Tagebuch einer Trainerin von SoraNoRyu (Pokémon Weiße Edition (Nacherzählung)) ================================================================================ Kapitel 1: Der Beginn einer Reise --------------------------------- Endlich ist es soweit, heute ist der große Tag. Der Tag, an dem auch wir endlich unsere ersten Pokémon von Professor Esche bekommen, um uns auf die lang erwartete Reise durch die Einall Region zu machen. Eine Reise, die Kinder normalerweise im Alter von zehn Jahren schon antreten, um ein wenig von der Welt zu sehen und einen Plan für ihre zukünftige Karriere zu fassen. Wir allerdings haben uns Zeit gelassen, vier quälend lange Jahre, alles aus Rücksicht auf Bell, deren strenger Vater sie so jung nicht gehen lassen wollte. Jetzt allerdings steht das Paket mit den drei Pokébällen endlich in meinem Zimmer, und ich kann es kaum erwarten, hineinzusehen. Der große Flachbildschirmfernseher, den Vater mir gekauft hat, flimmert vor meinem Gesicht, aber ich kann mich kaum auf das Wii-Spiel konzentrieren, mit dem ich die Wartezeit überbrücken wollte. Auch sonst gibt es in meinem Zimmer nicht viel, was von der schicken, blauen Geschenkbox ablenken könnte; dezent gemusterte Tapeten in hellem beige, blau gestrichene Holzvertäfelungen und ein heller Holzboden. Links neben dem Fernseher ein kleines Bücherregal, rechts eine dunkle Kommode. Der violett und pink gemusterte Teppich, auf dem ich sitze, ist der intensivste Farbklecks im ganzen Zimmer, dicht gefolgt von den dunkelvioletten Bezügen des Futonbetts am anderen Ende. Cheren sitzt auf dem blauen Sitzkissen vor meinem Schreibtisch. Er ist schon lange da und wirkt, wie immer, gelassen und gut vorbereitet. Als ich beschlossen habe, Bell zu liebe auch meine Reise aufzuschieben, hatte er sich bedingungslos angeschlossen, angeblich, weil er ohnehin schon weiß, was er mit seinem Leben machen und auf welche weiterführende Schule er gehen will. Die Pokémon Akademie, wo man alles lernt, was ein zukünftiger Meister, Professor oder Sammler der vielfältigen Monster wissen muss. Wir drei waren mit Abstand die Jüngsten in unserer Klasse, weil alle anderen Kinder unseres Jahrgangs die traditionelle Reise angetreten sind; ein oder zwei Jahre ist man schon unterwegs, und entsprechend weit waren uns unsere neuen Klassenkameraden voraus, in Jahren und in Erfahrung. Ein Vorteil für Cheren, der praktisch als alter Mann geboren wurde und immer schon besser mit Erwachsenen klarkam als mit Kindern seines Alters, aber für Bell war es Folter. Auch ich wollte nichts mehr als endlich die Reise anzutreten, die alle anderen schon hinter sich gebracht hatten und von der sie mit einer Begeisterung erzählen konnten, dass einem beim Zuhören schwindelig wurde. Aber nun ist es ja endlich soweit, und ich kann es kaum erwarten, all die Tipps und all das gelernte Wissen in der Praxis auszuprobieren. Seufzend schalte ich die Wii aus, ich kann mich ohnehin nicht konzentrieren. Die Geschenkbox steht immer noch auf dem hellen Holztisch, mittig zwischen Cheren und meinem Bett. Sie ist in glänzend blaues Papier gewickelt, mit einer breiten grünen Schleife darum, und alles an ihr sieht neu und aufregend und großartig aus. Wo Bell wohl so lange bleibt? Hoffentlich hat ihr Vater es sich nicht doch noch anders überlegt… Gut, Bell ist nicht der pünktlichste Mensch, eigentlich kann ich mich nicht erinnern, sie je irgendwo zur abgemachten Zeit getroffen zu haben. Aber heute, am vielleicht wichtigsten Tag unseres Lebens, hätte sie ja mal eine Ausnahme machen können! Immerhin sitzen wir hier seit fast einer Stunde allein in meinem Zimmer, und während Cheren sich in sein Buch über Wechselwirkungen der Elemente vertieft hat, kann ich mich auf nichts Anderes konzentrieren als auf diese große, verführerische Geschenkbox. Endlich sind doch Schritte auf der Treppe zu hören, und Bell kommt keuchend die Stufen hoch. Ich zucke beinahe erschrocken zusammen, als Cheren sein Buch zuschlägt, um unserer Freundin eine wohlverdiente Predigt zu halten: „Wirklich, Bell, du solltest dich schämen! Bianka und ich haben vier Jahre gewartet, damit wir zusammen reisen können, und jetzt, wo es endlich soweit ist, lässt du uns eine ganze Stunde lang hier sitzen. Ist es wirklich so schwer, ein einziges Mal pünktlich zu sein oder zumindest Bescheid zu sagen? Einmal zumindest?“ „Ich weiß, ich weiß“, wehrt Bell ab, „Und es tut mir auch leid, ehrlich, schneller ging es nicht!