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Nights of Change

von

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Die Sonne war noch nicht untergegangen, als ich am späten Nachmittag aus unruhigem Schlaf erwachte. Meine Frau lag neben mir und schien immer noch friedlich zu schlummern.

Langsam erhob ich mich aus dem Bett, dabei darauf bedacht, sie nicht zu wecken, und lauschte, ob ich ein Rufen aus dem Kinderzimmer hörte. Vielleicht war es die Stimme meines Sohnes gewesen, die mich erwachen ließ.

Nichts war zu hören, außer der Atmung meiner schlafenden Frau. Damit hatte mein zu frühes Erwachen wohl nur etwas mit der Unruhe zu tun, die mich schon seit Tagen plagte.

Ich zog mich leise an und deckte meine Frau mit unserer Decke etwas mehr zu, ehe ich das Schlafzimmer verließ und in unser Wohnzimmer trat. Obwohl die Vorhänge vor dem Fenster dort geschlossen waren, konnte ich erkennen, dass es draußen noch hell war.

Ich ging in unsere Küche und nahm mir ein Glas, um mir etwas Blut von unseren Vorräten in dieses zu gießen. Ich hatte die Hoffnung, dass dieses mich ein wenig beruhigen würde.

Ich ließ mich mit dem gefüllten Glas auf einem der Küchenstühle nieder und schloss für einen kurzen Moment die Augen.

Sofort tauchten Bilder aus meinem Traum vor meinen Augen auf und ich wusste wieder, warum ich erwacht war. Ich hatte einen Albtraum gehabt.

Eine Gruppe von menschlichen Kriegern war in unser Haus eingedrungen und hatte uns bedroht. Sie hatten uns als Monster beschimpft und ich hatte versucht, meine Familie zu beschützen, als sie uns angriffen. Mein Versuch war jedoch nicht erfolgreich und so musste ich mit ansehen, wie sie meine Frau und meinen Sohn töteten, ehe sie mich schwer verletzt in meinem Haus zurückließen und dieses anzündeten, um mich mit diesem zu verbrennen.

Ich schüttelte mich, um diese Bilder loszuwerden, und stellte mein Glas auf den Tisch.

Es war nur ein Traum, redete ich mir ein. Ich hatte zwar schon davon gehört, dass ein paar Menschen bereits Vampire in ihren Verstecken aufgesucht und getötet hatten, aber diese waren dann auch vorher auffällig gewesen und somit zum Ziel solcher Aktionen geworden.

Wir verhielten uns dagegen ruhig. Wir vergriffen uns nicht an den Menschen, welche unweit unseres Wohnsitzes lebten, und auch ihr Vieh ließen wir in Ruhe. Stattdessen begnügten wir uns mit den Blutvorräten, die wir vom König bekamen, als Lohn für meine Dienste bei ihm. Außerdem betrieben wir auch Handel mit den Menschen und zeigten ihnen, dass wir friedlich waren. 

Mein Appetit war jedenfalls durch diese Bilder wieder vergangen. Ich würde so kein Blut hinunterbekommen.

Ich seufzte und stand wieder auf. Vielleicht würde mir der später zurückkommen, wenn ich den Traum weit genug vergessen hatte.

Ich ging zurück in unser Wohnzimmer und warf von diesem aus einen Blick in das Kinderzimmer unseres Sohnes. Einen Moment sah ich ihm dabei zu, wie er in seinem Bettchen friedlich ruhte und sich gelegentlich hin und her drehte, ehe ich leise sein Zimmer betrat und die Decke hochhob, die er mit seiner Dreherei aus dem Bett befördert hatte.

Vorsichtig legte ich sie wieder über ihn, damit er nicht fror. Er erwachte davon nicht und drehte sich von mir weg, wobei er die Decke mit sich zog, die ich ihm gerade zurückgegeben hatte. Ich schmunzelte und verließ sein Zimmer wieder.

Dieses Mal warf ich im Wohnzimmer einen Blick zur Uhr dort und überlegte. Noch war die Sonne vermutlich nicht gänzlich untergegangen, aber sie sollte schon tief genug stehen, damit die Bäume ihre direkten Strahlen auf dieses Haus verhinderten. Selbst mit den wenigen Blättern, die sie noch trugen, boten sie uns immer noch einen gewissen Schutz.

Vielleicht könnte ich mich um die Blumen in unserem Garten kümmern, während meine Familie weiterschlief. Damit wäre ich zumindest erst einmal beschäftigt.

Ich verließ leise unser Haus und verspürte so gleich, wie meine Haut auf das restliche Tageslicht mit einem Kribbeln reagierte. Ein Gefühl, welches mir nicht unbekannt war. In vielen der Kriege, welchen ich beigewohnt hatte, war ich auch gezwungen worden, im Tageslicht zu kämpfen, bis ich die Verbrennungen nicht mehr aushielt und mich meine Instinkte fliehen ließen. Dass ich dies überlebt hatte, hatte ich vermutlich auch meinen Kameraden zu verdanken, die meine Wunden und mich danach versorgt hatten.

Jedenfalls hatte ich in diesen Zeiten eine gewisse Toleranz gegenüber Sonnenlicht erworben und somit machte mir der Verbrennungsschmerz durch diese weniger aus, als es bei jedem anderen Vampir der Fall war. Ich hatte es ausprobiert und statt nach den üblichen drei Stunden erst nach vier die Flucht aus der Sonne angetreten.

Ich seufzte. Der Gedanke daran, dass ich diese Toleranz dadurch erworben hatte, dass ich auf den Schlachtfeldern gegen andere Vampire und Nichtvampire gekämpft hatte, war keiner, mit dem ich mich von meinem Albtraum ablenken wollte. Vermutlich waren die Erinnerungen daran auch mit Grund für meine Unruhe.

Ich schüttelte den Kopf und schritt um unser Haus, um zu dem kleinen Blumenbeet zu gelangen, welches wir dort angelegt hatten. Dass zu dieser Zeit überhaupt noch etwas blühte, war vermutlich dem milden Wetter der letzten Wochen zu verdanken. Es war noch viel zu warm für November, aber wahrscheinlich würde sich das sehr bald ändern.

Ich kniete mich vor dem Beet hin, um ein wenig Unkraut zu zupfen, als mich ein Geräusch innehalten ließ. Es klang wie die Hufe eines Pferdes, die den Pfad entlangkamen, welcher an unserem Haus vorbeiführte.

Ich erhob mich wieder, ehe ich einen Blick in Richtung des Geräusches warf. Tatsächlich schien jemand mit seinem Tier langsam auf mich zuzukommen und da es immer noch Tag war, war es vermutlich kein Bote vom König.

Um dem Reisenden keinen Grund zu geben, anzuhalten, versteckte ich mich im Schatten der Bäume und hoffte, dass er einfach an unserem Haus vorbeireiten würde.

Leider tat er mir den Gefallen nicht, sondern stoppte sein Tier unweit vor dem Haus, ehe er abstieg und sich anscheinend umsah. Ich musterte ihn beunruhigt und entdeckte sowohl das Schwert an seiner Seite, als auch die beiden Dolche, die er mit sich führte. Dieser Mann war vermutlich kein einfacher Durchreisender.

Als er sich kurz von mir abwandte, fielen mir die Wappen auf, welche er am Arm trug. Das Erste von ihnen hatte ich schon ein paarmal gesehen. Es gehört zu denen, die auf uns Jagd machten. Hatte jemand diesen Mann geschickt, um uns anzugreifen? Ich schluckte. Sollte mein Traum etwa wahr werden?

Während er unser Haus einmal umrundete, versuchte ich herauszufinden, ob außer ihm noch mehr von seinen Leuten in der Nähe waren. Er schien allein gekommen zu sein, was meine Familie vielleicht etwas weniger in Gefahr brachte.

Als er sich über Blumen beugte, welche ich gerade noch gepflegt hatte, wagte ich einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu, wobei ich für ihn immer noch unentdeckt blieb. Ich wollte mit ihm reden, warum er hierhergekommen war und ihm sagen, dass wir friedlich wären.

Seine Reaktion erfolgte auch prompt und er zog sein Schwert, ehe er sich zu mir umdrehte, mich jedoch nicht entdeckte. Erneut musterte ich ihn. Er schien nach mir zu suchen oder zumindest nach dem Grund für das Geräusch, welches meine Bewegung verursacht hatte.

Als er mich jedoch nicht fand, wandte er sich von mir ab und schritt zurück in Richtung seines Pferdes. Vielleicht würde er ja wieder verschwinden und nicht wieder kommen. Er blieb jedoch vor dem Tier stehen und zog einen Zettel aus der Satteltasche hervor, welchen er leise studierte.

„Das ist die richtige Adresse“, hörte ich ihn murmeln. „Aber es wirkt so friedlich.“

Er steckte den Zettel zurück in die Tasche und umrundete erneut unser Haus, wobei er allerdings vor dem Küchenfenster stehen blieb und hineinsah.

„Aber das ist doch …“, entfuhr es ihm dann und ich wusste, dass er das Glas mit dem Blut entdeckt hatte, welches ich dort hatte stehen lassen. „Wenn hier mehrere von denen wohnen, sollte ich lieber Verstärkung holen.“

Verstärkung klang überhaupt nicht gut.

Ich folgte ihm leise, als er zurück zu seinem Pferd schritt und packte ihn, bevor er sein Tier erreichte, wobei ich ihm meine Hand dabei auf den Mund legte, um ihn am Schreien zu hindern. Ich wollte nicht, dass er meine Frau oder meinen Sohn dadurch weckte.

Er wehrte sich gegen mich, als ich ihn zurück hinters Haus zog und traf mich dabei mit seinem Schwert, was mich ihn loslassen ließ. Sofort stellte er sich mir entschlossen entgegen.

„Wusste ich es doch!“, meinte er und hielt das Schwert drohend in meine Richtung. „Du musst dich schon besser anstellen.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, du verstehst mich falsch“, erwiderte ich ihm. „Ich will nicht mit dir kämpfen. Ich möchte dich nur bitten, in Frieden von hier fortzugehen und uns in Ruhe zulassen.“

Er senkte seine Klinge nicht und sah mich verärgert an.

„Das werde ich tun, wenn du tot bist“, gab er zurück und schwang sein Schwert in meine Richtung, wobei ich seinem Hieb jedoch geschickt auswich.

Erneut schüttelte ich den Kopf.

„Das musst du nicht tun“, versuchte ich es erneut. „Verschwinde von hier und komm nicht zurück, Mensch. Wir lassen deine Familie in Frieden. Lass du dafür meine auch in Frieden. Wir haben euch nichts getan und es ist nicht euer Blut, das uns ernährt. Um des Friedens willen, verschwinde, Sterblicher.“

Er lachte und schüttelte den Kopf.

„Das werde ich nicht tun“, widersprach er mir. „Ihr seid eine Bedrohung für unser Land und solltet besser dorthin zurück, wo ihr hergekommen seid.“

Wir waren eine Bedrohung? Seit wann das denn? Gut, es gab einige Vampire, von denen man das behaupten konnte, aber doch nicht von allen, und wir lebten in diesem Land jetzt schon seit Generationen. Ich selbst war hier geboren und groß geworden. Was also gab ihm das Recht, zu behaupten, dass wir nicht zu diesem Land gehörten?

„Dieses Land, wer hat bestimmt, dass es nur euch gehört?“, fragte ich ihn ein wenig verärgert und machte einen Schritt auf ihn zu. „Und warum können wir nicht friedlich koexistieren?“

Sein Blick wirkte entschlossen. Er war es schließlich gewohnt, mit Vampiren wie mir zu kämpfen.

„Wir waren zuerst hier und wenn ihr nicht verschwindet, werde ich euch töten“, entgegnete er mir und klang mit seinem Argument dabei wie ein kleiner Junge, der seinem jüngeren Geschwisterkind verbot, mit dessen Spielsachen zu spielen, weil er ja der ältere war und es ihm vorher schon gehörte. Dabei war ich eindeutig älter als er. Er war vermutlich gerade einmal Mitte dreißig, während ich bereits über fünfzig war, auch wenn man mir das, seit ich volljährig geworden war, nicht mehr ansah. Ich war also wesentlich länger hier als er.

Ich machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, was ihn dazu veranlasste, mich anzugreifen. Für einen Menschen war er schon ziemlich schnell damit, was ihm mir gegenüber aber auch nichts brachte. Ich entwaffnete ihn mit Leichtigkeit und beförderte ihn rücklings auf den Boden, noch ehe er überhaupt verstand, was passierte.

Mit einer Hand hielt ich ihn unter mir fest, während ich ihn mit meiner anderen zwang, mich anzusehen und ich konnte sogar leichte Angst in seinem Blick erkennen, als ich das tat. Ich mied es jedoch, ihn in seine Augen zu sehen, denn ich wollte ihn schließlich nicht hypnotisieren.

„Dann wirst hier aber nur du sterben“, warnte ich ihn. „Daher sagte ich es dir zum letzten Mal: Verschwinde von hier, Mensch, und lass uns in Frieden. Diese ewigen Kriege haben schon genug sinnlose Tote gefordert. Opfere dich nicht auch noch dafür.“

Seinem Blick nach schien er tatsächlich kurz zu überlegen und ich hatte sogar Hoffnung, dass er mich verstehen würde, als ich plötzlich einen Schmerz in meiner Seite spürte und fluchte. Für einen Moment hatte ich vergessen, dass er außer seinem Schwert noch zwei Dolche dabeigehabt hatte.

Ich ließ ihn los und wich vor ihm zurück, ehe ich besorgt meine Wunde betrachtete. Sie wies jedoch keine Verfärbung auf, was für mich hieß, dass es keine Silberklingen waren.

„Das werden wir ja sehen“, schimpfte er und attackierte mich erneut mit dem Dolch in seiner Hand. Ich wehrte mich nicht, da ich ihm immer noch beweisen wollte, dass ich nicht sein Feind war. Ich hoffte zumindest, dass er zur Vernunft käme, wenn ich ihn nicht mehr angriff. Ich wich ihm lediglich so weit aus, dass mich seine Hiebe nicht tödlich trafen. Irgendwann würde er dadurch müde werden.

Als ich mit dem Rücken an die Hauswand stieß, hörte ich ihn schnaufen.

„Was, in Trigons Namen, bist du für ein Monster?“, fluchte er und zeigte auf die Verletzungen, die seine Angriffe mir verursacht hatten. „Der Blutverlust müsste dich längst umgebracht haben.“

Damit hatte er recht. Wenn ich ein Mensch gewesen wäre, so wie er, dann wäre ich sicherlich schon durch diese Wunden verblutet. Aber das war ich nicht, denn mein Körper heilte diese Verletzungen ganz gut von allein. Allerdings brauchte ich dafür Blut als Ausgleich und da ich heute noch keines zu mir genommen hatte, bekam ich so langsam Hunger darauf, was wiederum für diesen Mann vor mir schlecht war.

„Ich bin kein Monster, aber ich sterbe halt auch nicht so einfach wie ein Mensch“, erwiderte ich ihm. Ich fing einen weiteren Angriff von ihm ab, in dem ich sein Handgelenk packte und es so ruckartig herumdrehte, dass ich ein Knacken hörte, als seine Knochen brachen und er den Dolch dadurch aus der Hand verlor.

Ich hatte es schließlich im Guten versucht. Ich war geduldig genug mit ihm gewesen. Aber das war jetzt zu Ende. Jetzt würde er meine Beute werden und sterben.

Er schrie auf vor Schmerz und noch bevor er irgendwie weiter reagieren konnte, packte ich ihn an der Schulter und beförderte ihn mit dem Rücken an die Stelle der Wand, an welcher ich vorher noch gestanden hatte. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass er mit der anderen Hand seinen zweiten Dolch ziehen wollte, welchen ich ihm aber sogleich entwendete, während ich wütend meine Krallen in seine Brust drückte und da er keine Rüstung unter seiner Kleidung trug, bohrten sich diese in seine Haut, was ihn wieder aufschreien ließ.

Es war mir allerdings egal, ob er jetzt Schmerzen hatte oder nicht. Ich war wütend auf ihn dafür, dass er meine Familie und mich bedrohte. Er war doch selbst schuld. Warum musste er mich auch mit seinen Angriffen provozieren?

„Verdammt! Ich wollte, du wärst gegangen, Mensch. Dann müsste ich das jetzt nicht tun“, schimpfte ich mit ihm und schob ihm ein wenig an der Wand hoch, sodass ich mein Knie zwischen seine Beine bekam. Damit wollte ich verhindern, dass sein Körper mir entglitt, wenn er bewusstlos wurde durch das, was ich vorhatte. In ihm löste das jedoch Panik aus, weshalb er wieder schrie und nun nur noch mit seiner Faust nach mir schlug.

Mich störte das nicht wirklich, allerdings wusste ich nicht, ob er, wenn er weiter so laut war, nicht doch noch meine Familie wecken würde. Mein Sohn musste nicht unbedingt mitbekommen, was sein Vater hier tat. Ich legte dem Mann also meine Hand auf den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen und schob damit gleichzeitig seinen Kopf ein wenig nach hinten, sodass ich seinen Hals mir etwas zugänglicher machte.

„Sei still, du weckst den Kleinen nur auf mit deinem Geschrei“, meinte ich zu ihm, ehe ich zubiss und zu trinken begann. Er versuchte erneut zu schreien, was dieses Mal jedoch meine Hand verhinderte. Wieder schlug er nach mir, was ich aber ignorierte. Ich war es schließlich gewohnt, dass sich meine Beute auch einmal gegen mich zur Wehr setzten. Helfen würde es ihm trotzdem nicht, denn ich würde ihn deshalb jetzt weder los noch von ihm ablassen.

