Das Glück der Erde von Ba-chan ================================================================================ Kapitel 7: Gespräche unterm Weidenbaum -------------------------------------- Die Bundesliga war im vollen Gange und die Rotburger bereiteten sich auf ihre Reise nach Bremen vor. Heute war ihr freier Tag, bevor sie morgen losfuhren und Genzo hatte schnell den Entschluss gefasst spontan das Gestüt zu besuchen. Timur erzählte ihm Tage zuvor, dass auch sie zu einem Turnier nahe Münchens waren und heute wieder nach Hause kämen. »Bleib ja nicht zu lange weg, sonst fahren wir ohne dich nach Bremen«, kam es von Karl, der gerade die letzten Sachen in seinen weinroten Koffer verstaute. »Keine Sorge ich werde rechtzeitig zurückkommen. Wir wollen doch nicht, dass ihr von den Bremern besiegt werdet. Ohne mich seid ihr ja völlig aufgeschmissen.« Lachend wich der Keeper einem vorbeifliegenden Seidenkissen aus, den er kurz darauf aufsammelte und prompt seinem besten Freund damit bewarf. »Wie haben wir nur ohne dich so lange die Tabelle anführen können?« »Siehst du das also auch, ja?« Das Herumalbern wurde jäh von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Die ausgelassene Kissenschlacht mussten die Männer fürs Erste auf Eis legen und es war Genzo, der zur Tür stürmte, durch den Spion starrte und lächelnd die vergoldete Klinke nach unten drückte. »Sho!« »Hi, Gen –« Der Chinese hielt plötzlich inne und hob eine seiner dunklen Brauen, als er den Keeper aufmerksam musterte. »Hast du in einem Hühnerstall geschlafen oder was?« »Was meinst du?« Wortlos deutete Sho auf die kleinen Federn, die sich in seinen schwarzen Locken verfingen und sah auf den Wandspiegel direkt neben sich. »Was äh?!« Karl indes lachte laut auf, den mürrischen Blick seines besten Freundes deutlich an sich haftend. »Du Sack hast die Klappe gehalten«, zupfte er sich die Federn aus seinem Haar, die er dann auf die Kommode legte. »Ich habe daran gedacht, ehrlich!«, kicherte er weiter. »Doch ich dachte mir, warum unserem Gast diesen Anblick nicht gönnen?« »Blödmann...« Schmunzeln musste er bei der Aktion des großen Fußballkaisers doch. Gerade jetzt, da er auf dem guten Weg war wieder er selbst zu sein war die Neckerei unter Jungs genau das Richtige. »Gibt es einen besonderen Grund, warum du hier bist?« »Genzo hat mich gebeten ihm Bescheid zu sagen, wenn sein Taxi da ist. Und da bin ich« »Danke, Sho. Du bist ein echter Freund«, betonte Genzo es auf höchst übertriebene Weise und klopfte ihm, wie es bei Männern üblich war, brüderlich auf den Rücken. »Ja, mach mich nur schlecht, Wakabayashi.« Ein weiteres Kissen kam angeflogen, doch dank der schnellen Reflexe des Keepers, bekam der Chinese das Ding mitten ins Gesicht ab. Keine zwei Sekunden danach pfefferte Sho seinem Captain das Kissen um die Ohren, während Genzo klammheimlich Richtung Tür marschierte und hinaustrat. »Bis heute Abend, Jungs«, sagte der Keeper, aber die Beiden waren so sehr mit ihrem Gerangel beschäftigt, dass sie gar nicht bemerkten, wie die Hoteltür ins Schloss fiel. Der Rezeption sagte er, um wie viel Uhr er ungefähr wiederkehrte, dann sah er bereits das Taxi vor dem Hotel, stieg ein und das Gefährt setzte sich in Bewegung. Das Gestüt war in Sichtweite und auch die