Das Büro der bewaffneten Wichtel von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 1: Wichteln mit den bewaffneten Detektiven -------------------------------------------------- „Wäre das nicht eine tolle Idee?“ Naomi blickte erwartungsvoll in die Runde, nachdem sie ihren Vorschlag gemacht hatte. Draußen vor den Fenstern der Detektei fielen ein paar zarte Schneeflocken vom Himmel herab, während die Detektive sich den Einfall der Schülerin durch den Kopf gingen ließen. Wichteln? In der Detektei? Atsushi sah umgehend eingeschüchtert aus. Der Gedanke, für jemanden ein Geschenk zu besorgen, erfüllte ihn sowohl mit Freude als auch mit Furcht. Er wollte gerne jemanden von seinen Kollegen beschenken, das war nicht das Problem. Das Problem war, dass er sich nicht zutraute, jemandem ein wirklich gutes Geschenk zu machen. Zudem war nicht jeder seiner Kameraden gleichermaßen einfach zu beschenken. Kyoka wäre vergleichsweise leicht, auch Ranpo wäre einfach zufrieden zustellen, aber was sollte er denn tun, wenn er Dazai zog? Atsushi schluckte. Jeden, nur nicht Dazai, dachte er mit zunehmend verängstigter Miene. Er bemerkte nicht, wie Kyoka ihn interessiert anblinzelte. Sie hatte zuvor noch nie von dem Konzept des Wichtelns gehört und hatte besonders aufmerksam Naomis Erklärung gelauscht. Der Zufall entschied, wem sie eine Freude machen sollte? Was für ein ineffektiver Vorgang; woher sollte sie denn wissen, was beispielsweise Kunikida eine Freude bereiten würde? Oder Tanizaki? Kyoka legte nachdenklich ihre Stirn in Falten. Oh!, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Natürlich! Um dies herauszufinden, müsste sie ihre detektivischen Fähigkeiten einsetzen. Dieses Wichteln schien ein gutes Training für die Informationsbeschaffung zu sein. Sie nickte zufrieden. Egal, wen sie zog, sie würde intensiv recherchieren und das beste Geschenk überhaupt besorgen! Ob die anderen sie dafür loben würden? Tanizaki bedachte derweil seine Schwester mit einem verunsicherten Blick. Naomis Idee klang gar nicht so schlecht; sie klang tatsächlich nach einer Menge Spaß, aber …. Er konnte sich nicht helfen, irgendetwas daran nagte an ihm. Es war nicht nur die Frage, ob diese Bande von Chaoten diese eigentlich recht einfache Unternehmung hinbekommen würde (Tanizaki hatte sie schon an ganz anderen eigentlich einfachen Dingen scheitern sehen), nein, da war noch etwas, was ihm ein komisches Gefühl in der Magengegend bereitete. Ob es die Angst davor war, jemanden wie Dazai zu ziehen? Dem Rothaarigen lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Was in aller Welt sollte er Dazai schenken? „Du schwitzt, Brüderchen. Ist dir warm?“ Naomi hielt ihm lächelnd ein Taschentuch hin, das Tanizaki dankend annahm. … Moment! Dieses Lächeln! Naomi plante etwas. Die Schultern des jungen Mannes sackten herab. Sie hatte doch nicht etwa …? Na ja, immerhin erlebe ich bei der Ziehung dann keine bösen Überraschungen, dachte er achselzuckend. Bei Naomis Bemerkung hatte Yosano einen kurzen prüfenden Blick auf Tanizaki geworfen. War er etwa krank? Nein. Sah nicht so aus. Er sah eher … beunruhigt aus. So wie auch Atsushi. Himmel, was machten die sich denn gleich ins Hemd wegen dieser Wichtel-Geschichte? Die Ärztin schüttelte den Kopf. Naomis Vorschlag klang doch nach einer ganz amüsanten Sache. Schließlich beinhaltete das Ganze nicht nur, dass man für jemanden ein Geschenk kaufen musste, man bekam ja selber auch etwas! Ein diebisches Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Ooooh, wenn Atsushi sie zog, dann würde sie vielleicht endlich einen seiner Knochen bekommen (sie wuchsen ja immerhin nach). Und Kunikida wusste ganz genau, was sie am liebsten trank (es stand in seinem Notizbuch). Andererseits – das Lächeln auf ihrem Gesicht wich einer schlecht gelaunten Miene – bestand auch die Möglichkeit, dass Dazai sie zog. Würde der sich überhaupt Mühe geben? Und was, wenn sie ihn zog? Ging eine Tracht Prügel als Geschenk durch? Kenji bemerkte ihre grüblerisch gewordene Mimik nicht. Er strahlte über das ganze Gesicht, seit Naomi ihre Idee geäußert hatte. Ein Geschenk für einen seiner Kollegen besorgen! Der Gedanke ließ ihn vor Vorfreude ganz aufgeregt werden. Naomi hatte davon gesprochen „ein Geschenk