufzte innerlich, lächelte aber geduldig.

"Nun, Integra, was hast..."

"Was ist die Division Iscariot?"

"Ach du liebe Zeit." Jetzt seufzte Walter nicht bloß innerlich, sondern ganz offiziell.

"Ich habe einige Rekruten darüber reden hören. Was ist Iscariot und wieso habe ich bis heute noch nie etwas davon gehört?"

Walter erklärte ihr, was es mit der Division Iscariot auf sich hatte. Integra hörte ernst und aufmerksam zu.

"Also, im Grunde", sagte sie, als Walter geendet hatte, "verfolgen wir doch dasselbe Ziel. Können wir uns nicht mit Iscariot zusammenschließen?"

Walter verzog das Gesicht. "Wir verfolgen zwar im Prinzip das gleiche Ziel, aber natürlich unter ganz anderen religiösen Vorzeichen. Eigentlich sind wir und Iscariot eher Konkurrenten, fast bin ich geneigt zu sagen - Feinde. Leider. Und seit dieser junge Enrico Maxwell die Leitung von Iscariot übernommen hat, ist es noch schlimmer geworden." Walter putzte sein Monokel.

"Enrico Maxwell?" Integra runzelte die Stirn. "Von dem hat Vater mir nie etwas erzählt."

Walter lächelte gequält. 'Von dem hätte ich dir am liebsten auch nie was erzählt... ', dachte er. Ein manischer Selbstbeweihräucherer, dieser Maxwell, sehr, sehr unangenehm.

"Vielleicht sollte ich mal mit ihm reden", überlegte Integra.
 

Walter war alles andere als begeistert, aber natürlich begleitete er Integra auf ihrer Reise in den Vatikan. Pater Ronaldo nahm sie in Empfang. Den kannte Walter noch - von jener Versammlung damals. Ein seltsamer Kerl; sehr fanatisch, auf seine Art. Hatte wahrscheinlich geweihtes Wasser statt Blut in den Adern. Walter und Pater Ronaldo erbrachten dem Gebot der Höflichkeit minimalste Zugeständnisse. Pater Ronaldo starrte Integra einige Augenblicke verblüfft an, dann ließ er Signore Maxwell ausrufen. Integra wartete in seinem Büro auf ihn.

Sie war sehr gespannt auf diesen Maxwell. Walter hatte ihr immer und immer wieder gesagt, sie solle ihm nicht weiter trauen, als eine Ratte spucken kann.

"Maxwell?" hatte Alucard gesagt und gelacht (sehr dreckig gelacht). Dann hatte er hinzugefügt: "Na, viel Spaß. Falls es dich tröstet - ich bin nur einen Gedanken weit weg."
 

Maxwell war nicht sehr gespannt auf dieses Treffen. "Sir Hellsing" hatte um eine Unterredung gebeten - ein ärgerlicher, überflüssiger Termin mehr. Hellsing, verdammt. Er hatte geglaubt, dieses Problem hätte sich irgendwie von selbst erledigt. Es war so lange ruhig gewesen, so dass er dachte, die hätten sich in aller Stille aufgelöst. Er hatte ein paar Fotos betrachtet - Fotos vom ersten und letzten Treffen von Iscariot und Hellsing. (Maxwell selbst war bei diesem Treffen nicht zugegen gewesen.)

Sir Hellsing... ah ja: Ein älterer Herr, groß, graublond, mit freundlichen, melancholischen, blauen Augen

Maxwell betrat den Vorraum seines Büros. Pater Ronaldo deutete an, sein Gast wäre bereits da. Und dann war da dieser Butler (der war auch auf den Fotos drauf gewesen!), der ihn mit einem Blick ansah, der ihm die Cholera an den Hals wünschte. Maxwell winkte ihm grinsend zu und betrat sein Büro. Sein Gast saß auf dem Besuchersessel. Kein älterer Herr mit freundlichen, melancholischen Augen. Ein Mädchen.

Das musste die Tochter vom Hellsing sein - die Familienähnlichkeit war nicht zu übersehen - die blauen Augen, der markante Haaransatz, die hellen Haare... Warum brachte der diese Göre mit in Maxwells Büro? Obwohl - sie war eigentlich sehr niedlich, die Göre...

Er reichte ihr die Hand und begrüßte sie. Sie erwiderte die Begrüßung ernst. Seeeehr staatsmännisch, die Kleine... dachte Maxwell und grinste spöttisch.

"Na", sagte er, "wartest du auf deinen Daddy? Ist wohl noch mal "Für Herren", was?"

Ihr Gesicht verfinsterte sich. "Er lebt nicht mehr. Wussten Sie das nicht? Interessiert Sie wohl nicht, wie?"

"Nein. Also - nein! Ich habe es nicht gewusst!" (Verdammt - wie alt waren diese Fotos?? Drei Monate? Sieben Monate?) "Es tut mir leid! Meine Güte, er war doch kürzlich noch so munter! Wann ist denn das passiert?"

Ihr Gesicht wurde noch finsterer. "Vor zweieinhalb Jahren."

"Und wer leitet Hellsing jetzt?"

"Ich."

Maxwell konnte ein Prusten nicht zurückhalten.

Ihr Gesicht - kaum zu glauben - wurde noch finsterer.

"'tschuldigung...", murmelte er.

"Keine Ursache. Sie sind nicht der erste, der so reagiert. Und wahrscheinlich nicht der letzte", sagte sie mit erhabener Eiseskälte.

Maxwell rang um Fassung. Hellsing wurde von einem Mädchen geleitet. Maxwell grölte innerlich. Das war der beste Witz seit langem. Damit war Hellsing endgültig abgeschrieben.

Trotzdem wollte er nett sein zu seinem Gast - war ja schließlich ein hübscher Gast.

Er lehnte sich zurück und legte seine Beine lässig auf die oberste, offen stehende Schublade.

"Weswegen bist du hier?" fragte er.

Und Integra sagte ihm, warum sie hier war. Sie erzählte, erklärte, referierte. Maxwell betrachtete sie belustigt. Hach, der Idealismus eines Teenagers... Aber was dieses Mädchen für Augen hatte... wie der Himmel über dem Vatikan an einem herrlichen Sommertag. Und ihre Stimme war interessant: Die Stimme hatte sich noch nicht entschieden, ob sie einem Mädchen oder einem Jungen gehörte. Sie lag, dunkel und abgründig, genau in der Mitte. Der restliche Körper hatte sich sehr wohl entschieden, dass er zu einem Mädchen gehörte, und zu was für einem... Maxwell lockerte seinen Kragen.

"...unser langfristiges Ziel", sagte Integra, "muss eine europaweite Vernetzung im Kampf gegen Vampire und Ghouls sein, über alle Glaubensbarrieren hinweg. Hören Sie mir überhaupt zu?"

Maxwell hatte natürlich nicht zugehört. Keine drei Sekunden lang. Also versuchte er nun, ganz andere Thema anzusprechen. Wie wär's mit einem Espresso? Außerdem versuchte er, sie für einen Spaziergang zu erwärmen (Ziel: Maxwells Privatgemächer).

Nichts beeindruckte sie. Sie sagte nur, er solle beim Thema bleiben und nicht ständig ablenken, bitte. Sie referierte weiter.

Eins stand fest - dieses Mädchen war bestürzend intelligent und kaltschnäuzig. Maxwell wusste; keine Masche, die bei anderen Mädchen zog, würde bei ihr was bewirken. Nein - da musste ein anderes Kaliber aufgefahren werden.

"Soso", sagte er, "du hast es dir also zur Aufgabe gemacht, Ghouls zu jagen?"

Integra seufzte entnervt. Dieser Kerl war ekelhaft höflich und eine Total-Null. Sein geheucheltes Interesse war doch wieder nur schlecht getarntes Balzverhalten (das einzige Verhalten, das er überhaupt an den Tag zu legen schien).

"Das stimmt", sagte sie kühl.

Maxwell grinste ihr zu. Jetzt kam die Trumpfkarte. Das würde selbst diesen kleinen, arroganten, blonden Eisklotz die blauen Augen aufreißen lassen.

"Weißt du", er beugte sich zu ihr vor und senkte die Stimme zu einem konspirativen Flüstern, "weißt du, was ein Regenerator ist?"

"Nein." Integra runzelte die Stirn. "Nie gehört."

"Ah!" Maxwell heuchelte Bestürzung. "Und DU leitest die Hellsing-Organisation!? Lieber Himmel! Reizend", Maxwell lachte spöttisch. "Selig sind die Unwissenden."

"Was?" fragte Integra verwirrt.

"Na!" Maxwell sah sie tadelnd an, legte die sorgfältig manikürten Fingerspitzen aneinander und wölbte die rechte Braue. "Die Bergpredigt! Liest du denn nicht in der Bibel, meine Kleine?"

Integra wölbte die linke Braue. "Nicht, wenn ich wissen will, was ein Regenerator ist, dann nicht."

Sie schwiegen eine Weile.

"Was ist denn nun ein Regenerator?" Integra ballte die Fäuste.

"Oh, natürlich", Maxwell erhob sich und kam um den Tisch herum auf sie zu. "Diese Wissenslücke schreit danach, gefüllt zu werden. Da kann ich dir behilflich sein, meine Kleine..."
 

Walter und Pater Ronaldo standen vor Maxwells geschlossener Bürotür und belauerten sich gegenseitig. Von Integras und Maxwells Gespräch hatten sie bislang nur unverständliches Stimmengemurmel gehört. Bis jetzt - denn nun sagte Integra drinnen im Büro deutlich vernehmbar: "... und übrigens bin ich nicht Ihre "Kleine" und nehmen Sie Ihre Hand da weg."

Das war der Moment, in dem Walter sich (bei dem Versuch, Maxwells Bürotür einzurennen) die Schulter auskugelte, und Pater Ronaldo so gar kein Mitleid mit ihm hatte.
 

Wegen dem Gepolter und Tumult, den Walter und Pater Ronaldo vor der Bürotür veranstalteten, runzelte Maxwell die Stirn.

"Komm mit", sagte er zu Integra. "Ich will dir etwas zeigen. Na, komm - du möchtest doch wissen, was ein Regenerator ist, nicht wahr?" Integra stand zögernd auf. Maxwell wies mit einer leichten Verbeugung auf eine Seitentür, die aus dem Büro hinausführte. Integra sah ihn misstrauisch an. Maxwell lächelte. Mit einem ähnlichen Lächeln hatte seinerzeit ein gewisser Wolf ein gewisses Rotkäppchen angelächelt.
 

Ein langer dunkler Gang, der in einer länglichen, irgendwie dämmrigen Kammer endete. Nein, "Kammer" war das falsche Wort - vielleicht war es auch ein Saal - Integra konnte keine Raumdecke erkennen.

"Nun, meine Kleine - oh, Lady Hellsing", verbesserte Maxwell sich, gönnerhaft grinsend, als ihn ein blauer Blitz aus ihren Augen traf, "was nun kommt, ist nichts für schwache Nerven." Er schauderte hingebungsvoll. "Noch kannst du zurückgehen. Zu deinem Butler."

"Von wegen", schnaubte sie. "Ich bin genauso abgebrüht wie du."

Maxwell lächelte spöttisch. Und doch - irgendwie imponierte ihm die Kleine. Ein bisschen. Sie schien wirklich keine Angst zu haben. Sie zeigte nur kühles, rationales Interesse.

"Was ist denn nun ein Regenerator?" fragte Integra erneut und schon recht ungeduldig. "Ist das so eine Art künstlich erschaffener Vampir - erschaffen zur Bekämpfung von Ghouls? Was versprecht ihr euch nur von solchen nachgemachten Kreaturen?"

"Nachgemachte Kreaturen?" wiederholte Maxwell, höflich schockiert über soviel Ignoranz, "Mädchen, das sind alles Profis."

Der Profi, der jetzt auf sie zukam, war sehr groß, trug ein langes, schlichtes Gewand und hatte sehr kurze, sehr blonde Haare. Und eine lange Narbe auf der linken Wange.

"Das", sagte Maxwell feierlich, "ist ein Regenerator."

"Das ist ein Priester", sagte Integra. "Oder so was ähnliches."

"Wohl eher so was ähnliches", entgegnete Maxwell. "Er wird dir nichts tun. Ich bin ja bei dir. Allerdings solltest du nicht unhöflich zu mir sein, das hat er nicht gern..."

Der Priester/Regenerator war bei ihnen angelangt und sah auf Integra herab mit dieser Grimasse, die er für ein Lächeln hält.

"Dies ist Alexander Anderson", sagte Maxwell. "Anderson, darf ich vorstellen - Lady Integra Hellsing. Sie leitet die Hellsing-Organisation." Die beiden Männer grinsten sich zu.

"Was genau ist ein Regenerator?" fragte Integra. Maxwell sah sie an. Dann sah er Anderson an. Er war noch nie in die Verlegenheit geraten, erklären zu müssen, was Anderson eigentlich war.

"Saugt er zum Beispiel Blut?" erkundigte Integra sich geduldig, wie eine Lehrerin, die sich mit einem besonders verstockten Kind befasst.

Maxwell blinzelte verwirrt. "Also... hin und wieder ... tut er das wohl." (Nein, er würde Anderson das jetzt nicht fragen! Diese Blöße würde er sich hier und jetzt nicht geben. Verdammt, warum wusste er das eigentlich nicht? Es konnte ja niemand damit rechnen, dass ihm eines Tages irgendeine englische Protestanten-Göre so etwas fragen würde!!!!)

"Ist er unsterblich?" fragte die Protestanten-Göre weiter.

"Wie man's nimmt", sagte Maxwell ausweichend.

"Was?" fragte Integra streng.

"Naja", Maxwell lachte verlegen, "beim Unsterblichsein, da gibt's so 'ne und solche..."

"Du weißt es nicht", stellte Integra fest.

Anderson wusste nicht genau, was hier abging - er wusste nur, dass sein Chef dabei war, sich schrecklich zu blamieren. Vielleicht sollte er diesem nervtötenden kleinen Ding mal gehörig...

Er wandte sich verwirrt um. Das nervtötende kleine Ding hatte damit begonnen, mit gerunzelter Stirn um ihn herum zu gehen. Anderson fühlte sich, wie ein Objekt unter einem Mikroskop. Dann stand sie direkt vor ihm und starrte ihm in die Augen.

"Keine roten Augen", murmelte sie. Und dann wagte sie es, ihre Hand nach ihm auszustrecken und seine Oberlippe mit Daumen und Zeigefinger ein Stück hochzuziehen. Er war so überrascht, dass er es geschehen ließ. Integra betrachtete seinen linken Fangzahn. (Pah, Alucards Zähne waren deutlich länger...)

Anderson war empört. Er kam sich vor wie im Zoo. Er ließ Maxwell - auf italienisch - wissen, dass er die Schnauze voll habe und nun gehen werde. Nach einem längeren mit lateinischen Sprüchen durchzogenen Meinungsaustausch verschwand Anderson tatsächlich.

Maxwell räusperte sich. Er hatte sich von Anderson heute etwas mehr versprochen.

Aber - keine Schwäche zeigen vor dieser Hellsing-Göre. Vielleicht war es ganz gut, wenn sie Anderson und seine wahren Kräfte und Fähigkeiten nicht einschätzen konnte.

Er wandte sich Integra zu. "Ich hoffe, das war jetzt nicht zu gruselig für dich."

"Klar doch, padre", antwortete sie. "Latein finde ich wahnsinnig gruselig. Außerdem habe ich auch einen."

"Einen was?"

"Einen Vampir. Willst du ihn sehen? Ich ruf ihn."

