Der Weiße Falke von Erzsebet ================================================================================ Kapitel 5: Wie ein verlorener Prinz gefunden wird ------------------------------------------------- "Ja, ich, dein lieber Onkel", erwiderte darauf der Mann mit leiser Stimme und ich erkannte den Mann, den mein Vater in Hannai mit dem Diebstahl des Edelsteins aus dem Zepter des Königs beauftragt hatte. Die Augen fest auf den Eindringling gerichtet, der meinen Vater betrogen und seinen Tod verschuldet hatte, tastete ich lautlos nach meinem Schwert. "Wo ist der Stein", fragte der Mann inzwischen. "Was für ein Stein, Hemafas", fragte Lanas mit erzwungener Heiterkeit. "Mein lieber Schwestersohn, ich meine den Edelstein aus dem Zepter des hannaischen Königs", erklärte Hemafas mit trügerisch sanfter Stimme und plötzlich blitzte sein scharfes Schwert in voller Länge auf. Ich hörte, wie Lanas schwer schluckte, dann sagte er: "Ich weiß nichts von diesem Edelstein, Hemafas." So schnell, daß ich der Bewegung mit meinen Augen kaum folgen konnte, stand Hemafas plötzlich neben Lanas und die Spitze seines Schwertes ruhte auf der Brust seines Neffen. "Er... er ist in meinen Beutel eingenäht... in den Boden", sagte Lanas angsterfüllt, aber Hemafas machte keine Anstalten, nach Lanas Beutel zu greifen, der neben ihm auf dem Boden lag. "Ich hatte dir befohlen, ihn mir sofort zu bringen. Deinetwegen wurde ein Vertrag gebrochen." Hemafas Stimme war kalt wie Eis geworden und Lanas stöhnte leise auf, als die Spitze des langen Schwertes seine Brust ritzte. Das Gehörte hatte mich erstarren lassen. Wie gelähmt lag ich da, das Heft meines Schwertes spührte ich unter meinen Fingerkuppen, und mit einer einzigen Bewegung hätte ich Hemafas durchboren oder ihm doch zumindest das Schwert aus der Hand schlagen können, aber ich tat nichts. "Du weißt, was mit denen passiert, die einen Vertrag brechen", bemerkte Hemafas fast beiläufig und Lanas bejate mit erstickter Stimme. "Gib mir den Stein", befahl Hemafas nun und Lanas tastete neben dem Bett nach dem Beutel. Noch immer die Schwertspitze auf der Brust, suchte er mit zitternder Hand im Inneren des Beutels und hielt Hemafas schließlich einen fast faustgroßen glitzernden Stein entgegen. Mit einer kraftvollen Bewegung durchbohrte Hemafas die Brust seines Neffen mit dem langen Schwert und aus Lanas' erschlaffender Hand nahm er den Edelstein. Zwei Augenblicke später hatte er das Zimmer schon wieder durch das Fenster verlassen und ich hatte nichts getan, um meinem Geliebten zu helfen. Erst als Hemafas verschwunden war, brach der Bann, der mich an das Bett gefesselt hatte und ich drehte mich zu Lanas, in der Hoffnung, irgendetwas für ihn tun zu können, aber der Blick seiner Augen war bereits gebrochen und nie wieder würden seine flinken Finger in die Taschen fremder Leute gleiten, über die Saiten seiner Laute oder über meinen Körper. Ohne recht nachzudenken, nahm ich Lanas Beutel und seine Laute und ich nahm auch sein Schwert mit, denn ich war gewiß, von seinem Samen empfangen zu haben und ich wollte für mein Kind ein Andenken an seinen Vater haben. Dann floh ich aus der Herberge durch die unbekannten Straßen des nächtlichen Letran und schließlich endete mein Weg vor eurer Tür." Patrais Tashrany verstummte und ihr Blick zeigte, daß ihre Gedanken bei ihren Erinnerungen weilten. Nachdem ich diese Geschichte gehört hatte, verstand ich, warum das junge Mädchen so verstört gewesen war, und ich ließ sie allein, damit sie die nötige Ruhe hatte, mit ihrer Vergangenheit Frieden zu schließen. Einige Tage später ging es ihr schon viel besser, aber sie bat mich, bei mir bleiben zu können, bis das Kind geboren war. Sie verstand genug von Kräutern und dem Herstellen von Arzneien und Tinkturen, um mir zur Hand gehen zu können und so verging die Zeit. Patrais Tashrany wurde meine gelehrige Schülerin und sie begann, mich Tante zu nennen. Abends spielte sie oft auf der Laute ihres Geliebten, traurige Lieder, doch allmählich wurden sie lebhafter und bald übte sie im Garten meines Hauses mit ihrem langen Schwert, obwohl ihr Leib sich von dem Kind, das in ihr wuchs, rundete. Als ihre Zeit gekommen war, gebar Patrais Tashrany einen Sohn, der