K.O.N. - Take Two von KleinerToaster (The One, who Strikes the Knights) ================================================================================ Kapitel 7: Stage 6 - She ------------------------ Am nächsten Morgen war einer der wenigen Tage, an denen die KON zusammen frühstückten. Rumiko hatte einen Tag schulfrei bekommen. Es würde heißen sie wäre zwei Tage krank gewesen, da nicht einmal ihre Lehrer von der Existenz der KON wußten, ganz zu schweigen davon, dass Rumiko zu ihnen gehörte. Das Einzige, was die Lehrer über sie wußten, war, dass das Mädchen unter dem Schutz der Polizei stand. Natürlich vermuteten viele Lehrer bereits, dass dieses Fehlen nicht wirklich krankheitsbedingt war, aber niemand sagte etwas. Über Rumiko zu sprechen war tabu, weil niemand in einen Konflikt mit der Polizei geraten wollte. Dem Mädchen selbst war diese Sache egal. Für sie war es einfach ein freier Tag, dessen Hausaufgaben sie nachholen musste und an dem sie mit den anderen einen Auftrag erledigte. Wenn man davon absah, dass es sich um die Knoghts of Night handelte, war es eine ganz gewöhnliche Frühstückssituation. Rumiko trug heute Ausnahms Weise nicht ihre Schuluniform, sondern eine schwarze Jogginghose und ein kurzes schwarzes T-Shirt. Vor ihr stand eine große Schüssel Müsli und ein Tasse Kaffee, den Junichi gemacht hatte. Normaler Weise trank sie zum Frühstück immer Kakao, aber wenn sie die Möglichkeit hatte Kaffee zu trinken sagte sie nicht nein. Junichi trug ein weites T-Shirt mit schwarzem Gürtel und eine weite graue Hose. Im Normalfall trank er nur seinen Kaffee, da er nach eigenen Angaben sonst am Tag überhaupt nichts zu Stande bringen würde. Heute jedoch, da alle zusammen frühstückten, hatte Osamu Pfannkuchen gemacht, von denen Junichi auch ass. No. 6's Frühstück bestand aus Tee, Toast mit Honig und ebenfalls den Pfannkuchen. Sie trug ihre Alltagskleidung: Rotes Top und blaue aus Jeansstoff bestehende Hot Pants. Tatsuya war als letzter aufgestanden, wasman ihm auch deutlich ansehen konnte. Seine Haare hatte er noch nicht gekämmt und die Federn seiner Flügel standen zum Teil in alle Himmelsrichtungen ab. Er hatte sich nur flüchtig ein Ärmelloses dunkelrotes T-Shirt und eine kurze graue Hose angezogen. Sein Frühstück war wie das von No. 6, nur dass er Marmelade anstatt Honig auf dem Toast hatte. Osamu trank ebenfalls Tee. Er trug ein schwarzes T-Shirt und wie immer ausgetragene Jeans. Er ass nichts, da er schon vor den anderen gefrühstückt hatte. Die Gespräche, falls welche stattfanden waren mit wenigen Sätzen abgefertigt, bis Rumiko die entscheidende Frage stellte: "Also, was ist den nun der Grund, dass ich nicht in die Schule muss? Oder besser wie lautet der Auftrag?" Osamu nickte. Er hatte noch nicht gesagt, dass es sich um einen Auftrag handelte, sondern nur dass er sie alle sprechen wollte. "Was? Ein Auftrag?" fragte Tatsuya und gähnte, "Och nee, müssen wir jetzt darüber sprechen? Lasst mich doch erstmal wach werden." "Und so einer will Soldat sein," meinte Osamu, "Keine Disziplin, just like me. Und ich war so ziemlich das Gegenteil von einem Soldaten." "Ich war Soldat," bemerkte Tatsuya, wobei seine Betonung auf dem "war" lag, "Was meinst du, warum ich's nicht mehr bin?" "Auch wieder wahr," meinte Osamu schulternzuckend. "Was ist denn jetzt mit dem Auftrag?" erkundigte sich No. 6. Tatsuya stemmte seine Hände auf den Tisch und erhob sich. "Wenn das hier ein längeres Gespräch wird, dann mach ich erst mal meine Haare und Flügel. Ich fühl mich wie ein Penner." "Pass auf was du sagst," meinte Osamu warnend aber nicht wütenden. "Du weißt, was ich meine," sagte Tatsuya und streckte sich. Dann drehte er sich um und ging zum Bad. Rumiko sah ihm hinterher. Als die Tür hinter dem Scharfschützen ins Schloß fiel, schüttelte das Mädchen den Kopf und wandt sich wieder den anderen zu. "Ich wußte ja schon immer, dass er ein Macho ist, aber für so eitel hab ich ihn nicht gehalten," sagte Rumiko, bevor sie ihr Müsli weiter ass. "Naja, aber es stimmt schon," meinte No. 6 schulternzuckend, "So sieht er echt scheiße aus." "Das hab ich gehört!" kam Tatsuyas Stimme aus dem Bad. "Und das íst auch gut so!" rief No. 6 zurück. "Komm schon Sixy, lass dem Jungen doch sein Ego," meinte Osamu und trank einen Schluck Tee, "Das ist schließlich alles, was er hat." "Und eine Sniper-Riffle," fügte Rumiko hinzu. "Und ein Aussehen, mit der er fast jede Frau Neo Tokyos rumkriegen könnte," ergänzte Junichi. Osamu grinste. "Junichi, du bist doch nicht etwa eifersüchtig, oder so?" erkundigte sich der Werwolf. "Was? Auf den? Nee!" rief Junichi, "Außerdem hab ich schließlich die beste Freundin Neo Tokyos. Warum sollte ich dann eifersüchtig sein?" No. 6 lächelte leicht verlegen. "Okay, bin fertig," meinte Tatsuya, der jetzt gerade aus dem Bad kam und dabei sein Kopftuch band, bevor er sich wieder auf den Stuhl setzte, "Worum geht's?" Osamu, der gerade die Tasse an den Mund gehoben hatte sah auf. Dann trank er den Tee aus, stellte die Tasse kraftvoll auf den Tisch und sagte mit verheißungsvoller Stimme: "Leute, Neo