Ohne Schlips und Tadel von Maginisha ================================================================================ Kapitel 9: Regeln im Regen -------------------------- Autsch. Thilo bewegte vorsichtig seinen linken Arm und damit sein protestierendes Schultergelenk. Irgendwas hatte er bei seinem Training wohl doch falsch gemacht. Vonwegen Schmetterling! Dieser verdammte „Butterfly“ hatte sich als absolute Killermotte herausgestellt inklusive Giftstachel. Thilo verzog das Gesicht und unterdrückte ein Stöhnen. Nicht, dass ihn jemand gehört hätte, aber … Es klopfte. „Äh, ja?“ Unwillkürlich richtete Thilo sich in der kleinen Holzkabine auf. Um ihn herum mehrere Bänke auf verschiedenen Ebenen, einige gitterartige Kopfstützen, ansonsten nur heiße Luft. Wie sollte es auch anders sein in einer Sauna. Die Tür öffnete sich und ein Mitarbeiter steckte den Kopf herein. „Sorry, ich muss hier jetzt abdrehen. Wir schließen in einer halben Stunde.“ Thilo, der unwillkürlich sein Handtuch ein wenig enger um den Körper geschlungen hatte, nickte nur. Darauf wartete er ja eigentlich schon die ganze Zeit. Um nicht nur dumm herumzustehen, hatte er beschlossen, nach Beendigung seines Trainingsplans noch in die Sauna zu gehen. Er war damit nicht der Einzige gewesen. Mehrere schwitzende Körper hatten bereits den Großteil der Bänke bevölkert, sodass Thilo erst kurz davor gewesen war, rückwärts wieder rauszustolpern, aber dann war ein älterer Herr aufgestanden und hatte ihm seinen Platz angeboten. Also hatte Thilo sich gesetzt und versucht, sich innerhalb der brodelnden Hitze umgeben von halbnackten Fremden zu entspannen. Mit geschlossenen Augen hatte er da gesessen und dem gelegentlichen Knacken des Ofens oder dem Knarzen der Fichtenbretter gelauscht, wenn sich jemand erhob, um die Kabine zu verlassen. Danach war stets wieder Ruhe eingekehrt und Thilo hatte die Wärme tatsächlich ein wenig genießen können. Bis auf diese blöde Schulter. „Okay“, antwortete er dem Typ in Sportklamotten, der irgendwo einen Hebel betätigte, um die Hitzezufuhr abzuschalten. Kurz nachdem er gegangen war, begannen die Heizelemente unter dem Steinhaufen wieder zu knacken und zu knistern. Gleichzeitig wurde es merklich kühler. Thilo seufzte und beschloss, es gut sein zu lassen. Schließlich hatte er noch was vor und wenn er jetzt noch duschte und langsam machte, würde er wohl genau zu Karims Feierabend fertig sein. Die letzten Gäste zahlten gerade, als Thilo aus der Umkleidekabine kam. Die Zeiger der Uhr zeigten schon mehrere Minuten nach und auf der Gerätefläche war bereits jemand dabei, die Polster zu desinfizieren. Thilo trat an den Tresen. Karim, der gerade noch etwas in ein Buch eingetragen hatte, sah auf. Als er Thilo entdeckte, begann er zu strahlen. „Ah, Herr Marquardt. Sie sind ja doch noch da.“ Thilo lag auf der Zunge zu sagen, dass er natürlich noch da war, entschied sich aber doch lieber für ein Lächeln. „Klar“, meinte er und schob nach kurzem Überlegen hinterher: „Du kannst übrigens Thilo zu mir sagen.“ Thilo. Thilo sah förmlich, wie Karim das Wort in Gedanken wiederholte. Fast schon andächtig und ein bisschen ehrfürchtig. Thilo war bewusst, dass er damit die Grenze zwischen ihnen noch ein wenig mehr senkte. Gleichzeitig wäre es albern gewesen, weiterhin auf seinem Nachnamen zu bestehen. Hier im Studio duzten sich alle. „Okay. Cool.