Pferde, besonders die Hengste, waren drauf und dran die Koppel unsicher zu machen. Ins Auge stach ihm Timur, welcher gerade ein Pferd aus dem Anhänger führte. Und wenn er an Timus Pferd dachte, brach bei ihm der kalte Schweiß aus. Birin, wie die Rappstute hieß, war... gelinde gesagt recht eigen. Keine Ahnung warum, aber aus irgendeinem Grund konnte die Stute Genzo nicht besonders leiden. Er hatte zumindest diesen Eindruck, denn wann immer er das Gestüt besuchte, sah er die Goldsteingeschwister fast immer mit ihren Pferden zusammen. Birin machte dabei immer den Eindruck einer hochnäsigen Ziege, die naserümpfend ihren schlanken Kopf himmelwärts reckte und ihre großen, dunkelbraunen Augen den Japaner argwöhnisch musterten. Nicht einmal Komplimente vom Keeper, um die Wogen irgendwie zu glätten, schienen zu fruchten – und das war nicht einmal gelogen, wie er immerzu betonte. Birin war ein wunderschönes Pferd. Das seidige, schwarzbraune Fell schimmerte kupferfarben im Sonnenlicht. Die Beine waren schlank und elegant und hielten den sehnigen, kräftigen Körper mühelos. An den Fesseln waren je weiße Abzeichen zu erkennen und auch an ihrer Stirn war ein großer, weißer Fleck zu sehen. Eine „Blume“, wie es in Fachkreisen genannt wurde. Genzo fand die „Goldstein – Pferde“ bemerkenswert. Allein die Tatsache, dass das Fell dieser Tiere einen metallischen Glanz hatte, ließ ihn immer wieder erstaunt zurück. Bei keiner anderen Pferderasse sah man dieses Naturwunder und diese Besonderheit war ausschließlich den Akhal – Tekkiner vorbehalten. Dass allerdings Birin ihn nicht mochte, dafür aber die anderen Pferde, machte nicht nur Genzo stutzig. Nie tat er ihr etwas zuleide, grüßte sie immerzu, doch entweder ignorierte sie ihn, schnaubte ihn verächtlich an oder stellte sich beinahe drohend vor ihm auf. Einmal kam er auf Timur zu, als der Reiter sein Pferd mit einem Hufkratzer säuberte, da begann sie heftig mit ihrem Huf auf den harten Steinboden zu schaben und aufzutreten. Ihre Ohren waren nach hinten gelehnt, lautes Wiehern drang aus ihrer Kehle und wäre sie nicht an beiden Seiten durch eine Leine gesichert, hätte sie ihn vermutlich sogar angegriffen. Noch nie hatte Genzo so viel Angst vor ein Tier wie in diesem Augenblick und in diesem Moment wurde ihm ernsthaft bewusst, was für ein unglaubliches Glück er auf der Koppel hatte. Elena bezeichnete ihn als „lebensmüden Spinner“ und wenn er darüber nachdachte, konnte sie damit nicht richtiger liegen. Wegen einer bescheuerten Kappe riskierte er sein Leben und er war heilfroh, dass er glimpflich aus der Sache raus kam. Pferde, so friedliebend sie auch sein mochten, waren unfassbar kraftvolle Kreaturen mit großem Gefahrenpotential und Birin hätte ihn ernsthaft verletzen können... oder sogar schlimmeres. Das Taxi war längst verschwunden und Genzo stand abseits des Geländes. Still beobachtete er das gerade ruhige Pferd und fing sogleich den überraschten wie freudigen Blick des Reiters ein. »Genzo!«, winkte er ihm zu und der Keeper erwiderte die Geste mit einem flüchtigen Lächeln und kurzem Wink. »Warte, ich befreie Birin von ihrer Ausrüstung und bringe sie auf die Koppel. Dann komm ich zu dir!