Tokyo braucht uns." "Nein, echt?" riefen Rumiko und Tatsuya mit dem gleichen ironischen Tonfall. "Doch, wirklich," beteuerte Osamu mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus in der Stimme, "Unsere unfehlbare Polizei hat ein Problem. Vermutlich einen Verräter oder so. Aber es kommt noch besser: Kuramoto hat mir mitgeteilt, dass sich bewaffnete Männer in unserer ach so friedlichen Stadt herumtreiben!" "Bewaffnete Männer in Neo Tokyo?" wiederholte No. 6 und Junichi fügte hinzu: "Ja, das ist auf denen Fall ein Grund die KON zu rufen!" Osamu nickte. "Das gleiche habe ich Kuramoto auch gesagt," meinte er, und seine Stimme war wieder ernst, "Aber er besteht darauf, das wir den Job machen. Irgendwas muss da dran sein, was er uns wieder mal verschweigen will." Junichi grinste. "Ich könnte mich mal schlau machen!" meinte er, "Irgendwo auf dem Polizeirechner wird schon was darüber zu finden sein!" "Und was genau sollen wir jetzt machen?" fragte Rumiko, "Aufklärungsarbeit?" Tatsuya grinste. "Yeah, das wär' doch mal was! So richtig schön anspruchslos!" "Wenn Kuramoto sowas sagen würde, müsste man eher einen Anschlag auf uns vermuten," sagte Osamu, "Nee, wir dürfen schon töten." Dann hob er seine Tasse hoch, bemerkte, dass sie bereits leer war, stellte sie wieder hin und fügte dann etwas leiser hinzu: "Auch wenn wir auf mein geliebtes Massaker verzichten müssen." "Willst du damit sagen, wir müssen irgendwie planen?" fragte Junichi missmutig. "Doch, ich befürchte, so sieht's aus!" meinte Osamu, "Ich mach mir noch 'nen Tee, dann fangen wir an zu... 'planen'." Mit diesen Worten stand der Werwolf auf und begann sich erneut Teewasser aufzusetzen. "Sollte Juni sich davor nicht erst mal schlau machen?" fragte Tatsuya und füte dann grinsend hinzu: "Falls das bei dem überhaupt möglich ist." "Nenn mich nicht Juni!" knurrte Junichi gereizt während der Scharfschütz ihn provokant angrinste, "Oder..." Eigentlich hatte sich der Junge gar nichts bei der Drohung gedacht, doch Tatsuyas Grinsen wisch einem düsteren, drohendem Blick. Jetzt erst erinnerte sich Junichi, was er gegen Tatsuya in der Hand hatte. Zufriedend grinsend sagte er: "Oder... ich lösche deine gesamte Porno-Sammlung, die du auf meinem Computer gespeichert hast!" Tatsuyas Gesicht lockerte sich. Er hatte verstanden, dass Junichi ihn nicht verraten wollte... oder dass er einfach noch weiter leben wollte. "Hey, wenn du dass machst... dann..." entgegnete Tatsuya wieder grinsend, "dann mach ich auch irgendwas!" "Keine Sorge, Tatsu," meinte Osamu, der mit dem Rücken zu den anderen stand, "Junichi guckt die sich doch selbst immer viel zu gerne an." "Gar nicht wahr!" verteidigte sich Junichi trotzig. "Stimmt, in denen ist einfach zu wenig Cyber für einen technophilen Jungen wie dich!" gab Tatsuya immernoch grinsend zurück. Rumiko ließ ihren Löffel in die inzwischen leere Müslischüssel sinken und stand auf. "Ich geh in mein Zimmer," sagte sie kalt, "Wenn das Gespräch wieder um unseren Auftrag geht oder wenigsten wieder Nivau hat, könnt ihr mich rufen." "He, warte, Rumiko!" rief Tatsuya ihr hinterher, "So war das natürlich nicht gemeint! Du bist sowieso das süßeste Mädchen der Welt!" Ohne sich umzudrehen oder stehen zu bleiben, hielt das Mädchen ihre Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger hoch und sagte: "Träum weiter, Wichser!" "Ja, ich liebe dich auch," gab der Scharfschütze zurück. "Leck mich!" Damit warf Rumiko ihre Zimmertür hinter sich zu. "He, Kleines," rief Tatsuya und wollte der Schwertkämpferin folgen, doch Osamu hielt ihn zurück. "Ich würde das sein lassen," meinte er ruhig, "So 'nen guten Scharfschützen wie dich findet man nicht sooft! Wäre schade, dich zu verlieren!" Tatsuya seufzte. "Warum nimmt Rumiko mich eigentlich nicht ernst?", fragte er mit einem betrübtem Blick in seinen Tee. "Gegenfrage," sagte Osamu, trank einen Schluck und fuhr fort: "Meinst du es denn ernst?" "Der ärgert sich doch nur, dass Rumiko die einzige ist, die nicht auf sein Machogetue reinfällt," meinte No. 6, "Das ist nicht gut für sein Ego." Der Scharfschütze sah auf und grinste sie an. "Was soll das?" fragte der Cyborg misstrauisch. "Ich wußte doch, dass du auf mich stehst!" sagte Tatsuya. "Was?" riefen No. 6 und Junichi wie aus einem Mund und auch Osamu blickte den Scharfschützen fragend an. "Hast du eben selbst gesagt, Sixy," während er sich breit grinsend zu der jungen Frau beugte, "Wenn Rumi-chan die Einzige ist, die zu Unrecht nicht gemerkt hat, was für'n Traumtyp ich bin, dann bist du auch schon meinem übermenschlichen Charme erlegen." "Der einzige, der dich für einen Traumtyp hält, bist du selbst," entgegnete No. 6 gereizt. "Ach, auf einmal," sagte Tatsuya, "Eben klang das noch ganz anders." Der Scharfschütze stellte die Ellenbögen auf den Tisch und legte seinen Kopf in die Hände. Mit sanftem Blick sah er No. 6 tief in die Augen, ein weiches, warmes, aber dennoch ernst wirkendes Lächeln lag auf seinen Lippen. "Sei ehrlich, Liebes," sagte er sanft und mit einer fast magischen Ruhe in seiner tiefen Stimme, die No.6's