Will You Be My Quarantine? von Rosmarinia ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Dass sich das Dach des mehrstöckigen Gebäudes, auf dem sie sich befanden, wie so oft als seine Schwachstelle herausstellen würde, war für Shikamaru bereits weit im Voraus offensichtlich gewesen. Als er vor dem unbewachten Lüftungsrohr in die Hocke ging, verschmolz er dank seiner pechschwarzen Kleidung mit der Dunkelheit, die sich mit dem Sonnenuntergang vor einigen Stunden unaufhaltsam ausgebreitet hatte. Der Mond, der Sekunden zuvor hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden war, war die einzige theoretisch vorhandene Lichtquelle. Es war gut möglich, dass es später in der Nacht noch anfangen würde zu schneien. Schon als er vor ein paar Tagen ausführlich das Missionsdossier studiert hatte, hatte sich ein gewinnendes Lächeln auf seinem Gesicht abgezeichnet. Für einen Auftrag der Klasse A würde das Ganze ein Kinderspiel werden. Ihre Aufgabe war es, in ein unabhängiges Forschungslabor einzusteigen, das unter Verdacht stand, mit den Fördergeldern Konohas und Sunas unerlaubt neuartige Kampfstoffe zu entwickeln. Und was alle Labore, die dem Profil der gegenwärtigen Einrichtung entsprachen, wie Shikamaru wusste, gemeinsam hatten, war das weitläufige Belüftungssystem, das im sachgemäßen Umgang mit potenziell gefährlichen Stoffen unabdingbar war und ihnen nun in absehbarer Zeit Einlass in den Gebäudekomplex gewähren würde. Kakashi hatte um absolute Geheimhaltung und ein unauffälliges Vorgehen gebeten, bis sich herausgestellt hatte, ob überhaupt und, sollte der Verdachte sich bestätigen, vor allem für wen in der Einrichtung unautorisiert geforscht und produziert wurde. Dank einer undichten Stelle, über die sie von dem angenommenen Missbrauch der Geldmittel erfahren hatten, wussten sie, in welchem der Räume die Proben, die sie entwenden und für eine eingehende Analyse nach Konoha zurückbringen sollten, sich befanden. Genau dort, im dritten der fünf Stockwerke des Gebäudes, endete der Lüftungsschacht. Sich der Aufgabe, die vermeintlich gefährlichen Materie ins Dorf zu bringen, selbst anzunehmen, war ihrem Informanten zu heiß gewesen. Deshalb hatte Kakashi in Rücksprache mit Gaara kurzerhand Shikamaru beauftragt, die notwendigen Beweise zu organisieren. Bei der Wahl eines Partners hatte der Hokage ihm freie Hand gelassen. Wenig überraschend war es also Temari, die ihn nun fröstelnd und ob der niedrigen Temperaturen etwas ungeduldig dabei beobachtete, wie er behände eine Schraube nach der anderen löste und die Verkleidung, die dem Rohr eine Abdeckung gegeben hatte, aus ihrer Halterung nahm. Sie war ohnehin in der Gegend gewesen, als Kakashi Shikamaru zu sich gebeten hatte, um ihm den Auftrag zu erteilen. Ohne ein Geräusch zu verursachen, legte der Jonin das Gitter, das er entfernt hatte, auf dem Dach ab und sah Temari auffordernd an. Sie nickte, kletterte in den Lüftungsschacht und ließ sich dann lautlos nach unten rutschen. Wie sie es zuvor in aller Ausführlichkeit besprochen hatten, signalisierte sie ihm mit einem kurzen Aufleuchten ihrer Taschenlampe, dass sie heil am anderen Ende angekommen war, und gab Shikamaru damit das Zeichen, ihr nachzufolgen. Trotz des Rucksacks, den sie zum Transport der Proben mitgenommen hatten, war es auch für ihn ein Leichtes, durch das Rohr ins Innere des Gebäudes zu gelangen. Nach einer einigermaßen eleganten Landung, die er ein wenig selbstzufrieden zur Kenntnis nahm, richtete er sich auf und