Die tägliche Dosis Geronimo von _Delacroix_ (Eine Drabble-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 1: Kniefall ------------------- Ein leises „Lorenzo“, war die einzige Warnung, die er erhielt. Doch als er sich zu ihm umdrehte, war es bereits zu spät. Geronimo fiel in sich zusammen wie ein nasser Sack. Da war keine Eleganz in der Art, wie er auf die Knie sank. Es löste auch keine Befriedigung in ihm aus. „Ich bin am Ende“, lamentierte der Magier hemmungslos, „besiegt“. Lorenzo rollte mit den Augen. „Ich habe es vernommen“, entgegnete er. „Ich kann es nur nicht glauben.“ „Ich bin halt auch nur ein Mensch“, schoss der Schwarzmagier zurück. „Ein Mensch, der erst vor fünf Minuten am Stadttor losgelaufen ist.“ Kapitel 2: Mohnblumen --------------------- Zwischen den roten Blüten wirkte Geronimo wie eine große, schwarze Spinne, die mit dem Ritualdolch in der Hand darauf lauerte, dass der Wind eine Blume in seine Richtung trieb. Hier schnitt er in eine Frucht hinein, dort drückte er den weißen Saft hervor und füllte ihn umsichtig in eines seiner Fläschchen. Lorenzo erlaubt sich ein Lächeln. Als Geronimo endlich aus dem Feld stapfte, legte Lorenzo ihm den Arm um die Schulter. „Ich bin stolz auf dich“, raunte er ihm ins Ohr. Geronimo zog die Stirn kraus. „Warum?“ „Weil du all den armen, hustengequälten Kindern im Hospital helfen willst.“ „Welchen Kindern?“ Kapitel 3: Unterschrift ----------------------- „Lorenzo, ich brauche deine Unterschrift“, verkündete Geronimo in einem Ton, der nur wenig Widerspruch duldete. Lorenzo schenkte ihm einen skeptischen Blick. „Ich unterschreibe keinen Schuldschein für dich“, erinnerte er ihn. Doch zu seiner Überraschung schüttelte Geronimo den Kopf. „Es ist kein Schuldschein. Es ist ein Empfehlungsschreiben. Ich brauche nur noch die Unterschrift meines Lehrmeisters. Ich habe es schon aufgesetzt.“ „Sollte das dann nicht eigentlich Xemin unterschreiben?“, fragte Lorenzo weiter. Geronimo zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Aber er ist nicht hier.“ „Und was willst du dann von mir?“ „Na ja, du hast mir doch erzählt, du wärst ganz gut im malen.“ Kapitel 4: Spatenstich ---------------------- Der Spaten glitt in die feuchte Erde und beförderte eine ganze Schaufel voll Dreck auf den kleinen, aber stetig wachsenden Haufen neben dem Loch. Lorenzo legte den Kopf schief. „Weißt du Gero, für Jemanden, der so wenig Ausdauer hat wie du, bist du ziemlich schnell, wenn es darum geht, etwas auszubuddeln.“ Der Angesprochene hielt in inne. „Ich habe halt Erfahrung mit Exhumierungen“, entgegnete er. „Richtig anstrengend wird es erst, wenn sie den Sarg mit einer Metallplatte beschwert haben.“ „Möglicherweise tun sie das, damit niemand Tante Martha stiehlt.“ „Möglicherweise tun sie das auch, damit Tante Martha sich nicht von dannen stiehlt.“  Kapitel 5: Der erste Schritt ---------------------------- „Tante Martha“ entpuppte sich als ausgesprochen gut erhaltener Zombie in einem hübschen, fliederfarbenen Kleid. Zugegeben, nachdem sie damit aus ihrem Grab geklettert war, war es an mehreren Stellen dreckig und zerrissen, doch mit ein bisschen Fantasie konnte Lorenzo erkennen, dass Martha einst eine sehr hübsche Frau gewesen war. Ihre ersten Schritte im untoten Leben waren eher wackliger Natur. Doch schnell wurde ihr taumelnder Gang sicherer, ihr Knurren tiefer und das Schnappen ihrer Zähne deutlich lauter. Letzteres sehr zum Missfallen Lorenzos, doch Geronimo wiegelte seine Einwände locker ab. So sah es eben aus, wenn einen ein Zombie zum fressen gern hatte. Kapitel 6: Zum letzten Mal -------------------------- „Das ist sie?“, fragte der Adlige und musterte „Martha“ mit abschätzigem Blick. „Ich habe sie mir anders vorgestellt.“ „Ich habe sie ausgraben müssen“, erinnerte Geronimo ihn. „Gegen den Willen ihrer Familie“, sprang Lorenzo ihm bei. „Grrrr“, ergänzte der Zombie und Lorenzo war sich nicht sicher, ob er das als Einwand oder als Ausdruck ihres Hungers werten sollte. „Seid ihr sicher, dass sie mich versteht?“ „Mit Verlaub. Martha ist untot, nicht dämlich“, antwortete Geronimo kühl. Der Adlige seufzte. „Fein“, entgegnete er, „Martha, ich frage dich jetzt zum letzten Mal: Bei welchem Konditor hast du die jährliche Geburtstagstorte für den König bestellt?“ Kapitel 7: Heftige Emotionen ---------------------------- „DAFÜR BEZAHLE ICH KEINEN PENNY!“, brüllte der Adlige und Martha brüllte ein unzufriedenes „GRAH!“ zurück. Ob der Laut eine tiefere Bedeutung hatte, oder ob sie nur brüllte, weil Geronimos Kunde brüllte, wusste Lorenzo nicht. Was er wusste, war, dass Geronimo diese Drohung nicht gefiel. Er sah es an der Art, wie seine Augen funkelten. „Warum nicht?“, fragte er mit Grabesstimme. „WEIL ICH DAFÜR BEZAHLT HABE, EINE ANTWORT ZU BEKOMMEN!“ „Aber, sie hat doch geantwortet“, erinnerte Geronimo ihn. Der Adlige starrte ihn an und Geronimo starrte unbeeindruckt zu ihm zurück. Vielleicht war „Grrrr“ für ihn so etwas wie eine Antwort gewesen. Kapitel 8: Das bedeutet Krieg ----------------------------- „Ich werde euch verklagen!“, fauchte der Adlige. „Ihr werdet in dieser Stadt nie wieder einen Job bekommen!“ „Grrrr“, antwortete Martha, doch er ignorierte sie gekonnt. „Wenn ich mit euch fertig bin, werdet ihr keinen Penny mehr in der Tasche haben!