Als sein Herzschlag schwächer wurde, erstarben auch seine Versuche, nach mir zu schlagen und ich verspürte stattdessen, dass er nach einem weiteren unterdrückten Schrei in meine Hand biss. Aber auch das ignorierte ich. Das war nur ein verzweifelter Versuch von ihm, dem Unausweichlichen zu entfliehen.

Ich trank weiter von ihm und erwartete, dass sein Herz stoppte, während ich ihn vor Verzweiflung seine letzten Tränen hinunterschlucken hörte. Aber der Moment, in welchem er endlich starb, schien nicht zu kommen. Stattdessen verspürte ich, wie sein Körper plötzlich wärmer wurde, was mich irritierte. Ich nahm meinen Kopf von seinem Hals und sah zu ihm, nur um festzustellen, dass er mein Blut aus der Wunde trank, die er mir mit seinem Biss in meine Hand zugefügt hatte.

Erschrocken ließ ich ihn los und wich vor ihm zurück, wodurch er zu Boden fiel. Dann starrte ich auf meine Hand. Er hatte mein Blut getrunken. Ein Mensch hatte mein Blut getrunken.

„Scheiße! Warum hast du das getan, Mensch?“, entfuhr es mir, während sein Blick, den er mir zuwarf, erst glasig und dann trüb wurde. Sein Herzschlag stoppte und ich war mir sicher, dass er nun tot war.

Vorsichtig hockte ich mich zu ihm hin, da ich seine Leiche nicht vor unserem Haus liegen lassen wollte und spürte, dass sein Körper immer noch sehr warm war. Fast schon als hätte er Fieber gehabt.

Als ich ihn anheben wollte, meinte ich, sein Herz wieder schlagen zu hören, was aber unmöglich war. Schließlich war er gerade gestorben. Dennoch tastete ich seinen Hals und seine Brust ab, um eine Bestätigung dafür zu finden, dass ich mir dieses Geräusch nur einbildete. Leider bildete ich mir das nicht ein. Es schlug wieder. Sein Herz hatte wieder zu schlagen begonnen, auch wenn es das nur sehr schwach tat.

Ich versuchte zu verstehen, was hier gerade passierte und fühlte mich an den Tag erinnert, an welchen ich zu einem richtigen Vampir geworden war. Auch ich hatte Vampirblut zu mir genommen und danach Fieber bekommen, so wie es bei uns Vampiren nun einmal üblich war, wenn wir unsere sterbliche Seite ablegten.

Sollte das etwa heißen, dass dieser Mann hier gerade auch so etwas durchmachte? Aber wie konnte das sein? Ein Mensch konnte nicht zu einem Vampir werden und ein Vampir nicht zu einem Menschen. Das war einfach Fakt.

Hatte ich mich etwa geirrt und er war kein Mensch? Nein, ausgeschlossen. Wäre er etwas anderes gewesen, hätte ich das in seinem Blut geschmeckt. Er war ein Mensch gewesen.

Ich schüttelte den Kopf. Er war immer noch ein Mensch, denn er war ja nicht tot, und dass er nicht gestorben war, durch meine Aktion, hatte irgendetwas zu bedeuten. Vermutlich wäre es daher besser, wenn ich ihn erst einmal mit ins Haus nahm, um ihn zu versorgen.

Ich erhob mich vorsichtig mit ihm im Arm und trug ihn mit mir ins Wohnzimmer, wo mich meine Frau bereits erwartete und mich mit entsetztem Blick anstarrte, als ich einen verletzten Fremden in unser Haus brachte.

„Ich habe Schreie gehört“, begrüßte sie mich und kam auf uns zu, „Was ist passiert?“

Sie musterte ihn und runzelte die Stirn.

„Das erkläre ich dir später. Wir sollten ihn jetzt erst einmal versorgen“, meinte ich zu ihr. Ich ging an ihr vorbei in unser Gästezimmer, wo ich den Mann zunächst auf das Bett legte, ehe ich damit begann, ihn zu entkleiden, damit ich seine Verletzungen begutachten und versorgen konnte.

Sie folgte mir stumm und beobachtete mich einen Moment lang bei dem, was ich tat.

„Ich werde Christian sagen, dass er in seinem Zimmer bleiben soll, und dir etwas bringen, womit du die Verletzungen von dem Mann versorgen kannst“, sagte sie dann und ich nickte, während ich seine Wunden betrachtete. Meine Krallen hatten sich anscheinend gut in seine Brust gebohrt, aber er blutete dort nicht mehr. Wie sollte er das auch? Ich hatte ihm schließlich sein Blut gänzlich genommen.

Ich schüttelte den Kopf und tastete nach einer der Wunden, was ihn tatsächlich zusammenzucken, aber nicht erwachen ließ. Als ich ihn von seiner Hose befreien wollte, stellte ich etwas angewidert fest, dass er sich anscheinend besudelt hatte.

Auch das war etwas, was mich an meine eigene Verwandlung erinnerte. Als mein Körper das abstieß, was er nicht mehr brauchte, hatte ich es gerade so noch zur Toilette geschafft. Der Mann hier allerdings war bewusstlos und hatte dazu nicht die Chance.

Ich schüttelte den Kopf. Wieder etwas, was er gar nicht durchmachen sollte.

„Was ist los?“, fragte meine Frau, als sie hinter mir wieder ins Zimmer kam.

„Ich glaube, er macht gerade eine Verwandlung durch“, erwiderte ich ihr und drehte meinen Kopf zu ihr um. „Auch, wenn das gar nicht möglich ist. Er ist schließlich ein Mensch.“

Wieder runzelte sie die Stirn.

„Vielleicht ist er einer, bei dem die Volljährigkeitszeremonie vergessen wurde?“, meinte sie, doch ich schüttelte wieder den Kopf, ehe ich den Mann erneut anhob. Ich konnte ihn so nicht herumliegen lassen.

„Ich werde ihn waschen und danach seine Verletzungen versorgen. Bring mir bitte Verbandszeug und saubere Kleidung ins Badezimmer“, bat ich meine Frau und sie nickte nur stumm, während ich ihn nach nebenan ins Bad trug. Dort angekommen, befreite ich ihn von dem Rest, was er noch am Leib trug, ehe ich ihn in unsere Wanne legte und vorsichtig abzuspülen begann.

Wieder zuckte er dabei zusammen und ich hatte sogar das Gefühl, er würde erwachen, als seine Augen sich kurz ein wenig öffneten. Das war aber auch schon alles und er blieb weiterhin bewusstlos. Allerdings schien sein Fieber nachzulassen, als ich ihn vorsichtig abtrocknete und mit dem, was meine Frau mir neben der Tür hingestellt hatte, seine Wunden zu versorgen begann. Sie wirkten schon nicht mehr ganz so schlimm und ich meinte sogar, dass sie schneller verheilten als üblich.

Nachdem ich ihn versorgt und ihn zumindest im Schritt bekleidet hatte, trug ich ihn zurück ins Gästezimmer, wobei ich feststellte, dass meine Frau anscheinend auch das Laken vom Bett gewechselt hatte. Ich legte den Mann dort hinein und warf eine Decke über seinen nackten Körper, weil ich davon ausging, dass er sich damit vermutlich wohler fühlen würde.

Jetzt mussten wir nur darauf warten, dass er wieder erwachte. Dann könnte ich mit ihm reden. Aber worüber wollte ich denn reden? Er wusste sicherlich auch nicht, was hier vor sich ging.

„Papa?“, hörte ich die Stimme meines Jungen aus dem Nachbarzimmer und ich seufzte.

Wie lange dieser Mann noch bewusstlos sein würde, wusste ich ohnehin nicht, daher konnte ich mich jetzt auch erst einmal mit meinem Sohn beschäftigen.

Ich verließ also das Gästezimmer und zog die Tür ran, verschloss sie aber nicht. Ich wollte mitbekommen, wenn er erwachte.

„Ich komme gleich zu dir“, rief ich Christian zu, der daraufhin grinsend durch einen Türspalt aus seinem Zimmer sah. „Ich muss mir nur eben etwas Sauberes anziehen.“

Ich hörte ihn kichern und ging in unser Schlafzimmer, um mir dort saubere Kleidung herauszuholen. Mit dieser betrat ich dann erneut das Badezimmer und befreite mich dort von dem Blut, welches getrocknet an mir klebte, ehe ich mir etwas Sauberes anzog und die schmutzige Kleidung von ihm und von mir in den Wäschekorb warf. Darum würde sich meine Frau später kümmern.

Als ich wieder ins Wohnzimmer trat, hörte ich sie aus der Küche, wie sie mit unserem Sohn sprach.

„Soll ich dir den Rand abschneiden?“, fragte sie ihn und ich folgte ihrer Stimme.

„Nein. Ich bin schon groß und esse mit Rand“, erwiderte er ihr stolz, als ich in die Küche kam.

Ich sah ihm dabei zu, wie er von dem Brot abbiss, welches er anscheinend mit der Hilfe von meiner Frau geschmiert hatte.

„Ja, das stimmt. Du bist schon ein großer Junge“, stimmte ich ihm zu und er drehte seinen Kopf zu mir. „Nun iss brav dein Frühstück und danach können wir später noch ein wenig zusammen mit deinen Bausteinen spielen.“

Er schenkte mir ein Lächeln und biss erneut in sein Brot, während ich mich meiner Frau zuwandte.

„Da steht ein Pferd in unserem Garten“, meinte sie und ich folgte ihrem Blick hinaus aus dem Fenster. Richtig, der Fremde war mit einem Pferd hergekommen und das lief jetzt draußen herum.

„Das ist seines“, erklärte ich ihr. „Ich fange es eben ein und binde es an, damit es keine Dummheiten macht.“

Sie nickte und drehte den Kopf zu mir um.

„Und danach musst du mir erzählen, was überhaupt vorgefallen ist“, sagte sie und warf einen kurzen Blick zu unserem Sohn, der aber nur friedlich sein Brot aß und uns wohl nicht zuhörte. „Am besten, wenn er seinen Mittagsschlaf hält.“

Auf das Wort Mittagsschlaf reagierte unser Junge und er drehte seinen Kopf zu uns um.

„Ich bin doch erst aufgestanden“, widersprach er ihr.

„Ja, das ist richtig. Aber Mama und Papa müssen nachher über etwas reden, wo du dann nicht dabei sein musst“, erklärte ich ihm ruhig und strich ihm sanft über den Kopf. „Erwachsenen Dinge.“

Er verzog sein Gesicht zu einem Schmollen.

„Ich kann mit deiner Mama auch reden, wenn du aufgegessen hast und du dich artig für einen Moment in deinem Zimmer beschäftigst“, ergänzte ich und er hörte tatsächlich auf damit zu schmollen.

„Aber danach musst du mit mir bauen“, bat er mich und ich nickte, was er mir mit einem Lächeln quittierte, ehe er sich wieder seinem Brot zuwandte.

Ich seufzte und verließ die Küche. So langsam sollte ich mich um das Tier des Fremden kümmern und auch um die Waffen, die ich ihm entwendet hatte.

Ich musste nicht einmal lange nach dem Pferd suchen, denn es stand vor unserem Blumenbeet und tat sich an ebendiesen gütig, als ich um das Haus herumging. Es gefiel mir zwar nicht, dass es diese damit zerstörte, aber mich darüber aufzuregen brachte im Moment auch nichts.

Vorsichtig ging ich näher zu ihm und griff nach seinen Zügeln. Es reagierte zwar kurz irritiert auf mich, ließ sich dann aber von mir weg von den Blumen und zu einem der Bäume in der Nähe führen, wo ich es anband, damit es nicht davonlief. Ich war mir jedenfalls sicher, dass die Männer, zu denen sein Besitzer gehörte, dieses Tier erkennen würden und uns dann noch mehr von ihnen aufsuchen würden.

Ich nahm dem Pferd die Satteltaschen ab und brachte sie zur Haustür, ehe ich das Haus noch einmal umrundete und sowohl das Schwert als auch die Dolche des Fremden einsammelte.

Mit seinen Sachen betrat ich dann erneut unsere Wohnstube und legte diese dort erst einmal ab. Ich wollte zumindest fürs Erste keine Waffen in seine Nähe bringen, solange ich nicht wusste, wie er nach seinem Erwachen reagieren würde.

„Er war bewaffnet?“, fragte meine Frau, nachdem sie einen Blick auf das geworfen hatte, was ich hereingebracht hatte, und ich nickte.

Dann sah ich mich um, weil ich wissen wollte, ob Christian noch in der Nähe war.

„Der Junge ist in seinem Zimmer, so wie du es ihm gesagt hast“, meinte sie, als ihr meine Reaktion auffiel. „Und jetzt erzähl mir bitte, was vorgefallen ist. Warum hast du einen verletzten Fremden in unser Haus gebracht?“

Ich atmete tief durch und wandte mich ihr zu.

„Irgendjemand hat ihn geschickt, damit er uns tötet, weil wir Vampire sind. Ich habe versucht, mit ihm zu reden und ihn davon abzubringen, doch er hat mich nur angegriffen. Erst habe ich das geduldig ertragen und gehofft, dass er einsehen würde, dass wir friedlich sind, aber das ist nicht passiert und er ließ nicht ab davon, uns töten zu wollen. Also habe ich ihn entwaffnet und ihm meine Fänge in den Hals geschlagen, um sein Blut zu trinken und ihn damit umzubringen“, begann ich zu erklären und stoppte kurz. „Ich hatte ihm dabei meine Hand auf den Mund gelegt, damit seine Schreie euch nicht weiter belästigen würden, und er ist dabei anscheinend auf die Idee gekommen, mich in diese zu beißen und dann hat er damit begonnen, das Blut zu trinken, welches er dort von mir bekam.“

Sie folgte meinen Worten aufmerksam und runzelte dann die Stirn.

„Das erklärt aber nicht, warum …“, erwiderte sie, doch ich unterbrach sie mit einem Kopfschütteln.

„Er hätte sterben müssen dadurch, dass ich so viel von seinem Blut trank, aber das tat er nicht. Als ich merkte, was er tat, ließ ich ihn zu Boden fallen und sein Herz stoppte. Er war also tot. Doch als ich seine Leiche wegschaffen wollte, begann sein Herz plötzlich wieder zu schlagen und weil ich das genauso seltsam fand, wie die Tatsache, dass er plötzlich warm wurde, habe ich mich dazu entschieden, ihn erst einmal mit zu uns zu nehmen“, ergänzte ich meine Erklärung. „Und bevor du fragst, nein, er war kein Vampir, bei dem die Zeremonie vergessen wurde. Sein Blut war menschlich.“

Wieder runzelte sie die Stirn und sie sah nachdenklich zur Seite.

„Aber er macht die Phasen einer Verwandlung durch“, meinte sie dann. „Die Sache mit dem Blut, dann das Fieber und das Lösen. Alles Dinge, die wir auch durchlaufen.“

Damit hatte sie definitiv recht. Nur warum das passierte, verstand ich einfach nicht. Warum war dieser Fremde nicht einfach gestorben?

„Wir sollten mit ihm reden, wenn er aufgewacht ist“, erwiderte ich ihr und ging auf sie zu, um sie in den Arm zu nehmen. „Und wenn er euch dann immer noch bedroht, reiße ich ihm den Kopf ab.“

Sie schüttelte den Kopf und stieß mich leicht von sich, sodass ich meine Umarmung wieder löste.

„Dann tu das aber draußen. Ich habe keine Lust auf noch mehr Sachen mit Blutflecken“, sagte sie und ich musste leise lachen, ehe ich nickte und ihr einen Kuss gab.

„Ich werde daran denken“, versprach ich ihr und wandte mich von ihr ab. „Ich werde jetzt einmal mein Versprechen einlösen und mit Christian spielen. Mittagessen gibt es zur üblichen Zeit heute, oder?“

Ich sah noch einmal kurz zu ihr und sie nickte. Damit blieben ja noch ein paar Stunden für unsere Vater-Sohn-Zeit.

Ich wandte mich endgültig von ihr ab und ging in das Zimmer unseres Sohnes, wo dieser mit dem Rücken zu mir gedreht auf dem Boden saß und in einem seiner Bücher blätterte. Neben ihm hockte eines seiner Kuscheltiere und ich hörte, wie er diesem leise erzählte, was in dem Buch passierte.

„Da sitzen sie alle zusammen und essen“, sagte er gerade, als ich nähertrat und da er mich wohl gehört hatte, drehte er seinen Kopf zu mir um. „Papa, guck, ich lese gerade Benny vor.“

Er zeigte auf das Kuscheltier neben ihm und ich nickte, ehe ich mich zu ihm hinhockte.

„Das machst du ganz toll. Darf ich auch mitzuhören?“, fragte ich ihn und er lächelte.

„Ja, Papa“, erwiderte er mir stolz und blätterte das Buch um. „Jetzt räumen sie alle auf.“

Er zeigte auf die Bilder, welche dort abgebildet waren. Ich lauschte seiner Erzählung und war überrascht, mit welcher Begeisterung er die Geschichte aus dem Buch erzählte, obwohl er dies nur anhand der Bilder tat. Vermutlich hatte er sich sehr viel davon gemerkt, als wir ihm dieses vorgelesen hatten.

Als er mit der letzten Seite und seiner Erzählung fertig war, schlug er das Buch zu und stand auf.

„Jetzt muss Benny ins Bett“, verkündete er mir und drückte mir sein Kuscheltier in die Hand. Ich verstand seine Aufforderung und legte es wie von ihm gefordert auf sein Bett, während er sein Buch zurück in sein Regal stellte. Als ich mich ihm wieder zuwandte, zog er gerade seine Bausteinkiste aus einem der Schränke.

Ich ging zu ihm und half ihm dabei, ehe ich mit ihm zu bauen begann.

