Would you like to watch the meteor shower with me? von Pugatory_Seal ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „DU und ICH beim Meteorschauer? Nachdem du alles ruiniert hast? Vergiss es Loser!“ Ganz offensichtlich war Damien immer noch sauer auf ihn. Es erschien ihm dabei als äußerst ungerecht. Immerhin hatte sein wütender Schwarm ihn in seine Familienangelegenheiten und in das dabei entstandene Geflecht aus Lügen hineingezogen und nicht umgekehrt. Oz hatte bestimmt nie behauptet Ahnung von Neurochirurgie zu haben. „Wegen dir stand ich vor meinen Dads dumm da! Ich musste mir ‘ne Tonne an Fragen anhören!“ Oz war sich relativ sicher, dass Damien nicht Tonne sondern Berg meinte, unterließ es aber den ohnehin schon aufgebrachten Dämonen darauf hinzuweisen. Wahrscheinlich war er selbst schuld. Er hätte sich denken können, dass es so ausging, wenn er Damien fragte ob sie morgen Abend gemeinsam den Meteorschauer ansehen wollten. Jetzt bereute Oz es umso mehr, seinen Mut zusammengekratzt zu haben um seinen verärgerten Freund darauf anzusprechen. Er hatte gehofft, dass Damien vielleicht über dieses eine Ärgernis hinwegsehen würde, vor allem, da sie die Tage zuvor so viel Spaß zusammen gehabt hatten hier im Camp und auch in der Schule. Dumme Hoffnungen, welche jetzt in der Luft zerrissen wurden, wie ein ungewollter Liebesbrief. Das schattenhafte Monster versuchte es zu ertragen. Damien zog immer noch fluchend und wütend seine Kreise, kickte mehrmals gegen den Stamm eines hochgewachsenen Baumes bis dieser endlich umfiel. Oz versuchte das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. Wie es aussah hatte nur er geglaubt sie wären wirklich Freunde geworden. Aber Damiens Reaktion und Worte reichten aus damit er verstand, wie sehr er sich getäuscht hatte. Seine kleinen Phobien hatten sich verunsichert auf seinem Arm und seiner Schulter zusammengedrängt und schauten Damien mit einem verletzten Ausdruck in ihren winzigen Gesichtern dabei zu, wie er wild mit seinen Armen gestikulierend in der Luft umherfuchtelte. Oz fühlte es ihnen nach. Er ließ seine Schultern hängen, seine Gedanken waren bereits im Begriff sich in einer Abwärtsspirale zu bewegen als er sich selbst einen Ruck gab. Nein. Nein! Er durfte nicht den Kopf hängen lassen. Er hatte nichts Falsches getan! Und nur weil er Damien mochte – sehr sogar – würde er es nicht zulassen, dass dieser ihm die ganze Verantwortung alleine auflud. Es reichte. Er hatte definitiv genug davon! Also nahm die Personifikation der Angst seinen Mut ein zweites Mal an diesem Abend zusammen um sich seinem Schwarm entgegenzustellen. Etwas das er sonst nie so direkt getan hätte. „D-denkst du nicht, dass es von Anfang an n-nicht gerade die beste Idee gewesen ist, deine E-Eltern anzulügen?“ Oz versuchte seine Stimme ruhig zu halten. Nicht zu sehr ins Stottern zu geraten. Es gelang ihm zwar nicht vollkommen, aber wenigstens zog er Damiens Aufmerksamkeit damit auf sich. Was wohl auch daran lag, dass seine Worte direkt in den Kopf des Anderen eindrangen und er ihm deswegen so oder so zuhören musste. Die goldgelben Augen fixierten ihn mit einem stechenden Blick. Zum Glück waren Damiens Blicke nicht tödlich. Im Gegensatz zu vielen anderen Dingen, welche der Dämon mit einem anstellen konnte. Oz zwang sich trotzdem dazu weiterzusprechen. Solange er noch konnte bevor Damien ihn womöglich anfiel. „Ich meine, sie w-waren unglaublich nett und w-wenn ich ehrlich bin, ge-gefiel es mir von A-anfang an nicht, sie anlügen z-zu müssen.“ Sein Stottern nahm zu. Er konnte immer noch spüren wie sein schlechtes Gewissen an ihm nagte. Obwohl sie zuerst so einschüchternd wirkten, hatten Damiens Väter ihn so freundlich behandelt… Ein markerschütterndes Brüllen so laut wie das einer wilden Bestie brachte ihn abrupt zum Schweigen. „Uuuuuuuuuaaargh! Halt die Klappe, Noob! Du hast doch gar keinen Schimmer wie das ist, vor deinen Eltern bloßgestellt zu werden!“ In blindem Zorn und ohne auch nur kurz über seine Worte nachzudenken, schleuderte Damien all seinen Frust demjenigen Monster entgegen, welches ihm schon so oft bei seinen diversen Problemen geholfen hatte. Oz zuckte regelrecht vor ihm zusammen. Als hätte Damien dem schmächtigen Monster soeben physisch eine Reingehauen. In den runden weißen Augen seines Gegenübers lag ein Schmerz, der über jede körperliche Qual hinausging. Damien war davon selbst ein wenig überrascht, aber immer noch viel zu aufgebracht um sich groß darum Gedanken zu machen. Als die Stimme des unscheinbaren Monsters dieses Mal in seinen Kopf drang, klang sie sehr leise und regelrecht gebrochen. „S-stimmt. I-ich… w-weiß n-nicht wie das ist… Eltern z-zu haben“, jedes einzelne Wort auszusprechen strengte ihn entsetzlich an und ließ seine Brust schmerzen. Er würde nie wissen, wie es war Eltern zu haben, die einen liebten, geschweige denn, wie es sich überhaupt anfühlte Eltern zu haben. Damiens Eltern kennenzulernen war für Oz besonders gewesen. Von ihnen – auch wenn unter falschen Tatsachen – in ihren kleinen Kreis aufgenommen zu werden. Es war als hätte er für kurze Zeit durch eine Tür treten dürfen um einen Blick in eine Welt zu werfen, welche ihm normalerweise versperrt blieb. Ozs Phobien wurden noch Kleiner, einige zogen sich sogar in sein Innerstes zurück um diesem Gespräch zu entgehen. Er schaffte es nicht länger Damien ins Gesicht zu sehen. Es tat zu sehr weh, dass ausgerechnet Damien ihm genau das vorhielt. Oz verstand, dass es keinen Zweck hatte mit dem aufgebrachten Schulrowdy noch länger darüber zu reden. Sein Körper zitterte bereits wie verrückt. Der Druck war zu hoch und drohte ihn zu zermalmen. Irgendwie schaffte er es gerade noch so eine letzte Bitte zu äußern, ehe seine Stimme ihm ganz den Dienst versagte. „R-richte… i-ihnen wenigstens aus… d-dass es… mir s-sehr l-leid tut, sie… a-angelogen z-zu haben… “ Kaum hatte er seinen Satz beendet, verschwand Oz, verschluckt von den umliegenden Schatten eines Baumes. „Hey! Warte gefälligst!“ Zu spät. Als Damien sich aus seiner Starre löste war es zu spät. Oz hatte sich aus dem Staub gemacht. Der Noob konnte dank seiner dämlichen Schattenteleportation jetzt überall sein. „Verdammte Scheiße!“ Damien fühlte, wie es in seinem Inneren rumorte. Zu den bis eben noch so brennenden Gefühlen der Wut und des Frustes mischte sich ein Weiteres. Eines das er nur sehr, sehr selten verspürte und das er auf den Tod nicht abkonnte. Reue. Bitter breitete sie sich in seinem Mund aus, rann seine Kehle hinab und ließ seine Eingeweide sich heftig zusammenziehen. Sie schlug ihre grässlichen, scharfen Klauen, wie ein wildgewordener Berglöwe so tief in seine Brust, dass es ihm die Luft zum Atmen nahm und erstickte damit langsam alle anderen Emotionen in ihm. Aber sie kam zu spät. Der Schaden war bereits angerichtet und Oz nicht mehr hier. „Fuck.“ Damien wusste nicht was er tun sollte. Und dieses Mal konnte er nicht Oz darum bitten sein Problem für ihn zu lösen. Ihm war übel. So entsetzlich übel. Aus den Schatten der umliegenden Bäume trat Oz hinaus in den vom Lagerfeuer erhellten Bereich. Mehrere seiner Mitschüler alberten auf Baumstämmen sitzend um das Wärme spendende Feuer miteinander herum. Sie tranken, schmiedeten Pläne für Morgen, aßen S’Mores, lachten und stritten miteinander oder versuchten um die Aufmerksamkeit derjenigen zu werben, denen ihr Herz gehörte. Oz war nicht danach sich zu ihnen zu setzen. Nicht nach dem was passiert war. Es gelang ihm ja gerade so sich auf seinen Beinen zu halten. Mit Mühe zwang er sich dazu aufrecht zu gehen, vorbei an den Anderen. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf die Gesichter der versammelten Monster. Natürlich bemerkten seine Freunde ihn. Er winkte ihnen kraftlos zu und bedeutete ihnen mit einer kleinen Geste seiner Hände, dass er sich für heute hinlegen würde, ehe er hastig zu den Zelten hinüber stolperte. Er brauchte zwei Anläufe um den Reißverschluss seines Zeltes zu packen ohne das er ihm wieder aus den Fingern rutschte, weil diese so stark zitterten. Als er es endlich geöffnet und hineingekrochen war, verschloss dieses Mal, dankbarer Weise, eine seiner kleinen Phobien für ihn den Eingang des zitronengelben Zelts. Ohne sich umzuziehen oder dergleichen, ließ Oz sich völlig erschöpft auf die am Boden liegende Isomatte fallen, welche mit einem Kissen und einer Decke ein wenig Komfort bot. Logo- und Algophobie halfen ihm aus den Schuhen heraus, welche am Fußende der Matte dumpf zu Boden fielen. Die kleinen Phobien wanderten danach an seinen Beinen hinauf, über seine Seite bis zu seiner Schulter wo sie sich mit einem leisen Schniefen dicht an seinen Hals schmiegten. Seine Finger griffen instinktiv nach seiner gelb, grau und weiß gestreiften, kuschligen Decke unter welcher er kurz darauf vollständig verschwand – als könnte er sich auf diese Weise vom Rest der Welt abschirmen. Er wollte jetzt Niemanden sehen, Niemanden hören und nicht mehr reden. Ihm fehlten dafür sowohl die Kraft als auch der Wille. Stattdessen ließ er den schon längst überfälligen Tränen freien Lauf, die er seit seinem Gespräch mit Damien zurückgehalten hatte. Genauso wie der Enttäuschung, welche ihn bei der Erkenntnis, wie wenig er dem gehörnten Dämon bedeuten musste, wie eine Pistolenkugel mitten ins Herz getroffen hatte. Sich das einzugestehen tat immer noch wahnsinnig weh. Schlimmer als jeder Schmerz, den er in all den Milliarden von Jahren seit er existierte je gespürt hatte. In eine Lavagrube zu fallen war lachhaft dagegen. Nicht das ihm nach Lachen zumute wäre. Er zog den Stoff noch fester um sich und seine kleinen Phobien. Nach ein klein wenig Trost suchend winkelte die Personifikation der Angst seine Knie dicht an seine Brust, umschlang seine Beine mit seinen langen, schmalen Armen und versuchte so klein wie nur irgendwie möglich in seiner jetzigen Form zu sein. Er musste irgendwann vor lauter Erschöpfung eingeschlafen sein, stellte Oz fest. Eine der seltenen Nächte in denen er schlief, anstatt zu lesen, ziellos umherzuwandern oder darüber nachzudenken was er sich von diesem selbst gewählten Leben unter den Sterblichen erhoffte und wie er in dieses hineinpasste. Durch die Decke und die dünnen Wände seines Zeltes hindurch konnte er unmittelbar vor dem Eingang seines Zeltes Stimmen hören. Oz verharrte bewegungslos, mucksmäuschenstill und lauschte. Er konnte Vickys vertraute Stimme hören und wie sie mit Jemandem redete. Wahrscheinlich mit Brian oder Amira. Oder Beiden. Natürlich war es ihnen aufgefallen. Sie merkten es immer, wenn Etwas mit ihm nicht stimmte. Was sicher auch daran lag, dass er furchtbar schlecht darin war seine Gefühle zu verbergen. Oder zu lügen. „Ooooz? Kann ich reinkommen?“ Er fühlte sich noch zu ausgelaugt um auch nur ein einzelnes Wort zu artikulieren. Also schickte er ihr ein einfaches, aber zustimmendes: „Mhm.“ Das Geräusch, des sich öffnendes Reißverschlusses drang durch die über ihn gelegte Decke bis an seine Ohren heran. Müde rekelten sich einige seiner Phobien auf seinem Körper und gähnten leise. Noch immer wirkten sie ungewöhnlich träge und niedergeschlagen. Kein Wunder. Oz fühlte sich selbst ja nicht besser. Konnte er einfach den Rest seines Lebens hier verbringen? Zusammengerollt unter seiner Decke in einem kleinen Zelt? Ihm war ja selbst bewusst, wie albern das klang. Ein leises Rascheln war zu hören als Vicky auf allen Vieren zu ihm kroch. Oz fühlte, wie sie sich das kleine Frankensteinmonster vorsichtig neben ihm auf die Matte legte. Ihr Gesicht drückte sich an seinen Rücken und sanft legte sie einen ihrer zierlichen, zusammengenähten Arme um das Bettdeckenknäul, welches ihn wie eine schützende Blase einhüllte. Diese kleine Geste, so warm und vertraut, ließ ein wenig von der Kälte weichen, die Oz seit gestern Nacht nicht hatte loslassen wollen. „Magst du darüber reden?“, fragte Vicky leise. Oz schüttelte leicht den Kopf, ehe er daran dachte, dass seine Freundin, dies höchstwahrscheinlich gar nicht sehen konnte. „N-noch nicht“, rang er sich deswegen durch mit leiser Stimme zu antworten. „Okay.“ Sie schwiegen Beide. Aber es fühlte sich nicht unangenehm an. Es tat gut sie einfach bei sich zu wissen. Gehalten zu werden. Zu wissen das Jemand bei ihm war. Für eine ganze Weile blieben sie so liegen bis Oz allmählich die Kraft in sich fand erst seine Finger und dann seine Arme zu bewegen. Vorsichtig zog er an der Decke, stellte allerdings fest, dass er sich in der Nacht ziemlich darin verfangen hatte. „Uhm… “, er zögerte kurz. Es kam ihm so albern vor Fragen zu müssen. „… ich… ich glaube, ich habe mich ein wenig verheddert. Könntest… könntest du mir vielleicht helfen?“ Seine Stimme klang ausgesprochen verlegen als er dies Vicky mitteilte. „Immer doch!“, seine Freundin kicherte ein wenig, setzte sich aber sofort auf und half ihm dabei sich aus seiner misslichen Lage wieder zu befreien. Als Oz dicht gefolgt von Vicky aus dem gelben Zelt herauskroch, betrachteten ihn die vertrauten Gesichter von Amira und Brian. Wie es aussah hatten sie hier auf ihn und Vicky gewartet, was Oz zwar freute, ihn sich aber gleichzeitig auch entsetzlich schuldig fühlen ließ. „G-Guten Morgen“, sagte er und blinzelte durch das helle Tageslicht. Die Sonne stand bereits viel höher am Himmel als er erwartet hatte. Unsicher erhob er sich, versuchte seine leicht zerknitterte Kleidung glatt zu streichen, während er nicht genau wusste was er eigentlich sagen sollte oder wollte. Vielleicht eine Entschuldigung, weil er ihnen Sorgen bereitet hatte. Bevor er aber auch nur dazu kam Luft zu holen oder ein einziges Wort zu formen, legte sich bereits je ein Arm von Amira und einer von Brian um seine beiden Schultern. „Ich bin am Verhungern! Du auch? Dann lass uns was zu Essen auftreiben!“ Amira sah ihn mit ihren grünen, unerschütterlichen Augen an, ein keckes Grinsen im Gesicht. Sie strotzte immer vor Selbstvertrauen und ihr Anblick ließ seine vorherigen Sorgen ein wenig kleiner werden. Oz warf einen Blick zu seiner Rechten, hinauf in das Gesicht des grünlichen Zombies, der neben ihm ein langgezogenes, müdes Gähnen von sich gab. Brian bemerkte, dass Oz ihn beobachtete, fing seinen Blick auf und erwiderte diesen seinerseits mit einem kaum sichtbaren, aber gutmütigen, stummen Lächeln. So umringt von seinen Freunden fühlte er, wie auch die letzte Kälte der vergangenen Nacht verschwand. Die Welt drehte sich weiter und er war alles andere als allein. In Anbetracht der Tatsache, dass es bereits später Vormittag sein musste als sie bei der Essensausgabe ankamen, erschien es ihm nicht weiter verwunderlich, dass außer ihnen keine weiteren Camper mehr hier waren. Vielleicht lag es aber auch daran, dass viele der Tische – trotz des Faktes, dass die Camp-Leitung ihre hölzernen Vorgänger wegen eines Zwischenfalls nach dem zweiten Tag gegen weniger entflammbare Exemplare ausgetauscht hatte – verdächtig verkohlt aussahen. Oz versuchte sich nicht zu sehr darüber zu wundern und genoss lieber diesen Moment der Normalität mit seinen Freunden. Zum Glück drängten sie ihn bislang nicht dazu über den gestrigen Abend zu reden. Brian kaute genüsslich an seinem Basilisken-Mayo-Sandwich als Vicky einen langen und theatralischen Seufzer ausstieß. Vor ihr lag ein Blatt Papier – eine Liste wie Oz bemerkte –, welche sie seit einer Weile schon anstarrte. „Nur noch heute“, murmelte sie gedankenverloren vor sich hin. Ihre blauen Augen schauten auf und der Reihe nach in die Gesichter der am Tisch sitzenden Monster. „Wisst ihr was das heißt?“, fragte Vicky in die Runde. „Das wir ab Morgen wieder richtiges Essen bekommen?“, fragte Brian, nachdem er seinen Bissen runtergeschluckt hatte. „Die Rückkehr zur Zivilisation~?“, warf Amira witzelnd ein. Oz schüttelte verwundert seinen Kopf, da er sich nicht sicher war, worauf Vicky genau hinaus wollte außer das Morgen nun einmal ihre Abreise aus Camp Spooky bevorstand. „Falsch!“, gab seine zusammengeflickte Freundin von sich, während sie mit ihrer kleinen Hand auf den Tisch klatschte. „Es heißt, dass wir nur noch einen Tag Zeit haben! Eigentlich nur noch einen halben. Und das wo ich noch gar nicht Alles erledigen konnte, was ich mir vorgenommen hatte!“ Oz zog seine dicken Augenbrauen verwundert in die Höhe, ehe er etwas dichter an Vicky rutschte und neugierig auf ihre lange Liste von diversen Camp-Aktivitäten schaute. Dreiviertel davon waren bereits fein säuberlich durchgestrichen. Trotzdem sah es nach einer kaum zu lösenden Aufgabe aus, die restlichen offenen Punkte alle an innerhalb weniger Stunden abzuarbeiten. „Du könntest die Liste auch einfach vergessen und heute lieber spontan sein“, schlug Amira vor, ehe sie an ihrem noch immer kochend heißen Kaffee nippte. „Aber was, wenn ich dadurch eine wichtige Erfahrung verpasse? Coach sagt uns doch immer, wie wichtig es für uns ist so viel auszuprobieren wie nur möglich! Damit wir zu Erwachsenen werden können, welche auch im Falle einer Bärenattacke nicht den Kopf verlieren. Uhm… nichts für ungut Brian.“ „Schon gut“, murrte er ohne es ihr Übel zu nehmen, bevor er sich noch über ein zweites Sandwich hermachte. War ja nur einmal passiert. Wortwörtlich. Zum Glück hatten sie seinen Kopf schnell und heil wieder zurückbekommen. Angespannt tippte Vicky mit ihrem Stift auf die Liste. „Vielleicht könnte ich sie wenigstens nach Prioritäten sortieren und… “ „Kann ich vielleicht helfen?