“, legte er noch einen drauf. Geronimo wurde blass um die Nasenspitze und Lorenzo ahnte, dass das für ihn die reinste Kriegserklärung sein musste. „Sie wollen uns wirklich verklagen?“, fragte er skeptisch. „Grrrr“, steuerte Martha nicht sehr hilfreich bei. „Ähm ...“, entfuhr es seinem Gegenüber. „Ich bin ja kein Richter“, redete Lorenzo einfach weiter, „Aber ich glaube, die Idee ist tot. Untot.“ Kapitel 9: Mondlandung ---------------------- „Dann werde ich es eben so beenden!“, fauchte der Adlige und zückte sein Schwert. Der Zombie reagierte mit einem besonders tiefen Knurren darauf. Dann ging auf einmal alles ganz schnell. Der Zombie sprang, der Adlige schrie und plötzlich waren Beide ein Knäul aus Metall, faulender Haut und Sabber. Lorenzo warf Geronimo einen prüfenden Blick zu. „Ich habe es mit Diplomatie versucht“, erklärte er, „Jetzt bist du dran.“ „Da ich ja eh nicht bezahlt werde“, murrte er. Lorenzo spürte, wie er die Magie in seinen Fingerspitzen konzentrierte. „Was hast du vor?“ „Ich dachte, ich schieße sie einfach beide auf den Mond.“ Kapitel 10: Beginnende Zweifel ------------------------------ Seufzend ließ Geronimo den Wein in seinem Glas kreisen. Einen Moment lang beobachtete er die blutrote Flüssigkeit dabei, wie sie gegen den Rand des Glases schwappte, dann wanderte sein Blick zu seinem Gegenüber. „Weißt du“, murmelte er, „Ich glaube, ich habe das alles falsch angefangen.“ „Glaubst du?“, fragte Lorenzo. „Ich hätte gleich fragen sollen, was er sich eigentlich von Marthas Rückkehr erhofft.“ Lorenzo zog die Augenbrauen hoch. „Vielleicht hättest du das“, stimmte er ihm zu. Geronimo nickte geknickt. „Ich hätte das alles verhindern können. Ich hätte mit ihm reden können. Ich hätte ...“ „Du hättest ihm einen guten Konditor empfehlen können.“ Kapitel 11: Hilfe von oben -------------------------- Der Tempel des Thades lag am Ende einer breiten Straße und empfing seine Besucher mit einer Reihe eindrucksvoller Steinsäulen. Neugierig ließ Lorenzo den Blick durch die heiligen Hallen wandern. Er glaubte nicht wirklich an Hilfe von oben, doch wenn es Geronimo half, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, begleitete er ihn gerne. „Wollen wir eine Kerze für Martha anzünden?“, fragte er und deutete auf ein Meer aus Lichtern, das rund um den Altar herum aufgestellt worden war. „Warum?“ fragte Geronimo. „Ich dachte, du wolltest dich von ihr verabschieden?“ Geronimo runzelte die Stirn. „Also eigentlich verabschiede ich mich gerade von meinem Lohn.“ Kapitel 12: Statue ------------------ Der Tempel des Thades war eine eindrucksvolle Konstruktion, mit vielen kleinen Nischen, hohen Säulen und Statuen, die beinahe lebensecht aussahen. Sie waren quasi überall. An den Toren, an der Kanzel, sogar mitten im Gebetsraum stand eine marmorfarbene Gestalt. Lorenzo machte einen neugierigen Schritt näher. Diese Statue sah so echt aus, dass man einzelne Haare erkennen konnte, die der Gestalt auf den schneeweißen Umhang fielen. Man konnte die Halsschlagader erahnen und sogar die Wimpern zählen. Es war eindrucksvoll. Der Mann wirkte fast lebendig. Fehlte nur – Die Statue machte einen Schritt zur Seite und sah ihn skeptisch an. „Guten Tag“, sagte sie. Kapitel 13: Neue Bekanntschaft(en) ---------------------------------- „Ihr seid schon ein bisschen seltsam“, verkündete Diego und ließ den Blick länger als nötig auf Geronimo ruhen, der ihn seinerseits abschätzig musterte. Die Beiden wirkten wie zwei Seiten einer Münze. Diego mit seinem weißblonden Haar, das durch die langen, weißen Heilerroben nur noch mehr dazu beitrug, ihn wie eine Statue aussehen zu lassen und daneben Geronimo, ganz in Schwarz. Hätte Lorenzo an Thades geglaubt, er hätte die Zwei wohl als Zeichen gesehen. So aber legte er nur den Kopf schief, während ihre neue Bekanntschaft lächelte. „Wie dem auch sei“, stellte Diego fest, „Ich könnte die Hilfe zweier Magierkollegen brauchen.“ Kapitel 14: Mauer ----------------- „Es ist gleich da drüben“, berichtete Diego und führte sie weiter in die Gasse hinein. Die Häuser die zu beiden Seiten der Straße standen, waren alt und fast verfallen. Tagsüber hielt sich hier so gut wie niemand auf. Lorenzo stieg über ein Rinnsal fragwürdiger Flüssigkeit hinweg und musterte die Ruinen. Ein kleiner Feuerball hätte dieses ganze Viertel niederbrennen können. „Da ist es“, sagte Diego schließlich und zeigte nach vorne. Dort endete ihr Weg schlagartig vor einer hohen Mauer. Geronimo trat näher heran. „Ich muss dich leider enttäuschen“, erklärte er. „Das hier ist kein magisches Phänomen. Das ist ein klobiger Gartenzaun.“ Kapitel 15: Maschine -------------------- „Ich meinte nicht die Mauer“, erklärte Diego, vielleicht ein bisschen gereizt. „Ich meinte die Maschine dahinter. Sie ist merkwürdig. Manchmal, wenn ich hier vorbei komme, gluckst sie oder gluckert. Wenn ihr da vorne den Efeu zur Seite schiebt, könnt ihr sie durch das Loch in der Mauer sehen. Aber egal wie oft ich dort hinein gespäht habe, ich habe das Ding noch nie etwas produzieren sehen.“ „Und du glaubst, weil sie nichts produziert, muss sie magischen Ursprungs sein?