Never let me go von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 1: Come on walk with me into the rising tide ---------------------------------------------------- „Come on walk with me – Into the rising tide“   Placebo, „For what it's worth“   Zehn nach acht. Mit wachsender Besorgnis schaute Atsushi Nakajima von der Uhr an der Wand zurück zu seinen Kollegen. Das war mehr als ungewöhnlich. Sollte er sich deswegen gleich Sorgen machen? Einerseits waren zehn Minuten Verspätung eigentlich nicht so viel, andererseits gab es für ihn mit Sicherheit keinen Unterschied zwischen zehn Minuten und zehn Stunden Verspätung. Beides war für ihn undenkbar und je mehr Atsushi darüber nachdachte, desto mehr war er sich sicher, auf jeden Fall beunruhigt sein zu sollen. „Ist das schon einmal vorgekommen?“, fragte er zaghaft in Richtung Yosanos, die gerade dabei war, Tanizaki Bestellungen für medizinischen Bedarf zu diktieren. „Was meinst du?“ Die Ärztin schaute hoch und folgte Atsushis Blick zu dem noch verwahrlosten Platz ihm schräg gegenüber. „Ach so … ja, einmal, wenn ich mich recht erinnere. Als er krank war, aber da hatte er sich per Telefon abgemeldet.“ „Dann ist er vielleicht krank?“ Für den Bruchteil einer Sekunde beruhigte dieser Gedanke Atsushi ein wenig. Dann machte er ihn noch nervöser. Denn es musste schon eine richtig schlimme Erkrankung sein, wenn sie jemanden wie Kunikida davon abhielt, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. „Bei mir hat er sich nicht abgemeldet“, warf Tanizaki, nun auch leicht aufgeschreckt, ein. „Sollten wir lieber bei ihm anrufen und nachfragen?“ „Möglicherweise ist etwas vorgefallen.“ Mit ernster Miene legte Kyoka Kunikidas selbstgeschriebenes Handbuch zur korrekten Erstellung und Ausfüllung sämtlicher für den Regelbetrieb notwendiger Unterlagen und Formulare (so stand es tatsächlich auf dem Einband des dicken Wälzers geschrieben), in dem sie bis gerade gelesen hatte, beiseite und blickte entschlossen in die Runde. Sie wirkte, als würde sie jeden Augenblick ihr Schwert ziehen, um jedem, der er auch nur daran dachte, einem der Detektive ein Haar zu krümmen, den Garaus zu machen. Atsushi schluckte angesichts ihrer aus dem Nichts kommenden, bedrohlichen Aura. Reagierte sie nicht vielleicht ein klein wenig über? Der Junge seufzte innerlich. Nein. Bei dem Wahnsinn, der hier stets abging, konnte er Kyokas Reaktion nachvollziehen. Es war nicht so abwegig, dass ihnen jemand nach dem Leben trachtete und sie alle hatten es schon mehrmals schmerzlich erfahren müssen, wie es war, wenn sie ohne Vorwarnung angegriffen wurden und in Lebensgefahr gerieten. War Kunikida also vielleicht wirklich in Gefa- 'Rumms!' „AAAH!“ Atsushi schreckte zusammen, als mitten in seinen düsteren Überlegungen die Tür aufgerissen wurde und Kenji hereinspazierte. „Einen wunderschönen guten Morgen euch allen!“, begrüßte der blonde Junge gut gelaunt seine Kollegen. „Ist das schon heiß. Die Sonne brennt richtig vom Himmel …. Atsushi, du solltest mal raus gehen, du bist ja weiß wie eine Wand.“ „J-ja, d-danke, K-Kenji.“ Peinlich berührt räusperte er sich. Keiner der anderen hatte sich erschreckt. Wieso war nur er allein wieder so ein Nervenbündel? „Du hast nicht zufällig Kunikida heute Morgen schon gesehen, oder?“, richtete Tanizaki an den gerade Eingetroffenen, der umgehend verneinte. „Das ist aber seltsam, dass Kunikida noch nicht da ist“, entgegnete Kenji in seinem üblichen heiteren Tonfall. „Oh, Dazai ist ja auch noch nicht da … aber das ist nicht seltsam.