ließ seinen Blick durch den Raum wandern. Es war düster. Stille umgab sie. Wie von ihrem Kontakt versichert, hielt sich abgesehen von einigen wenigen Mitarbeitern der Security zu dieser späten Stunde niemand mehr innerhalb des Gebäudes auf. Um sich mit dem zeitlichen Ablauf und den Wegstrecken, die das Sicherheitspersonal nachts auf ihren Rundgängen zurücklegte, vertraut zu machen, hatten Shikamaru und Temari sich die Zeit genommen, sie eine Weile aus dem Unterholz des nahegelegenen Waldes heraus zu beobachten, ehe sie zu einem späteren Zeitpunkt im Schutz der Dunkelheit das Dach erklommen hatten. Folglich wussten sie, dass sich – abhängig von der Dauer der Raucherpause, die einer der Männer mehr als regelmäßig einzulegen schien – in den nächsten zehn bis fünfzehn Minuten niemand in dem Teil des Komplexes aufhalten würde, in dem sie sich nun befanden. Abgesehen von der Tatsache, dass die Lüftungsschächte nicht unbedingt breit gebaut waren, hatte das geringe Risiko einer Konfrontation nicht unwesentlich zu ihrer Entscheidung beigetragen, den Großteil ihrer Ausrüstung in ihrem Lager einige Kilometer entfernt zurückzulassen und sich auf ein paar der Hauptbestandteile der Grundausstattung zu beschränken. Bei sich trugen sie nun lediglich eine Handvoll Kunai und Shuriken, ein kleines Erste-Hilfe-Set, denn man konnte nie wissen, und ein paar Rauch- und Briefbomben, da es sich bei manchen der Wachleute um ehemalige Shinobi handelte, die den Dienst aus unterschiedlichen Gründen quittiert hatten. Leichtsinnig hatten sie dementsprechend selbstverständlich keinesfalls sein wollen und die Taschen, die sie routinemäßig am Körper trugen, mit einer kleinen Auswahl von allem, das ihnen im Notfall das Leben retten konnte, gefüllt. Da in ihrer Umgebung weiterhin alles ruhig blieb, knipste Shikamaru seine Taschenlampe an und zog den kleinen Zettel aus der Hosentasche, auf dem er sich den ungefähren Aufbewahrungsort der Proben, die sie mitnehmen sollten, notiert hatte. Während Temari sich für alle Fälle an der Tür positionierte und vorsichtig durch die kleine Glasscheibe spähte, die das schwache Licht des Notausgangschilds vom Flur aus in das verlassene Labor hineinließ, schritt er die äußerlich unscheinbaren Apothekerschränke ab, die sich an zwei der vier Wände befanden. Als er den Richtigen gefunden hatte, öffnete er nach und nach jede der sich darin befindlichen Schubladen, um sie auf ihren Inhalt zu überprüfen. Nach einigen Minuten des Suchens, in denen Temari ihr näheres Umfeld genau im Auge behielt, fand er schließlich, wonach er gesucht hatte. Shikamaru klemmte sich die Taschenlampe zwischen die Zähne und nahm, wie es in ihrem Dossier gestanden hatte, vier gläserne Phiolen, die allesamt eine bläuliche Flüssigkeit enthielten, aus ihrer Befestigung. Als er sie gerade behutsam verstauen wollte, zischte Temari leise, aber in einem alarmierenden Tonfall seinen Namen. Er sah reflexartig auf, ließ die Proben etwas unsanfter als geplant in seinen Rucksack fallen und löschte das Licht seiner Taschenlampe. Innerhalb von Sekunden befand er sich neben ihr mit dem Rücken an der Wand. Sie legte sich einen ihrer Zeigefinger an die Lippen. Er lauschte konzentriert und sah sie fragend an, doch sie bedeutete ihm weiterhin, still zu sein. Und tatsächlich – wenige Sekunden später durchbrach Licht aus einer unbekannten Quelle die Dunkelheit auf dem Flur vor der Tür, neben der sie sich an die Wand drückten. Das Geräusch fremder Schritte störte die Stille