Maybe... von Vanilla-chan ================================================================================ Kapitel 3: He and his master ---------------------------- Kapitel 3 - He and his master Alucard war auf dem Weg zum Gefängnis. Die Nacht kam und er schlenderte durch die Straßen. Im Vorbeigehen hatte er einer Heckenrose drei Blüten abgerupft und sie sich ins Knopfloch gesteckt. Noch immer waren Passanten und Touristen in den Straßen Londons unterwegs. Die teilweise irritierten Blicke, die seiner überdurchschnittlich großen Gestalt, seiner ungewöhnliche Sonnenbrille (bei Nacht...) und seinem ebenfalls ungewöhnlichen blutroten langen Mantel und den Rosenblüten im Knopfloch galten, bemerkte er nicht. a) weil ihn die Blicke von Passanten und Touristen nicht interessierten und b) weil er seine Gedanken sortierte. Auf einer Brücke blieb er stehen und starrte, die Ellenbogen aufs Brückengeländer gestützt, in das dunkle Wasser. Eine verbogene Straßenlaterne direkt neben ihm, funzelte mit trübem Licht zum Wasser hin, als hätte sie dort unten etwas verloren. Ein Plastikbecher dümpelte auf der Wasseroberfläche und nahm Schluck für Schluck aus der schmutzigen Brühe. Alucard sah hinauf zur Mondsichel. Walters Abgang berührte ihn mehr, als er vor irgendwem zugegeben hätte. Verdammt, der alte Knochen würde ihm fehlen. Dass Walter tot war, würde Konsequenzen haben, die gerade zu diesem Zeitpunkt fatal für die ganze Organisation sein konnten. Wie würde es ohne Walter - und sein Organisationsgeschick und seine 100%ige Kenntnis zu allem, was Hellsing betraf - weitergehen? Keine der möglichen Antworten gefiel ihm. Ganz abgesehen davon, wie Integra diesen Verlust verkraften würde... Nachdem sie ihren Vater früh verloren hatte (und ihre Mutter noch viel früher), war Walter ihre "Familie" gewesen. Und diese törichten Menschen hingen so sehr an dem, was sie ihre Familie nannten... Hier konnte er das sogar nachvollziehen. Walter war schon eine Klasse für sich gewesen. Wahrscheinlich ahnte Integra noch nichts davon, dass sie Walter verloren hatte. Alucard hatte nicht die geringste Ahnung, wie er ihr das beibringen sollte. Normalerweise war er nicht zimperlich, aber in diesem Fall... Zudem war Integra momentan selbst nicht ganz "stabil" und in seelischer Schieflage. Was, wenn sie nun, da sie auch noch Walter verloren hatte - möglicherweise - Selbstmord beging? All seine - Alucards - Pläne wären mit einem Schlag zunichte. Wie sollte er den Rest der Ewigkeit ertragen? Nein, er beschloss, ihr - zunächst - nichts von Walter zu sagen. Er nahm die Rosenblüten aus dem Knopfloch. "Farewell, Walter", sagte er und warf die Blüten hinunter ins Wasser. Integra saß in ihrer Zelle am Tisch. Sie hatte das Abendessen beiseite geschoben und stattdessen Papiere vor sich ausgebreitet (sie kann einfach nicht ohne Papier- und Formularkram sein...) und legte sich Strategien für die Gerichtsverhandlung zurecht. Sie dachte an Walter und hoffte, dass er im Krankenhaus ein bisschen Ruhe haben würde. Der Arme hatte wirklich mal eine Auszeit verdient. Aber wie sie ihn kannte, räumte er wahrscheinlich schon den Krankenschwestern und Pflegern hinterher und brachte die Ärzte bei der Visite um den Verstand, indem er Korrekturen und Alternativen für ihre Behandlungsmethoden vorschlug. Vielleicht hatte er auch schon ein paar völlig neuartige medizinische Gerätschaften entworfen... Integra nahm einen Bleistift und wandte sich wieder ihren Papieren zu. Ob in Hellsing Manor alles in Ordnung war? Sicher waren noch genügend Blutkonserven für Alucard und Seras da. Sie würden wohl klarkommen, obwohl sie allein im Haus waren. Alucard und Seras waren allein im Haus... Und wenn schon... 