“, Vicky schaute zu ihm auf, kaum dass seine Stimme in ihren Kopf drang. „I-ich meine nur… wenn du möchtest. Vielleicht wäre ich dir auch gar keine Hilfe dabei, aber falls doch… also… “, stotterte Oz, bereits wieder weniger von seiner Entscheidung überzeugt, vor sich hin. „Oz! Das wäre großartig!“, begeistert schaute sie zu ihm auf, hüpfte regelrecht auf ihrem Platz wobei ihre mit einer weißen Strähne durchzogenen schwarzen Haare im selben Rhythmus mitwippten. Im nächsten Moment sprang Vicky von der Bank auf. Sie schien bereit sofort loszulegen und drauf und dran die Richtung vorzugeben als sie in ihrer Bewegung inne hielt. „Aber… bist du sicher?“, sie wirkte auf einmal nicht mehr ganz so enthusiastisch. „Du musst dich nicht nach mir richten, falls du lieber Etwas anderes tun möchtest.“ Oz lächelte. „Ich habe für heute nichts geplant. Und es würde mir gefallen Zeit mit dir zu verbringen.“ „Na dann ist es abgemacht! Oh… “, als hätte sie ganz vergessen, dass ja auch noch Brian und Amira da waren, schaute sie zu den Beiden hinüber. Auf Vickys Gesicht war deutlich zu erkennen, welche Frage ihr auf den Lippen lag. Zugegeben war auch Oz neugierig ob ihre zwei Freunde bereits Pläne für den heutigen Tag hatten. Brian zuckte leichthin mit den Schultern. „Bin dabei“, antwortete er gewohnt knapp. „Du auch noch Brian? Ihr wollt ernsthaft… ? Urgh. Na fein. Ich mache mit! Aber lasst uns dann auch endlich anfangen. Sonst schaffen wir das nie Alles.“ Gemeinsam jagten sie über das großflächige Gelände vom Camp hinweg. Sie schafften es den Dom bis zum seinem hölzernen Gerüst, welches eine ausladende Kuppel formte, mit glitzerndem Schaum anzufüllen, wodurch ein großes Chaos unter den Teams im Inneren ausbrach, welche sich zuvor noch einen blutigen Wettstreit bei einer Runde Flaggenerobern mit Camp Rival geliefert hatten. Danach ging es sofort weiter zum Gebäude des Camp Hauptquartiers, wo sie an einem Kurs zum Knüpfen von Freundschaftsbändern teilnahmen. Oz und Amira ließen sich dabei von ihren handwerklich geschickteren Freunden helfen. Am Ende des Kurses hatte Jeder von ihnen es geschafft ein vorzeigbares Band zu knüpfen, welche sie vergnügt untereinander austauschten. Auf dem Weg zum See durchquerten sie das runtergekommene Geisterhaus, wo es ihnen gelang den lästigen dort herumlungernden Serienmörder mit Amiras Redekünsten lange genug abzulenken bis Brian sich von hinten an diesen heranschleichen und ihm mit einer antiken Stehlampe eine Überziehen konnte. Daraufhin konnten sie gefahrlos an der bewusstlosen Gestalt vorbeigehen. Keiner von Ihnen hatte heute die Zeit oder Lust sich mit diesem Typen länger zu befassen. Endlich am See angekommen, schlüpften sie in ihre Schwimmsachen, wobei Amira es bevorzugte sich lieber auf einem Handtuch am Sandstrand zu sonnen. Oz, Brian und Vicky hingegen stürzten sich in das angenehm kühle Wasser. Wie kleine Kinder tobten sie in dem See umher. Irgendwann brach zwischen ihnen eine kleine, harmlose Wasserschlacht aus. Mit gezückten Wasserpistolen, einer Gießkanne und einem Eimer überschütteten sie sich Gegenseitig mit dem sie umgebenden nassen Element bis sie vor Lachen kaum noch stehen konnten. Ihre Gesichter zierte ein ausgelassenes Lächeln und als sie den See endlich verließen waren sie klatschnass und auf angenehme Art erschöpft. Aber nicht zu erschöpft um Amira noch für eine Runde Beachvolleyball zu sich zu rufen, wofür die feurige Djinn nun gerne wieder bereit stand. Die Mädels schenkten ihnen Nichts, sodass er und Brian knapp verloren. Am Ende ihres Spiels war es Brian, der über etwas im Sand vergrabenes stolperte als sie zurück zu der Stelle wollten wo Amira sich gesonnt hatte. Neugierig schoben sie den Sand beiseite und legten eine hölzerne Oberfläche frei, die sie nur dazu brachte weiter zu graben. Sie hatten eine echte Schatztruhe gefunden! Amira kümmerte sich darum das verrostete Schloss aufzuschmelzen, bevor sie den Deckel öffneten und darin einen Vorrat alter und dem Datum nach abgelaufener Kekse fanden, welche sie trotzdem gemeinsam aßen. Oz ließ sich in den Sand zu seinen Freunden fallen. Sich nach der ganzen Aufregung in dem von der Sonne aufgewärmten Sand auszuruhen, fühlte sich einfach wundervoll an. Seine Schwermütigkeit von heute Morgen kam ihm jetzt so unendlich weit weg vor. Er drehte seinen Kopf ein wenig um zu sehen, wie Vicky – mit noch immer etwas feuchten Haaren – ihre Liste in den Händen hielt. Ein heiteres Grinsen zierte ihr rundliches Gesicht. Oz war mittlerweile bewusst, dass seine Freunde das Alles heute nur für ihn geplant hatten. Ein Tag gefüllt mit ungefährlichen, lustigen und ganz normalen Aktivitäten, die er mit ihnen genießen durfte. Diese verrückten, wundervollen Monster, dachte Oz glücklich. „Das hat wirklich Spaß gemacht“, übertrug Oz seinen Gedanken mit sanfter Stimme und sehr glücklich klingend in die Köpfe seiner drei besten Freunde. Einige seiner Phobien stimmten ihm mit fröhlichem Quieken zu. Auch sie waren im Laufe des Tages wieder deutlich mobiler und munterer geworden. „Wenn dir das schon gefiel, dann warte ab, was ich noch geplant habe!“ Oz lachte sanft, deutete Vicky aber mit seinen Händen kurz inne zu halten. „Ist schon gut. Ihr habt schon so viel für mich heute getan. Es geht mir wieder gut. Danke. Für Alles heute.“ „Du hast es gemerkt?“, fragte ihn das kleinere Frankensteinmonster ehrlich überrascht. „Dabei hatten wir uns extra Mühe gegeben“, gab Amira seufzend und die Hände über den Kopf schlagend von sich. Brian hingegen schmunzelte still in sich hinein bevor er ein leises: „Hab’s euch ja gesagt“, nuschelte. Vicky schien dennoch ein wenig enttäuscht zu sein, dass ihr so ausgeklügelter Plan aufgeflogen war. Oz hätte nicht glücklicher sein können. Wie könnte er auch nicht, bei all der Zuneigung, welche seine Freunde ihm entgegenbrachten? Er zog Vicky und Brian, welche ihm am Nächsten saßen an sich, während seine kleine Phobien Amira aufgeregt zwitschernd deuteten, sich der Gruppenumarmung anzuschließen. Die dunkelhäutige Djinn wirkte kurz verlegen, schüttelte dies aber schnell ab und stürzte sich mit ausgebreiteten Armen und einem entschlossenen Grinsen auf sie. Niemand musste etwas sagen als sie die Gruppenumarmung einfach schweigend genossen. Oz würde seine drei Freunde und die mit ihnen verbrachte Zeit für immer in seinem Herzen bewahren. Ganz gleich wie lange sein unsterbliches Leben andauern würde. Ausnahmsweise war es seine eigene Stimme, die das Schweigen zuerst durchbrach. „Darf ich… also, ich meine, wäre es möglich, dass ich noch einen letzten egoistischen Wunsch äußere?“ Neugierig schauten Vickys klare, blaue Augen zu ihm auf und mit einem enthusiastischen Nicken deutete sie ihm an ruhig weiterzusprechen. Brian nickte ihm hingegen kaum merklich, aber auf seine Weise genauso aufmunternd zu. Wobei er irgendwie leicht amüsiert darüber wirkte, dass ausgerechnet Oz sich als egoistisch bezeichnet hatte, wo er doch sonst nur selten aussprach was er gerne wollte. „Hau einfach raus. Keine Zurückhaltung, du weißt doch, dass du uns alles sagen kannst!“, ermunterte Amira ihn und wuschelte ihm kräftig, aber liebevoll durch seine schwarzen Haare. Nun… da keiner seiner Freunde Einwände hervorbrachte, nahm Oz seinen Mut zusammen. „Also, ich würde gerne… “ Frisch in die Rinde einer großen alten Eiche geritzt, standen unter den drei Buchstaben B.F.F., vier Namen. Irgendwann würden sie wieder hierherkommen, sich an diesen Tag erinnern und gemeinsam lachen. So wie sie es auch heute taten. Die Sonne senkte sich bereits langsam dem Horizont entgegen als sie den Campingplatz erreichten. Oz wusste, dass seine Freunde für heute Abend schon Pläne hatten. Brian wollte mit Calculester und Vicky mit Scott den heutigen Meteorschauer beobachten. Amira hingegen zog es mehr zu der Camp-Abschlussfeier, die sich gewiss bis in die frühen Morgenstunden ziehen würde. Sie hatte ihn bereits gefragt ob er sich ihr nicht anschließen wollte. Doch Oz hatte sich für heute genug ausgepowert. Seine Batterie für soziale Interaktionen war ziemlich erschöpft und sich in diesem Zustand in das Getümmel von feiernden, betrunkenen und lautstarken Monstern zu werfen, erschien ihm nicht sonderlich klug. Kenne deine Grenzen, wie es so schön hieß. Entsprechend hatte er das freundliche Angebot abgelehnt. Und… zum Glück gelang es ihm seinen Freunden zu versichern, dass er seine restliche Zeit schon genießen würde. Tatsächlich hatte Oz vor sich ein ruhiges Plätzchen zu suchen um von dort aus ebenfalls den Meteorschauer zu betrachten. Einfach irgendwo inmitten der Natur, alleine, seine Seele baumeln lassen und das Schauspiel genießen ohne sich zu viele Gedanken zu machen. Das klang nett. Oz war