Wir erschufen ein kleines Dorf, mit welchem wir uns bis zur Mittagszeit gut beschäftigten und was ihm anscheinend so viel Spaß bereitete, dass er meine Aufforderung zum Aufräumen schlichtweg erst einmal ignorierte.

„Christian, wir müssen die Sachen jetzt wegräumen“, wiederholte ich meine Aufforderung an ihn und er sah mich traurig an. „Es gibt gleich Mittag und danach ist der Mittagsschlaf dran.“

„Ich will aber noch weiterspielen“, sagte er mir. „Du kannst doch Mama sagen, dass wir ein wenig später essen wollen.“

Ich seufzte und begann nun selbst damit, ein paar seiner Bausteine wegzuräumen, was ihm überhaupt nicht passte.

„Papa, nein“, schimpfte er und riss mir die Steine aus der Hand. „Nicht wegräumen. Wir spielen doch noch.“

„Christian, wir spielen jetzt nicht mehr, sondern räumen auf“, ermahnte ich ihn etwas strenger und dieses Mal legte er auch von allein ein paar der Bausteine weg.

Er wirkte allerdings immer noch sehr unzufrieden damit und ich seufzte.

„Na gut, eines der Häuser darf stehen bleiben. Aber nur, wenn du nach dem Essen trotzdem deinen Mittagsschlaf machst und nicht heimlich spielst“, versuchte ich ihn aufzumuntern.

Er nickte und warf mir ein kurzes Lächeln zu, ehe er etwas schneller begann aufzuräumen. Nachdem der letzte Baustein weggeräumt war, hob ich die Kiste für ihn an und stellte sie zurück an ihren Platz. Dann drehte ich mich zu ihm um und war überrascht, als er mich plötzlich umarmte.

„Ich möchte nach dem Schlafen weiter spielen mit dir“, sagte er mir und ich strich ihm über den Kopf, ehe ich nickte.

„Ja, das können wir machen und jetzt lass uns in die Küche gehen.“ Er ließ mich los und wandte sich von mir ab. Ich folgte ihm langsam ins Wohnzimmer, von welchem er aus sofort zur Küche ging, während ich noch einen Blick in unser Gästezimmer warf.

Der Fremde schien weiterhin bewusstlos zu sein und lag fast regungslos im Bett. Vorsichtig schritt ich näher zu ihm, weil ich wissen wollte, ob er nicht doch bereits gestorben war, musste allerdings nicht bis an seine Seite, um zu sehen, dass er atmete. Außerdem hörte ich auch seinen Herzschlag, als ich mich bewusster darauf konzentrierte. Tot war er also nicht.

Und noch etwas anderes nahm ich von ihm wahr, was mich sogar ein wenig verwunderte. Sein Geruch hatte sich verändert. Er roch nicht mehr so sehr nach Mensch, wie er das vor unserem Kampf getan hatte. Dafür haftete ihm nun eine vampirische Note an, was mich meine Stirn runzeln ließ.

Ich schüttelte den Kopf und wandte mich wieder ab. Dieser Fremde war schon sehr seltsam und so lange er nicht wach war, konnte ich ihn auch nicht befragen.

Ich verließ unser Gästezimmer wieder und suchte stattdessen meine Frau und meinen Sohn in der Küche auf, die beide am Küchentisch saßen.

„Guck, Papa ist jetzt auch da. Jetzt kannst du essen, Christian“, erklärte sie unserem Sohn, vor dem sie einen Teller mit Mittagessen hingestellt hatte, während sie sich das Glas mit Blut nahm, welches sie sich wohl eingeschenkt hatte. „Mama isst jetzt auch.“

Der Junge nickte und warf dann einen erwartungsvollen Blick zu mir.

„Ich hatte schon“, erklärte ich ihm und ließ mich auf dem Stuhl neben meiner Frau nieder. Wieder nickte unser Sohn und begann mit seiner Gabel vorsichtig das zu essen, was vor ihm auf dem Teller lag.

„Ich habe seine Taschen durchsucht, bevor ich eure Sachen in die Waschmaschine steckte“, erhob meine Frau dann das Wort und sie drehte ihren Kopf zu mir um, „Ich habe seine Brieftasche gefunden. Sein Name lautet Milan Antari und er scheint eine Familie zu haben.“

Sie deutete mir zur Küchentheke, wo sie die besagte Brieftasche abgelegt hatte. Ich nickte und ging zu dieser, um ebenfalls einen Blick in diese zu werfen. Ich fand seinen Ausweis und das Bild von einer Frau, so wie etwas Geld und die Zeichnung eines Kindes. Ich betrachtete einen Moment nachdenklich das Gezeichnete, ehe ich dieses mit den restlichen Sachen zurücksteckte und die Brieftasche wieder auf die Theke legte.

„Ich war außerdem kurz bei ihm drin. Bist du dir sicher, dass er ein Mensch war?“, fragte sie mich und ich wusste, worauf sie anspielte. Trotzdem nickte ich. Ich hatte mich nicht geirrt.

„Ich bin mir da sehr sicher“, erwiderte ich ihr und setzte mich wieder zu ihr.

Einen Moment lang sahen wir beide Christian beim Essen zu, ehe sie sich dann erhob und zum Schrank ging, um aus diesem einen Tonkrug und einen Becher hervorzuholen.

„Was hast du vor?“, wunderte ich mich, während sie den Krug mit Wasser füllte.

„Ich bereite für ihn etwas zu trinken vor. Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, dass er Durst hat, wenn er aufwacht“, erklärte sie mir. „Ich hatte jedenfalls welchen, als ich damals an meinem ersten Abend nach meiner Aufnahmezeremonie erwacht bin.“

„Ja, den kenne ich auch, aber der war mehr auf Blut als auf Wasser“, stimmte ich ihr zu.

„Und ich kann mir vorstellen, wie er reagiert, wenn wir ihm Blut anbieten würden“, gab sie zurück. „Zumal wir ja noch nicht wissen, ob er so etwas überhaupt braucht.“

„Von wem redet ihr?“, mischte sich Christian ein und wir drehten uns beide zu ihm um.

„Niemanden, den du bereits kennst“, erklärte ich ihm und er runzelte seine kleine Stirn. „Dein Papa hat vorhin einen Bekannten mitgebracht und der schläft gerade im Gästezimmer.“

Was sogar stimmte, bis auf die Tatsache, dass er kein Bekannter von uns war und er nicht ganz freiwillig gerade schlief. Aber ich konnte meinem Sohn schlecht sagen, was ich getan hatte.

„Wenn er aufgewacht ist, stellst du ihn mir dann vor?“, wollte der Junge wissen und ich warf einen unsicheren Blick zu meiner Frau.

„Iss erst einmal auf“, erwiderte ich ihm dann, „Und wenn er nach deinem Mittagsschlaf noch da ist, dann stelle ich ihn dir vor, okay?“

Der Junge nickte zufrieden und ich sah ihm dabei zu, wie er seinen Teller leerte. Nachdem er damit aufgegessen hatte, schob er mir diesen zu und gähnte.

„Gut, geh jetzt bitte deine Zähne putzen und danach lese ich dir noch etwas vor“, ergänzte ich und er erhob sich von seinem Platz, um ins Badezimmer zu laufen. Ich seufzte und stand ebenfalls auf, um seinen leeren Teller wegzuräumen.

„Du hast nicht wirklich vor, Christian mit dem Fremden bekannt zu machen, oder?“, riet meine Frau, als ich neben ihr damit begann, den Teller zu säubern. „Deiner Erzählung nach war er uns jetzt nicht so wohlgesonnen gegenüber.“

„Ich weiß und außerdem habe ich auch versucht ihn umzubringen“, meinte ich zu ihr und räumte den gesäuberten Teller wieder in den Schrank, ehe ich mit der Gabel ebenso verfuhr. „Wir können auch behaupten, dass der Fremde eine Krankheit hat und Christian deshalb nicht zu ihm darf.“

„Oder wir sagen ihm die Wahrheit“, ergänzte sie mich, was ich ihr mit einem Knurren quittierte. „Er weiß bereits, was wir sind und du hast ihm doch auch schon von den Dingen erzählt, die du für den König gemacht hast.“

„Mina, er ist aber immer noch erst drei und ich habe ihm nie von allem erzählt“, widersprach ich ihr. „Ich will weder, dass er schlecht von mir denkt, noch, dass er deshalb Albträume hat.“

Ich fuhr mir durch die Haare und seufzte.

„Ich bringe ihn jetzt erst einmal ins Bett und danach sehen wir weiter“, ergänzte ich und wandte mich von ihr ab, um zu unserem Sohn ins Badezimmer zugehen, wo er mir direkt sehr stolz präsentierte, wie gut er bereits alleine Zähne putzen konnte. Etwas, worin er für sein Alter vermutlich schon sehr weit war. Vielleicht lag es aber auch daran, dass meine Frau ihm bereits viel Selbstständigkeit anerzogen hatte.

„Sie sind ganz weiß“, verkündete er mir mit seiner Zahnbürste im Mund, wodurch ich zwar nicht genau verstand, was er sagte, ich es mir allerdings auch denken konnte. Ich nickte und er spuckte die Zahnpasta aus, ehe er seinen Mund ausspülte und mich angrinste, damit ich überprüfte, ob ich damit zufrieden war, wie er seine Zähne geputzt hatte.

„Gut gemacht“, meinte ich zu ihm und er stieg von seinem Hocker herunter, um zu mir zu kommen.

„Können wir einmal durch das Wohnzimmer fliegen, bevor ich schlafen muss?“, fragte er dann und ich nickte, ehe ich mich vor ihm hinhockte, damit er auf meinen Rücken klettern konnte. Als ich spürte, dass er sich richtig festhielt, erhob ich mich wieder mit ihm und ging ins Wohnzimmer.

„Gut festhalten“, sagte ich ihm und breitete meine Arme wie Flügel aus, ehe ich mit ihm einmal um den Tisch lief, woraufhin er begeistert lachte. „Noch eine Runde?“

„Jaaaa“, kam es prompt von ihm und ich drehte noch zwei weitere Runden mit ihm, bevor ich ihn vorsichtig auf unser Sofa fallen ließ.

Dann erst hörte ich die Stimme meiner Frau aus dem Gästezimmer und realisierte, dass sie wohl mit dem Mann dort sprach. Anscheinend war er endlich erwacht.

„Papa, noch eine Runde?“, fragte mein Sohn neben mir, doch ich schüttelte den Kopf.

„Du solltest jetzt zu Bett. Wir sagen noch Mama Gute Nacht, okay?“, gab ich ihm zurück und hob ihm wieder an, ehe ich mit ihm zum Gästezimmer ging.

„Ihr seid keiner der Unsrigen, oder?“, hörte ich sie sagen, kurz bevor ich das Zimmer betrat.

Sie hatte sich anscheinend an sein Bett gesetzt und ihm etwas zu trinken gegeben. Er wirkte etwas verwirrt und als er mich entdeckte, ging sein Blick von mir zu ihr und zurück. Er schien besorgt zu sein und ich schloss daraus, dass er sich wohl Sorgen machte, dass ich ihr etwas antun würde.

Seine Reaktion ließ meine Frau den Kopf drehen und sie warf mir einen verwunderten Blick zu, ehe sie sich erhob und zu mir kam.

„Ich dachte, du wolltest …“, begann sie leise und ich unterbrach sie mit einem Kuss. Ich wollte ihm zeigen, dass er sich um ihr keine Sorgen machen musste.

„Sei so gut und mach du das“, meinte ich ebenfalls leise zu ihr und übergab ihr Christian, der überhaupt nicht verstand, warum ich ihn jetzt an seine Mutter gab. „Ich muss mit dem Mann jetzt reden.“

„Einverstanden“, erwiderte sie mir und ging mit dem Jungen im Arm an mir vorbei. „Ich bringe ihn in sein Bettchen, aber dafür bist du nachher damit dran.“

„Aber Papa …“, protestierte mein Sohn noch leise, ehe sie mit ihm verschwand und mich endlich mit dem Fremden allein ließ. Ich verschloss hinter ihnen die Tür und ging dann zu dem Stuhl, auf welchem meine Frau zuvor gesessen hatte, um mich dort niederzusetzen.

„Du bist also endlich erwacht. Ich hätte dich gerne unter etwas anderen Umständen als Gast in mein Haus gebeten, aber ich befürchte dafür ist es jetzt zu spät“, sagte ich ihm dann und er wirkte verwundert über meine Aussage.

„Warum …?“, begann er dann. „Warum hast du mich dann angegriffen?“

Anscheinend hatte er das falsch in Erinnerung. Nicht ich hatte ihn angegriffen, sondern er mich, daher schüttelte ich den Kopf.

„Ich habe dich nicht angegriffen“, erklärte ich ihm ruhig. „Zumindest nicht am Anfang. Du hast meine Familie bedroht und ich wollte dich dazu bringen, dass du wieder gehst. Aber du hast nicht auf meine Worte gehört und stattdessen mich angegriffen.“

Dieses Mal schien er wirklich zu überlegen, verzog dann aber doch nur das Gesicht und verschränkte die Arme.

„Du hast versucht, mich zu töten! Du hast mein Blut getrunken! Du bist ein Monster!“, schimpfte er. Ich wusste selbst, was ich getan hatte. Aber deshalb war ich trotzdem kein Monster.

„Dein Angriff hat mich provoziert und der Blutverlust, den deine Verletzungen bei mir verursacht haben, hat die Gier nach Blut in mir geweckt, die ich eigentlich gut unter Kontrolle habe“, entgegnete ich ihm immer noch ruhig. „Als ich dieser letztlich nachgab, nahm ich in Kauf, dass ich dich umbringen würde.“

Wieder stieg Angst in ihm auf und ich merkte, wie sein Blick nach etwas suchte, womit er sich gegen mich verteidigen könnte, sollte ich ihn jetzt angreifen.

„Warum lebe ich noch? Bist du jetzt hier, um zu beenden, was du begonnen hast?“, entfuhr es ihm, als seine Suche leer ausging.

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, weil dann hätte ich dich nicht in mein Haus geholt und deine Wunden versorgt“, versicherte ich ihm, was ihn etwas beruhigte. „Es wundert mich allerdings selbst, dass du noch lebst. Ich habe so viel von dir getrunken, dass du ohne Zweifel hättest sterben müssen. Eigentlich solltest du tot sein, Mensch.“

Ich hob meine Hand, in welche er mich gebissen hatte und an welcher zwar eine alte Kriegsnarbe, aber keine Spuren mehr von seinem Biss zu sehen war.

„Ich habe zwar schon erlebt, dass eines meiner Opfer mich beißt, um sich zu wehren, aber du bist der Erste, der dann auch noch angefangen hat, gierig mein Blut zu trinken“, fuhr ich dann fort und ließ meine Hand wieder sinken.

Ich wollte, dass er verstand, was er getan hatte.

„Dann weißt du ja jetzt, wie das ist“, gab er nur zurück und wandte sich von mir ab.

Vermutlich war ihm noch nicht bewusst, was das jetzt für ihn hieß. Wie sollte es auch? Mir selbst war ja noch nicht einmal klar, was hier überhaupt passiert war.

„Ja, aber ich weiß nicht, was das jetzt zu bedeuten hat“, sagte ich ihm daher wahrheitsgemäß und er drehte seinen Kopf doch wieder zu mir. „Weißt du, wir geben unseren Kindern unser Blut, wenn sie erwachsen werden, damit sie zu vollwertigen Vampiren werden, doch du bist keiner von uns und hast es trotzdem getrunken.“

Ich stoppte und nahm erneut seinen Geruch wahr, der mir eindeutig verriet, dass er jetzt auch vampirische Anteile in sich trug.

„Du warst keiner von uns“, ergänzte ich dann und erkannte, wie er meine Worte langsam zu verarbeiten schien, ehe er mich entsetzt anstarrte.

„Du meinst …?“, entfuhr es ihm dann.

„Ja, aus Gründen, die ich nicht verstehe, bist du jetzt wohl einer von uns. Jedenfalls vermute ich das. Du riechst wie einer von uns und deine Wunden scheinen schneller zu verheilen als bei einem normalen Menschen. Außerdem hat dein Körper anscheinend auch die Phasen durchgemacht, die unsere Kinder durchschreiten, wenn sie zu richtigen Vampiren werden“, erklärte ich ihm und merkte, wie unzufrieden er damit war. Ich konnte seine Reaktion auch verstehen. Vermutlich hatten seine Kollegen ihm immer wieder beigebracht, was für Monster wir Vampire waren und jetzt war er auch so eines. Er verlor damit jetzt alles, was er hatte.

„Das ist nicht wahr. Das darf einfach nicht wahr sein. Was soll das jetzt für mich heißen?“, fragte er dann und ich erkannte Verzweiflung in seinem Blick. Darauf wusste ich auch keine Antwort. Ich hatte so etwas ja auch noch nicht erlebt.

„Das weiß ich nicht, aber es könnte jede Menge Probleme bedeuten“, meinte ich zu ihm und erhob mich von meinem Platz. „Deinem Volk wird das vermutlich nicht gefallen. Und meinem auch nicht. Wir werden jede Menge Ärger bekommen, befürchte ich.“

Momentan wusste ich noch nicht einmal, wie ich unseren König das überhaupt erklären sollte. Ob es überhaupt ratsam war, ihm davon zu erzählen? Am Ende würde dieser mir das als Grausamkeit an einem Menschen auslegen und mich deshalb einsperren.

„Für uns Menschen wäre es das Todesurteil, wenn ihr uns zu solchen Monstern, wie euch machen könnt“, schimpfte der Fremde und ich drehte meinen Kopf wieder zu ihm um.

„Vampire“, erwiderte ich ihm. „Wir sind Vampire und keine Monster, und ob das, was mit dir passiert ist, überhaupt wiederholt werden kann, wissen wir noch gar nicht. Vielleicht hattest du ja bereits vampirische Veranlagungen, von denen du nichts wusstest?“

Er verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf.