'Konzentrier dich', dachte Integra und schaute auf die Liste der Aspekte, die die Organisation entlasteten (die Liste war noch nicht sehr lang...). Was machten Alucard und Seras wohl die ganze Zeit? Die langweilten sich doch bestimmt, so völlig ohne Aufträge... Nun, Alucard könnte ihr endlich ein paar Dinge beibringen, die sie immer noch nicht beherrschte, also... zum Beispiel... ach, es gab bestimmt noch Hunderte von Dingen, die dieses... dieses Polizistenmädchen lernen musste. Oh natürlich, und Alucard würde sie hinterher loben, TOLL GEMACHT, FRÄULEIN POLIZISTIN und sie würde ihn, wie immer, anhimmeln und "Danke, Meister" hauchen. Der Bleistift in Integras Hand zerbrach knackend. Sie schmiss die Bleistifthälften auf den Tisch, schob die Papiere ärgerlich zusammen und sprang vom Stuhl auf... "Unkonzentriert, my Master?" Sie prallte zurück. "Du sollst nicht immer plötzlich einfach da sein!" fauchte sie Alucard an. "Dabei hast du doch gerade noch an mich gedacht", grinste er. "Und du sollst meine Gedanken nicht lesen!" Alucard seufzte amüsiert. Sie hatten noch keine drei Sätze gewechselt und schon war sie wieder 360. (Die 180 ließ sie grundsätzlich aus...) Wie ein gefangenes Tier tigerte sie in der Zelle auf und ab. Er ließ sie tigern, lehnte sich an die steinerne Mauer und beobachtete sie. Ihre Wut verrauchte allmählich, ihre Schritte wurden langsamer, stoppten dann. Sie verschränkte die Arme um ihren Oberkörper, als wäre ihr auf einmal kalt. "Weißt du", sagte sie mit einem Blick auf die Papiere auf dem Tisch, "ich mache mir Sorgen um Walter." Alucard zuckte zusammen. Ganz locker bleiben jetzt... "Wer... Ach... Walter. Jaa... also... hö...wieso..." "Ich weiß auch nicht. Natürlich ist er in der Klinik gut aufgehoben, aber ich fürchte..." Alucard riss die Augen auf. "Klinik?" "Ja, er ist doch im selben Krankenhaus in dem ich auch behandelt worden bin." Sie nannte ihm die Adresse. "Aber ich fürchte", fuhr sie fort, "die Polizei wird sich ihn ebenfalls vornehmen. Sie werden ihn ausquetschen und sie werden nicht warten, bis er wieder fit ist. Dabei hat er wirklich mal Erholung verdient. Und dann dieser Prozess...", sie massierte mit beiden Händen ihre Schläfen. "Verdammt, es hängt soviel davon ab. Der Schutz dieses Landes vor Kreaturen, von denen die Bevölkerung nichts ahnt - nichts ahnen darf! Und dann unsere ganzen Mitarbeiter - es hängt soviel davon ab, was ich vor Gericht sagen werde... Warum erzähl ich dir das eigentlich alles?" Alucard kam auf sie zu. Sie wich misstrauisch zurück. Er blieb nicht stehen, aber sie blieb stehen - musste stehen bleiben, denn hinter ihr war die Mauer. "Du weißt", sagte er und stand direkt vor ihr, "es gibt einen viel einfacheren Weg, ohne all diese Sorgen, ohne einen Prozess..." Langsam, als wollte er ein scheues Tier nicht erschrecken, hob er seine rechte Hand. Mit dem Zeigefinger strich er behutsam über die dünne, kaum sichtbare Narbe auf ihrer Wange. Dort, wo der Streifschuss von ihrem Onkel Richard sie damals verwundet hatte... Ihr Blut, das ihn so köstlich wiedererweckt hatte... Fünf Sekunden, zehn... dann schlug sie seine Hand weg. War klar, dass sie gleich wieder lostoben würde... Er fand das attraktiv. Integra, sonst absolut kühl und beherrscht, legte dann ein vielversprechendes Temperament an den Tag. Und diese leichte Zornesröte stand ihr gut. Ihre eisblauen Augen kamen dann noch besser zur Geltung. "Wie stellst du dir das vor?" zischte sie. "Wir trinken Brüderschaft mit unserem Blut und spazieren dann durch die Wand nach draußen, oder was?" Alucard brachte eine nonchalante Kombination aus Grinsen, Schulternzucken und Nicken zustande. "Ich werde nicht fliehen", schrie sie ihn an. "Seh ich wie ein erbärmlicher Feigling aus?" "Du siehst wütend aus", sagte Alucard diplomatisch. Er lächelte. "Das ist mein Master. Nun - mein Angebot bleibt jedenfalls bestehen." "Tausend Dank. Ich bin schwer gerührt. Alucard - wag' es nicht, hier wieder mit