und ließ Shikamaru, genervt von dieser unplanmäßigen Entwicklung, die Stirn runzeln. Allem Anschein nach waren dem ketterauchenden Wachmann, der sich nun wesentlich früher als gedacht durch den Gang auf das Labor zu bewegte, die Zigaretten ausgegangen. Das Licht kam näher. Temari verfluchte ihre blonden Haare, die im Halbdunkel wie ein Leuchtsignal wirkten, drückte sich mit dem Rücken enger an die Wand. Shikamaru, dem ebenfalls nicht entgangen war, dass ihr helles Haar anfing, das einfallende Licht zu reflektieren, verlagerte geringfügig seine Position, fixierte seine Partnerin zwischen seinem Oberkörper und dem kühlen Beton und schirmte sie so vom Licht ab, das in den Raum einfiel. Beide hatten ihre Atemfrequenz auf ein Minimum reduziert. Die Schritte stoppten. Shikamarus Hand glitt langsam zu der schmalen Tasche, die er am Oberschenkel trug, und zog eins seiner Kunai. Augenblicke, nachdem er seine Waffe fest mit der Faust umschlossen hatte, fiel der dünne Strahl der Taschenlampe durch die Glasscheibe direkt in das Labor und es kam, was hatte kommen müssen. Während der Lichtkegel gerade dabei war, sich von der einen Seite des Raumes zur anderen zu bewegen, blieb er an dem Schrank hängen, an dem Shikamaru sich zu schaffen gemacht hatte und dessen Schubladen er wegen des plötzlichen Auftauchens des Wachdienstes nicht mehr hatte schließen können. Genau dort verharrte der Lichtpunkt kurz und verschwand dann, unmittelbar gefolgt vom geräuschvollen Klimpern eines Schlüsselbundes. Der Mann an der Tür bellte einen kurzen Befehl in sein Handfunkgerät, gab seine Position durch und forderte damit aufgrund verdächtiger Bewegungen in einem der Forschungsräume Verstärkung an. Dann fand der Schlüssel sein Schloss. Shit. Shikamaru kniff für eine Sekunde die Augen zusammen und atmete tief durch. Dass die Tür ihnen Deckung gab, bis der Wachdienst weiter in den Raum vorgedrungen war, gab ihnen die Zeit, die sie brauchten. In der Frage von Kampf oder Flucht entschied Shikamaru sich in Ermangelung des Großteils ihrer Ausrüstung für Zweiteres. Temari vertraute seinem Urteilsvermögen bedingungslos. Er griff entschlossen nach ihrer Hand und zog sie blitzschnell mit sich auf den Flur. Dann rannten sie, ohne sich umzusehen. Das rasende Toben des Wachmanns, der sofort die Verfolgung aufnahm, hallte an den Wänden wider. Als sie auf eine Stelle zuhielten, an der sich der Korridor nach rechts und nach links gabelte, entschied Shikamaru sich intuitiv für den Weg nach rechts. Der Stimme ihres Verfolgers schlossen sich weitere an. Sie mussten sich nicht umdrehen, um festzustellen, dass die Verstärkung offensichtlich eingetroffen war und zu ihnen aufzuschließen drohte. Hektisch ging Shikamaru die Optionen durch, die sie hatten. Er hatte den Lageplan des Gebäudes im Kopf. Das Treppenhaus befand sich auf der gegenüberliegenden Seite des Stockwerks. Einen anderen Weg nach draußen gab es nicht. Doch noch eine Konfrontation zu riskieren, war ob ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit absurd. „Wie geht’s weiter?