Fuchsohr kurz zucken ließ, "Du musst es nicht verleugnen, um den kleinen Jungen zu schonen. Alle wissen, was zwischen uns ist, selbst er." Ein stechender Schmerz und brennender Zorn durchzuckte Junichi. Ihm war zwar durchaus bewusst, dass nichts von dem, was Tatsuya sagte, wahr war, aber dennoch stieg eine tiefe Eifersucht in ihm auf. Junichi hatte etwas gegen Tatsuya in der Hand. Er war in der Lage sein Todesurteil zu unterzeichnen und er war bereit es tun. Doch dazu kam er nicht, den grade als er diesen Gedanken gefasst hatte, hatte No.6 auch schon Tatsuya eine schallende Ohrfeige mit ihrer mechanischen rechten Hand, verpasst. Tatsuyas linke Hand wanderte langsam auf die getroffene Wange, während er seinen Kopf wieder zu No.6 drehte. Sie war aufgesprungen und hatte ihre Hände auf den Tisch gestämmt. Ihr goldfarbenes Fuchsauge funkelte wutentbrannt. "Du verdammter..." knurrte No.6 wütend, während ihr Fuchsschwanz aufgeregt zuckte. "Hey, Sixy, beruhig dich," sagte Osamu. Er trank noch einen Schluck Tee, dann stand er auf und ging zu No.6. Der Werwolf legte seine Hände vorsichtig auf ihre Schultern. "Weißt du, was du jetzt brauchst? Eine Runde durch die City," sagte Osamu mit beschwichtigender Stimme. Langsam beruhigte sich No.6 wieder und stellte sich gerade hin. Dann seufzte sie und nickte. "Junichi, darf ich deine Freundin auf'ne Tour durch Neo Tokyo mitnehmen?" fragte Osamu. Der Junge nickte gedankenverloren. Ihm war bewusst, dass No.6's Ohrfeige Tatsuyas Leben gerettet hatte. Hätte Tasuya weiter mit No. 6 geflirtet, dann hätte Junichi ihn verraten. So weit war es zum Glück nicht gekommen. "Ich sollte jetzt erst mal Infos sammeln," murmelte der junge Hacker, leiser, als er wollte und stand auf. "Junichi? Alles Klar?" fragte No.6 besorgt. Der Junge schüttelte den Kopf. "Ja, ja, alles klar, geht schon!" meinte er und lächelte dem Cyborg in das bekümmerte Gesicht, "Hab nur grade worüber nach gedacht!" "Und worüber?" No.6's Besorgnis schlug blitzschnell in Neugierde um, als sie merkte, das Junichi wirklich keine Probleme hatte. "Das... äh... sag ich dir, wenn du wieder zurück bist," meinte Junichi hastig. No. 6 lächelte verständnisvoll. Sie verstand, dass das, was Junichi ihr sagen wollte nicht für die Ohren aller Anwesenden bestimmt war. "Na gut, aber wenn ich wieder da bin, erzählst du's mir!" forderte der Cyborg. Junichi nickte und sagte leise: "Ich liebe dich." No.6 beugte sich zu dem Jungen vor und die beiden küssten sich leidenschaftlich. Als sie fertig waren, meinte Tatsuya: "Hey, Sixy, ich liebe dich auch! Wo bleibt mein Kuss?" Mit einem wütenden Funkeln in den Augen, sah No.6 den Scharfschützen kurz an, bevor sie ihm den Rücken zu drehte. "Gehen wir," knurrte sie mit kalter Stimme zu Osamu, "Weg von hier, bevor es zum Blutvergießen kommt!" Der Werwolf seufzte und fragte Tatsuya: "Das hättest du jetzt nicht sein lassen können, was?" Tatsuyas einzige Antwort war sein breites Grinsen. So trennten sich die KONs ohne ein weiteres Wort. No.6 und Osamu gingen in die Garage, wo Osamus Motorrad stand und fuhren dann zusammen in die in die Stadt. Junichi ging in die Werkstadt um sich am Computer Infomationen über die Geschenisse in Neo Tokyo zu holen, die Kuramoto ihnen verschwiegen hatte und Tatsuya begann den Frühstückstisch abzuräumen. Für Junichi war es die einfachste Sache der Welt sich in fremde Rechner einzuloggen. Es gab kaum eine handelsübliche Sicherheitssoftware, die der junge Hacker nicht umgehen konnte. Die Rechner großer Unternehmen, Banken, Polizei und Militär waren natürlich besser gesichert, aber Junichi hatte längst die wichtigsten Codes geknackt und hatte quasi freien Zugang auf die Daten der Polizei Neo Tokyos. Doch selbst die besten Tricks schienen bei dieser Mission nicht viel weiter zu helfen. Es gab einen Verräter in den Reihen der Polizei, der wahrscheinlich mit allen Mittel versuchte, die Angelegenheit für seine Kollegen schwieriger zu gestalten und die Spuren zu verwischen. Dazu kam noch, das Junichi nicht einmal genau wußte, was er suchte. Bewaffnete Männer in Neo Tokyo gab es wie Sand am Meer. Was war daran, weshalb Kuramoto es für einen Auftrag für die KON hielt? Junichi begann die Polizeiberichte der letzten Tage durchzusehen. Nichts davon war wirklich interessant. Eine Gruppe Straßenkämpfer, die in der City von Neo Tokyo randaliert hatten, mindestens zum tausendsten Mal las Junichi einen Bericht in dem eine solche Situation geschildert wurde. Ein Mord an einem Geschäftsmann aus dem Stadtteil Tsukiko, bei dem es um Geld ging... Auch nichts Neues. Dies waren die üblichen, alltäglichen Verbrechen, deren Berichte sich glichen wie einem Ei dem anderen. Junichi hatte zwar nicht erwartet, das "Geheimnis" des Auftrages auf einem goldenen Tablett präsentiert zu bekommen, aber dennoch entmutigte ihn die anscheind sinn- und ziellose Suche langsam. Der Verräter wußte, wie man ein Verbrechen tarnt, damit die Kollegen es nicht zu sehr beachteten. Doch Junichi wußte, dass irgendwo etwas zu finden sein müsste. Und sei es nur eine Zeile, die das Abhanden kommen