“ „Nein“, widersprach Diego, „Ich glaube, dass sie magischen Ursprungs ist, weil sie in regelmäßigen Abständen: „Ich bin ein selten magisch' Ding“ singt.“ Kapitel 16: Drucken ------------------- „Diese Maschine sieht wirklich magisch aus“, urteilte Geronimo, nachdem sie endlich einen Weg durch die Mauer hindurch gefunden hatten. Der Geruch nach Schwefel reizte noch immer seine Nase, doch Lorenzo nickte. „Ich frage mich, wer sie gebaut hat“, murmelte er. „Und wozu“, mischte sich Diego wieder ein. Er war noch ein bisschen blass. Eine Nachwirkung der Explosion, doch er hatte sich ganz gut gefangen. Geronimo strich mit dem Finger über eine große Platte hinweg. „Ich bin kein Experte für Geräte“, erklärte er, „Aber ich glaube, man kann damit drucken.“ „Drucken?“, fragte Lorenzo. „Flugblätter vielleicht?“ „Ich hatte mehr an Schuldscheine gedacht.“ Kapitel 17: Führerschein ------------------------ „Du denkst mit der Maschine wurden Schuldscheine gedruckt?“, fragte Diego und sah Geronimo äußerst skeptisch an. „Wie kommst du darauf?“ „Weil es das ist, wofür ich eine magische Druckmaschine verwenden würde.“ Der Heiler schluckte. „Dann ist das hier ein Fälschernest?“ Lorenzo blickte sich um. Das halbverfallene Haus, die hinter einer Mauer versteckte Maschine ... Ja, er konnte es sich durchaus vorstellen. „Eine Maschine, die dir alles drucken kann“, sinnierte er. „Was würdet ihr damit tun?“ „Schuldscheine drucken“, antwortete Geronimo. „Eine Heilerfiebel.“, entgegnete Diego. Lorenzo überlegte. Was würde er mit so einem Gerät tun? „Wisst ihr, ich wollte schon immer einen Luftschiffführerschein.“ Kapitel 18: Untergang --------------------- Hätte man ihn vor zwei Tagen nach Geronimos Reaktion gefragt, er hätte vermutet, dass sein Freund den Weltuntergang herbeijammern würde. Doch jetzt, wo es tatsächlich so weit war, war er überraschend ruhig. Mit skeptischem Blick musterte er Diego, der routiniert begonnen hatte, sein Repertoire an Heilzaubern abzuspulen. Ein Zauber gegen Wundstarrkrampf, einer um die Blutung zu stillen, dann hörte Lorenzos Verständnis für Heilzauber rapide auf. Er war eben Elementarmagier, kein Heiler. Er konnte Sachen sprengen, nicht wieder zusammenflicken. Ob es Geronimo ähnlich ging, wusste er nicht. Er sah nur, wie er finster auf seinen bandagierten Finger starrte. „Danke“, murrte er. Kapitel 19: Mutter ------------------ „Pass auf, dass du nicht wieder in einen Nagel fasst“, warnte Diego und lehnte sich etwas näher an die Druckmaschine heran um weitere potenzielle Gefahrenquellen zu identifizieren. „Die Oberfläche des Holzes ist so rau, da könntest du dir auch gut einen Splitter einfangen. Außerdem glaube ich nicht, dass die Konstruktion mit dem Zahnrad sonderlich sicher ist. Steck da bloß keinen Finger rein. Sonst hast du am Ende eine Quetschung. Sehr sauber ist das Ding auch nicht. Das erhöht die Infektionsgefahr.“ Geronimo rollte mit den Augen, sah aber tatsächlich davon ab, die Druckmaschine noch einmal zu berühren. „Ja, Mama“, murrte er. Kapitel 20: Treffen mit einem Star ---------------------------------- „Ich bin so aufgeregt“, raunte Diego, während sie dem Diener des Abtes in ein luxuriöses Wartezimmer folgten. „Er hat mich noch nie empfangen. Ich weiß gar nicht was ich zu ihm sagen soll.“ „Wie wäre es mit „Guten Tag?““, fragte Geronimo. Diego zog scharf die Luft ein. „Guten Tag“, zischte er. „Er ist einer der Helden von Guavarre. Er hat die untoten Horden besiegt und ich begrüße ihn mit „Guten Tag?““ „Streng genommen hat er sie nur zurückgeschlagen“, verbesserte Geronimo ohne auf die Kritik einzugehen. Diegos Blick glitt weiter. „Lorenzo?“, fragte er. „Ich finde „Guten Tag“ eigentlich auch ganz angebracht.“ Kapitel 21: Aus der Langeweile geboren -------------------------------------- Die Wandbilder zeigten einen großen, strahlenden Paladin, der sich mit Stab und Schild ganzen Horden aus Zombies und Skeletten entgegenstellte. Die erste halbe Stunde hatte Lorenzo die Bilder interessant gefunden, jetzt musterte er sie nur noch um überhaupt etwas mustern zu können. Neben ihm füllte Geronimo ein weiteres Mal sein Glas. „Sie hätten uns wenigstens etwas von dem Rotwein geben können“, murrte er, bevor er einen weiteren Schluck von dem schnöden Wasser nahm. Lorenzo seufzte. „Was denkst du, wie lange dauert diese Unterhaltung noch?“ „Wie lange kann es dauern, ihm von einer singenden Druckmaschine zu erzählen?“ „Ich weiß nicht, Jahre?“ Kapitel 22: Traumurlaub ----------------------- „Das werdet ihr nicht glauben!“, begrüßte sie Diego, als er endlich wieder zu ihnen stieß. Geronimo legte den Kopf schief. „Du hast „Guten Tag“ zu ihm gesagt und er fand es nicht furchtbar unpassend?“, riet er drauf los, doch Diego ignorierte diese Spitze. „Ich werde versetzt!“, verkündete er. „Ins Sumpfland?“ Diego schüttelte den Kopf. „In die Wüste?“ „Nein.“ „Auf ein Luftschiff?“ „Nein.“ Geronimo ließ sein Wasserglas sinken. „In ein städtisches Siechenhaus?“ „Bei Thades, nein! Auf die südlichen Inseln. Einen ganzen wundervollen Monat lang.“ „Tja, da siehst du mal. Und das alles nur, weil du ihm einen „Guten Tag“ gewünscht hast.“   Kapitel 23: 1999 ---------------- „1997 ... 1998 ... 