Was vom Fernsehen übrig blieb von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 3: Das Kinderprogramm heißt nicht so, weil es nur für Kinder ist, sondern weil wir alle Kinder sind, die ein Leben lang dazulernen ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ „Ich kann nicht fassen, dass das funktioniert hat“, sagte Shinpachi hörbar missmutig in die Runde, die sich im Aufzug auf dem Weg in die Chefetage befand. „Schon wieder dieser Pessimismus.“ Gintoki bohrte abwechselnd in seiner Nase und in seinen Ohren. „Sei doch froh, wie unkompliziert das alles klappt.“ Er schnippte irgendetwas, von dem wirklich niemand wissen wollte, was es war, von seinen Fingern. Gleichzeitig mit dem Öffnen des Fahrstuhls entfuhr Shinpachi ein lautes Stöhnen. „Wir müssten das alles hier wahrscheinlich gar nicht auf uns nehmen, wenn du dich ein bisschen besser benehmen könntest.“ „Bitte steigen Sie aus.“ Die Aufforderung des Mitarbeiters, der sie nach oben gebracht hatte, klang nach allem, aber nicht nach einer höflichen Bitte. Der arme Mann war grün im Gesicht und schüttelte sich. „Eklig, eklig, eklig!“, hörten sie noch, nachdem sie ausgestiegen waren und die Türen sich wieder schlossen. „Genau das meinte ich.“ Shinpachi deutete mutlos auf den Aufzug. „Ach, Shin-chan, der Herr hat doch nicht Gin-san gemeint.“ Otae lenkte ihre Blicke in die andere Richtung. „Er meinte dieses Ekel erregende Bild.“ An der obersten Stufe der Treppe, die ebenso in die Chefetage führte, lagen vier aus dem letzten Loch pfeifende und in Schweiß gebadete Männer in schwarz-goldenen Uniformen. „Uuuh, so was Widerliches kann man doch nicht zeigen. Verpixelt bitte jemand das ganz schnell?“ Gintoki machte ein übertrieben angewidertes Gesicht. „Soll ich sie wieder nach unten befördern?“, fragte Kagura mit einer süßen, kindlichen Unschuldsmiene hinter der sich finstere, schadenfrohe Abgründe auftaten. „Bitte … nicht!“, keuchte Kondo. „Das … waren … bestimmt … ein … tausend … Stock … werke ...“ „Du ...“, röchelte nun Hijikata erbärmlich (Ja, Kinder, Rauchen schadet eurer Gesundheit!), „hast … darauf … bestanden … dass wir … nicht … wuargh!“ Er hustete irgendetwas hoch, von dem wirklich niemand wissen wollte, was es war. „Shinpachi“, fiel Gintoki dem elend klingenden Vizechef in den schleimigen Hustenanfall, „was hast du eben noch einmal über mein Benehmen gesagt?“ „Dass andere sich noch ekliger verhalten, rettet dich auch nicht“, konterte der Jüngere. „Was Hijikata-san sagen wollte“, erklärte jetzt Okita, während er angesichts der Geräuschkulisse mühsam ein Würgen unterdrückte, „ist, dass Kondo-san uns dazu gezwungen hat, die dumme Treppe zu nehmen statt einfach einen Mitarbeiterausweis zu beschlagnahmen. Es ist offensichtlich, dass er mit seiner Ausdauer und Fitness bei jemandem Eindruck schinden wollte, aber ...“, er blickte auf den hechelnden, vor Schweiß triefenden Vorgesetzten, „das war nicht seine beste Idee.“ Hijikata schaffte es, sein Husten in den Griff zu bekommen, als er heftig ins Stutzen geriet. „Sogo, warum bist du nicht so sehr außer Atem?“ „Weil ich nicht so erbärmlich bin wie Sie – und mir auf halbem Weg die Idee kam, mich von Yamazaki tragen zu lassen.