« Er nickte bloß und lehnte sich an einem brusthohen, weißen Holzzaun. Schnell hatten die Männer sich geeinigt, dass, sollte Birin bei Timur sein, blieb Genzo auf Abstand. Als nach einer halben Stunde die anmutige Rappstute über die Wiese raste, kam auch der Reiter dem Keeper entgegen und stellte sich neben ihm, der interessiert und ein wenig wehmütig auf das Pferd sah. »Ich würde so gerne wissen, warum sie mich hasst«, seufzte er schwach. »Sie scheint eigentlich ein nettes Pferd zu sein, aber...« »Ehrlich, das wüsste ich auch gern. Du hast doch nichts angestellt... oder etwa doch?!« »Natürlich nicht!«, wirbelte Genzo herum und sah Timur direkt in seine braunen Augen. »Ich bin doch nicht bescheuert und lege mich mit einem Pferd an. Das eine Mal hat völlig gereicht. Ich bekomme wieder zittrige Hände, wenn ich an neulich denke« »Genzo, ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir das tut. Sie kann ein echter Wirbelwind sein, aber noch nie hatte sie ein solch aggressives Verhalten gezeigt und ich hoffe sehr, dass das nur eine einmalige Sache war« »Kann man nur hoffen«, sagte Genzo. »Und entschuldige dich nicht. Wir finden schon heraus, was Birin für ein Problem mit mir hat.« Sie waren wieder still und beobachteten schweigend die Pferde. Jeder von ihnen schien in ihrer eigenen Gedankenwelt versunken, bis ein kurzer Laut Timurs Genzo aufschrecken ließ und ihn mit leicht geweiteten Augen anstarrte. »Bevor ich's vergesse, wie war denn das Spiel?«, fragte Timur hastig und so aufgeregt, als wäre das Birin – Thema nie zur Sprache gekommen. »Ich hab's mir ja leider nicht ansehen können« Genzo lächelte spitzbübisch. »3:0 gewonnen. Kein großes Ding gewesen« »Ah, ich habe nichts anderes von euch Jungs erwartet« »Ich weiß, dass du und Elena auch ein Turnier hattet. Wie war es denn bei euch?« Als der Keeper ihn darauf ansprach, spürte Timur, wie sich sein Magen zusammenzog und sich seltsamerweise schwertat etwas zu sagen. »Habt ihr verloren?«, hakte Genzo nach. Er fand das Verhalten seines Freundes merkwürdig, wo er doch immerzu wie ein Wasserfall plapperte. Besonders dann, wenn es um Turniere und ähnlich aufregende Themen ging, die sie beide mochten. Timur schüttelte schwach den Kopf. »Bin Erster geworden«, antwortete er knapp. »Lenchen... Dritte.« Genzo war verwirrt. »Ist sie deswegen niedergeschlagen? Ein Platz auf dem Treppchen ist doch Klasse?« »Sie ist eine gute Gewinnerin, aber eine noch bessere Verliererin«, sagte er daraufhin. »Sie stört sich nicht daran, wenn sie Erste, Dritte oder einen hinteren Platz belegt. Es ist nur die Art, wie sie an den Platz kam und ist deswegen... um es nett auszudrücken... ein kleines bisschen verstimmt« »Ich verstehe noch immer nicht...« »Es gab ein Geländeritt«, begann er zu erklären. »Keine große Sache eigentlich. Wir nehmen an solchen kleinen Wettbewerben teil, um die Kondition unserer Pferde zu verbessern. Also eine Art „Zusatztraining“ zum eigentlichen, aber darauf will ich nicht hinaus. Du musst wissen, dass im Geländeritt ein bestimmter Bereich rundherum abgesichert werden muss, damit kein Unbefugter in dem Zeitpunkt die Waldwege oder ähnliche Pfade betreten kann. Und da kommen wir zum Kern des Problems« »... Jemand hat sich nicht daran gehalten« »Und das hat Lenchen Punkte und Zeit gekostet, warum sie Dritte wurde. Sie hätte ohne Probleme den zweiten Platz belegt, aber da machte ihr ein Spaziergänger einen ordentlichen Strich durch die Rechnung. Dass sie darüber alles andere als amüsiert ist, weißt du sicher selbst.