Der hellste Stern am Himmel von Idris (Regulus lives-AU) ================================================================================ Kapitel 1: Zu spät ------------------ Vowort: Das erste Kapitel ist überraschenderweise aus James' Perspektive. Warum? Keine Ahnung, es ist einfach passiert. Aber ohne ihn wäre alles noch viel düsterer und tragischer... Überwachungsaufträge sind SOWAS von nicht sein Ding. Vieles ist sein Ding. Aber nicht Überwachung. Observierung. Undercover. Wie viele coole Namen man auch immer da draufpappt, es läuft doch immer auf eine Sache raus. Stillsitzen und Beobachten. Stundenlang. Es ist qualvoll und sterbenslangweilig, und James würde sich jederzeit lieber mit einem Todesser duellieren, oder mit Du-weißt-schon-wem persönlich. Überwachung wird nur minimal besser dadurch, wenn er zusammen mit Sirius eingeteilt wird. Aber zusammen mit Sirius ist alles irgendwie erträglich. „Tatze und Krone“, deklamiert James träumerisch. „Krone und Tatze. Zusammen. Auf der Jagd.“ Sie stehen unter einem Baum und reichen eine Zigarette hin und her, umgeben von einem Desillusionierungszauber und einem Muffliato. Den Tarnumhang hat James um einen Arm geschlungen. Darunter sollten sie eigentlich stehen, aber darunter kann man nicht rauchen. „Auf welcher Jagd? Ich wünschte, hier wäre was zum Jagen“, erwidert Sirius. Er lehnt anmutig am Baumstamm, ein Bein angewinkelt, eine Hand in der Hosentasche, in der anderen die Zigarette. Niemand sieht so unnachahmlich und mühelos cool aus wie Sirius. James würde ihm das übelnehmen, wenn er das nicht so hemmungslos bewundern würde. „Wir überraschen ein paar Todesser, die im Begriff sind finstere Frevel zu begehen“, spinnt James weiter. „Natürlich müssen wir einschreiten. Und dann kämpfen wir, Mann gegen Mann – nein warte, Hirsch und Hund gegen Mann! Wir beide gegen zehn Todesser!“ „Nur zehn?“ Sirius formt seine Lippen um die Zigarette und seine Wangen höhlen sich aus, als er daran zieht. „Zwanzig!“ verbessert James. „Und dann geht es los, Crucio, Imperio rechts und links fliegen uns um die Ohren, zwischendurch weichen wir ein paar Avada Kedavra aus. Eine wilde, blutige Schlacht. Wir beißen! Wir stoßen! Wir zaubern! Am Ende sind wir siegreich, werden als Helden gefeiert, eine Stadt wird nach uns benannt...“ „Ich kann nicht fassen, dass Lily sich getrennt hat, weil sie dich für unreif hält. Ich meine, wie kommt sie nur auf solche Gedanken?“ „Hey!“ James verzieht das Gesicht. „Du bist enterbt! Das war überflüssig, unnötig und unangebracht.“ „Ich bin reich genug, um das zu verschmerzen.“ „Das tat echt weh.“ „Ich weiß.“ Sirius stößt mit der Schulter sacht gegen seine, eine wortlose Entschuldigung. Er reicht ihm die Zigarette zurück und James schiebt sie vage versöhnt zwischen die Lippen. „Wir kommen schon wieder zusammen“, murmelt er undeutlich. Er weiß nicht, ob er wirklich daran glaubt. Lily und er haben schon mindestens dreimal Schluss gemacht in den letzten zwei Jahren und sind immer wieder zusammengekommen. Aber dieses Mal hat es sich irgendwie anders angefühlt. Endgültiger. Und – da! Genau deswegen hasst er Überwachungsaufträge. Weil man stundenlang rumsteht und man viel zu viel Zeit hat. Und einem lauter unangenehme Dinge einfallen, über die man nachdenken könnte. Über