"Ja, ist gut." Maxwell lachte. Er war ein bisschen enttäuscht von dem Mädchen. Er hatte nicht gedacht, dass sie so kindisch sein könnte und nun behauptete, ebenfalls einen Vampir zu haben. Er hatte die Akten gründlich studiert. Es gab Gerüchte, dass Hellsing früher über einen Vampir in den eigenen Reihen verfügt haben sollte - aber dieser sagenhafte Vampir war seit mehr als 20 Jahren spurlos verschwunden. Wahrscheinlich hatte es ihn überhaupt nie gegeben. Das Mädchen war verwirrt. Wahrscheinlich hatte Anderson ihr doch einen größeren Schrecken eingejagt, als man ihr ansah.

"Ruf ihn, Mädchen. Ich bin sehr gespannt."

Sie nickte. "Ich hab ihn gerufen. Mit meinen Gedanken."

"Und", Maxwell lachte noch immer, "wo ist er, dein Vampir?"

"Steht hinter dir."

Maxwell lächelte abfällig, drehte sich aber um - und schaute direkt auf ein sehr breites Grinsen mit sehr spitzen Fangzähnen. Maxwell starrte das Grinsen an, wie jemand, der im Kopf Fahrenheit in Celsius umrechnet, während sein Haus abbrennt.

Alucard lachte. Es klang fast herzlich. Maxwell betete innerlich alles herunter, was ihm einfiel. In seinen Augen spiegelte sich die Erkenntnis, dass man ihn ausmanövriert hatte. Jetzt hatte er nur noch einen Wunsch - lebend hier rauszukommen.

"Das ist Alucard", stellte Integra ihren Vampir vor. "Maxwell - sag hallo zu Alucard."

"Hallo Alucard", knirschte Maxwell. Er raffte sich zu einem schwachen Abglanz seiner üblichen Arroganz auf: "Lächerlicher Name", sagte er.

Alucard zuckte mit den Schultern. "Maxwell gefällt mir auch nicht besonders, und dein Benehmen erst recht nicht. Kleinen Mädchen Angst einjagen, das bereitet dir Vergnügen, ja?"

"Ich hatte keine Angst", schmollte Integra. "Und kleines Mädchen hab ich auch überhört!"

"Aber genau das bist du - eine alberne kleine Gans!", zischte Maxwell. "Du glaubst doch nicht im Ernst, Iscariot und Hellsing könnten jemals zusammenarbeiten!? Wie hirnverbrannt kann man..."

"Maxwell", Alucard trat noch einen Schritt näher, seine und Maxwells Nase berührten sich fast, "du fängst an, mich zu langweilen. Und das ist gefährlich.

1) nennst du meine Herrin weder "Gans" noch "albern" und 2) haben wir es uns sowieso anders überlegt - wir werden NIEMALS mit Iscariot zusammenarbeiten, kapiert?"

Doch bei seinem letzten Wort sah er nicht Maxwell, sondern Integra an. Sie nickte schuldbewusst. Maxwell, der das gesehen hatte, wollte schon wieder mit Grinsen anfangen, doch Alucards blutrote Augen tauchten direkt vor seinen Augen auf.

"Alles geschnallt, Maxwell?" fragte Alucard. "Passte das noch in dein mit Oblaten vollgestopftes Hirn?"

Maxwells delikat geschwungene Nasenflügel bebten.
 

Und wenig später trennten sich ihre Wege. Integra war zu Walter zurückgekehrt, der sich fragte, was in der Zwischenzeit vorgefallen sein mochte. Integras Augen sprühten förmlich Funken und Signore Maxwell wirkte etwas blass, als sei ihm irgendwie übel.

"Maxwell", hatte Integra zum Abschied zu ihm gesagt, "ich hoffe, die Teufel des Stolzes, der Geilheit und der Blödheit werden dich fressen."

Walter, Maxwell und Pater Ronaldo waren einigermaßen sprachlos.

Nur jemand Unsichtbares, jemand mit einem roten Mantel und roten Augen wurde von lautlosem Gelächter geschüttelt.
 

---------
 

Der heutige Maxwell seufzte. Lady Hellsing... Sie war ein sprödes kleines Biest gewesen. Dann war sie ein sprödes großes Biest gewesen.

"Sie", sagte Maxwell laut, wie um sich selbst davon zu überzeugen, "verkörperte alles, was ich an Männern nicht mag. Farewell, Integra", murmelte er.

Dann seufzte er noch mal.
 

PS. Danke, dass ihr dieses extrem lange Kapitel so tapfer durchgestanden habt! *verbeug*

Das nächste Kapitel wird wieder ein schönes, "pures" *g* Integra x Alucard-Kapitel! ^_____^

Hold me, thrill me, kiss me...

Aus irgendeinem Grund muss ich bei diesem U2-Song immer an Alucard denken... (???) Und die Überschrift passt einfach zu diesem Kapitel... ^_____^

Ich hoffe, ihr verzeiht mir, dass ich für dieses Kapitel so lange gebraucht habe. Mega-Stress in nahezu allen Lebensbereichen...

Ich habe gar fürchterliche Wochen hinter mir. Irgendwie hatte sich alles gegen mich verschworen. (ALLES!! >_<) Manchmal habe ich echt geglaubt, meine Mitmenschen, das sind alles Außerirdische, mit dem Spezial-Auftrag, mich fertig zu machen... @_@

Aber ich glaube, jetzt bessert sich die allgemeine Lage wieder. (Alles wird gut, Vani-chan, alles, alles wird gut... *Schnellkurs-in-Selbsthypnose* ~_^)
 

Ich möchte mich wieder ganz, ganz herzlich bei den mega-fleißigen Kommentar-Schreibern bedanken!! Seid alle total doll geknuddelt:

das-schrecken, Cherry10001, Johann, MicaAurel, Nex_Caedes, Feurrige, newintegra-chan, amy_k, Marishka, Yusuka_Chan, Yoela, Brazi, Saiyama, Nerissa, black-drancer, Kaen, Integra-sama, kiddo-chan, VeggieGirl und Xell
 

Und weiter geht's: (By the way, der Songtext, der gleich kommt (und bei dem wiederum ich immer an Integra denken muss...), stammt aus dem Laura Brannigan-Song "Self Control"):

--------------------------------------------------------------------------------
 

Oh the night is my world

(...)

In the day nothing matters

It's the night time that flatters

In the night, no control

Through the wall something's breaking

Wearing white as you're walking

Down the street of my soul
 

You take myself you take my self control

You got me living only for the night

Before the morning comes

The story's told

You take myself, you take my self control

Another night, another day goes by

I never stop myself to wonder why

You help me to forget to play my role

You take myself you take my self control
 

I live among the creatures of the night

I haven't got the will to try and fight

Against a new tomorrow

So I guess I'll just believe it

That tomorrow never comes
 

I say night, I'm living in the forest of my dream

I know the night is not as it would seem

I must believe in something

So I'll make myself believe it

That this night will never go
 

I live among the creatures of the night

I haven't got the will to try and fight...

Against a new tomorrow

So I guess I'll just believe it

That tomorrow never knows...

--------------------------------------------------------------------------------------------
 

Sie hätte es nie laut gesagt, aber Integra liebte ihr neues Dasein. Sie liebte diese Macht und diese Kraft, die sie sehr selten zeigte, die aber da war und die man spürte, wenn man mit ihr zu tun hatte. Wenn sie mit den Knights zusammen war, musste sie aufpassen, dass sie nicht laut loslachte.

Ihr armen, ahnungslosen Deppen. Wenn ihr wüsstet...

Sie gratulierte sich selbst zu ihren schauspielerischen Fähigkeiten: Tagsüber verkörperte sie glaubhaft die "offizielle" Integra; die Leiterin der Hellsing-Organisation, die gnadenlose Vampirjägerin. Aber nachts...

...war sie "die andere" Integra.

Alucard war begeistert (und manchmal erschüttert) darüber, wie schnell sie Fortschritte machte. Am Anfang war sie oft gereizt und ungeduldig gewesen. Ihre Fortschritte erschienen ihr zu langsam, sie wollte sofort alles können, wissen und beherrschen.

"Du musst sein wie die Nacht - still und kühl und dunkel", sagte Alucard.

"Oh, großartig, Alucard, wunderbar", motzte Integra. "Kein Problem - so sein wie die Nacht; nichts einfacher als das! Eine meiner leichtesten Übungen! Sieh mal - wie gefalle ich dir als Nacht?" Sie zog sich ihren schwarzen Mantel über den Kopf. Alucard seufzte.

"Hab Geduld mit dir", sagte er.

Auch Integras "durch-Wände-gleiten" war anfangs eine Katastrophe gewesen; es hatte Beulen und zahllose Wutanfälle gegeben.

Alucard pflegte sie in solchen Situationen mit Seras zu vergleichen. Das machte sie zuerst noch wütender, aber dann beruhigte sie sich und wurde gelassener.

Wann immer es keine Truppen-Einsätze, bzw. Ghoul-Attacken gab und sie Zeit hatten, lehrte Alucard sie, ein Wesen der Nacht zu sein - zwei Schatten, die in Londons Straßen unterwegs waren.

Mittlerweile hatte eine vertraute, fast harmonische Stille die anfänglichen Spannungen ersetzt. Häufig verbrachten sie viele Nachtstunden miteinander, in deren Verlauf sie keine zehn Worte wechselten. Es war angenehm - obwohl es Alucard fast ein wenig unheimlich war. Er kannte Integra als grundsätzlich störrische, widerborstige Person und er genoss es zu spüren, wie sich ihr Wille gegen seinen Willen stemmte. Jetzt war sie so ungewohnt still und versunken.
 

Neben Alucard fühlte Integra sich fast zerbrechlich. Das war schon immer so gewesen, aber erst jetzt fand sie, dass das ein fast... angenehmes Gefühl war für eine Frau, die sich neben den meisten Männer immer "zu groß" und "grobknochig" vorkam. Sehr seltsam...

Gestern hatte Alucard sie mit einem freundlich-spöttischen Lächeln angesehen. "Du bist erstaunlich unkompliziert in letzter Zeit", hatte er gesagt. "Diese nächtlichen Lektionen machen dir Spaß, hm?" Er grinste.

"Ich habe schon immer gern gelernt", sagte Integra betont kühl. "Mein Wissen erweitern, meine Fähigkeiten immer weiter steigern - das gefällt mir, ja."

"Jaja", Alucard nickte, "man lebt, um zu lernen. In jedem Fall aber, um zu leben."

"Leben wir denn?" hatte Integra gefragt.

Alucard sah sie an. "Die Frage musst du dir selbst beantworten. Was spürst du?"

Integra runzelte die Stirn. "Ich weiß nicht."
 

Das war das Problem. Oh ja, ihre neue Daseinsform war etwas besonderes. Integra liebte ihre neue Kraft, ihre Macht. Aber... Wer oder was bin ich eigentlich?

Ich weiß es nicht. Ich wusste es noch nie.
 

In dieser Nacht war Integra allein. Sie hatte Hellsing Manor verlassen und wanderte in der nahen Umgebung durch die Dunkelheit. Weite Wiesen, sich fast bis zum Horizont dahinwellende Hügel und einige Bäume, in denen die Nachthitze brütete. Weit dahinter lag London, groß und undeutlich im schwülen Dunst. Die Nacht war drückend schwül und ein schwermütiger Mond beschien riesige, träge Wolken. Integra sah in den düsteren Himmel und dachte bei sich, dass es sich genau um die Art von Himmel handelte, aus dem problemlos die vier apokalyptischen Reiter hätten herausgaloppieren können.

Integras einziges Zugeständnis an die Hitze war die Tatsache, dass sie ihren langen, schwarzen Mantel offen trug. Seit sie ein Wesen der Nacht geworden war, fröstelte sie schnell, aber diese Schwüle mochte sie auch nicht. Sie fühlte sich wie eingeschnürt.

Die Wolken verdichteten sich. Es wurde immer dunkler. Fast schien es so, als würden die Schatten zwischen den Bäumen das blasse Mondlicht aufsaugen. Eine Spannung lag in der Luft, irgendetwas, das knisterte - ein nahendes Sommergewitter vermutlich.

Sie war müde, aber irgendeine geheimnisvolle Verheißung irrlichterte in ihrem Blut und ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Ein magnetisches Ziehen irgendeiner Kraft, etwas, das wach war wie sie. Wie eine unruhige Flamme, die in ihr loderte und lockte.

Sie horchte angestrengt durch die Dunkelheit; nicht nur mit den Ohren, sondern mit all ihren Sinnen. Diese Schwüle konnte nicht enden ohne den Blitz...

Da war wieder dieses wilde Verlangen, das neuerdings immer da war und immer stärker wurde, wenn sie die "andere Integra" war. Tagsüber hatte sie sich vollkommen unter Kontrolle, und sie war stolz darauf. Aber die Nächte...

Sie hatte maßlose Angst davor, diesem Verlangen nachzugeben, sich irgendwelche Gefühle, (und gerade "solche" Gefühle!) anmerken zu lassen. Und gleichzeitig hätte sie sich selbst vor Wut zerreißen mögen; dafür, dass sie sich selbst so einschränkte, dass sie sich nicht aus ihrem eigenen Schatten herauswagte.

Integra sah zu den wenigen Sternen hinauf, bis ihr Zeitgefühl sich auflöste.
 

Bitte höre, was ich nicht sage. Lass dich nicht durch mein Gesicht täuschen, denn ich trage tausend Masken - und keine davon bin ich. Mein Äußeres mag sicher erscheinen, aber auch das ist nur eine Maske. Dahinter ist nichts Entsprechendes. Dahinter bin ich, wie ich wirklich bin; unsicher, voller Angst, einsam und allein. Ich fürchte mich davor, mich anderen zu offenbaren.

Deshalb erfinde ich verzweifelt Masken, hinter denen ich mich verstecken kann; eine kluge, lässige, eisharte Fassade, die mich vor dem wissenden Blick schützt, der mich erkennen würde.

Dabei wäre gerade dieser Blick meine Rettung, vielleicht, wenn er verbunden wäre mit Gefühl, mit Wärme, mit... so etwas wie Liebe?

Aber das sage ich dir nicht. Ich habe Angst davor, dass du mich nicht verstehst oder noch schlimmer, dass du über mich lachen wirst. Dein Lachen würde mich umbringen.

Ich habe Angst, dass ich tief in mir selbst nichts bin, nichts wert bin und dass du das sehen könntest und mich abweisen wirst.

So spiele ich dieses verzweifelte Spiel immer weiter: Eine sichere Fassade außen und ein zitterndes, einsames, kleines Mädchen innen.

Ich erzähle dir alles mögliche, was wirklich nichts ist - aber nichts von alldem, was wirklich ist, was in mir schreit. Ich hasse dieses Versteckspiel, das ich da aufführe; es ist unecht und ich wäre so gern echt, ehrlich und spontan; einfach ich selbst.

Kannst du mir helfen?

Du könntest deine Hand ausstrecken, vielleicht. Selbst wenn es das letzte zu sein scheint, was ich mir wünsche. Jedes Mal, wenn du bei mir bist und ich spüre, du hast mich verstanden, ganz ohne Worte oder dass du dich um mich sorgst, bekommt mein Herz Flügel. Sehr, sehr kleine Flügel, brüchige Schwingen, aber Flügel.

Ich möchte, dass du weißt, wie wichtig du für mich bist, wie sehr du mir helfen könntest, die zu werden, die ich in Wahrheit bin - wenn du es nur willst. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass du das wolltest.

Du kannst mir helfen, die Wand einzureißen, hinter der ich mich verstecke. Bei dir würde ich mich so gerne trauen können, die Maske abzusetzen, damit du mir Wege zeigen kannst, wie ich mich aus dieser Schattenwelt, aus meiner Unsicherheit und dieser Einsamkeit befreien kann...
 

Integra wischte sich mit dem rechten Handrücken über ihre Augen und ihre Wangen.
 

Was erwarte ich eigentlich... Er wird mir nie vergeben, dass ich eine Hellsing bin. Er wird mich verletzen, wann und wo immer er nur kann.