zu kaufen“, aber auch das würde er irgendwie hinbekommen. Geld und Geschäfte kamen ihm nach wie vor ein wenig seltsam vor, doch die Leute in der Stadt hatten so viel dafür übrig. Und es gab so viele Geschäfte in der Stadt! Allein schon der Natto-Laden unten in der Einkaufsstraße hatte so viele Produkte in seinen Regalen. Die anderen würden sich bestimmt über etwas davon freuen. Ranpo hatte währenddessen kaum den Kopf von seinem Schreibtisch gehoben. Er hatte Naomis Erklärung zugehört und dann sofort wieder in den Ruhemodus gewechselt. Ein Geschenk für ihn? Bitte gerne. Aber dass er selbst auch aktiv werden musste …. Er murrte innerlich. Das klang ja fast nach Arbeit. Wieso sollte er zusätzlich zu seiner Arbeit als Meisterdetektiv und Dreh- und Angelpunkt der Detektei noch mehr Aufgaben übernehmen? Andererseits - Er blinzelte müde in die Runde. Ja, wie er es sich gedacht hatte. Sie waren auf ihn angewiesen. So wie immer. „Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee wäre“, sagte Kunikida ernst in die aufgekommene Stille hinein und verwunderte Naomi damit. „Es macht sicher Spaß. Und es soll auch das Zusammengehörigkeitsgefühl unter Kollegen stärken“, verteidigte Naomi ihren Vorschlag. „Außerdem wäre es eine schöne Ergänzung für unsere Jahresabschlussfeier. Ich will keine Wiederholung vom letzten Jahr, als Yosano versucht hat, jeden abzufüllen, Dazai aus dem Fenster gestürzt ist und du nach Yosanos Einwirken betrunken auf dem Tisch getan-“ „Jajajaja!“, unterbrach Kunikida sie mit hochrotem Kopf. „Schon verstanden. Du wünschst dir einen harmloseren Programmpunkt.“ Die Schülerin nickte energisch. „Das heißt aber nicht, dass wir einen von den anderen Programmpunkten streichen, oder?“, warf Dazai ein. „Wegen meines Sturzes habe ich nur die Hälfte deiner Performance mitgekriegt. Und Atsushi hat es nicht hinbekommen, sie aufzunehmen.“ „Weil ich versucht habe, dich festzuhalten!“, entgegnete der Junge empört. „Ausreden machen es auch nicht ungeschehen, dass ich diesen wunderschönen und wahrscheinlich wichtigsten Moment im Leben von Kunikida verpasst habe.“ „WIESO SOLL DAS DER WICHTIGSTE MOMENT IN MEINEM LEBEN GEWESEN SEIN?!“ Der Idealist schnaubte. Ja, sie brauchten dieses Wichteln damit die Dinge nicht erneut so aus dem Ruder liefen. Außerdem hatte Naomi vielleicht Recht. Vielleicht stärkte es das Gruppengefühl des Büros. Nur – Kunikida warf seinem schlitzohrig grinsenden Gegenüber einen weiteren missmutigen Blick zu – die arme Socke, die von Dazai gezogen würde, tat ihm jetzt schon leid. Bei seinem Glück traf es doch eh ihn. Er seufzte. „In Ordnung. Wenn alle dafür sind, dann spricht nichts dagegen, dieses Wichteln abzuhalten.“ Naomi lächelte erfreut und blickte fragend in die Runde. Kyoka und Yosano nickten bedächtig, Kenji nickte sogar regelrecht energisch, Tanizaki nickte schulterzuckend, Atsushi schluckte und zwang sich zu einem Lächeln, während Dazai schelmisch grinsend sein Einverständnis gab. „Meinetwegen“, kam es müde von Ranpo, „aber die präparierten Lose in deiner Schreibtischschublade schmeißt du weg.“ „Eh?“ Naomi zuckte ertappt zusammen. „Präparierte Lose? Ich weiß nicht, wovon du-“ „Als hätten wir dir geglaubt, dass du rein zufällig Tanizaki und er rein zufällig dich zieht“, fuhr Ranpo fort. „Auch wenn du uns natürlich eine scheinbar unmanipulierte Ziehung präsentiert hättest. Die Vorbereitung hat dich eine Menge Mühe gekostet und du hast dir selbstverständlich Hilfe vom Besten auf diesem Gebiet geholt.“ Seine Augen wanderten zu Dazai, der sich affektiert eine Hand auf die Brust hielt. „Der Beste? Oh, Ranpo, hör bitte auf, ich werde ganz verlegen.“ „Rein zufällig hättest du Atsushi und Atsushi dich gezogen“, schlussfolgerte der Meisterdetektiv weiter. „Maximaler Gewinn bei minimalem Einsatz.“ Der Erwähnte blinzelte seinen Mentor verdutzt an. „Ist das wahr, Dazai?“ „Sag nicht, du hättest dich nicht über einen Gutschein für eine Portion Chazuke gefreut.“ „Nur eine Portion?“ Kunikida schob seine Brille hoch. „Ich wette, du hattest sogar schon einen Plan in der Hinterhand, damit selbst diese eine Portion nicht von dir bezahlt werden sollte.