Battle for the Sun von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 6: Fallen angels in the night – And everyone is barred from Heaven -------------------------------------------------------------------------- „Fallen angels in the night And everyone is barred from Heaven“   Placebo, „Julien“   Dazai sah erstaunt auf die Treppenstufen unter seinen Fußen. Nanu? Irgendetwas stimmte hier nicht. Wo war er? War er nicht eben noch ganz woanders gewesen? Aber … wo? Und was hatte er dort gemacht? Wo war er jetzt? Wohin führte diese Treppe? Sie kam ihm merkwürdig bekannt vo- Schlagartig wurde ihm klar, woher er diese Treppe kannte. Diese von einem schummrigen Licht gerade so erhellten Stufen, die er schon so viele unzählige Male heruntergestiegen war. Es bestand kein Zweifel. Aber wie konnte das sein? Wie kam er ausgerechnet hierher? Er konnte sich nicht daran erinnern, zu diesem Ort gegangen zu sein. Seine Erinnerung, an alles, was gewesen war, bevor er plötzlich die Treppenstufen unter sich sah, war eigenartig verschwommen. Als wäre sein Gehirn nicht voll einsatzfähig. Seltsam. Ich bin doch nicht betrunken … oder? Nein. Ich würde nicht herkommen, wenn ich schon derart einen im Tee hätte, dass ich Erinnerungslücken hätte. Hinter ihm befand sich auch keine Tür, so wie es eigentlich sein sollte. Da war nur eine Wand. Dazai zuckte mit den Schultern. „Da hilft nur noch eins“, sagte er zu sich selbst, steckte seine Hände in seine Manteltaschen und stieg gemächlich die Stufen hinab. Der ihm wohlbekannte Weg in die Bar Lupin sah aus wie immer. Schummriges Licht, leicht verqualmte Luft, die Treppenstufen schon in die Jahre gekommen, aber noch wacker ihren Dienst erfüllend. Es war ungewöhnlich ruhig, dachte Dazai, als er um die Ecke bog und wie vom Donner gerührt stehen blieb. „Oh? Du bist es. Willst du dich nicht setzen?“ Vollkommen verdattert starrte Dazai auf den Rothaarigen, der auf seinem üblichen Barhocker saß und seinen üblichen Drink im Glas schwenkte. Nur dass nichts daran als „üblich“ oder „normal“ bezeichnet werden konnte, denn der einzige Anwesende in diesem Etablissement war eigentlich schon seit Jahren tot. „Odasaku?“, hauchte Dazai ungläubig. „Ist alles in Ordnung bei dir? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“ Das tue ich gerade auch, wollte er antworten, ging aber stattdessen dazu über, den anderen Mann zu mustern. Der monotone, beruhigende Tonfall, der nur scheinbar desinteressierte Gesichtsausdruck … das war leibhaftig Odasaku dort vor ihm auf dem Hocker. Aber … wie konnte das Odasaku sein? Mit einem Mal kehrte die Erinnerung, an das, was zuvor geschehen war, zu Dazai zurück: der blutverschmierte Junge, das Messer, die Schmerzen, sein eigenes Blut. Die Miene des Brünetten hellte sich auf. Ein beinahe ekstatisches Grinsen erstrahlte auf seinem Gesicht. Schwungvoll sprang er die letzten Stufen hinab, tänzelte zu dem Hocker neben Odasaku und ließ sich voller Elan darauf nieder. „Ich habe es geschafft!“, rief er euphorisch aus. „Ist das nicht wundervoll, Odasaku? Ich habe es endlich tatsächlich geschafft!“ Der Rothaarige zuckte leicht mit den Achseln. „Wenn du meinst.“ „Das müssen wir feiern! Nanu? Gibt es hier keinen Barkeeper? Ist hier Selbstbedienung?“ Dazai lachte. „Umso besser! Was für ein fantastischer Ort!“ Dezent amüsiert beobachtete Odasaku, wie Dazai über den Tresen langte und sich von dort eine Flasche Hochprozentiges und ein Glas angelte. „Das Jenseits ist also eine Bar?“ Der Brünette füllte sein Glas. „Das ist ja, als wäre ich im Himmel gelandet!“ Gierig trank er den Alkohol aus und seufzte wohlig. Freudig lächelnd drehte er sich zu dem Mann neben sich. „Wobei ich ja wohl kaum im Himmel landen würde, denkst du nicht auch, Odasaku?“ „Ich weiß nicht. Was sind die Kriterien, um dort aufgenommen zu werden?“ „Ich vermute, es ist von Vorteil, wenn man kein schändliches Leben gelebt hat.