„Das wurde überprüft, bevor man mich dazu ausbildete, solche wie euch auszuschalten“, gab er zurück, womit ich auch von ihm die Bestätigung dafür hatte, was ich bereits vermutet hatte.

Ich nickte und schritt zurück an sein Bett.

„Ich werde meinen Artgenossen nicht verraten, wie das passiert ist, weil das den Frieden und das Gleichgewicht zwischen uns und euch Menschen gefährden könnte“, versprach ich ihm und erkannte, wie er wieder nachdenklich vor sich hinstarrte.

„Meine Familie“, begann er dann und drehte seinen Kopf zu mir. „Meinen Kollegen kann ich nicht sagen, was passiert ist, da sie mich töten werden, aber was ist mit meiner Familie? Sie werden sich um mich sorgen.“

Niemand hatte behauptet, dass er nicht zu seiner Familie könnte. Noch war ja nicht klar, inwieweit er jetzt ein Vampir wie wir war. Vielleicht war er jetzt nur ein wenig wie wir und eigentlich größtenteils weiter menschlich.

„Willst du zu ihnen?“, fragte ich ihn und er nickte. „Dann werde ich dich zu ihnen bringen, sobald wir wissen, wie stark dieser vampirische Teil in dir ist. Vielleicht geht es ja vorüber.“

Wirklich überzeugend klang ich dabei für meine Ohren nicht, was ich mir jedoch nicht anmerken ließ.

„Du wirst ihnen nichts tun, oder?“, zweifelte er dennoch und ich nickte. „Also schließen du und ich erst einmal Frieden?“

Noch einmal nickte ich.

„Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es diese Auseinandersetzung zwischen uns gar nicht geben müssen“, meinte ich und streckte ihm die Hand entgegen. „Mein Name ist Nathaneal Lionesstone.“

Er nahm meine Hand und nickte.

„Milan Antari“, erwiderte er mir und ließ mich wieder los. „Und wie geht es jetzt weiter? Wie lange soll ich hier bleiben, bis wir wissen, ob das vorübergehend ist?“

Das war eine berechtigte Frage, auf die ich ebenso keine Antwort hatte.

„Am besten wird es sein, wenn du mindestens noch den Tag hier verbringst. Ich bin jedenfalls sehr sicher, dass du nicht die Bekanntschaft mit Sonnenlicht machen willst“, entgegnete ich ihm. „So lange bist du hier unser Gast. Wenn du etwas benötigst, werde ich versuchen, es dir zu besorgen.“

Er warf einen kurzen Blick zu dem Tonkrug, den ihn meine Frau gebracht hatte, und dann wieder zu mir.

„Ich fühle mich immer noch ein wenig erschöpft“, sagte er mir. „Wie lange war ich überhaupt …?“

„Ein paar Stunden. Es ist jetzt kurz nach Mitternacht“, erklärte ich ihm und wieder schien er nachzudenken. „Werden sie nach dir suchen, weil du noch nicht zurück bist?“

Er schüttelte den Kopf.

„Ich muss nur alle drei Tage Kontakt zu ihnen aufnehmen, um von meinem Fortschritt zu berichten. Wenn ich mich danach nicht melde, schicken sie einen anderen mir hinterher“, war seine Antwort. „Ich habe sie gestern Morgen zuletzt kontaktiert. Noch werden sie also nicht nach mir suchen.“

Damit blieb uns zumindest noch etwas Zeit. Jedenfalls von seiner Seite aus.

„Meine Sachen“, fuhr er fort und deutete auf seinen bis auf den Verband freien Oberkörper. „Was habt ihr mit denen gemacht?“

„Meine Frau wäscht sie gerade, aber ich kann dir auch etwas von mir geben, damit du nicht mehr so nackt bist“, erwiderte ich ihm. „Sie waren voller Schmutz und Blut, deshalb habe ich dich vorhin davon befreit und dich gesäubert, bevor ich deine Wunden versorgt und dich in das Bett hier gelegt habe.“

Wieder ging sein Blick zur Seite und ich erkannte, wie er sein Gesicht bei der Vorstellung verzog, dass ihn ein Fremder nackt gesehen hatte.

„Das hättest du nicht tun brauchen“, gab er dann zurück und schüttelte den Kopf. „Mir gefällt der Gedanke daran überhaupt nicht. Genauso wenig wie der, dass ich jetzt so bin wie ihr.“

Ich seufzte.

„Dann denk einfach nicht weiter darüber nach“, schlug ich ihm vor, aber er schien immer noch nicht zufrieden damit. „Ich hätte dich natürlich auch draußen liegen lassen können. Dann wärst du jetzt in deinem eigenen Dreck erwacht und hättest vermutlich irgendwelche Tiere damit angelockt.“

Er sah mich kurz verärgert an, ehe er auf den Becher starrte, den ihn meine Frau gebracht hatte. Einen Moment lang schwiegen wir beide, dann aber atmete er tief durch und wandte sich wieder mir zu.

„Nein, ich bin dir schon dankbar dafür, dass du mich nicht liegengelassen hast, auch wenn du an meiner Situation schuld warst“, sagte er. „Bring mir bitte etwas, womit ich mich bekleiden kann und danach möchte ich erst einmal ein wenig meine Ruhe haben.“

Ich wollte ihn kurz korrigieren, nickte aber nur und wandte mich von ihm ab, um sein Zimmer zu verlassen. Im Wohnzimmer hörte ich meinen Sohn weinen und meine Frau mit ihm schimpfen. Anscheinend schlief er immer noch nicht.

„Christian, ich habe dir doch erklärt, dass dein Papa gerade mit unserem Gast redet“, vernahm ich ihre Stimme und ging zur Zimmertür.

„Aber er hatte es versprochen“, jammerte er.

Ich stieß seine Tür auf und sah zu meiner Frau, die mit ihm im Arm auf seinem Bett saß.

„Weiß ich doch“, versuchte sie ihn zu beruhigen und sie warf dabei einen Blick in meine Richtung, der mir verriet, dass sie sauer auf mich war.

„Bald muss er auch wieder weg und dann ist wieder lange nicht da“, fuhr der Junge fort.

Langsam trat ich näher zu den beiden und nun bemerkte mich auch Christian. Er wirkte überrascht und ich erkannte, dass seine Augen vom Weinen gerötet waren.

„Papa?“, murmelte er und meine Frau stand mit ihm auf, um ihn mir zu übergeben. Seine kleinen Kinderhände krallten sich fest in meiner Kleidung und er lehnte seinen kleinen Kopf an meine Brust.

„Kannst du unserem Gast bitte etwas zum Anziehen bringen?“, bat ich meine Frau, während ich mich mit unserem Sohn auf dessen Bett niederließ. „Ich bleibe dafür auch jetzt bei unserem Sohn.“

Sie rollte mit den Augen, ehe sie nickte.

„Ja, ich bringe ihm etwas“, meinte sie dann, wandte sich von mir ab und verließ das Kinderzimmer. Ich seufzte und strich dem Jungen in meinem Arm sanft über den Rücken, der sich immer noch an mir festkrallte.

„Papa, du darfst nicht mehr weggehen“, hörte ich ihn flüstern.

„Heute werde ich das auch nicht“, erwiderte ich ihm ruhig und begann die Melodie eines Liedes meiner Kindheit für ihn zu summen, von dem ich wusste, dass es ihn beruhigen würde. Es dauerte eine kleine Weile, doch als er langsam einschlief, lockerte sich sein Griff und ich legte ihm vorsichtig in sein Bett, ehe ich ihm zudeckte und ihm einen Gute-Nacht-Kuss auf seine Stirn gab. Dann verließ ich leise sein Zimmer und atmete auf, als ich im Wohnzimmer stand, wo mich wiederum meine Frau erwartete, die immer noch verärgert schien.

„Wenn er jetzt erst schläft, bekommen wir nachher Probleme, wenn es Zeit für die Tagesruhe ist“, meinte sie und ich warf einen Blick auf die Uhr hinter ihr. „Ich hatte nicht vor, den halben Tag mit ihm wach zu bleiben.“

Es war wirklich schon spät für seinen Mittagsschlaf, damit hatte meine Frau recht.

„Mir fällt nachher sicherlich etwas ein, um ihn zum Schlafen zu bringen“, versicherte ich ihr und sie verschränkte ihre Arme.

„Keine Hypnose!“, sagte sie dann und hob ihren Zeigefinger.

Ich nickte.

„Ich weiß. Darauf hatten wir uns doch bereits vor Jahren geeinigt, als wir planten Kinder zu bekommen und daran habe ich mich bisher immer gehalten“, stimmte ich ihr zu und sie ließ ihren Finger sinken.

„Bei unserem Gast hast du es trotzdem gemacht“, gab sie zurück und ich sah sie fragend an. „Er war zumindest nicht mehr ansprechbar, als ich ihm vorhin die Sachen brachte, so wie du das wolltest.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich habe ihn nicht hypnotisiert“, widersprach ich ihr. „Er war noch wach, als ich das Zimmer verließ. Er erwähnte allerdings, dass er sich erschöpft fühlen würde. Vielleicht war er noch so müde, dass er einfach eingeschlafen ist.“

Ihr Blick verriet mir, dass sie mir dies nicht glaubte. Dabei entsprach es der Wahrheit.

„Er war übrigens nicht sonderlich erfreut darüber, dass er jetzt ein Vampir ist“, ergänzte ich und ließ mich auf unserem Sofa nieder. „Und er hat mir bestätigt, dass er vorher ein Mensch war.“

„Vielleicht hat er es nicht …“, begann sie, doch ich schüttelte sofort den Kopf.

„Die, die ihn zu uns schickten, haben das überprüft, das hat er mir auch verraten“, unterbrach ich sie und sie verschränkte ihre Arme. „Ich weiß nur nicht, wie es jetzt weitergehen soll. Er ist jetzt einer von uns und das müsste ich eigentlich dem König melden, aber wenn ich das tue, muss ich erklären, warum und vor allem wie ich aus einem Menschen einen Vampir gemacht habe. Ich will dies aber nicht.“

„Ist er denn komplett so wie wir? Vielleicht ist das ja nur vorübergehend“, meinte sie und ließ ihre Arme sinken, ehe sie sich zu mir setzte.

„Ich habe noch die Hoffnung, dass es nur vorübergehend ist, und ich denke, er hat die auch. Ich habe ihm vorgeschlagen, dass er erst einmal bei uns bleiben kann, bis wir es genau wissen“, erwiderte ich ihr. „Allerdings werden seine Leute nach ihm suchen, wenn er sich länger nicht bei ihnen meldet. Außerdem wollte er zurück zu seiner Familie.“

Sie seufzte und lehnte sich an mich.

„Eigentlich verabscheue ich das Töten von Menschen, aber in seinem Fall hätte uns das den Ärger erspart, den wir vermutlich bekommen werden“, sagte sie dann. „Hoffen wir einfach, dass er wieder normal wird und wir nichts erklären müssen.“

Ich nickte nur und starrte mit ihr im Arm in unseren erloschenen Kamin.

Was wäre, wenn er nicht wieder menschlich werden würde? Wenn er jetzt ein Vampir bliebe? Könnte er dann überhaupt wieder zurück in das Leben, welches er geführt hatte? Irgendwer müsste ihm dann schließlich beibringen, wie man als Vampir überlebte, und die Menschen, zu denen er Kontakt hatte, würden ihn sicherlich ablehnen. Seine Kollegen würden ihn dann jagen.

Es würde sehr wahrscheinlich auch nicht lange dauern, bis man seine Verwandlung auf mich zurückführte und dann müsste ich mich erklären, aber ich wusste keine Erklärung dazu oder viel mehr, wollte ich ihnen nicht sagen, was wir getan hatten. Wenn andere Vampire nämlich mitbekamen, dass sie Menschen zu ihresgleichen machen könnten, dann würden sie das auch tun. Sie würden es garantiert benutzen, um neue Kriege anzuzetteln und diese Welt zu unterwerfen.

Er könnte somit weder unter Menschen noch unter Vampiren leben. Er müsste sich vor beiden verstecken und ich mit ihm, da ich daran nicht unschuldig war. Seine Existenz als Vampir würde nur Probleme bringen.

Aber was wäre, wenn er wieder menschlich werden würde? Dann könnte er zurück in sein altes Leben, aber würde dann auch alles wieder so sein wie zuvor? Was würde passieren, wenn er davon erzählte? Würden sie ihn töten und uns erst recht jagen? Das würde nicht nur mich in Gefahr bringen, sondern auch meine Familie und alle anderen, die mir wichtig waren.

Warum war er denn nicht einfach bei unserem Kampf gestorben? Dann müsste ich mir jetzt keine Gedanken darüber machen, ob er wieder menschlich werden würde oder nicht, und auch nicht darüber, wie es überhaupt weitergehen soll.

Ich müsste mir dann eher Sorgen um seine Kollegen machen, die seinen Tod rächen wollen würden, was auch nicht viel besser wäre.

Was sagte er, wie lange sie auf Meldung von ihm warten würden, ehe sie jemanden schicken, um ihn zu suchen? Drei Tage? Das war nicht lange, würde uns allerdings einen Vorsprung verschaffen, sollten wir fliehen müssen. Ich könnte meine Frau und unseren Sohn bei meiner Schwester unterbringen, während ich diese Jäger von ihrer Spur abbrachte. Aber noch mussten wir nicht fliehen.

Eine Weile starrte ich vor mir hin und zerbrach mir den Kopf darüber, wie es nun weitergehen sollte, bis sich meine Frau aus meiner Umarmung löste und aufstand. Ich warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass wir fast zwei Stunden so gesessen hatten.

„Wir sollten ihn wecken“, erhob meine Frau das Wort und ich wusste, dass sie unseren Sohn und nicht unseren Gast meinte. Ich nickte und erhob mich auch.

„Ich werde das machen. Wir wollten schließlich noch mit seinen Bausteinen spielen, sobald er seinen Mittagsschlaf gemacht hat“, erwiderte ich ihr und ging auf sie zu, um ihr einen Kuss zu geben. „Vorher schaue ich aber noch nach unserem Gast.“

Sie nickte.

„Ich hätte dich auch darum gebeten, dies zu tun, während ich mich um die Wäsche kümmere“, gab sie zurück. „Wer weiß, wann du wieder zum König gerufen wirst und dann dort bleiben musst. Jedes Mal, wenn du wieder weg bist, schläft Christian danach tagelang nicht allein in seinem Zimmer.“

„Das weiß ich. Du hast es mir schon einmal gesagt und meinen Vorschlag, euch im Königshaus unterzubringen, abgelehnt. Dabei könnten wir dort sogar unseren eigenen kleinen Bereich und Angestellte bekommen. Jedenfalls wurde mir das zugesichert, da ich ja immer noch in der Thronfolge ganz oben stehe“, entgegnete ich ihr und merkte, wie sie deshalb wieder mit den Augen rollte. „Ich bin aber auch nicht so scharf darauf, dort zu leben.“

Aus dem Gästezimmer waren Geräusche zu hören und sowohl ich als auch meine Frau drehten den Kopf in Richtung der Tür dort. Er war also wieder erwacht und schimpfte.

„Der ist also bereits wach“, kommentierte sie und wandte sich von mir ab. „Sieh du nach ihm. Ich muss jetzt unsere Wäsche aufhängen.“

Ich erwiderte ihr nichts und schritt nur stumm zur Gästezimmertür, ehe ich an dieser vorsichtig klopfte, bevor ich eintrat.

Er saß auf dem Bett und hatte sich das angezogen, was meine Frau ihm hingelegt hatte, allerdings schien ihm das Hemd ein wenig zu groß zu sein. Dies wunderte mich jedoch nicht, war er doch etwas kleiner als ich und trug nun meine Kleidung.

„Worüber schimpfst du?“, fragte ich ihn direkt und er drehte seinen Kopf zu mir.

„Ich hatte gerade einen Schmerz in meiner Unterlippe verspürt und wollte wissen, was diesen verursacht“, erklärte er mir und hob kurz seine Oberlippe an. „Fangzähne. Ich habe scheiß Fangzähne bekommen!“

Ich erkannte, was er meinte und runzelte die Stirn. Die würden vermutlich nicht mehr so schnell verschwinden.

„Bist du dir sicher, dass du nicht vorher schon welche hattest?“, entgegnete ich ihm und er verzog das Gesicht. „Es wäre doch möglich, dass du vorher schon spitzere Zähne hattest und sie jetzt nur noch schärfer geworden sind. Bei uns Vampiren ist das jedenfalls so. Unter unseren bleibenden Zähnen sind die, die nach unserer Verwandlung zu unseren Fangzähnen werden, immer etwas spitzer als die anderen.“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, ich hatte so etwas nicht und ich will so etwas auch nicht“, schimpfte er. „Wozu brauche ich die, wenn das alles nur vorübergehend ist?“

Das wusste ich ebenfalls nicht, daher zuckte ich nur mit den Schultern. Unzufrieden stand er auf und wirkte noch etwas wackelig auf den Beinen.

„Ich würde jetzt gerne ins Bad. Ich will wissen, ob die Dinger wirklich so schlimm aussehen, wie sie sich anfühlen“, erklärte er mir und kam auf mich zu. Ich nickte und ließ ihn vorbei an mir ins Wohnzimmer, ehe ich ihm folgte.

Sein Blick wanderte durch den Raum und er drehte sich zu mir um, als ihm nicht klar wurde, hinter welcher der Türen hier das Badezimmer lag.

„Dort“, sagte ich ihm, bevor er überhaupt fragte. „Wenn du etwas benötigen solltest, findest du mich im Zimmer neben deinem bei meinem Sohn.“

Er nickte und sah sich noch einmal um, ehe er mit dem Blick bei seiner Tasche und den Waffen hängen blieb.