“ Die Blicke aller gingen zu dem beinahe ohnmächtigen, armen Tropf. „Er … hat … mir … mit … den … schlimmsten … Sachen … gedroht ...“ „Aha, sehr interessant“, sagte Gintoki völlig desinteressiert und wollte an den am Boden liegenden Männern vorbeimarschieren. Hijikata jedoch schnappte sich sein Bein und ließ sich so von ihm nachziehen, während Gintoki nun wiederum versuchte, das ungewollte Gepäck umgehend abzuschütteln. „Gin-san, du hast da was! Sieht aus wie eine große Kakerlake!“, rief Kagura entsetzt. „Schlimmer, es ist ein ungezieferus shinsengumiae“, antwortete der Silberschopf und versuchte, mit seinem anderen Fuß Hijikata loszuwerden, doch dieser Fuß war von Kagura geschädigt und hatte daher kaum Kraft. „Was soll jetzt dieses Pseudo-Latein??“, schrie Shinpachi dazwischen, als Okita an ihnen vorbeihuschen wollte und Kagura sich auf ihn stürzte. „Wir waren zuerst da!!“ „Nein, wir!!“ Bevor man sich versehen konnte, zogen die beiden sich gegenseitig an den Haaren und fochten einen mustergültigen, atemberaubenden … Sandkastenstreit aus. „Otae-san“, Kondo blickte derweil vom Boden zu ihr auf, „… jetzt ist endlich der Moment gekommen, an dem ich dich fragen will, ob du-whaaaaa!“ Otae hatte ihn mit einem beherzten Tritt die Treppe wieder hinunter geschickt. „Was ist das für ein Krach?!“ Die große Tür, vor der die beiden verfeindeten Parteien sich lautstark prügelten, flog auf und eine Frau mittleren Alters stand vor ihnen. Es war die Senderchefin. „Senderchefin-san!!“ Gintoki und Hijikata gingen sofort dazu über, sich vor der Dame auf den Boden zu werfen und sich unterwürfig zu verbeugen. „Ich habe ein wichtiges Problem!“, riefen sie gleichzeitig aus und waren aufs Übelste irritiert, dass sie unisono sprachen. „Nein, ICH habe ein wichtiges Problem“, wiederholten sie im gleichen Gleichklang. „Wie stellt man das ab?“, fragte die Chefin mit Blick auf die anderen, worauf Otae und Okita ihrem jeweiligen Partner einen Schlag auf den Hinterkopf gaben. Als sie nacheinander laut „Au!“ riefen, war der Bann gebrochen. „Okay, sehr viel besser“, bedankte die Frau sich. „Ich hoffe, es geht nicht schon wieder um die Absetzung der Werbung mit der Home-24-Katze. Jeden Tag rennen mir deswegen Leute die Bude ein. Der Katze geht es gut. Sie wohnt im 14. Stock und widmet sich anderen Projekten.“ „Das ist zwar gut zu wissen“, antwortete Okita, „aber wir sind hier wegen der fehlenden Finalfolgen von 'Wonderful Wormgirl.'“ Die Senderchefin legte ihre Stirn in Falten. „Ach … ja, die müssten endlich einmal richtig nummeriert werden. Wir hatten echt nicht damit gerechnet, dass es so vielen Leuten auffallen würde, wenn die Folgen in der falschen Reihenfolge laufen. Und da hieß es immer, Fernsehen mache dumm. Stimmt wohl doch nicht.“ „Das heißt 'Wonderful Wormgirl' wird bald in der korrekten Reihenfolge gesendet?“ Hijikata sah mit hoffnungsvollem Blick vom Boden auf. „Müsste machbar sein.“ Die Dame kicherte. „Wäre doch voll peinlich, wenn nicht, oder?“ „Jajajaja“, warf Gintoki ungeduldig ein, „die unwichtigen Probleme beiseite. Sie DÜRFEN MICH NICHT aus dem Anime Gintama streichen.“ „Gintama?“ Nun legte die Frau den Kopf schief. „Ist das nicht längst fertig?“ „In einigen Ländern leider noch nicht“, entgegnete Yamazaki, „aber in Japan schon.