ihre bernsteinfarbenen Augen hatte, doch schwarzes Haar und dunkle Haut, ganz in der Art der Oshey, wie sie mir versicherte, und sie gab dem Kind den Namen Hermil, nach einem berühmten Fürsten ihres Stammes. Wenige Monate nach der Geburt ihres Sohnes sagte Patrais eines Tages: "Es wird Zeit, daß ich mich wieder auf die Suche nach meiner Mutter mache, Tante. Ich werde versuchen, mein Kind zu den Zelten seines Stammes zu senden, in seine wahre Heimat. Bis die Zeit reif ist, muß Hermil das lernen, was sich für einen Oshey geziemt und wo könnte er das besser lernen, als in den Zelten der Tashrany. Ich weiß nicht, ob ich dich jemals wiedersehen werde, Tante, aber ich werde alles versuchen, dir über meinen Sohn und mich Nachricht zukommen zu lassen." Und am nächsten Tag verließ Patrais Tashrany mein Haus, und ich sah sie nie wieder." "Doch wie kamst du dazu, mich nach dieser Frau zu nennen?" fragte ich meine Mutter ungeduldig, denn sie schien ihre Geschichte beendet zu haben und meine Neugierde war noch keineswegs gestillt. Meine Mutter lächelte daraufhin versonnen. "Vor deiner Geburt geschah etwas Seltsames, vielleicht war es eine Botschaft von Patrais Tashrany, das ist: * DIE GESCHICHTE VOM WEISSEN FALKEN. Etwa ein Jahr nachdem Patrais Tashrany mit ihrem Sohn Hermil mein Haus verlassen hatte, flog eines abends ein weißer Falke durch das offene Fenster und setzte sich vor mir auf die Lehne des Stuhles, auf dem Patrais Tashrany oft gesessen und auf ihrer Laute gespielt hatte. Sein Gefieder war strahlend und makellos und seine Augen erinnerten mich an die Augen von Patrais und ihrem Sohn. An einem seiner Fänge trug er jedoch ein kleines Lederbeutelchen, so dachte ich, das Tier wäre wohl seinem wohlhabenden Besitzer entflogen. Doch da tat der Vogel den Schnabel auf und sprach in Menschensprache zu mir, da wußte ich, daß dieser Falke ein Bote der Götter war. Und was der Falke sagte, war dies: "Du wirst eine Tochter bekommen. Nenne sie Patrais und eines Tages wird sie ihrer Schönheit wegen die Frau eines Königs werden. Gib ihr den Inhalt dieses Beutels, wenn es soweit ist. Sie soll ihn gut hüten, denn einmal wird der Tag kommen, an dem sie ihn weitergeben muß, um das Schicksal eines Königreiches zu erfüllen." Da ließ der Falke den Lederbeutel behutsam fallen und flog wieder zum Fenster hinaus. Als ich den Beutel öffnete, fand ich darin einen blauen Stein mit gezackter Bruchkannte, es handelte sich um die Hälfte jenes rundgeschliffenen Sternsaphirs, den Patrais Tashrany in ihrem Ring getragen hatte." Meine Mutter zeigte mir den Stein, um ihre Geschichte zu beweisen und sie gab ihn mir, als mich die Diener Nisan des Prächtigen nach Hannai brachten, damit ich die siebte Frau des Königs würde, denn tatsächlich war der Ruhm meiner Schönheit bis an den Rand der Wüste nach Süden gedrungen." Patrais von Letran, die siebte Frau des Nisan von Berresh, senkte den verschleierten Kopf und schwieg eine Weile, dann erhob sie sich und sah hinaus in die beginnende Dunkelheit, in der die weißen Pfauen um den Brunnen wie Lichter leuchteten. "Es ist schon spät", sagte sie dann leise. "Kommt jetzt. Ich habe versprochen, euch einen sicheren Weg aus dem Palast zu zeigen, Hermil Tashrany." Die Frau des Königs erhob sich und ging zu der Tür hinter dem goldbestickten, durchscheinenden Vorhang, doch sie öffnete nicht diese Tür, sondern ihre Hände tasteten die Fugen der Steinwand entlang, es klickte gedämpft und plötzlich glitt lautlos ein Stück der scheinbar massiven Mauer beiseite, hinter der sich ein dunkler schmaler Gang erstreckte. In einer Mauernische stand eine Öllampe und Zündzeug bereit. Mit geschickten Fingern entzündete Patrais von Letran die Lampe und ging in die Dunkelheit des Ganges hinein. Hermil Tashrany folgte ihrer Silhouette, die durch das Lampenlicht, das durch ihren silberdurchwirkten Schleier schien, wie in rotgoldenen Nebel gehüllt war. Mit sicherem Schritt ging die Frau voran und führte Hermil Tashrany durch schmale, winkelige Gänge, treppab und treppauf, vorbei an weiteren Tunneln die sich gelegentlich nach rechts und links erstreckten. "Ihr habt eine schicksalsträchtige Vergangenheit, Hermil Tashrany", sagte die Frau des Königs mit gedämpfter