geheimer Waffen auch nur im entferntesten andeutete. Es dauerte zwar eine Weile, doch letztendlich wurde Junichi doch fündig. Und zwar in größerem Maße, als er sich er dacht hatte. In einem Bericht, der sicherverwahrt zwischen anderen abgeschlossen Berichten ruhte, entdeckte er eine trockene Abhandlung über die Männer, die schwerbewaffnet durch die City Neo Tokyos zogen. Der Bericht war in einer der üblichen Weisen geschrieben und abgeschlossen mit den Worten: "Nicht wert, dass sich die Polizei darum kümmert - Spezialeinheit der NTA." Darunter waren fünf bestätigende Unterschriften verschiedener Polizei Agents. Junichi musste grinsen. Der Verräter wußte was er tat. Hätte er allein unterschrieben, wäre seine Tarnung viel zu schnell aufgeflogen. Wahrscheinlich war seine Unterschrift gar keine der fünf angegebenen. Aber Junichi hatte gefunden, was er suchte. Und sogar noch mehr, denn neben dem Bericht waren drei ordentlich archvierte Fotos der Männer, die als Spezialeinheit der NTA, der Neo Tokyo Army, getarnt waren. Es waren nicht viele Männer, ungefähr 5 oder 6, die man nicht auseinander halten konnte. Sie trugen alle die gleichen Uniformen, die sie wirklich als Mitglieder einer Spezialeinheit der NTA auszeichneten. Das NTA-Logo war auf jedem Helm und jedem Anzug und auch die Waffen die sie trugen waren eindeutig der NTA vorbehalten. Die Armee war nicht Junichis Fachgebiet, aber erwußte genau, an wen er sich richten konnte. Tatsuya lag rücklings auf seinem Bett und war damit beschäftigt, gelangweilt Dartpfeile an die Dartscheibe, die an seiner Tür angebracht war, zu werfen. Zwischen seinen Fingern hielt er locker einen der kurzen Pfeilen und zielte auf den roten Mittelpunkt der Scheibe, in dem bereits nebeneinander zwei Pfeile steckten. Ein dritter stecke etwas weiter außen. Tatsuya atmete ein, schloß die Augen und warf den Pfeil locker auf die Scheibe. Als er das leise, dumpfe Geräusch hörte, an dem er erkannte, dass der Pfeil die Scheibe getroffen hatte, öffnete er die Augen wieder und sah dass, auch dieser in der Mitte getroffen hatte. In diesem Moment klopfte es an der Tür. Tatsuya achtete nicht darauf, sondern nahm einen der beiden Pfeile, die noch neben ihm langen, in die Hand. Er zielte wieder und achtete auch weiterhin weder auf das Klopfen noch auf Junichis Stimme, die ihn nun um Erlaubnis bat in das Zimmer kommen zu dürfen. Während Tatsuya zielte, sagte er: "Kannst reinkommen!" Junichi öffnete die Tür. Für weniger als eine Sekunde sah er Tatsuya, der auf dem Bett lag und den Pfeil losfliegen ließ. Für diese Bruchteile einer Sekunde dachte der Junge, Tatsuya würde auf ihn zielen und war vor Angst wie erstarrt. Der Pfeil blieb allerdings mit einem dumpfen Geräusch in der Dartscheibe hängen, die keinen Halben Meter von Junichi entfernt war. Tatsuyas schadenfrohes Lachen holte Junichi wieder aus der Starre zurück. "Dieser Blick war echt unbezahlbar," meinte Tatsuya lachend und setzte sich an die Bettkante, "Ach ja, der Tag wird doch noch schön!" Junichis Schock verwandelte sich nun in Wut und Scham. "Was hast du dir dabei gedacht?" schrie er mit errötetem Gesicht, "Ich würd das an deiner Stelle lassen! Du weißt, was ich weiß!" Immer noch grinsend antwortete der Scharfschütze: "Jetzt stell dich nicht so an. War doch nur'n Gag. Aber jetzt mal Ernst bei Seite: Was willst du von mir?" "Achso, ja stimmt," Junichi beruhigte sich wieder, als er sich daran erinnerte, das er eigentlich Tatsuyas Hilfe brauchte, "Ähm, ich brauche die Hilfe von einem Soldat!" Zu Junichis Verwunderung, sprang Tatsuya plötzlich auf, stellte sich grade, mit angelegten Flügeln hin, die Fersen zusammen, Blick starr nach Vorne, ohne jede Spur eines Grinsens und salutierte. In dieser Stellung blieb er ungefähr zwei Sekunden, bevor er sich wieder enspannte, die Flügel leicht öffnete und seinen üblichen lächelnden Blick wieder erlangte. Mit einem etwas stärkerem, ironischen Grinsen und einem Anflug von Spott in der Stimme, sagte er dann: "Scharfschütze Kanai meldet sich zum Dienst, Sir." Junichi sah den Scharfschützen verwirrt an, dann schüttelte er den Kopf. "Kaum zu glauben, dass du früher wirklich auf Komando so pariert hast..." meinte Junichi, "Aber egal, um so besser... du musst dir mal was angucken." "No Problem," grinste Tatsuya und folgte Junichi, der das Zimmer verließ. Wieder der Werstatt angekommen, in der sich das Computersystem von Junichi befand, setzte sich der Junge sofort auf den drehbaren Schreibtischstuhl vor dem Monitor und vergrößerte die Fotos, die er gefunden hatte. "Was kannst du mir dazu sagen?" fragte Junichi, und drehte sich zu Tatsuya, der hinter ihm stand. Der Scharfschütze sah sich die Bilder genauer an. "Nett," sagte er ernsthaft beeindruckt, "Man könnte fast denken, die wären echt von der NTA." "Sind sie nicht?" erkundigte sich Junichi. Tatsuya schüttelte den Kopf. "So eine Einheit gibt's da nicht! Vor allem würden die keine Jungs mit Vollkopfhelm nach Neo Tokyo in die City schicken ohne Kuramoto-chan Bescheid zu sagen," erklärte er, "Und was hätte der für einen Grund