« Und ob er das wusste. Oje, das war so ärgerlich und Elena tat ihm so furchtbar leid. Obschon der dritte Platz wirklich gut war, die Gewissheit, dass ein Unbeteiligter ihr jegliche Chancen auf einen Sieg vermasselte, würde ewig an ihr nagen. »Sie ist dort drüben, oben am Weidenbaum, falls du fragen solltest.« Das war der eigentliche Grund für sein Besuch auf dem Gestüt gewesen. »Ich hab dich vorgewarnt. Sie ist gerade nicht gut drauf, also...« »Ich passe auf mich auf. Danke Tim.« Beide verabschiedeten sich mit brüderlichem Handschlag, dann marschierte Genzo Richtung Koppel. Federleicht schwang er über den Zaun und ließ seinen Blick über die weite Wiese schweifen. Lächelnd musste er sich an den Tag ihres Kennenlernens erinnern. Wie er unbeholfen Dilas nachjagte und dabei auch noch im Dreck landete. Elena hatte sich das alles im Stillen angesehen, bevor sie ihn ansprach. Das war vielleicht ein Tag gewesen und Rudi war, trotz seiner laschen Ausrede, unzufrieden über sein Zuspätkommen gewesen. Zum Glück war die Sache auch ganz schnell wieder vergessen und um seinen Stammplatz in der Mannschaft hatte er sich nun wirklich nicht sorgen müssen. Genzo bemerkte zwei junge Hengste, die sich kurz rangelten. Ihm war schon von Beginn an aufgefallen, dass das Gestüt zwei große Herden getrennt voneinander hielt. Timur hatte ihn diesbezüglich aufgeklärt und der einfache Grund war, dass man eine unkontrollierte Vermehrung der Pferde verhindern wollte. Sie wählten mit Bedacht die Hengste aus, die sie zum Decken nutzten und wenn jetzt alle Pferde auf einem Fleck waren, würde die Hölle ausbrechen. Einzig Wallache durften bei den Stuten grasen. »Es ist nicht nur die Abstammung, die unsere Pferde so teuer macht«, hatte er Timur damals sagen hören. »Die Pflege und die Ausbildung, die wir für die Tiere investieren, kommt noch dazu und ist immens.« Jetzt wunderte sich der Keeper nicht mehr, warum einige Pferde sogar Millionen kosteten. Nicht zuletzt, weil einige zum Kauf angebotenen Pferde sich in Turnieren einen Namen machten und von Reitern aus aller Welt begehrt waren. Sogar an Fohlen, die nicht einmal geboren wurden, war man interessiert. Genzo konnte sich immer wieder darüber wundern, aber er war überrascht, als er erfuhr, dass die zweitbeliebteste Sportart in Deutschland tatsächlich das Reiten war. Allerdings bezog sich das vornehmlich auf das Pferderennen, womit man, und man musste kein Genie sein, um das zu wissen, Unsummen verdienen konnte. Er sah den Weidenbaum, der einsam auf einem kleinen Hügel mitten auf der Koppel stand. Und er sah die zierliche Silhouette der Reiterin, die sich unter den sanft schwingenden Blättern gemütlich machte. Schnell bemerkte er, dass Elena nicht alleine war. Eine seltsam rundliche Erhebung war neben sie und lächelte mitfühlend. Selbst Dilas schien mies gelaunt zu sein und war ihr offenbar nicht von ihrer Seite gewichen. Sonst wäre er bei den anderen Hengsten, um entweder mit ihnen zu rennen, zu grasen oder zu rangeln. Auf seinem Weg überlegte er, wie er sie am Besten ansprechen sollte, ohne gleich von ihr in Stücke gerissen zu werden