die man nicht nachdenken will. Von denen man sich bisher erfolgreich abgehalten hat auch nur eine Sekunde nachzudenken. Er richtet den Blick zurück auf das alte, halbverfallene Haus, dass sie observieren sollen. Sie stehen sich jetzt schon seit fünf Stunden am Waldrand die Beine in den Bauch, die Dämmerung ist einer feuchtkühlen Dunkelheit gewichen, und er bezweifelt, dass da heute noch Todesser auftauchen. Genau das will er grade sagen, als Sirius ihm abrupt die Zigarette aus dem Mund nimmt, sie auf den Boden wirft und heftig austritt. „Umhang“, zischt er. „Schnell!“ James gehorcht. Mit einer fließenden Bewegung wirft er ihn über sie und spürt wie der weiche Stoff an ihnen hinuntergleitet, wie Wasser. Sirius legt einen Arm um seine Taille. Seit sie erwachsen sind, passen sie nur noch dicht aneinander gedrängt darunter und sogar dann reicht er ihnen nur bis zu den Knöcheln. Aber das Gras an der Stelle ist hoch genug und außerdem ist da immer noch der Desillusionierungszauber. „Was hast du…?“ „Shhht!“ Ihre Gesichter sind ganz nah beieinander und Sirius Stimme ist direkt an seinem Ohr. „Hör zu.“ Jetzt hört James es auch. Das leise Pop, Pop, Pop… wie Korken, die aus einer Sektflasche ploppen. Apparierende Zauberer. Er lauscht, wartet mit angehaltenem Atem. Es dauert nur wenige Sekunde, bis die erste dunkle Gestalt zwischen den Bäumen auftaucht und zielstrebig auf das Haus zusteuert. Dann die zweite. Einer läuft so dicht an ihnen vorbei, dass James den Luftzug des wehenden Umhangs spüren kann. Synchron und ohne Absprache drücken sich James und Sirius noch dichter an den Baumstamm in ihrem Rücken. Und aneinander. Es sind Todesser, kein Zweifel. Und viel mehr als er erwartet hat. Schweigend versammeln sie sich vor dem Haus, wie ein großer Schwarm großer, schwarzer Vögel. Die meisten tragen dunkle Umhänge und haben die Kapuzen hochgezogen. Ein paar tragen zusätzlich Masken. James reckt den Kopf, versucht so gut es geht in der Dunkelheit Gesichter auszumachen. Der große da vorne könnte Rosier sein. Sein Herzschlag beschleunigt sich aufgeregt. Den haben sie schon lange unter Verdacht, aber bisher hatten sie nie etwas Konkretes. Sirius erstarrt neben ihm. Sie stehen so dicht aneinandergedrängt, dass James es spüren kann, ein Ruck, der durch seinen ganzen Körper geht, als ob man ihn mit einem Schockzauber belegt hätte, und sofort wendet er den Kopf, mehr alarmiert als besorgt. Sirius‘ Finger bohren sich in seinen Arm. Seine Augen sind weit, seine Lippen geöffnet. „Was?“ wispert James. Sirius starrt an ihm vorbei, als nähme er ihn gar nicht wahr. Er schluckt heftig. Seine Lippen bewegen sich, aber es dauert bis er leise Worte hervorbringt. „Shit…“, formt er tonlos. James‘ Blick flackert hinüber zu den Todessern, um zu sehen, was ihn derart aus der Fassung gebracht hat. Nicht alle haben ihre Gesichter verdeckt. Einer von ihnen hat die Kapuze lose auf seinen Schultern, sein Gesicht maskenlos und seltsam nackt in der Dunkelheit. Er ist schmal und blass und sehr, sehr jung. Schwarze, kinnlange Haare fallen ihm ins Gesicht und er hat tiefe, dunkle Schatten unter den Augen. Er sieht aus wie eine schmalere, abgezehrte Version von Sirius, denkt James beiläufig, und dann, DANN fällt der Groschen. Scharf atmet er ein. „Oh Shit“, flüstert er. Im gleichen Augenblick zerrt Sirius den Tarnumhang von seinen Schultern und macht einen Schritt in Richtung Todesser. Entsetzt schnappt James nach Luft. Abrupt und ohne Nachzudenken schlingt er beide Arme um Sirius und zerrt ihn zurück, presst ihn fest an sich. Sirius zappelt und wehrt sich. James spürt die angespannten Muskeln unter seinen Händen, und er hat Mühe ihn festzuhalten. „Bist du verrückt?