“ Wieder lächelte Karim und entblößte dabei eine Reihe strahlend weißer Zähne. Thilo hätte darin baden mögen. Und in seinem Blick. „Ich mach nur noch den Tresen fertig, dann können wir gehen.“ Thilo nickte und war sich nicht sicher, ob er sich lieber setzen oder stehenbleiben sollte. Karim nahm derweil einen der Tanks des Getränkespenders ab und begann, ihn zu spülen. Thilo überlegte nicht lange. „Kann ich irgendwas helfen?“ Wahrscheinlich war es falsch, dass er das anbot, aber Karim nur zuzusehen, fühlte sich ebenso falsch an. Wieder erntete er ein Strahlen. „Ja klar. Du kannst mal die Gläser einsammeln, die noch auf den Tischen stehen. Also, wenn du magst, natürlich nur.“ Karim machte ein entschuldigendes Gesicht, aber Thilo lächelte nur. „Sicher. Deswegen hab ich ja gefragt.“ Er machte sich daran, das verbleibende Geschirr von den Stehtischen zu holen, die nahe des Tresens auf einem Areal ohne Teppich aufgestellt worden waren. In allen anderen Bereichen waren Glasflaschen streng verboten. „So, hier.“ „Danke.“ Karim nahm die Sachen entgegen und ordnete sie in die Spülmaschine. Danach wandte er sich wieder dem Getränkespender zu. Er warf einen Blick in Thilos Richtung und nahm den letzten Tank ab. „Nur noch den hier, dann bin ich fertig.“ Thilo schmunzelte etwas. „Und was ist mit der Sauna?“ „Das hat Steffen schon gemacht.“ Steffen, das musste der Typ in dem grauen Athletics-Shirt sein, der jetzt einige verstreute Hanteln einsammelte und wieder zurück an ihren Platz brachte. Er wirkte, als würde er öfter hier trainieren. Breites Kreuz, definierte, haarlose Oberarme, Schenkel zum Nüsse knacken und einen ziemlich gut definierten Gluteus maximus. Karim, der Thilos Blick bemerkt hatte, grinste. „Nette Rückansicht, oder?“ Thilo fühlte sich ein wenig ertappt. „Wieso?“, schoss er zurück. „Bist du interessiert?“ Mit ein wenig mehr Herzklopfen, als angebracht war, wartete Thilo auf Karims Antwort. Der schüttelte jedoch nur den Kopf. „Nee, ist nicht mein Typ.“ Thilo fühlte Erleichterung in sich aufkommen. Er spitzte die Lippen. „Wieso? Zu sportlich?“ „Nee, zu hetero.“ Der Blick, den Karim ihm daraufhin zuwarf, war verschwörerisch und gleichzeitig glaubte Thilo, dahinter noch etwas anderes zu erkennen. Etwas, das er in anderem Zusammenhang als „aber dich würde ich nicht von der Bettkante stoßen“ interpretiert hätte. Flirtete Karim etwa mit ihm? Thilo lehnte sich auf den Tresen. „Soll das ne Anmache sein?“, fragte er geradeheraus. Karim grinste. „Weiß nicht. Funktioniert’s?“ Damit waren die Karten dann wohl auf dem Tisch. Thilo hätte sie spielen könnten. Den Gewinn einstreichen und sich über mögliche Konsequenzen keine Gedanken machen. Das Ding war nur, dass Karim immer noch sein Angestellter war. Thilo seufzte innerlich. „Du weißt, dass das nicht geht. Ich bin immerhin dein Chef und wenn das rauskäme …“ Thilo verstummte. Das war eigentlich nicht das, was er hatte sagen wollen. Das war nicht der Grund. Trotzdem zeigte es Wirkung. Karim hob abwehrend die Hände. „Schon gut, kein Problem. Ich hab nur gedacht … ach, ist ja auch egal. Vergiss es einfach.“ Ein wenig abrupter, als er gemusst hätte, wendete Karim sich wieder dem Tank zu. Offenbar hatte er sich wirklich Chancen ausgerechnet. Aber konnte das sein? War er tatsächlich interessiert? Thilo räusperte sich. „Ich, äh … also wenn mein Angebot irgendwie falsch rübergekommen ist, dann … tut es mir leid. Ich wollte nicht …“ Karim hob den Kopf. Er lächelte. „Kein Problem. War eh ne dumme Idee. Ein Missverständnis, nichts weiter. Kann passieren.