1999“, zählte Diego. Der Turm vor ihm war erschreckend hoch und schwankte bedrohlich. Das Kupfer glänzte trübe im Kerzenschein. „So, da sind sie“, erklärte er schließlich. „1999 Kupfermünzen. Euer Lohn.“ Geronimos Augen glänzten, während Lorenzo dem Turm einen eher unglücklichen Blick zuwarf. Er wusste Kupfer durchaus zu schätzen, aber das war selbst für seine Verhältnisse zu viel des Guten. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, lehnte sich Diego mit einem Schulterzucken in seinem Stuhl zurück, während Geronimo strahlend auf das Türmchen zu rückte. Einen Moment lang bewunderte er das wackelige Bauwerk, dann streckte er die Finger aus und die Münzen fielen.   Kapitel 24: Eigene Bude ----------------------- „Und hier drüben ist der Salon“, verkündete Geronimo stolz. Lorenzo reagierte mit einem „Aha“ darauf. Er war ein wenig abgelenkt. Eigentlich hatte er sich sehr darauf gefreut, endlich Geronimos neue Bleibe zu Gesicht zu bekommen. Besonders, weil er nicht hatte glauben können, dass sein Freund einen Vermieter gefunden hatte, der sich mit einem Berg voll Kupfermünzen bezahlen ließ. Doch der Wohnungsmarkt lief schlecht und so fraßen jetzt wohl auch die großen Fische Fliegen. In der Tür redete Geronimo freudig weiter, übertönt von einem nervigen Summen in der Luft. Lorenzos Blick wanderte nach oben. Da! Am Lampenschirm! Ein dicker, fetter Brummer! Kapitel 25: Kreuzzug -------------------- Die dicke Fliege schwirrte um den Schirm der schlanken Gaslampe herum, machte dann einen überraschenden Haken und hielt auf Lorenzo zu, der verärgert die Hand hob, um nach dem Unruhestifter zu schlagen. Er hasste Ungeziefer. Vielleicht lag es daran, dass er in seiner Position als Feuermagier oft konsultiert wurde, um das eine oder andere Getier auszuräuchern, vielleicht lag es auch an dem nervtötenden Summen. Fest stand, dass er seit seiner Ernennung zum vollwertigen Magier einen Kreuzzug gegen Fliegen, Wespen und Gartengnome führte, den er nun wegen einem einzigen Attentäter zu verlieren drohte. Aber nicht mit ihm! Er würde es beenden! Kapitel 26: Das war ein Unfall ------------------------------ Sprachlos starrte Geronimo in die Flammen, während Lorenzo neben ihm die Schultern hängen ließ. „Es tut mir leid“, murmelte er, während er dabei zusah, wie Freiwillige einen Wassereimer nach dem anderen auf das kippten, was einmal Geronimos Bleibe gewesen war. „Ich schwöre, ich wollte nur diese Fliege grillen.“ Neben ihm knirschte Geronimo mit den Zähnen. „Nun, die Fliege hast du wohl einer Feuerbestattung unterzogen.“ Lorenzo schluckte. „Ich schwöre, es war keine Absicht“, versuchte er es noch einmal. „Verzeihst du mir?“ Einen Augenblick lang hüllte der Schwarzmagier sich in Schweigen, dann seufzte er schwer. „Du weißt, ich werde eine Bleibe brauchen ...“ Kapitel 27: Stolpersteine ------------------------- „Bist du mir immer noch böse“, fragte Lorenzo und stellte einen großen Krug voll Bier vor Geronimos Nase ab. Dieser seufzte. „Ein wenig“, gab er zu, „Aber eigentlich bin ich am meisten böse auf mich selbst. Es ist wie verhext. Derzeit stolpere ich über jeden noch so kleinen Stein, selbst wenn er nur so groß wie eine Fliege ist. Wenn das so weiter geht, komme ich nie auf einen grünen Zweig.“ „Du vermisst dein altes Leben, oder?“ „Xemin vermisse ich nicht. Das Gewicht in meinem Geldbeutel dagegen ...“ Lorenzo lächelte dünn. Das mit dem Geldbeutel hätte er sich eigentlich denken können.   Kapitel 28: Ich hab es dir doch gesagt! --------------------------------------- „Und ich darf wirklich hierbleiben?“, fragte Geronimo skeptisch. Lorenzo, der noch immer in der Tür zu seinem Gästezimmer stand, nickte eilig. „Ich hab es dir doch gesagt“, erinnerte er ihn. „Du kannst bleiben, so lange du willst. Immerhin bin ich schuld daran, dass du nicht mehr in deiner neuen Wohnung wohnen kannst.“ Sein Freund atmete hörbar auf. „Danke“, murmelte er. „Ich werde mich bemühen, dir keine zu große Last zu sein.“ „Ich hab es dir schon einmal gesagt, du bist mir keine Last.“ „Bist du dir sicher?“ „Bei dir schon. Aber über deine Zombiefreunde müssen wir diesbezüglich noch mal reden.“   Kapitel 29: Typisch Zwerg! -------------------------- „Typisch Zwerg!“, stöhnte Geronimo und ließ den Kopf deprimiert auf die Tischplatte sinken. Lorenzo nutzte die Chance und zog ihm den Brief aus der Hand. Schnell flogen seine Augen über die knapp formulierten Zeilen hinweg. „Er will also wirklich, dass du den Brandschaden bezahlst?“, fragte er mit reichlich schlechtem Gewissen. Geronimo stöhnte in seine Arme hinein. „Das ist die Strafe“, nuschelte er. „Ich hätte nie etwas von einem Zwerg mieten dürfen.“ „Und warum hast du es getan?“ Langsam hob Geronimo den Kopf. „Er war der Einzige, dem es nichts auszumachen schien, dass ich mit einem Sack voller Kupfermünzen zahlen wollte.“ Kapitel 30: Nebenquest ---------------------- „Ich habe es durchgerechnet“, erklärte Lorenzo einige Stunden später. „Wenn du die Rechnung bezahlen und weiterhin täglich etwas essen willst, wird uns nichts anderes übrigbleiben, als ein paar zusätzliche Aufträge anzunehmen.“ Geronimo hob skeptisch die Augenbrauen. „Willst du, das ich mit meinem Tentakelzauber ein paar Katzen vom Baum hole?