“ zischt er. Ihr Desillusionierungszauber ist bestenfalls mittelmäßig und nur als zusätzliche Maßnahme gedacht. Der hält geübten Blicken keine zehn Sekunden stand. „Lass mich los!“ zischt Sirius. „Ich muss…“ James presst eine Hand auf seinen Mund und schlingt den Umhang um sie beide, gerade noch rechtzeitig. Zwei der Todesser haben sich in ihre Richtung umgedreht und starren mit gerunzelter Stirn in die Dunkelheit. Einer davon ist Sirius‘ Bruder. Sirius‘ Bruder. In seinem Kopf dreht sich alles. James kann sich nicht mal genau daran erinnern, wann er Regulus Black das letzte Mal bewusst wahrgenommen hat… seit ihrem Schulabschluss hat Sirius, soweit er weiß, keinerlei Kontakt mehr zu irgendjemand in seiner Familie. Er weiß nicht einmal, wieso er so überrascht ist. Das ist doch zu erwarten gewesen, denkt er mit einem flauen Gefühl in der Magengegend, nach allem, was Sirius über seine Familie erzählt hat. Und trotzdem… trotzdem… Er hält ihn fest, und er lässt nicht los. Sirius bebt in seinen Armen, sein Körper angespannt wie eine Bogensehne. „Was war das?“ fragt der andere Todesser. Er ist größer und maskiert. „Hast du etwas gesehen?“ Regulus starrt konzentriert in die Dunkelheit, sein Blick so dicht an der Stelle, wo James und Sirius sich unter dem Tarnumhang aneinanderklammern, dass James einen Moment lang das Gefühl hat, dass er sie sehen kann. Sein Herz rast. Die Todesser sind zu zehnt (mindestens) und sie sind nur zu zweit. Sie sind aufgeschmissen, wenn sie auffliegen. Sieht er sie? Er muss sie sehen. Vielleicht ist der Umhang verrutscht. Vielleicht hat seine Wirkung nach all den Jahrhunderten endlich nachgelassen. Vielleicht war er zu spät. Vielleicht hat der Muffliato nachgelassen. Vielleicht… Aber dann wendet Regulus endlich – endlich - den Kopf ab, sein Profil leuchtet silberweiß im Mondlicht. „Nein.“ Seine Stimme ist sandpapierrau, als hätte er sie lange nicht mehr benutzt, und sie ist tiefer als James sie in Erinnerung hat. „Da ist nichts.“ Sie folgen den anderen Todessern in das verlassene Haus. James atmet aus. Er hat weiche Knie. Sirius starrt ihnen nach. Er hat endlich aufgehört zu kämpfen und damit ist das, was sie grade machen nah dran an einer Umarmung. James sollte ihn loslassen, spätestens jetzt, aber er kann nicht. Er kann nicht. „Komm schon“, sagt er leise und fährt mit der Hand über Sirius Brustkorb. Sein Herz hämmert so laut, dass James es spüren kann. „Lass uns gehen.“ Und als Sirius nichts erwidert, fügt er leise hinzu: „Tatze?“ Der Spitzname scheint zu ihm durchzudringen, denn Sirius atmet zitternd aus. „Wir sollten… wir müssen…“ „Nein. Das bringt nichts“, widerspricht James sanft. „Das Haus ist geschützt. Wir werden eh nichts hören. Lass uns… lass uns nach Hause gehen.