Stimme ohne sich umzudrehen. "Glaubt ihr nicht auch, daß ihr dieser Vergangenheit etwas schuldig seid?" Hermil Tashrany wußte nichts darauf zu antworten. Plötzlich blieb Patrais von Letran stehen. An der Wand des Ganges war ein großer verrosteter Ring angebracht. Sie drehte ihn mehrere Male und zog dann einen Teil der Mauer wie eine Tür auf. "Schaut", sagte sie zu Hermil Tashrany und breitete mit einer Handbewegung ein glitzerndes und funkelndes Wunder vor Hermil Tashrany aus. "Dies ist die Schatzkammer des Königs. Schon lange befindet sich der Edelstein, den euer Großvater hatte stehlen lassen, wieder an seinem angestammten Platz, im Königszepter von Hannai. Nehmt ihn als euer rechtmäßiges Erbe, denn im Kampf um den Goldenen Thron werdet ihr die Hilfe der Götter brauchen." Verwundert sah Hermil Tashrany die Frau an, ihr Gesicht war hinter dem Schleier nur als Schemen zu erahnen, und die im Lampenlicht funkelnden silbernen Blüten mit denen der Schleier bestickt war, blendeten ihn. "Aber ich kenne die geheimen Worte nicht", sagte er abwehrend. Aber die Frau des Königs ging schon in die Schatzkammer. "Ihr werdet sie sicherlich erfahren", versprach sie ihm. "Die Zeit für einen erneuten Machtwechsel ist günstig, Hermil Tashrany. Der König ist krank und er hat keinen Sohn. Seht nur die Schätze, die Nisan der Prächtige angehäuft hat, bezahlt mit dem Blut seiner Untertanen. Den Großenkel Kermul des Gerechten wird man in Hannai mit Freuden willkommen heißen." "Aber..." begann Hermil wieder und gegen seinen Willen hatte er schon einen Schritt hinein in die Schatzkammer getan, damit sein Flüstern die Ohren seiner Führerin erreichte. Patrais von Letran drehte sich zu ihm um. "Kein aber!" sagte sie bestimmt. "Der Goldene Thron gehört euch, daran kann kein Zweifel bestehen. Nehmt den Edelstein aus dem Zepter und...", mit der freien Hand zog die Frau des Königs ein ledernes Beutelchen aus den Falten ihres Gewandes hervor, "nehmt das. Der fehlende Teil des Sternsaphirs aus eurem Ring. Ohne Zweifel steht auch er euch zu." Einen Dank murmelnd nahm Hermil Tashrany das Lederbeutelchen entgegen und steckte es in seinen Gürtel. Doch das hannaische Königszepter, das zwischen ihm und Patrais von Letran auf ein seidenes Kissen gebettet auf einem Tisch lag, sah er nur mit gemischten Gefühlen an. Der im leicht flackernden Lampenlicht blitzende rote Edelstein war mit dünnen Golddrähten an der Spitze des etwa ellenlangen goldenen Stabes befestigt, um den sich juwelen- und perlengeschmückte Bänder wanden. Sicher ließ sich das Herz Hannais leicht aus seiner einfachen Fassung lösen. "Nehmt ihn", drängte die Frau des Königs Hermil, der schließlich zugriff und den faustgroßen Edelstein aus den Drahtschlaufen drehte. Hermil war erstaunt, wie schnell es dieser Frau gelungen war, seine Skrupel bezüglich des Diebstahls so gründlich einzuschläfern, denn bevor er es recht merkte, hatte er den Stein schon sicher in seinem Gürtel verwahrt und ging hinter Patrais von Letran durch den Geheimgang, und die wieder sorgfältig verschlossene Tür zur Schatzkammer lag bereits einige Meter hinter ihnen. Nach einiger Zeit Weges durch die schmalen, bisweilen niedrigen Gänge, den sie schweigend zurücklegten, hielt Patrais von Letran schließlich wieder an. Mit ihrer freien Hand tastete sie die Wand entlang und wieder ertönte ein gedämpftes Klicken. Durch die Öffnung sah Hermil Tashrany die Sterne am nächtlichen Himmel. "Dieser Ausgang befindet sich außerhalb der Palastmauern. Wir stehen im Sockel des Tempels des Ungenannten", erklärte die Frau des Königs, dann sah sie in den Nachthimmel und das Licht des Mondes verzauberte ihr verschleiertes Gesicht für einen Moment zu dem von einem rosenfarbenen Halo umgebenen Antlitz einer Unirdischen. "Erfüllt euer Schicksal gut, Hermil Tashrany", ermahnte sie ihn mit leiser Stimme. "Dann kehrt hierher zurück, denn die Prinzessin Sira wird euch wohl voller Ungeduld erwarten." Ohne weitere Worte des Abschieds trat Patrais von Letran in den Geheimgang zurück und verschloß die Tür. "Ich danke euch, hohe Dame", sagte Hermil Tashrany, aber er sprach bereits zu einer scheinbar massiven Marmormauer. * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)