Ach Alucard, Alucard, du beschützt mich vor allem. Aber wer beschützt mich vor dir...

"Integra", sagte seine Stimme in ihrem Kopf und sie riss die Augen weit auf.

"Sieh dich an", sagte er. "Spüre, wer du bist. Glaubst du wirklich, dass du vor mir beschützt werden musst?"

Seine Stimme war ruhig, fast sanft und ohne Spott. Ohne Spott, obwohl er doch ihre Gedanken gelesen haben musste...

Sie schluckte. Vielleicht könnte sie... vielleicht sollte sie es doch wagen... Doch er kam er ihr zuvor. Sie konnte ihn fast grinsen hören. Aber es war kein Zynismus, kein Hohn in diesem Grinsen.

"Ich weiß es schon seit mehr als zehn Jahren. Aber du bist erst jetzt bereit für die Wahrheit: Du bist genau die Gefährtin, die ich immer gesucht habe."

Darauf war sie nicht vorbereitet. Sie war so schockiert, verlegen und aufgewühlt, dass sie sofort in ihr altbekanntes Verhaltensmuster fiel.

"Natürlich...", zischte sie und schnappte nach Luft. "Oh, selbstverständlich! Gefährten, wie? Partner, was? Wir passen wirklich wunderbar zusammen, auch von der Größe her, nicht wahr? Und was sind schon 500 Jahre Altersunterschied?

"Deinen Sarkasmus mag ich übrigens auch sehr", sagte er freundlich.

Integra schlug sich die Hände vors Gesicht.

"Entschuldige", murmelte sie gedämpft, "ich... wollte das nicht. Ich weiß überhaupt nicht..." Sie ließ die Hände sinken und starrte in die Nacht.

"Warum hast du nie was gesagt?" fragte sie ihn in Gedanken.

"Ich sage jetzt was", antwortete seine Stimme in ihrem Kopf. "Früher hättest du mich zurückgewiesen. Auch wenn du es im Grunde nicht gewollt hättest, du hättest es doch getan, das wissen wir beide. Verständlich. Ich ein Vampir, du eine Vampirjägerin." Er lachte leise. "So unterschiedlich wie Tag und Nacht. Aber Tag und Nacht gehören untrennbar zusammen. Es ist nicht zu spät. Für uns wird nie wieder etwas zu spät sein, Integra, wir haben alle Zeit der Welt."

Integra legte den Kopf in den Nacken, sah hinauf in den wilden, schwarzen Nachthimmel. Es kam ihr so vor, als habe sich das ganze Wetter um sie versammelt, zöge Kreise um sie herum und warte nur auf sie. Ihr war, als wäre Alucard die Dunkelheit selbst und plötzlich empfand sie die Schwüle als etwas wunderbares. Sie quälte sie nicht mehr, sie umschmiegte sie, zärtlich und wollüstig. Die schwüle Nacht berührte sie wie mit tausend Lippen.

Sie spürte das nahe Gewitter, dieses Prickeln, das einem verrät, dass der Blitz gleich in der Nähe einschlagen wird.

Süßes Grauen...
 

Bald darauf in Hellsing Manor.

Alucard näherte sich Integras Schlafzimmer. Er spürte, dass sie zurückgekehrt war, doch sie war nicht in ihrem Arbeitszimmer.

Alucard grinste spöttisch. Und zur Abwechslung war er selbst derjenige, über den er grinste. Er hatte geglaubt, er hätte das alles hinter sich. (Aber mit dem Glauben war das bei ihm ja seit je her so eine Sache...) Sicher, er war einstmals wegen einer anderen nach London gekommen. (Wie ewig war das her!) Aber Integra (das wusste er nun) war der Grund, warum er all die Jahre hier geblieben war. Warum er nicht immer und immer wieder gegen den Bann der Hellsings rebelliert hatte. Er hatte gewusst, irgendwann würde er sie finden. Und sicher war es kein Zufall, dass gerade sie die letzte Erbin der Hellsings war.

Die letzten elf Jahre waren ihm qualvoll länger erschinen als die letzten vier Jahrhunderte. Nie war er einer Frau begegnet, die so war wie sie; so stolz, so schön, voll eiskalter Glut. Er begehrte und fürchtete sie gleichermaßen. All das Warten, all diese Jahre schienen sich in dieser Nacht zu komprimieren. Heiße Dunkelheit, wie ein Fieber, ein tiefroter Wahnsinn...
 

Er glitt durch die Wand und war in ihrem Schlafzimmer.

Integra stand vor dem Kamin und schaute in die Flammen. Obwohl es Hochsommer war, fand sie es angenehm, sich an einem offenen Feuer zu wärmen. Sie hatte den Mantel und ihr Jackett über die Lehne eines Stuhls geworfen und trug nur die dunkle Hose und ein weißes Hemd. Alucard betrachtete ihr schönes Profil, das sich den Flammen zuneigte. Sie schaute versonnen in die Flammen, als hätte sie Alucard noch gar nicht bemerkt. Aber er wusste, sie hatte. Er verharrte reglos und beobachtete sie. Dann wandte sie ihm ihr Gesicht zu und betrachtete ihn ernst. Das Licht der Flammen flackerte auf ihrem Gesicht und spiegelte sich in ihren blauen Augen.

Sie lächelte. "Ich war gespannt, ob du herkommen würdest", sagte sie.

Er grinste. "Ich war gespannt, ob du hier sein würdest."

Sie sahen einander wortlos an. Langsam näherte Alucard sich ihr, bis er neben ihr stand. Er zeichnete mit dem Finger ihre Augenbraue nach und streichelte ihre Wange. Seine Hand zitterte. Vor Gier. Integra hätte fast gelächelt; doch über seine Gier zu lächeln, hieße, über sich selbst zu lächeln. Sie schloss ihre Augen.

Wie eine warme, stürzende Welle fielen ihre Schultern gegen ihn. Er schlang seine Arme um sie und küsste ihre mondscheinhellen Haare, dann ihre Lippen.

Ein Kuss wie ein wütender Biss. Irgendwo zwischen Traum und Ekstase...

Alucard stellte mit Bedauern fest, dass er nur zwei Hände hatte. Er wusste, heute nacht würde alles das passieren, was seine Phantasie sich all die Jahre kaum auszumalen gewagt hatte (obwohl sie es beständig versucht hatte...).
 

'Was tue ich hier eigentlich', dachte Integra. 'Das ist...' Es war ungewohnt, Gefühle zuzulassen. Solche Gefühle. Gefühle, die direkt durch den Magen in die Beckengegend wanderten, ohne vorher das Gehirn zu bemühen. Aber es fühlte sich... richtig an.

Sie ließ sich hineingleiten in dieses neue Gefühl. Es war überraschend angenehm, widerstandslos zu sein.

Integra öffnete die Augen, als Alucard sich von ihr löste.

"Sag mir, was du willst", sagte er.

Integra seufzte und schloss die Augen wieder. Sein ewiges Spiel...

"Kannst du nie damit aufhören", murmelte sie.

"Ich will es von dir hören. Sag es, Integra - in deinen eigenen Worten."

"Wessen Worte sollte ich denn sonst auch benutzen?" zischte sie und öffnete die Augen wieder. "Ich werde dich um nichts bitten. Wozu auch, Alucard, wozu? Ich kann nichts vor dir verbergen. Du brauchst mich nur anzusehen und weißt alles. Und wenn ich dich ansehe, ist es das gleiche. Ich hab dasselbe Fieber wie du." Sie lehnte sich an ihn und schlang ihre Arme um ihn. "Mein Leben und meine Seele gehören dir und ich werde dir folgen, wohin auch immer."

"Deine Seele..." er lachte leise "die gehört mir sowieso. Jetzt will ich mit dem Rest von dir Spaß haben." Er hauchte die Worte kaum hörbar in ihren Mund.

"Oh, du vollendeter Romantiker", murmelte sie spöttisch.

Er schob das weiße Hemd von ihren Schultern und sie spürte seine wandernden Lippen. Ein leichter Schauer lief über ihren Körper.

Zögernd ertasteten ihre Finger die Knöpfe seines Hemdes; wie die Finger von jemandem, der versucht, Blindenschrift zu entziffern.

Immer mehr Kleidungsstücke sanken zu Boden. Alucard und Integra hatten aufgehört zu reden, weil jedes Wort längst überflüssig war. Er hob sie hoch und trug sie zum Bett.

Und dann war da nur noch ihr beider Atem...

Suck, baby, suck

Sorry für den Titel... ^ ^°

Ich hatte das Kapitel fertig und mir wollte einfach kein Titel einfallen... >_>

Da habe ich zufällig den Song Cracked actor gehört und da kommt die Textzeile "Suck, baby, suck" vor und ich dachte, "Yepp, das isses!"

(Es ist einfach wunderbar doppeldeutig (und passt irgendwie gut zu Alucard....^_~ )
 

1000 Dank an die weltbesten Kommentarschreiber:

Nex_Caedes, Jaeckychan, Marishka, Johann, Kaen, Integra-sama, Nerissa, Yoela, Saiyama, VeggieGirl, newintegra-chan, Ryoko-chan 737, Alakreiel (hey, hey, zwei "Neuzugänge"!! *freu* Willkommen, ihr beiden!), amy_k, Feurrige, Xell, Cherry10001 und kiddo-chan.
 

Wegen großer privater Probleme hatte ich eine kleine Maybe-Pause eingelegt. Wie schön, dass ihr trotzdem noch dabei seid!

Um mich wieder zu "re-inspirieren" habe ich mir noch mal meine Hellsing-DVDs reingezogen (ich finde Integras japanische Stimme so klasse! *auch-so-'ne-Stimme-haben-will* (Und *auch-so-fließend-japanisch-können-will* (Hö!!))

Und auch die Mangas habe ich mir noch mal durchgelesen. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich das Buch, das Walter in Band 3 (siehe "Kapitel-Cover" (wie heißt so was eigentlich?) zu Kapitel 5 - Elevator Action 4, auch schon mal gelesen habe! Walter liest's natürlich im englischen Original ("Moon and Sixpence") und ich habe die deutsche Übersetzung gelesen ("Silbermond und Kupfermünze"). Walter und ich haben den gleichen Bücher-Geschmack... o_O

Aber jetzt geht's weiter!
 

-----------------------------------------------------------
 

All die Jahre hatte sie dieses spröde, übermäßige Schamgefühl gezeigt, das jedoch eine sinnliche Explosion hervorrief, als sie sich schließlich (endlich!!) vollkommene Hingabe erlaubte. Er hatte immer vermutet, dass hinter dem Eispanzer ein Vulkan tobte - aber sie hatte seine Erwartungen um ein vielfaches übertroffen.

Er hielt sie im Arm und wagte nicht, sich zu rühren. Er konnte noch nicht glauben, was geschehen war. Als wäre das ganze ein Traum, den die kleinste Bewegung zerstören könnte.

Doch jetzt bewegte Integra sich ein wenig, regte sich auf der schmalen Grenze des Schlafes, lehnte ihren Kopf an Alucards Schulter und wandte ihm ihr Gesicht zu. Im Schlaf sieht jeder seltsam aus - anders, nicht er selbst. Auf Integras Gesicht lag ein unerwartet kindliches, engelhaftes Lächeln.

Er war gerührt von ihrer Unschuld und Unerfahrenheit. Behutsam strich er ihr eine mondhelle Haarsträhne aus dem Gesicht. "Mein unschuldiger Engel", flüsterte er und seine Lippen berührten ihre Stirn.

Sie wachte auf, sah ihn an mit diesen unfassbar blauen Augen und lächelte.

"Nochmal", flüsterte sie. Und errötete ein wenig.

Alucard war verblüfft. Aber nicht lange. Er grinste. "Dein Wunsch ist mir Befehl, my Master..." sagte er heiser und zog sie an sich.
 

Später.

Sie lagen ineinander verschlungen. Sie waren schläfrig, aber zu trunken von dem, was gerade passiert war. Alucards Ruhe war vollkommen. Nicht einmal die Tatsache, dass er sich ihrer bewusst war, konnte ihr etwas anhaben.

Die Ewigkeit kann kommen.

Ein erschreckend angenehmer Gedanke

Von nun an wird es viele, unzählige Nächte geben, silberhelle Nächte, in denen wir auf Stufen aus Feuer zum Himmel emporsteigen. Zum Himmel! Ausgerechnet wir beide...

Er lachte leise.

"Was?" fragte Integra und er spürte ihren Atem an seinem Hals.

Seine Hand fuhr liebevoll über ihren Kopf, seine Finger glitten durch ihr glattes, helles Haar, ereichten den Hinterkopf...

Plötzlich packte seine Hand die Haare an ihrem Hinterkopf.

"Alucard...", flüsterte Integra bestürzt.

Er drückte ihr Gesicht gegen seinen Hals. "Beiß mich", flüsterte er in ihr Ohr. "Trink mein Blut."

Integra trank nicht gerne Blut, sah es als reine Pflichterfüllung, weil ihr Körper nun mal danach verlangte.

Andererseits reizte es sie, durch das Trinken seines Blutes noch stärker und mächtiger zu werden. Und dass er es ihr so selbstlos offerierte, ließ sie lächeln.

Aber... sie hatte in ihrer erst kurzen Laufbahn als Wesen der Nacht noch nie jemanden gebissen. Sie pflegte ihre "Pflicht-Ration" Blut in einem Longdrink-Glas zu sich zu nehmen.

Außerdem... war das Alucards Hals, in den sie nun beißen sollte.

Das... verdammt, es ging nicht! Er war in der letzten Zeit, den letzten Nächten und besonders in den letzten Stunden jemand ganz besonderes für sie geworden. Nein, korrigierte sie sich in Gedanken selbst, das war er schon immer. Schon immer.

Zunächst - sie war 13 Jahre alt - war sie kindlich stolz darauf gewesen, die Herrin eines so mächtigen, unbesiegbaren Geschöpfes zu sein. Doch sie lernte ihn schnell nicht nur als Waffe, sondern auch als Gesprächspartner schätzen, dessen Gesellschaft sie jedem anderen (abgesehen von Walter) vorzog. Sie mochte seinen staubtrockenen Humor, seinen distanzierten, sarkastischen Blick auf die Welt. Oh natürlich, er provozierte sie jeden Tag. Mehrfach! Er liebte es, ihr zu demonstrieren, dass letztendlich er der Stärkere von ihnen war. Und sie hatte sich nie abgewöhnen können, sich auf diese Machtspielchen einzulassen. Vielleicht hatte es ihr einfach geschmeichelt, es hatte ihr das Gefühl gegeben, von ihm als "Gegner-Partner" ernst genommen zu werden.

Dann wiederum konnte er unfassbar galant sein. Das wiederum hatte ihr das Gefühl gegeben, eine schützenswerte, ja wertvolle Person zu sein. Sie hatte in den seltenen Situationen, in denen er charmant war und ihr auf seine ungeübte, sarkastisch-freundliche Art etwas nettes sagte (es zumindest versuchte...), meist mit einem zynischen Lächeln reagiert.

Und hatte dann nachts stundenlang wach gelegen und immer wieder daran denken müssen...

Darüber hinaus wusste sie, dass sie sich immer auf ihn verlassen konnte.

Wie oft hatte Walter sie - einen widerborstigen, schmollenden, lautstark protestierenden Teenager - zu irgendwelchen Partys oder Empfängen auf benachbarten Landsitzen gefahren. Walter hatte sich gewünscht, dass sie "Anschluss" bei "normalen" Menschen ihres Alters finden würde und einfach mal ein ganz normales junges Mädchen sein konnte, das ein paar nette Freundinnen kennen lernte und vielleicht eines Tages einen netten jungen Mann. (Obwohl das, Walters Meinung nach, durchaus noch warten konnte...)