tief in den dunklen Wald hinein gewandert, das Licht einer Taschenlampe leuchtete ihm und seinen Phobien den Weg, obwohl er sicherlich auch ohne sie zurechtgekommen wäre. Doch wie an so viele Dinge, hatte er sich einfach daran gewöhnt eine Lichtquelle zu nutzen, wenn es dunkel wurde. Dabei wusste er genau wohin ihn seine Füße führten. Er hatte diesen besonderen Ort bei einem seiner nächtlichen Spaziergänge vor einigen Tagen entdeckt. Der Lichtkegel seiner Lampe huschte über im Wind raschelndes Laub, lange verworrene Äste und alte knorrige Baumstämme. Und obwohl sie befremdliche Schatten warfen, verspürte er im Moment keine Angst. Im Gegenteil er fühlte sich sogar ziemlich ruhig. Die Natur in all ihren verschiedenen Facetten bereitete ihm selten Angst. Lebewesen – vor allem Denkende – waren eine ganz andere Geschichte. Sie waren chaotisch, konnten irrsinnig handeln, auf eine unlogische, destruktive Weise. Und es gab so Vieles vor dem sie sich fürchteten. Und all diese Ängste konnte er wahrnehmen – und viel erschreckender noch, nachfühlen –, wenn er es zuließ. Dazu kamen dann seine eigenen Ängste, sobald er versuchte seinen Platz in dieser chaotischen Welt namens Gesellschaft zu finden. Wahrscheinlich fühlte er sich deswegen hier draußen so gelassen. Hier gab es nur ihn. Ein wenig wie früher. Obgleich er ganz bestimmt nicht in die Tage dieser Einsamkeit zurückkehren wollte. Nein, auf keinen Fall. Vor ihm lichtete sich das Dickicht. Vorsichtig stieg er über einen umgestürzten und entwurzelten Baum hinweg auf dem dunkelgrünes Moos wucherte und trat auf eine in Sternenlicht getauchte Lichtung hinaus. Ein kleines Bachrinnsal plätscherte in der Nähe, versteckt zwischen einigen Büschen und kleinen Setzlingen. Im Zentrum der Lichtung lag ein flacher mit Gras überwachsener Hügel auf dem sich geschlossene Wildblumen in der lauen Sommerbrise wiegten. Er schaltete das Licht seiner Taschenlampe aus. Behutsam lief Oz den kleinen Hügel hinauf, welcher ihn den wolkenlosen Nachthimmel mit seinen abertausenden Sternen noch ein Stück näher brachte. Mit einem zufriedenen Seufzen ließ er sich in das weiche Gras fallen, die Augen auf den unendlich weiten Sternenhimmel über ihn gerichtet. Seine Hände ruhten entspannt auf seinem Bauch als sein Blick über die verschiedenen Konstellationen am Himmel wanderte. Es fühlte sich so vertraut an, wann immer er hinauf sah. Einige dieser Sterne waren so alt, wie er selbst. Schon damals hatte er sie beobachtet. Nicht in vollem Bewusstsein, so wie jetzt. Ein Bewusstsein zu besitzen war noch relativ neu für ihn. Zumindest an seinem eigentlichen Alter gemessen. Aber er erkannte sie dennoch von damals wieder. Und dann gab es da Sterne, die Neu waren oder jene, die es nicht mehr gab. Deren Licht bereits verloschen war und diese Welt nicht mehr erreichte. Dennoch genoss er diesen Anblick aus vollstem Herzen. Altes und neues Leben im selben Universum existierte dort oben Seite an Seite. Oz ließ es zu das seine Erinnerungen ihn einige Jahrtausende zurückführten. In eine Zeit der ruhelosen Wanderschaft als stiller Beobachter. Eine Zeit und Welt in welcher die Stimme der Natur noch lauter zu hören war als heute. Wie lange er dort im Gras lag, ohne zu blinzeln und empor in den Himmel schaute, konnte Oz nicht sagen und er wollte auch gar nicht darüber nachdenken. Er lauschte dem Wind, dem Rascheln der Baumkronen, dem Rauschen, welches durch das sich wiegende Gras und die Blumen fuhr. Das verdächtige Knacken eines zertretenen Zweiges mischte sich in die Geräuschkulisse und hallte viel zu laut durch diese natürliche Stille. Angespannt lauschte er in die Nacht hinein. Vielleicht handelte es sich nur um ein Tier. Ein Hase oder ein Hirsch – vielleicht auch ein Bär -, die durch den dunklen Wald wanderten. Schritte. Kein Tier. Er hätte sich aufrichten können um nachzusehen, aber stattdessen blieb er einfach reglos liegen. Nicht aus Angst, wie er feststellte. Er hatte nur schlicht keine Lust dazu. Sich dem Himmel entgegenreckende Grashalme gaben unter den stampfenden, festen Schritten des Eindringlings nach und wurden gen Erdboden gedrückt, wo sie geknickt und leblos liegen blieben. Ozs Phobien gerieten in Aufruhr als die Schritte immer deutlicher zu hören waren. Sie reckten ihre kleinen Köpfe und lugten über Ozs Schuhspitzen und über hohe Grashalme hinweg zu der sich nähernden Gestalt. Bei Sichtkontakt legten einige von ihnen ihre Stirn in Falten – unschlüssig darüber was sie von dem herannahenden Besucher halten sollten. Endlich! Endlich hatte er ihn gefunden. Alleine. Und nicht wieder, wie so oft heute, von seinen Freunden umringt. Das wurde aber auch verdammt nochmal Zeit! Mit weiten, ungeduldigen Schritten stapfte Damien auf die beinahe leblos im Gras liegende Gestalt zu. Hätten sich nicht diese kleinen Dinger auf Oz bewegt, hätte er fast noch geglaubt der Noob wäre hier draußen verreckt. Der Gedanke wirkte beunruhigender auf ihn als er sollte und so schob er ihn schleunigst wieder in das Loch zurück aus dem er gekrochen war. „Hab ich dich endlich erwischt!“ Seine Stimme erfüllte die Stille des Waldes, wie der Lärm einer Baustelle auf Hochbetrieb, welche durch die geschlossenen Fenster einer Schule drang in der gerade eine Klausur geschrieben wurde. Unaufhaltbar, durchdringend, laut. Er war nicht zu überhören. Oder zu übersehen. Damien hatte ihn. Zuerst verspürte er eine gewisse Genugtuung darüber sein Ziel erreicht zu haben. Blöderweise dauerte es nicht lange an. Ratlosigkeit machte sich in ihm breit. Damien hatte sich zwar felsenfest vorgenommen Oz aufzuspüren, aber bisher keinen Gedanken daran verschwendet was er jetzt mit ihm tun sollte. Verprügeln oder in Brand setzen waren Ausnahmsweise nicht die Lösungen seiner Probleme. Er hielt vor Ozs Kopf an. Seine goldgelben Augen glänzten hell in der Dunkelheit als er hinab in das schwarze Gesicht seines Mitschülers blickte, der ihn nur ausdruckslos ansah. Damien konnte nicht sagen was in Oz gerade vorging und das beunruhigte ihn. „Was willst du?“, fragte Oz ihn mit ungewohnt monoton klingender Stimme. Damiens mieses Gefühl nahm weiter zu, ließ einige Alarmglocken in seinem Hinterkopf auf schrillen, wie die Sirenen der Cops, die ihm so oft nachjagten, wenn er Mal wieder eine ihrer Polizeistationen in die Luft gejagt hatte und dafür in Schwierigkeiten steckte. Mehrere kleine Phobien schauten ihn skeptisch an oder hatten sogar den Nerv ihre winzigen Gesichter demonstrativ von ihm abzuwenden, sobald seine Augen sich auf sie richteten. Was zur Hölle? Bei Jedem Anderem wäre es jetzt normalerweise sein erster Impuls gewesen eine Abwehrhaltung einzunehmen, demjenigen klar zu machen, dass es ihn gar nichts anging was er hier machte und das Ganze mit einem Schlag in die Magengrube zu untermauern. Dummerweise musste Damien sich nicht einmal Mühe damit geben diesen Drang zu unterdrücken, weil… weil er nicht da war. Der Gedanke dem schmächtigen Monster unter ihm eine reinzuwürgen käme ihm nie. Na ja, gut, vielleicht hatte er irgendwann einmal daran gedacht. Aber das war gewesen bevor er Oz kennengelernt hatte! Und er hatte es ja nicht getan, also galt das nicht! Und es lag auch nicht daran, dass Oz ein Schwächling war. Er hatte schon größere Waschlappen verprügelt. Jeder besaß gleichermaßen das Recht sich von Damien LaVey verdreschen zu lassen. Damien war sich halt bei Oz nur sicher, dass es sich nicht gut anfühlen würde. Na ja, spätestens nach gestern wusste er, dass er mit dieser Vermutung richtig lag. Er hatte Oz zwar nicht physisch verletzt, dummerweise machte es das allerdings nur noch schlimmer. Urgh, verdammte Scheiße! Wieso setzte er immer Alles, aber auch wirklich Alles in den Sand, sobald es um emotionale Bindungen ging? Es bedurfte keiner Anstrengung um zu fühlen, dass irgendwas mit Damien nicht stimmte. Er verhielt sich nach seinem erst lautstarken Auftritt jetzt zu still, zu ruhig. Irgendwas machte dem Dämonenprinzen Angst. Oz fühlte es in seinem ganzen Wesen, allerdings war er nicht gewillt tiefer zu forschen was den sonst so selbstbewussten Rowdy derzeit so sehr verunsicherte, dass er immer noch keine Antwort hervorbrachte. Damien sah nicht aus als würde er ihm bald sagen, was er hier wollte. Fein. Dann würde er das halt selbst übernehmen. Oz konnte sich ja bereits denken warum Damien ihn gesucht hatte. Es lag auf der Hand. Damien wollte nur sichergehen, dass seine Ansage von gestern auch bei ihm angekommen war. Wahrscheinlich würde er ihm noch einmal offiziell die Freundschaft kündigen oder… was auch immer das zwischen ihnen gewesen war. Zum Einem machte ihn das wütend, auf der anderen Seite fühlte er sich zu erschöpft um dieser Wut richtig Ausdruck zu verleihen. Und eigentlich… eigentlich war er einfach nur enttäuscht und traurig. Die Gefühle von gestern Abend wallten wieder in ihm auf, fühlten sich genauso intensiv an wie zuvor. Und das, wo er sie doch bis eben hatte vergessen oder wenigstens verdrängen können. Widerwillig richtete Oz sich ein wenig auf, drehte seinem Gesprächspartner damit aber auch den Rücken zu. Niemand – selbst Damien nicht – könnte ihn dazu zwingen ihn direkt ansehen zu müssen, wenn er das Unausweichliche aussprach. „Du musst es mir nicht extra sagen“, stellte Oz noch immer mit viel zu ruhiger und gleichklingender Stimme fest. Sein Körper war angespannt, wäre er das nicht würde er sicherlich zerfallen. Jedenfalls fühlte es sich danach an. Musste er nicht? Damien sah verwundert auf den Hinterkopf und die zerzausten schwarzen Haare des vor ihm sitzenden Monsters. „Ich weiß auch so, dass ich ein naiver Dummkopf bin, der nur dazu da war um dir ab und an aus der Patsche zu helfen und nichts weiter.