“ In Temaris Stimme lag ein gehetzter Unterton. Der Trupp hinter ihnen holte langsam auf. Shikamaru zog ungehalten die Augenbrauen zusammen. Dann traf er eine Entscheidung und griff nach seinen Briefbomben. Die Wucht der Explosion riss ein kolossales Loch in die Außenwand der Forschungseinrichtung. Fensterscheiben zersplitterten. Rauchmelder heulten auf und aktivierten die Sprinkleranlage. Die Staubwolke der Detonation breitete sich aus. Ohne ihre Geschwindigkeit zu verringern, sprinteten Shikamaru und Temari auf ihren improvisierten Notausgang zu. Als wollte sie sichergehen, dass er nicht zurückblieb, war sie es, die in diesem Moment nach seiner Hand griff, bevor der zurückgebliebene Rauch sie verschluckte und sie sich fast zeitgleich vom Rand des Gebäudes abstießen und in die Tiefe sprangen. Kälte schlug ihnen entgegen. Der Boden kam näher. Von Eleganz konnte bei Shikamarus Landung dieses Mal keine Rede sein. Die Hauptsache war jedoch, dass er nach dem knapp zehn Meter langen Fall dank der Menge an Chakra, die er in seinen Beinen konzentriert hatte, unbeschadet auf dem Boden aufkam. Die Phiolen in seinem Rucksack stießen klirrend aneinander. Neben ihm richtete Temari sich auf, wischte sich die Mischung aus Staub und Wasser aus dem Gesicht und sah noch einmal nach oben in Richtung der chaotischen Zerstörung, die sie mit ihrem Sprung hinter sich gelassen hatten. „Ungewöhnlich rabiat für deine Verhältnisse. Aber zielführend.“ Shikamaru schnaubte. „Was meinst du, wie viel Vorsprung haben wir? Zwei, drei Minuten?“ Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Höchstens.“ Er seufzte. Es nervte tierisch, wenn Unvorhersehbarkeiten dafür sorgten, dass seine Pläne in die Hose gingen. Nun zu ihrem Lager zurückzukehren, war mit ihren Verfolgern im Nacken wohl keine allzu gute Idee. „Na dann. Aufbruch.“, schloss er frustriert und verabschiedete sich mental von einer lauschigen Nacht am Lagerfeuer, auf die er insgeheim gehofft hatte. Stattdessen erwarteten sie allem Anschein nach ein paar lange und ungemütliche Stunden im Wald, der das Gelände umgab. Temari nickte und setzte sich in Bewegung, Shikamaru folgte ihr nach. Wenn sie den Wachposten, die zweifelsfrei eher früher als später die Verfolgung aufnehmen würden, lange genug entgehen konnten, konnten sie gegebenenfalls noch einmal darüber nachdenken, ob eine Rückkehr zu ihrem Lager sich lohnen würde. Da sich dort unter anderem Temaris Fächer befand, den sie nur widerwillig dort zurückgelassen hatte, kannte Shikamaru die Antwort auf diese Frage ohnehin schon. Doch bis dahin galt es, einen Zufluchtsort für die Nacht zu finden, dort auszuharren und abzuwarten. Kapitel 2: ----------- Als sie den Waldrand erreicht hatten, hatte ein kurzer Blick zurück ihre Vermutung bestätigt: ein nicht zu kleiner Teil des Wachdienstes schien ihnen auf den Fersen zu sein, um die Proben zurückzuholen, die Shikamaru und Temari für eine eingehende Analyse in Konoha entwendet hatten. Dass sie noch immer nicht wussten, worum genau es sich bei der Flüssigkeit handelte, die in der Forschungseinrichtung hergestellt worden war, gab Shikamaru ein etwas ungutes Gefühl, das er zu verdrängen versuchte, während er sich mit Temari zielstrebig weiter Richtung Norden bewegte. Ihre Mission war zu seinem Leidwesen bisher alles andere als nach Plan verlaufen. Dementsprechend, und es gab wenige Dinge, die ihm mehr auf die Nerven gingen, galt es nun zu improvisieren – und das mit einem nur unzureichend gesicherten, potenziell gefährlichen Kampfstoff auf dem Rücken. Als oberste Priorität mussten sie die Distanz zu ihren Verfolgern vergrößern. Dabei spielten ihnen die dicht an dicht gewachsenen Bäume, über die die beiden Shinobi sich routiniert fortbewegten, in die Hände. Der schmale Weg, der alternativ durch den Wald führte, wirkte aus der Vogelperspektive eher wie ein in die Jahre gekommener Trampelpfad. Allem Anschein nach hatte die Vegetation sich