For all the Ghosts that are never gone von Schnattchen91 ================================================================================ Kapitel 11: Kapitel 11: Jennifer -------------------------------- Kapitel 11: Jennifer Da war ich nun, mitten in der Nacht, irgendwo in Duskwood. Barfuß… Und um die Misere perfekt zu machen, hatte der abgebrochene Absatz meines linken Schuhs mir noch eine Schürfwunde am Knie beschert. Der positive Nebeneffekt meiner Orientierungslosigkeit war die geringe Chance, dass die anderen mich finden würden. Wie sollten sie auch, wenn ich nicht einmal wusste, wo ich war? Aber ich wünschte, ich hätte einfach ein richtiges Ziel gehabt, einen Ort, an dem ich mich endlich angekommen fühlte. Mein Herz kannte diesen Ort. Nur konnte man Jake nicht einfach bei Google Maps eingeben und im nächsten Wimpernschlag wäre ich bei ihm. Nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Wenn auch nicht an diesem Abend. Mein Handy hatte ich dummerweise in der Aurora liegen lassen. Sonst wäre ich bestimmt schon am Grimrock-Wasserfall angekommen. Mein einziger Hinweis auf Jakes Aufenthaltsort und der einzige Grund, warum ich mich überhaupt auf die Reise nach Duskwood eingelassen hatte. Unfair von mir... Das wusste ich, und deshalb hasste ich mich in diesem Moment umso mehr. Die anderen waren meine Freunde. Und sie waren mir wirklich wichtig geworden. Und ich wollte sie nicht mehr missen. Doch so sehr uns die Aufklärung von Hannahs Entführung auch zusammengeschweißt hatte, so sehr war das Band, das mich mit Jake verband, einfach noch viel stärker geworden. Und umso mehr schmerzte es mich, dass die anderen mich immer mehr an Jake erinnerten. Vor allem Lilly. Dabei war ich mir nicht einmal sicher, ob es der Tatsache geschuldet war, dass sie seine Halbschwester war oder dass Jakes Rätsel einfach nur die Freundschaft zwischen mir und ihr möglich gemacht hatte. Ebenso fragte ich mich, ob ich dem kleinen blonden Wirbelwind dankbar sein sollte, dass er mich in dieser Brutalität wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hatte. Oder im Gegenteil, weil sie mir die Chance genommen hatte, meinen Schmerz wenigstens für eine Nacht zu vergessen. Fakt war, dass ich mich gerade im Scherbenmeer meiner Fehler befand. Und wenn ich tief in mich ging, wusste ich, dass dieser Fehler nicht heute Abend, nicht mit der Antwort auf Thomas' Nachricht, sondern schlicht und einfach in meiner Geburt lag. Ein Fehler, der sich nicht einmal traute, sich selbst zu beseitigen…. Ganz im Gegensatz ein Fehler, der immer noch auf ein Happy End hoffte. Doch seit wann bekamen die Schurken ein Happy End? Und nichts anderes war ich… Ich hatte meine Freunde wissentlich in Gefahr gebracht, während ich sicher in meiner Wohnung saß. Ich hatte die Liebe meines Lebens dem FBI ausgeliefert… Ich hatte zugelassen, dass Richy einen Selbstmordversuch startet. Ich hatte seinen und Jakes Tod einfach so in Kauf genommen. Das taten keine Helden… Es war ohnehin absurd zu glauben, ich würde auf der Seite der Guten stehen. War es nicht schon Beweis genug, dass ich mit meiner Geburt die Liebe meiner Eltern zerstört hatte? Warum versuchte ich immer noch so verzweifelt, diese Tatsache zu verbergen? Ich war und würde immer ein Monster in Menschengestalt sein… Viel zu viele Tränen flossen über meine Wangen. Ich bekam kaum noch Luft in meine Lungen. Ich ertrank in meiner Verzweiflung... Leider wusste ich, dass dies nicht das Ende sein würde. Ich war schon zu oft in ähnlichen Situationen gewesen. Und ich war immer noch hier... Mit all meinem Schmerz... Ein nie endender Schmerz. Doch wie hatte mein Vater einmal gesagt… „Du bist auch echt zu blöd, um dich umzubringen!“ Selbst die Krankenschwester war von seiner Rage nicht verschont geblieben. Töricht von ihr… Und dann war sie auch noch so stur, nicht verstehen zu wollen, welches Problem ich meinen Eltern mit meinem jugendlichen Leichtsinn beschert hatte. Meine Ohren vernahmen die Geräusche eines motorisierten Fahrzeugs. War das vielleicht die Gelegenheit? Ich hatte nicht das Gefühl, dass meine Füße den Schritt wagten, aber ich hörte das Quietschen bremsender Reifen. Nahm ich meine Umgebung schon so extrem nicht mehr wahr, dass ich sogar meinen eigenen Tod nicht mehr spürte? „[MC], Gott sei Dank! Ich habe dich gefunden.