“ Was? Damien verschlug es die Sprache. Aber er hatte doch nicht… er war doch nicht… oh fuck. Er hatte Oz in jede Menge seiner Probleme gezogen, nicht wahr? Er schluckte schwer. Irgendwie hatte er nie darüber nachgedacht ob er dem Kurzen dafür auch genug gedankt hatte. Stattdessen war er von der Annahme ausgegangen, dass Oz das gerne für ihn machte und es ihm auch Spaß machte seine Zeit mit ihm zu verbringen… und fuck… fuck, fuck. Wann hatte er Oz bitteschön, das letzte Mal gefragt was er gerne tun würde? Er hatte ihn doch nicht absichtlich ausnutzen wollen! Unaufhaltsam drang die Stimme seines gekränkten Gegenübers weiter in seinen Kopf ein, während die Panik in ihm weiter und weiter zunahm. „Und ich habe begriffen, dass ich, so wie ich eben bin, niemals gut genug in deinen Augen sein werde.“ Ein Stich mitten in sein Herz. Diese Worte klangen so resigniert. So endgültig. Was hatte er nur angerichtet? „Ja, ich bin weder besonders cool, noch taff oder sonderlich lustig. Ich habe mich diesen Sommer bemüht, wirklich bemüht, ein wenig an mir zu arbeiten. Nicht für Andere, nicht für dich, sondern einfach weil ich es selbst wollte. Weil ich mich nicht immer bei jeder Kleinigkeit selbst ausbremsen möchte. Aber… mir ist auch bewusst, dass das eben nie reichen wird um mit dir mitzuhalten.“ Es war kaum zu ertragen. Er wollte sowas von Oz nicht hören. Es fühlte sich an als würden Ozs so hoffnungslose Worte ihm das Herz zerfetzen. Am liebsten hätte er ihn gepackt und ihm ins Gesicht geschrien, dass das nicht stimmte! Dass Oz sich nicht so klein zu machen brauchte. Aber er schaffte es nicht auch nur einen Laut hervorzubringen. Er wollte nicht hören, was seine dämlichen, unbedachten Worte angerichtet hatten. Er wollte schreien und brüllen, aber ihm blieb einfach die Luft weg, die kaum zum Atmen ausreichte, so eng wie sein Hals sich anfühlte. Erbärmlich. Er war erbärmlich und verwünschte seine eigene Schwäche in diesem Moment. „Ich bin eben ich. Und wenn das nicht genug ist, dann ist es wohl so. Wenn dieses genug nicht einmal reicht, damit du sagen kannst, dass wir Freunde sind und vor deinen Eltern so tust als wäre ich Jemand für den du dich nicht schämen musst, indem du irgendeinen Persona erfindest, dann… “ Als würde ihm Jemand gerade eine Klinge in seine verfickte Brust rammen. Immer und immer und immer wieder. Nicht genug. Nicht gut genug. Oz verstand es, wurde ihm nun schmerzlich bewusst. Er kannte dieses schreckliche Gefühl, das Damien so quälte, wenn er versuchte sich seinen Eltern zu beweisen. Und ausgerechnet er hatte dieses Gefühl an Oz weitergereicht. Grauen machte sich bei dieser Erkenntnis in ihm breit. Er hielt sich eine Hand unbewusst vor den Mund, welche kurz darauf kraftlos wieder sank. Fuck. Ihm wurde entsetzlich schwer ums Herz. Er wollte nicht, das Oz so über sie dachte und erst recht nicht über sich selbst! Das hatte er nicht gewollt. Damien flehte innerlich dafür, dass Oz nicht weiterreden würde. Das er es nicht aussprechen würde. Es musste aufhören. Halt. Bitte… „… ist es wahrscheinlich besser, wenn du mich in Zukunft einfach ignori-“ Oz verstummte mitten im Satz. Er war so auf seine negativen Gedanken fokussiert gewesen, dass sein urtümlicher Instinkt jetzt erst ansprang. Blanker Terror lag in der Luft, schwappte wie eine Welle gegen seinen Rücken, aber es war nicht seine eigene Angst, die er hier wahrnahm und das verwirrte ihn. Immerhin tat es weh. Jedes einzelne Wort hatte ihn weiter an den Rand des Abgrunds getrieben. Der unumstößlichen Wahrheit entgegen, welcher er sich doch hatte stellen wollen. Aber jetzt, jetzt hatte er einige Schritte vor der Kante inne gehalten. Irgendwie war das vage Gefühl der Unsicherheit, dass von Damien zuvor ausgegangen war um ein hundertfaches angewachsen. Es lenkte Oz von seinem eigenen Schmerz ab, ließ seine Gedanken aufklaren, aber zugleich sich auch auf andere Weise verstricken und verheddern, wie ein Wollknäuel. Wie erstarrt saß er da, wusste nicht recht was er davon halten sollte, wagte es aber auch nicht hinter sich in das Gesicht des Dämons zu blicken. Was bedeutete diese plötzliche Ansammlung purer Angst? Leicht panisch prüfte Oz ob er nicht versehentlich in seinem Zustand der Resignation seinen Kräften freien Lauf gelassen hatte und damit seine Umgebung – Damien – beeinflusste. Das war ihm zwar schon lange nicht mehr passiert, aber… nein. Nein, das war es nicht, stellte er ein wenig erleichtert fest. Dieser Teil von ihm ruhte immer noch tief in ihm ohne sich zu regen. Er hörte ein dumpfes Geräusch. Als ob etwas Schweres zu Boden ging. Erschrocken zuckte Oz zusammen und lugte nun doch vorsichtig über seine Schulter hinweg was sich hinter ihm abspielte. In Damiens Gesicht spiegelte sich Entsetzen wieder. Er wirkte aufrichtig geschockt, eine gewisse Hilflosigkeit lag in seinem Blick und die sonst so hell lodernden, bernsteinfarbenen Augen waren stark geweitet. Sein Mund öffnete sich, deutete die Reihen raubtierhafter Zähne an, schloss sich aber sogleich wieder als wüsste er nicht was er sagen sollte. Oz konnte sich nicht daran erinnern jemals zuvor einen solch hilflosen Ausdruck in Damiens Gesicht gesehen zu haben. Er sah aus als stünde er unter einem Schock. Sollte dabei nicht er derjenige sein, der unter Schock stand, wunderte sich Oz. Der Anblick irritierte ihn ungemein. Damien sollte nicht so kraftlos wirken. So verletzlich. Er sollte gerade und selbstbewusst dastehen und Jedem ins Gesicht lachen, der glaubte es mit ihm aufnehmen zu können. Scheiße! Scheiße… verdammt… Er hatte auf ganzer Linie versagt, nicht wahr? Wieso konnte er sich nicht einmal zusammenreißen? Ein wenig zügeln? Wenigstens für dieses eine Monster vor ihm? Für Oz, der immer für ihn dagewesen war. Er wusste es doch eigentlich besser. Damien wollte etwas sagen, biss sich dann aber wieder auf die Lippen. Fuck. Los verflixt noch mal! Nicht kneifen! Wenn er jetzt nichts tat war es ganz sicher vorbei. Wenn er jetzt nicht über seinen beschissenen Stolz oder seine Zweifel hinwegkam, dann verlor er Oz ganz sicher, wenn er das nicht sowieso schon hatte. Sich trotzig durch den Schmerz und die Angst hindurchkämpfend, wobei er Beides nicht vollkommen abzuschütteln schaffte, gelang es ihm wenigstens seinen Mund zu bewegen. „Bitte.“ Es klang beinahe wie ein Flehen. Oz starrte den Dämon mit geweiteten Augen an. Damien LaVey stellte keine Bitten und er flehte auch nicht. Aber genau das tat er gerade. „Hör mir zu… ich weiß nicht ob ich das… das was ich dir sagen will so gut ausdrücken kann. Aber bitte hör es dir an.“ Damiens Stimme klang so leise. Als wäre er furchtbar weit von ihm entfernt. Und das obwohl er doch kaum einen halben Meter hinter ihm auf dem Boden kniete. Als wäre er ein gefallener Soldat. Tödlich verwundet in einer Schlacht von der Oz nicht wusste, wann und wo sie stattgefunden hatte. Aber Oz hörte heraus, wie wichtig es ihm war. Er zögerte dennoch einen Augenblick. Würde er es aushalten? Oder würde er zerbrechen, wenn er Damiens Wunsch nachkam und Dinge hörte, die ihn in Stücke reißen würden? Er… ja, er würde sich dem stellen. Oz nickte seinem Gegenüber zu. Das musste reichen. Damien hielt den Atem an. Und fühlte wie er Luft holte als er die kleine Bewegung von Ozs Kopf sah. Ein zaghaftes Nicken. Ein Zeichen, dass er weiterreden durfte. Seine Hände fuhren fahrig durch seine Haare und er brauchte einen kleinen Moment seine Gedanken zu sortieren. Wo fing er nur an? Nein, es war klar womit er anfangen musste. „Ich war ein riesengroßes Arschloch.