bereits vor einiger Zeit ehrgeizig auszubreiten begonnen und dadurch den menschengemachten Fußweg, der sich zwischen den Bäumen hindurch schlängelte, vielerorts kaum passierbar gemacht. Unter diesen Bedingungen war es ihnen leichter als zunächst angenommen gelungen, ihren Vorsprung mehr und mehr zu vergrößern. Schon seit geraumer Zeit waren sie, abgesehen vom leisen Plätschern eines Flusses, der sich ganz in ihrer Nähe befinden musste, die einzigen, die innerhalb ihrer weitläufigen Umgebung die Ruhe des Waldes störten. Die Chancen standen gut, dass sie die letzten Mitglieder des Wachpersonals, die ihnen noch ein Stück in den Wald hinein gefolgt waren, inzwischen abgehängt hatten. Die Temperatur schien zusätzlich noch weiter gefallen zu sein, was die Wahrscheinlichkeit, dass sich außer ihnen noch jemand so weit vom Forschungsgelände entfernt hatte, zusätzlich stark reduzierte. Wie schon zuvor auf dem Dach spürte Temari die beißende Kälte allmählich auch durch den Stoff ihrer kälteisolierenden Kleidung hindurch und hatte, obwohl sie konstant in Bewegung geblieben waren, wieder angefangen zu frösteln. Mit einer kurzen Geste bedeutete sie Shikamaru also, dass sie Halt machen wollte und stoppte, nachdem er ihre Bitte abgenickt hatte, wenige Augenblicke später auf einem besonders dicken Ast eines Nadelbaumes. Einer Verschnaufpause ebenso wenig abgeneigt, kam Shikamaru direkt neben ihr zum Stehen und stemmte mit einem ausgelaugten Seufzen die Arme in die Hüfte. Sein Atem kondensierte und wurde als kleines Wölkchen sichtbar. Der Temperatursturz war auch ihm nicht entgangen. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit und die schweißtreibende Flucht war seine Kleidung unangenehm klamm und klebte an seiner Haut. In Kombination mit der kriechenden Kälte wurde ein Feuer damit unvermeidbar, wenn sie sich nicht mit einer Unterkühlung den Tod holen wollten. Auch wenn das zwangsläufig bedeutete, dass das Risiko anstieg, aus der Entfernung doch noch entdeckt zu werden, schien Temari seine Meinung zu teilen. „Du checkst die Umgebung nach einem Unterschlupf, ich suche nach Holz fürs Feuer?“ „Wieder hier in fünfzehn Minuten?“ Sie nickte und überwand sich der Kälte und ihrer anklingenden Müdigkeit zum Trotz zu einem kurzen Grinsen. „Nicht vergessen, ich hab hohe Ansprüche.“ Mit einem weiteren erschöpften und noch immer etwas unzufriedenen Seufzen legte Shikamaru knappe dreißig Minuten später die Äste ab, die er Temari abgenommen hatte, nahm seinen Rucksack von den Schultern und ließ sich dann unsanft auf den Waldboden fallen. Die tiefliegende Senke, durch die sich der schmale Fluss, den sie aus den Bäumen heraus bereits zur Kenntnis genommen hatten, seinen Weg bahnte, war das Beste gewesen, das er innerhalb der kurzen Zeit hatte finden können. Durch die unscheinbare, recht breite Brücke, die sich darüber spannte, waren sie zumindest einigermaßen geschützt vor dem noch immer drohenden Schneefall und dem eisigen Wind, der zwischen den Bäumen hindurchpfiff. Genauso wie die Überreste des Gehwegs war auch der Granitstein, der sich über ihnen erstreckte, mit der Zeit zu großen Teilen überwuchert worden. Durch die wildwachsende Pflanzenwelt zu ihren Seiten, die sich in Form von einem dichten Gestrüpp aus Farnen und Gräsern materialisierte, verbarg sie ihr behelfsmäßiger Unterschlupf, wie Temari nach ihrer anfänglichen Skepsis feststellen konnte, besser als gedacht. Das übrige Holz, das sie aufgesammelt und Shikamaru ihr nicht zum Tragen aus den Armen genommen hatte, vervollständigte polternd ihren Haufen an Feuerholz, der sie voraussichtlich durch den Rest der Nacht bringen würde. Das meiste davon war, ebenso wie ihre Kleidung, durchzogen von Feuchtigkeit. „Meinst du, du kriegst damit ein Feuer zustande?