“ Das war es in der Tat nicht. Von neuem innerlich seufzend schaute Atsushi zum auf seinem Schreibtisch schlafenden Ranpo. Sollte er ihn wecken, um nach seiner Einschätzung der Situation zu frag- „Lass mich schlafen, Atsushi.“ WHAAAAA! Ohne dieses Mal laut zu schreien, war der Junge erneut zusammengezuckt. Er war es gewohnt, dass Dazai scheinbar seine Gedanken lesen konnte, aber Ranpo auch? „Kunikida ist gerade nicht glücklich, aber er ist nicht in Gefahr.“ Der Meisterdetektiv antwortete ihm, ohne die Augen zu öffnen. Er gähnte einmal ausgiebig und im nächsten Moment hörte man ihn ganz gleichmäßig atmen. Er war wieder eingeschlafen. Von diesem Anblick amüsiert und durch die Worte des Schwarzhaarigen beruhigt, zuckte Yosano mit den Schultern und wandte sich wieder ihrer Liste zu. „Nein, Tanizaki, die Großpackung Skalpelle. Oder besser zwei. Von denen kann ich- ich meine, man nie genug haben.“ Jeder konnte sehen, wie ein Schauer den Rücken des Rothaarigen herunterlief. Manchmal, so ging es Atsushi nun durch den Kopf, fragte er sich schon, wie das in anderen Firmen wohl so war. Ob da die Mitarbeiter auch alle so … so … nein. Keine Ahnung, welches Wort da passte. „Wenn wir in den nächsten zehn Minuten nichts von ihm hören, rufst du ihn an“, drang Kyokas Stimme an seine Ohren. Sie wartete ab, ehe er ihr lächelnd zunickte, um ihr zu zeigen, dass er seine Nerven unter Kontrolle hatte. Dann öffnete sie von neuem das Handbuch und las weiter. Ihre bedrohliche Aura war genauso schnell wie sie gekommen war wieder verschwunden. Keiner von diesen liebenswerten Exzentrikern würde in einer anderen Firma funktionieren, dachte Atsushi und schmunzelte. Sie waren wirklich ein großartiges, perfekt aufeinander eingestimmtes Team- 'RUMMS!' „WO IST ER??!!“ Die Tür flog mit einem lauten Krachen auf, sodass alle (mit Ausnahme von Ranpo) zu ihr blickten. Durch die Tür stapfte ein in eine Regenjacke gekleideter Mann – und er hatte die Kapuze bis ins tiefrote Gesicht gezogen … hatte Kenji nicht gesagt, dass es draußen sonnig und heiß war? … Moment. Atsushi musterte den vor Wut schnaubenden Mann näher. „Kunikida?“ „WEISS IRGENDJEMAND, WO DAZAI STECKT?“ „Hier ist er nicht“, erwiderte Yosano, hob skeptisch eine Augenbraue und stemmte eine Hand in ihre Hüfte. „Und was ist mit dir? Wir haben schon fast angefangen, uns Sorgen zu machen. Du siehst ja nicht einmal verletzt aus.“ Der letzte Teil hatte wahrhaft enttäuscht geklungen. „I-ist alles in Ordnung?“ Atsushi konnte selbst nicht fassen, dass er das gerade gesagt hatte, denn die Antwort war offensichtlich. Kunikida stand wutentbrannt und vor Schweiß triefend in eine Regenjacke gehüllt vor ihnen und war merklich bereit, Dazai zu teeren und zu federn. Es wunderte ihn also gar nicht, dass Kunikidas jähzorniger Blick auf ihm landete. „ORDNUNG?? SIEHT HIERVON IRGENDETWAS NACH ORDNUNG AUS?! DAZAI VERSUCHT, SÄMTLICHE ORDNUNG ZU ZERSTÖREN! JA, DAS IST SEIN ÜBERGEORDNETER PLAN! WIESO IST MIR DAS NICHT SCHON FRÜHER AUFGEFALLEN?!“ Ratsuchend sah Atsushi zu den anderen, die sich nicht trauten, einen Mucks zu machen. „Können wir dir irgendwie helfen?“, wagte sich Kenji furchtlos wie eh und je vor und Atsushi befürchtete bereits, der jüngere Kollege würde gleich ebenso fürchterlich angeschrien. Doch als der tobende Idealist in Kenjis ehrliches und aufrichtiges Lächeln blickte, schmolz sein Zorn dahin. Seine Schultern sackten resigniert zusammen und er ließ den Kopf hängen. „Hilfe“, murmelte er geschlagen. „Entschuldige, was?