uns gegen eine NTA Special Unit zu schicken?" "So was habe ich mich auch gedacht," meinte Junichi und nickte zustimmend, "Aber warum werden dann wir gerufen und nicht die echte NTA? Wäre doch eher was für die!" Tatsuya antwortete nicht. Anscheint hatte er etwas auf dem Foto entdesckt, dass ihm sehr interessant vor kam. "Die Waffe, von dem da hinten... zoom da mal ran!" forderte er Junichi auf. Der Junge tat was von ihm verlant wurde. Nach wenigen Sekunden schweigen, sate Tatsuya leise: "Oh, scheiße... Dragonflies!" "Was?" fragte Junichi. "Dragonflies," wiederholte der Scharfschütze, "Granatwerfer, die erstens verboten und zweitens lebensgefährlich, wenn man sie falsch anwendet! Die haben so'nen Rückschlag... sagen wir's so, damit du's auch verstehst, wenn du die abfeuerst, reißt dir das die Hände weg. Sieht nicht schön aus, kann ich dir sagen!" "Also handelt es sich hier um Leute, die zu allem entschloßen sind," kombinierte Junichi, "Oder um Androiden oder Cyborgs." "Oder sie haben keine Ahnung, wie gefährlich ihre Spielsachen sind," fügte Tatsuya hinzu. Junichi nickte nachdenklich. "Sag mal, hat die NTA Dragonflies?" erkundigte er sich. "Jep," antwortete der Scharfschütze, "Aber keine NTA Special Unit würde damit durch Neo Tokyo rennen." "Das hab ich mir auch weniger gedacht," meinte Junichi, "Ich glaube nur, dass der von Kuramoto so gefürchtete Verräter gute Connections hatte." "Das hieße also, dass irgend so'n Knlich hier Polizei und NTA untergräbt und sozusagen dann als Beweis seine Leute durch die City schickt und zeigen will: 'Seht her, seht her, ich bin ja so toll!'?" erkundigte sich Tatsuya ungläubig. "Wäre doch möglich," meinte Junichi. "Bis auf die Tatsache, dass die Jungs bei der NTA nicht so unterbezahlte Weicheier sind wie unsere Polizei," erläuterte Tatsuya mit leicht überheblichem Unterton, "Die kann man nicht so einfach bestechen oder bedrohen." "Okay, was würdest du sagen, Soldat?" fragte Junichi genervt. "Was weiß ich? Ist mir um genau zu sein auch ziemlich egal," sagte der Scharfschütze uninteressiert, "Ist ja auch nicht unsere Aufgabe das rauszufinden." "Bist du nicht wenigstens ein bißchen neugierig?" forschte Junichi nach. Tatsuya zuckte mit den Schultern. "Neugierde ist in so einem Fall nur was für kleine Jungs, die Detektiv spielen wollen. Auftrag ist Auftrag. Wir sollen nicht Kuramotos Probleme lösen, wir sollen diese Leute töten." Dann grinste er und fügte hinzu: "Hör auf darüber zu viel nach zu denken. Du kommst sowieso nicht auf die Lösung. Da musst man nämlich nachdenken, Juni!" Damit ging Tatsuya. Der Rest des Tages verlief normal für die KON. Noch einmal setzten sie sich zusammen und besprachen den Einsatz, den sie am nächsten Tag durchführen würden. Da eigentlich keiner Lust auf eine große Planung hatte, ließ sich der Plan am Ende von Osamu so zusammenfassen: "Jeder ist morgen, an seine Platz, Junichi schließt die Bahn kurz, in die die Jungs eingestiegen sind und dann starten wir ein kleines Massaker." "Und dann, weißt du, dann hat Nagashi Fukada-chan geküsst!" "Was? Nagashi? Der Nagashi aus der 6D?" "Nein, nicht der! Nagashi Kantaro, aus der 3A." "Aber der ist doch fast zwei Jahre jünger als sie!" Die Mädchen kicherten. Sie waren zu viert und trugen die lila Schuluniformen der Hitujiyama Hochschule im NeoTokyoter Stadtteil Higugawa auswies. Der Unterricht der vier Schulmädchen war gerade zu Ende und nun waren sie auf den Weg zur U-Bahnstation Hitujiyama um entweder nach Hause oder zum Einkaufen in das Stadtzentrum Neo Tokyo zu fahren. "Habt ihr eigentlich schon von Hitomis Geheimnis gehört?" fragte eines der Mädchen, während sie leichfüßig die Treppe hinunterhüpften. "Nein, bitte, Ayumi!" rief eine andere der Freundinnen dazwischen, "Bitte, sag es nicht!" Bei diesem Mädchen handelte es sich um eine bebrillte Eichhörnchenfaunoide, deren dichten, schwarzen Haaren zu zwei dicken, vom Kopf abstehenden Zöpfen geflochten waren. "Ach, komm schon, Hitomi!" meinte ein anderes der Mädchen, "Wir sind doch Freundinnen! Uns kannst du doch alles sagen." "Ich muss hab auch noch was zu erzählen!" rief die Vierte und dämpfte ihre Stimme, "Über Sasagawa." "Sasagawa?" flüsterte Ayumi, "Die Psychopathin? Erzähl!" Die Schulmädchen waren inzwischen auf dem unterirdischen Bahnsteig angekommen und sahen sich nun vorsichtig um, als befürchteten sie, verfolgt zu werden. Ihre Blicke fielen auf einen jungen Mann, der einen langen, eleganten schwarzen Mantel und eine dunkle Sonnenbrille trug. Es handelte sich um einen Vogelfaunoiden, um genau zu sein um Tatsuya. Anders als sonst immer trug er Kleidung, die ihn wie einen reichen, eleganten Mann aussehen ließen. Unter dem fast Knöchellangen Mantel trug er eine schwarze Hose und eine weinrote Bluse mit braunen Knöpfen. Das einzige, das sich nicht verändert hatte war sein dunkelrotes Kopftuch, unter dem wie immer sein langer, blonder Pferdeschwanz heraus hing. Als Tatsuya merkte, dass ihn die Mädchen ansahen, schob er die Sonnenbrille nach unten und schickte den Mädchen sein bezauberndes, strahlendes Lächeln zu. Natürlich