Walter pflegte sie bis zum Eingang zu begleiten. Er sagte ihr, sie solle ihn anrufen, dann würde er abholen kommen. Aber er würde auf keinen Fall vor Mitternacht losfahren und er hoffe sehr, dass sie sich gut amüsieren würde, auf Wiedersehen und viel Vergnügen.

Dann überzeugte er sich davon, dass sie auch wirklich in das Haus hineinging und fuhr davon.

Oh, die Leute waren durchaus nett zu ihr. Sie galt als etwas geheimnisvolle Erbin eines immensen Vermögens und zu einer solchen war man einfach höflich.

Manchmal wünschte sich Integra sogar selbst, "dazu zu gehören". Aber so leid es ihr tat, es funktionierte nicht. Sie wusste mit den anderen nichts anzufangen, wusste nicht, worüber sie mit ihnen reden konnte und sollte. Fand die Themen, über die sich dort unterhalten wurde (Jungs, Klamotten, Jungs, Musik, Filme, Jungs, Schuhe, Jungs, etc.) uninteressant und konnte nicht mitreden.

Sie war die Leiterin einer Geheimorganisation, Hellsing bestimmte ihr Leben, sie hatte gar keine Zeit, sich über Klamotten, Schuhe, Musik, Filme etc. Gedanken zu machen. Außer Hellsing gab es einfach nichts anderes für sie und alles, was mit Hellsing zu tun hatte, war geheim. Worüber sollte sie reden? Sie spürte, dass die anderen sie "seltsam" fanden, und sie konnte es ihnen nachfühlen. Spätestens gegen 22 Uhr verließ sie solche Partys, Bälle, Empfänge, oder wie auch immer sich so was nannte.

Da Walter erst nach Mitternacht losfahren würde, würde sie sich ein Taxi rufen, doch einen großen Teil des Weges ging sie zu meistens zu Fuß. Und zwar abseits der Straße, über Wiesen und durch Wälder, wo die Nacht am ursprünglichsten war. Sie fürchtete sich nicht, denn sie war auf diesen Wegen durch die Nacht nie allein.

Eine große, meistens rot gewandete Silhouette war immer bei ihr. Wahrscheinlich waren es gar nicht der Mond, die Sterne, der unergründlich dunkle Himmel und die Geräusche der Nacht allein gewesen, die diese nächtlichen Spaziergänge zu etwas besonderem gemacht hatten und zu Integras schönsten Teenagerzeit-Erinnerungen gehörten.

Vielleicht hatte gerade diese "Begleitung", sein zuverlässiges "bei-ihr-sein", diese nie ausgesprochene Übereinkunft, ihre nächtlichen Spaziergänge zu so etwas kostbarem gemacht.

-------------------------------------------
 

Integra hatte noch immer beide Arme um ihn geschlungen und würde ihn ganz sicher nie mehr loslassen. Sie schloss ihre Augen.

Ich bin ein schwaches Weib und zur Zeit ist mein Hirn romantisch verkleistert und in wirklich "wachem" Zustand würde ich mir jetzt selbst pausenlos in den Hintern treten - aber ich kann ihn nicht beißen.

"Was ist?" fragte Alucard und lachte. "Bist du feige oder hast du plötzlich Hemmungen? Gerade eben warst du noch nicht so schüchtern... Das hat mir gefallen." Er grinste.

"Ich... habe keine Hemmungen", stammelte Integra.

"Also feige", konstatierte Alucard und drehte sich auf den Rücken. "Wer hätte das gedacht."

Integra richtete sich auf. Ein Blick von arktischer Kälte traf Alucard.

Eis kam ihm bei ihrem Blick in den Sinn. Kalt und funkelnd.

"Ich bin nicht feige", zischte sie.

"Beweis es", flüsterte er.

Sie beugte sich über ihn. "Ich beweise es dir, wann ich will", hauchte sie.

Dann kletterte sie über ihn hinweg und schwang ihre langen Beine aus dem Bett. Auf der Bettkante sitzend suchte sie nach ihrem weißen Hemd. Das lag jedoch noch immer vor dem Kamin. Also angelte sie nach Alucards weißem Hemd, zog es sich über und stand auf. Alucard drehte sich auf den Bauch, um sie im Blick zu behalten.

Sie ging zum Fenster. Dort, eingerahmt vom Mondlicht, blieb sie eine Weile stehen und sah hinaus. Drehte sich wieder um und ging zum Kamin. Sie wandte Alucard den Rücken zu und schaute in die Flammen. Alucard lag auf dem Bauch inmitten der zerwühlten weißen Kissen und Decken und betrachtete sie. Die endlosen langen Beine. Sie trug das Hemd noch immer offen, der flackernde Feuerschein zeichnete die Konturen ihres Oberkörpers auf den weißen Hemdstoff.

Generell war Alucard schnell "satt"; aber er wusste, sie würde ihm nie langweilig werden.

Jetzt beugte sie sich ein kleines Stück nach vorn und zeigte dadurch noch viel mehr Bein. 'Alles meins', dachte Alucard und schnurrte fast vor Behagen.

Integra griff nach einer Zigarillopackung.

Sie rauchte einige Züge und spürte deutlich Alucards Blicke im Rücken. Sie lächelte.

Dann wandte sie sich zu ihm um. Ihr Blick war um etliche Grade heißer als das Kaminfeuer.

Sie ging auf das Bett zu, blieb davor stehen und sah auf Alucard hinunter.

Er lag noch immer auf dem Bauch, den Kopf - zerwühlte nachtschwarze Haare auf zerwühltem weißen Kissenstoff - tief in ein Kissen gegraben. Und doch ließ er sie nicht aus den Augen. Unter schwarzen Haarsträhnen beobachtete ein hellwaches, rotglühendes Auge jede ihrer Bewegungen. Integra wiederum ließ ihre Blicke nun genüsslich über seinen Körper wandern... Die Haut so weiß wie Alabaster, die langen, muskulösen Beine und - Integra biss sich auf die Unterlippe um ein allzu breites Grinsen zu verhindern - was für ein vollendeter Hintern! Jede griechische Götter-Statue müsste vor Neid vom Sockel fallen.

Welch ein Körper!

'Alles meins', dachte Integra und blies einen perfekten Rauchkringel in die Luft. Dann drehte sie sich halb um und warf den Zigarillo in den Kamin. Das Hemd glitt von ihren Schultern hinab auf den Fußboden. Sie kehrte ins Bett zurück. Alucard schloss grinsend die Augen.

Er spürte, wie sie sich über ihn beugte. Ganz sanft, wie die Berührung eines Schmetterlings, fielen einige ihrer langen, mondhellen Haarsträhnen auf seinen Rücken. Ein winziger, zaghafter Kuss landete auf Alucards Genick. Ihm folgte ein weiteres Küsschen, etwas tiefer. So ging es weiter - sie hauchte kleine, schüchterne Küsse auf seiner Wirbelsäule entlang.

Wie niedlich... Alucards Grinsen wurde noch breiter. Keiner, der dieses herbe, kämpferische Weibsbild als Leiterin der Hellsing-Orgasination kennt, kann sich das vorstellen! Niemand würde glauben, dass sie so unschuldig, so zaghaft ist... Verehrteste, du wirst noch viel lernen vom guten, alten Alucard. Er lachte leise. Es wird mir ein Vergnügen sein, my master... Obwohl es mir irgendwie auch gefällt, dass du so süß und unschuldig...

Alucard riss die Augen auf.

Im letzten Moment konnte er einen Schmerzenslaut unterdrücken.

Und schlagartig war da die schmerzhafte Erkenntnis, dass sie ihm mit ihren wunderbaren, blendend weißen Fangzähnen entschlossen in den Hintern gebissen hatte.

"Du bist ein Miststück", sagte er nach einer Weile und konnte nicht verhindern, dass es anerkennend klang.

"Mit Vergnügen", murmelte Integra und leckte sich lasziv die Lippen. Sie legte sich neben ihn und lächelte bezaubernd. "Du hast gesagt, ich soll dich beißen. Du hast nicht gesagt, wohin..."

"Ich hoffe, du siehst ein, dass das nach Rache verlangt", sagte Alucard sachlich.

"Ich verlange, dass du dich rächst", entgegnete Integra ebenfalls sehr sachlich.

Sie grinsten einander zu. Und fielen übereinander her.

----------------------------------------------------------
 

Der Morgen dämmerte und Walter war damit beschäftigt, die Faxmitteilungen, Berichte und e-mails, die seit gestern Abend eingegangen waren, auf Integras Schreibtisch - nach Dringlichkeitsgrad sortiert - auszubreiten.

Schon seit geraumer Zeit vernahm Walter sonderbare Geräusche, die er zunächst nicht einordnen konnte. Sie schienen aus dem Raum über dem Arbeitszimmer zu kommen. Walters Blick wanderte zur Zimmerdecke. Dort lag Integras Schlafzimmer, das konnte ja eigentlich nicht...
 

o_O
 

Walter verschluckte sich spontan, als ihm klar wurde, welcher Art diese Geräusche waren. "Auch DAS war nur eine Frage der Zeit", murmelte er.

Dann musste er die Papiere neu ordnen, weil er sie, schockiert wie er war, durcheinander geworfen hatte. Walter räusperte sich pikiert. Immer wieder. Hauptsächlich, um jene Geräusche zu übertönen.

Er warf dem Gemälde von Sir Hellsing einen schuldbewussten Blick zu.

"Hör nicht hin, Arthur, sie wissen nicht was sie tun."

Dann schaute er besorgt hinauf zur Zimmerdecke, bzw. zum Kronleuchter, der dort hing.

Die Kristallprismen des Kronleuchters begannen, rhythmisch zu klingen.

"Also gut", murmelte Walter, "sie wissen genau, was sie tun - hör trotzdem nicht hin."

Er verließ das Arbeitszimmer eilig. Er würde jetzt einen extrem starken Tee brauchen. Am besten trank er gleich pure Gerbsäure.

... und Walter?

Schon das dritte Kapitel in Folge, in dem Alucard und Integra sich im Bett rumwälzen...

Die Autorin dieser Story erlaubt sich, einen symbolischen Eimer kalten Wassers auf die beiden zu kippen... ^____^ *hämisch-grins*
 

1000 Dank an Nerissa, Kaen, Alakreiel, Marishka, Jaeckychan, Xell, amy_k, Cherry10001, Integra-sama, Saiyama, Ryoko-chan737, Integra-love-alu (very welcome!!!!), kiddo-chan (von dir stammte der exakt 200. Kommentar! *feierliche-Fanfare-aus-mindestens-20-Trompeten*), Yusuka-Chan, Nex_Caedes, newintegra-chan, Veggie-Girl, Clarice_Starling, das-schrecken und Brazi!!!!
 

Hm - ich bin gespannt, wie ihr dieses und die nächsten Kapitel aufnehmen werdet... ^^°

Aber irgendwie, irgendwann muss Maybe... ja ein Ende bekommen und ich habe mich für ein bestimmtes Ende entschieden. ^______^

Ich wage gar nicht daran zu denken, welches Ende Kohta Hirano "Hellsing" eines Tages geben wird...

Leider bin ich mit Karacho in einige Manga-Scans aus dem 8. Band hineingeschlittert... >_<

(Da war keine Spoiler-Warnung! *zähnefletschend-im-Dreieck-herumspring*)

Und ich bin echt... schockiert. DAMIT habe ich nicht gerechnet. O_O Hirano-sensei traue ich inzwischen ALLES zu... *schlotter*)

Sorry, dass ich zu Beginn immer ins Schwafeln gerate - ich kann nicht anders!
 

--------------------------------------------------------------------------
 

Zwei Wochen später.
 

Das erste Grau des Tages stahl sich in die Dunkelheit der Nacht und das mattgelbe Glühen des Sonnenaufgangs glitt wie eine sanfte, liebkosende Hand über die schlafende Landschaft.

Alucard blinzelte in die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages, die durch die halbzugezogenen Gardinen in Integras Schlafgemach fielen. Er lag im Bett und fühlte sich sauwohl. Integras Kopf lag auf seinem rechten Oberarm. Sie schlief.

Alucard wandte den Kopf zur Seite und betrachtete ihr Gesicht.

"Du bist schön, mein gefallener Engel", flüsterte er ihr zu. "Aber ich fürchte, du musst jetzt aufstehen. Die Pflicht ruft."

Integra schlief weiter.

Also versuchte Alucard es auf die sanfte Tour. Er zog den Bizeps seines rechten Armes ein paar Mal rasch zusammen, so dass ihr Kopf auf seinem Oberarm auf und ab und hüpfte.

Sie murmelte etwas, das wie "Mmmhhhhhhhrrrrmm", klang und öffnete die Augen.

"Ah", sagte sie und lächelte ihn an. "Mein Lieblings-Alptraum."

"Integra, du solltest..."

"Ich weiß, was ich sollte..." sagte sie und legte los. Der Rest des Satzes entfiel Alucard gründlich. "Du hast recht", flüsterte er, "das haben wir lange nicht mehr gemacht. Es muss Stunden her sein."
 

Bald darauf stieg Integra schließlich doch aus dem Bett. Nur ungern verließ sie die warme Mulde, die sie ins Bett gewühlt hatten. Sie duschte, zog sich an und summte dabei vor sich hin. Noch nie hatte sie sich so lebendig gefühlt wie als Untote. Tatsächlich war da ein Glücksgefühl, das wie Feuer und Musik durch ihre Adern rollte. Sie dachte an Alucard, an seine sanfte Brutalität, seine Leidenschaft und Wildheit, die sie jedes Mal denken ließ, dass es sie diesmal den Verstand kosten würde.
 

Alucard lümmelte nebenan noch immer im Bett rum.

"Bis nachher", sagte Integra liebevoll. "Fauler Sack."

"Nicht jeder ist so ein Workaholic wie du", brummte Alucard. "Viel Spaß beim Leute-rumkommandieren." Integra beugte sich über ihn und küsste ihn auf die Wange, da wo er mit dem Finger hinzeigte. Doch ehe sie gehen konnte, hatte Alucard nach ihrem Handgelenk gegriffen und hielt es fest. Er grinste.

"Bevor du gehst, sag mir noch - wie war ich? Auf einer Skala von 1 bis 10."

"12", flüsterte Integra ihm ins Ohr und grinste zurück. Alucard zog sie an sich.

Das Telefon auf dem Nachttisch klingelte. Integra langte nach dem Hörer.

Am anderen Ende der Leitung war Walter. Er sagte nichts, er räusperte sich nur. Ein vorwurfsvolles Räuspern, das mehr sagte als hundert Worte.

"Ja, Walter", sagte Integra resigniert und legte auf.

Sie stand auf, sah auf Alucard hinunter und seufzte. "Jetzt räkel dich nicht so malerisch", sagte sie vorwurfsvoll, "sonst werde ich diesen Raum nie verlassen!"
 

Wenig später beobachtete ein ziemlich indignierter Walter mit hochgezogener Augenbraue wie Integra schläfrig vor sich hin frühstückte. Er legte den Kopf schief und überflog im Stehen die Schlagzeilen der Times, die auf dem Tisch lag. Als er sich wieder Integra zuwandte, hatte die gerade den Mund zum Gähnen aufgerissen. "'schuldigung", murmelte sie.

"Ich möchte gar nicht wissen, wovon du so müde bist", bemerkte Walter.

"Tja", Integra grinste, "zur Zeit meide ich den Schlaf zugunsten von allem, was das Leben schöner macht." Sie streckte die Arme und strahlte ihn an. Sie trug schon wieder einen neuen Anzug. Walter war hin und her gerissen zwischen Bewunderung ihrer Eleganz und Missbilligung der Kosten, die ihr neuer Lebenswandel verursachte. Er betrachtete sie.