und ihm fiel sogleich etwas ein. »Hallo, Ponyhalterin«, grüßte er sie mit bekanntem schelmischem Lächeln. Er hoffte damit die Stimmung ein wenig aufzulockern, indem er mit ihren üblichen Neckereien begann, aber alles, was er als Antwort bekam, war nur ein loses »Hey«. Kurz hielt er inne. Das liebevolle Lächeln des jungen Mannes verschwand nicht und machte sich dran neben ihr Platz zu nehmen. Sie schwiegen und sahen nur in die Ferne. »Bin vorhin Tim begegnet«, fing er vorsichtig das Gespräch an, ohne sie dabei anzusehen. »Und Birin« »Halt dich fern von ihr«, sagte sie tonlos und so nebensächlich, als wäre es eine nichtssagende Info, die sie ihm lustlos übermittelte. »Oh glaub mir ich werde mich hüten in ihre Nähe zu kommen«, sagte er schnell. Sein Lächeln wirkte bei dem Thema unsicher. »Was hab ich ihr nur angetan?« Seine lauten Gedanken wurden durch ein müdes Schnauben unterbrochen. Neugierig sah er nach links und Tatsache. Dilas hatte es sich neben Elena gemütlich gemacht und seinen schmalen Kopf auf ihrem Schoß gelegt. Ihre Hand glitt sanft über den seidigen Hals des Tieres und man konnte dem Hengst ansehen, wie sehr er diese Behandlung genoss. Das halbgeöffnete Auge und die mehr als entspannte Haltung ließen Genzo schmunzeln. Jetzt wagte er den weiteren Schritt. »Und ich hab... das von eurem Tur –« »Dieser miese Scheißkerl!« Genzo war so verstört von ihrem plötzlichen Wutanfall gewesen, dass er fast den Hügel runter kullerte. Selbst Dilas schreckte auf und gab ein verwirrtes Wiehern von sich. »Spaziert der einfach mitten im Weg und kackt mich auch noch an, ich solle gefälligst aufpassen, wo ich hin reite?! Für was wird das Gelände abgesperrt und die Hinweisschilde angebracht! „Ich lass mir meinen Morgenspaziergang nicht von irgendwelchen Leuten stören“. Allein, wenn ich an diese Kalkleiste denke, könnte ich Amok laufen!« »E – Elena, bitte beruhige – « Der Keeper zuckte zusammen, als die Faust gegen den Weidenstamm krachte. »Sag mir ja nicht, dass ich mich beruhigen soll.« Ein wenig verstimmt. Genzo lachte innerlich. Äußerlich war er wie in einer Schockstarre gefangen. So wütend hatte er Elena noch nie erlebt. Nicht einmal bei ihrem ersten Aufeinandertreffen war sie so in Rage gewesen. Sie sah weg, aber ihr Gesicht war noch immer zu einer wütenden Grimasse verformt. »Das nächste Mal, wenn er mir über den Weg läuft«, setzte sie merklich ruhiger an, dennoch konnte Genzo den grollenden Unterton deutlich heraushören. »renn ich ihn über den Haufen... dann brat ich ihm mehrfach mit seinem Gehstock eins über...« Genzo hätte beinahe gelacht. Es verstand sie vollkommen. Dieser ältere Herr hatte ihr das Turnier versaut und ihr wichtige Punkte genommen. Gerne würde er sie aufmuntern, doch er wusste nur nicht wie. Daher ließ er sie einfach ihren Ärger Luft machen, hörte stillschweigend zu, wenn sie etwas vor sich hin grummelte oder beobachtete, wie sie sich durchs Streicheln wieder beruhigte. Er lächelte wehmütig. Das erinnerte ihn an John, sein Samojede – Hund, den er als kleiner Junge bekam und ihm seitdem ein treuer Freund war. Immer, wenn es ihm schlecht ging oder er sich einsam fühlte, kam John und spendete ihm Trost. Als er eines Tages nach Deutschland ging, bekam Genzo ein schlechtes Gewissen seinen treuen Freund einfach in Japan zurückzulassen und nicht mitnehmen zu können, aber er wusste, dass Kamiko, die Haushälterin der Wakabayashis, sich gut um ihn kümmerte. »Hast du dein Spiel verloren?