“, sprach eine erleichterte Männerstimme, als sich die Autotür öffnete. Ich schloss kurz die Augen, nur ein merkliches Blinzeln, aber es fühlte sich an, als würden Milliarden von Jahren an mir vorbeiziehen. „Warte, ich habe noch Verbandszeug im Auto.“, sagte er in einem liebevollen Ton. „Für dein Knie.“ Das Erste, was ich wahrnahm, waren die orangefarbenen Warnlichter des weißen Lieferwagens mit dem schwarzen Logo. „Phil.…“, murmelte ich, als er mich auf die Parkbank setzte. Er umfasste meine linke Wade. „Sorry, das wird jetzt ein bisschen wehtun“, sagte er leise und im nächsten Moment hörte ich schon das Klicken des Desinfektionssprays. Reflexartig verzog sich mein Gesicht zu einem schmerzverzerrten Ausdruck, aber ich spürte es nicht wirklich. Und seltsamerweise sah er mich an, als wüsste er, dass ich ihn nur aufgesetzt hatte. Skeptisch beobachtete ich ihn, als er vorsichtig den Schmutz von meiner Wunde entfernte und sie mit einem Pflaster versorgte. Auch als er zu seinem Wagen zurückging, um eine kleine Flasche Wasser zu holen, verfolgte ich jeden seiner Schritte mit meinen Augen. Doch mein Blick war mehr als irritiert, als er mir die Flasche mit dem liebevollen Hinweis reichte, dass ich wegen meines Alkoholkonsums meine Wasserzufuhr deutlich erhöhen sollte. „Warum bist du hier?“, flüsterte ich und nahm die geöffnete Wasserflasche entgegen. „Du bist einfach weggelaufen. Wir haben uns Sorgen gemacht“, antwortete er sanft und ruhig und setzte sich neben mich auf die Parkbank. Daraufhin zuckte ich erschrocken zusammen, was mir einen irritierten Blick von Phil einbrachte. Ich wandte den Blick ab und flüsterte: „Warum bist du hier?“ „Es ist mitten in der Nacht, du bist betrunken in einer Stadt, in der du dich nicht auskennst. Natürlich haben wir uns Sorgen gemacht, dass dir etwas zustoßen könnte.“ „Aber du musst mich doch hassen“, mitten in meinen Worten überkam mich die Verzweiflung und ein Schwall von Tränen lief mir über die Wangen. „Nein“, lächelte er sanft und legte seine Hand auf meinen Rücken, um mich zu trösten. „Aber warum?“, weinte ich bitterlich. „Warum sollte ich?“, seine Stimme war so sanft und liebevoll wie die Berührung mit der er mich an sich drückte. „Weil-“, schluchzte ich, ohne eine wirkliche Erklärung zu haben. Wahrscheinlich, weil es einfach zu viele Gründe gab, den Hass und die Verachtung auf mich zu rechtfertigen. Ich vernahm, wie Phil scharf einatmete. „Lilly hat mir das mit deinem Freund erzählt”, die Worte kamen nur mühsam aus seinem Mund. „So in etwa.” Ich konnte nicht anders, als ihn mit großen Augen anzustarren. Zum Glück hatte er den Blick von mir abgewandt. „Es tut mir leid”, murmelte ich entschlossen. Nach einem kurzen Moment des Schweigens sprach ich ruhig weiter: „Das mit uns... Ich hätte nicht ... Es war nur ...” „Verdammt einsam”, unterbrach er mich abwesend. Wieder Stille. Doch obwohl es sich wie eine Ewigkeit anfühlte, dauerte es nicht lange, bis Phil die Stille wieder unterbrach: „Ich weiß, wie sich das anfühlt”, und obwohl seine Stimme leer war, spürte man den Schmerz in jeder Silbe. Gerade dieser Umstand weckte mein Interesse. Es war fast instinktiv, so schnell wie meine weit aufgerissenen Augen ihn anstarrten. Genauso instinktiv, wie ich sofort wusste, dass diese Information wichtig sein würde. Ich wusste auch, dass ich ihn mit meinem eindringlichen Blick geradezu zwang, es mir zu sagen. Umso verrückter machte es mich, dass Phil nichts sagte. „Ich glaube nicht, dass du das auch nur im Ansatz verstehst”, spiegelte ich genau meine Gedanken wider. Dennoch war es ein Schachzug , um Phil zum Reden zu bringen. Sein Seufzen verriet, dass meine Taktik von Erfolg gekrönt war. „Meine Freundin Jennifer Han-”, begann er. „Hanson”, piepste