“, fragte er misstrauisch. Lorenzo schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, das würden die Besitzer missverstehen.“ „Ich könnte auch ein paar Tote wiedererwecken.“ „Darf ich dich an Martha erinnern?“ Geronimo stieß ein unzufriedenes Seufzen aus. „Und was machen wir dann?“, fragte er. „Wie wäre es, wenn ich dieses Mal einen Auftrag aussuchen gehe?“ Kapitel 31: Mitten im Wald befand sich ein ... ---------------------------------------------- „Wie wäre es wenn ich dieses Mal einen Auftrag aussuchen gehe?“, murrte Geronimo, während er über eine weitere Wurzel stieg. „Ich hätte es wissen müssen. Wieso führen uns deine Aufträge eigentlich immer mitten ins Nirgendwo?“ Lorenzo rollte mit den Augen. „Tut mir leid, aber überforderte Hausfrauen mit Gnomenkolonie im Garten waren gerade aus.“ „Und jetzt suchen wir mitten im Wald nach der Hexe mit ihrem Lebkuchenhaus?“ „Nicht ganz, Gero.“ „In Ordnung, wenn es keine Hexe ist, was ist es dann? Ein Troll? Eine Koboldkolonie? Ein wilder Keiler?“ „Das verrate ich dir vielleicht besser erst, wenn es uns zu fressen versucht.“ Kapitel 32: Der große, böse Wolf -------------------------------- Sie hatten das Monster erst bemerkt, als es mit einem tiefen Knurren aus dem Busch gesprungen war. Aber das war vielleicht auch besser so. Der Wolf war fast so groß wie eine Kuh und sah verdächtig räudig aus. Das graue Fell war stumpf, die Augen trüb und dicker, weißer Schaum tropfte von seinem Maul. Das Tier schnappte nach allem, was ihm zu nahe kam und Lorenzo konnte das durchaus verstehen. Immerhin war „Alles“ im Augenblick vor allem eine Armee aus lilafarbenen Tentakeln, die auf Geronimos Befehl hin aus dem Boden geschossen waren. - Sie erinnerten ihn an Pilze. Komische, tentakelförmige Pilze. Kapitel 33: Magischer Gegenstand -------------------------------- Das magische Medaillon aus dem Magen des Wolfes lag schwer in Geronimos Hand und Lorenzo war nicht ganz unfroh darüber, dass sein Freund sich direkt auf das Schmuckstück gestürzt hatte. Er hätte es nicht von den Resten der letzten Wolfsmahlzeit befreien wollen. Liebevoll rubbelte Gero das beschlagene Silber ab. „Ich frage mich, wie das in den Magen des Wolfes gekommen ist“, murmelte er dabei. „Wahrscheinlich hat er den letzten Träger mit samt dem Schmuckstück aufgefressen“, vermutete Lorenzo und zu seiner Überraschung begann Geronimo dünn zu lächeln. „Versuchst du mir gerade zu erklären, dass das Auge selbst bei Monstern mit isst?“   Kapitel 34: Sprechende Tiere ---------------------------- „Der Auftrag beinhaltet nur, dass wir den Wolf erschlagen, oder?“, erkundigte sich Geronimo, während sie langsam den schmalen Pfad zurückgingen. Es war nicht mehr weit bis zum Stadttor und mit jedem Meter schien Geronimos Laune ein klein wenig mehr zu steigen. Lorenzo nickte. „Der Auftraggeber war eindeutig“, erklärte er seinem Freund, „Wer auch immer den menschenfressenden Wolf erschlägt, verdient eine Belohnung.“ „Ist es eine Große?“, fragte Geronimo weiter. „Ich fand sie jedenfalls ganz angemessen. Warum fragst du?“ „Weil ich dieses Medaillon nicht abgeben will.“ „Warum? Hast du unterwegs herausgefunden was es kann?“ „Ehrlich gesagt, hat mir das eine Amsel gezwitschert.“   Kapitel 35: Audienz beim Herrscher ---------------------------------- „Ihr habt ihn also erschlagen? Wir sind erfreut“, erklärte die rothaarige Lady im blauen Kleid. Lorenzos Blick heftete sich auf den Pelzbesatz. „Das könnte man so sagen“, entgegnete er. „Der Wald wird ab sofort ein sichererer Ort für Eure Männer sein.“ Die Mundwinkel der Frau hoben sich unmerklich. „Ausgezeichnet“, entgegnete sie. „Jetzt gibt es nur noch ein Wesen, das meine Bauern fürchten müssen.“ „Noch ein Wolf?“, fragte Geronimo skeptisch. Die Frau schüttelte den Kopf. „Eine Schlange“, verbesserte sie. „Wenn Ihr uns bezahlt, können wir die auch erschlagen.“ „Gero“, raunte Lorenzo eilig, doch es war bereits zu spät. Die Lady nickte. Kapitel 36: Wachen ------------------ Die Gunst der Dame brachte ihnen eine Begleitung ein. Sie war groß, gut gepanzert und hörte auf Mateo, auch wenn Geronimo „He du“, zu bevorzugen schien. Seine Rüstung funkelte in der Morgensonne und hatte sicher noch nie einen echten Kampf erlebt. Ebenso schien Mateo noch nie im Wald gewesen zu sein. Sonst hätte er gewusst, dass er dort genauso sehr auffiel, wie ein dreiköpfiger Drache auf dem Markt. Seine Rüstung ächzte und quietschte bei jedem Schritt. Lorenzo war kein Fährtenleser, doch eines war ihm völlig klar. Wenn es in diesem Wald eine Schlange gab, würde sie sie garantiert zuerst entdecken.   Kapitel 37: Pegasus ------------------- „Sie hasst mich“, murmelte Mateo gerade zum vierten Mal und langsam aber sicher fühlte sich Lorenzo genötigt darauf einzugehen. Er warf Geronimo einen entschuldigenden Blick zu. „Wer hasst dich?“, fragte er dann. „Die Lady.“ Mateo seufzte schwer. „Wie kommst du darauf?“, fragte Lorenzo weiter. „Das ist doch wohl offensichtlich“, entgegnete er. „Ich bin ein großer Ritter, kein armseliger Schlangenfänger. Ich sollte auf einem Pegasus in eine Schlacht reiten, eine Jungfer aus einem Turm retten, ein Held sein!“ „Jungfern werden überschätzt“, mischte sich Geronimo in die Unterhaltung ein. „Pegasi ebenfalls. Und was heißt hier Ritter, ich dachte, du wärst eine Stadtwache?