“ Einige von Ozs Phobien warfen ihm skeptische Blicke zu. „Ich meine ich bin ein Arschloch“, nicht dass das Etwas Neues war. Normalerweise war er ja darauf auch Stolz. Aber nicht heute. Nicht in dieser Situation. „Und verdammt… dieses Zeug was ich gesagt habe, das war ein Haufen Mist. Ich hab meine Wut einfach an dir ausgelassen, wie ein… ein gigantisches dummes, wütendes Riesenbaby. Und das obwohl du gar nicht derjenige warst auf den ich so wütend war. Eigentlich… “, er stockte kurz. Holte noch einmal tief Luft ehe er weitersprach. „Eigentlich war ich auf mich selbst wütend“, gestand Damien nicht nur Oz, sondern auch sich selbst gegenüber endlich ein. „Ich weiß, eine Entschuldigung macht es nicht wieder gut. Dafür hab ich zu großen Mist gebaut. Trotzdem. Es tut mir Leid.“ Das reichte nicht. Das würde bei Weitem nicht ausreichen. Nicht bei dem Schaden, den er angerichtet hatte. Oz verstand immer weniger. Damien entschuldigte sich bei ihm? Nicht sonderlich geschickt, aber… er versuchte es zumindest? Es verunsicherte ihn. Meinte Damien es wirklich ernst? Er… er sah nicht so aus als würde er ihn anlügen. Aber Oz hatte Angst davor was wäre, wenn er sich doch irrte. Er wollte nicht wieder so verletzt werden. Was wenn es nur eine Laune war und… er sah Damien erneut ins Gesicht, dachte an all die Stunden und Tage zurück, die sie gemeinsam verbracht hatten. Das Gestern… es war das erste Mal gewesen, dass Damien ihn so angefahren hatte. Obwohl der launenhafte Höllenprinz dafür bekannt war sogar gegenüber seinen Freunden ausfallend zu werden oder diese von Zeit zu Zeit skrupellos in Schwierigkeiten zu bringen, hatte Damien ihm nie etwas angetan. Oder ihn angeschrien. Oder ihn verprügelt. Hatte er ihn in Schwierigkeiten gebracht oder in Gefahr? Mehr als einmal, ja. Aber nicht vorsätzlich und wenn hatte der leichtsinnige Höllenprinz auf ihn aufgepasst. Oz hatte sich überraschend selten verletzt, wenn er mit Damien in dessen abstruse Abenteuer oder Verbrechen gezogen worden war. Deshalb hatte er ihm bislang auch vertraut. In Oz jagte ein Gedanke den Nächsten. Was passierte hier gerade? „Du bist weder ein Loser, noch ein Versager oder ein Noob.“ Ob Damien sich wohl bewusst war, dass diese Wörter eigentlich alle dasselbe meinten? „Es ist mir nicht peinlich mit dir befreundet zu sein. Fuck. Wenn du möchtest schreie ich es der ganzen Welt entgegen! U-und auch meinen Eltern.“ Ein leichter Hauch von Pink legte sich bei der letzten Bemerkung über Damiens rotes Gesicht. „Ich meine… scheiße nochmal Oz, du bist Eins der schlausten Monster die ich kenne! Du hast immer irgendeine Lösung oder Antwort parat. Und auch an diesem Tag hast du… richtig gehandelt. Obwohl ich dich in diesen Dreck reingezogen habe und in Panik diesen Mist erzählt habe, dass du wüsstest wie man einen neutro… nero… “, Damien haspelte etwas wegen des Wortes. „Neurochirurgisch“, half Oz ihm aus. „Uhm, genau, also… obwohl ich sagte du wüsstest wie man diesen neurochirurgischen Eingriff durchführt, hast du schlau gehandelt indem du den Kerl sofort in ein Krankenhaus verfrachtet hast.“ Wieder wurde Damien etwas verlegen. „… meine Eltern danken dir dafür im Übrigen. Und… lassen dir freundliche Grüße ausrichten oder so.“ Damien schien die ganze Geschichte ehrlich peinlich zu sein. Kurz sah es danach aus als hätte Damien den Faden verloren, ehe er sich wieder besann wo er stehen geblieben war. „Was ich sagen will… ich finde es cool, wie du dir über Alles Gedanken machst. Zur Hölle, ohne dich, hätte ich mich doch bei meinen Plänen schon ein dutzend Mal selbst in die Luft gesprengt. Und das auf die nicht coole, sondern schmerzhafte Art. Aber du hast mir immer zugehört, ganz egal wie dumm oder schlecht durchdacht mein Plan war, du hast es ernst genommen und es zum Funktionieren gebracht.“ Ein klein wenig Bewegung kehrte in Damiens Schweif zurück, der bislang leblos und schlaff hinter ihm auf den Boden gelegen hatte und jetzt von einer Seite auf die andere schwang. „Und ich weiß auch, wie viel Überwindung es dich kostet über deinen Schatten zu springen, weil du dir halt über alle möglichen Dinge Sorgen machst oder dich deine Ängste ausbremsen. Und am liebsten würde ich sie anbrüllen oder verprügeln bis sie dich in Ruhe lassen, aber so funktioniert das blöderweise ja nicht. Und deswegen ist es umso krasser, dass du dich immer wieder in diesen Kampf wirfst und dich dem entgegenstellst. Und ehrlich, was bitte könnte es mutigeres geben als Jemanden der trotzdem weitermacht und eben nicht aufgibt?“ Ein wenig von dem Leuchten kehrte in Damiens Augen zurück als er über all diese Dinge redete, die er an ihm mochte. Und Oz wusste nicht wo ihm überhaupt noch der Kopf stand. Er fühlte sich seltsam geschmeichelt, gleichzeitig unglaublich verlegen, wollte zugleich am liebsten losweinen oder erleichtert lachen? Es war ein einziges großes Durcheinander. Aber nein, er hatte nicht länger das Gefühl, dass Damien ihn belog. Abgesehen davon, dass der gehörnte Dämon ein furchtbar schlechter Lügner war, kannte Oz ihn lange genug um es in seiner ganzen Körperhaltung und Mimik zu sehen. Er hörte es auch am Klang seiner Stimme. Und wie warm und freundlich sie sich anhörte als er von ihm zu reden begann. All das ließ die dunklen Schatten, welche sich um sein Herz gelegt hatten zurückweichen. Trotzdem verwirrte ihn diese Tatsache. Wenn Damien nicht log und all das ernst meinte, warum hatte er dann überhaupt erst diese Lüge erfunden? „… warum hast du dann… deine Eltern angelogen?“ Oz wollte – musste – es wissen. Damien hatte bislang nicht genau gewusst ob er Ozs Schweigen als gutes oder schlechtes Schweigen ansehen sollte. Doch jetzt stellte sein mundloser Mitschüler ihm eine Frage. Die Worte zerschnitten förmlich die Luft. Oder seine Gedanken? So oder so, schien es ihm ein gutes Zeichen zu sein, dass Oz ihm diese Frage stellte. Obgleich ihn diese unweigerlich zum Schlucken brachte. Sein Schweif peitschte ein wenig unruhig hinter ihm durch die Luft und für einen Moment wanderten seine gelben Augen ziellos über die dunklen Bäume, ehe sie sich wieder auf Oz richteten. Es war eindeutig, dass Damien die Frage unangenehm war. Aber Oz würde sie nicht zurückziehen. Hatte er nicht ein Recht darauf es zu erfahren? Umso überraschter stellte er fest, das Damiens dunkle, rote Haut abermals ein wenig pink anlief. Verwundert hob Oz seine linke Augenbraue ein wenig an. „Das… urgh. Das ging schon länger so. Ich… “, Damien schnaufte ein wenig frustriert, wobei das nicht Oz galt. Es war einfach so peinlich darüber zu reden. Er überlegte angestrengt, wie er Oz diesen ganzen Wirrwarr nur erklären könnte. Es führte ja immerhin kein Weg daran vorbei. „… hab mir diese ganze blöde Geschichte schon lange bevor wir uns kennengelernt hatten, ausgedacht. Einfach, weil sie mich dauernd gefragt haben ob ich nicht Jemanden hätte und all das. Irgendwann ging mir diese dauernde Fragerei so auf die Nerven, dass ich gesagt habe, dass es halt da wen gibt. Ich hab einfach den erstbesten Namen rausgehauen, der mir einfiel!“ Selbst ihm war klar, dass sich Cool Josh, wie ein Name anhörte, den sich ein Grundschüler ausgedacht hatte. „Na ja, ne Weile waren sie damit soweit zufrieden. Aber dann wollten sie eben Details wissen. Sowas wie: Was macht ihr jungen Leute so um eure Freizeit zu verbringen? Wie ist denn dein Freund so? Was für Interessen hat er?“ Damien gestikulierte genervt mit seinen Händen, während er redete. Das Thema regte ihn immer noch auf. Diese ganzen megapeinlichen Gespräche mit seinen Eltern hatten ihn oft zur Weißglut getrieben. Und den Berg an Lügen weiter anwachsen lassen. „Also hab ich irgendwas erzählt. Dinge von denen ich dachte das… na ja, nicht so wichtig. Vorerst waren sie damit zufrieden und es wurde wieder ruhiger. Das war noch im ersten Jahr der High School.“ Also ging diese ganze Geschichte mit Damiens imaginärem “Freund“ schon viel länger. Oz faltete seine Hände ineinander und dachte über diese neuen Informationen nach. Eine Lüge, die man so lange aufrechterhielt, ließ man nur schwerlich fallen. Sie machte sich selbstständig und mit der Zeit wurde es immer und immer schwerer die Wahrheit auszusprechen. Besonders jenen gegenüber die einem am Herzen lagen. Oz verstand das. Sehr gut sogar. Er selbst hatte diese Erfahrung bereits durchlebt und fast ein Jahr lang geglaubt seinen Freunden gegenüber verbergen zu müssen wer er wirklich war. Oder viel mehr, was er war. Entsprechend sah er den Dämon vor sich mit Verständnis an. Damien sah Oz direkt an und war froh als dieser seinem Blick nicht länger auswich. Seine angespannten Muskeln entspannten sich, bevor er weiterredete. „Und dann kamst du. Hast dich getraut mich während der Pausen anzusprechen. Hast mir aus der Klemme geholfen, wenn die Schulleitung mir Mal wieder am Arsch klebte wegen irgendeiner lächerlichen Kleinigkeit.