„Ich hoffe, du denkst gerade nicht daran, mich oder meine Familie noch einmal anzugreifen“, warnte ich ihn.

„Wir hatten uns auf Frieden geeinigt, schon vergessen?“, gab er zurück und sah wieder zu mir. „Ich war nur verwundert darüber, dass du die Sachen hereingeholt hast und sie hier liegen lässt.“

„Als Gartendekoration eignet sich dein Schwert nun einmal nicht“, scherzte ich, worauf er aber nicht wirklich reagierte. „Ich habe dein Pferd draußen angebunden und es von der Tasche befreit, und als ich ohnehin schon dabei war, gleich auch deine verlorenen Waffen eingesammelt.“

Er nickte und runzelte plötzlich die Stirn.

„Du hattest mir doch …“, begann er dann und hob seine rechte Hand an, ehe er diese und den Unterarm dazu bewegte. „Du hattest mir doch den Arm gebrochen. Aber jetzt fühlt er sich an, als wäre das nie passiert.“

Das stimmte und bisher hatte ich gar nicht mehr daran gedacht. Jetzt fiel es mir auch auf.

„Ich sagte dir doch, dass deine Verletzungen schneller heilen. Das gehört dazu“, riet ich und versuchte dabei nicht unsicher zu klingen. „Sei doch froh darüber.“

Er ließ seinen Arm wieder sinken und schüttelte den Kopf.

„Wie soll ich froh darüber sein, wenn ich dafür zu einem Monster geworden bin?“, schimpfte er erneut und fuhr sich durch die Haare. „Ich hoffe echt, dass das alles nur ein schlechter Traum ist.“

„Ich auch“, gab ich zurück und er wandte sich von mir ab. Als er im Badezimmer verschwunden war, ging ich nun endlich zu meinem Sohn in dessen Zimmer.

Ich war etwas überrascht darüber, dass er bereits auf dem Fußboden hockte und dort mit seinen Bausteinen baute.

„Oh, Papa“, meinte er, als er mich bemerkte. „Ich bin gerade aufgestanden. Spielst du jetzt mit mir?“

Ich warf einen Blick auf das, was er aufgebaut hatte und schloss, dass er noch nicht sonderlich lange wach war. Damit müsste ich also nicht mit ihm schimpfen, weil er einfach aufgestanden war. Aber richtig war es trotzdem nicht.

„Christian, wenn du beim nächsten Mal aufwachst aus deinem Mittagsschlaf, kommst du bitte erst zu deiner Mama oder mir, okay?“, bat ich ihn ruhig und er nickte.

„Ich wollte ja, aber du hast mit jemandem geredet“, erwiderte er mir. „Da habe ich mich nicht getraut.“

Vielleicht war das auch gut so. Irgendwann würde ich Christian zwar mit dem Mann bekannt machen müssen, der gerade unser Gast war, aber noch nicht jetzt.

„Das ist in Ordnung. Ich habe mit dem Bekannten geredet, der im Moment unser Gast ist und da war es wirklich besser, dass du uns nicht gestört hast“, sagte ich ihm also und hockte mich zu ihm hin, um mit ihm spielen zu können. „Sollen wir das Dorf wieder aufbauen?“

Er schüttelte den Kopf.

„Ich möchte einen Turm bauen, der so hoch ist, wie ich“, verkündete er und grinste.

Ich hatte zwar meine Zweifel daran, nickte aber und begann mit ihm zu bauen.

Wir hatten gerade alle Steine zusammen gesucht, die wir dafür bräuchten, als ich Schritte im Wohnzimmer vernahm, die zu uns kamen, gefolgt von der Stimme des anderen, die nach mir rief.

Mein Sohn schien ihn auch gehört zu haben, denn sein Kopf wanderte in Richtung Zimmertür.

„Ich muss kurz …“, meinte ich zu ihm und wollte mich gerade erheben, als irgendetwas im Wohnzimmer zu Boden fiel.

Dies machte mich stutzig, weshalb ich nun aufsprang und aus dem Kinderzimmer eilte. Der Fremde lag unweit von der Tür am Boden und schien schon wieder nicht bei Bewusstsein zu sein. Außerdem zitterte sein Körper.

Vorsichtig ging ich zu ihm, wobei ich allerdings nicht merkte, dass mein Sohn mir gefolgt war, der verwundert den fremden Mann anstarrte, nach welchem ich da meine Hand ausstreckte.

Sein Fieber war anscheinend zurückgekehrt, denn sein Körper glühte förmlich.

„Was hat er?“, fragte Christian und ich deutete ihm an, dass er nicht näher kommen dürfe.

„Ihm geht es nicht gut und du solltest erst einmal nicht in seiner Nähe sein. Warte bitte in deinem Zimmer“, forderte ich ihn auf und er blieb dort stehen, wo er war, während ich den anderen hochhob.

Ich spürte den schwachen Herzschlag des Mannes, als ich ihn ins Gästezimmer trug und auch, wie sein Körper sich ein paarmal verkrampfte, ehe ich ihn endlich auf das Bett legen konnte. Was auch immer das jetzt war, es war definitiv nicht gut.

Ich beobachtete ihn einen Moment und sah, wie er bei jedem weiteren Krampf sein Gesicht verzog, als hätte er Schmerzen. Vorsichtig streckte ich meine Hand nach ihm aus, doch auf meine Berührung reagierte er überhaupt nicht und blieb bewusstlos.

Lag er hier etwa gerade im Sterben? Ich hatte zwar vorhin darüber sinniert, wie viel einfacher es für mich wäre, wenn er tot wäre, aber ich wollte doch nicht, dass sein Sterben jetzt so ablief.

Ob ich es einfach beschleunigen sollte? Ich könnte ihm ein Kissen auf sein Gesicht legen und ihn damit ersticken oder ich holte mir irgendetwas Spitzes, um es ihm in seine Brust und damit ins Herz zu stoßen. Das würde seine Qualen beenden, fühlte sich aber nicht richtig an.

Vielleicht gehörte dies ja auch zu seiner Verwandlung?

Ratlos beobachtete ich ihn für einen Moment und stellte fest, dass seine Krämpfe weniger wurden und auch das Zittern etwas nachließ. Noch einmal berührte ich ihn, doch immer noch reagierte er darauf nicht und auch sein Fieber war weiterhin hoch.

„Nathaneal?“, vernahm ich die Stimme meiner Frau und drehte den Kopf zur Tür, durch welche sie nun hineinsah. „Was hat er?“

Ich nahm meine Hand von ihm und erhob mich wieder.

„Fieber“, gab ich ihr zurück. „Das scheint wieder zurückgekommen zu sein, nachdem es vorhin eigentlich verschwunden war, und ich überlege gerade, ob dies jetzt heißt, dass er doch stirbt oder nicht, und ob ich es beenden soll oder eben nicht.“

Sie runzelte die Stirn und warf einen Blick zu dem Mann.

„Wir könnten versuchen, ihm das Fieber irgendwie zu erleichtern“, schlug sie dann vor. „Es ist noch nicht so lange her, dass Christian krank war. Vielleicht kann ich ein paar der Dinge, die ich bei unserem Sohn angewandt habe, bei ihm auch versuchen.“

Ich nickte. Einen Versuch war es zumindest wert. Ich war ohnehin gerade nicht so davon überzeugt, diesen Mann zu töten, auch wenn es ihn von seinem Leid erlösen würde. Ich wollte einfach keine vorschnelle Entscheidung treffen.

„Ja, ich denke, dies ist eine gute Idee“, stimmte ich ihr zu. „Wesentlich besser, als es meine war.“

Sie lachte und schüttelte den Kopf.

„Mit deiner Lösung wäre das, was du vorher für ihn getan hast, hinfällig gewesen“, meinte sie und gab mir einen Kuss. „Geh jetzt bitte wieder zu Christian, während ich mich um unseren Gast hier kümmere.“

Ich nickte und wandte mich ab, um wieder zurück zu unserem Sohn zu gehen, der immer noch mit seinen Bausteinen versuchte, einen Turm zu bauen. Neben ihm hockte sein Kuscheltier am Boden.

„Und jetzt der rote Stein“, murmelte er im Spiel, während er einen grünlichen Stein auf den Turm platzierte.

„Der ist aber grün“, korrigierte ich ihn und schritt auf ihn zu. Er sah mich fragend an, als ich ihm einen roten Baustein aus seiner Kiste hervorholte und gab.

Er betrachtete nachdenklich beide Bausteine, ehe er den roten Stein auf dem Turm befestigte.

„Der ist schon hoch, oder Papa?“, fragte er dann und ich nickte, was ihn zu freuen schien. „Der wird so hoch wie ich.“

Noch während er sprach, wackelte sein Turm und brach in sich zusammen. Einen Moment wirkte er überrascht, dann aber bildeten sich Tränen in seinen Augen.

„Hey, nicht weinen“, sagte ich ihm und nahm ihn in den Arm, um ihn zu trösten. „Wir bauen einfach einen neuen Turm, den wir stabiler machen, damit er nicht umfällt.“

Er nickte und ich ließ ihn wieder los, ehe ich mich zu ihm setzte und mit ihm zu bauen begann.

Seine Bausteine reichten zwar am Ende nicht für einen Turm, der so groß wie er war, dafür stand dieser allerdings sehr stabil, nachdem wir ihn fertiggestellt hatten. Christian schien trotz seines nicht erreichten Zieles zufrieden zu sein und hob sein Kuscheltier vom Boden, um mit diesem einmal drum herumzugehen.

„Guck, wie hoch der ist, Benny“, sagte er stolz.

Ich lächelte und warf einen Blick auf die Uhr. Ein wenig Zeit hatten wir noch, bevor es Abendessen für ihn gab.

„Soll ich dir jetzt etwas vorlesen?“, fragte ich ihn daher, doch er schüttelte den Kopf.

„Ich mag mit dir etwas in dem Buch malen, welches ich von Uropa bekam“, erwiderte er mir und drückte mir sein Kuscheltier in die Hand, ehe er zu seinem Schrank ging und dort aus den Schubladen Stifte und ein Heft herausholte. Ich legte sein Tier in sein Bett und ging dann zu ihm.

Das Lernheft, welches er hervorgeholt hatte, hatte er tatsächlich von seinem Urgroßvater bekommen, weil dieser der Meinung gewesen ist, dass die Ausbildung meines Sohnes gar nicht früh genug anfangen konnte. Ich fand es allerdings viel zu früh dafür, auch wenn in diesem Heft lediglich das Nachmalen von Formen und Mustern, sowie Farben geübt wurden.

Stolz schlug er das Heft auf und legte es auf seinen Tisch.

„Guck mal, Papa, das habe ich alles schon gemacht.“ Er zeigte mir ein paar der Übungen, die er bereits erledigt hatte, und ich sah tatsächlich, dass er mit jeder weiteren Seite besser geworden war. Lediglich die Ausmalbilder schienen ihm Probleme zu bereiten, denn diese hatte er kaum beendet oder gar angefangen.

„Heute mache ich das hier“, verkündete er mir, als er auf einer der Übungsseiten hängen blieb, ehe er leise die Spitzen von der Form zählte, die da vor ihm abgebildet war. „Drei. Es hat drei Spitzen. Dann ist das ein Dreieck, oder Papa?“

Er drehte seinen Kopf zu mir und ich nickte, nachdem ich einen Blick in sein Heft geworfen hatte. Er grinste, nahm sich einen Stift und begann die Formen nachzuzeichnen, so wie es ihm das abgebildete Beispiel zeigte.

Ich fand diese Aufgabe noch viel zu schwer für ihn, doch er bewies mir das Gegenteil und zeichnete nach nur zwei Fehlversuchen die Dreiecke so, wie sie verlangt wurden. Vielleicht war er ja doch schon ein wenig weiter als gedacht.

Er beendete diese und die nächste Übung ohne Probleme, stockte dann aber vor dem Ausmalbild. Es sollte anhand von Formen die richtige Farbe für die jeweilige Fläche gewählt werden und es war eigentlich eine der leichteren Aufgaben in diesem Heft.

„Wir haben noch etwas Zeit“, versicherte ich ihm, nachdem ich geprüft hatte, wie spät es war. „Wenn du magst, können wir das Bild ausmalen und dann in die Küche gehen.“

Er schüttelte den Kopf und schlug das Heft zu.

„Ich mag nicht mehr malen. Ich mag jetzt Mama helfen“, entgegnete er mir und stand auf. Dann nahm er sich die Sachen vom Tisch, die er geholt hatte, und brachte sie in die Schublade zurück, aus welcher er sie genommen hatte. Ich sah ihm dabei zu und als er auf mich zukam, nahm ich seine Hand und ging mit ihm ins Wohnzimmer.

Sofort merke ich, dass meine Frau nicht in der Küche war, sondern noch mit unserem Gast beschäftigt war, was mich zwar wunderte, ich mir aber nicht anmerken ließ. Stattdessen setzte ich mit Christian den Weg in die Küche fort, wo er mich, kaum dass wir dort waren, losließ und sich den Hocker holte, der ihm diente, damit er an den Schrank mit den Tellern und Gläsern kam. Wir hatten ihn bereits früh dabei helfen lassen, den Tisch zu decken, daher besaß er auch besagten Hocker, um an die Schränke zu kommen. Allerdings wusste er auch, dass er das nur durfte, wenn einer von uns anwesend war.

Er holte sich einen Teller heraus und stellte diesen vor sich auf der Theke ab, ehe er sich auch zwei Gläser hervorholte. Eines davon gab er mir, dann stieg er von seinem Hocker und brachte den Teller und sein Glas zum Tisch.

„Und Mama?“, fragte ich ihn und er drehte seinen Kopf zu mir um.

„Oh ja, stimmt“, meinte er dann und kam zu mir zurück. „Gibst du mir bitte noch eins heraus?“

Ich nickte und reichte ihm mein Glas, ehe ich mir ein neues aus dem Schrank nahm und es neben mir auf die Theke stellte. Dann holte ich das Brot hervor und platzierte es auf dem Tisch, während Christian zur Tür sah.

„Wann kommt Mama?“, wollte er wissen und ich hob ratlos die Schultern. „Sollen wir sie holen?“

„Nein, ich denke, du bleibst besser hier“, erwiderte ich ihm und strich ihm über den Kopf. „Ich schaue eben, wo sie bleibt.“

Ich ging an ihm vorbei ins Wohnzimmer und von dort weiter zum Gästezimmer, wo ich sie immer noch vermutete. Sie hockte dort auch vor unserem Gast, der immer noch bewusstlos im Bett lag. Neben ihr stand eine Schüssel mit Wasser, in welchem sie immer wieder die Tücher tauchte, welche sie dem Mann auf seine Brust und seine Stirn gelegt hatte.

„Wie geht es ihm?“, fragte ich sie und sie drehte ihren Kopf zu mir um.

„Das Fieber scheint ein wenig gesunken zu sein, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.“ Sie tauschte das Tuch von seiner Stirn mit einem aus der Schüssel und erhob sich danach. „Viel mehr können wir wohl gerade nicht für ihn tun. Auf die anderen Sachen, die ich probiert habe, reagiert er nicht.“

Ich nickte und warf einen besorgten Blick zu dem Bewusstlosen.

„Immerhin hat sein Zittern nachgelassen“, ergänzte sie und kam auf mich zu. „Lass uns jetzt nach nebenan gehen, damit wir zu Abend essen können und Christian in sein Bett kommt.“

Sie ging an mir vorbei, doch ich zögerte noch damit, ihr zu folgen. Warum nur beendete ich das Leid dieses Mannes nicht? Warum nur ließ ich zu, dass er sich quälte?

„Nathaneal?“ Meine Frau griff mich am Arm und ich drehte meinen Kopf zu ihr. „Komm jetzt. Er scheint in einen tiefen Schlaf verfallen zu sein und an seiner Seite zu warten, bis er erwacht, bringt uns nichts, wenn wir nicht wissen, wann das ist. Wir haben getan, was wir konnten.“

„Wir könnten es …“, begann ich, doch sie zog an meinem Arm und unterbrach mich damit.

„Es ist nur Fieber. Er liegt nicht im Sterben“, schimpfte sie mit mir. „Manchmal dauert so etwas, bis das wieder vorbeigeht, und bei Menschen ist das vielleicht nicht wie bei uns Vampiren. Gib ihm Zeit bis nach der Tagesruhe und dann sehen wir weiter.“

Ich nickte und folgte ihr nun doch in die Küche, wo uns Christian bereits brav erwartete. Ich setzte mich neben ihm und half ihm dabei, sein Brot zu schmieren, während sie uns etwas zu trinken eingoss, ehe sie sich damit zu uns setzte.

Nach dem Essen ging sie mit Christian Zähne putzen, während ich aufräumte und dabei einen Blick aus dem Fenster warf. Es dämmerte bereits und so langsam wurde ich müde. Die Nacht war aber auch lang und anstrengend für mich gewesen. Ich war so etwas zwar aus meinen Kriegsdienstjahren noch gewohnt, doch dies auch zu Hause zu erleben, missfiel mir.

Als alles verräumt war, betrat ich erneut das Wohnzimmer und ließ mich dort auf das Sofa nieder, ehe ich mich nach hinten lehnte und versuchte an nichts zu denken. Es funktionierte nicht wirklich, denn immer wieder kreisten meine Gedanken um das, was passiert war.

Meine Frau hatte recht. Er schlief jetzt und war nicht am Sterben. Aber wenn er dies nicht mehr täte, wie sollte es weitergehen? Würde er wieder ein Mensch werden? Würde er ein Vampir bleiben? Was sollten wir machen, wenn er einer von uns blieb? Er wusste doch gar nichts über uns, außer vielleicht die paar Informationen, die er als Jäger hatte, und die waren vermutlich nicht einmal korrekt.