“, fragte Atsushi verwundert nach. „Hilfe“, wiederholte Kunikida kleinlaut und beinahe herzzerreißend. „Bitte helft mir, aber lacht mich bitte nicht aus.“ „I-In Ordnung. Werden wir nicht … richtig?“ Nun sah Atsushi überfordert zu den anderen. „Wenn ich noch einmal in dieser Montur rausgehe, bekomme ich sicher einen Hitzschlag“, erklärte Kunikida weiter in dem deprimierten Tonfall, in den er verfallen war. „Wir helfen dir.“ Der silberhaarige Junge versuchte, mutig zu klingen, doch irgendetwas an der Situation machte ihm Angst. Was hatte den armen Kunikida dermaßen mitgenommen? „Ihr dürft nicht lachen.“ „Werden wir nicht.“ Kunikida nahm tief Luft, während Atsushi eben diese vor Anspannung beinahe anhielt, als der Ältere die Kapuze von seinem Kopf streifte. Mit großen Augen starrten sie alle wortlos auf das, was da vor ihnen enthüllt worden war. „Tut mir leid“, brach es glucksend aus Yosano hervor, „ich … ich kann nicht anders ...“ Sehr zum Missfallen des armen Idealisten prustete sie los. „Oooh, wie Kirschblüten!“, freute sich Kenji in ihr Gelächter hinein, während Ranpo widerwillig den Kopf gehoben hatte. „Du hast allen Grund, sauer auf Dazai zu sein. Die Farbe steht dir nicht. Aber ich kriege Lust auf die Schokoriegel mit Erdbeergeschmack! Haben wir noch welche da?“ „Nicht lachen … nicht lachen ...“ Neben Atsushi hyperventilierte Kyoka fast. Sie biss sich auf die Lippen und letztlich sogar ins Handbuch, um ihre Selbstdisziplin zu bewahren, aber ihre Bemühungen blieben fruchtlos: Wie Yosano fing sie an loszuprusten. Atsushi musste zugeben, dass er kein besseres Bild abgab. Er spürte, wie seine Mundwinkel beinahe von Ohr zu Ohr reichten. „Auch du, Atsushi?“ Mit einem tiefen Seufzer schüttelte Kunikida den in einer ungewohnten Farbe erstrahlenden Kopf, als er das Klicken einer Kamera hinter sich hörte. Er wirbelte in die Richtung zurück und fand Tanizaki entschuldigend mit den Händen wedelnd vor. „Bitte entschuldige, aber wenn ich das Naomi nicht zeige, wird sie mir das nie verzeihen.“ „Schön, wir haben alle kräftig gelacht“, maulte Kunikida angefressen. „Dazai hat mir etwas ins Shampoo gemischt und nun sind meine Haare rosa. Ha ha. Ändert etwas daran, bevor noch mehr Leute mich so sehen!“ Als hätte er unbeabsichtigt ein Stichwort gegeben, ging hinter ihm die Türe auf. „Kunikida“, hörte man die tiefe Stimme des eintretenden Chefs sagen, „hast du den Bericht für das Ministerium ferti-“ Fukuzawa blieb wie vom Donner gerührt und mit aufgerissenen Augen vor dem rosahaarigen Mitarbeiter stehen. „Noch nicht“, beeilte sich dieser bemüht nonchalant zu antworten. „Sie haben ihn bis heute Nachmittag.“ Etliche Sekunden vergingen, in denen der Chef einfach nur weiter auf die neue Farbpracht des bebrillten Detektivs starrte. „ … Gut.“ Er nickte, machte hastig kehrt und räusperte sich laut. Im Büro der bewaffneten Detektive war es allerdings so totenstill geworden, dass sie alle das Glucksen hinaushören konnten, das eigentlich von dem Räuspern verdeckt werden sollte. „ICH WERDE IHN TÖTEN!!! MIT MEINEN EIGENEN ZWEI HÄNDEN WERDE ICH DAZAI TÖTEN!!!“ „Wenn du ihn jetzt umbringst“, Yosano wischte sich die gelachten Tränen weg, „wird dein Foto für die Verbrecherkartei genau so aussehen.“ Sie prustete bei dieser Vorstellung von neuem los. „Naomi hat bereits geantwortet“, warf Tanizaki beschwichtigend ein, „sie findet es zwar sehr schade, aber sie bringt in der Mittagspause blonde Farbe vorbei.“ „Er muss trotzdem dafür bezahlen.