“ „Der Reboot! Ich rede von dem Reboot!“ „Der Gintama-Reboot?“ „Ja! Der mit Smartphones!“ Gintoki kreischte fast verzweifelt. Das Gesicht der Senderchefin hellte sich auf und der langjährige Held der Serie sah sein Schicksal bereits besiegelt. „Gintama mit Smartphones? Okay, wow, das klingt nach einer total innovativen Idee ...“ Gintoki schluckte ängstlich. Das war's. Es war aus. Aus und vorbei. Was sollte er in Zukunft machen? Ob Hasegawa ihm einen Job vermitteln konnte? Oder ob er vielleicht die Serie wechseln sollte? Doch wo könnte er mitspielen? Boruto vielleicht? Ging er noch als Zwölfjähriger durch? Was hatte er noch für Optionen? Demon Slayer? Uh, die Gedärme, die da immer durchs Bild flogen, waren beinahe so schlimm wie Hijikatas Raucherhusten. Nein, das würde er nicht durchstehen. Was sollte nun nur aus ihm werden? Er verpasste fast, wie die Frau weitersprach: „ … aber bei den 544 Reboots, die im Moment bei uns in der Mache sind, ist Gintama nicht dabei.“ „ … Was?“ „Wir planen keinen Reboot von Gintama. Ich glaube nicht, dass wir uns damit viele Fans machen würden. Manche Sachen lässt man lieber so wie sie sind.“ Gintokis Augen fingen langsam an zu zucken, während er sich Kagura zudrehte. „Kein. Reboot. Von. Gintama.“ „Hmm, hab ich mich wohl verhört.“ Kagura zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Was denn, Gin-san“, stocherte Shinpachi spöttisch, „sei doch froh, dass alles beim Alten bleibt.“ „Shin-chan hat Recht“, bekräftigte Otae ihren Bruder. „So nützlich und hilfreich Smartphones auch sein können, es nervt doch, wenn alle immer nur am Bildschirm kleben, nicht wahr? Oh, und Gin-san bleibt uns erhalten. Das ist doch auch schön.“ „Die ganze Aufregung ... umsonst ...“ Gintoki klang, als hätten ihn alle Lebensgeister verlassen. „Ich habe sowieso nie verstanden, wieso der da der Held der Serie ist.“ Hijikata zündete sich eine Zigarette an. „Wir sind hier fertig. Gehen wir zurück zum Hauptquartier … wo ist eigentlich Kondo-san?“ „Liegt verletzt am Fuß der Treppe“, berichtete Yamazaki. „Was? … Oh. Dann … sollten wir wirklich los.“ Die drei Mitglieder der Shinsengumi setzten sich in Bewegung, doch Yamazaki wandte sich noch einmal der Senderchefin zu. „Ich spüre den merkwürdigen Drang zu sagen: Im Übrigen bin ich der Meinung, Gintama muss überall fortgesetzt werden!“ Die Chefin nickte verständnisvoll. „Wenn es Ihnen ein Trost ist: Mancherorts sind es nur noch knapp 35 Jahre bis zum Abschluss des Mangas!“ Mit diesen Worten machten sich alle auf den Heimweg – die lange, lange Treppe hinunter.   „Kagura“, ermahnte Gintoki seine Gefährtin auf dem Weg nach unten, „lerne bitte richtig zuzuhören, sonst verliert euer lieber und verehrter Gin-san das nächste Mal mehr als nur seinen Job.“ „Ja ja, Gin-chan kriegt einen Bob“, winkte das Mädchen ab, während sie die Stufen nach unten schlappten. „Was viel schlimmer ist: Ich habe vergessen, der Senderchefin meine Idee für eine Fernsehserie zu erzählen.“ „Du hast eine Idee für eine Serie?“ Überrascht und gleichermaßen skeptisch hob Shinpachi eine Augenbraue. „Oh ja! Eine ganz großartige!“ Kagura nickte ekstatisch. „Es geht um Hundewelpen, die als Rettungshelfer arbeiten.