„Liebster?“ Eine Hand berührte sanft meine Schulter und ich öffnete meine Augen, die ich bei meinem Versuch zu entspannen geschlossen hatte. „Christian schläft jetzt und wir sollten seinem Beispiel folgen.“

Ich nickte und sie ließ mich los. Ich seufzte, erhob mich und folgte ihr in unser Schlafzimmer.

Obwohl ich es nicht erwartete, schlief ich erstaunlich ruhig und erwachte erst wieder, als eine kleine Hand mich vorsichtig abstieß.

„Papa, steh auf. Es gibt Frühstück“, vernahm ich die Stimme meines Sohnes und öffnete vorsichtig die Augen. „Mama hat gesagt, ich soll dich wecken. Sie und Onkel Milan warten auf dich.“

Ich sah ihn einen Moment verwirrt an, da ich nicht wusste, von welchem Onkel er sprach. Dann fiel mir aber wieder der Mann ein, den ich gestern mit ins Haus geschleppt hatte. Sofort setzte ich mich auf.

„Ich beeile mich, sag ihnen das“, erwiderte ich dem Jungen und dieser lief hinaus aus dem Zimmer. Eilig zog ich mich an. Zu lange wollte ich meine Familie nämlich nicht mit diesem Kerl allein lassen, denn so wirklich Vertrauen in ihn hatte ich nicht.

Als ich ins Wohnzimmer kam, hörte ich ihn bereits mit meiner Frau sprechen.

„Er will einmal so wie ich werden und das gefällt mir nicht“, erzählte er ihr gerade, als ich in die Küche trat. „Ich habe damit damals nur angefangen, weil mein bester Freund sich auch beworben hatte. Mittlerweile ist er tot und ich auf diese Arbeit angewiesen, um meine Familie zu ernähren.“

Meine Frau sah zu mir, woraufhin auch er seinen Kopf zu mir drehte, während ich auf den Tisch schaute. Für ihn und Christian hatte sie Teller und Messer bereitgelegt, während für uns nur Gläser mit Blut bereitstanden.

„Geht es dir besser?“, fragte ich ihn direkt und ließ mich an meinem üblichen Platz nieder. Er nickte.

„Das Fieber hat nachgelassen und ich bin nicht mehr so müde“, erwiderte er mir. „Dafür hatte ich vorhin starken Durst und Hunger. Deine Frau sagte mir, dass ihr jetzt ohnehin frühstücken würdet und ich mich dazu gesellen könne. Nur daran, dass ihr hier einfach nur mit Blut in euren Gläsern sitzt, werde ich mich wohl nicht gewöhnen.“

Ich nickte und nahm mir mein Glas, während sich meine Frau zu Christian setzte und diesem ein Brot schmierte.

„Mir wäre es auch lieber, wenn ich nicht davon abhängig wäre und wie ihr Menschen normale Nahrung essen könnte“, meinte ich zu Milan. „Aber ich vertrage diese einfach nicht mehr.“

Er sah mich kurz fragend an, ehe er sich ebenfalls ein Brot schmierte und dieses halbierte.

„Hast du es schon einmal probiert?“, wollte er wissen und hielt mir eine der Hälften hin. „Ich meine, laut deiner Frau wirst du es ja wohl einmal vertragen haben, so wie dein Sohn auch. Sie sagte, dass alle Vampire bis zu ihrer Volljährigkeit menschliche Nahrung vertragen und erst danach damit aufhören.“

Ich stieß sein Angebot freundlich von mir, denn ich erinnerte mich durchaus noch an meinen Versuch, menschliche Nahrung zu mir zu nehmen, auch wenn das schon ein paar Jahrzehnte her war.

„Ich habe es schon ausprobiert und es ging mir danach nicht sonderlich gut“, erklärte ich ihm daher kurz und nahm einen Schluck von dem Blut. Er beobachtete mich einen Moment, schüttelte dann nur den Kopf und biss in sein Brot. Er kaute, runzelte dabei allerdings die Stirn.

„Ist vermutlich etwas ungewohnt mit deinen neuen Fangzähnen?“, kommentierte meine Frau. Stimmte ja, bevor er gestern wieder bewusstlos geworden war, hatte er sich über seine neuen Fangzähne beschwert. Nur warum er welche jetzt hatte, hatten wir bisher nicht herausgefunden.

Er schluckte herunter, was er im Mund hatte und legte das Brot weg.

„Das ist es nicht. Es schmeckt irgendwie nicht so, wie es sollte und ich …“, begann er und stockte dann plötzlich mitten im Satz, ehe er sein Gesicht verzog und aufsprang.

Noch ehe wir ihn fragen konnten, was los war, rannte er aus dem Zimmer.

Meine Frau warf mir einen irritierten Blick zu und auch Christian schien überrascht von dieser Aktion. Ich seufzte dagegen nur, da ich verstand, was hier gerade vor sich ging.

„Deswegen die Fangzähne“, murmelte ich dann. „Wäre ja schön gewesen, wenn ihm das erspart geblieben wäre.“

„Wovon redest du, Nathaneal?“, wollte meine Frau wissen, während ich mich vom Tisch erhob.

„Er hat eine Verwandlung durchgemacht und ist jetzt wie wir, deshalb verträgt er menschliche Nahrung nicht mehr“, erklärte ich ihr kurz und ging zur Küchentür. „Ich werde eben nach ihm sehen. Bleib du bitte mit Christian hier.“

Sie nickte und ich verließ die Küche, um Milan ins Badezimmer zu folgen. Ich fand ihn dort mit einem verwirrten und unzufriedenen Gesichtsausdruck vor unserer Toilette hockend.

„Sind eure Lebensmittel abgelaufen?“, fragte er, kaum, dass ich eingetreten war, und drehte seinen Kopf zu mir. „Ich habe davon Magenschmerzen bekommen und mir ist schlecht geworden. Ihr solltet eurem Sohn besser nicht davon essen lassen.“

Ich erwiderte ihm nichts, sondern ging nur auf ihn zu und half ihm wieder hoch, ehe ich ihm zum Waschbecken zeigte, damit er sich etwas säuberte und Wasser trinken konnte. Während er meiner stummen Aufforderung nachkam, spülte ich. Dann wandte ich mich zu ihm um.

„Als ich damals versucht habe, menschliche Nahrung zu essen“, erhob ich dann das Wort und er sah mich fragend an. „Als ich das versucht habe, hat mir das, was ich zu mir nahm, nicht so geschmeckt wie sonst, obwohl ich es bereits hunderte Male vorher gegessen hatte. Ich habe mir nichts dabei gedacht und davon ganze drei Bissen damals zu mir genommen. Es hat nicht lange gedauert, da hat mein Körper darauf reagiert. Ich bekam schreckliche Bauchschmerzen und habe das Gegessene erbrochen. Meine Schmerzen haben sich danach die ganze Nacht gehalten, genauso wie Übelkeit.“

Er schien über meine Worte nachzudenken, denn er runzelte die Stirn und starrte mich skeptisch an. Dann schüttelte er plötzlich den Kopf.

„Nein, nein, nein!“, schimpfte er und hob abweisend die Hände. „Das mag für dich so gewesen sein. Aber für mich ist das nicht so. Wenn das nämlich so wäre, müsste ich ja Blut trinken, um mich zu ernähren und so etwas tue ich nicht.“

„Und wie erklärst du dir dann das hier gerade?“, gab ich ihm zurück und er verzog das Gesicht.

„Keine Ahnung. Vielleicht war das abgelaufen, was ich aß“, meinte er. „Oder mir geht es halt noch nicht wirklich besser nach dem, was gestern mit mir passiert ist. Jedenfalls ist mir der Appetit jetzt vergangen. Ich denke, ich begnüge mich erst einmal mit Wasser.“

Er wandte sich von mir ab und ging zur Tür. Ich seufzte und folgte ihm ins Wohnzimmer.

„Es war aber nicht abgelaufen“, kommentierte ich schließlich, als wir erneut die Küche betraten. Er ignorierte mich und nahm sich ein leeres Glas aus dem Schrank, um dieses mit Wasser zu befüllen.

„Dann geht mir einfach noch nicht besser“, erwiderte er mir, nachdem er etwas getrunken hatte. „Am besten, ich warte noch ein wenig, bevor ich es mit Essen probiere.“

Mein Sohn drehte neugierig geworden seinen Kopf zu ihm um.

„Onkel, bist du etwa krank?“, fragte er direkt. „Dann musst du jetzt aber ins Bett. Mama sagt immer, wenn man krank ist, muss man ganz viel schlafen.“

Er warf dem Jungen einen zweifelnden Blick zu, ehe er dann doch ein wenig schmunzelte und den Kopf schüttelte.

„Nein, so schlimm ist es nicht“, sagte er und stellte sein nun leeres Glas in die Spüle. „Aber für kleine Jungen stimmt das, was deine Mama sagt. Die sollten ihr Bett hüten, wenn sie krank sind.“

Mein Sohn wandte sich an seine Mutter und diese nickte.

„Du solltest jetzt Zähne putzen“, meinte sie dann und half ihm vom Stuhl herunter. „Ich komme auch mit.“

Sie verließ mit ihm die Küche, wodurch Milan und ich wieder allein zurückblieben. Kaum, dass sie weg war, begann ich damit, den Tisch abzuräumen, wobei er mich schweigend beobachtete. Seine Essensreste warf ich allerdings weg, da ich nicht davon ausging, dass er von diesen heute noch etwas zu sich nehmen würde. Seinem Blick nach gefiel ihm das nicht wirklich.

„Was für eine Verschwendung“, kommentierte er und seufzte. „Vielleicht hätte ich das nachher oder morgen noch essen können.“

Er schien also immer noch der Meinung zu sein, dass sich sein Problem wieder geben würde. Diese Hoffnung hatte ich zwar auch, doch mittlerweile war sie nur noch sehr gering. Dieser Mann war nun ein Vampir und würde es auch bleiben. Jedenfalls sagte mir das mein Bauchgefühl.

„Wenn du zu einem späteren Zeitpunkt Hunger bekommen solltest, dann musst du dir etwas Neues machen“, gab ich ihm zurück und begann damit, unser Geschirr zu säubern. Er runzelte kurz verärgert die Stirn, ehe er sich ein Handtuch schnappte und mir half.

„Wann kann ich zu meiner Familie zurück?“, erhob er das Wort, nachdem wir alles gesäubert und weggeräumt hatten. „Sie sorgen sich garantiert um mich.“

„Wir wissen noch nicht, ob deine Probleme nur vorübergehend oder nun dauerhaft bestehen“, meinte ich zu ihm und ging mit ihm zurück ins Wohnzimmer. „Und erst einmal solltest du vielleicht deine Kollegen darüber informieren, dass es dir gut geht, damit sie niemand schicken, der nach deinem Verbleib sieht.“

Er wirkte nicht zufrieden mit meiner Antwort, schritt aber nur stumm zu seiner Tasche, ohne mir irgendetwas zu erwidern. Ich beobachtete ihn dabei, wie er in dieser nach etwas kramte, das wie Briefpapier aussah. Mit diesem und einem Stift ging er zum Sofa und ließ sich dort am Tisch nieder, während hinter mir meine Frau mit Christian auf dem Arm in dessen Zimmer ging.

„Dauert es nicht viel zu lange, bis dein Brief bei ihnen wäre?“, fragte ich Milan und er stoppte, um seinen Kopf zu mir zu drehen. „Oder ist das deine Methode, wie du sie kontaktierst?“

„Kennt ihr Vampire etwa schnellere Wege, um jemanden zu kontaktieren?“, erwiderte er mir verwundert und ich überlegte tatsächlich.

„Nein, eigentlich nicht. Unsere Boten sind nur wesentlich schneller als eure“, sagte ich ihm dann und warf einen Blick auf das, was er geschrieben hatte. „Wo willst du den überhaupt abschicken?“

Er schien kurz zu überlegen.

„Vielleicht in der Stadt, in der ich auch den letzten verschickt habe“, meinte er schließlich. „Ich könnte mit meinem Pferd dorthin reiten.“

Ein unzufriedenes Knurren entrang meiner Kehle. Ihn einfach so gehen zu lassen, gefiel mir nicht. Woher wüsste ich, dass er mich nicht verriet, wenn er von hier fortreiten würde?

„Ich bin dein Gast und nicht dein Gefangener“, ergänzte er und reagierte damit auf mein Knurren.

Ich nickte.

„Richtig, aber wir wissen noch nichts über das, was jetzt mit dir los ist. Gegenwärtig scheinst du ein Vampir zu sein und da du vorher nie einer warst und mit uns nicht gelebt hast, weißt du auch nicht, wie man als ein solcher überlebt. Du könntest mit deiner Unerfahrenheit dich und andere in Gefahr bringen“, erklärte ich ihm. „Ich werde dich begleiten und auf dich aufpassen.“

Er verzog genervt das Gesicht, ehe er seinen Brief zu Ende schrieb und ihn zusammenfaltete. Dann stand er mit diesem auf und ging zurück zu seiner Tasche. Ich sah ihm schweigend dabei zu, wie er den Brief mit Wachs und einem Stempel versiegelte, bevor er noch etwas auf diesem notierte und zu mir kam.

„Ich glaube aber nicht, dass sie dich in die Stadt hineinlassen würden“, meinte er dann und ich hob eine Augenbraue. „Du bist schließlich ein Vampir.“

„Und du auch“, gab ich zurück, was ihm nicht gefiel.

„Das ist nur vorübergehend und die werden es dort garantiert nicht einmal merken“, widersprach er mir und sah nachdenklich zur Seite. „Ich brauche nur meinen Mantel mit dem Wappen meiner Organisation, dann wird auch keiner irgendetwas hinterfragen.“

An den erinnerte ich mich. Von dem hatte ich ihn gestern befreit, nur wo meine Frau ihn danach gelassen hatte, wusste ich nicht.

„Ich kann meine Frau fragen, wo sie den gelassen hat und ob sie den mit deinen restlichen Sachen gewaschen hat, wenn du den benötigst“, erwiderte ich ihm also und wandte mich von ihm ab. „Warte eben hier!“

Ich hörte nicht, ob er etwas sagte, als ich in Richtung Kinderzimmer schritt und die Tür ein wenig öffnete, um hineinsehen zu können. Meine Frau saß mit unserem Sohn auf ihrem Schoß auf dessen Bett und schien mit ihm in einem seiner Bücher zu lesen. Sie bemerkte mich allerdings sofort und stoppte mit dem Vorlesen, ehe sie zu mir sah.

„Was gibt es?“, fragte sie direkt.

„Hast du alles von unserem Gast gewaschen, was er getragen hatte?“, entgegnete ich ihr eine Gegenfrage, was sie die Stirn runzeln ließ. „Er fragte nach seinem Mantel.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Den habe ich nicht gewaschen, weil der nicht so schmutzig war und nicht mehr in die Maschine gepasst hat“, erklärte sie mir. „Ich habe ihn in den Schrank im Gästezimmer gehängt.“

Ich nickte.

„Dann werde ich ihm den geben und danach werde ich mit ihm den Brief wegbringen, den er an seine Leute schicken muss, damit die uns nicht belästigen“, sagte ich ihr und wandte mich wieder ab, wobei ich die Zimmertür schloss. Ich schritt zurück zu Milan, der mich mit verschränkten Armen ansah.

„Er ist im Schrank in dem Zimmer, wo du hier momentan untergebracht bist. Du kannst ihn dir eben holen und danach brechen wir auf“, wies ich ihn an und er kam meiner Aufforderung nach, ohne mich irgendwie zu hinterfragen. Während er sich seinen Mantel holte, wartete ich geduldig im Wohnzimmer und überlegte, ob es wirklich eine gute Idee war, mit ihm zu dieser Stadt aufzubrechen.

Als er zurückkehrte, hatte ich gerade meine Arme verschränkt und mich in Richtung Haustür gewandt. Ich hörte ihn seinen Mantel abklopfen, während er zu mir kam.

„Und du musst mich wirklich jetzt begleiten?“, hörte ich ihn, als er neben mir stoppte. Ich nickte und ließ meine Arme sinken, ehe ich zur Tür schritt und diese für ihn öffnete.

Er warf einen Blick zu den Waffen, die immer noch neben seiner Tasche lagen.

„Wir gehen unbewaffnet“, kommentierte ich dies sofort und er verzog das Gesicht. „Ich werde weder das Risiko eingehen, dass du dich oder andere gefährdest, noch werde ich es riskieren, dass du mich hintergehst und angreifst, wenn du die Chance dazu hast.“

Er schüttelte den Kopf und ging nun an mir vorbei durch die Tür hinaus.

„Wenn wir von meinen Leuten zusammen gesehen werden, muss ich allerdings so tun, als würde ich dich angreifen“, gab er zurück. Ich erwiderte ihm nichts, sondern folgte ihm nur hinein in den Wald, der unser Haus umgab.

Während unseres Weges sprachen wir nicht viel miteinander. Er beschwerte sich lediglich noch ein paarmal darüber, dass er auch hätte allein gehen können, was ich gekonnt ignorierte. Dafür fiel mir allerdings auf, wie wenig er auf seine Umgebung zu achten schien. So bemerkte er nicht, dass wir an mehreren Gestalten vorbeiliefen, die er als Jäger eigentlich ausgeschaltet hätte. Ich unterließ es, ihn darauf hinzuweisen, da ich ihn nicht dazu animieren wollte, diese anzugreifen. Momentan war er ohnehin waffenlos und im Nachteil dadurch.

Als wir jedoch in die Nähe der Stadt kamen, wurde er nervös und verlangsamte seinen Schritt.