“ Thilo sah, dass es das nicht gewesen war. Karim hatte sein Angebot ernst gemeint und Thilo war ein Idiot, dass er es ausgeschlagen hatte. Aber er musste. Mit ein wenig Nachdruck zwang auch er sich zu einem Lächeln. „Schon okay. Ist ja nichts passiert. Brauchst du noch Hilfe?“ Er sah, wie Karim nachdachte. Etwas suchte, dass er Thilo auftragen konnte, um den peinlichen Moment zu überbrücken. Irgendwann zuckte er mit den Schultern. „Nein, eigentlich bin ich durch. Wir könnten also gehen. Wenn du das noch möchtest.“ Da war eine kleine Frage. In seinem Blick und in seiner Stimme. Thilo beeilte sich, sie zu beantworten. „Natürlich will ich. Also, ich meine, ich hab es dir doch angeboten. Das war … an keine Bedingung geknüpft.“ Wieder sahen sie sich an. Karim schien abzuwägen, ob er Thilos Worten trauen konnte. Schließlich lächelte er. „Gut. In Ordnung. Ich hol nur noch meine Sachen, dann können wir los.“ Thilo nickte und sah zu, wie Karim das Handtuch, mit dem er gerade noch den Tank abgetrocknet hatte, sorgfältig über dem Rand der Spüle drapierte, bevor er hinter dem Tresen hervorkam, ein Stück Richtung Umkleidekabinen ging und dann stehenblieb. Mit einem seltsamen Blick taxierte er Thilo. „Wartest du hier?“ Thilo lächelte. „Klar. Oder brauchst du Hilfe beim Tragen?“ Da war sie wieder, die Leichtigkeit mit dem Hauch eines Untertons. Thilo wusste, dass er das lassen sollte, aber … Karim grinste. „Nein. Ich hab nur meinen Rucksack. Bin gleich wieder da.“ Damit verschwand er und ließ Thilo allein zurück. Hinter sich hörte der Schritte. „Wir schließen jetzt.“ Es war tatsächlich der Typ, der ihn vorhin in der Sauna überrascht hatte. Kurze blonde Haare, blaue Augen, ziemlich muskulös. Nicht mein Typ, dachte Thilo bei sich. Und zum Glück auch nicht Karims. „Ja, ich weiß. Ich warte nur noch auf Karim. Hab ihm versprochen, ihn nach Hause zu bringen.“ Kaum hatte er das gesagt, fielen ihm ungefähr ein Dutzend Formulierungen ein, die wohl besser geeignet gewesen wären, aber „Steffen“ schien sich nicht daran zu stören. „Gut, sagt Bescheid“, brummte er nur. „Ich schließ dann ab.“ Thilo wollte gerade noch etwas erwidern . Etwas Geistreiches, wenn’s ging, aber er kam nicht mehr dazu. Karim war wieder auf der Bildfläche erschienen und er sah großartig aus. „Hey, wir können. Kommst du?“ Thilo erhob sich von seinem Barhocker. Er hatte keine Ahnung, was genau Karim in der Umkleidekabine angestellt hatte – außer sich eine Jacke überzuwerfen – aber irgendetwas an ihm zog Thilo geradezu magisch an. Wenn das hier eine Deo-Werbung gewesen wäre, das Zeug wäre mit Sicherheit ein Verkaufsschlager gewesen. Frisch wie der Frühling, oder so ähnlich. „Nimmst du deine Tasche nicht mit?“ Karim, der immer noch bereit und lächelnd dastand, deutete hinter Thilo. Der blinzelte ein paar Mal bevor er verstand. „Ach so, ja, natürlich. Keine Ahnung, wie ich die vergessen konnte.“ Wieder ein Lächeln von Karim. „Wäre uns wohl spätestens am Auto aufgefallen.“ Thilo lachte. „Ja, da könntest du recht haben. Na gut, dann … los?!“ „Bin dabei.“ Sie hielten einander die Tür auf, gingen zusammen die Treppe hinunter und fuhren dann einträchtig mit dem Fahrstuhl zum Parkdeck, wo Thilo sein Auto abgestellt hatte. Erst, nachdem sie eingestiegen waren, ergriff Karim wieder das Wort. „Ist ne ziemlich luxuriöse Karre.