ich erschrocken. Für eine Millisekunde war Phil irritiert. Im Funken des Augenblicks wurde mir klar, dass Phil nicht zwangsläufig wusste, was Hannah getan hatte. „Es tut mir so leid, Phil.” Er nickte stumm, bevor er sprach: „Sie war nur meinetwegen auf den Pine Glade” Phil machte eine Sprechpause, nur um sich eine Zigarette anzuzünden. Bei seinem derzeitigen Konsum waren die Zigaretten wohl mehr ein emotionaler Support als alles andere. Ich musste diesen Gedanken in meinem Blick nach außen getragen haben, den er sagte: „Weißt du, ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen.” Er atmete aus. „Auch nicht mit Jessy?” „Schon gar nicht mit Jessy”, seine Mundwinkel verzogen sich zu einem leichten Lächeln. „Damals standen wir uns noch weniger näher als heute.” „Verstehe.” „Ich glaube, meine Schwestern wussten nicht einmal, dass ich eine Freundin hatte.” Jessy hatte mir zwar erzählt, dass das Verhältnis zwischen ihr und Phil damals schwierig gewesen sei, aber dass sie nicht einmal gemerkt haben soll, dass ihr Bruder eine Beziehung zu dem verschwundenen Mädchen hatte, erschien mir mehr als surreal. Besonders, wenn es sich dabei um eine romantische Beziehung handelte. „Aber ich glaube, Michael, also Jennifers Vater, hat etwas geahnt.” Ich hob eine Augenbraue. „Also wusste niemand etwas von euch”, unterstrich ich mit dieser Aussage mein Misstrauen. Zu meiner Verblüffung lachte Phil auf. „Du bist in der Stadt aufgewachsen, nicht wahr?” Ich grummelte zur Bestätigung und ärgerte mich, dass er mich als verwöhntes Stadtkind hinstellen wollte. „In Duskwood kennt jeder jeden. Und man redet schnell. Das ist einer der Gründe, warum Jennifer es hier so gehasst hat”, sagte er wehmütig und nahm einen Zug von seiner Zigarette. Wieder kam mir in den Sinn, wie attraktiv er doch war. Ich schluckte nervös. „Du erinnerst mich an sie, weißt du”, lächelte Phil sanft und ließ mein Herz für einen kurzen Moment schneller schlagen. Doch dann spürte ich wieder den Schmerz, der in letzter Zeit mein einziger Antrieb war. Einzelne Tränen liefen mir über die Wangen. „Es ist meine Schuld, weißt du”, meine Stimme war nur noch ein Hauch. Als würde mich etwas in mir daran hindern, es laut auszusprechen. Aber Phil musste jedes Wort verstanden haben, denn er antwortete mit Bestimmtheit: „Nein!” „Er wollte mich beschützen. Deshalb ist er zum Grimrock gegangen. Ich sollte gehen. Richy wollte, dass ich komme. Aber wir dachten, es wäre Michael. Und dass er mich töten wollte. Aber es war nur Richy. Er hätte mir nie etwas getan. Ich habe irgendwas übersehen. Wenn ich nur besser aufgepasst hätte, wäre das alles nicht passiert. Dann hätte Jake nie gehen müssen und wäre noch...”, ich wusste nicht, wie ich den Satz beenden sollte. Noch am Leben? Es gab immer noch die Möglichkeit, dass er im Gefängnis saß. Aber war das wirklich besser? Jedenfalls durfte ich Phil kein Sterbenswörtchen über das FBI sagen. Es reichte schon, dass ich Jakes Vornamen verraten hatte. Und mehr oder weniger Jessy, dass er der Bruder der Danfort Schwestern war. „[MC], es ist nicht deine schuld! Es war seine Entscheidung! Nicht deine!” Phil zog an seiner Zigarette, um seinen durchdringenden Blick nicht von mir abwenden zu müssen. „Es ist wichtig, dass du das verstehst. Es ist nicht deine Schuld. Das war es nie. Du bist nicht für die Entscheidung andere verantwortlich.” Seine tröstenden Worte taten so weh. Ich wollte es nicht hören. Jemand musste schuld sein! Wenn nicht ich, wer dann? Meine Einmischung hatte doch erst zum Showdown in Grimrock geführt. Hätte ich Thomas Nachricht einfach ignoriert... Hannah war nie ernsthaft in Gefahr gewesen. „Nein”, widersprach automatisch mit lauter Stimme. So laut, dass nicht nur Phil zusammenzuckte. „Es ist nicht einfacher, ich weiß”, antwortete er wieder in diesem melancholischen Ton. „Es ist besser, sich selbst zu hassen und zu denken, dass man es verdient hat”, er machte eine kurze Pause. „Oder besser, dass man das Glück nicht verdient hat.” Ich wandte den Blick ab. Als ich diese Wahrheit hörte, zog sich alles in mir schmerzhaft zusammen. Ich hatte das alles verdient. Doch im nächsten Augenblick fand ich mich in Phils Armen wieder. Gefangen in diesem Moment der unfertigen Gedanken und der schützenden Umarmung, konnte ich das Meer der Tränen nicht mehr zurückhalten. „Dabei ist das Gegenteil der Fall.