Kein Zweifel - ihr Tod hatte ihr gut getan. (Walter war schockiert über diesen Gedanken, aber, well... es war nun mal so). Ein fürchterliches Selbstbewusstsein hatte von ihr Besitz ergriffen. Alles düstere war verschwundene und hatte Platz gemacht für einen völlig anderen "Menschen". Einen, den nur wenige kennen lernten. Und von dem auch Integra selbst nicht wusste, warum er sich so lange versteckt hatte.

Walter schilderte ihr die aktuellen Gegebenheiten und die Aktivitäten der Hellsing-Organisation der letzten 8 Stunden. Er musste alles dreimal schildern, weil Integra bei den ersten beiden Malen nicht richtig zugehört hatte.

"Walter, entschuldige bitte", sagte Integra und gab sich wirklich Mühe, zerknirscht zu klingen, "ich weiß, ich bin im Moment schrecklich. Aber weißt du - ich bin glücklich, und darauf war ich nicht vorbereitet."
 

Bald darauf ging Walter in sein persönliches Arbeitszimmer. Seufzend setzte er sich an den Schreibtisch vor den PC. Er tippte auf eine Taste. Der Bildschirmschoner machte Platz für die neuesten internen Meldungen. Schon wieder drei Krankmeldungen. Und nicht etwa bei den Rekruten, die im ständigen Kampfeinsatz waren, sondern im Verwaltungstrakt. Walter knirschte mit den Zähnen. Zu seiner Zeit war man im Dienst geblieben, bis man umkippte. Und bis die Krankenbahre kam, schrieb man auf dem Fußboden seinen Bericht fertig.

Er schrieb drei äußerst ärgerliche Entgegnungen. Bevor er sie losschickte, las er sie noch einmal durch - und war entsetzt über die Bitterkeit, die er in seinen eigenen Zeilen vorfand. Er löschte die drei kurzen Texte, stand auf und ging ans Fenster.

Was war los mit ihm, er kannte sich selbst nicht wieder. Er hatte sein Gesicht dem das Fenster herabrinnenden Sommerregen zugewandt. Der immer grauer werdende Tag bedrückte ihn. Ein zerrissener Himmel hing in Fetzen über der Erde. Ein immer schwärzer werdender Himmel, der manchmal aufgerissen wurde durch kleine Wolkenlöcher, durch die grelle Sonnenstrahlen fielen. Das graue, schwache Licht ertrank im Regen.

In diesem Moment kam Seras in den Raum gestürmt. "Guten Morgen!" rief sie. "Ich habe bei den Rekruten die noch ausstehenden Berichte eingesammelt!" Sie wedelte mit den Zetteln in ihrer Hand.

"Danke. Leg sie einfach auf den Tisch", antwortete Walter. Seras stutzte. Er klang doch irgendwie... anders als sonst. Er wirkte erschöpft und ausgelaugt. Sogar seine Kleidung wirkte müde. Sie legte die Berichte auf den Tisch, neben eine Vase mit weißen Rosen. Die Blumen in der Vase hatten den Höhepunkt ihrer Blüte bereits überschritten. In ihrem süßen Duft schwang ein fauliger Unterton mit.

"Walter", sagte Seras, "jetzt mal im Ernst - du solltest in Urlaub fahren! Zwei oder drei Wochen ganz und gar ohne Hellsing."

"Aber nein, ohne mich bricht hier alles zusammen", sagte Walter halb im Scherz.

"Ach Quatsch, wir kommen gut ohne dich klar. Bis später!" Seras galoppierte wieder hinaus - eine geballte Ladung Ehrgeiz und Begeisterung.

Walter starrte ihr hinterher, selbst als es nichts mehr zu sehen gab als das Holz der geschlossenen Tür. Er schluckte. Sicher, Fräulein Victoria hatte es nur gut gemeint. Sie legte ihm nahe, sich zu erholen. Doch ihre Worte waren... bitter. Bitter und wahr.

Er starrte in die Gewitterwolken ohne auch nur eine von ihnen wahrzunehmen. Der Himmel war grau und sah aus, als hätte jemand alle Farben ausgewrungen.

"Wir kommen gut ohne dich klar" - Walter zweifelte keine Sekunde daran, dass das wirklich so war.

Seras hatte sich nach anfänglichen Schwierigkeiten verblüffend schnell in die Organisation eingefunden. Mittlerweile leitete sie eine Planungsgruppe, die die Gründung einer Hellsing-Zweigstelle in den Niederlanden vorbereitete. In dieser Planungsgruppe gab es auch einen Rekruten namens Han, von dem Seras viel (sehr viel!) erzählte.

Integra brauchte Walters Schutz ebenfalls nicht mehr. Oh, ganz gewiss nicht.

Und seine anderen Pflichten?

Konnten jederzeit von anderen Hellsing-Mitarbeitern übernommen werden.

Walter ließ sich von der Stille umfluten. Fast meinte er zu hören, wie der Staub sich setzte.

Wer bin ich, wer braucht mich...

Er starrte sein Spiegelbild in der Fensterscheibe an.

Ein alter Mann, der langsam vergessen wird und sich selbst vergisst.
 

Viele Stunden später. Der Tag atmete aus. Die Nacht begann.

Zunächst sah alles nach einem ruhigen Abend aus - doch dann gab es einen Alarm in der Innenstadt. Die ausgerückte Truppe forderte sehr bald Verstärkung an - es gab an zwei Stellen in der Stadt Schwierigkeiten. "Sieht aus wie ein weißgekleideter Ghoul und er ist schnell wie ein Blitz", sagte der Rekrut, der Meldung machte. "Im Moment haben wir ihn aus den Augen verloren. Ich weiß nicht, was es ist, aber wenn dieser merkwürdige Fisch, der da eben weggetaucht ist, wieder auftaucht, brauchen wir stärkere Waffen!"

Seras sah Alucard an.

"Klingt nach Luke", sagte er. "Und wo der ist, ist auch sein dämlicher Bruder nicht weit. Beavis und Butthead, die Unkaputtbaren, sind wieder in Aktion. Na denn. Wie verteilen wir uns?"

Sie beschlossen, dass Alucard und Seras sich um Luke kümmern sollten, da Alucard schon einmal sehr gut mit Luke "zurecht gekommen" war. Integra und Walter würden sich um Jan kümmern, da Walter immerhin schon mal fast mit Jan "zurecht gekommen" war und Integra murmelte etwas von Jan und einer offenen Rechnung, die noch zu begleichen war...
 

In Londons Innenstadt angekommen, war es für Alucard und Integra relativ einfach, die jeweiligen "Unruhestifter" ausfindig zu machen. Alucard und Seras hefteten sich an Lukes Spuren, während Integra und Walter in Integras Sportwagen die Gassen nach Jan absuchten.

"Hier muss er irgendwo sein", sagte Integra.

Sie stiegen aus und gingen mit gezückten Waffen durch die verlassene, heruntergekommene Straße. Sie kamen an eine Kreuzung. Mit Blicken verständigten sie sich, dass Integra nach links, und Walter nach rechts gehen würde. Lautlos huschte Integra davon. Sie verschwand, wie eine Figur in einem Traum.
 

Einige Straßenzüge weiter hatten Alucard und Seras inzwischen Luke und einige andere Ghouls aufgespürt. Sie standen einander in einer engen Gasse gegenüber.

"Los geht's, Fräulein Polizistin", sagte Alucard. "Zeig denen, wo der Frosch die Locken hat!"

"Was!?"

Alucard verdrehte die Augen. "Mach sie fertig."
 

Walter zupfte an seinen monowire-Handschuhen und sah sich um. Er fühlte sich schon nach wenigen Metern wie in einer anderen Welt.

Ich hatte ganz vergessen, wie still die Straßen in diesem Teil der Stadt nachts sind. Vergessen, oder nie gewusst, weil man es wirklich nur dann versteht, wenn man nachts zu Fuß durch die Stadt geht.

Es war diesig, fast neblig in der Gasse. Und immer noch war da dieser Nieselregen - die Umgebung wirkte verschwommen.

Darum erkannte Walter erst spät, dass sie ihn bereits umkreist hatten.

Jetzt erst konnte er sie richtig sehen. Es waren... Jugendliche. Ihre Gesichter wirkten entgleist und so leer wie die Flaschen, die hier überall herumlagen. Walters Blicke wanderten von Gesicht zu Gesicht. Sonderbar kaputte Erscheinungen. Hohlköpfige Technopuppen. Ghouls, allesamt. Und trotzdem - diese Unseligen waren irgendjemands Töchter und Söhne gewesen. Walter spürte unbändige Wut in sich heraufbrodeln.

Ein Geräusch, ein vages Gefühl des Angestarrtwerdens ließ ihn aufblicken. Das Halblicht brannte tiefe Furchen in sein Gesicht.

"Du schon wieder", höhnte eine allzu bekannte Stimme. Über dem Eingang eines heruntergekommenen Tanzschuppens, zwischen den Buchstaben einer zuckenden Leuchtreklame, tauchte Jan auf.

"Immer noch nicht beim Alt-Eisen gelandet?" fragte Jan. Er wandte sich an die jugendlichen Ghouls. "Kinder - so einen Tattergreis beschäftigen die bei Hellsing als Leibwächter und Diener!"

"Butler, bitte", sprach Walter mit diskret tadelnder Stimme.

"Ey Alter", kreischte Jan, "wem die Scheiße bis zum Hals steht, der sollte keine Wellen machen, verstehste mich?"

"Von derart taktlosen Bemerkungen halte ich nichts", sagte Walter streng.

"Genug gelabert." Jan schleuderte sein Lachen auf Walter hinab wie einen Eimer Wasser - dreckiges Wasser noch dazu. "Jetzt pass gut auf, Alter - wenn du immer noch nicht in Panik geraten bist, solltest du das schleunigst nachholen! Frank!"

Walters Augen verengten sich zu schmalen, eisgrauen Schlitzen.

Ein schlaksiger Junge löste sich aus den Reihen der jugendlichen Ghouls und schlenkerte auf Walter zu. Gier irrlichterte in seinen Augen.

"Oh, der gute Frank ist grad 'n bisschen auf Entzug", erklärte Jan. "Blut-Entzug. Die anderen übrigens auch. Ich denke, du kannst uns da behilflich sein..."

Der junge Ghoul riss sein Maul auf und schreiend rasten alle auf Walter zu.

Walter reagierte mit einer ganz und gar unbutlerhaften Schnelligkeit.
 

Alucard und Seras hatten "ihre" Ghouls inzwischen eliminiert - bis auf Luke und einen weiteren Ghoul. Alucard hatte feststellen müssen, dass Luke, der bereits bei ihrem ersten Zusammentreffen verblüffend schnell gewesen war, noch schneller geworden war.

Die gute Seras war ziemlich erledigt. Ihre Verletzungen würden in wenigen Stunden vollständig regeneriert sein, aber sie war mit ihren Kräften am Ende. Nun, sie hatte gut gekämpft.

Aber dieser Luke war... erstaunlich.

Alucard nahm seine "Hunde-Form" an. Das hatte beim ersten Mal auch den richtigen Effekt gezeitigt. Na also, der andere Ghoul wich entsetzt zurück.

"Du hast doch wohl keine Angst vor diesem Hundilein!" brüllte Luke ihn an.

"Hundilein!" jaulte der Ghoul. "Ziemliches Hundilein, der!"

Alucards Schatten an der Wand erinnerte an ein urzeitliches Ungetüm. Er "kümmerte" sich gründlich um den Ghoul. Dann wandte er sich zu Luke um. Und wandte sich noch mal um.

"Wo ist dieser weiße Anzug-Affe hin?" fragte er Seras, die erschöpft an der Wand lehnte. "Abgehauen", murmelte sie.
 

Integra wurde inzwischen den Verdacht nicht los, dass man sie hereingelegt hatte.

Ausgerechnet sie, die so stolz war auf ihre neuerdings so messerscharfen Sinne! Vollkommen unbehelligt ging sie durch die verlassenen Straßen.

Sie beschloss, umzukehren, zurück zu Walter zu gehen. Je weiter sie zurück ging, umso schneller wurden ihre Schritte. Irgendetwas trieb sie zur Eile an, bis sie schließlich rannte.

Da endlich ein Etwas, das fauchend aus der dunklen Nacht geschnellt war. Ein Ghoul kauerte vor ihr auf der Straße.

"Naja", sagte Integra mit dem Gesichtsausdruck einer Perserkatze, die sich unerwartet in ordinärer Gesellschaft wiederfindet. Sie zückte ihre Waffe.

"Hast du noch was loszuwerden?" fragte sie.

"DU willst mir drohen?" Der Ghoul grinste.

"Jetzt haben wir uns verstanden", pflichtete sie ihm bei. Noch bevor er Zeit hatte, mit Grinsen aufzuhören, schoss Integra und der Ghoul zerfiel zu Staub.

Das war lächerlich einfach gewesen. Integra ging weiter - aufmerksam die Umgebung beobachtend. Da peitschte ein weiterer Schuss durch die Nacht und Integra spürte einen brennenden Schmerz, so heftig wie noch nie ein Schmerz in ihrem Leben gewesen war. Sie starrte auf ihren Oberkörper hinab, direkt neben ihrem Herzen...

Sie bog den linken Arm nach hinten, betastete mit der Hand ihren Rücken. Tatsächlich - ein glatter Durchschuss. Ihr Blick schoss nach vorn - diese zuckende Leuchtreklame, von dort war der Schuss gekommen. Sie rannte darauf zu. Wieder wurde auf sie geschossen, immer und immer wieder. Sie schenkte dem Geschosshagel auch dann keine Beachtung, wenn sie getroffen wurde. Sie spürte zwar den Schmerz, aber er machte sie nur wütender, rasender.

Sie erkannte Jan, der zwischen der Leuchtreklame stand und sie verblüfft anstarrte.

"Kompliment", schrie er ihr zu, "eure schusssicheren Westen sind ja echt ganz gut!"

Integra lächelte. Jan brauchte die Wahrheit nicht wissen...

"Wär gut für dich, wenn du auch so eine hättest", sagte sie und zielte mit der Waffe.

Mit einem Sprung war Jan im Dunkel verschwunden. "Für heute Nacht reicht's", hörte sie seine Stimme. "Ich hatte meinen Triumph und hey, bei dem Gedanken daran wird noch wochenlang einer abgehen! Euch andern Hellsing-Spinnern einen herzlichen Gruß!"

Zwischen den flackernden Leuchtbuchstaben tauchte eine Faust mit nach oben gestrecktem Mittelfinger auf.

Dann war er verschwunden.

Integra ließ verwirrt die Waffe sinken. Sie sah die Straße entlang, sah in einiger Entfernung mehrere Körper auf der Straße liegen. Sie ging näher. Nun, die Hellsing-Rekruten waren ja noch in der Nähe, die würden den Straßenzug "räumen" und Spuren sichern. Sie zückte ihr Handy, um die Männer herbei zu ordern. Ihr fiel auf, dass sie den genauen Straßennamen nicht wusste; also ging sie noch näher zu den Ghoulresten. Vielleicht war dort irgendwo ein Straßenschild.

Die Ghouls lagen fast sternförmig auf der verlassenen Kreuzung. Integra beobachtete zufrieden, wie sie zu Staub wurden. Alle, bis auf einen.

Sie runzelte die Stirn.

Ein Mann, offensichtlich. Er trug eine schwarze Hose, ein weißes, jetzt dreckiges, blutverschmiertes Hemd. Eine zerrissene Weste... Integras Schritte wurden schneller. Der Mann lag inmitten der Ghouls im stärker werdenden Regen, verrenkt und völlig reglos. Der kalte Hauch der Tragödie wehte Integra an. Er hatte einen schwarzen, schulterlangen Zopf.

"Walter!" schrie Integra.