“ Thilos Mundwinkel zuckte. „Wenn du damit das Auto meinst, könntest du recht haben. Hat zumindest ne ganze Stange Geld gekostet.“ Karim schwieg einen Augenblick, bevor er fragte: „Stehst du auf so was? Ich meine so Luxusschlitten, teure Yachten, Jet Set, Champagner und Kaviar?“ Thilo legte den Hebel um und begann auszuparken. Um sie herum war es ziemlich leer, auch wenn noch einige Parkplätze besetzt waren. Wahrscheinlich Besucher der Spätvorstellung im Kino. Für die üblichen Vergnügungsviertel war es von hier aus zu weit. Er dachte an Tom, der heute Abend wohl allein dort unterwegs war. „Nein“, gab er schließlich zur Antwort. „Eigentlich nicht. Ich hatte nur das Gefühl, dass ich … ein bisschen was aussagen muss. Ein Unternehmensberater, der im Fiat Panda vorfährt, erweckt halt nicht gerade Vertrauen.“ Karim schwieg einen Augenblick, er schien über die Antwort nachzudenken. Währenddessen kam die Schranke des Parkdecks näher. Thilo zückte die Karte, die er vom Fitnessstudio erhalten hatte. Eine goldene Parkplakette. Thilo bemerkte Karims Blick und hob entschuldigend die Schultern. „Die war im Paket dabei. Ich hab mir das nicht ausgesucht.“ Ohne Karim noch einmal anzusehen, schwenkte er die Karte vor dem Sensor, der die Schranke öffnete. Karim musterte ihn von der Seite. „Ein Geschenk, mhm? Von dem Typen, der bei dir war?“ Thilos Finger krampften sich um das Lenkrad. Er setzte den Blinker und schaltete den Scheibenwischer ein. Draußen nieselte es. „Ja. Sein Name ist Tom. Eigentlich Thomas, aber so nennt ihn niemand. Wir kennen uns schon eine halbe Ewigkeit. Waren im Studium mal zusammen. Ist aber auch schon etliche Jahre her.“ Für einen Moment gab Thilo vor, sich auf den verkehr zu konzentrieren. Dabei wartete er eigentlich nur darauf, was Karim dazu sagen würde, dass er und Tom … Warum hatte er das überhaupt erzählt? Es spielte doch gar keine Rolle. „Find ich gut.“ Thilo war so überrascht, dass er glatt vergaß, sich in die linke Spur einzuordnen. Hinter ihm hupte es, als er korrigierte.. „Was findest du gut?“, wollte Thilo wissen und hob die Hand, um dem Fahrer hinter ihm sein Bedauern zu signalisieren. „Dass Tom und ich mal ein Paar waren?“ Karim zeigte die Zähne. „Nein“, entgegnete er lachend. „Dass er dir die Mitgliedschaft im Fitnessstudio geschenkt hat. Ohne ihn säßen wir jetzt wohl nicht hier.“ Thilo warf einen forschenden Blick zum Beifahrersitz, aber Karims funkelnde Augen ließen nicht darauf schließen, dass er das irgendwie anders meinte, als er gesagt hatte. Thilos Mundwinkel hoben sich. „Tja, er versucht es schon seit Jahren. War vielleicht gut, dass es dieses Mal geklappt hat.“ Für eine Weile fuhren sie schweigend durch das nächtliche Hamburg. Lichter und Regen. Die Route ähnelte der, die sie bereits beim letzten Mal genommen hatten. An der Kreuzung mit den vielen Plakaten hielt Thilo an. Sein Blick glitt über die zahlreichen Graffiti. „Ziemlich fleißig, die Sprayer hier. Die nutzen jede freie Fläche.“ Karim nickte und seufzte. „Ja, ist schon nicht die beste Gegend. Aber wenigstens liegt nicht jeden Tag eine Leiche im Treppenhaus.“ Thilo blinkte und realisierte erst dann, was Karim gerade gesagt hatte. Und wie er es betont hatte. Er runzelte die Stirn. „Wieso? Kennst du Gegenden, wo das so ist?