Schneefall von vallendrael ================================================================================ Kapitel 1: Eiskalte Magie ------------------------- Den ganzen Morgen schon hatte die Luft nach Eis gerochen. Lys hatte es in der Nase gehabt, als sie den gewundenen Pfad durch den Wald zur Schule gegangen war und auch, als sie in den Pausen auf dem Schulhof um den kahlen Baum gewandert war. Aber noch hatte sich auf den Pfützen zwischen den gefallenen Blättern des Waldweges und den Wurzeln des Baumes keine dünne Schicht gebildet. Der Himmel sah zwar vielversprechend aus, hatte aber auch noch keine Flocken geschickt. Und dennoch, die Magie, die Lys zur Erfüllung ihrer Schulaufgaben rief, war träger als sonst. Als wäre ein Teil von ihr schon eingefroren. Sie führte auch einen leicht bläulichen Geschmack mit sich, wenn Lys sie in das Gefäß ihrer Vorstellung goss und ihr so erlaubte, einen Weg in die Welt zu finden. Aber keines der anderen Kinder oder Jugendlichen kommentierte irgendeine wahrgenommene Veränderung. Sie scherzten und lachten und tauschten sich darüber aus, was sie nach der Schule unternehmen würden. Lys starrte aus dem Fenster und dachte nicht lange darüber nach. Es war eigentlich wie jeden Tag, sie würde nachmittags ihre eigenen Studien fortsetzen und dann nach Hause gehen, um Louskrell mit Mayfa, Iberin und Ewan, kurz mit MIE zu helfen. Lys hatte ein paarmal nach der Schule ausprobiert, mit ihren Altersgenossen zu spielen, aber schnell feststellen müssen, dass sie anders war. Sie wurde nicht direkt gehänselt, dafür sorgten die Lehrer, aber ihr wurde deutlich gemacht, dass sie nicht dazu gehörte. Es gab allerdings ein paar mehrere Jahre ältere Schüler, die ihre Aufmerksamkeit suchten und mit denen Lys sich auch ganz gerne unterhielt. Da war Elvas, die sie immer nach ihren neuesten Ergebnissen fragte. Aber wenn Lys ausholte, um zu erklären, wie beispielsweise die Geisterbeschwörung eines Angehörigen mit dem Zirkel zusammenhing, den man zeichnen musste, um ihm eine angemessene Bleibe für seine Zeit in der Welt der Sterblichen zu geben, hatte Elvas Schwierigkeiten zu folgen. Da war Liam, der aber eher daran interessiert war, seine eigenen Studien voran zu treiben und seine neuen Theorien zu ihr trug, damit sie einen Blick drauf werfen konnte, bevor er damit zu einem Lehrer ging. Lys war sich nicht sicher. Einerseits war sie stolz darauf, dass man sie nach ihren Studien fragte und wie viel sie erzählen konnte. Oder dass sie selbst als kleine Autorität galt, denn es war auch nicht unüblich, dass ein bedeutend älterer Schüler fragte, ob sie ihm helfen könne. Aber andererseits wollte sie auch mal einfach nur spielen und nicht als eine kleinere Ausgabe ihres Vaters angesehen werden. Mit anderen Schülern ging das noch halbwegs, die Lehrer, die sich persönlicher um sie sorgten, waren da schon schlimmer. Sie meinten es ja nur gut, und Lys wollte das auch schätzen, aber wenn sie ganz ehrlich war, nervte es. Nein, sie wusste nicht, ob ihr Vater vor hatte, wieder zu unterrichten. Oder wann er zurück kam von seiner „Geschäftsreise“. Wenn sie ehrlich war, vermisste sie ihn sehr. Sie starrte angestrengter aus dem Fenster und blinzelte die Tränen weg. Weinen half da auch nichts. Aber sie wünschte sich inbrünstig, dass er da wäre. Insbesondere jetzt, da ihre Schwester Cherubima auch noch weg gegangen war. Es gab nicht wirklich jemanden, der ihr Wärme schenkte. Louskrell war so sehr damit beschäftigt, MIE irgendwie halbwegs ruhig zu halten, dass da keine Zeit mehr blieb, Lys Beachtung zu schenken. Ja, die Lehrer, die nach ihrem Vater fragten, zeigten ihr, dass sie sie gern hatten, aber es waren immer noch Lehrer. Sie waren mehr an dem akademischen Fortschritt interessiert und privater Austausch war rar. Andere Schüler spielten ja nicht mal mit ihr, auf die Idee, ihr einfach mal zu sagen, dass er oder sie sie mochte, kam erst recht niemand. Ihr Papa hatte ihr immer das Gefühl vermitteln können, dass sie das Zentrum des Universums war. Selbst, wenn MIE und ihre Mutter einen Riesentrubel veranstalteten, das Haus auf den Kopf stellten oder sonstigen Unsinn. Ihr Papa sah sie. Und jetzt war er schon seit Monaten weg. Lys fühlte sich allein. Als die Schule aus war, rauschte sie mit gesenktem Kopf aus dem Klassenzimmer. Sie wich