« Verwundert über diese Frage sah er sie perplex an. »Du schaust so traurig. Haben euch die Bremer etwa in den Hintern getreten? Dachte ihr seid die Besten der Besten. Wie enttäuschend.« Er lachte leise. »Sind wir auch weiterhin. 3:0 gewonnen. Die Tabellenspitze halten wir auf jeden Fall. Ich habe nur an John denken müssen« »John?« »Mein Hund« »Du hast einen Hund?!« Elena spitzte angeregt die Ohren und fixierte ihn geradezu, was dem Keeper ein sanftes Kichern entlockte, als er ihre volle Aufmerksamkeit abbekam. »...Ich hatte einen. Er ist Februar diesen Jahres gestorben« »Oh.« Sie klang traurig. »Tut mir leid« »Schon in Ordnung. Er war schon ein sehr alter Hund und irgendwann wäre er ohnehin gegangen. John war ein toller Hund und ich bin froh ihn als Freund gehabt zu haben.« Bevor Elena darauf antworten konnte, hatte Genzo bereits sein Smartphone in seiner Hand und durchstöberte seine Bildergalerie. Schließlich fand er ein Foto und hielt das kleine Ding vor ihrer Nase. »Hier«, erklärte er. »Das ist John. Das Bild habe ich letzten Sommer geschossen, als ich in Japan war, um mit den Jungs Urlaub zu machen.« Sie nahm ihm das Smartphone ab und betrachtete das Foto – und war wie erstarrt. »Oh... Gott.« Sofort war all die Wut, die sie wegen diesem idiotischen Rentner hatte, wie weggeblasen. Ihr Gesicht errötete und quietschte beinahe vor sich hin, was Genzo einfach nur zum Lachen brachte. Sahen Mädchen und Frauen etwas total niedliches, drehten sie alle durch. »Was ist das bitte für ein süßer Hund?«, rief sie aus und war schockverliebt, als sie John sah, der lächelnd in die Kamera schaute. »Schau dir nur diese Knopfaugen an. Und... und, und diese kleinen Pfoten und dieses runde Gesicht und die Ohren, die aus dem flauschigen Fell hinausragen! Er sieht aus wie ein Stofftier, ist das süß!« Elena presste sein Smartphone gegen ihre Brust und seufzte laut. »Ehrlich, wenn ich mir jemals einen Hund anschaffen sollte, dann ist das dieses Kerlchen hier« »Also für kalte Wintertage war er der perfekte Kuschelfreund, das kannst du mir glauben« »Oh, das kann ich mir bildlich vorstellen«, freute sie sich weiter. »Er sieht so weich und kuschelig aus, wie ein Plüschtier... oder eine Wolke oder Zuckerwatte« »Ja, er war etwas ganz Besonderes.« Nach einer Weile beruhigte sich Elena wieder und gab Genzo sein Smartphone zurück. Augen schließend lehnte sie sich gegen den Stamm und strich wieder beruhigend über Dilas' Hals. »Geht es dir besser?« »Hm?« Sie öffnete ihr Auge und sah ihn fragend an, dann erkannte sie, worauf er anspielte. »Oh, das. Ja... ja, es geht wieder. Hat gut getan es alles rauszulassen« »Hab ich gemerkt« »Tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du meinen Frust abkriegst, aber ich war einfach nur so –« »Wütend und ich verstehe dich vollkommen. Wäre ich an deiner Stelle gewesen, hätte ich denjenigen in meiner Rage vermutlich eine reingehauen, obwohl mir mein Boxtrainer dahingehend eine Ansage gemacht hätte.« Er lachte und bemerkte Elenas neugierigen Blick nicht, welchen sie ihm zuwarf. »Du kannst boxen?