“ Sirius widerspricht nicht, und er leistet auch keinen Widerstand. Es ist James, der sie zurück appariert. Es ist James, der sie in die Wohnung bugsiert, der überprüft ob die Zaubersprüche, die die Wohnung schützen alle noch intakt sind. Es ist James, der mit einem gemurmelten Spruch Wasser erhitzt und Tee kocht und zwei Tassen vom Schrank auf den Tisch schweben lässt, weil das etwas ist, was seine Mutter immer tut, wenn jemand aufgewühlt ist und weil er seine Hände irgendwie beschäftigen muss. Sirius steht mitten im Zimmer, sein Gesicht leer, und er ist still, wie katatonisch. Als hätte man ihm einen Petrificus totalus schachmatt gesetzt. Es ist gruselig. Und beunruhigend. Ein Teil von ihm ist beinah erleichtert als Sirius endlich seine Tasse gegen die Wand wirft. „Okay“, sagt er behutsam und zieht Sirius geistesgegenwärtig den Zauberstab aus der geballten Faust. „Lass es raus.“ „Dieser … Idiot“, bringt Sirius mit zusammengebissenen Zähnen hervor. Er vergräbt die Hände in seinen schwarzen Haaren. „Dieser BASTARD! Stinkender, hässlicher, dummer… Troll!“ Der Ausraster, der dann folgt ist derart laut, James die Befürchtung hätte, dass sie Ärger mit den Nachbarn bekommen, wenn ihre Wohnung nicht mit einem Muffliato geschützt wäre. Es geht noch eine weitere Tasse zu Bruch, ein Bilderrahmen und eine – zugegebenermaßen potthässliche – Vase. James sieht dabei zu, wie Sirius tobt und flucht und Sachen zerstört und ist froh, dass er rechtzeitig daran gedacht ihm den Zauberstab abzunehmen. Alles was er mit bloßen Händen zerstört, lässt sich schnell wieder reparieren. Er müsste es gewöhnt sein, denn Sirius Ausraster sind legendär und meistens von kurzer Dauer. Aber dieses Mal ist es schmerzhafter als sonst, und dabei zuzusehen zerquetscht eine empfindsame Stelle in seiner Brust. Es dauert die üblichen zehn Minuten, bis der Großteil seiner Wut langsam verraucht. Schwer atmend steht Sirius in einem Scherbenhaufen. Er wankt zur Couch, sinkt darauf nieder und vergräbt mit einem dramatischen Stöhnen das Gesicht in den Händen. „Es tut mir leid“, sagt James hilflos. Es müsste Beileidskarten für sowas geben. Wir bedauern sehr zu hören, dass Ihr Angehöriger ein Todesser ist. Da kann man nichts machen. Irgendwie sowas. Nur besser. Einfühlsamer. Sirius gibt ein ersticktes Geräusch von sich, halb zornig, halb verächtlich. Als sei er vor allem wütend auf sich selbst, dass es ihm überhaupt noch etwas ausmacht. „Aber es war… zu erwarten, oder?“ fragt James vorsichtig. Sirius‘ Familie ist immer ein extrem heikles Thema gewesen und nichts, was man leichtfertig ansprechen kann, ohne dass Sirius entweder ausrastet oder schmollt oder tief und aufrichtig verletzt ist. Und James will ihn nicht verletzen. Nicht Sirius, den er lieber hat als irgendjemanden sonst auf der ganzen Welt. „Er ist frisch aus Hogwarts“, sagt er tonlos. „Er ist noch nicht mal achtzehn.“ Er lässt die Hände sinken. Seine Augen sind seltsam leer und er sieht weniger wütend und mehr entsetzt aus. „Wie konnte sie das zulassen…?“ „Eure Mutter?“ „Narzissa!