verfehlte dieser Blick seine Wirkung nicht, und die Mädchen begannen zu kichern und zu tuscheln, bevor sie sich mit schnelleren Schritten zu einer der stehenden Bahnen bewegten. Der Scharfschütze grinste und setzte seine Sonnenbrille wieder auf. "So was sollten wir öfters machen, hm?" hörte er neben sich auf einmal Rumikos trockene, verächtliche Stimme, "Ist ja anscheint gut für dein Ego." Ohne sich nach dem Mädchen umzudrehen, antwortete Tatsuya frech: "Eifersüchtig, was?" "Vergiss es, du blöder Macho," knurrte Rumiko, "und halt einfach deine Klappe, wenn du nicht willst, dass mir mein Schwert ausrutscht." "Ich glaub nicht, dass Osamu das gefallen würde," meinte Tatsuya ruhig. "Nein, aber mir," gab die Schwertkämpferin bissig zurück. Dann standen die beiden einfach nur eine Weile schweigend nebeneinander, bis der Bahnhofslautsprecher das Kommen der "Murai 7", der Bahn, die durch ganz Neo Tokyo fuhr ankündigte. "Unser Zug," meinte Rumiko woraufhin Tatsuya nickte und hinzu fügte: "Eigentlich schon, aber von..." Den Rest des Satzes sprach er nicht aus, den genau in diesem Moment kamen sieben Personen in merkwürdigen NTA-Uniformen und mit Vollkopfhelmen, mit getönten Visieren, durch die Menge. Sie liefen einheitlich nebeneinander und Rumiko und Tatsuya waren erstaunt, dass das so gut möglich war in diesem Gedränge, das immer auf den großen Bahnhöfen NeoTokyos herrschte. "Das sind keine Menschen," murmelte Tatsuya, "Unmöglich!" Rumiko, die sich an eine Säule gelehnt hatte, stieß sich mit dem Rücken ab. "Das werden wir ja sehen," sagte sie, nach dem Schwertgriff greifend, fügte sie hinzu, "Ich muss meine Bahn kriegen." Damit ging das Mädchen los und Tatsuya sah, wie sie in der Masse verschwand. Zur gleichen Zeit, saß Junichi im Lost Fortress. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe, während seine Augen zwischen einem kleinen Bildschirm links neben ihm und dem Bildschirm vor ihm hin und her sprangen. Auf dem linken Bildschirm sah Junichi die "Live-Übertragung" der Sicherheitskamera, die den Bahnsteig filmte, an dem Tatsuya und Rumiko waren. Auf dem anderen Bildschirm hatte Junichi ein kompliziertes, vierfarbiges Netz aus Zahlen, Buchstaben und Zeichen, das keinen erkenntlichen Sinn ergab. In seiner rechten Hand, hielt der Junge eine Kaffeetasse, die neben der rechts Tastatur stand. Er war zu nervös, um zu trinken, aber der Geruch und die wärme des Getränkes beruhigten ihn. Seine Aufgabe war wichtig und würde er einen Fehler machen, wäre das Scheitern gewiss. Im Normalfall hätte Junichi kein Problem, einen Zug kurz zuschließen, schließlich hatte er es schon vor Jahren, als er auf der Straße lebte, aus Spaß gemacht. Aber nun hatte Junichi, obwohl er nicht an seinem Können zweifelte, ein flaues Gefühl in der Magengegend. Wenn etwas passieren würde, und dass war bei einem für sie typischen Massaker immer möglich, konnte er nicht helfen. Zwar wusste Junichi, dass sein Fachgebiet, seine Begabung, mit der er den Knights of Night half, technischer Natur war, aber dennoch, war er bisher eigentlich immer dabei gewesen. Vor allem hatte er Angst um No. 6. Vor seinem inneren Auge sah Junichi Sakura. Oder besser: dass was damals von ihr übrig war. Ihr Kopf, mit den angstvoll aufgerissenen Augen, mitten in einem Schrei erstarrt. Doch dort, wo ihr Hals seinen sollte, war die linken Hand einer ihrer Mörder. In der rechten Hand hielt der Mann eine Machete und grinste diabolisch. Dann warf er den Kopf des toten Cyborgs auf den Boden und hob seine Waffe... NEIN! Junichi schüttelte die Gedanken an den grausamen Tod seiner Ex-Freundin aus dem Kopf und sah wieder auf den linken Monitor. Zu seinem Glück fuhr der Zug gerade an und Junichi musste nur warten, bis er komplett im Dunkeln war. Währendessen saß No.6 in der Murai 7 und ahnte nichts von Junichis Gedanken. Gerade war der Zug losgefahren und ihr Blick hatte längst einen der angeblichen NTA-Soldaten, in ihrer Nähe, fixiert. Sie hatte ein freudig nervöses Zucken in ihrer Schwanzspitze und wartete nur noch ungeduldig darauf, dass Junichi die Bahn zum halten brachte. Plötzlich ertönte ein schrill-quietschender Laut. Das Licht in der Bahn erstarb und sie blieb stehen. Ein missmutiges Murmeln ging durch die Menschen. Trotz der Dunkelheit konnte No.6 erkenne, dass sich der "Soldat" nicht rührte. Als hätte er gar nichts gemerkt. Es dauert nicht lange und das schwächere Notstromlicht der Bahn wurde angeschaltet. Durch einen Lautsprecher klang schwach eine verzerrte Stimme: "Liebe Fahrgäste. Wir entschuldigen uns für diesen Zwischenfall. Durch einen Computerfehler wird die Bahn auf ungeklärte Zeit nicht in der Lage sein sich fortzubewegen. Wir danken für ihr Verständnis." Dann verstummte der Lautsprecher, nur vom Verständnis der Fahrgäste war nichts zu merken. Im Gegenteil, die meisten äußerten fluchend ihren Missmut. Einige rüttelten an den Türen, die allerdings fest verschlossen waren. Nur die "Soldaten" rührten sich nicht und No.6 kamen Zweifel, ob es sich bei ihnen wirklich um Menschen handelte. Plötzlich war ein merkwürdiges