“ „Hundewelpen als Rettungshelfer?“ Gintoki fasste sich mit einer Hand an den Kopf. „Ich hatte gehofft, da käme jetzt wirklich eine gute Idee, die sich zu Geld machen ließe. Überleg doch mal: Wie sollen denn Hunde Einsätze vornehmen? Das geht doch gar nicht.“ „Doch, doch!“, verteidigte sie ihre Idee. „Wenn sie sprechen können, geht das!“ „Sprechende Hundewelpen?“, wandte jetzt Shinpachi ein. „Na ja, das ist im Fernsehen gar nicht so unmöglich. Aber wie sollen denn die Hunde zu den Rettungseinsätzen kommen?“ „Mit ihren Fahrzeugen!“ „Sprechende, Auto fahrende Hunde?“ Gintoki schüttelte den Kopf. „Auf was für Ideen diese Jugend von heute kommt. Nein, nein, Kagura, wie soll man denn damit Geld verdienen?“ „Mit Merchandise-Artikeln!“ „Vielleicht fällt dir irgendwann noch etwas Besseres ein“, sagte Shinpachi die Freundin ermunternd und gleichzeitig ihre eben vorgetragene Idee völlig ablehnend. „Aber das könnte wirklich funktionieren!“ „Ausgeschlossen“, waren sich die beiden einig. „Lasst ihr doch den Spaß“, warf Otae ein. „Ich finde es gut, wenn Kinder sich kreativ betätigen. Dann werden aus ihnen nicht solche Versager.“ „Dein Blick ging doch gerade zu uns, oder?“ Hijikata schaute über seine Schulter zurück auf die hinter ihnen trottende Otae. „Tsk. Wir fantasieren wenigstens nicht von Auto fahrenden Hunden.“ „Also eigentlich ...“, nun drehte Yamazaki sich der Alles-Agentur zu, „finde ich die Idee des Mädchens ziemlich gut ...“ „Oooh, niemand mag meine Idee“, jammerte Kagura betrübt. „HEY! ICH WOLLTE DICH GERADE UNTERSTÜTZEN! IGNORIER MICH NICHT!“ „Wo steckt eigentlich Sogo?“, ignorierte Hijikata Yamazakis Wutanfall. „Er wollte schnell aufs Klo“, antwortete Yamazaki. „Das war in etwa so auf der 14. Eta-“ „Bin wieder da.“ Okita holte zügig wieder zu den anderen auf – und hatte dabei eine merkwürdige Wölbung unter seiner Weste. „Was ist denn das?“, fragte Hijikata argwöhnisch. „Meine Weste.“ „Nein, da ist doch irgendwas darunter.“ „Meinen Sie meinen Körper? Wollen Sie der Fanfiction wieder eine Boys-Love-Wendung geben, Hijikata-san?“ Der Vize-Kommandant zuckte erschrocken zusammen. „Darauf wollte ich sicherlich nicht hinau-“ Es miaute unter Okitas Weste und fragende Blicke durchbohrten ihn. „Was? Ich hatte Katze zu Mittag“, gab er nonchalant zur Antwort und setzte sich an die Spitze der Gruppe – wo er über die Wölbung seiner Weste strich und mit diabolischer Miene flüsterte: „Shh, shh, ganz ruhig. Bald werden du und ich die Weltherrschaft an uns reißen. Sehr bald. Und als allererstes werden wir Hijikata loswer-“ „Hast du was gesagt, Sogo?“ Ertappt schreckte der Angesprochene zusammen. „Nur die üblichen Attentatsgedanken.“ „Na dann.“ Hinter ihnen atmete Gintoki auf. „So verrückt auch immer alles läuft, wir können froh sein, dass es so bleibt. Stellt euch vor, wir würden nur an unseren Smartphones kleben. Was wir dann alles verpassen würden! Wie unaufmerksam wir dann durch die Welt laufen würden. Wir würden zu gefühllosen Wesen verkommen, die nicht mitkriegen, was um sie herum passiert.“ „Ich hätte trotzdem gerne ein Shinpachi S13 plus“, entgegnete Otae und stapfte mit voller Wucht auf den unten am Boden liegenden Kondo drauf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)