“ Kunikida verschränkte missmutig die Arme vor der Brust. „Ranpo, du wusstest, dass das passiert war?“ Erstaunt wandte sich Atsushi dem Meisterdetektiv zu, der eine Schnute zog, weil er in seinen Schubladen die gewünschten Riegel nicht hatte finden können. „Ich muss zugeben, ich war mir nicht sicher, welche Farbe es werden würde ...“ Er grinste spitzbübisch. „Aber Dazai hat gestern Rabattcoupons für einen Drogeriemarkt ausgeschnitten.“ „Atsushi“, sagte der Idealist plötzlich mit ernster Miene, „schaff mir diesen Hohlkopf her, damit ich ihn umbringen kann.“ Der Angesprochene lachte verlegen. Wieso musste immer er da mit hineingezogen werden? Was hatte Dazai sich überhaupt dabei gedacht? Atsushi schüttelte gedanklich den Kopf. Das war eine dumme Frage. Das Innere von Dazais Kopf war ein Buch mit sieben Siegeln. Und sehr wahrscheinlich war es besser, es gar nicht zu öffnen zu versuchen, denn es bestand die Gefahr, dass man mit seinem Inhalt nicht umgehen konnte. Er selbst hatte dies vor nicht allzu langer Zeit auf grausame Weise erfahren müssen. Dazai hatte eine düstere, blutgetränkte Vergangenheit und Atsushi fand es schon schwer genug, mit dem bisschen umzugehen, was er über seinen Mentor erfahren hatte. Doch trotzdem, trotz allem, was er Schreckliches über Dazai gelernt hatte, vertraute er ihm. Seine Aktionen waren für ihn nicht nachvollziehbar, aber sie gehörten irgendwie zu ihm. Diese Streiche, die er Kunikida spielte, verstanden sich besser mit dem Bild, das Atsushi von Dazai hatte, als die Vorstellung, dass der brünette Wirrkopf ein herzloser Massenmörder gewesen war. Er musste sich stets ins Gedächtnis rufen, dass beides zu Dazai gehörte. Was für ein Glück sie hatten, dass sie es nur mit einer dieser beiden Seiten zu tun hatten. Er hielt inne. Wie seltsam, dass er jetzt wieder daran denken musste. Hoffentlich war dies kein ungutes Vorzeichen … nein, sicher nicht. Er machte sich einfach mal wieder zu viele Sorgen. Keine Sorgen machte er sich wegen Kunikidas Drohung. Sie war nicht ganz ernst zu nehmen – aber auch nicht ganz unernst. Musste Dazai es immer übertreiben? „Soll ich die üblichen Orte abklappern?“ „Ja, die üblichen“, entgegnete Kunikida gestresst. „Und mach schnell. Ich will ihm jedes Haar einzeln ausreißen. Das wird sehr viel Zeit in Anspruch nehmen und meinen Tagesablauf noch mehr durcheinanderbringen.“ Achselzuckend machte Atsushi sich auf den Weg zur Tür hinaus. Dazai und Kunikida waren ein wirklich merkwürdiges Gespann. Sie sind exzentrisch, aber liebenswert; exzentrisch, aber liebenswert, wiederholte der Junge immer wieder in Gedanken. „Bring Schokoriegel mit!“ Exzentrisch, aber liebenswert; exzentrisch, aber liebenswert ...   Das Meer rauschte ohrenbetäubend. Obwohl es ein so sonniger Tag war, schienen die Wellen in heller Aufruhr zu sein. Mit ganzer Kraft schlugen sie mit einem lauten 'Platsch' gegen die Wellenbrecher, schwappten abgemindert durch sie hindurch ans Ufer und zogen sich wieder in das brausende Meer zurück. Der Mann im braunen Trenchcoat, der knietief im Wasser stand, schien sich an nichts von alldem zu stören. Bewegungslos blieb er mit den Händen in seinen Manteltaschen an Ort und Stelle stehen, den Rücken zum Ufer und den Blick aufs offene Meer gerichtet, während der Wind durch seine dunklen Haare wirbelte. „Dazai?