Sie stürzte vorwärts, warf sich regelrecht neben ihn und kniete, fast würgend vor Schluchzen, neben ihm auf der regennasse Straße. Walters Gesicht war aschfahl. Er hatte beide Hände auf eine klaffende Schulterwunde gelegt. Er war mehrfach angeschossen. Außerdem hatten ihn die Ghouls mit seinen eigenen mono-wires übel zugerichtet...

Er atmete nur noch ganz flach. Jetzt öffnete er die Augen. "Da bist du." Er lächelte schwach.

"Ja Walter, ich bin da." Sie versuchte, ihn zu stützen, ihm seine Lage so bequem wie möglich zu machen. Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Durch die Wolkenfetzen am Himmel schienen vereinzelt ein paar Sterne - so hell, so gelassen, so fern...

Das kann doch nicht sein, dachte Integra. Das darf nicht sein. Nicht jetzt schon und nicht so. Warum darf ich nicht auch mal glücklich sein? Kaum bin ich ein paar Tage lang glücklich, passiert das...

"Es tut mir leid, Integra", sagte Walter leise. Er versuchte sie anzusehen, aber vor seinen Augen begannen schwarze Punkte zu tanzen und verwoben sich zu einem Schleier, der immer dichter wurde.

"Du hast versprochen, dass du immer bei mir sein wirst und mich beschützt", schniefte Integra. "Das hast du mir versprochen! Und du hast es Vater versprochen! Du hast es versprochen!"

"Damals warst du 13. Und ein Mensch. Jetzt brauchst du mich nicht mehr..."

"Doch!"

Schluchzend griff Integra nach ihrem Handy, um einen Krankenwagen zu rufen. Vor ihrem inneren Auge erschien ein Bild, eine Erinnerung, ganz schwach... Sie war von diesem Dach gestürzt, da waren diese entsetzlichen Schmerzen, und Alucard, der hilflos auf seinem Handy herumtippte... Ein Art Deja-vu...

"Hör mal", sagte Walter leise, "wenn du an etwas festhältst, das nicht festzuhalten ist, schadest du dir nur selbst. Der Lebensstrom fließt immer weiter. Meine Zeit ist einfach um. Lass nur, mir kann kein Arzt mehr helfen." Er schloss die Augen, sein Atem ging ruhiger als vorhin.

"Du wirst für immer bei mir bleiben, Walter."

Walter öffnete die Augen wieder. Dieses Mal konnte er Integra klar erkennen. In ihren Augen glitzerte etwas, was Walter dort noch nie gesehen hatte. Er begriff, was sie meinte...

"Warte", sagte er, "warte! Integra - du kannst nicht jeden Menschen, der dir etwas bedeutet, mitnehmen in die Ewigkeit!"

"Du bist der einzige Mensch, der mir etwas bedeutet."
 

Der Biss tat viel weniger weh, als Walter gedacht hatte. Es hatte fast etwas angenehmes...

Ihm war, als ob kühles, aber kraftvolles Leben in seine Adern und Muskeln strömte. Er rappelte sich auf den linken Ellenbogen hoch und befühlte mit der rechten Hand die Stelle an seinem Hals.

Dann seufzte er und warf Integra einen gequälten Blick zu.

"Du bist und bleibst ein verdammter Dickschädel. Wenn dein Vater das alles wüsste..."

Integra umarmte ihn, um nichts sagen zu müssen.

Hello again (1)

So, da bin ich auch mal wieder und habe ein neues Kapitel mitgebracht. (OK - erst mal ein halbes, damit "Maybe" endlich weitergeht... )

Es tut mir echt leid, aber in letzter Zeit lief alles unrund. Letztes Jahr dachte ich immer: "Das ist irgendwie nicht mein Jahr..."

Und dieses Jahr denke ich das schon wieder / immer noch.

Das scheint überhaupt nicht "mein Jahrzehnt" zu sein... *hysterisch-kicher*
 

Ich möchte mich ganz herzlich bei den Kommentarschreibern des 19. Kapitels bedanken:

newintegra-chan, Cherry10001, das-schrecken, Jaeckychan, Nex_Caedes, Nerissa, Marishka, Alakreiel, Feurrige, Xell, Brazi, Integra-sama, Ryoko-chan 737, Saiyama, black-snow, kiddo-chan und Lan_14!!! *alle-flausch*
 

Und eine Frage habe ich noch: Wer von euch kommt zur AnimagiC 05?

Ich werde dieses Jahr endlich mal wieder dabei sein (JAAAAAAA!!!) und würde mich freuen, ein paar animexxler "in echt" kennenzulernen! ^______^
 

Und weiter geht's:
 

-------------------------------------------------------------------------
 

Irgendwo im Vatikan.
 

Enrico Maxwell saß in seinem Büro und lümmelte sich in seinen opulenten Schreibtischsessel. Er rückte einige Gegenstände auf seinem pedantisch ordentlichen Schreibtisch gerade. Dann seufzte er. Dann lehnte er sich zurück. An der gegenüberliegenden Wand hing eine Weltkarte. Als er hinsah, bedeckte ein Baumschatten England wie mit den Fingern einer Hand. Ach, England. Ach, Hellsing...

Dem Gebot der Höflichkeit folgend war es allerhöchste Zeit, in irgendeiner Form auf die Vorkommnisse der letzten Zeit zu reagieren.

Ein Brief.

Maxwell legte also einen Bogen seines Briefpapiers vor sich. Natürlich hatte er auch einen PC, aber er liebte es, mit Tinte, Federhalter und Siegelwachs zu hantieren.

Ein Brief, nun gut.

Maxwell kaute unschlüssig auf dem Ende des Federhalters herum.

Aber an wen sollte er schreiben? Integra war von Anderson umgebracht worden.

Und wenn man den allerneuesten Gerüchten trauen durfte, hatte es nun auch diesen obskuren Butler erwischt...

Maxwell schraubte den Deckel vom Federhalter. Die Feder schwebte unschlüssig über dem Papier. Um keinen Preis, dachte Maxwell und fletschte die Zähne, um keinen Preis werde ich an diesen unsäglichen Vampir schreiben, diesen Alucard.

Er räusperte sich und schrieb "To whom it may concern..."
 

-----------------------------------------
 

Walter hatte den Tag begonnen, wie jeden Tag in den letzten Jahren. Allerdings hatte er seinen allmorgendlichen Gang ins Truppen-Hauptquartier an Seras delegiert. Sie würde diese Aufgabe - Besprechung der Vorkommnisse der vergangenen Nacht, das Abholen der Berichte - so lange übernehmen müssen, bis Walters graue Kontaktlinsen fertiggestellt waren.

Vorerst mussten die Mitarbeiter nicht wissen, dass die Leitung der Hellsing-Organoisation mittlerweile vollständig in Vampirhänden lag...
 

Als Walter an diesem Morgen aufgewacht war, hatte sich ihm ein seltsames Bild geboten.

Alucard, Integra und Seras standen rundum sein Bett und betrachteten ihn mit besorgter Neugier.

"Guten Morgen", sagte Integra und lächelte, sobald er die Augen geöffnet hatte.

"Wow, Walter", sagte dann Seras, "rote Augen stehen dir echt gut! Ach, übrigens: Willkommen im Club!" rief sie und Walter merkte zum ersten Mal, wie empfindlich sein Gehör nun war. (Autsch...)

"Tja, Walter", Alucard grinste und zog, wie so oft, den rechten Mundwinkel ein wenig nach oben, was ihn gleichzeitig charmant und durchtrieben wirken ließ, "das war nur eine Frage der Zeit, nicht wahr?" Er grinste wölfisch und zwinkerte Walter zu.

Walter setzte sich auf - das allmorgendlich, altersbedingte Ziehen und Stechen im Kreuz war verschwunden.

"Guten Morgen, allerseits", sagte er und legte seine rechte Hand auf die Bissstelle an seinem Hals, die natürlich längst verheilt war. Dann sah er Integra an.

"Ich hoffe, es hat gemundet..." Er grinste zaghaft.

Integra senkte züchtig den Blick. "Ich habe nur genippt, sozusagen", sagte sie, "aber ich wage zu behaupten: Ein guter Jahrgang!"
 

-----------------------------------------
 

Walter lächelte und stellte die silberne Teekanne auf den Tisch. Er lauschte auf die kleinen Geräusche in der Stille. Er hatte diesen Gebäudetrakt all die Jahre als erholsam ruhig empfunden. Unglaublich, was man hier doch alles hören konnte...

Nach dem Aufstehen hatte er das gesamte Hellsing-Gelände umrundet. Im Dauerlauf. Er hatte es genossen, diese neue Kraft zu spüren und wie schnell die alte Gewandtheit zurückkehrte...

Walter hätte es nie laut geäußert, aber schon jetzt erfüllte es ihn ein wenig mit Bedauern, dass ihm das nicht schon 30 Jahre eher passiert war...

Walter nahm vorsichtig einen Schluck Tee. Aber der gute alte Earl Grey schmeckte noch. Walter war erleichtert. Trotzdem würde er demnächst auch Blut konsumieren müssen.

Er seufzte.

Dann hörte er Schritte. Sie waren noch eine halbe Etage weit entfernt, und doch konnte Walter genau verfolgen, wie sie die Treppe hinabstiegen, den Flur entlang kamen, die zwei Korridortüren durchquerten und schließlich vor dieser Tür hier Halt machten. Faszinierend.

"Kommen Sie herein, Fräulein Victoria", sagte er, bevor überhaupt ein Klopfen ertönte.

Die Tür öffnete sich. "Hier kommt die Post!" verkündete Seras.

Walter nahm ihr das Postbündel ab und ließ sich mit Vorsicht auf dem Stuhl nieder, als befürchte er, das Möbel werde sich als Illusion erweisen. (Man konnte nie wissen... Schließlich war ... ähm... "seinesgleichen" ja auch in der Lage, Wände zu durchqueren... Faszinierend...)

Dann klemmte er sein Monokel ein - und verstaute es sofort wieder in der Westentasche. Es war überflüssig geworden.

Er ging die Post durch. Seras neben ihm wippte ungeduldig auf den Fußballen.

"Ach du liebe Zeit", sagte Walter und hielt einen der Briefe weit von sich, als wäre er giftig. "Ein Brief von Iskariot! Integra wird toben."

"Genau!" sagte Seras eifrig. "Und sie wird senkrecht durch die Zimmerdecke gehen, wenn sie sieht, was die noch mitgeschickt haben..."
 

Integra und Alucard befanden sich im Arbeitszimmer - bei einer "Dienstbesprechung".

"Du machst dir zuviel Gedanken über diese albernen Valentine-Brüder", sagte Alucard gerade. "Bei nächster Gelegenheit sind die fällig."

"Wir sollten die beiden nicht unterschätzen", gab Integra zu bedenken, "immerhin haben die zu zweit ein Hirn. Ja, bitte!"

Es hatte an die Tür geklopft und nun betrat Walter den Raum.

"Der Vatikan, bzw. die 13. Division, schickt uns das hier..."

In der einen Hand hielt Walter einen Brief - in der anderen eine gigantische florale Kreation. Einen Grab-Kranz, den offensichtlich ein neurotischer Gärtner kre-iert hatte...

Wortlos riss Integra den Brief auf.

"To whom it may concern", murmelte sie. "Verehrte Hellsing-Organisation", las sie weiter. "Gar furchtbare Dinge sind uns zu Ohren gekommen! Sie haben einen Verlust erlitten, der sie bis zur Handlungsunfähigkeit lähmen dürfte. Auch ich würde diesen Verlust eine ganze Weile intensiv beklagen, wenn ich nur Zeit dazu hätte. Aber irgendwer muss sich ja um die Bekämpfung unseres gemeinsamen Feindes kümmern, und da Hellsing über kurz oder lang dazu nicht mehr in der Lage sein dürfte..."

Integra fletschte die Zähne und knüllte den Brief zusammen. Walter hielt ihr den Papierkorb hin.

"Nein", sagte Integra, "oh nein, den nehme ich mit. Diesen Brief werde ich Maxwell höchstpersönlich ins Maul stopfen. Walter, wir fahren in den Vatikan."

"Ich auch?" fragte Alucard hoffnungsvoll.

"Nein", entschied Integra. "Du bleibst und passt auf England auf."
 

Integra und Walter machten sich im Helikopter auf den Weg in den Vatikan.

Trotz Integras Protest flog Walter den Helikopter; Integra war in einem Auto schon gefährlich genug.

Bald darauf betraten sie das Vorzimmer von Enrico Maxwells Büro.

Pater Ronaldo saß dort an einem Schreibtisch und schrieb. Er sah kurz auf, sagte "Was..." und wurde sehr, sehr blass. "Was..." wiederholte er. Und noch einige Male.

"Was... was... wünschen Sie?" stammelte er.

"Darüber möchte ich mit Maxwell persönlich sprechen", sagte Integra.

Pater Ronaldo hatte angefangen, hektisch in einer Schreibtischschublade zu kramen.

"Melden Sie mich bitte an", sagte Integra, "und zwar flott, es liegt mir nicht, länger als eine Zigarillolänge auf jemanden zu warten. Ach Pater Ronaldo", sagte sie dann bekümmert, "Sie mögen mich nicht. Ich seh' das an der Art, wie sie den Revolver halten."

Tatsächlich hielt Pater Ronaldo einen Revolver in seinen zitternden Händen.

"Guter Mann", sagte Walter höflich und nahm Pater Ronaldo ein paar Fusseln vom Ärmel, "Sie glauben doch nicht, dass Sie uns damit aufhalten können?"

Mit metallischem Klingen fiel Pater Ronaldos Revolver - in sieben ordentliche Scheiben zerschnitten - auf den Boden des Zimmers. Sorgfältig ließ Walter die monowires zurück in den Handschuh schnellen.

Pater Ronaldo rannte schreiend hinaus. "Ich werde hier warten", sagte Walter zu Integra, "falls der Gute", sein Kopf deutete kurz Pater Ronaldo hinterher, "mit Verstärkung zurückkommt."

"In Ordnung." Integra lächelte und betrat Maxwells Raum.
 

Maxwells Kaffeeservice war von Culani und pechschwarz. Er liebte es, sich darin zu spiegeln. Das schwarze, glänzende Material gab seinem Spiegelbild etwas sehr verwegenes... Maxwell nahm die Kaffeekanne behutsam in beide Hände und betrachtete versonnen sein Spiegelbild auf dem glänzenden Bauch der Kaffeekanne.

"Hallo Maxwell."

Er sah verwundert auf. Integra stand vor seinem Schreibtisch.

Maxwell warf kurzen Blick auf die Scherben der Kaffeekanne, die ihm aus den Händen gefallen war.

Dann starrte er Integra erneut an. Gedanken rasten in seinem Schädel und schnappten zähnefletschend nacheinander.

Integra wiederum genoss es, zu sehen, wie Maxwell in seinem eleganten Schreibtischstuhl saß, die Armlehnen umklammerte und - um Luft und Fassung ringend - ein Gesicht machte, hätte ihm gerade jemand die Hose geklaut.

"Integ... also... Lady Hellsing", stammelte Maxwell, "also... öhm... oh... ich habe gehört, also... du... Sie wären tot."

"Wo hörst du so was?" Integra wölbte spöttisch eine Augenbraue und ließ sich im Besuchersessel nieder.

Sie betrachteten einander schweigend, erwiderten ihre Blicke eine feindselige Ewigkeit lang.

Das kann nicht sein, dachte Maxwell, es ist unmöglich.

"Falsch - es ist möglich. Hier sitze ich um es zu beweisen", sagte sie.

Maxwell schnappte nach Luft. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, als er verzweifelt nach einem Satz fahndete.

Aber verdammt - ihre Augen sind blau... Sie sind blau, sie ist kein Vampir. Nein, nein, ist sie nicht. Definitiv nicht. Andersen hat sich versehen. Er hat sie gar nicht umgebracht. Der gute, alte Andersen, ein bisschen wirr im Kopf manchmal...