„Ich weiß noch nicht, wie wir die Wachen überzeugen sollen, dass sie dir auch Zutritt gewähren“, sagte er schließlich und blieb stehen. „Oder willst du außerhalb der Mauer warten?“

Ich schüttelte den Kopf und warf einen Blick zu den Wächtern, die vor dem Stadttor positioniert waren, zu welchem unser Weg zuführte. Anscheinend ging Milan davon aus, dass ich die Menschen dort bisher gemieden hätte. Dabei war das definitiv nicht der Fall. Meine Frau und ich hatten schon oft genug mit denen dort Handel getrieben und ihnen gezeigt, dass wir zwar Vampire waren, mit ihnen aber trotzdem friedlich leben würden.

Ich schüttelte also den Kopf und schritt direkt auf einen der Wächter zu, der mir seine Lampe entgegenhielt, um mich in der Dunkelheit zu erkennen. Während ich mich ihm näherte, hob ich meine Hände, um ihm zu zeigen, dass ich unbewaffnet war.

„Ach, du bist es“, begrüßte er mich und warf dann einen Blick zu Milan. „Und an dich erinnere ich mich auch. Hast du den Vampir gefunden, den du gesucht hast?“

Ich wandte meinen Kopf zu meinem Begleiter um und bemerkte, wie er den Mann vor uns mit großen Augen anstarrte. Anscheinend war er überrascht darüber, dass dieser Wächter mich kannte.

Er schluckte und holte den Brief aus seiner Tasche hervor.

„Ich habe ihn noch nicht gefunden und bin nur zurückgekommen, um meinen Leuten zu schreiben, dass der Gesuchte nicht mehr dort ist, wo sie mich hingeschickt haben“, log er und reichte dem Wächter sein Schreiben. „Aber ich denke, um diese Zeit lasst ihr niemanden mehr hinein, oder?“

Der Angesprochene nickte.

„Das ist korrekt“, stimmte er ihm zu und wandte sich wieder mir zu. „Brauchst du das Übliche? Mir wurde nicht gesagt, dass du heute kommst und wir haben nichts …“

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, ich habe nur diesen Mann hier begleitet, weil er sich verlaufen hatte und er mir erzählte, dass er eigentlich hierher wollte“, erklärte ich ihm und er lachte.

„Ein Wunder, dass er dich nicht gleich getötet hat, Vampir!“, meinte er und sah wieder zu Milan. „Ich werde dafür sorgen, dass dein Brief abgeschickt wird, aber den Rest der Nacht wirst du außerhalb dieser Mauern verbringen. Wir haben nämlich die strikte Anweisung, die Tore nach Sonnenuntergang geschlossen zu halten.“

„Das macht nichts“, mischte ich mich ein und ging zu Milan. „Ich werde ihm meine Gastfreundschaft anbieten und ihm zeigen, dass wir nicht nur Monster sind.“

Wieder lachte der Wächter und wandte sich von uns ab, um wieder seine Position wie zuvor einzunehmen. Ich deutete Milan an, dass er mir folgen solle und er tat dies, wenngleich auch etwas zögerlich.

Er schwieg, während er hinter mir herlief und schien in Gedanken zu sein. Erst als wir weit genug von der Stadt weg waren, erhob er wieder das Wort.

„Die kannten dich“, entfuhr es ihm und ich drehte meinen Kopf zu ihm um. „Wieso kannten dich die?“

„Wieso sollten sie mich nicht kennen? Ich wohne schließlich in ihrer Nähe“, erwiderte ich ihm, doch er schien nicht zufrieden mit meiner Antwort. „Wir beziehen von ihnen die Sachen, die wir für unseren Sohn brauchen. Meist gibt meine Frau ihnen eine Liste, auf welcher steht, was sie braucht und die suchen ihr das dann bis zur nächsten Nacht zusammen. Wir bezahlen sie auch gut dafür.“

„Die treiben also Handel mit euch“, schloss er und ich nickte. „Warum hast du mir davon nichts erzählt?“

Ich zuckte mit Schultern und wandte mich wieder von ihm ab, um weiterzugehen. Er schimpfte etwas Unverständliches, ehe er mir erneut folgte.

Als wir uns meinem Haus näherten, spürte ich plötzlich die Anwesenheit eines anderen Vampirs.

„Ich habe dich etwas gefragt“, wiederholte Milan erneut, der den anderen wohl nicht bemerkte, und er griff nach meinem Arm. Sofort drehte ich mich zu ihm um, packte ihn und riss ihn zu Boden. Überrascht starrte er mich an, während ich ihn mit einer Hand unter mir festhielt und mich zu ihm hinabbeugte.

„Wir werden von meinesgleichen gerade verfolgt“, flüsterte ich ihm zu. „Bleib am Boden und spiel einfach mit, okay?“

Seinem Blick nach war er überhaupt nicht davon begeistert.

„Und du hast gedacht, du könntest mich aus dem Hinterhalt angreifen?“, knurrte ich ihn dann laut an und hörte, wie unser Verfolger nähertrat. „Ich werde dir zeigen, was ich davon halte.“

Ich packte ihn am Hals und beugte mich wieder zu ihm hinab.

„Dreh deinen Kopf zur Seite und tu so, als hätte ich dir gerade dein Genick gebrochen“, forderte ich ihn leise auf. Er schluckte kurz, kam dann aber meiner Aufforderung nach und spielte den Toten für mich.

Ich ließ ihn wieder los und lachte, ehe ich mich erhob und zu dem anderen Vampir umdrehte, der mich verwundert ansah. Ich erkannte in ihm einen der Boten des Königs, der einen Brief für mich zu haben schien.

„Sie jagen jetzt sogar schon Euch?“, entfuhr es ihm und er warf einen kurzen Blick zu dem Mann. „Ihr solltet Eure Familie umsiedeln, denn wo einer von diesem Abschaum fällt, tauchen bald noch mehr von denen auf.“

Ich nickte und ging auf den Mann zu.

„Das weiß ich und ich werde sie von hier fortschaffen“, erwiderte ich ihm und nahm ihm das Schreiben ab, welches er für mich hatte, ehe ich es entfaltete und las. Wie ich es erwartet hatte, wurde ich zurück ins Königshaus gerufen, um mich dort wieder zum Dienst zu melden. Wirklich erfreut darüber war ich nicht, zumal ich mich im Moment immer noch um Milan kümmern musste.

„Richte ihm aus, dass ich erst einmal meine Familie in Sicherheit bringe, bevor ich zu ihm komme“, sagte ich dem Boten und reichte ihm das Schreiben zurück, wobei mir allerdings auffiel, wie er zu dem am Boden liegenden Mann starrte.

„Er scheint noch zu leben“, meinte er zu mir.

Ich warf auch einen Blick zu Milan und nickte.

„Keine Sorge, um den kümmere ich mich gleich“, versicherte ich dem Boten. „Kehr du jetzt zurück zum König und richte ihm meine Antwort aus.“

Der Mann nickte und wandte sich von mir ab, ehe er sich ein paar Schritte von mir entfernte und seine Flügel rief. Ich sah ihm nach, wie er sich mit diesen in die Luft erhob und davon flog und erst, als er weit genug weg war, atmete ich auf und drehte mich zu Milan um, der sich immer noch nicht rührte.

„Er ist weg. Du kannst aufstehen“, meinte ich zu ihm und sofort erhob er sich wieder. Er murrte irgendetwas Unverständliches und kam auf mich zu.

„Wird der nicht zurückkommen und überprüfen, ob du mich getötet hast?“, fragte er dann. „Du hättest ihm auch erklären können, dass ich dein Gast bin, statt mich umzureißen und zum Tod spielen zu verdonnern.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich wollte nicht riskieren, dass er bemerkt, dass du im Moment ein Vampir bist. Bei dem, was du da trägst, hätte das Fragen aufgeworfen“, erklärte ich ihm und zeigte auf die Wappen an seinem Mantel. „Ihr Jäger habt jetzt nicht den besten Ruf unter uns Vampiren.“

Er rollte genervt mit den Augen.

„Das beruht auf Gegenseitigkeit“, gab er zurück und wandte sich ab von mir, um weiter in Richtung meines Hauses zu gehen.

Ich seufzte und folgte ihm.

„Mir ist übrigens etwas Seltsames aufgefallen, vorhin bei dem Stadtwächter“, erhob er wieder das Wort, nachdem er durch die Haustür eingetreten war und sich zu mir umgedreht hatte. „Ich hatte für einen kurzen Moment das Gefühl, als könnte ich das Blut in seinen Adern sehen.“

Ich runzelte die Stirn, während ich die Tür verschloss. Für mich als Vampir war es nicht sehr ungewöhnlich, so etwas zu können. Ob er das jetzt konnte, weil er so war wie wir?

„Das ist ein Vampirding“, erklärte ich ihm daher und wieder einmal verzog er das Gesicht.

„Man, ich hoffe, ich werde das bald wieder los“, meinte er und wandte sich von mir ab, um seinen Mantel wieder in sein Zimmer zu bringen.

Ich wartete allerdings nicht auf seine Rückkehr, sondern ging in die Küche, wo meine Frau bereits mit Christian zu Abend aß. Mein Ausflug mit Milan zu dieser Stadt hatte fast die ganze Nacht gedauert.

„Ihr seid endlich zurück“, begrüßte mich meine Frau verwundert. „Ich hatte eigentlich etwas früher mit euch gerechnet.“

Ich nickte und ließ mich auf meinem Stuhl nieder.

„Er ist nicht so schnell wie wir und kann nicht fliegen“, erwiderte ich ihr. „Außerdem sind wir einem Boten vom König begegnet.“

Sie hob skeptisch eine Augenbraue.

„Dann wissen die jetzt also von ihm?“, riet sie, doch ich schüttelte den Kopf.

Hinter ihr betrat Milan den Raum und er ging zum Schrank, um sich einen Teller zu nehmen, damit er sich etwas zu essen darauf vorbereiten konnte.

„Nein, da wir so getan haben, als hätte ich ihn getötet. Allerdings habe ich dem Boten gesagt, dass ich dich und unseren Sohn jetzt von hier wegschaffen werde, um euch in Sicherheit zu bringen“, erklärte ich ihr und sie schien nicht erfreut darüber zu sein. „Bis ich das getan habe, werde ich allerdings nicht zum Königshaus zurückkehren. Das habe ich ihm auch gesagt.“

„Trotzdem will ich nicht umziehen“, murrte sie und wandte sich wieder Christian zu, der uns schweigend beobachtete.

Milan setzte sich neben ihm und wollte nach dem Brot greifen, doch ich packte seine Hand und stoppte ihn.

„Lass das lieber“, warnte ich ihn. „Du hast das heute Morgen schon versucht. Du erinnerst dich?“

Ich ließ ihn los und er knurrte verärgert.

„Da war ich auch gerade erst aus meinem Fieber erwacht. Dass mir schlecht geworden ist, lag vermutlich daran“, gab er zurück und er nahm sich trotzig eine der Brotscheiben, ehe er in diese hinein biss und seinen Bissen ohne groß zu kauen hinunterschluckte. „Siehst du? Ich kann das essen ohne Probleme und damit endlich meinen Hunger stillen.“

Er biss erneut ab, stoppte dann aber und runzelte die Stirn.

„Oh nein, bitte nicht“, fluchte er und hielt sich die Hand vor seinen Mund, ehe er aufsprang und wie bereits heute Morgen in Richtung Badezimmer eilte. Dieses Mal folgte ich ihm jedoch nicht. Stattdessen holte ich mir ein Messer und halbierte die Scheibe, in welche er gebissen hatte. Die unversehrte Hälfte legte ich zurück zum Rest und die andere schmiss ich in den Müll.

„Er wird Blut brauchen“, sagte ich dann und wandte mich meiner Frau zu. „Nur wie bekommen wir diesen Sturkopf dazu, dies zu akzeptieren?“

Sie zuckte nur ratlos mit den Schultern.

„Ist Onkel Milan etwa so wie ihr?“, mischte sich Christian ein und drehte seinen Kopf zu mir um. Ich nickte und merkte, wie er anscheinend nachdachte.

„Es ist das aber noch nicht so lange und muss erst noch ein paar Dinge darüber lernen“, ergänzte ich meinem Nicken und hörte, wie der Abwesende aus dem Badezimmer zurückkam. „Warum gehst du jetzt nicht mit deiner Mama Zähne putzen, während ich nach dem Onkel sehe?“

Er nickte und kletterte von seinem Stuhl.

„Heute ist sogar Badetag, Papa“, verkündete er mir stolz, ehe er sich an seine Mutter wandte und mit ihr die Küche verließ.

Ich sah ihnen nicht hinterher, sondern räumte nur den Tisch ab, bevor ich ebenfalls aus der Küche ging und nach Milan suchte. Er saß auf seinem Bett und hatte sein Gesicht in seinen Händen vergraben.

„Solch eine Scheiße“, fluchte er und ich konnte Tränen in seinen Augen sehen. „Ich bin doch kein Monster!“

Ich seufzte und ging langsam auf ihn zu, bis ich nahe genug an ihm war, um ihm auf seine Schulter zu klopfen. Er reagierte sofort, indem er meine Hand wegstieß und mich böse anfunkelte.

„Das ist alles deine Schuld“, schimpfte er. „Du bist daran schuld, dass ich diese Probleme jetzt habe!“

„Es war nicht meine Absicht, dass du zu einem Vampir wirst, doch das bist jetzt und es sieht wohl nicht danach aus, als würde sich das wieder ändern“, erwiderte ich ihm. „Und wenn dich der Hunger plagt, dann solltest du es vielleicht einmal mit Blut probieren.“

Vehement schüttelte er den Kopf und wandte sich von mir ab.

„Nur über meine Leiche!“, gab er zurück. „Und jetzt verschwinde. Ich will allein sein und meine Ruhe haben.“

Ich zögerte einen Moment in der Hoffnung, dass er noch etwas sagen würde, doch da er schwieg, verließ ich schließlich sein Zimmer und zog hinter mir die Tür zu, wobei ich diese allerdings gleichzeitig verschloss. Wenn er allein sein wollte, dann sollte er das auch so haben. Außerdem wollte ich nicht riskieren, dass er dieses Haus verließ, während ich schlief. Denn daran, dass ihm Sonnenlicht nun auch schaden konnte, hatte ich keine Zweifel mehr, und davor wollte ich ihn schützen.

Neben mir trat meine Frau mit unserem Sohn auf dem Arm aus dem Badezimmer.

„Hast du mit ihm geredet?“, wollte sie wissen und ich nickte. „Also wird er es morgen mit Blut versuchen?“

„Es wäre besser, aber er weigert sich zu akzeptieren, dass er es braucht“, entgegnete ich ihr und nahm ihr Christian ab, „Er wollte jetzt erst einmal allein sein und weil ich befürchte, dass er hinausgehen könnte, während wir schlafen, habe ich ihn eingeschlossen.“

Sie schien nicht wirklich erfreut darüber.

„So dumm wäre er sicherlich nicht“, meinte sie und gab mir einen Kuss. „Und jetzt bring Christian ins Bett. Der hat schon ganz müde Augen.“

„Gar nicht wahr, Mama“, protestierte dieser sofort und ich lachte leise, ehe ich ihn in sein Kinderzimmer brachte und ihn dort in sein Bett legte. Dann holte ich mir eines seiner Märchenbücher und las ihm aus diesem vor, bis er friedlich eingeschlafen war.

Leise verließ ich sein Zimmer und suchte meine Frau in unserem Schlafzimmer auf, um mich mit ihr nun auch zur Tagesruhe zu begeben.

Dieses Mal träumte ich von dem Kampf mit Milan und davon, dass ich ihn damit tatsächlich getötet hatte. Danach waren noch mehr von seinen Leuten aufgetaucht und hatten meine Frau umgebracht und meinen Sohn entführt. Seine Schreie nach mir ließen mich aus dem Schlaf hochschrecken und ich stellte sofort fest, dass meine Frau bereits aufgestanden war.

Langsam erhob ich mich aus dem Bett und suchte nach ihr, wobei meine Suche nicht lange dauerte, da sie mit einem Buch in der Hand im Wohnzimmer saß und las.

„Christian hatte einen Albtraum und hatte mich vorhin deshalb geweckt. Ich habe ihn zurück ins Bett gebracht und bin bei ihm gewesen, bis er wieder eingeschlafen ist. Allerdings konnte ich danach nicht mehr schlafen“, erklärte sie mir ungefragt und legte das Buch zur Seite. „Soll ich unser Frühstück vorbereiten, während du Christian und Milan weckst?“

Ich nickte und sie erhob sich aus ihrem Sessel, während ich mich abwandte und zunächst einmal in das Zimmer unseres Sohnes schritt. Vorsichtig ging ich zu seinem Bett und hockte mich vor ihn hin, ehe ich ihn ansprach.

„Aufstehen, Großer“, sagte ich ihm und strich ihm sanft über den Kopf. „Der Mond ist bereits aufgegangen.“

Verschlafen öffnete er seine Augen.

„Wirklich?“, fragte er und setzte sich langsam auf. „Ich habe geträumt, dass du mich verlässt. Ich will nicht, dass du mich verlässt, Papa.“

Ich nahm ihn tröstend in den Arm.

„Das werde ich schon nicht. Ich werde immer zu dir zurückkommen, auch wenn ich einmal für längere Zeit weg bin“, versicherte ich ihm und spürte, wie er sich in meinem Hemd festkrallte. „Das verspreche ich dir und jetzt zieh dich bitte an, damit wir frühstücken können.“

Er lockerte seinen Griff ein wenig und sah mich fragend an.

„Spielen wir danach wieder?“, wollte er wissen und ich ließ ihn los, was er mir ebenso gleich tat.