“ Karim schob die Unterlippe vor. „Nein, aber vor anderthalb Jahren hat sich bei uns im Haus wohl einer erschossen. Hat erst seine Freundin und dann sich selbst getötet. Wir haben die zwei vorher im Treppenhaus streiten hören. Dann hat es zweimal geknallt und mit einem Mal war es totenstill. Im wahrsten Sinne des Wortes. Das war ziemlich gruselig.“ Thilo blinzelte. Das Haus, in dem Karim wohnte, war gerade in Sichtweite gekommen, aber Thilo fühlte in sich den starken Drang, einfach daran vorbeizufahren. Er hielt trotzdem an, als die rot eingefasste Haustür neben ihm erschien. Die Farbe hatte plötzlich eine beunruhigend prophetische Wirkung. „Tja, wir sind da.“ Thilo stellte den Automatikhebel in Parkposition und zog die Handbremse an. Danach nahm er den Fuß vom Pedal. Er räusperte sich. „Soll ich … dich noch zur Tür bringen? Nur für den Fall, dass wieder irgendwelche Verrückten hier um sich schießen.“ Karim gönnte ihm ein schiefes Lächeln. „Ich weiß nicht. Denkst du, du könntest mich dann beschützen?“ Die Frage war nicht ernst gemeint. Thilo wusste es. Trotzdem schüttelte er den Kopf. „Nein, das … würde ich wohl nicht schaffen. Ich bin schließlich nicht Superman.“ Karims Lächeln wurde wärmer. „Nein, das bis du nicht. Macht aber auch nichts, finde ich. Du bist trotzdem ziemlich attraktiv.“ Thilo hätte nicht das Aufblitzen in Karims Augen gebraucht, um zu wissen, dass er das ernst meinte. Plötzlich war die Chance wieder zum Greifen nahe. „Tja, dann … danke für das Kompliment. Vielleicht sollte ich mir das einrahmen und im Bad neben den Spiegel hängen. 'Nicht Superman, aber trotzdem attraktiv.' Klingt doch nach nem guten Slogan.“ Thilo lächelte leicht und auch Karim zeigte ein Lächeln gepaart mit etwas, das Thilo als leise Hoffnung interpretierte. Zudem bewegte er sich nicht vom Fleck. Thilo atmete hörbar aus. „Hör mal Karim, ich … ich weiß, dass wir beide gerade darüber nachdenken, ob es nicht doch ne gute Idee wäre mit hochzukommen. Aber … das ist es nicht. Du weißt das und ich …“ „Du bist immer noch mein Boss“, beendete Karim den Satz. „Schon klar. Tut mir leid, dass ich nochmal gefragt habe. Das Nein ist jetzt angekommen. Ehrlich.“ Er lächelte immer noch, doch Thilo sah, dass sich etwas darin verändert hatte. Vielleicht der Ausdruck in seinen Augen. „Kommst du morgen wieder zum Training?“ Thilo lächelte ein wenig gequält. „Ah, ich glaube, ich mach erst mal eine Pause. Meine Schulter …“ Karim sah ihn an. Er schien zu überlegen. „Also wenn du möchtest“, begann er vorsichtig, „könnte ich sie dir massieren. Ich kenn mich ein bisschen damit aus, weißt du. Nicht so sehr, dass sie mich an die Kunden ranlassen würden, aber …“ Er schwieg, als er Thilos Blick auffing. Sofort wurde sein Lächeln entschuldigend. „Schon gut, war nur ein Versuch. Jetzt aber wirklich der letzte. Ich schwör’s.“ Thilo lachte. „Ah, ich seh schon. Ich hätte mich besser nicht auf dich einlassen sollen.“ Karim grinste. „Tja, mich wird man schwerer wieder los als Hundeflöhe. Wobei die von Katzen auch nicht ohne sind. Als unsere Minka damals gestorben ist, mussten wir die ganze Bude ausräuchern. Die Biester waren einfach nicht totzukriegen.“ Thilo lächelte und schloss für einen Moment die Augen. „Du solltest jetzt wirklich gehen.“ Er fühlte Karims Blick auf sich. Wie Seide. „Ja, muss ich wohl. Und du … ach vergiss es. Ich hab’s ja versprochen.