Krachen, Brechen und Knirschen vom Dach des Wagons zu hören. No. 6 sah zwar nicht, was dort passierte, aber sie konnte es sehr genau ahnen und ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Die Menschen, über denen diese Geräusche waren, drückten sich ängstlich zur Seite. Auf einmal wurde ein Loch in das Metall des Zugdaches gerissen. Schreie waren zu hören und Panik drohte auszubrechen. Als sich dann noch ein schwarzer Wolfskopf durch dieses Loch schob und der Ruf "Werwolf!" erklang, war das Chaos perfekt. Für No.6 und Rumiko war dies jedoch das Signal zum Angriff. Doch vorher schlugen sie jeweils ein Fenster ein, um den unschuldigen Menschen eine Möglichkeit zur Flucht zu bieten. Osamu hatte inzwischen das Loch in der Decke soweit aufgebogen, dass er in die Bahn springen konnte. Die Menschen gerieten jetzt erstrecht in Panik und versuchten zu den von Rumiko und No.6 geschlagenen Fluchtwegen zu kommen. Als Tatsuya, der immer noch am Bahnsteig stand, die ersten panisch fliehenden Menschen die Bahngleise entlang laufen sah, war auch der Zeitpunkt für seinen Einsatz. Er riss seinen Mantel vom Körper und lief zu den Bahngleisen. Sein Scharfschützengewehr trug er in zwei Teilen auf dem Rücken, die er jetzt erst zusammen baute. Dann sprang er auf die Schienen und lief, bis er zu dem haltenden Zug kam. Dort zielte er auf die hintere Scheibe und schoss. Das Glas zersprang klirrend, doch weitaus lauter waren die Schreie der Menschen, die nun auch in ihrer panischen Verzweiflung aus diesem Fenster kletterten. Mit Zwei Flügelschlägen, war Tatsuya in der Bahn und sah einen der angeblichen NTA-Soldaten, unberührt von der Situation in mitten des Chaos stehen. Langsam drehte er seinen Kopf zu Tatsuya und erhob seine Waffe, den tödlichen Dragonfly Granatwerfer. Tatsuya rührte sich nicht, aber auch sein Gegenüber schien nicht die Absicht zu haben seine Waffe abzufeuern. Osamu war inzwischen durch die Menschenmenge weiter gelaufen, vorbei an No. 6, die in einen Kampf mit dem "Soldaten" verwickelt war. Er hatte einen anderen der Männer entdeckt, der sich mit einer ruhigen Sicherheit zwischen den aufgebrachten Mengen weiter nach vorne arbeitete. Es schien als, hätte er ein bestimmtes Ziel und fast sogar so, als wolle er Osamu dorthin führen. Denn immer wenn der Werwolf sein Opfer in der Menge verloren glaubte, tauchte er wieder auf. Mit seinen Pranken schob Osamu die Menschen, die in seinem Weg standen zur Seite. Bald hatten seine Krallen die rote Farbe des Blutes derer angenommen, die er während der Verfolgung verletzt hatte. Doch mit der Zeit waren es weniger Leute, die ihm im Weg standen, denn die Passagiere des hinteren Teiles des Waggons waren inzwischen alle bereits nach Vorne geflüchtet. Und je weniger Menschen ihm im Weg standen, desto siegessicherer wurde Osamu, bis er am Ende allein mit dem Soldaten ganz am Ende des Waggons stand. "Na?" erkundigte sich der Werwolf grinsend, und kniete sich auf den Boden, bereit loszuspringen. In diesem Moment nahm der Soldat seine Waffe, hielt sie direkt gegen die Wand und drückte ab. Für den Bruchteil einer Sekunde blieb die Zeit für Osamu stehen. Wie in Zeitlupe breitete sich ein blendend weißes Licht aus. Der Werwolf drehte seinen Kopf zur Seite, riss seinen Arm hoch und hielt ihn schützend vor die Augen. Dann schien alles um ihn herum zu explodieren. Die Trennwand zwischen den Waggons zersprang in brennende, zum Teil messerscharfe Metallteile, die in alle Richtungen durch die Abteile flogen. Das Licht war blendend hell und der Lärm der Explosion war ohrenbetäubend. No. 6 und Rumiko, die jeweils im Kampf mit den angeblichen Soldaten verwickelt waren, stoppten zwar kurz, versuchten danach allerdings sofort wieder den Kampf aufzunehmen, was allerdings in No.6 Fall wesentlich einfacher war, da sie ihren Gegner schon stärker verwundet hatte, als Rumiko. Auch Tatsuya wurde von der Explosion abgelenkt, jedoch war es in seiner Situation weniger gravierend als in der von Rumiko und No.6. Osamu öffnete langsam wieder seine Augen. Scharfe, glühende Metallteile hatten brennende, rote Streifen in den schwarzen Pelz geschnitten. Der Werwolf sah sich um. Überall lagen die Teile der zersprengten Wand und auch der Soldat war in seine Teile zerfetzt. Allerdings war er, wie auch Tatsuya schon erahnt hatte, kein Mensch gewesen, sondern ein Androit. Osamu erhob sich langsam und sah durch das Loch in den nächsten Wagon. Die Menschen saßen und standen bewegungslos und angstvoll dort. Dann nach den Schocksekunden, brach auch hier die Panik aus. Für einige Menschen, jedoch würde je Hilfe zu spät kommen. Getroffen und tödlich verletzt von den Metallteilen lagen sie am Boden, teilweise noch am Leben und weinten. Osamu hatte kein Mitleid für diese Menschen. Er hatte zu viel Leid und Tod in seinem Leben gesehen um noch solche Gefühle haben zu können. Sein Blick galt einzig und allein einem Mädchen. Xian, die auf einem der Sitze saß und auch ihm mit Angst erfüllten Augen direkt ins Gesicht sah. Während nun die Menschen an ihm vorbei strömten war Osamu wie erstarrt. Doch