“ ,sprach er sanft. „Jemand, wie du, der so selbstlos gehandelt hat, hat eigentlich das größte Glück verdient.“ Phil strich weiterhin sanft über meinen Rücken und blieb stumm bis ich mich wieder beruhigt hatte. „Weißt du was das Schlimmste daran ist?“, sprach ich leise als ich mich aus der Umarmung gelöst hatte. „Die Ungewissheit“, antwortete er, während ich mir die letzten Tränen von der Wange wischte. Mit meinem Versuch zu lächeln, nickte ich. Phil holte wieder seine Zigarettenschachtel hervor. Diesmal reichte er sie mir. Diese Verruchtheit in diesem Lächeln mit der Zigarette auf den Lippen. Nicht nur mein schneller schlagendes Herz reagierte darauf. Sondern auch meine weibliche Region fiel wieder ein, dass sie sich eigentlich auf eine spaßige Nacht mit Mr. Aurora vorbereitet hatten. Phil so einfühlsam war, machte es meinem Gehirn nur noch schwerer, alles unter Kontrolle zu halten. „Nimm schon.“, sprach er ruhig. Doch ein kleiner Hauch Verführung lag auch darin. Oder ich bildete es mir nur ein. Jedenfalls zog ich eine Zigarette aus seiner Schachtel. Kaum hatte ich sie im Mund, zündete Phil sie an. Noch bevor er es mit seiner tat. Den ekligen Geschmack meiner ersten Zigarette konnte ich kaum wahrnehmen, weil mich ein schrecklicher Hustenreiz überkam. Sehr zur Freude von Phil. Er lächelte mich breit an und sagte: „So ging es mir bei meiner ersten Zigarette auch.“ „Warum hast du dann überhaupt angefangen?“, meine Stimme klang schnippischer als beabsichtigt. Aber als nach dem zweiten Zug die beruhigende Wirkung des Nikotins meinen Körper durchströmte, verstand ich die Vorteile des Rauchens. Phil muss es an meinem Gesichtsausdruck gesehen haben. Er lächelte mich an und sagte: „Darum!“ Auch er zog noch einmal an seiner Zigarette. „Naja und weil ich als Teenager auf Teufel komm raus rebellieren wollte.“ Er wirkte für einen kurzen Moment heiter, doch dann betrübte sich sein Gesichtsausdruck wieder. „Bis ich Jennifer kennen gelernt habe.“ Phil unterbrach sich selbst und blickte melancholisch gen Himmel. „Es klingt sich richtig kitschig. Aber mit ihr war meine Welt nicht mehr düster und grau. Natürlich war ich immer noch wütend auf meine Mutter, weil sie mich und meine Schwestern hier zurückgelassen hatte, genervt von den altmodischen Ansichten meiner Oma und ich weiß nicht, was sonst noch.“ Er atmete einmal tief ein. „Mit Jennifer war es alles nur leichter zu ertragen.“ Mein Blick wanderte zu Phil. So vieles ging mir durch den Kopf, was ich ihm hätte sagen können. Aber ich blieb stumm. Das Gefühl, das er beschrieben hatte, war genau das, was ich mit Jake hatte. Alles, was in meinem Leben schieflief, war noch da, aber das Wissen, dass Jake da war, machte es erträglich. Und das erklärte die Leere, die ich seit seinem Verschwinden fühlte. Obwohl ich zugeben muss, dass Phil dazu beitrug, dass ich mich etwas besser fühlte. Wahrscheinlich war es das Wissen, dass es doch jemanden gab, der meine Gefühlswelt einigermaßen nachvollziehen konnte. Dieselbe Ungewissheit, die ich jetzt fühlte. Nur mit dem Unterschied, dass er das erlebte, wovor ich am meisten Angst hatte. Wenn Jake, wie Jennifer irgendwann tot aufgefunden werden würde. Aber jetzt, zehn Jahre später, schien Phil mit ihrem Tod abgeschlossen zu haben. Ob ich das jemals schaffen würde? Irgendwann nach vorne schauen zu können? Aber dazu müsste ich... Dieser Gedanke hatte sich in meinem Kopf festgesetzt. Hastig rauchte ich die Zigarette zu Ende. Dann warf ich sie auf den Boden. „Phil, kannst du mir einen Gefallen tun?“ Er sah mich kurz verwirrt an, bevor er antwortete: „Ja, sicher...“ „Bring mich zu Grimrock!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)