Rauhnacht von Puria ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel II --------------------- Der kürzeste Tag des Jahres hielt keine acht Stunden durch. Am späten Nachmittag dämmerte es bereits und machte Platz für die Nacht, die mit einem wolkenlosen Himmel über sie hereinbrach. Regina raffte ihre Jacke noch fester um sich, als sie die Holzscheite, die sie unter der Überdachung vor der einstigen Scheune kleingeschlagen hatte, in eine Tragetasche packte. Bereits der Tag hatte mit eisigen Temperaturen aufgewartet, bei der heutigen sternenklaren Nacht, die bereits die neunte Stunde überschritten hatte, schien die Kälte selbst zum Leben zu erwachen. Mit einem heiden Spaß kniff sie jeden Flecken Haut, der nicht von Stoff bedeckt war. Mit dichten Dunstwolken vor Mund und Nase, eilte Regina zurück in das Haupthaus. Der große Gemeinschaftsraum mit Kachelofen hieß sie mit seiner Wärme willkommen, die sie durch die Nacht bringen würde. Reginas Ziel war jedoch ein anderes. Nachdem sie die Stiefel ausgezogen hatte, folgte sie dem schmalen Flur, der an der Küche und einem Bad vorbeiführte und vor den Treppen endete, die in die nächste Etage führte. Dort lagen zu beiden Seiten je drei Räume, die gemütlich eingerichtete Schlafzimmer waren. Zwei davon hatten sie sich geschnappt und eines sah aus, als würde es von Jannes bewohnt. Zumindest ging Regina davon aus, da es neben dem moderneren Flair auch mit einem Fernseher, Büchern und einer Blue-raysammlung aufwartete. Regina bog in das erste Zimmer zu ihrer rechten ein, wo Myra gebannt eines der beiden Fenster betrachtete, die zum Innenhof zeigten. »Und? Wächst inzwischen etwas?«, erkundigte sich Regina und kniete sich vor dem kleinen Ofen, auf dem man einen Teekessel erhitzen konnte. Das Feuer darin glomm nur noch unter einem Häufchen Asche, sodass sie vorsichtig zwei Scheite darauf bettete und nach ein paar Mal sachte Pusten zusehen konnte, wie die Flammenzungen nach dem neuen Mahl leckten. Myra stieß ein Seufzen aus. »Leider nichts. Und sehr viel kälter wird es auch nicht.« »Vielleicht sollten wir doch ordentlich einheizen? Unten habe ich auch eine Sprühflasche für die Pflanzen gesehen. Vielleicht fehlt Wasser?« »Das ist alles vorhanden. Das Eis hat wohl einfach seinen eigenen Sinn. Mehr als Warten können wir nicht.« Myra warf ihr ein schmales Lächeln über die Schulter zu, bevor sie wieder zum Fenster sah, als würde ihr Blick genügen, um die Eisblumen zum Keimen anzuspornen. Regina kannte das Lächeln, das bemüht versuchte, eine Enttäuschung zu verbergen. Sie sah es zur Genüge, wenn Myra von ihrem bürokratischen Brotjob erzählte. »Okay, dann schaff ich noch ein paar Ladungen Holz ins Haus, damit wir über die Nacht kommen.« »Legst du dann in dem anderen Zimmer noch nach? Das Feuer ist dort auch fast niedergebrannt.« »Wird gemacht.« Draußen – diesmal mit einem dicken Schal um den Hals gewickelt – verbrachte Regina gute zehn Minuten mit Holzhacken, bis zwischen ihr und dem Spaltblock ein stattlicher Haufen lag. Vornüber gebeugt packte sie die Tragetasche so voll wie möglich, während sie ihren vor Kälte kribbelnden Fingern in Gedanken versprach, dass sie bald wieder im Warmen wären. »Grüß dich!« Regina fuhr mit einem Aufschrei so rasch herum, dass der Schwindel sie packte und kleine Funken am Rande ihres Augenfelds aufglühten. Keine vier Schritte vor ihr stand wie aus dem Boden gesprungen eine alte Frau, eingehüllt in einem alten Pelzmantel mit plüschig umrandeter Kapuze, die beinahe das zierliche Gesicht verschlang. Eine Handvoll weiße Haarsträhnen lugten unter dem Fell hervor und umrahmten die von der Kälte rotgezwickten Wangen. Eine Hand presste gegen ihre Brust, die andere stak noch immer verborgen in … war das ein Muff? »Himmel, Kindchen, ich wollte dir keinen Schrecken einjagen. Gehts dir gut?« Mit einem kräftigen Atemzug und ein paar Mal Blinzeln fiel die Welt wieder in den gewohnten Winkel zurück. Regina winkte ab, nun da der Schreck sich gelegt hatte. »Geht wieder«, sagte sie und bemerkte jetzt erst den vierbeinigen Begleiter, der halb versteckt hinter den Beinen der alten Frau stand und trotz der gut verpackten Pfoten verdrießlich die Nase in die Luft reckte. Hatte sich die Dame verlaufen? »Kann ich Ihnen helfen?« »Oh gewiss, ich wollte eigentlich zum guten Jannes, aber ich sehe sein Auto nicht … er ist wohl gar nicht da?« »Nein, leider nicht. Kann ich was ausrichten? Oder wenn es wichtig ist, könnte ich ein Handy holen und ihn anrufen?« »Das ist sehr nett, aber nicht nötig. Der Gute geht mir manchmal zur Hand und der Wasserhahn kann das Tropfen nicht sein lassen. Ich wollte nur fragen, ob er sich das ansehen könnte, aber das hat Zeit.« »Er kommt jedoch erst Neujahr zurück, glaube ich«, merkte Regina an. »Ich würde ja anbieten, es mir anzusehen, aber von solchen Armaturen verstehe ich nichts.« Die Dame lächelte verschwörerisch. »Da haben wir etwas gemeinsam.« Der Hund, so flauschig wie er aussah vielleicht ein kleiner Spitz, schmiegte sich an die Wade der alten Frau und fiepte, als er erwartungsvoll hechelnd zu seinem Frauchen nach oben sah. »Schon gut, Stupsi, sind dann ja gleich wieder daheim. Deine Näpfe sind schon nicht über alle Berge«, sagte die Frau und hüstelte trocken in ihren Muff, sodass sie Regina gleich noch zehn Jahre älter erschien. Hoffentlich wohnte sie nicht zu weit entfernt. »Wollen sie sich vielleicht kurz aufwärmen?«, fragte Regina und würde es sich selbst übel nehmen, wenn sie es nicht zumindest angeboten hätte. »Vielleicht auch etwas Wasser für Sie und Stupsi? Hundfutter haben wir leider nicht da.« »Oh, ich wollte nicht fragen, aber ein paar Minuten in der Wärme kann ich nicht ablehnen. Die Hüfte macht schon so genug Ärger, bei so einer Kälte ist es besonders schlimm.« Regina lächelte, griff die Tragetasche und deutete zur Haustür. Sie hoffte, dass mit einem spontanen Besucher nichts verdarb. »Dann kommen Sie rein. Ich bin Regina. Wie war ihr Name noch gleich?« »Holda, freut mich Kindchen.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)