Blut rumzukleckern! Die Wächter haben vorgestern die Scherben und das Blut gesehen und haben gedacht, ich hätte versucht, mich umzubringen! Und das hab ich jetzt davon!" Sie zeigte, soweit ihre Handfesseln es zuließen, auf den Tisch. Das Essen war angerichtet: Roastbeef, verschiedene Gemüsesorten, etwas Reis und Soße - auf einem Plastikteller. Daneben ein edler Rotwein: Im Pappbecher. Das Essen war bereits in mundgerechte Häppchen zerschnitten, als Besteck hatte man ihr lediglich einen Plastiklöffel hingelegt. Alucard grinste. "Aber dort ist eine Flasche Wasser. Welch ein Leichtsinn." "Oh", Integra nutzte die Gelegenheit und rückte an der Wand von ihm weg, und nahm die gläserne Wasserflasche in die Hand. Sie runzelte die Stirn. "Die ist noch von vorgestern, die haben sie vergessen. Wirklich leichtsinnig - wo ich doch ach-so-suizidgefährdet bin", sagte sie sarkastisch. Alucard schlenderte zum Tisch. Dort nahm er den Pappbecher mit dem Wein und trank einen Schluck. Er verzog das Gesicht. "Was ist das für ein Zeug?" "Bordeaux." Alucard schauderte theatralisch. "Sogar Blutgruppe 0 schmeckt besser. Nun", er wandte sich zu ihr um. "du siehst, ich nehme kein Blut, weil du es nicht wünschst. Bei diesem Becher Bordeaux", feierlich hob er den Pappbecher, "du sollst wissen, dass ich da sein werde, wenn du mich brauchst." "Sei nicht kitschig." "Ich bin nicht kitschig." Sein Gesichtsausdruck änderte sich. Das obligatorische spöttische Grinsen verschwand. Er wurde ernst. Er stellte den Becher zurück auf den Tisch und kam auf sie zu. Integra wich zurück, bis an die Wand. Er kam noch dichter an sie heran als eben. Sie konnte ihre Spiegelbilder - zwei winzig kleine Integras - in seinen blutroten Augen sehen. "Es ist nun mal so", sagte er leise, "dass du mir gehörst. Niemand wird dir jemals etwas tun. ICH bin dein Schicksal. Und du meins - jedenfalls vorübergehend. Denn eines Tages wirst du sterben. Vielleicht... Wie stellst du dir eigentlich die Zukunft der Hellsing-Organisation vor? Du bist der letzte Hellsing-Spross. Was passiert, wenn du stirbst?" Integra schwieg. Er starrte sie schweigend an. Sie starrte trotzig zurück. Er lachte leise, wandte sich ab und ging wieder in die Mitte des Raumes. Er setzte sich auf die Tischkante. "Du solltest", fuhr er fort, "möglichst bald einen Nachfolger in die Welt setzen - oder einfach nicht sterben. Egal, für welche Variante du dich entscheidest - ich stehe dir selbstverständlich gern zur Verfügung, Master." Die Wasserflasche flog auf ihn zu. Mit einer betont lässigen Bewegung fing er sie mit der linken Hand direkt vor seinem Gesicht auf. "Na, na", sagte er spöttisch, "was werden deine Wächter denken, wenn sie schon wieder Scherben finden?" Behutsam stellte er die Flasche zurück auf den Tisch. "Aber", fuhr er in geschäftsmäßigem Stil fort, "es freut mich außerordentlich, dass du noch immer voller Energie steckst. Das lässt einen hoffen." Und wieder ging er auf sie zu. Integra schloss entnervt die Augen. Wie oft will er diese Choreografie heute noch wiederholen...? Dieses Mal blieb er etwa einen Meter vor ihr stehen. Und betrachtete sie. Sie spürte, dass er sich bewegte und öffnete die Augen. Völlig reglos beobachtete sie ihn. Mit einer Sanftheit, die sie irritierte, nahm er eine ihrer langen, weißgoldenen Haarsträhnen, die über ihrer Schulter lag und ließ sie durch seine Finger gleiten. Als er fast bei den Haarspitzen angelangt war, beugte er sich ein winziges Stück weit vor und sah zu ihr auf. "Gute Nacht, Integra", sagte er, hob die Haarsträhne an seine Lippen und küsste sie. "Ich bin nicht weit weg." Dann richtete er sich wieder auf und ließ die Strähne behutsam aus seinen Fingern gleiten. Er wandte sich ab und glitt in den Schatten und sah deshalb nicht, dass sie lächelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)