“ Thilo hörte, wie Karim die Autotür öffnete. Er nahm seinen Rucksack, stieg aus und klappte dann die Tür wieder zu. Thilo öffnete die Augen und sah ihn draußen stehen. Mit dem Rücken zum Auto, sein Hintern genau auf Thilos Blickhöhe. Als hätte er es geplant. Thilo sah, wie Karim ein paar Schritte auf das Haus zuging, kehrtmachte und wieder zurückkam. Ergeben öffnete Thilo das Fenster. „Was ist?“, fragte er halb besorgt, halb belustigt. „Hast du was vergessen?“ Karim beugte sich runter. Er lehnte sich auf den Fensterrahmen, sein Lockenkopf draußen im Regen. „Tja also weißt du … ich wollte dich fragen, ob du morgen schon was vorhast. Zum Sport willst du ja schon mal nicht, also dachte ich …“ Thilo versteifte sich. So langsam wurde es … „Nicht auf ein Date, selbstverständlich.“ Karim lachte ein wenig verlegen. „Es ist nur … ich bin morgen bei meiner Familie. Meine Mutter hatte Geburtstag und es kommen ein paar Leute und da dachte ich, dass du vielleicht auch …“ Plötzlich war da wieder diese Hoffnung. Eine Hoffnung, die Thilo nicht schon wieder zerstören wollte und doch musste. Er wandte den Kopf ab. „Hast du nicht einen Freund oder Freunde, die du danach fragen kannst? Ich glaube, die wären besser …“ Karim schnaufte. „Ja sicher. Ich könnte Till fragen. Oder Markus. Oder Sabrina. Meine Mitbewohner. Ein paar Kommilitonen vom Studium oder den Milchmann um die Ecke. Die Sache ist nur, dass ich gerne dich fragen würde, ob du mitkommen willst. Es gibt auch Tonnen zu essen. Und keine Hintergedanken. Ich versprech’s.“ Thilo war sich sicher, dass ihn gerade ein echter Hundeblick™ traf und gab sich alle Mühe, nicht hinzusehen. Als er es doch tat, hatte er die Bestätigung. Er seufzte. „Du … ich … das geht doch nicht. Ich kann doch nicht einfach …“ „Warum nicht?“ An Karims treuherzigem Blick hatte sich nichts geändert. „Es ist wirklich ganz unverbindlich. Wir feiern bei meinen Eltern im Garten, Meine Familie wird da sein, Freunde, Verwandte. Wahrscheinlich die halbe Nachbarschaft. Mehr wie so ne Art Straßenfest. Du würdest da wirklich gar nicht auffallen. Und ich würde mich freuen, wenn du mitkommst.“ Thilo zögerte. Er konnte es selbst nicht glauben, denn eigentlich war die einzig mögliche Antwort auf diese Frage natürlich ein Nein, aber wenn er vielleicht doch … „Wann … wäre das denn?“ Karims Gesicht hellte sich schlagartig auf. „Wir fangen um drei an, aber du kannst auch später kommen, wenn du willst. Ich gebe dir die Adresse und du überlegst es dir einfach, okay?“ Thilo sah, wie er in seinen Taschen nach einem Zettel und einem Stift suchte. „Du kannst es mir auch sagen, ich … merke sie mir.“ Karim brach die Suchaktion ab und lehnte sich wieder ins Fenster. „Beethovenstraße. Nummer 32. Der Eingang ist hinterm Haus, aber wir sind bestimmt sowieso im Garten. Du kannst uns gar nicht verfehlen.“ Er zögerte kurz, bevor er hinzufügte: „Wirst du kommen?“ Thilos Herz setzte einen Schlag aus. Da war er wieder, der Hundeblick. „Ja“, sagte sein Mund, noch bevor der Rest seines Körpers sich dazu entschieden hatte. „Ja, ich komme.“ Karims Blick wurde eine Spur leuchtender. „Versprichst du es?“ Thilo seufzte. „Ja, ich verspreche es. Bist du jetzt zufrieden?“ Karim grinste. „Zufrieden bin ich erst, wenn du auch wirklich erscheinst.“ Thilo war sich nicht sicher, ob das nicht trotz allem zweideutig gemeint war. Außerdem würde er seine Schwester anrufen müssen. Schon wieder. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)