“ Unweigerlich schlich sich ein leichtes Grinsen in sein Gesicht als er daran dachte. Oz hatte ihm echt oft aus der Patsche geholfen und das wo der kleine Nerd ansonsten immer so ein Musterschüler war. Ein Musterschüler, der auch eine kleine rebellische Seite in sich trug. Oz war bereits in seinem ersten Jahr an der Spooky High auf den dämonischen Brand- und Unruhestifter aufmerksam geworden. Was nicht besonders schwer gewesen war, so sehr wie Damien eben hervorstach. Aber erst im zweiten Schuljahr hatte er begonnen sich mehr für ihn zu interessieren und endlich den Mut gefasst auch etwas direkter auf den Prinzen des achten Höllenzirkels zuzugehen. Und das eine oder andere Mal war er schlicht aus Versehen in einen von Damiens Streichen hineingeraten. „Jedenfalls“, räusperte Damien sich um mit seiner Erklärung fortzufahren. „Fand ich es damals schon ulkig, dass ausgerechnet du dich mir genähert hast. Nimm‘s mir nicht übel. Aber von deinen Freunden bist du immerhin normalerweise der Ängstlichste und Schüchternste. Und du bist für gewöhnlich auch nicht so abenteuerlustig. Du stehst nicht gerne im Mittelpunkt. Und trotzdem bist du auf mich zugekommen.“ Das hatte ihn schon immer ein wenig gewundert, obgleich er sich am Anfang wenig deswegen gedacht hatte. Im Grunde schienen sie auf den ersten Blick nichts miteinander gemein zu haben. Und dennoch… dennoch hatte Oz seinen Weg in sein Leben gefunden. Damien wusste nicht genau warum, aber er wusste tief in seinem Inneren, dass er Oz nicht mehr in seinem Leben missen wollte. Deswegen hatte er ihn ja schließlich gesucht. Der kleine, schüchterne Streber war für ihn zu einer beruhigenden Konstante in seinem chaotischen Leben geworden. Jemand auf den er sich verlassen konnte. Dem er gegenüber Dinge zugeben konnte, die er sonst Niemandem erzählte oder welche er sich sogar selbst nur schwer eingestehen konnte. Genau wie jetzt. „Aber. Ich hab’s dir ja schon einmal gesagt. Du bist irre schlau. Hast trotz allem immer mitgezogen und sogar ab und zu selbst Hand angelegt und das gefiel mir. Weil es echt cool ist zu sehen, wenn du loslässt und dich einfach gehen lässt ohne dir Sorgen über die Konsequenzen zu machen.“ Damien grinste abermals leicht und seine Worte klangen warm und freundlich. „Was nicht heißen soll, dass ich deine nerdige Seite nicht auch mögen würde“, fügte er hastig hinzu. Uhm, er hatte schon wieder den Faden verloren. Worauf hatte er hinausgewollt? Ach ja. „Also was ich eigentlich sagen will, wir haben uns prima verstanden. Nicht wahr?“ Ihm war es jedenfalls immer so vorgekommen, aber… vielleicht irrte er sich auch? Beschissene Unsicherheiten. Damien versuchte sie vorerst zu verscheuchen, wie einen Schwarm lästiger Moskitos. „Und als das Camp dann losgehen sollte, haben meine Eltern mich genervt ich solle ihnen doch regelmäßig Schreiben wie’s mir geht und alles. Ich hatte diese blöde Sache mit meinem ausgedachten Freund schon ganz vergessen und eben geschrieben was ich so mache. Was wir so machen. Allerdings hab ich deinen Namen nicht erwähnt, weil… na ja, ich wollte nicht das meine Eltern sich wieder anfangen einzumischen. Oder dich belästigen. Oder dir womöglich ein Haufen peinliches Zeug über mich erzählen! Du hast ja gesehen wie aufdringlich sie sein können“, murrte Damien leise vor sich hin, obgleich er es nicht schaffte böse zu klingen. Seine Dads waren halt seine Dads. Manchmal viel zu fürsorglich, aber fuck, die Beiden meinten es gut und sie waren großartige Väter. Nur eben trotzdem ab und an etwas nervig. Er begann wieder zu zögern, verstummte kurz und seufzte anschließend. Diese ganze Geschichte wühlte ihn immer noch mehr auf als sie sollte. Dabei war es bloß sein Stolz gewesen der verletzt wurden war. Nichts im Vergleich dazu was er seinem Freund vor sich angetan hatte. Also, weiter im Text. „Und dann sind sie einfach aufgetaucht. Und ich bin in Panik geraten. Als sie mich fragten ob du Cool Josh wärst, hat mein Gehirn ausgesetzt und ich hab einfach ja gesagt. Und… “, scheiße. Raus damit. Er musste das rauslassen. Kein feiges Wegrennen. Oz hatte es verdient, alles zu erfahren. Selbst wenn er damit seine Schwächen und Fehler eingestand. „Und ich denke es hat auch reingespielt, dass ich Angst davor hatte sie zu enttäuschen, wenn ich die Wahrheit zugebe. Die Beiden sind in allem so… perfekt. Als Eltern, als Herrscher, als Paar und ich, ich reiche nicht im Entferntesten an sie heran. Du weißt ja, dass ich mir noch nicht einmal sicher bin ob ich ihre Nachfolge antreten will oder meinen eigenen Weg gehen möchte. Ich wollte sie wenigstens in einer Sache Stolz machen. Dabei ist selbst mir klar, dass sie anzulügen keine Lösung war.“ Damien fuhr sich wirsch durch seine Haare. „Und schlimmer noch, ich habe dich in eine Rolle gesteckt, die du gar nicht bist. Die Wahrheit ist… das Zeug was ich mir über Cool Josh ausgedacht habe, waren alles Dinge, die eigentlich ich als Partner in eine Beziehung hatte einbringen wollen. Du weißt schon. So ein Zeug wie, meinem Partner beizustehen was auch kommt. Zu wissen was zum Henker er gerne mag oder isst oder was gar nicht geht. Jemand zu sein auf den er sich verlassen kann. Und ja, ich dachte auch es wäre cool mehr über Neurochirurgie zu wissen. In den Gehirnen von Fremden rumzuwühlen ist immerhin echt krass. Aber… “ Seine Stimme klang fahrig, abgekämpft und er fühlte sich auch entsprechend erschöpft. Dennoch tat es irgendwo gut, es endlich auszusprechen. Diese ganze Lügengeschichte hatte ihn ziemlich unter Strom gesetzt, auch wenn er es sich bis jetzt nicht hatte anmerken lassen. Laufend aufpassen zu müssen. Seine Eltern bei Laune zu halten. Und dann hatte er Oz in diese ganze Scheiße auch noch reingezogen, obwohl er ihn im Grunde aus all dem hatte heraushalten wollen. „Ich weiß, ich hab’s auf ganzer Linie vermasselt. Und meine Dummheit ist dafür keine Entschuldigung, dass ich dich am Ende nicht nur damit unglücklich gemacht, sondern dir auch noch wehgetan habe. Und das nur weil ich auf mich selbst wütend war, weil ich Angst hatte, mich unsicher fühlte und zu stur war, um zuzugeben wie ich mich eigentlich fühle und was ich denke. Und… und… “, Damien verstummte abermals. Es tat ihm wirklich leid. Selten hatte er Etwas so aufrichtig bedauert. „Wahrscheinlich kannst du mir das nicht einfach verzeihen. Aber. Falls du mir noch eine Chance geben würdest, dann… dann möchte ich es dieses Mal richtig machen. Ich würde echt Alles geben um dir zeigen zu dürfen, wie ernst es mir ist. Ich weiß, dass ich wahrscheinlich trotzdem in Zukunft irgendwas Dummes tun werde. Aber, wenn ich schon irgendwas Blödes anstelle, soll es wenigstens nie wieder Etwas sein, was dir das Gefühl gibt, deine Entscheidung bereuen zu müssen.“ Er war nicht perfekt. Würde er nie sein. Aber wenigstens für Oz wollte er Jemand sein, auf den er sich verlassen konnte. Eine sichere Zuflucht. Und nicht Jemand, der ihm Leid brachte. Am Ende musste er aber jede Antwort akzeptieren. Es war ganz und gar Ozs Entscheidung. Damiens Worte schafften es die Schmerzen in seiner Brust zu lindern. Es bedeutete Oz viel, dass sich sein Freund ihm endlich anvertraute. Das er offen mit ihm redete. Das er sich entschuldigte und es auch so meinte. Die Entschuldigung war nicht beiläufig ausgesprochen gewesen. Damien bereute es sichtlich, was er ihm gesagt hatte. Und ja, es tat noch immer ein wenig weh, aber nicht mehr so schlimm. Nicht so schlimm als das Oz noch befürchtete daran zu zerbrechen. Die Risse würden irgendwann verschwinden. Dem war er sich nun sicher. Er konnte sehen, dass Damien seine Antwort erwartete, sich aber zusammennahm nicht ungeduldig zu werden oder ihn dazu zu drängen. So viel Selbstbeherrschung zeigte er selten, was Oz noch einmal verdeutlichte, wie ernst es dem Höllenprinzen war. Er hatte eine ehrliche Antwort seinerseits verdient. Noch einmal ging Oz tief in sich. Lauschte darauf was ihm sein Herz sagte. Er kannte die Antwort. „Ich möchte dir glauben. Und ich denke, ich kenne dich mittlerweile gut genug um zu erkennen, wie ernst es dir ist“, Damien hätte sich sonst nie all die Mühe gemacht ihn aufzusuchen und dieses Gespräch überhaupt erst zu führen. Ja. Er wollte glauben. Vertrauen. Sanft betrachtete er das vertraute Gesicht vor sich in dem so viel Angst und Zögern heute steckte. Aber auch der Mut, den es gebraucht hatte um mit ihm über all dies zu reden. „Damien, ich möchte dir vertrauen. Du musst für mich weder perfekt sein, noch alles können. Und du musst dich für mich nicht verbiegen. Nur, sei einfach ehrlich zu mir. Und dir selbst. Und wenn dir das einmal Angst macht, dann sprich mit mir darüber. So wie heute.