plötzlich sprang er auf und sprintete los. Mit der Menschenmenge in die Richtung, in der er die anderen drei KONs treffen würde. Es war eine unbestimmte, pure Panik, die ihn jetzt wie von Sinnen zurücktrieb. Er wusste nicht warum, doch der Anblick der Chinesin verwirrte ihn. Noch nie in seinem Leben hatte er solch eine Unschuld und Reinheit gesehen. Sie schien fast eine biblische Gestalt zu sein, vielleicht sogar ein Engel. Doch sein wölfischer Instinkt sagte ihm, dass dort mehr war. Der Blick in den dunklen Augen des Mädchens drückte das Gefühl aus, für das er unempfänglich geworden war: Mitleid. Mitleid und Angst. Mehr noch: Todesangst. Sie schien aus einer Welt zu kommen, in der es so etwas wie Leid und sinnlose Gewalt nicht gab. Sie wirkte wie ein Relikt aus alter Zeit, eine Porzellanpuppe in der Hand eines Kindes, dass nicht wusste, wie einfach dieses vermeintliche "Spielzeug" zerbrechen konnte. Und dieses Kind war die Gesellschaft Neo Tokyos. "Osamu!" hörte der Werwolf No. 6's Stimme. Er drehte sich um und sah den Cyborg, der ihn besorgt ansah. Neben ihr am Boden lag der Soldat, mit welchem sie gekämpft hatte. "Ist alles in Ordnung?" fragte sie weiter. Osamu nickte nur hastig. "Wir müssen hier weg! Schnell!" rief er, "Nimm den Typ mit. Androit." Dies waren seine einzigen Worte, während er weiterlief. Auch Rumiko, auf die er nach kurzer Zeit traf hatte ihren Gegner niedergerungen und folgte Osamu, der ihre nur die Worte: "Raus hier!" zurief. Tatsuya hingegen stand immer noch dem Soldaten gegen über, der seine Waffe auf ihn gerichtet hatte, während die Menschenmassen zwischen en beiden hindurch fluteten. Plötzlich sah Tatsuya für den Bruchteil einer Sekunde hinter dem Soldaten den silbernen Stahl einer Schwertklinge aufleuchten, bevor er zu Boden fiel. Tatsuya wusste genau, zu wessen Schwert die Klinge gehört und hielt Ausschau nach Rumiko. Doch statt ihr sah er Osamu, der ihm ein Zeichen gab, ihm zu folgen. Zusammen flohen die vier aus der Bahn. Draußen liefen sie allerdings nicht mit der Menschenmenge weiter, nicht wieder zurück zum Bahnsteig. Ihr Weg war entlang der Bahn, durch der schmale Zwischenraum zwischen den Wagen und der Betonwand, bis sie zu einer Eisentür kamen, die eigentlich dem Bahnhofspersonal vorbehalten sein sollte. Osamu, der als erster in der Reihe lief, riss die verschlossene Tür mit den letzten Kraftreserven in seinem Werwolfkörper auf und die KONs traten nacheinander durch die Tür. Sie befanden sich nun in einem kleinen, schmutzigen und einfachen Raum. Das Einzige, was sich außer ihnen und dem Androiden, den No. 6 mitnehmen sollte, in diesem Raum befand, war eine dunkelgrünlackierte Metalltreppe, deren Farbe schon großflächig abbröselte und den Blick auf das nackte, rostige Metall erlaubte. Eine Weile sagte niemand etwas und Osamu nahm seine menschliche Gestalt wieder an. "Was war'n los?" fragte Tatsuya, der sich auf die Treppe gesetzt hatte, und unterbrach damit die Stille. Alle Augen richteten sich auf Osamu, der auf dem Boden saß und, ohne das Verbotsschild an der Wand zu beachten, dabei war, sich eine Zigarette anzuzünden. Als er es geschafft hatte, lehnt er sich gegen die Wand und begann zu lachen. Es war kein fröhliches, oder erleichtertes Lachen, sondern ein irres Lachen. Ein Lachen, das puren Wahnsinn zu offenbaren schien. "Die Jungs haben uns erwartet," begann er, immer noch lachend, "Oder vielleicht nicht uns, aber irgendjemanden, der sie versucht aufzuhalten, was weiß ich! Auf jeden Fall sind die hier," Osamu klopfte gegen den Helm des Androiden, "nur dazu gemacht, um draufzugehen. Und noch was. Sie wollten uns was zeigen. Eine Person in dieser Bahn. Fragt mich nicht, warum, aber dafür hat sich der eine hochgejagt. Mit der Dragonfly. Übrigens wirklich sehr geile Waffen, Tatsuya!" Die anderen sahen Osamu an, der nun wieder einem Lachanfall unterlegen war. So hatten sie den Werwolf noch nie erlebt. Rumiko hatte sogar angstvoll den Griff ihres Schwertes umklammert. "Osamu, was genau ist passiert?" fragte No.6 mit fester, aber vorsichtiger Stimme. "Panische Kurzschlussreaktion, als ich sie gesehen haben," meinte Osamu, als er sich wieder beruhigt hatte. "Wen ,Sie' "? fragte No. 6 weiter und Osamu antwortete mit eiskalter Stimme: "Rumikos Freundin, die kleine Chinesin." "XIAN?" riefen Tatsuya und Rumiko wie aus einem Mund und der Scharfschütze sprang auf. "Sie wollen Xian töten," schrie er, "Ich muss zu ihr!" "Auch wenn sie das vor hatten, was ich nicht glaube, jetzt werden sie dass nicht mehr tun. Es ist keiner mehr da," entgegnete Osamu, immer noch so emotionslos wie vorher. Er wusste zwar genau, dass nicht alle der Androiden vernichtet worden waren, aber er wollte nicht mit Tatsuya streiten. "Was soll das heißen, du glaubst es nicht?" fragte Rumiko, "Denkst du immer noch an dein dämliches Teddybär-Prinzip?" Osamu schüttelte den Kopf und stand auf. "Ich weiß nicht was ich über dieses Mädchen denke, sie ist zu unschuldig. Aber eins ist klar: Sie war hier, das kann kein Zufall sein." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)