“   Kapitel 38: „Ach wie gut, dass niemand weiß ...“ ------------------------------------------------ „Ich tue nur so, als wäre ich eine Stadtwache“, erklärte Mateo, doch Geronimo glaubte ihm scheinbar kein Wort. „Du weißt, dass die meisten Leute sich als Jemand ausgeben, der über ihrem aktuellen, sozialen Rang einzuordnen ist?“, fragte er spitz. Lorenzo wagte zu bezweifeln, dass Mateo überhaupt wusste, was ein sozialer Rang war. „Ich verfolge einen großen Plan“, informierte Mateo sie derweil weiter. „Der ist natürlich streng geheim und ich kann euch unmöglich mehr darüber erzählen. Egal wie sehr ihr bettelt.“ Selbstzufrieden verschränkte er die Arme vor der Brust. Geronimo zuckte mit den Schultern. „Meinetwegen“, entgegnete er. „Ist mir ohnehin egal.“ Kapitel 39: In den Brunnen gefallen ----------------------------------- „Was soll das heißen, es ist dir egal?“, fragte Mateo ungläubig. „Wie kann es dir egal sein, dass du mit einem großen Ritter reist? Was ist das denn für eine Einstellung?“ Geronimo rollte mit den Augen. „Eine gesunde“, entgegnete er. Aus den Augenwinkeln sah Lorenzo wie Mateo nach Luft schnappte. Scheinbar konnte er nicht glauben, dass es Menschen wie Gero überhaupt gab. Unter anderen Umständen hätte er seinem Freund empfohlen, die Sache einfach auszusitzen, doch das Kind war bereits in den Brunnen gefallen und holte just in diesem Moment tief Luft, um noch empörter nach ihrer beider Aufmerksamkeit zu schreien. Kapitel 40: Schneefrau ---------------------- „Nur damit du's weißt, ich habe die fürchterliche Schneefrau besiegt!“, prahlte Mateo, doch Geronimo zuckte nur mit den Schultern. „Sie hatte eine ganze Stadt im Norden in ihrer Gewalt“, behauptete er weiter. Geronimo unterdrückte ein Gähnen. „Sie hat jeden, der sich ihr in den Weg gestellt hat, eingefroren. Inklusive ihrer eigenen Familie! Sie war eine ganz besonders fiese Hexe. Um sie zu besiegen, brauchte es einen wahren Helden. Einen Helden wie mich!“ Zu Lorenzos Überraschung blieb Geronimo stehen und drehte sich langsam zu ihm herum. „Ich habe nur eine Frage“, erklärte er dem triumphierend grinsenden Mateo. „War ihr Name Elsa?“ Kapitel 41: Vom Weg abgekommen ------------------------------ Seit Geronimo seiner Neugierde nachgegeben hatte, schmollte Mateo vor sich hin. Normalerweise hätte das Lorenzo nicht weiter schlimm gefunden, doch gerade wäre ihm ein kluger Einwand lieb gewesen. Der schmale Pfad, dem sie von der Stadt aus in den Wald gefolgt waren, war irgendwo unter Farnen und Moos verloren gegangen. Hier und da lugten ein paar braune Pilze aus dem Nichts hervor, doch auch wenn sie optisch sehr schön anzusehen waren, waren sie praktisch doch reichlich unnütz. Er hatte keine Ahnung, ob er vor oder nach dem Pilzkreis abbiegen sollte. Oder ob die Schlange vielleicht in einem von ihnen lauerte. Kapitel 42: Drachenflug ----------------------- „Wenn mein treuer Drache hier wäre, könnte ich mit ihm über die Baumwipfel fliegen und wir wüssten sofort genau wo wir sind“, moserte Mateo. „Er würde auf dem Wind dahin gleiten und wir würden die Stadtmauer sehen und die ganzen Bäume des Waldes und sicher auch ...“ „Wenn du jetzt „Die Schlange“ sagst, verhex ich dich“, warnte ihn Lorenzo und tatsächlich hielt Mateo endlich den Mund. Geronimo aber nicht. Langsam drehte er sich von einem Pilzkreis weg. „Wisst ihr, was ich mich frage?“, fragte er. Mateo schüttelte den Kopf. „Ich frage mich, wann aus deinem Pegasus eigentlich ein Drache geworden ist.“ Kapitel 43: Im Reich der Feen ----------------------------- Mateo starrte, Geronimo starrte zurück und Lorenzo lachte. Nicht das er Mateos Geschichten sonderlich lustig fand, aber diese Frage ... Bei den Göttern, diese Frage. Er lachte und lachte und plötzlich hörte er es. Ein leises Kichern ging von den Pilzen aus. Eben jenen Pilzen, die Geronimo eben noch so interessiert betrachtet hatte. Lorenzo hatte davon gelesen, doch er hatte nicht geglaubt, dass es mehr als ein paar fantastische Geschichten waren. Legenden von Reisenden, die zu erklären versuchten, warum sie heute hier und morgen dort erschienen waren und Märchen von einem winzigen Volk erzählten. Einem Volk das nach einem Opfer verlangte. Kapitel 44: „Spieglein, Spieglein an der Wand“ ---------------------------------------------- „Mateo?“, begann Lorenzo und versuchte möglichst beiläufig zu klingen, „Kann es sein, dass du es warst, der die böse Königin besiegt hat?“ Geronimo warf ihm einen ungläubigen Blick zu, doch Mateo begann sofort zu nicken. „Ja klar! Das war ich.“ Lorenzo erlaubte sich ein Lächeln. „Wusste ich es doch! Sag, würdest du uns von ihr erzählen?“ „Von ihr und ihrem magischen Spiegel? Und von ihrem bösartig gemeinen Zauberspruch?“ „Was für ein Zauberspruch?“, wollte Geronimo wissen und Mateo holte tief Luft um mit seiner Geschichte zu beginnen. Lorenzo deutete auf den Pilzkreis. „Warum setzt du dich nicht und erzählst uns davon?