“ Sie wirkte müde und wenig überzeugt. Shikamaru zog eins seiner verbliebenen Kunai aus seiner Tasche und brachte zusätzlich dazu Asumas Feuerzeug zum Vorschein. „Wird schon.“ Er selbst musste zugeben, dass er schon enthusiastischer geklungen hatte. Doch es half nichts. Während er sich einen der dickeren Äste nahm und mit der scharfen Klinge seiner Waffe damit anfing, die äußeren Schichten des Holzes nach und nach abzuhobeln, um in seinem Inneren, so seine Hoffnung, auf einen trockeneren Kern zu stoßen, ließ Temari sich neben ihm nieder und zog die Beine an die Brust. „Brauchst du Hilfe?“ Er schüttelt den Kopf. „Ich hab’s gleich.“ Geschickt errichtete er aus den leichter entzündlichen Ästen und Holzstücken aus ihrer Sammlung eine kleine Pyramide mit ein wenig Gestrüpp in ihrem Zentrum, das ihrem Lagerfeuer einen ersten Angriffspunkt geben sollte. Unter Temaris wachsamem Auge entzündete er die feinen, mittig platzierten Gräser, von denen sich das Feuer hoffentlich schnell auf das sie umgebende Brennmaterial ausbreiten würde, mit seinem Feuerzeug. „Na also…“, murmelte er mit etwas mehr Zuversicht und gab den verhalten auflodernden Flammen Zeit sich zu stabilisieren, ehe er noch ein paar der übriggebliebenen Holzschnitze in die Mitte des Gebildes schob. Temari seufzte erleichtert und rutschte ein wenig näher an Shikamaru heran. Es sah ganz danach aus, als war die lauschige Nacht am Lagerfeuer, auf die er gehofft hatte, doch noch nicht ganz vom Tisch. „Du hast sein Feuerzeug immer noch jeden Tag bei dir, hmm?“ Er nickte wortlos, während sein Arm seinen Weg um ihre Taille fand. Über die Jahre war das Narbengewebe, das sich über die tiefen Wunden des Verlustes gelegt hatte, etwas weniger schmerzempfindlich geworden. Zumindest in Bezug auf Asuma. Sobald es um Gefühle und seine mittelprächtigen Bewältigungsmechanismen ging, hüllte Shikamaru sich trotzdem meist in einen Mantel des Schweigens und legte sogar Temari gegenüber einen ungewohnten Grad an Verschlossenheit an den Tag. Doch sie bohrte nie weiter nach – auch nicht in diesem Moment. Stattdessen legte sie schweigend ihren Kopf an seine Schulter und ihren Arm um seinen Rücken. Zum ersten Mal seit Stunden schlich sich der Anflug eines zufriedenen Lächelns auf Shikamarus Gesicht. Sie waren sich schon einige Male zuvor so nahegekommen – dann und wann vielleicht sogar ein wenig näher – und er hatte schon vor einer Weile begonnen, wirklich Gefallen daran zu finden. Diesmal runzelte Temari allerdings nach einem kurzen Moment die Stirn. „Wieso ist dein Pullover so feucht?“ Sie tastete irritiert einen Bereich seines unteren Rückens ab. „Was weiß ich. Schweiß?“ Zu seinem Verdruss löste sie ihre Umarmung weitaus schneller als gedacht, um irritiert zuerst seine Kehrseite und dann ihre Hand anzusehen, die mit der Stelle in Berührung gekommen war. „Nein, das ist zu punktuell für Schweiß…“ „Was soll es denn sonst…“ Er stockte und starrte noch einen Moment in den Schein des gemächlich wachsenden Feuers. In seinem Gedächtnis hallte das leise Klirren wider, das er bei seiner unsanften Landung vor dem Forschungsgebäude am Rande wahrgenommen hatte. „Oh Shit…“, murmelte er. Temari musste nicht nachfragen, um zu wissen, woran er dachte. Alarmiert griff sie nach dem Rucksack, den Shikamaru vor einiger Zeit neben sich abgestellt hatte, und zog hektisch den Reißverschluss auf. Ihre Hände verkrampften sich um das Material. Sie presste die Lippen zusammen. Shikamarus Blick drohte, sie zu durchbohren. „Wie viele?