“ In der Zwischenzeit hatte Yosano die manipulierten Lose aus Naomis Schublade zu Tage befördert, in einen Eimer geschmissen und ein brennendes Streichholz hinterher geworfen. „Na schön“, lenkte Naomi bei diesem Anblick ein. „Ich möchte das Wichteln aber trotzdem durchziehen. Ganz fair.“ „Dann müssen die Lose von jemandem gemacht werden, der nicht auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist ...“ Ranpo musterte den Haufen vor sich erneut und stöhnte - bis jemand das Büro betrat. „ … Haruno! Genau die Frau, auf die wir gewartet haben!“ Die Sekretärin erschrak, als sie bei Betreten des Raumes derart lautstark begrüßt wurde. „W-was?“ „Ja!“, rief Naomi jubilierend aus. „Ich wollte dich sowieso fragen, ob du bei unserem Wichteln mitmachen möchtest!“ „W-wichteln?“ Überfordert sah Haruno von einem Detektiv zum nächsten, als alle sie erwartungsvoll anblickten. „Oh, das klingt schön. Da würde ich sehr gerne mitmachen.“ Ein erfreutes Lächeln bildete sich auf ihrem Gesicht. „Aber sollten wir den Chef nicht auch dazu einladen?“ Kunikida stimmte ihr zu. „Es wäre unhöflich, ihn außen vor zu lassen.“ „Ich weiß nicht, wie es euch geht“, sagte Yosano, nachdem Haruno hinausgeeilt war, um dem Chef Bescheid zu sagen, „aber die Liste derer, die ich auf gar keinen Fall ziehen möchte, wird immer länger.“   „Jeder zieht reihum eines der Lose aus diesem Säckchen“, erklärte Kunikida, als sich die gesamte Stammbelegschaft des Büros der bewaffneten Detektive im Hauptraum versammelt hatte. Die kurze Zeit, in der Haruno unter Atsushis Aufsicht die Lose angefertigt hatte (während Dazai von Kyoka bewacht in der Besenkammer eingesperrt worden war und Kenji Naomi nicht aus den Augen gelassen hatte), hatte der Idealist genutzt, um ein komplexes Regelwerk aufzustellen. „Niemand darf einem weiteren Teilnehmer den Namen auf seinem Los verraten. Der Name auf dem Los ist derjenige, dem ihr in fünf Tagen auf der Jahresabschlussfeier der Detektei ein Geschenk überreichen werdet. Es können auch mehrere Geschenke sein, solange der absolute Warenwert nicht die Höhe von 2500 Yen überschreitet. Geldgeschenke sind untersagt. Des Weiteren-“ „Wow“, warf Dazai spöttisch ein, „du kannst selbst etwas eigentlich so Lustigem sämtlichen Spaß nehmen, Kunikida.“ „DES WEITEREN“, schrie er dem davon unbeeindruckten Brünetten direkt ins Gesicht, „dürft ihr die Lose nicht untereinander tauschen. Noch Fragen?“ „Wer auch immer mich zieht, soll mir bloß etwas Schönes schenken“, forderte Ranpo sogleich nörgelnd. „Also nichts, was in die Kategorien 'pädagogisch wertvoll', 'gesund' oder 'nützlich' fällt.“ Kunikida fasste sich seufzend an die Stirn. „Das war keine Frage, Ranpo. Und ich bitte euch, keine weiteren Forderungen zu stellen.“ Er nickte Haruno zu, die nach vorn trat und Fukuzawa als Erstem das Säckchen mit den Losen hinhielt. Alle sahen gespannt zu ihm, als er einen Zettel zog, auseinander faltete und … die gleiche Miene machte, die er immer machte. Stoisch ließ er das kleine Stück Papier in seinem Ärmel verschwinden. Nach und nach zog jeder der Detektive ein Los, las es und packte es weg (Kyoka vernichtete ihres sogar umgehend). Ein Blick auf die anderen genügte Ranpo abermals, um die gesamte Lage zu erfassen. Tanizaki sah plötzlich noch blasser aus als er es zuvor schon getan hatte, während Naomi die Schultern hängen ließ. In Kenjis Strahlen hatte sich ein wenig Nachdenklichkeit eingeschlichen und Yosano kratzte sich gedankenvoll am Kopf. Kunikida hatte für den Hauch einer Sekunde merkwürdig erleichtert gewirkt, ehe er wieder ernst geworden war. Kyoka war derweil noch viel ernster als sie es sonst war und war augenblicklich tief in Gedanken versunken. Selbst Dazai wirkte etwas verloren, seit er auf seinen Zettel geblickt hatte. Und Atsushi? Der schwitzte mit einem Mal Blut und Wasser. Als Letzte zog Haruno das übrig gebliebene Los aus dem Säckchen und erstarrte, nachdem sie den Namen darauf gelesen hatte. So so, sehr interessant, dachte Ranpo, während er die anderen beobachtete. Zum Glück hatte er im Vorfeld benannt, was er nicht haben wollte, sonst wäre die Sache in der Tat schiefgegangen. Doch selbst er konnte nicht genau sagen, welchen Lauf die Dinge ab nun nahmen. Er schaute noch einmal auf seinen Zettel. Hm. Da musste sogar er erst einmal drüber nachdenken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)