„Ja“, erwiderte ich ihm und reichte ihm seine Sachen, damit er sich umziehen konnte. „Schaffst du das allein?“

Er nickte und lächelte stolz.

„Ich bin schließlich schon groß“, gab er zurück und ich schenkte ihm ein Lächeln.

„Gut, dann gehe ich jetzt Onkel Milan wecken und du gehst bitte in die Küche, wenn du dich angezogen hast.“ Ich strich ihm noch einmal über den Kopf, ehe ich mich abwandte und zurück ins Wohnzimmer schritt.

Dort öffnete ich die Tür zum Gästezimmer und erwartete einen erbosten Milan, weil ich ihn eingesperrt hatte, als ich in sein Zimmer trat. Zu meiner Überraschung war er allerdings nicht mehr dort. Stattdessen entdeckte ich, dass sein Fenster geöffnet war.

Ich fluchte, ehe ich zu diesem rannte und hinaussah. Irgendwie hatte ich nicht damit gerechnet, dass er durch das Fenster abhauen würde. 

Warum nur war dieser Idiot jetzt geflohen und wohin? Er konnte doch nicht einfach allein da draußen herumrennen. Was, wenn er irgendetwas Dummes anstellte? Ich sollte ihn besser suchen, bevor er sich oder andere in Gefahr brachte.

Eilig wandte ich mich ab und lief ins Wohnzimmer, wo mich meine Frau verwundert aus der Küche heraus ansah, während ich mir meine Schuhe anzog.

„Er ist durch das Fenster geflohen“, erklärte ich ihr kurz und öffnete die Haustür. „Ich werde ihn suchen gehen, bevor er irgendetwas anstellt.“

Ich hörte nicht, ob sie mir irgendetwas erwiderte, als ich hinauseilte. Vor unserem Haus entdeckte ich frische Pferdespuren, was mich schließen ließ, dass er sich sein Pferd geschnappt hatte und davongeritten war. Das und die Tatsache, dass ich sein Tier nicht mehr entdecken konnte. Ich fluchte noch einmal und folgte der Spur, die er hinterlassen hatte. Wirklich weit war er vermutlich noch nicht und selbst auf seinem Pferd würde ich ihn mit Leichtigkeit einholen. Jedenfalls sollte ich das.

Leider irrte ich mich und ich verlor die Spuren seines Pferdes. Damit wusste ich nun nicht mehr, wohin er geflohen war. Ratlos sah ich mich um, während der Mond die Landschaft um mich erhellte.

Ich atmete tief durch und schloss meine Augen, um mich darauf zu konzentrieren, irgendeine Spur von ihm zu finden. In der Ferne hörte ich Wolfsgeheul und weil wir Vollmond hatten, wunderte mich dies nicht wirklich. Allerdings machte es das vermutlich noch gefährlich für Milan. Er war schließlich unbewaffnet.

Ein schwacher Geruch stieg mir in die Nase und ich wusste sofort, dass dieser von ihm kam. Wenn ich diesem folgte, könnte ich ihn finden. Ohne groß nachzudenken, nahm ich diese Spur auf und eilte ihm mit Hilfe von dieser hinterher.

Sie führte mich bis in ein kleines unscheinbares Dorf, in welchem es lediglich drei kleine Häuser gab und sie endete leider auch genau dort, was wiederum hieß, dass er hier irgendwo war. Während ich mich umsah, roch ich plötzlich Blut und entdeckte eine geöffnete Tür bei einem der Häuser. Scheinbar hatte sein Verlangen nach Blut ihn übermannt und hatte sich hier einen Menschen gesucht, von dem er trinken konnte. Das war definitiv nicht gut.

Ich eilte zu besagtem Haus und trat hinein.

„Scheiße, Scheiße, Scheiße“, hörte ich ihn, „Das wollte ich doch gar nicht. Bitte, lass diese Blutung endlich aufhören!“

Ich entdeckte einen Esstisch, als ich eintrat, und eine Frau, die neben diesem bewusstlos auf dem Boden lag. Ich sah an ihrem Bauch, dass sie schwanger war, entdeckte jedoch keine Bisswunden an ihrem Hals. Anscheinend hatte er sie schon einmal verschont.

Ich ging um den Tisch und entdeckte ihn mit einem Jungen im Arm am Boden sitzend. In seinen Augen las ich Verzweiflung, während er mit einem Stück Stoff auf eine Wunde am Hals des Knaben drückte. Damit war es also dessen Blut, welches ich gerochen hatte. Milans erstes Vampiropfer war ein Kind geworden. Etwas, was ihn vermutlich noch Jahre verfolgen würde.

„Ich wollte das doch gar nicht“, jammerte er und ich hockte mich vorsichtig zu ihm hin. Dann streckte ich meine Hand nach ihm und dem Jungen aus und stellte fest, dass der Knabe tatsächlich noch lebte. Dabei wäre ich davon ausgegangen, dass Milan ihn umgebracht hatte.

„Nathaneal“, sprach er nun mich an. „Es tut mir leid. Ich hätte nicht einfach gehen dürfen. Aber ich wollte einfach nach Hause und …“

Er stockte und sah auf den Jungen in seinem Arm und so langsam verstand ich, warum er ausgerechnet hier gelandet war. Das hier war seine Familie. Er hatte zu ihnen so sehr zurückgewollt, dass er einfach durch das Fenster bei uns geflohen war, um zu ihnen zu gelangen und als er dann endlich bei ihnen war, hatte ihn seine Gier nach Blut übermannt.

Ich fluchte innerlich dafür, dass ich ihn nicht früher gefunden und aufgehalten hatte.

„Es hört einfach nicht auf zu bluten“, fuhr er fort und zeigte mir die Bisswunde am Hals seines Sohnes. Ich nickte und streckte die Hand nach der Verletzung aus. Es wunderte mich nicht, dass Milan nicht wusste, wie man Blutungen als Vampir stoppte. Woher hätte er auch davon wissen sollen? Er war ja schließlich noch nicht so lange einer und ich war mir auch nicht sicher, ob er dazu überhaupt in der Lage war.

Ich stoppte die Blutung bei dem Jungen, verzichtete allerdings darauf, die Wunde gänzlich verheilen zu lassen. Milan wirkte überrascht über meine Aktion und sah mich irritiert an.

„Wie hast du das gemacht?“, wollte er wissen und ich nahm ihm den Jungen vorsichtig ab.

„Das eine Fähigkeit unter Vampiren. Etwas, was du noch nicht gelernt hast und wovon ich auch noch nicht weiß, ob du es überhaupt erlernen kannst“, gab ich ihm zurück und merkte, wie der Knabe in meinen Armen sich zu regen begann. „Was wolltest du hier?“

„Ich wollte sie warnen und ihnen sagen, was mit mir passiert ist“, erklärte er mir und warf einen Blick an mir vorbei zu seiner Frau. „Ich wollte, dass sie sich vor den Vampiren in Sicherheit bringen, weil ich befürchtete, dass diese sie nun verfolgen würden. Leider kam ich nicht wirklich dazu, es ihnen zu erzählen, bevor sie bewusstlos wurden, und dann habe ich … habe ich …“

Wieder stockte er und weinte.

„Sie werden es überleben“, versicherte ich ihm und in ihm schien neue Hoffnung aufzukeimen. „Wir werden allerdings nicht hier bleiben, bis sie erwachen. Ich werde sie jetzt in eines eurer Bett legen und du wirst ihnen derweil einen Brief schreiben, in dem du ihnen das erklärst, was du sagen wolltest, verstanden?“

Er nickte und zeigte zu der Tür rechts von ihm.

„Da ist unser Schlafzimmer. Leg sie dort ab“, wies er mich an und ich ging mit dem Jungen an ihm vorbei in besagtes Zimmer.

Vorsichtig legte ich diesen auf das Bett dort und betrachtete ihn einen Moment lang. Milan hatte ihn nur schützen wollen und ihn dabei selbst gefährdet. Wäre ich nur etwas schneller gewesen, dann hätte ich das verhindern können.

Ich schüttelte den Kopf und kehrte zurück in ihre Wohnstube, wo ich seine Frau vom Boden hochhob. Sofort verspürte ich nicht nur ihren, sondern auch den Herzschlag des Ungeborenen, was mich zumindest in der Richtung beruhigte, dass seine Aktion diese beiden nicht gefährdet hatte.

Ich trug auch sie in das Schlafzimmer und legte sie neben dem Jungen ab. Dann fiel mein Blick auf die Wunde des Knaben und ich überlegte, ob ich sie verheilen lassen sollte oder nicht. Die Narbe eines Vampirbisses könnte manchen meiner Artgenossen zeigen, dass bereits jemand von diesem Kind Blut trank, auch wenn es verpönt war, dies zu tun. Es würde ihm vielleicht einen Schutz bieten. Es gab aber noch eine effektivere Methode, um andere Vampire von ihnen erst einmal fernzuhalten.

Ich biss mir in meine Hand, sodass ich etwas von meinem Blut in diese bekam, und berührte damit die Verletzung bei dem Jungen. Dadurch, dass dort bereits sein eigenes klebte, würde meine Markierung, die ich hier gerade mit meinem Blut setzte, niemandem auffallen. Lediglich andere Vampire würden es riechen können.

Er zuckte zusammen, als ich das tat und starrte mich plötzlich an.

„Was …?“, begann er und klang dabei sehr schwach. Ich schüttelte den Kopf und legte ihm einen Finger auf den Mund, ehe ich mich zu ihm hinabbeugte und ihn dazu brachte, mir in die Augen zu sehen.

„Sh. Schlaf weiter, mein Junge“, flüsterte ich ihm zu, während er sich langsam in meiner Hypnose verlor. Als er wieder schlief, kehrte ich zu Milan zurück, der mit besorgtem Blick und ein paar Blättern in der Hand zu mir sah.

„Ich habe es ihnen aufgeschrieben“, meinte er und wollte mir die Zettel reichen. Ich lehnte diese allerdings ab.

„Leg deinen Brief dorthin, wo sie diesen finden und dann lass uns von hier verschwinden, bevor irgendwer bemerkt, was passiert ist“, wies ich ihn an und er nickte, ehe er den Brief ins Schlafzimmer zu seiner Frau brachte.

Ich wartete geduldig auf ihn und hörte ihn, wie er sich von ihr verabschiedete. Da sie ihm aber nichts erwiderte, war sie noch nicht erwacht. Als er schließlich zu mir zurückkehrte, schien er ein schlechtes Gewissen zu haben, was mich aber auch nicht wunderte.

„Ich werde dich jetzt wieder mit zu mir nehmen. Aber ich werde den Weg nicht laufen“, erklärte ich ihm und verließ mit ihm sein Haus.

Als wir auf dem Platz davor standen, drehte ich mich zu ihm um, damit ich meine Flügel rufen konnte, ohne ihn mit diesen zu treffen. Er wirkte ein wenig überrascht über diese und wich vor mir zurück.

„Du willst fliegen?“, schloss er und ich nickte. „Wir könnten auch das Pferd nehmen. Das hält uns bestimmt beide aus.“

Ich ging nicht auf seinen Vorschlag ein, sondern packte ihn mir und erhob mich mit ihm in die Lüfte. Er zappelte und fluchte, während der Boden unter ihm in die Ferne rückte.

„Bist du sauer auf mich?“, fragte er dann plötzlich und hielt sich seine Hände vor die Augen. Ich erwiderte ihm nichts, sondern steuerte nur den Wald mit ihm an, in welchem mein Zuhause lag. Ich landete vor diesem und ließ Milan erst los, als er wieder festen Boden unter seinen Füßen hatte. Er nahm seine Hände von den Augen und sah sich um, als wollte er herausfinden, wo wir waren.

„Ich habe tatsächlich kurz gedacht, du würdest mich umbringen wollen“, gestand er mir dann. „Weil ich Scheiße gebaut habe.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Wenn ich das wollte, würde ich das nicht auf diese Weise machen“, erwiderte ich ihm und ging an ihm vorbei hinein in den Wald. „Komm jetzt.“

Er folgte mir sofort.

Als wir uns meinem Haus näherten, roch ich, dass Krieger des Königs dort gewesen waren und ich beschleunigte meinen Schritt, weil ich plötzlich Angst um meine Familie bekam. Milan eilte mir hinterher.

Ich hoffte, dass sie meiner Frau nichts getan hatten und auch meinem Sohn nichts. Es gab ja schließlich auch keinen Grund dazu. Wir hatten uns nichts zuschulden kommen lassen und lebten nach den Gesetzen. Aber wenn der König seine Krieger zu uns schickte und keine Boten, dann ging es um etwas Größeres, als mich nur zu sich zu bestellen.

Ich sah, dass im Wohnzimmer noch Licht brannte, als wir mein Zuhause endlich erreichten, und ich atmete tatsächlich erleichtert auf, weil es in mir die Hoffnung verstärkte, dass es meiner Familie gut ging.

„Was ist denn los?“, wunderte sich Milan hinter mir und ich drehte mich zu ihm um. „Warum hattest du es plötzlich so eilig? Ist etwas …“

Er stockte und ich erkannte, wie Panik in ihm aufstieg. Ob er die Krieger jetzt etwa roch?

„Irgendwer Fremdes ist hier. Irgendwer Starkes“, flüsterte er dann und ich nickte.

„Also nimmst du das auch endlich wahr. Ja, es stimmt, es waren Krieger vom Vampirkönig hier, aber sie sind bereits weg“, erklärte ich ihm und wandte mich wieder von ihm ab. „Ich muss meine Frau fragen, was die von uns wollten.“

Er erwiderte mir nichts, sondern folgte dicht hinter mir, als ich zum Haus schritt und dieses betrat. Meine Frau saß im Wohnzimmer und schien Koffer zu packen, was mich wunderte.

Sie sah jedoch auf, als ich eintrat.

„Ihr müsst von hier weg“, sagte sie mir. „Der Bote, dem ihr gestern begegnet seid, hat bemerkt, dass Milan zu einem Vampir geworden ist und hat dies dem König erzählt, und dieser will nun eine Erklärung dazu. Ich habe ihm gesagt, dass du nach ihm gerade suchen würdest und ich dir von seiner Aufforderung, diesen zu ihm zu bringen, berichten würde.“

Ich schluckte und bemerkte den besorgten Blick, den mir Milan zuwarf.

„Da sie befürchten, dass seine alten Kollegen sich an uns rächen könnten, lassen sie Christian und mich morgen abholen und an einen sicheren Ort bringen“, ergänzte sie. „Ich denke, sie werden uns zum Königshaus bringen.“

Das gefiel mir überhaupt nicht, daher knurrte ich unzufrieden.

„Ich kann euch auch von hier fortschaffen“, erwiderte ich ihr, doch sie schüttelte den Kopf.

„Verschwinde mit Milan sofort von hier“, forderte sie mich auf. „Er darf auf gar keinen Fall zum König.“

Ich hörte, wie er schluckte, und drehte meinen Kopf kurz zu ihm.

„Dann will ich mich aber noch verabschieden, bevor ich mit ihm fliehe“, meinte ich zu meiner Frau und ging zu ihr, um sie in den Arm zu nehmen. Sie erwiderte mir die Umarmung und gab mir einen traurigen Kuss.

„Christian schläft bereits und denkt, du suchst nach Milan. Ich werde ihm nicht verraten, dass du wieder hier warst, damit er nicht hinterfragt, warum du nicht nach ihm gesehen hast, bevor du geflohen bist“, erklärte sie mir und ich nickte traurig. „Nimm dir deine Waffen mit und sorge dafür, dass sie Milan nicht finden.“

Sie küsste mich noch einmal, ehe sie mich losließ. Ich atmete tief durch und wandte mich an Milan.

„Du hast es gehört. Ab heute sind wir beide auf der Flucht. Nimm dir deine Waffen und deine Tasche und geh bitte in die Küche“, wies ich ihn an.

Er nickte unsicher und ich ging in mein Schlafzimmer, um mir mein Schwert und meine Ausrüstung zu holen, ehe ich mit diesen in die Küche schritt und dort unter Beobachtung von Milan in unseren Vorratsschränken nach etwas suchte. Ich holte zwei Flaschen mit abgefülltem Blut hervor. Mit denen wären wir erst einmal versorgt, wenn wir sparsam davon tranken.

Er war allerdings nicht sonderlich erfreut darüber, als ich seine Tasche leerte und dafür die Flaschen und meine Ausrüstung bis auf das Schwert in dieser verstaute. Die Decke, welche ich ebenso einpackte, würde uns von Nutzen sein, dessen war ich mir sicher. Ich ließ ihn auch seine Dolche in die Tasche legen, bevor ich sie verschloss und anhob, um sie mir über die Schulter zu werfen, damit ich sie tragen konnte.

„Willst du das wirklich meinetwegen tun?“, zweifelte er und ich nickte.

„Ich habe dir versprochen, dass ich nicht verraten würde, was passiert ist und wenn ich dafür mit dir fliehen muss, um dich irgendwo hinzubringen, wo du nicht in die Hände anderer Vampire gerätst, dann werde ich das tun“, erwiderte ich ihm. „Wenn ich dich versteckt habe, werde ich meine Familie vom König wegholen und woanders hinschaffen.“

Er folgte mir aus der Küche und aus dem Haus und sah besorgt in den Himmel, kaum dass wir draußen standen.

„Vertrau mir. Ich lasse nicht zu, dass sie dich finden“, versicherte ich ihm und er nickte, ehe ich mit ihm an meinem Haus vorbei tiefer hinein in den Wald ging. Dort wären wir etwas geschützter vor der Sonne, sobald diese aufgehen würde. Aber eigentlich wäre es besser, wenn ich einen Platz für unsere Tagesruhe finden würde. Vielleicht wäre dies auch erst einmal ein gutes Ziel. Über alles Weitere könnte ich mir auch noch später mit ihm zusammen Gedanken machen.



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