Maxwell kicherte leise und schaute auf die Armbanduhr - hauptsächlich, um diesen blauen Augen zu entkommen.

"Tja", sagte er dann und stand auf, "ein bedauerliches Versehen, offensichtlich, na so was. So sehr ich mich freue, dass Sie mich so überraschend und... unangemeldet besuchen, muss ich Sie leider darauf hinweisen, dass meine Zeit knapp bemessen ist und ich..."

"Setz dich", sagte Integra.

Maxwell war so verblüfft, dass er sich tatsächlich sofort wieder setzte.

Hello again (2)

Ihr lieben Leser!

Da bin ich wieder und ich muss mich entschuldigen, dass die Fortsetzung so derart lange gedauert hat! (Mea culpa, mea maxima culpa...) Seid euch sicher, ich schäme mich zutiefst!

Ich bedanke mich bei allen ganz, ganz herzlich, die mir und "Maybe..." treu geblieben sind und trotz der langen Pause weiter lesen und ganz besonders bei Integra-sama und Nerissa, die mich immer mal wieder per ENS oder Gästebuch-Eintrag getreten und gefragt haben, wann es endlich weitergeht).

*seufz* Seit ich wieder beruflich schreibe, habe ich oft (zu oft...) einfach nicht mehr die Energie, noch weiter am PC zu sitzen und meine Stories fortzuführen... Vor allem bei dem Wetter! Ach, der Geist ist willig, aber der Kreativ-Teil meines Hirns ist matt und müde!

Nun aber endlich schnell weiter!

Kommen wir von mir schwachem Menschen zu einem Menschen, der nicht schwach ist (und auch eigentlich gar kein Mensch mehr...)

Wir erinnern uns (erlaubt mir, dass ich in der Geschichte ein paar Absätze zurückgehe), dass Integra (--> frisch gebackene No-Life-Queen) dem guten Maxwell (--> ahnungslos und im Glauben, sie sei tot) einen Besuch abstattet...)
 

------------------------------------------------------
 

Maxwells Kaffeeservice war von Culani und pechschwarz. Er liebte es, sich darin zu spiegeln. Das schwarze, glänzende Material gab ihm etwas sehr verwegenes... Maxwell nahm die Kaffeekanne behutsam in beide Hände und betrachtete versonnen sein Spiegelbild auf dem glänzenden Bauch der Kaffeekanne.

"Hallo Maxwell." Er sah verwundert auf. Integra stand vor seinem Schreibtisch.

Maxwell warf kurzen Blick auf die Scherben der Kaffeekanne, die ihm aus den Händen gefallen war.

Dann starrte er Integra erneut an. Gedanken rasten in seinem Schädel und schnappten zähnefletschend nacheinander.

Integra wiederum genoss es, zu sehen, wie Maxwell in seinem eleganten Schreibtischstuhl saß, die Armlehnen umklammerte und - um Luft und Fassung ringend - ein Gesicht machte, als hätte ihm gerade jemand die Hose geklaut. Sie setzte sich in den Besuchersessel.

"Lady Hellsing", stammelte Maxwell, "also... oh... ich habe gehört, also... Sie wären tot."

"Wo hörst du so was?" Integra zog spöttisch eine Augenbraue empor.

Sie betrachteten einander schweigend, erwiderten ihre Blicke eine feindselige Ewigkeit lang.

Das kann nicht sein, dachte Maxwell, es ist unmöglich.

"Falsch - es ist möglich. Hier sitze ich um es zu beweisen", sagte sie.

Maxwell schnappte nach Luft. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, als er verzweifelt nach einem Satz fahndete.

Aber verdammt - ihre Augen sind blau... Sie sind blau, sie ist kein Vampir. Nein, nein, ist sie nicht. Andersen hat sich versehen. Er hat sie gar nicht umgebracht. Der gute, alte Andersen, ein bisschen wirr im Kopf manchmal... Maxwell kicherte leise und schaute auf die Armbanduhr - hauptsächlich, um diesen blauen Augen zu entkommen.

"Tja", sagte er dann und stand auf, "ein bedauerliches Versehen, offensichtlich, na so was. So sehr ich mich freue, dass Sie mich so überraschend und gesund und... unangemeldet besuchen, muss ich Sie leider darauf hinweisen, dass meine Zeit knapp bemessen ist und ich..."

"Setz dich", sagte Integra.

Maxwell war so verblüfft, dass er sich tatsächlich sofort wieder setzte.
 

Er betrachtete sie. Dieses Weib. Dieses eiskalte Weibsbild, die ihren gewiss sehenswerten Körper in teure Herrenanzüge sperrte. Halt. Irgendwas war anders. Irgendwas, das Maxwell ungemein irritierte.

"Du erlaubst?" fragte sie, lehnte sich zurück und zündete sich einen Zigarillo an und Maxwell bekam trockene Lippen. Seine Gedanken und Gefühle galoppierten seinem Verstand davon. Er sah Integra an. Integra sah ihn an. Sie saßen einander gegenüber und schwiegen, als spielten sie eine Art geistiges Schach. Ein Sonnenstrahl fiel durch das Fenster hinter Maxwell. Staubkörnchen tanzten auf seiner schrägen Bahn hinab auf die Rückenlehne des Sessels. Integra ließ ihre Blicke aus dem Fenster hinaus wandern, wo Hunderte von Dächern und Türmen sich in einem architektonischen Rausch übereinander zu stapeln schienen. Der Vatikan.

"Sag mir, Maxwell", sagte sie leise, "wie ernst nimmst das alles?"

"Was?"

Integra fuhr mit der Hand durch die Luft und verwirbelte dabei den Qualm des Zigarillos. "Naja", sie zog einen kleinen, silbern glänzenden Gegenstand aus der Hosentasche. "Das Zölibat und all das."

Maxwell starrte sie sprachlos an. Langsam, sehr langsam fanden Integras Worte ihren Weg in seinen erschütterten Verstand. Natürlich. Natürlich, natürlich hatte er schon mal daran gedacht, Integra...

Wie gesagt, daran gedacht... Niemals hätte er es für möglich gehalten...

Maxwell befeuchtete seine Lippen. Er wollte überlegen lächeln, doch alles, was er zustande brachte, war ein nervöses Zucken des linken Mundwinkels. Er fuhr mit dem Finger unter seinen Kragen, der auf einmal entsetzlich eng zu sein schien. Hastig nahm er einen Schluck Espresso, der längst kalt war.

Integra schwang ihr rechtes Bein lässig über die Armlehne ihres Sessels. Den kleinen silbernen Gegenstand legte sie auf ihr Knie, behielt den Finger darauf. Sie ließ Maxwells Gesicht keine Sekunde lang aus den Augen. "Du verstehst allmählich, wie ich deinem Gesichtsausdruck entnehme", sagte sie. "Und - Maxwell?"

Sie beugte sich ein wenig vor und ihre Stimme war wie schwarzer Samt. "Wollen wir dieser Versuchung widerstehen oder ihr lustvoll erliegen?"

Maxwell verschluckte fast seine Espressotasse.

Das war nun wirklich... O madre santissima... Maxwell spürte das Blut in seinen Schläfen klopfen.

"Warte", sagte er. Er hatte überlegen und sehr männlich klingen wollen, klang allerdings eher wie ein Schaf, das sich räuspert.

Er stand auf, durchquerte den Raum, ging zur Tür seines Raumes und schloss sie von innen ab.

Integra lächelte.

Maxwell setzte sich wieder in seinen eleganten Sessel. Integra registrierte, dass er seine obligatorische, violettblaue Weste abgelegt hatte.

Maxwell und sie, beide zurückgelehnt in ihren Sesseln, fixierten einander. Dann drückte Integra den Zigarillo an ihrer Schuhsohle aus, erhob sich und setzte sich auf die Kante von Maxwells Schreibtisch. Mit einer Bewegung ihres Kopfes warf sie ihr langes, helles Haar über die Schulter. Ihr Gesicht näherte sich seinem Gesicht.

"Ehrlich gesagt, Maxwell - ich hatte dich nicht so schüchtern erwartet..."

Maxwell zog eine Augenbraue hoch. "Und ich hatte nicht erwartet, dass du so ... so... naja... Aber ich mag das." Er fand allmählich zu alter Form zurück, rückte näher an den Tisch, näher zu ihr, ließ seine Blicke ungeniert über ihren Körper wandern und grinste dreckig.

Gut, dass Alucard nicht hier ist. Sonst wäre dieses Grinsen dein letztes gewesen...

Noch immer hielt Integra den kleinen silbern glänzenden Gegenstand in der Hand.

"Weißt du, was das ist?" Sie hielt es ihm hin. Die Neugier hatte ihn an die Kante seines Stuhls gelockt. Sie starrten einander in die Augen. Er streckte die Hand aus, berührte ihr Handgelenk. Seine Finger strichen an ihrer Hand hinauf, kreisten in ihrer Handinnenfläche, berührten dann ihre Finger, erreichten schließlich den kleinen, silbernen Gegenstand. Er strich mit den Fingern darüber, liebkoste das kühle Silber. Da war eine Öffnung. Er fuhr mit dem Finger hinein. Integra atmete hörbar ein. Maxwell schluckte.

"Nein", sagte er heiser, "ich habe keine Ahnung. Sag es mir."

"Dies, lieber Maxwell", erklärte Integra sehr sachlich, "ist ein Zigarrenschneider."

Sie schob die scharfe Klinge vor, so dass Maxwells Finger in dem Zigarrenschneider festsaß. "Und du", sagte Integra, "wirst mir jetzt zuhören und zu allem Ja und Amen sagen, klar? Solltest du Widerworte haben, werde ich deine widerwärtigen Finger an die Zierkarpfen draußen im Teich verfüttern. Einen nach dem anderen. Und wenn keine Finger mehr da sind, wüsste ich noch eine Alternative..."

Maxwells Gesicht war zu einem grässlich krebsroten Ballon angeschwollen.

"Miststück", zischte er, "babylonische Hure..."

Integra runzelte die Stirn. "Hat Andersen das von dir oder du von ihm? Für jemanden, dessen rechter Zeigefinger in einem Zigarrenschneider steckt, hast du ein ziemlich großes Maul, Verehrtester." Sie schob die Klinge noch ein wenig vor. "Ganz ehrlich, Maxwell - du hast nicht wirklich geglaubt, ich würde so was wie dich verführen wollen, oder?"

Maxwell biss die Zähne zusammen.

Integra saß auf seinem Schreibtisch und betrachtete ihn mit kummervoller Miene, als wolle sie eine Erklärung finden, warum dieser Mann existierte, und bliebe doch letzten Endes ratlos.

"Oh liebe Zeit", sie lachte leise. "Möge dir der Heilige Geist etwas mehr Grips in deinen seltsamen Kopf geben. Und nun hör zu. Hör sehr gut zu, ich sag's dir nur einmal. Ihr, Iscariot, haltet euch aus England fern! Verstanden und akzeptiert?"

"Verstanden und akzeptiert", fauchte Maxwell.

"Und aus dem übrigen Europa am besten auch. Über den Rest der Welt sprechen wir später. Ich habe Zeit, weißt du..."

Sie löste die Klinge. Schnell zog er seinen Finger zurück. Mit seiner linken Hand hätschelte er die rechte, als sei ihr bereits Schlimmes widerfahren.

"Was soll das heißen - du hast Zeit?" knurrte er.

"Nun, es ist so..."

Sie legte den Kopf ein klein wenig schief und lächelte. Sie lächelte ihn an, das zauberhafteste Lächeln, das Maxwell je gesehen hatte - doch dann bemerkte er etwas anderes.

Ihr Lächeln entblößte schrecklich weiße, spitze Fangzähne. Ihre blauen Augen wurden rot...

"Du bist ein winziges Würmchen im großen Tierpark der Weltgeschichte. Nach dem Maßstab der Ewigkeit existierst du gar nicht, Maxwell. Im Gegensatz zu mir."

Maxwell keuchte entsetzt.

"Du bist..."

"Ja." Integra zuckte mit den Schultern. "Es hat sich einiges geändert. Aber das ist immer so."

Maxwell brach der kalte Schweiß aus. Sie war eine Kreatur der Nacht geworden, sie war unsterblich geworden, dieses Weib würde für immer da sein...

Es war, als sei ihm ein sekundenlanger Blick in die Hölle gewährt worden.

Sein Gesicht wurde aschfahl. Ihm war, als sei er um ein ganzes Leben älter geworden. Sein Herz schlug im Takt endloser Alptraumsekunden. Im Stillen betete alles herunter was ihm einfiel.

Integra betrachtete ihn und er tat ihr vorübergehend leid.

Mit einer eleganten Bewegung erhob sie sich von seinem Schreibtisch. Dann stützte sie sich mit beiden Händen auf die Schreibtischplatte und beugte sich ein Stück vor, bis ihre Augen dicht vor seinen waren.

"Pass auf dich auf, Enrico", flüsterte sie. "Menschen wie wir enden manchmal wie ich."

Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und verließ sein Büro.

Maxwells Hirn begann, Blasen zu werfen.

Feeling ill...

Wieder da...

Es tut mir so leid. Es ist unglaublich viel passiert O_O und ich habe "Maybe..." sträflich vernachlässigt... V_V

Umso mehr freut es mich, dass mich immer mal wieder ein paar treue Seelen ansprechen und fragen, wann es endlich weitergeht. Und dass es sogar neue Leser gibt, die nach Fortsetzung fragen!!! Willkommen! *alle-mal-so-richtig-durchknuddelt*

Ihr Lieben! Ich hatte ein wirklich schlechtes Gewissen.

Mein Dasein hat mich einfach immer mal wieder an den Rand diverser Nervenzusammenbrüche getrieben und außerdem versuche ich gerade, zwei Arbeitsstellen/Jobs zu bewältigen. Das ist die absolute Heftigkeit...

Und wenn dann etwas Zeit blieb zum Schreiben, habe ich meine "eigenen", also meine "Original"-Stories, bevorzugt behandelt. ABER: Hier ist (ENDLICH) das aktuelle "Maybe..."-Kapitel.

Ich bin gespannt auf eure Reaktionen.

Reißt mir nicht den Kopf ab, kann sein, dass ich den noch brauche... ~___^
 

------------------------------------------------------------
 

Seras schlich auf Zehenspitzen durch die Keller von Hellsing-Manor zu ihrem Gemach. Meister Alucard hatte fürchterliche Laune, sie hatte ihn so noch nie erlebt.

Und Lady Integras Laune war sogar noch fürchterlicher.

Sie hatte Walter diskret gefragt, was vorgefallen war, aber Walter hatte nur mit den Schultern gezuckt. "Wissen Sie, Fräulein Victoria, ich glaube, manche "Paare" streiten nur, um die Luft zwischen sich wieder mit Spannung anzureichern. Irgend so etwas in der Art", hatte er gesagt und gelächelt. Aber er hatte wieder das, was Alucard "Walters besorgten Glucken-Blick" zu nennen pflegte.
 

Alucard lag in seinem Sarg und fletschte die Zähne. Integra hatte Stimmungen, die er nicht ergründen konnte. Sie waren heftig aneinander geraten. Leiterin der Hellsing-Organisation und No-Life-Queen in einer Person... Er vermutete, dass sie überfordert war. Ungeschickterweise hatte er ihr das auch gesagt... Und er hatte hinzufügt, sie hätte augenscheinlich Probleme, von denen jeder Psychoanalytiker bloß träumen könne. Daraufhin hatte sie diverse Tassen, den Briefbeschwerer und den dolchartigen Brieföffner nach ihm geworfen und die Situation war etwas eskaliert. Schließlich hatte sie ihn rausgeschmissen.
 