“ Das war mehr als er verdient hatte nach seinem großen Reinfall. Fuck. Er fühlte wie seine Augen feucht wurden. Zum Glück verdampften die blöden Tränen sofort auf seiner heißen Haut. Er würde nie wieder so blöd sein und Oz von sich stoßen. Und wenn doch, würde er sich selbst dafür verprügeln bis er selbst mehr Tod als lebendig war! Damien hob langsam seine Hände, am liebsten hätte er die schmächtige Gestalt vor sich gepackt und fest an sich gedrückt, aber seine Hände kamen mitten in der Bewegung zum Halt. Sie ruhten einige Zentimeter von Ozs Wangen entfernt reglos in der Luft. War das in Ordnung? Für gewöhnlich hätte er nicht lange darüber nachgedacht. Aber nach Allem heute, war er sich nicht ganz sicher. Seine Augen suchten in denen von Oz nach Bestätigung. „Darf ich?“, fragte Damien mit gedämpfter Stimme an Oz gewandt. „Ja“, ein einzelnes Wort in seinem Kopf, leise und sanft wie eine Sommerbrise. Zwei weiße zu einem schüchternen Lächeln geformte Augen sahen ihm aus dem vertrauten und liebgewonnenen Gesicht vor ihm entgegen. Obwohl Damiens Hände ihn noch nicht berührten, fühlte er wie sich die Luft in ihrer Nähe aufwärmte, wie sie angenehm warm sein kühles Gesicht willkommen hießen. Ihm wurde bewusst, wie schmerzlich er dieses Gefühl vermisst hätte. Damiens Wärme, seine brennende Leidenschaft, sein selbstsicheres Grinsen, dem oft ein unausgesprochenes Versprechen von Gefahr, Abenteuer und mehr innewohnte. Sein feuriges Herz. Seine Direktheit. Die laute durchdringende Stimme, die ihn von überall aus erreichte. Seine manchmal etwas schusselige und naive Art, die Oz geradezu liebenswert fand. Und wie vorsichtig und zärtlich Damien sein konnte, wenn er nicht auf Teufel komm raus versuchte sich vor Anderen und sich selbst beweisen zu müssen. Kaum hatte Oz seine Antwort gegeben, neigte er seinen Kopf behutsam gegen Damiens linke Hand und überwand den Abstand vollends. Er hob seine rechte Hand und legte sie sanft über Damiens viel kräftigere Hand. Seine viel zierlicheren Finger strichen vorsichtig über den Handrücken des Schulrowdys hinweg. Und obwohl seine Augen geschlossen waren, fühlte er wie sich die Muskeln in Damiens Hand für einen kurzen Moment bei der Berührung anspannten, ehe sie sich wieder lockerten und er sich auf den zärtlichen Austausch einließ. Noch ein wenig länger. Bitte. Mehr wünschte er sich gar nicht. Doch gerade als er darum bat, der Augenblick würde noch ein klein wenig andauern, packte Damien ihn mit seiner freien Hand an der Schulter. Von dieser Geste überrumpelt, ließ er es einfach zu, dass sein Körper dichter an den Dämonen herangezogen wurde. So dicht, dass sein Gesicht gegen das weiße und leicht nach Rauch riechende Shirt seines gehörnten Mitschülers gedrückt wurde. Die Hand auf seiner Wange löste sich, aber durch die extreme Nähe zu Damien konnte er keinen großen Temperaturunterschied wahrnehmen. Zwei Arme legten sich um seinen schmalen Körper. Die Umarmung fühlte sich reichlich unbeholfen an, den Oz merkte, wie Damiens Hände sich unsicher über seinen Rücken bewegten als wüsste er nicht genau wo er sie platzieren sollte. Sein Gesicht in dem Shirt des Dämons vergraben, wusste Oz, dass Damien nicht das Lächeln sehen konnte, das sich gerade in seinem Gesicht bildete. So furchtbar unbeholfen, aber gleichzeitig auch warm. Es machte ihn unsagbar glücklich so gehalten zu werden. Sich gewollt zu fühlen. Geborgen. Sicher. Seine schlanken Arme suchten sich einen Weg um den trainierten Körper seines Freundes herum. Mit sanftem Druck erwiderte er diese wundervolle, unvollkommene Umarmung. Seine Hände ruhten auf dem breiten Rücken des nicht sehr prinzenhaften Prinzen, während er dem steten Herzschlag in dessen Brust lauschte. Es klang ein wenig aufgeregt, aber nicht hektisch. Zum ersten Mal hatte Damien ihn so nahe an sich gelassen. Er hatte instinktiv gehandelt. Ihn einfach an sich gezogen. Und nun war es ihm irgendwie peinlich. Denn er hatte Oz vorher nicht gefragt ob es in Ordnung für ihn war. Auch wenn er keinen Protest von dem Kleinen hörte. Um die Situation nicht noch seltsamer zu machen versuchte er seine Arme um das schwarze Monster zu legen. Es war das erste Mal, dass er Oz umarmte. Damien fühlte sich furchtbar nervös. So nervös, dass er nicht genau wusste wohin mit seinen Händen, weswegen sie ein wenig ratlos von Ozs Schulter zu seinem Rücken und seiner Seite wanderten. Nein, nein, Rücken war besser. Das hier war doch keine Tanzveranstaltung. Und… Fummeln war definitiv auch nicht drin. Dafür fühlte sich das Alles hier noch zu frisch, zu neu, an. Was sich hingegen richtig anfühlte, war Oz in seinen Händen zu halten. Ungewohnt, ein wenig seltsam, aber einfach richtig. Oz schmale Gestalt schmiegte sich perfekt an ihn. Moment. Hatte er Oz versehentlich erstickt? Damien zuckte zusammen als Ozs Arme sich um ihn legten. Okay, glücklicherweise nicht erstickt. Die Berührung war so zart, so weich, wie vieles an Oz. Und es gefiel ihm. Bei Oz machte es ihm nichts aus sich zu entspannen. Es ruhiger angehen zu lassen. Seinen Drang sich zu beweisen oder seine toxische Männlichkeit einmal beiseite zu schieben und seinem Freund zu zeigen, dass er ihm wichtig war. Das er ihn gerne hatte. Das sollte er viel öfters tun. Vielleicht war es genau das was sie Beide schon viel eher gebraucht hätten. Vielleicht hätten sie dann nicht so lange in einem Status der unsicheren Freundschaft zugebracht und… Eins nach dem Anderem. Er war schon wieder zu schnell. Dabei hatte er Oz vorhin erst versprochen ihm zu zeigen, dass er es ab jetzt besser machen würde. Sie konnten dem, was zwischen ihnen bestand, auch später noch einen Namen geben. Aber heute war das nicht wichtig. Damien lehnte seine Wange behutsam und ohne sich wirklich aufzulehnen gegen Ozs schwarze, strubbelige Haare. Genauso fluffig wie sonst. „Hey, Oz?“, obwohl er versuchte leise zu sprechen, klang seine Stimme in der Stille um sie herum doch ziemlich laut. „Ja?“ „Wenn ich mich noch einmal wie ein Trottel verhalten sollte, hau mir kräftig eine rein. Mit Allem was du hast. Okay?“ Damien fühlte, wie Oz sich in seiner Umarmung leicht rührte, sein Kopf zog sich ein Stück zurück, sodass er ihm ins Gesicht sehen konnte. Die weißen, dicken Augenbrauen waren in einem fragenden Ausdruck nach oben gewandert. „Oh. Also ich meine, wenn ich mich dir gegenüber wie ein Trottel verhalte.“ Seine Wangen liefen ein wenig pink an als er sich verbesserte. Oz schaute zumindest so als hätte er nun besser verstanden, was er meinte. Der Kleine sah aus als dachte er ernsthaft darüber nach, was er erwidern sollte. Typisch Oz. „Bist du sicher?“, hörte er die Stimme seines Freundes in seinem Kopf. „Sonst hätte ich es nicht gesagt. Du weißt doch. Ein LaVey steht zu seinem Wort.“ Moooooment. Wieso sah ihn Oz so verstohlen an? Grinste er ihn sogar an? „Ich weiß ja nicht. Ich würde nur äußerst ungerne für ein vorzeitiges Ableben deinerseits verantwortlich gemacht werden.“ Er war sich ganz sicher! Oz grinste ihn definitiv an! Und dann wackelte der Kleine auch noch keck mit seinen Augenbrauen! Es sah so fucking niedlich, dass Damien auf die Schnelle gar nicht wusste was er auf diesen frechen Kommentar seines Freundes eigentlich sagen sollte. Zum Glück war er ja aber nicht auf den Mund gefallen und so kam ihm doch noch eine gute Antwort in den Sinn. „Pfff. Dann musst du aber erst noch trainieren, sonst wird das nichts mit deinen kleinen Ärmchen.“ „Hey! Gemeinheit!“, Oz knuffte ihn mit seiner linken Hand in die Seite, was sich anfühlte als hätte Jemand ihn mit einem Kissen beworfen. In Zeitlupe. Damien grinste noch mehr, schnappte sich bei dieser Gelegenheit aber Ozs zierliche Hand und führte sie sanft zu seinem Mund, wo er einen zärtlichen Kuss auf die schwarzen Knöchel hauchte. Er konnte sehen, wie sich ein weißer Hauch auf Ozs sonst so dunkle, schwarze Wangen legte. „Aaaalso. Da wir schon einmal hier draußen sind… steht dein Angebot noch?“, ein wenig fühlte Damien wie die Unruhe zurückkehrte als er die Frage stellte. Weil sie ihn daran erinnerte, wie er Oz gestern noch aus seinem kindischen Wutanfall heraus einfach verjagt hatte. Natürlich musste er damit rechnen, dass Oz es trotz allem jetzt lieber vorzog allei- „Ich bin nicht sicher.“ Oh. „Es kommt darauf an.“ Oh? „Worauf?“, wollte Damien nun wissen. „Wie du meine Frage beantwortest.“ Seine Frage? „Aber du hast noch gar keine gestellt.“ Ein leises Kichern in seinem Kopf erklang, ehe Oz ihn nicht sonderlich ernsthaft ermahnte. „Wenn du mich ausreden lässt, kann ich sie dir auch stellen.“ Ups. Er hielt nun die Klappe. „Damien. Würdest du gerne heute Nacht mit mir den Meteorschauer betrachten?“ Ein breites Grinsen erhellte Damiens Gesicht. „Ja, das will ich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)