« »Ich bin kein Kampfsportler, wenn du das denkst«, antwortete er rasch. »Nein, ich habe damals ein Boxtraining angefangen, um meine Reflexe als Keeper zu verbessern« »Oh«, staunte sie nicht schlecht. »Das ist wirklich clever. Unglaublich, dass dir so etwas einfällt... und das auch noch als Balljunge« »Ja, oder? Selbst ein beschränkter Fußballer hat hin und wieder geniale Einfälle.« Das Lachen war ansteckend. Die Sticheleien zwischen den Beiden wurde langsam zu ihrem Alltag, wodurch ihre Freundschaft sich weiter vertiefte. Elena überraschte es, dass sie sich recht schnell mit ihm verstand. Nicht zuletzt, weil ihr Bruder einen erheblichen Einfluss darauf ausübte, da Timur und Genzo oft Zeit miteinander verbrachten. Um ehrlich zu sein wunderte sie sich, dass Genzo auffallend oft im Gestüt zu sehen war. Nicht, dass es ihr etwas ausmachte. Sie war dahingehend nur etwas verwundert, da die Fußballer sich nie die Mühe machten das Gestüt zu besuchen. »Darf ich eigentlich nach dem Grund deines Besuches fragen?«, kam sie schnell zur Sache. »Oh, ich wusste, dass ihr euer Turnier hattet und heute nach Hause kommt. Und da ich morgen nach Bremen abreise, wollte ich mal schnell nach dem Rechten sehen« »Oh, wie überaus nett von dir«, sagte sie frech. »Ich kann dir versichern das Gestüt wird auch heile an Ort und Stelle stehen, wenn du wieder in München bist. Ist ja nicht so, dass diese Anlage seit gut hundert Jahren hier steht, um die Tekes im Westen bekannter zu machen« »So lange gibt es das Gestüt schon?« »Das schon, aber meine Familie gibt es ein klein wenig länger. Meine Familiengeschichte reicht weit in die Vergangenheit, die unter anderem auch dazu beitrug, dass die Akhal – Teke überhaupt noch existieren« »Und... wie weit ist weit?«, wollte Genzo fasziniert erfahren. »Knapp dreitausend Jahre«, war ihre kurze, aber prägnante Antwort und sah lächelnd auf die grüne Koppel vor sich. »Dreitausend Jahre?!«, fragte er perplex. »Dein... Familienstammbaum reicht dreitausend Jahre zurück?« Sie lächelte warm. »Na ja, du musst wissen wir sind keine gewöhnlichen Pferdemenschen, die einfach mal ein Gestüt aufgemacht haben, weil wir gerne Pferde züchten wollen. Meine Vorfahren gehörten einem Reiterclan an, die durch die Wüsten Turkmenistans und anderorts gereist sind. Der Reitsport ist daher mehr für uns als das, was es heute ist. Das Reiten und das Pferd selbst ist ein Teil von uns und ist in unserer Kultur fest verankert. Die Zeiten, wo wir als Nomadenvolk durch die Ländereien streiften oder gegen unsere Feinde mit Schwert und Bogen kämpften, sind zwar vorbei, nichtsdestotrotz macht es mich stolz ein Teil dieser Kultur zu sein und erfüllt einem in gewisser Weise auch mit Ehrfurcht. Zumindest sehe ich das, oder was meinst du?« Genzo hing förmlich an ihren Lippen, während sie weitere Dinge über sich preisgab. Dann zuckte er kurz zusammen, als Elena ihn erwartungsvoll ansah. Er antwortete ihr nicht und schnell fiel ihr auf, dass er sie nicht richtig zuhörte und einfach weiter Löcher in die Luft starrte und nicht wusste, was er sagen sollte. »Was denn hat es dir die Sprache verschlagen?«, pikste sie ihn am Bizeps und entlockte aus ihm nur ein eintöniges »äh was?