“   Kapitel 45: Gute Fee -------------------- Das Raunen winziger Stimmen drang aus dem Pilzkreis an sein Ohr. Vielleicht hatte er doch einen Fehler gemacht. Vielleicht hatte er die Situation falsch eingeschätzt – „Ich muss mich bedanken“, piepste eine winzige Stimme und eine kaum zeigefingergroße Fee flatterte vor sein Gesicht. Sie hatte eichenblattfarbene Haut und moosgrünes Haar, das sie raspelkurz trug. In ihren Flügeln spiegelte sich das Sonnenlicht. Lorenzo zwang sich zu einem Lächeln. „Es war mir ein Vergnügen“, entgegnete er ihr. „Ich hoffe, Ihr werdet gut auf ihn acht geben.“ Die Fee nickte. „Keine Sorge, ich würde nie zulassen, dass einem so begnadeten Geschichtenerzähler etwas Schlimmes geschieht.“   Kapitel 46: Drei Prüfungen -------------------------- „Werden sie ihn irgendwann gehen lassen?“, fragte Geronimo, kaum das sie aus der Nähe des Pilzkreises verschwunden waren. Lorenzo zuckte mit den Schultern. „Wenn die Märchen und Sagen stimmen“, entgegnete er, „dann muss er zunächst drei Prüfungen bestehen.“ „So richtige Prüfungen, mit Schild und Schwert?“, fragte Geronimo weiter. „Und Köpfchen“, ergänzte Lorenzo. „Prüfungen mit Schild, Schwert und Köpfchen.“ „Das schafft er nie.“ Lorenzo unterdrückte ein Grinsen. „Das ist nicht nett, Gero“, erinnerte er seinen Freund. „Stimmt“, gab dieser leichthin zu, „Aber es ist wahr. Und weißt du was ich mich noch frage?“ „Was?“ „Wer füttert jetzt seinen absolut realen Pegasus-Drachen?“   Kapitel 47: Am Ende der Welt ---------------------------- Sie waren irgendwo im Nirgendwo. Von den Pilzkreisen war keine Spur mehr zu sehen und inzwischen sah jeder Baum wie der Andere aus. Sie hatten zwar Mateo verloren, doch den Weg hatten sie dabei nicht wiedergefunden. Es half wohl alles nichts. Es wurde Zeit, dass sie sich die Wahrheit eingestanden: Sie hatten sich verlaufen. Er blieb neben einem Brombeerstrauch stehen. „Gero?“ „Sind wir endlich da?“ Lorenzo schüttelte den Kopf. „Ich fürchte nein“, gestand er. „Schlimmer noch, ich fürchte, wir werden auch nicht bis zum Abendbrot zurück sein.“ „Was? Warum nicht?“ „Nun, weil wir irgendwo am Ende der Welt gestrandet sind ...“   Kapitel 48: Drei Wünsche ------------------------ Hätte Lorenzo drei Wünsche frei gehabt, er hätte sicher einen von ihnen hergegeben, um ihnen den Weg zurück zu weisen. Alleine der Ausdruck auf dem Gesicht seines Freundes machte ihm Sorgen. Womöglich zurecht. Wahrscheinlich hatte sich Geronimo in seinem Leben schon ein oder zweimal verlaufen, doch bisher war das zumeist vermutlich in Guavarre passiert, wo man einfach zur nächsten Stadtwache gehen und das Problem zu einem der Wache machen konnte. Doch hier draußen gab es keine Stadtwache. Außer Mateo und der zählte nicht. Sie waren auf sich gestellt. Ziemlich verloren. „He Lorenzo? Warum fragen wir nicht Jemanden nach dem Weg?“   Kapitel 49: Sieben ------------------ „Ja, wen willst du denn fragen?“, wollte Lorenzo wissen. „Es ist ja nicht so, als würden an jedem Baum sieben verschiedene Leute lehnen.“ Geronimo nickte. „Da hast du recht“, stimmte er ihm zu. „aber wir brauchen ja auch keine sieben. Einer reicht vollkommen aus.“ „Und wo willst du den einen hernehmen?“, fragte Lorenzo weiter. Einen Moment lang sah Geronimo ihn verständnislos an, dann verschränkte er die Arme vor der Brust. „Ich weiß, ich bin nur ein dummer Städter und kenne mich hier draußen nicht aus“, erklärte er, „Aber was spricht bitte dagegen, dass wir in dem Turm da hinten nachfragen?“   Kapitel 50: Im höchsten Turm ---------------------------- „Ich kann's nicht glauben“, murrte Lorenzo, während er hinter Geronimo durch das große Eingangstor trat. Der Turm war riesig und er hatte ihn einfach übersehen. Zwischen all den Bäumen und Büschen war er ihm erst aufgefallen, als Geronimo mit dem Finger darauf gezeigt hatte und er hatte keine Ahnung warum. Was er auch nicht wusste, war, warum Jemand einen derartig großen Turm mitten in den Wald gebaut hatte. Eigentlich war das doch ziemlich kontraproduktiv. Hier gab es keine Straße zu bewachen, keinen Fluss, nur Bäume, Hunderte von Bäumen und wenn er sich hier so umsah, auch etwa genauso viele Stufen. Kapitel 51: Zaubertrank ----------------------- Es dauerte eine ganze Weile, bis sie die schier endlose Treppe bezwungen hatten und Lorenzo war sich sicher, dass sie das noch am nächsten Tag spüren würden. Doch obwohl Geronimo sonst immer der Erste war, der sich beschwerte, war er gerade verdächtig still. Skeptisch ließ Lorenzo den Blick zu seinem Freund gleiten. „Was machst du da?“, wollte er wissen. Geronimo zuckte ertappt zurück. „Nichts“, behauptete er. Lorenzo hob die Augenbrauen. Geronimo seufzte. „Na schön“, gab er nach, „Ich habe den Kessel in der Ecke angeschaut. Und den Trank darin.“ Lorenzo kam neugierig näher. „Was für einer ist es denn?“ „Karottensuppe.“ Kapitel 52: Bohnenstange ------------------------ Der Mann, der plötzlich hinter ihnen stand, war ziemlich groß und dünn. Dazu trug er einen Umhang, der schon aus der Mode gewesen war, als die Mode noch nicht erfunden war. Er schürzte ärgerlich die Lippen. „Was wollt ihr mit meiner Suppe?“, fragte er. Geronimo wandte den Blick nicht von dem Kessel ab. „Warum kocht Ihr in einem Kessel?“, fragte er zurück. Der Mann seufzte. „Weil es in diesem Turm nur diese eine Feuerstelle gibt“, erklärte er. „Müsstet ihr immer 290 Stufen hinunter steigen, nur um euch einen Becher Suppe zu kochen, ihr würdet auch anfangen, euren Kessel dafür zu verwenden.