“ Sie stieß resigniert die Luft aus ihrer Lunge aus, die sie unterbewusst für einige Sekunden angehalten hatte, und setzte den Rucksack wieder auf den Boden ab. „Eine… die anderen drei sind intakt.“ Shit. Shikamaru entwich ein Laut äußerster Frustration. Dann zog er sich kurzerhand den Pullover über den Kopf und betrachtete im warmen Licht des Lagerfeuers den handtellergroßen Fleck, den man bei genauerem Hinsehen auf dem dunklen Stoff erkennen konnte. Ein vergleichbarer Fleck befand sich auch auf der Rückseite des Rucksacks, den er für mehrere Stunden auf dem Rücken herumgetragen hatte. Offensichtlich war irgendwann im Verlauf ihres übereilten Aufbruchs, wahrscheinlich bereits bei ihrem Sprung aus dem dritten Stockwerk, eine der gläsernen Phiolen, die die ganze Zeit über unsanft gegeneinandergestoßen waren, zu Bruch gegangen. Ihr Inhalt, die bläuliche Flüssigkeit, der unbekannte Kampfstoff, die potenziell gefährliche Biowaffe, war ausgelaufen und hatte sich großflächig verteilt. Und irgendwann war ein nicht zu kleiner Teil davon durch eine der Nähte gesickert, die die wenigen einzelnen Teile, aus denen der Rucksack zusammengefügt worden war, zusammenhielten. Von dort aus war sie auf Shikamarus Pullover und seinen Rücken gelangt, wo vor wenigen Minuten schließlich auch Temari mit ihrer bloßen Handfläche mit ihr in Kontakt gekommen war. Fluchend umfasste er den Unterarm seiner Partnerin, zog sie daran enger zu sich heran und betrachtete ihre unscheinbar wirkende Hand, um auch nur den kleinsten Hinweis darauf zu finden, womit sie sich womöglich kontaminiert hatten. Sie ließ ihn machen und überschlug gedanklich, wie lange es wohl ungefähr her war, dass die Flüssigkeit seine Haut erreicht hatte. „Spürst du irgendwas?“ Er schüttelte den Kopf, während er weiter konzentriert ihre Hand studierte. „Du?“ „Auch nicht.“ Seufzend strich sie sich mit der anderen ihre Haare aus der Stirn. „Was machen wir jetzt, Shika?“ Er sah überrascht auf und begegnete ihrem Blick. Shika. Es war noch nicht allzu lange her, dass Temari Gefallen an seinem Kosenamen aus Kindertagen gefunden hatte. Ino, die immer wieder mit Freude dafür sorgte, dass Temari von Dingen erfuhr, die er ihr lieber vorenthalten hätte, hatte ihn ihr vor ein paar Wochen während eines gemeinsamen Grillabends mit der ganzen Truppe gesteckt. Benutzt hatte sie ihn bisher allerdings nur selten – meistens ausschließlich, wenn sie ihn hatte aufziehen wollen. Doch unter diesen Umständen schien die Verwendung seines unliebsamen Spitznamens etwas anderes zu implizieren. Die Unsicherheit, die er für den Bruchteil einer Sekunde in ihren Augen zu sehen geglaubt hatte, war allerdings binnen eines Wimpernschlags wieder hinter der Mauer ihres Stolzes und ihrer Professionalität verschwunden. Er räusperte sich, warf einen letzten Blick auf ihre Handfläche und gab ihren Arm dann wieder frei. „Viel können wir nicht tun. Außer die Mission beenden. Das Zeug kann alles Mögliche sein. Sobald es im Labor analysiert wurde, wissen wir mehr.