“ Dazai schnippte mit zwei Fingern gegen das Glas und ein klirrender 'Pling'-Ton füllte den Raum. „Du allerdings müsstest doch dort sein, Odasaku. Du bist ein guter Mensch.“ Der Ältere stutzte und nippte an seinem Glas. „Du findest, ich bin ein guter Mensch?“ „Aber ja! Darüber müssen wir erst gar nicht diskutieren. Das steht fest.“ „So? Tut es das?“ Odasaku schaute skeptisch drein und kratzte sich gleichzeitig verlegen am Hinterkopf. „Das ist komisch, so etwas von dir zu hören, Dazai.“ „Überhaupt nicht!“, wehrte dieser ab. „Denn egal, bei was ich schon allem gelogen habe, in dieser Hinsicht bin ich völlig ehrlich! Und ich weiß, wovon ich rede, denn ohne dich wüsste ich ja gar nicht, was einen guten Menschen ausmacht.“ „Das soll ich dir beigebracht haben?“ „Ja, ja! Damals, als du so dumm gewesen warst zu sterben. Ich war erst ziemlich wütend auf dich, Odasaku, aber jetzt bin ich bereit, dir zu vergeben.“ Der Rothaarige lachte leise. „Danke … denke ich.“ „Nein, nein! Ich muss mich bei dir bedanken!“ Mit nicht abebbender Euphorie kippte Dazai das nächste Glas herunter. „Ohne dich wäre ich ja nicht bei den bewaffneten Detektiven gelandet und ich sage dir, die würden dir gefallen!“ Odasaku stutzte abermals. „Und das soll ich vollbracht haben?“ Dazai nickte enthusiastisch. „Wenn du dachtest Ango wäre ein Pedant, dann musst du einmal Kunikida kennen lernen! Er trägt immer, immer ein Notizbuch mit sich herum, mit dem er jede Sekunde, jede Sekunde seines Lebens durchplant! Und dann Yosano! Weißt du noch, wie Leute Angst vor mir hatten? Die kannten die gute Yosano mit Sicherheit nicht, sonst hätten sie gewusst, was wahre Angst ist! Und kannst du dir eine Fähigkeit vorstellen, die immer sofort die Wahrheit aufdeckt? Ich mir auch nicht, denn die gibt es gar nicht! Aber Ranpo kann genau das tun! Und dann gibt es in der Detektei noch die Fraktion mit den unschuldigen Gesichtern: Kenji, Tanizaki, Kyoka, Atsushi; du würdest sie alle lieben! Oh, du würdest einen Narren an Atsushi fressen!“ Erstaunt hörte Odasaku diesem ekstatischen Redeschwall zu, dann schmunzelte er. „Klingt, als würden diese Leute dir viel bedeuten.“ „Na ja, jetzt müssen sie ohne mich klar kommen. Wir stecken eigentlich gerade noch mitten in einem schwierigen Fall und ah …!“ Er spürte ein plötzliches Stechen in seiner Seite. „Was ist denn das? Ich kann doch unmöglich Schmerzen haben, wenn ich tot bin.“ „Ein schwieriger Fall?“, hakte Odasaku, das Gemurmel des Anderen augenscheinlich ignorierend, nach. „Kriegen deine Kollegen das denn ohne dich hin?“ „J-ja ...“, erwiderte Dazai, mit zunehmenden Schmerzen schwerer atmend. „Solange Ranpo … bei ihnen ist ….“ Er hielt inne. „Ranpo hat sich nicht gemeldet. Warum hat Ranpo sich nicht gemeldet? Ist er …?“ Eine ganze Armada an Erkenntnissen brach aus dem Nichts über Dazai herein. „Der Mörder … der Mörder weiß nicht, dass er der Mörder ist. Und diejenigen, die ihn suchen, sind nicht diejenigen, vor denen er wegläuf- ah!“ Dazai krümmte sich vor Schmerzen und presste eine Hand gegen die qualvoll stechende Seite. Er fühlte, wie Blut gegen seine Handfläche lief. Ungläubig blickte er auf seine rot gefärbte Hand, ehe ihn Verzweiflung überkam. Er sah aus wie ein hilfloses Kind, das nicht verstand, was los war. „Odasaku … nein! Das hier …. Nein! Ich … bitte! Bitte, ich möchte hier bleiben! Das ist nicht fair! Das ist nicht fair!!“ Er streckte seine andere Hand nach seinem so sehr vermissten Freund aus und krallte sie in dessen Jacke. „Und deine Kollegen?“, sagte Odasaku lediglich. „Was wird aus ihnen?“ „Die sind doch jetzt egal! Odasaku, ich will bei dir bleiben!“ „Sind sie das? Sind sie dir wirklich egal? Wenn sie ohne deine Hilfe sterben würden, wäre dir das völlig egal?“ Obwohl die Frage in Odasakus typischen gleichgültigen Tonfall vorgetragen war, hörte Dazai den Vorwurf heraus. Ein zweites Stechen, dieses Mal in seinem Oberschenkel, ließ ihn fast vom Hocker kippen. Für einen Moment lang war nichts außer Dazais schwerem Atmen zu hören. Kraftlos ließ er seinen Kopf hängen. Dann zog er seine Hand von Odasakus Jacke zurück und blickte wieder auf. „Es wäre mir … nicht egal.