“   Kapitel 53: Erzmagier --------------------- „Wer seid Ihr und warum lebt Ihr mitten im Wald?“, fragte Lorenzo und der Fremde warf sich prompt in Pose. „Ich bin der große Silvio“, verkündete er, doch der scheinbar erwartete Applaus blieb aus. „Wer?“, fragte Geronimo. „Der große Silvio“, versuchte der Mann es noch einmal. „Der Erzmagier. Ihr wisst schon. Der Erfinder des selbstrührenden Kessels.“ „Oh, der. Warum lebt Ihr im Wald? Bringen selbstrührende Kessel nicht genug Münzen ein?“ „Nein, das nicht. Seht, ich befinde mich im Krieg mit einer Natter.“ „Oh“, wiederholte Geronimo noch einmal, „Das trifft sich gut. Wir wurden auch ausgeschickt, um eine Schlange zu erschlagen.“   Kapitel 54: „Übermorgen hol ich mir ...“ ---------------------------------------- „Angeblich schüchtert eine Schlange hier die Bauern ein“, erklärte Lorenzo dem verwunderten Erzmagier. „Jedenfalls hat unsere Auftraggeberin es uns so erklärt.“ „Ich habe in diesem Wald noch nie eine Schlange gesehen“, wandte Silvio ein. „Ich habe hier noch keinen einzigen Bauern gesehen“, ergänzte Geronimo und Lorenzo war gewillt ihnen beiden recht zu geben. „Was ist mit Eurer Natter? Lebt sie nicht im Wald?“, fragte er stattdessen. „Im Wald?“ Silvio begann zu lachen, „Die würde nicht mal in den Wald ziehen, wenn es hier fließendes Wasser gäbe. Ohne eine Horde Diener kommt die Frau doch morgens gar nicht aus dem Bett.“ Kapitel 55: Pakt mit dem Teufel ------------------------------- „Eure Schlange ist ein Mensch?“, fragte Geronimo verblüfft. „Mensch würde ich sie nicht nennen“, brummte der kein bisschen verblüffte Silvio. „Eher gottverdammte Teufelsbrut. Aber ja, rein biologisch betrachtet, ist sie wohl ein Mensch.“ Geronimo legte den Kopf schief. „Lorenzo“, fragte er, „denkst du als die Lady „Schlange“ sagte, meinte sie eigentlich auch einen Menschen?“ „Herr Erzmagus, hat Eure Schlange rotes Haar und eine Schwäche für lange Kleider?“ „Oh ja ...“ „Dann fürchte ich, meine Antwort lautet „Ja“.“ „Und jetzt? Sollen wir unsere Auftraggeberin erschlagen?“, fragte Geronimo. Lorenzo schüttelte den Kopf. „Wenn es nach ihr geht, wohl eher unseren neuen Kumpel hier.“ Kapitel 56: Hokus Pokus ----------------------- „Die werde ich lehren, mir zwei Auftragsmörder auf den Hals zu hetzen“, ereiferte sich Silvio. „Also streng genommen sind wir keine –“ „Das ist eine absolute Frechheit“, wetterte der Magus weiter. Lorenzo warf Geronimo einen hilfesuchenden Blick zu, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. „Vermutlich wird es nicht besser, wenn du ihm erzählst, dass du dich eigentlich auf Ungeziefer spezialisiert hast“, flüsterte er. Lorenzo musste dem zustimmen. Vom Kammerjäger entsorgt, war sicher nicht gerade Silvios Lebenstraum. „Der werde ich einen Fluch auf den Hals hetzen, der sich gewaschen hat“, knurrte dieser gerade. Lorenzo schluckte. „Können wir irgendwie helfen?“, fragte er. Kapitel 57: „Küss mich, ich bin ein verwandelter ...“ ----------------------------------------------------- Dicke Rauchwolken hingen in der Luft. Magie erfüllte die Kammer. Lorenzo schwitzte. Magische Rituale waren nicht sein bevorzugtes Tätigkeitsfeld. Dafür kam Geronimo erschreckend gut damit zurecht. Lorenzo wartete, bis der Erzmagus eine weitere Karotte in das kippte, was längst nicht mehr nur eine einfache Suppe war. „Was soll das Ritual eigentlich bewirken“, fragte er und fühlte sich ein bisschen wie ein ziemlich verpeilter Student dabei. Silvio hielt inne. „Ist das nicht offensichtlich?“, fragte er zurück. „Der Trank wird sie in einen Frosch verwandeln“, übernahm Geronimo das antworten für ihn. Silvio stockte. „Ich dachte, wir hätten uns für ein Kaninchen entschieden?“   Kapitel 58: Vom Fluch erlöst ---------------------------- „Vielen Dank für eure Hilfe mit dem Fro-ninchen. Es wird eine ganze Zeit dauern, bis sie einen Magus findet, der durch einen dreifachen Fluch zu brechen vermag.“ „Oder Jemanden, der ein Fro-ninchen küssen mag.“ Geronimo strahlte. Der Gedanke an den Fluch hob ganz eindeutig seine Stimmung. „Dank euch kann ich vorerst nach Guavarre zurückkehren. Ich kann wieder meine geliebten Kessel verkaufen“, frohlockte Silvio. „Als Dank werde ich euch natürlich euren Auftrag bezahlen. Außerdem habe ich eine Überraschung für euch.“ Strahlend hielt er ihnen eine Flasche entgegen. „Was ist das?“, fragte Lorenzo. „Ein Schluck von dem Fro-ninchen-Trank?“ „Nein, meine preisgekrönte Karottensuppe.“ Kapitel 59: … und wenn sie nicht gestorben sind ... --------------------------------------------------- Frohen Mutes spazierte Lorenzo durch den Wald. Dank Silvios Hilfe wusste er wieder ganz genau in welche Richtung sie gehen mussten, um am Stadttor herauszukommen. Neben ihm summte Geronimo glücklich eine Melodie. „Wir haben eine ganze Menge Gold eingenommen“, verkündete er als die aktuelle Strophe zu Ende war. „Ich werde den Zwerg auszahlen können.“ Lorenzo lächelte. „Das freut mich für dich.“ „Ich kann auch endlich meine Schulden im Gasthaus bezahlen.“ „Das ist wunderbar.“ „Und vielleicht miete ich auch eine neue Wohnung an.“ „Nur vielleicht?“, hakte Lorenzo nach. „Kommt halt ganz drauf an, ob du es noch länger mit mir aushältst.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)