“ Stille trat ein. Temari wusste, dass er Recht hatte. Dass der Inhalt der Phiolen sich nicht sofort auf sie ausgewirkt hatte, war nur auf den ersten Blick ein gutes Zeichen. Die Bandbreite an möglichen Wirkmechanismen, die schlicht und einfach noch nicht aktiv oder spürbar geworden waren, war endlos. Ihnen blieb folglich tatsächlich nichts anderes übrig, als nach Konoha zurückzukehren, die drei verbleibenden Proben dem Hokage auszuhändigen und darauf zu hoffen, dass die Analyse keine allzu fatalen Ergebnisse zu Tage fördern würde. „Großartig.“, zog Temari als Fazit unter ihre Situation. „Immerhin ist es nicht mehr so scheißkalt.“, warf Shikamaru trocken ein und zog seinen Pullover wieder über. Dass er dadurch erneut mit dem vollgesogenen Stoff in Berührung kam, machte nun ohnehin keinen Unterschied mehr. „Schwacher Trost.“ „Ich weiß.“ Die Stille kehrte für einen Moment zurück und wurde lediglich vom heimeligen Knistern des Feuers unterbrochen, das nach ihren jüngsten Erkenntnissen sehr befremdlich wirkte. Temari zog ihre Knie wieder an die Brust, sah in die Flammen und unterdrückte das aufkeimende Unbehagen, das langsam in ihr aufzusteigen drohte. Jetzt den Kopf in den Sand zu stecken und in einen Krisenmodus zu verfallen, würde niemandem helfen. Also ließ sie es bleiben und versuchte diszipliniert, eine stoische Haltung zu wahren. Shikamaru ließ derweil Asumas Feuerzeug immer wieder leise auf- und wieder zuschnappen und sah stur geradeaus. Innerlich verfluchte er den Wachmann, der unvorhergesehen aufgetaucht war und ihre Misere damit ausgelöst hatte. Primär war er jedoch vor allem wütend auf sich selbst und die Unachtsamkeit, die er aus der Situation heraus im Umgang mit den Proben an den Tag gelegt hatte. Sie hätten sich mehr Zeit nehmen müssen, um die Lage besser einschätzen zu können. Sie hatten vor ihrem Zugriff nicht lange genug abgewartet. Es war seine Aufgabe gewesen, für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen. Im Angesicht seines Scheiterns setzte er einen etwas gequälten Gesichtsausdruck auf und verstärkte geistesabwesend den Griff um das Feuerzeug. „Temari, ich wollte nicht, dass…“, begann er irgendwann, doch sie schnitt ihm sofort das Wort ab. „Vergiss es, Shikamaru. Und das meine ich todernst.“ Sie sah ihn streng an und verlieh ihrem Tonfall damit den notwendigen Nachdruck, um ihn davon abzuhalten, ihr zu widersprechen. „Das ist nicht deine Schuld.“ Er schwieg und wich ihrem Blick aus. Das Feuerzeug schnappte auf und wieder zu. „Hör auf damit, dich immer für alles verantwortlich zu machen. Nur weil du auf dem Papier der Leiter der Mission bist, heißt das nicht, dass du automatisch schuld bist, wenn irgendwas nicht nach Plan verläuft. Ich bin auch noch da.“ Er wirkte noch immer nicht unbedingt überzeugt, hörte aber zumindest auf, angespannt mit seinem Feuerzeug herumzuspielen. Temari seufzte und rutschte zum zweiten Mal in dieser Nacht wieder näher an ihn heran. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich an ihn lehnte, brachte Shikamaru dazu, seine verkrampfte Körperhaltung und seine Gesichtszüge ein wenig zu entspannen. Zögerlich schlang sich sein rechter Arm wieder um ihre Taille. „Niemand zwingt dich, dir das Gewicht der Welt auf die Schultern zu laden. Also lass es.“ „Okay…“, flüsterte er nachgiebig. Temari folgte ihrem inneren Impuls, sich in seine Umarmung zu schmiegen, und schloss die Augen. „Machst du die erste Schicht…?“, murmelte sie schläfrig. „Mhm.“ „Weck mich in ’ner Stunde…“ „Mach ich.“ „Und pass auf, dass das Feuer nicht ausgeht.“ Er schnaubte und drückte sie sachte an sich. Sekunden später war sie eingeschlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)