“ Atsushi hatte seine Schuhe ausgezogen und watete mit langsamen, vorsichtigen Schritten durch die Wellen auf den darin stehenden Mann zu. Er reagierte nicht. In der Zwischenzeit waren bereits Stunden vergangen und der junge Detektiv hatte schon mehrere (zunehmend wütendere) Anrufe von Kunikida erhalten. Dazai war natürlich so clever, nicht an sein Handy zu gehen. Dies war der letzte Ort auf der Liste der Orte, an denen man Dazai typischerweise fand. Und es war der, den Atsushi am wenigsten mochte. Wenn Dazai so teilnahmslos im Wasser herumstand und nicht auf Zurufe reagierte, dann stimmte irgendetwas nicht. Atsushi konnte nicht benennen, was es war, aber es gab ihm ein überwältigendes Gefühl von Hilflosigkeit. Das einzig andere Mal, als er ihn hier gefunden hatte (nachdem er tagelang verschwunden gewesen war), war glücklicherweise Yosano dabei gewesen und hatte sich darum gekümmert. Sie war zu Dazai hinausgestapft, hatte ihn angeschrien und ihm dann eine gescheuert. Auf der Fahrt zurück hatte keiner ein einziges Wort gesagt, was die gesamte eh schon unheimliche Situation noch beklemmender gemacht hatte. Und jetzt war er allein mit genau so einer Situation. „Dazai!“, versuchte er es noch lauter, während er sich dem Älteren näherte. „Dazai!“ Konnte es wirklich sein, dass er ihn nicht hörte? Dazai hatte doch sonst ein geradezu übermenschliches Gehör, wie konnte das dann sein? Zögerlich blieb er hinter dem Dunkelhaarigen stehen. „Dazai?“ Er musste ihn hören, es konnte gar nicht sein, dass er ihn nicht hörte. Doch nach wie vor reagierte er nicht. Er zuckte nicht einmal. „DAZAI!!“ Der Schrei schallte über den gesamten Küstenabschnitt. Es war Atsushi augenblicklich peinlich, so lauthals geschrien zu haben. „Atsushi“, hauchte Dazai plötzlich ganz leise mit brüchiger Stimme, aber ohne sich zu ihm umzudrehen, „ich weiß, ich habe einmal gesagt, Männer zu umarmen, sei nicht mein Geschmack, aber ...“ Der Junge hielt die Luft an. Was? Was?? Wieso in aller Welt fing Dazai jetzt davon an?! „... aber … würdest du mit mir Doppelsuizid begehen?“ HÄÄÄÄÄHHH??? Atsushi vergaß endgültig zu atmen. Vor Schreck über diesen Satz fiel er beinahe rücklings ins Meer. Dazai fragte ihn, ob …?? Wie sollte er auf so eine Frage nur antworten?? Schweiß rann seine Stirn und seinen Rücken hinunter, während er fast seine Zunge verschluckte. „D-dazai, i-ich … i-ich … “ Gemächlich drehte Dazai sich zu ihm um und … grinste von Ohr zu Ohr. Häh? „Atsushi, nach all der Zeit glaubst du mir wirklich noch jede Lüge? Du bist so gutgläubig. Als Detektiv ist das aber eher schlecht.“ „D-das … das war nur ein Scherz?“ Nun fiel der Junge fast vornüber. „Du kannst so süß sein, was als Detektiv auch eher schlecht ist, aber eine hübsche Frau bist du definitiv nicht. Also, ja. Das. War. Ein. Scherz!“ Das genüssliche Grinsen des Brünetten verstärkte sich noch. „Nur ein Scherz … nur ein Scherz ...“ Mit zuckenden Augen prüfte Atsushi seinen eigenen Puls. Er war jenseits von Gut und Böse. „Dass du hier bist, heißt demnach, dass Kunikida trotzdem im Büro erschienen ist? Ich weiß nicht, ob ich das für bewundernswert oder für masochistisch halten soll.“ Dazai schüttelte seine Beine aus und bewegte seinen Kopf hin und her, als wollte er steif gewordene Muskeln lockern. Wie lange stand er hier eigentlich schon? „Dazai ...“, begann Atsushi unsicher, „warum bist du hier und nicht in der Detektei?“ Milde verwundert blinzelte der Ältere ihn an. „Mir war nach frischer Luft.“ „Den ganzen Morgen und Vormittag lang?“ Dazais Stutzen intensivierte sich leicht, ehe er kurz zum Himmel blickte. „Ist es schon Mittag?“ „Schon weit nach Mittag, ja.“ „Na sowas.