Integra saß an ihrem Arbeitstisch und trommelte mit den Fingerspitzen gegen ihre Wange. Sie fühlte sich schrecklich. Irgendetwas stimmte nicht. Sie war gereizt. (Soll heißen: Noch gereizter als normalerweise... ^ ^°). Sie nahm den Zigarillo aus dem Mund und betrachtete ihn, als habe er eine Funktionsstörung. Sie drückte ihn aus und griff nach dem Röhrchen mit magensäureneutralisierenden Tabletten. Es war leer. Wütend pfefferte sie es in den Mülleimer. Alle Geräusche hatten Spitzen. Sie schloss die Augen, massierte ihre Schläfen und atmete tief durch.

Walter betrat den Raum. Die Jahre mit Integra hatten ihn mit stimmungsbedingten Detonationen vertraut gemacht und er wusste, heute war Vorsicht geboten. Sie sah abgespannt und fertig aus. Walter war besorgt und hätte ihr gern empfohlen, sich aus diesem "Job" zurückzuziehen. Alle Hellsings hatten sich früher oder später aus diesem gefährlichen Job zurückgezogen - die meisten auf einer Tragbahre...

Und außerdem... Na, sie würde ohnehin bald den Tatsachen ins Auge blicken müssen... Walter lächelte und servierte den Tee. Integra nippte an dem Tee.

"Du hast nicht gefrühstückt", sagte er vorwurfsvoll.

Integra verzog das Gesicht. "Ich glaube, ich habe ein Magengeschwür."

"Vermutlich", sagte Walter scheinheilig, "ein Geschwür mit zwei Ohren. Und Armen und Beinen, und zwei Augen - wobei man gespannt sein darf, ob die Augen blau oder rot sein werden..." Integra ballte ihre Hände zu Fäusten.

"Was auch immer du damit andeuten willst..."

"Ich deute gar nichts an. Ich sehe den Tatsachen ins Auge. Das ich das noch erleben darf!"

Integra überlegte fieberhaft. Sie hatte diesen Gedanken beiseite geschoben. Ganz weit weg. Das konnte schließlich nicht sein. Das KONNTE nicht sein! Oder?

Was, wenn... Was, wenn. Was, wenn...

Es herrschte minutenlanges Schweigen. Die Uhr tickte.

"Vampire können nicht..." stammelte Integra.

"Offenbar doch", entgegnete Walter. "Es kommt vor, dass die Natur, in die hineingepfuscht wurde, mit einer Art zynischer Intelligenz zurückschlägt, so dass sich auch Untote auf biologischem Weg fortpflanzen. Sozusagen."

"Wie furchtbar", flüsterte Integra und warf ihre Tasse in den Papierkorb.

"Trotzdem hätte Alucard... Ich wusste ja nicht... Er hätte doch wirklich..." Sie sprang auf und trat den Papierkorb um.

"Nichts gegen einen schönen Wutanfall, aber in deinem Zustand lass es lieber", riet Walter. "Wir werden uns daran gewöhnen. Du wirst sicher eine...ähm, willenstarke Mutter sein. Und Alucard... nun, ich bin ja auch noch da. Dich hab ich ja auch groß bekommen und sieh nur, was für ein Prachtexemplar du geworden bist."

Wortlos ging Integra zu ihm und umarmte Walter samt Teekanne. Dann setzte sie sich. Wurde grünlich, sprang wieder auf und rannte hinaus.

Walter seufzte. Er wandte sich dem Gemälde von Sir Hellsing, Integras Vater, zu.

"Stell dir vor, Arthur", sagte er glücklich zu dem Portrait, "wir werden Großvater."
 

Integra stieg die düsteren Treppen in die Kellergewölbe hinab, vorbei an den groben, steinernen Wänden. Alucard hatte ein Recht darauf zu erfahren, was er angerichtet hatte.

Sie erreichte sein Schlafgemach. Kerzen brannten in den Halterungen, Schatten tanzten an den Gewölbewänden. Alucards Sarg war verschlossen.

Integra hockte sich neben den Sarg und klopfte höflich.

Keine Reaktion.

Sie klopfte erneut.

Nichts.

Sie hämmerte mit beiden Fäusten auf den Deckel.

Stille.

Sie sprang auf und trat gegen Alucards "Ruhemöbel". Der Deckel sprang auf.

Alucard schlief tief und fest.

Integra, die sich innerlich schon zu einem wunderbaren Wutanfall gesammelt hatte, blieb nichts anderes übrig, als ihn in seiner ganzen schlummernden Schönheit zu betrachten. Du wunderhübscher Teufel, dachte sie.

"Alucard, wach auf", sagte sie, nachdem sie ihn eine Weile betrachtet hatte. "Alucard! Ich habe dir was zu sagen!" Sie verlieh ihren Worten mit einem energischen Rütteln Nachdruck.

Er erwachte und sah sie an. "Was?" fragte er. "Was willst du mir sagen?"

Integra suchte nach den richtigen Worten und fand sie nicht. Er richtete sich ein wenig auf. Mit seinen kühlen Fingern strich er über ihre Wange. "Sag es einfach." Er lächelte.

Integra sagte es.

Womit Alucard auch immer gerechnet hatte - DAMIT nicht. Ihren Worten folgte ein plötzlicher Temperatursturz. Aus den Ecken krochen die Schatten hervor.

"Ich dachte, du hättest... Maßnahmen ergriffen", sagte er.

"Hätte ich auch, wenn ich gewusst hätte, dass Vampiren so was passieren kann! Du hättest es mir sagen müssen! Es ist deine Schuld!" Sie schlang ihre Arme um ihre Leibesmitte und schniefte leise vor sich hin.

Er schnaubte verächtlich. "Oh. Ich schäme mich. Ich weine fast. Darf ich mir die Nase an deinem Krawattentuch abwischen? Ich habe nie geahnt, dass du so naiv bist", sagte er. "Und wenn dir schlecht wird, dann bitte anderswo! Wenn du mich suchst, ich bin im neunten Kreis der Hölle." Mit diesen Worten klappte er den Sargdeckel über sich zu. Integra war allein.
 

Schon wieder und immer noch allein saß sie spät am Abend in ihrem Arbeitszimmer. Es roch nach warmer Elektronik. Sie schaltete den PC aus. Die Dunkelheit hinter den Fensterscheiben wuchs. Einfach aufstehen, mit den Türen knallen und laut schreien... Integra atmete tief durch. Und stand doch auf.

Der dunkle Himmel voller Sterne, der Mond schien. Ein sanfter Wind seufzte im Schilf. Barfuss ging Integra durch das kühle Gras. Am Ufer des kleinen Bachs blieb sie stehen und setzte sich ins Gras. Sie tauchte ihre Füße ins Wasser. Die Reflexion der Mondstrahlen im Bach wurde gebrochen durch die plätschernden Bewegungen ihrer Füße. Eine sanfte Brise ließ ihr ein Frösteln über Arme und Nacken laufen. Sie war wütend über sich selbst, dass sie ihn nicht mit der Grobheit behandelte, die ihm gebührte... Dieser unmögliche, schreckliche Kerl.

Sie spürte die Bewegung hinter sich eher, als dass sie sie hörte. Sie wandte sich um, ganz kurz nur. Ein Blick von arktischer Kälte traf Alucard. Er erwiderte ihren Blick ernst. Dann kehrte sein Lächeln zurück, überraschte sie beide. Integra wandte sich ab und versuchte, die Reste ihres Zornes zu bewahren. Er setzte sich neben sie. Irgendwann schlang er beide Arme um sie. Jeder lauschte seinen eigenen Gedanken.
 

Irgendwo im Vatikan...

Wir erinnern uns - Maxwell hatte (einmal mehr...) versucht, die Hellsing-Organisation unter Druck zu setzen. Nachdem Integra angeblich umgekommen war, hatte er den Plan gefasst, die gesamte Organisation zu "entern" und der Division Iscariot einzuverleiben. So sonderbar diese Protestanten nun mal waren, es wäre doch schade gewesen, all das Wissen und all diese netten Waffen ungenutzt verrotten zu lassen...

Allerdings erfreute sich Integra nach wie vor einer gewissen... Lebendigkeit. Sie hatte Maxwell besucht, hatte ihr neues Vampirgebiss vorgeführt und Maxwell davon in Kenntnis gesetzt, dass sie nun unsterblich sei, guten Tag.

Maxwell war über diese Enthüllung - nun... - ein wenig außer sich geraten. Nun sehen wir ihn apathisch in seinem prunkvollen Büro sitzen. Ab und zu brabbelte er in lateinischen Sing-Sang-Kadenzen vor sich hin. Am Mittwoch begann Maxwell, seinen Siegelring zu drehen, immer rechts herum. Am Donnerstag drehte er ihn links herum, starrte vor sich hin, murmelte, kicherte. Pater Ronaldo und Alexander Andersen schauten in regelmäßigen Abständen durchs Schlüsselloch.

"Gefällt mir gar nicht", murmelte Pater Ronaldo. "Gehen Sie hinein zu ihm, reden Sie mit ihm, Andersen. Haben Sie doch Erbarmen!"

Aber Andersen zog es vor, aus einer etwas größeren Entfernung Erbarmen zu haben. Der Zustand seines Chefs gruselte ihn.

Maxwell knirschte mit den Zähnen. Dieses babylonische Miststück... Zusammen mit ihrem halbzahmen Nosferatu würde sie auf ewig ihr Unwesen treiben (und wer weiß, was diese beiden sonst noch trieben! ) Ein Entschluss war in ihm gereift.

Der Lautsprecher in Andersens Gruft knackte, Maxwells Stimme ertönte: "Andersen - in mein Büro."

Andersen atmete durch. Na bitte, er klang doch schon wieder einigermaßen normal (soweit man bei Enrico Maxwell von "normal klingen" reden kann... *g*)

Andersen betrat Maxwells Büro. Kaum dass er in der Mitte des Raumes stand, als Maxwell aufsprang, die Tür verrammelte und die Vorhänge zuzog. Wild wandte er sich zu Andersen um und riss sich das teure Seidenhemd vom Leib.

"Andersen!" schrie er. "Beiß mich!"

"...", sagte Andersen. o_O
 

Andersen wusste sich keinen anderen Rat.

r sprang aus dem nächsten Fenster und rannte, sprang über die in der Sonne glänzenden und flirrenden Dächer und Kuppeln des Vatikan.

Der halbnackte Maxwell war ihm dicht auf den Fersen.

"Bitte tu es!" bettelte Maxwell. "Ich flehe dich an! Er hat es mit ihr auch getan!"

"Nein! Nicht! Bitte!" schrie Andersen über seine Schulter zurück. "Das ist doch nicht das gleiche!"

"Doch!"

"Nein! Das... geht nicht!"

Unten, in einem der prunkvollen Gärten, spazierten zwei Kardinäle und diskutierten über die Genesis. Sie blieben stehen und beobachteten Maxwell und Andersen eine Weile.

Der eine seufzte. "Ich habe immer geahnt, dass es mit dem guten Enrico eines Tages ein seltsames Ende nehmen würde." Der andere nickte. Sie bekreuzigten sich und diskutierten weiter.
 

Irgendwo in London...

Jan und Luke (ja, die gibt's auch immer noch...) saßen auf dem Dach ihres neuen "Etablissements" und betrachteten den Mond über London.

"Wir kriegen sie", sagte Luke.

"Er hat keine einzige rotzverdammte Schwachstelle", nörgelte Jan.

"Er MUSS eine Schwachstelle haben...", murmelte



Fanfic-Anzeigeoptionen
Blättern mit der linken / rechten Pfeiltaste möglich
Kommentare zu dieser Fanfic (282)
[1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11...20] [21...29]
/ 29

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2009-07-10T21:41:13+00:00 10.07.2009 23:41
Ich komme spät mit einem Kommi, besonders da dieses FF schon seit über 3 Jahren lahm liegt, jedoch habe ich erst vor kurzen Hellsing für mich entdeckt. -///- Trotz des Abbruchs lobe ich diese Geschichte, da sich sie wirklich gelungen finde. Der arme Walter tut mir fast leid, mit dem ganzen Chaos hier... Ich liebe die Idee einer schwangeren Integra, und auch wie selbstverständlich Alucard bemerkte sie hätte verhüten sollen (Vampirsperma lol)

lg TuuPii
Von: abgemeldet
2009-06-23T15:12:45+00:00 23.06.2009 17:12
was wohl da in Integra heranwächst? warscheinlich ein Schwarzhaaariges, blauäugiges Mädchen (wenn sie wütend wird werden die Augen aber rot^^) mit Integras Temperament (england tut mir jetzt schon leid) und der Macht ihrer beiden Eltern... *schluck* >.> auf Walter kommt viel Arbeit zu...

^^ aber warum hast du keinen Walter x Seras teil gebracht? das hattest du doch angekündigt...

Ich frag mich auch, wie lange es dauert, bis Maxwell kapiert, dass er durch Andersons Biss kein Regenerator würde...
>.> die werden ja durch Technik und Magie *hergestellt*
Von: abgemeldet
2007-03-19T18:59:26+00:00 19.03.2007 19:59
nee? das is doch jetz nich schon drei jahre her, dass der letzte comment gekommen ist oder wie oder was? boah fies! Keinerlei rücksicht auf junge generationen *schnief*
besteht trotzdem noch hoffnung, dass die FF fortgeführt wird?
Von:  hoffi
2007-02-18T11:37:01+00:00 18.02.2007 12:37
Ich liebe diese Story, aber hey...warum hast du die denn abgebrochen?
Schade!
Vielleicht schreibst du ja doch nochmal weiter?
*mit großen blauen Augen bettelnd auf die Knie geht*
lg
hoffi
Von: abgemeldet
2006-06-23T18:26:16+00:00 23.06.2006 20:26
das ist so süss. schnief. alucard macht integra zu nem vampir damit sie nicht stirbt wie süss. sowas müsste mir auch mal passieren *grummel* -.-
Von: abgemeldet
2006-06-18T11:22:26+00:00 18.06.2006 13:22
wahnsinn.^^ respekt das ist nur geil!!!!!! wenn ich 5 hände hätte würde ich dir alle 5 daumen hochhalten.^^

hoffe mal es gibt bald noch mehr
Von: abgemeldet
2006-04-19T11:48:27+00:00 19.04.2006 13:48
Die Story ist echt klasse! Besonders die Szene mit Maxwell und Andersen war irre komisch.
Integra und Alucard werden Eltern?! Na, da kommt ja einiges auf sie zu.
Weiter so!
Von: abgemeldet
2006-03-25T16:25:16+00:00 25.03.2006 17:25
Mann, die Story ist so genial!!!
Jetzt ist die Gute auch noch schwanger, oje! Wo soll das enden?
Aber Maxwell, das war echt der Brüller!
Hammermäßig cool geschrieben.
Würde mich freuen wenns bald weitergeht
Schäumchen
Von:  Tsu
2006-01-10T18:00:30+00:00 10.01.2006 19:00
*lacht sich weg*
geil!!!
*beide daumen hoch*
du bist genial XDDD
nur der arme Mawell...*ihn auf schoß setz und kraul*
wie konntest du ihm nur s nen schrecken einjangen XD
aufa lle fälle!!!mach weiter!!!bitte!!!!
*bettel*
Von: abgemeldet
2005-12-26T15:35:20+00:00 26.12.2005 16:35
Oh es geht ja weiter... hab ich gar nicht gemerkt. Schön, schön. ^^
Das Kapitel hat mich mal wieder sehr lachen lassen. Vor allem Maxwell, der Verrückte. xD
Das mit Integras Schwangerschaft kommt ja ziemlich plötzlich, bin mal gespannt, wie das weitergeht. DAs Kind wird sicherlich total schnuckelig. ^____^
Ich kann mich gar nicht entscheiden, was ich lieber hätte einen kleine Alu oder eine zweite Intgera. xD
Weiter so! Fröhliche Weihnachten!
black-snow


Zurück