“ Ihr lautes Keuchen zeugt zumindest von der gemessenen Eile ob der Verspätung. Sie nimmt sich einen Moment, die Hände auf die Knie zu stützen, streicht eine hellblonde Strähne aus ihrem schweißnassen Gesicht und zieht ihren Rock zurecht. Als sie wieder aufblickt, hat sie ihr übliches breites Lächeln im Gesicht, und ihre grünen Augen funkeln vor Freude: „Aber gerade, weil es schon so spät ist: wollen wir nicht erstmal das Paket öffnen? Ich will endlich die Pokémon sehen…“ „Bell hat Recht, Cheren“, springe ich unserer Freundin bei, „Wir können es doch alle kaum noch erwarten.“ Cheren rückt seufzend seine Brille zurecht. Auch er streicht sich die Haare zurück, beinahe, als würde er unbewusst Bells Geste kopieren; seine Haare sind ebenfalls kinnlang, anders als Bells aber beinahe schwarz. „Du hast Recht, lass uns nicht noch mehr Zeit verschwenden“, lenkt er ein, „Bell wird es ohnehin nie lernen.“ „Ich bin dafür, dass Bianka das Paket aufmacht“, fordert Bell, „Immerhin hat sie mit der Professorin gesprochen, damit sie die Pokémon zu uns schickt und wir nicht zusammen mit den ganzen Zehnjährigen ins Labor kommen müssen. Ich finde, sie hat die Ehre verdient, als Erste aussuchen zu dürfen, oder, Cheren?“ Ihr strahlendes Lächeln wirkt entwaffnend, Cherens Wut ist sofort verraucht. „Dem kann ich nur zustimmen. Danke, Bianka, dass du das für uns organisiert hast.“ Ich werde etwas rot, daher wende ich mich schnell der hübschen Box zu, die ich endlich öffnen darf. Mit zitternden Händen löse ich das samtene Geschenkband und hebe den Deckel der Box ab, während Cheren und Bell sich neugierig über meine Schultern lehnen. Im Inneren der Kiste liegen, gebettet auf einem Kissen, drei Pokébälle, jeweils mit einem kleinen Schild daran, das ein wenig über das enthaltene Monster erzählt. Die rotweißen Kapseln sind nagelneu und sauber poliert, anders als die unserer Klassenkameraden, die durch den täglichen Gebrauch schon gewisse Spuren davongetragen haben. Vorsichtig nehme ich die Bälle heraus, befreie die jungen Pokémon und trete etwas zurück, damit auch meine Freunde sie genau betrachten können. Es sind niedliche Wesen, die hier nun auf meinem pinken Teppich hocken und neugierig in unsere Richtung schnuppern, viel kleiner und zarter als die unserer Mitschüler. Ganz rechts sitzt Floink, das Feuerpokémon, ein vierbeiniges, etwas molliges Wesen mit Ringelschwanz und großen Ohren. In der Mitte ist Ottaro, das Wasserpokémon, ganz von weichem, weißen und blauem Fell bedeckt. Es hat eine große, runde Nase und fast noch größere Augen, aus denen es mich fasziniert anstarrt. Links von ihm sitzt Serpifeu, das Pflanzenpokémon, ein längliches grünes Tier mit einer spitzen Nase, das fast ein wenig herabschauend auf seine Umgebung blickt. Ich weiß, dass Serpifeu das Starterpokémon ist, das Cheren ins Auge gefasst hat – schon seit Jahren schwärmt er von seiner Eleganz und der ruhigen Stärke, die seine entwickelte Form ausstrahlt. Ich kann verstehen, was er in dem Pokémon sieht, und betrachte mir die anderen beiden genauer. Floink ist unglaublich süß und lebhaft, es wirkt munter und aufmerksam, eine gute Voraussetzung, um sich zu einem starken Partner zu entwickeln. Ottaro ist ruhiger, sitzt fast ganz still, während es mich mit seinen riesigen schwarzen Augen fixiert. Als ich den Blick erwidere richtet es sich auf und klopft aufgeregt fiepend mit seinem breiten Schwanz auf den Boden. Ich kann mich geradeso zusammenreißen, nicht ebenso verzückt zu quietschen, und nehme das kleine Wesen in den Arm. Es ist fast noch weicher, als es ausgesehen hat, und schmiegt sich beinahe sofort vertrauensvoll an meine Brust – meine Entscheidung steht fest. „Ich nehme Ottaro.“ „Dann will ich das hier!“, quietscht Bell und drückt das muntere Floink übermütig in den Ausschnitt ihrer orangefarbenen Weste, „Und Cheren bekommt Serpifeu.“ „Wieso entscheidest eigentlich du, welches Pokémon ich bekomme?“, beschwert Cheren sich scherzhaft, kann sein breites Grinsen aber nicht verbergen. Wir wussten doch alle drei, dass er sich genau dieses Pokémon gewünscht hat, und wenn wir es nicht gewusst hätte, wäre es spätestens jetzt deutlich zu sehen. In einer für ihn ungewohnt warmen Geste hebt Cheren das Pflanzenpokemon auf seinen Arm, streichelt es und atmet tief seinen sanften Blattgeruch ein. Ottaro liegt weiter still in meinem Arm, und wenn es schnurren könnte wie ein Felilou würde es das garantiert tun. Sein Körper fühlt sich warm an durch den dünnen Stoff meines T-Shirts, und die Erkenntnis, dass dieses kleine, weiche Pokémon mein eigenes ist, löst ein Kribbeln in mir aus, das vom Magen aus in jede Faser meines Körpers strömt. Mein erstes eigenes Pokémon. Ich bin endlich, endlich ein richtiger Trainer! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)