«. Sie rollte belustigt mit den Augen und sah wieder weg, Dilas dabei weiter seelenruhig neben ihr schlummernd. »Ist schon gut, ich habe nicht erwartet, dass du meine Familienherkunft total aufregend findest« »Im Gegenteil, ich finde sie sehr aufregend«, antwortete er ihr aufrichtig. Elena blinzelte verwundert. Meinte er das ernst? »Wirklich?«, fragte sie nach. »Ja, wirklich. Erzähl mir mal jemandem, der nicht so eine interessante Familiengeschichte hat. Dagegen wirkt ja meine Familie wie ein Witz, obwohl ich sie sehr liebe« »Sicher nicht«, sagte sie ehrlich, wendete ihren Blick dann wieder zu den weidenden Pferden. »Es gibt nicht viele, die es cool finden. Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich nur meine Mädels, die meinen Sport nicht ins Lächerliche ziehen. „Reiten ist doch kein Sport.“ „Reitende Jungs sind schwul und nur was für Mädchen“«, äffte sie einige der unzähligen Kommentare nach, die sie mehr als oft zu hören bekam. »Die haben doch keine Ahnung, was sie sagen und wenn ich versuche es ihnen zu erklären, hören sie nicht zu« »Tut mir leid.« Genzo erinnerte sich an seine Sprüche, die er Lenchen an den Kopf knallte und spürte plötzlich ein schwaches Ziehen in der Magengegend. »Bin auch nicht wirklich besser, wie die...« Elena kicherte flüchtig. »Ach bei dir habe ich gemerkt, dass du mir von Anfang an Probleme machst und habe mir schon gedacht, dass du mir solche Sprüche reindrückst. Aber ich habe es auch provoziert, also... trage ich eine gewisse Teilschuld.« Ein kurzes Schulterzucken und sie widmete sich wieder ihrem geliebten Pferd neben sich, der sich genüsslich die Streicheleinheiten über sich ergehen ließ und dabei ausgiebig seine kräftigen Beine streckte. »Man, du verwöhnst Dilas ja richtig«, lachte er, während er sich den entspannten Hengst ansah. »Aber sicher tue ich das«, erwiderte sie darauf. »Immerhin ist er mein Baby und ich verwöhne immer meine Babys und ganz besonders meinen Dilly.« Sie stand auf und begann intensiv seinen kugelrunden Bauch zu kraulen. Genzo beobachtete die ganze Szenerie aufmerksam und konnte sich das breite Grinsen einfach nicht verkneifen. Die himmelblauen Augen des Hengstes erfassten die des Keepers und beinahe hatten sie begonnen ein Starr – Wettbewerb auszutragen. »Nur zu. Streichle ihm unters Kinn. Das mag er sehr« »Wirklich?«, sah er abwechselnd zu Elena und Dilas. Als sie nickte und ihm erlaubte ihn wirklich zu streicheln, rutschte er näher zum Pferdekopf und begann ihn sanft unter besagter Stelle zu kraulen. »Und du findest meine Familiengeschichte... wirklich interessant?« »Sehr sogar«, antwortete er ehrlich. »Es macht mir Spaß was Neues über meine Freunde zu erfahren, um sie so besser kennen zu lernen« Freunde? Sie sah ihn verwundert an. Sah er in ihr wirklich einen Freund? Nun, zumindest kam es ihm offenbar vor – und ihr ehrlicherweise auch. Sie hatte nach der Trennung von Jens mit dem Fußball abgeschworen und sie hätte niemals gedacht mal mit Fußballprofis in Kontakt zu kommen. »Na, wenn wir uns jetzt so nahestehen werde ich auch sicher was über deine Familie erfahren, nehme ich an?« Das Lächeln des Keepers war Antwort genug und auch Elena schien gespannt mehr über ihn herauszufinden. »Klar«, sagte er daraufhin und sah ihr in die Augen. »Was möchtest du wissen?« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)