“ Sein Gesicht wurde zu einer gepeinigt grinsenden Grimasse. „Wie soll ich die Zeit mit dir genießen ... wenn ich diese Bande von gutherzigen Irren in ihr Verderben rennen lasse?“ Der Hauch eines Lächelns huschte über Odasakus Gesicht. „Warte hier auf mich … Odasaku. Ich … bin … bald … zurück …“ Von einem Augenblick zum nächsten wurde alles schwarz; als hätte jemand das Licht im Lupin ausgeknipst.   Dazais Erwachen war kalt und dunkel und qualvoll. Er konnte kaum atmen vor Schmerzen und das leere Gefühl in seinem Inneren verschlimmerte seine elende Situation um ein Vielfaches. Er hatte sich am Ziel gewähnt, besser noch, er hatte Odasaku gesehen und jetzt war er wieder - Eins nach dem anderen, unterbrach er sich selbst. Ich habe es bald geschafft. Das hier ist zwar das absolute Gegenteil von dem, wie ich es mir gewünscht habe, aber gut, ich bin flexibel. Angestrengt rollte er auf seinen Rücken. Die Bewegung ließ den Anblick des Nachthimmels über ihm kurz vor seinen Augen verschwimmen. Es war nicht mehr lang, bis der Morgen anbrach. Wo waren die anderen? Waren sie noch in Suribachi? In dieser Ecke des Viertels, in der er in den blutverschmierten Jungen gerannt war, lebte niemand mehr und hinter all diesen Trümmern würde ihn so schnell niemand finden. Seine rechte Hand wanderte zu dem Messergriff, der nach wie vor in seinem Bauch steckte. Als würde er lediglich ein Pflaster abreißen, zog Dazai sich das Messer heraus und führte es in sein Sichtfeld. Was zum …? Am Griff war nur noch eine winzige, abgebrochene Spitze aus Metall. Wo war der Rest der Klinge? War sie in der Tat abgebrochen und steckte noch in seinem Körper? Er verwarf den Gedanken schnell wieder. Wenn der Rest der Klinge am Stück in der Wunde steckte, würde sich das anders anfühlen. Er warf den Griff beiseite und wollte mit seiner Hand in die Manteltasche fahren, in der er sein Handy aufbewahrte. „Oh, das ist jetzt nicht wahr ...“ In seinem Handy steckte ein weiteres Messer, das sich durch das Gerät in seinen Oberschenkel gebohrt hatte. Dazai zog auch dieses heraus. Im Gegensatz zu dem ersten war noch mehr von der Klinge erhalten, aber auch hier sah es aus, als wären Teile der Klinge abgebrochen. Und sein Handy war nur noch ein Haufen Schrott. Wie seine Beine, die, außer schrecklich weh zu tun, sonst gar nichts mehr taten. So konnte er nicht aufstehen, er konnte nicht einmal auf allen Vieren krabbeln. Um Hilfe zu rufen machte von seinem momentanen Standort (Haha, wenn ich wenigstens stehen könnte, kalauerte er in Gedanken) ebenso keinen Sinn, es würde ihn niemand hören – oder es würden ihn die falschen Leute hören. Er hatte noch kein klares Bild davon, wer sie waren, aber in Anbetracht der Tatsache, dass seine Kollegen schon in den Fall verwickelt waren, würden sie in das Schussfeld dieser Leute geraten. Dazai nahm tief Luft und rollte wieder auf den Bauch zurück. Er biss die Zähne zusammen, als eine heftige Welle an Schmerzen über ihn rollte. „Das ist … also aus mir … geworden … - ein … Masochist ...“, keuchte er angestrengt und trotzdem ominös lächelnd. Die Ironie an der ganzen Sache war, dass seine Fähigkeit aller Wahrscheinlichkeit nach den Angriff des Jungen gestoppt hatte. Hätte er weiter attackieren können, wäre es wirklich aus mit ihm gewesen. Dazai streckte einen seiner auf der Erde liegenden Arme nach vorne aus und zog mit diesem seinen gesamten Körper nach. Dann tat er das Gleiche mit dem anderen und rutschte wieder wenige Zentimeter weiter. Seinen geschundenen Körper über den Boden zu schleifen, tat seinen Verletzungen alles andere als gut, aber es war die einzige Möglichkeit für ihn, sich fortzubewegen. Er musste es wenigstens bis zu dem Plateau zurückschaffen. Lebend, im besten Fall, denn er musste die Detektive vor der Gefahr warnen, die bereits dabei war, auf sie zuzukommen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)