Elvas aus und gab vor, den Lehrer, der auf sie zu kam, nicht zu bemerken. Stattdessen drückte sie sich durch den ersten Spalt, den ihr das gewaltige Eingangstor mit seiner Magie öffnete. Eine kleine Gestalt, verloren zwischen den riesigen Flügeln, die sich für ihr Durchkommen kaum bewegen mussten. Louskrell war zwar kein Ersatz, aber das beste, was sie im Moment hatte. Vielleicht würde sie in Louskrells Umarmung ein bisschen der Eltern, die ihr fehlten, finden. Vielleicht würden MIE ihr ein paar ruhige Minuten schenken. Vielleicht konnte sie für ein paar mehr Tage vorgeben, dass sie okay war, damit sich niemand sorgen musste. Sie war doch schon groß und stark! Aber die Tränen liefen ihr trotzdem den ganzen Nachhauseweg über die Wangen und sie erlaubte sich in der Abgeschiedenheit des Waldes ein paar Schluchzer. Sie wollte ihren Papa! Es war ihr egal, dass er die Welt rettete und dass sie auch nicht mehr da wäre, wenn er es nicht schaffte. Er sollte für sie da sein! Er war schließlich ihr Papa! Es war unfair, dass alle anderen ihn ihr immer weg nehmen wollten! Sollten sie doch mal ihre eigenen Probleme selbst lösen! Als das Dorf zwischen den Baumstämmen in Sichtweite kam, kauerte Lys sich zwischen zwei Eiben und heulte sich die letzten Tränen aus den Augen. Sie wollte das Dorf und die Schule verlassen und nach ihrem Papa suchen. So, wie Cherubima das bestimmt gerade machte! Auch das schien ihr unfair, warum konnte sie einfach auf Reisen gehen, aber Lys musste hier bleiben? Cherubima hatte bestimmt viel bessere Chancen, ihren Papa früher wieder zu sehen! Lys wollte auch! Sie umarmte ihre Schultasche ganz fest und starrte auf die Häuser, die von den Tränen ganz verzerrt waren. Aber sie konnte da nicht hin gehen, während sie gerade heulte. Was sollte Louskrell denn machen? Sie oder er wünschte sich ja auch ihren Papa und ihre Mama zurück! Und war ansonsten vollauf mit MIE und dem Haushalt beschäftigt. Lys konnte ihr oder ihm nicht auch noch zur Last fallen. Lys war doch die starke, die vernünftige, die, die niemandem zur Last fiel. Aber sie wollte nicht. Sie wollte ihrem Papa zur Last fallen. Sie wollte, dass ihr Papa Louskrell sagte, wer grade Mayfa, wer Iberin und wer Ewan war und den dreien für eine halbe Stunde eine Beschäftigung gab, die niemanden nervte. Sie wollte, dass sich einmal alle um sie kümmerten. Lys wischte sich energisch die Tränen ab, die aber nach kurzem wieder hoch kamen. Sie wusste natürlich, dass das ein dummer Wunsch war. Selbst, wenn ihr Papa wieder da wäre, MIE würden ihn in Beschlag nehmen. Oder er müsste mit Louskrell irgendetwas Wichtiges besprechen. Oder die Schule würde ihn wieder haben wollen. Und außerdem wusste ja niemand, wann er zurück kam. Und Louskrell war so sehr mit MIE beschäftigt, dass Lys ihr oder ihm wirklich nicht noch mehr Arbeit machen wollte. Lys wusste das. Und trotzdem wünschte sie sich, dass die Welt anders wäre. Mit einer halb kontrollierten Schnappatmung verbannte sie die letzten Tränen. Okay, sie konnte noch ein bisschen länger stark, zuverlässig und vernünftig sein. Immerhin, es war ja auch schön, dafür gelobt zu werden und Bewunderung von anderen Schülern zu bekommen. Sie konnte das. Sie war die Musterschülerin, die liebe Ziehtochter, die vorbildliche Schwester. Sie stand auf und grub ihren Zauberstab aus ihrer Schultasche. Mit der Konzentration, die sie für den Zauber brauchte, verbannte sie auch die störenden Gefühle. Dann schuf sie sich mit einem kurzen Ritual einen sehr einfachen Spiegelzauber und sah nach, ob man ihr noch etwas von der Heulattacke ansah. Ihre Augen waren etwas rot, aber ehrlich, das konnte auch von der Kälte kommen. Sie hatte ja wirklich vergessen, einen Wärmezauber zu wirken, bevor sie die Schule verließ. Sie starrte wütend ihr Spiegelbild an und schalt es dafür. Jetzt brauchte sie eine Ausrede. Hm, die Magie fühlte sich ja anders an, der Spiegelzauber war viel langsamer zusammen geflossen als sie es gewohnt war. Sie konnte behaupten, nicht sicher gewesen zu sein, ob ein Wärmezauber mit der frierenden Magie überhaupt gewirkt hätte. Ja, irgendwie sowas. Louskrell würde eh zu abgelenkt sein, um es genauer zu durchdenken. Sie atmete noch einmal tief durch und setzte den ersten Schritt in Richtung Dorf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)