“ Dazai zuckte flüchtig mit den Schultern und begann, zum Ufer zurück zu gehen. Perplex sah Atsushi ihm noch einen Moment lang hinterher. Dazai wusste nicht einmal, wie lange er hier gestanden hatte? Sollte ihn das beunruhigen? Also, mehr noch als es dies sowieso bereits tat? Ein ungutes Gefühl bildete sich in der Magengrube des Jungen, als ihn ein weiterer unheilvoller Gedanke überkam: Würde es weiterhin einfach gutgehen, dass keiner von ihnen Dazai so richtig kannte? Von Verstehen wollte Atsushi gar nicht erst sprechen, denn der mysteriöse Braunschopf ließ schließlich niemanden an sich heran. Konnte Dazais undurchsichtiges Verhalten irgendwann vielleicht zum Problem werden? Er schüttelte kräftig den Kopf, als wollte er den Gedanken so loswerden. Er vertraute Dazai. Sein Mentor war ein guter Mensch. Er beschützte seine Kollegen und die ganze Stadt. Daran gab es keinen Zweifel – und daran hielt er sich fest. „Atsushi“, rief genau dieser vom Ufer herüber, „was stehst du da denn jetzt so nutzlos in der Gegend herum? Wollten wir nicht zur Detektei?“ „Ja! Komme sofort!“ Mit schnellen Schritten lief er durch die Wellen aus dem Wasser hinaus. „Wir müssen aber noch Schokoriegel mit Erdbeergeschmack besorgen!“ „Die Rosafarbigen?“ „Ja, genau die.“ Dazais Lachen schallte über den gesamten Küstenabschnitt.   War das Wagemut, Todessehnsucht oder die krasseste Unbeschwertheit, die je ein Mensch an den Tag gelegt hatte? Atsushi blieb, die Tüte mit den Süßigkeiten wie ein Schild vor sich haltend, einen Schritt hinter Dazai, als dieser beschwingt aus dem Aufzug tänzelte und gerade dabei war, nach dem Türgriff zu greifen, als die Türe von innen aufflog. Dazais Gesicht strahlte regelrecht, als er sah, wer ihn da begrüßte – mit einem Handtuch um seine Schultern und Streifen von Alufolie um jede einzelne Haarsträhne. „Oooh, Kunikida, du hättest sie wenigstens einen Tag lang so lassen sollen. Vielleicht hättest du ja noch Gefallen an der neuen Farbe gefunden.“ Obwohl er weiter von ihm weg stand, hörte Atsushi das ungesund klingende Zähneknirschen des wieder erblondenden Kollegen. „Ist dir bewusst, wie peinlich es ist, in diesem Aufzug einen Klienten zu empfangen?“, zeterte Kunikida und seine berüchtigten Venen traten alle auf einen Schlag auf seiner Stirn hervor, als Dazai als Antwort nur euphorisch nickte. „Es gibt genau eintausenddreihundertundzweiundachtzig Dinge, die ich dir jetzt am liebsten antun würde, aber die muss ich leider alle auf später verschieben, da wir Arbeit haben.“ „Ein großer Auftrag?“, fragte Atsushi aus dem Hintergrund und Kunikida atmete hörbar aus. „Der Klient ist gerade eben eingetroffen und meinte, wir sollten auf euch warten. Mein Gefühl sagt mir, dass das ein verdammt großer Auftrag wird.“ Verdattert sah Atsushi zu Dazai, der nun ernst und äußerst interessiert dreinblickte. Der Klient wollte auf sie warten? Wer mochte das sein? Jemand, den sie kannten? Der junge Detektiv folgte den beiden Älteren bis zu dem Empfangsbereich der Detektei. Die anderen, inklusive des Chefs, waren bereits dort. „Oha, das scheint wirklich ein großer Auftrag zu werden – und ein sehr interessanter obendrein“, entfuhr es Dazai ominös, nachdem er den Klienten im Separee erblickt hatte. Neugierig und aufgeregt lugte Atsushi hinter ihm hervor, um zu sehen, was für ein Klient alle Detektive so angespannt um sich versammelt hatte. Ihm blieb die Spucke weg, als er den geheimnisvollen Klienten erkannte. „Herr Joyce??“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)