“ Überrascht öffnet James den Mund und schließt ihn direkt wieder, um zu verhindern, dass ihm etwas Unbedachtes entweicht. Das wäre nicht das erste Mal. Wenn James für eine Sache bekannt ist, dann unüberlegt die Klappe aufzureißen und fett in alle Fettnäpfchen zu treten. Aber Narzissa? Ernsthaft? Er kennt Sirius‘ Cousine nur vage, immerhin war sie in Hogwarts fünf Jahrgänge über ihnen und außerdem eine Slytherin. Sie und Sirius haben sich auf dem Gang mit einem kühlen Nicken zur Kenntnis genommen, aber das wars auch schon mit den liebevollen Familienbanden. Und James selbst hat in seinem ganzen Leben noch nie ein Wort mit ihr gewechselt. Er erinnert sich vage an eine hochmütige Blondine, attraktiv und arrogant, so wie alle Blacks. Nur dass sie, nach allem was er weiß, jetzt keine Black mehr ist, sondern Malfoy heißt. Er reibt sich über den Hinterkopf. „Sind… sind deine Cousinen nicht alle Todesser?“ „Bella ja. Andi natürlich nicht. Zissy ist verliebt in ihren makellosen Blutstatus, aber sie ist kein Todesser. Ich dachte…“ Sirius bricht ab, schüttelt den Kopf. Er fletscht die Zähne und erinnert James mehr denn je an seine Animagus-Form. „Ich habe ja nicht viel von ihr erwartet, aber ich dachte, sie würde wenigstens das verhindern.“ Bella. Zissy. Andi. So nennt er sie nur, wenn er sehr, sehr betrunken oder nicht ganz bei sich ist. Das allein verrät James schon alles über den seltsamen emotionalen Limbo, indem Sirius sich grade befinden muss. Bellatrix ist eine durchgeknallte Psychopathin, nach allem, was James von ihr mitbekommt, und sie hatte natürliche keinerlei Hemmungen ihre Zugehörigkeit zu den Todessern überall lauthals kundzutun. Andromeda ist auf der Seite des Ordens. Von Narzissa wissen sie zugegebenermaßen nichts Konkretes, aber sie sie ist mit Lucius Malfoy verheiratet und das sagt ja schon alles. An Regulus hat James ehrlich gesagt überhaupt nicht mehr gedacht. Sirius hat schon so lange nicht mehr von ihm geredet. Und vielleicht, je länger er darüber nachdenkt, ist das bezeichnender als alles andere. Langsam nähert er sich der Couch und lässt sich neben ihm darauf nieder. „Wann hast du das letzte Mal von ihm gehört?“ „Ich habe mitgekriegt, dass er den Abschluss gemacht hat. Aber geredet…“ Sirius zuckt die Schultern. „Wir reden nicht mehr, seit ich gegangen bin.“ Gegangen. Ja, so kann man das auch nennen. Geflohen nennt James es. Geflohen vor einer Familie, deren tausend kleine und große Grausamkeiten er sich nur ansatzweise vorstellen kann, weil Sirius nur in Andeutung von sprechen kann. „Er redet nicht mehr mit mir“, korrigiert Sirius. „Vergiss nicht, dass ich ein Blutverräter bin. Mein Bruder war immer der perfekte Black, gehorsam und devot, besessen vom Familienstammbaum, Toujours pure, und er hat immer alles richtig gemacht.“ Es klingt ätzend und zynisch, aber darunter liegt noch mehr, scharf und schneidend wie Glasscherben. „Es tut mir leid“, sagt James nochmal, genauso klein und nutzlos und ungenügend wie das erste Mal. „Wir müssen Dumbledore informieren“, sagt Sirius dumpf und reibt sich über die Augen. „Oder?“ Das Letzte kommt so leise, beinah flehend, als sei es eine Frage, keine Feststellung. Natürlich müssen sie Dumbledore informieren. Deswegen machen sie diese dämlichen Überwachungssachen ja. Um die Identität möglichst vieler Todesser rauszufinden. Und die Liste, die sie bisher haben, ist erbärmlich kurz. Regulus Black gehört definitiv auf die Liste. James öffnet den Mund, um genau das zu sagen, aber was herauskommt ist: „Gah…?“ Er fährt sich über den Mund, zieht eine Grimasse und verflucht innerlich seine überragende Eloquenz. „Gah?“ Er macht eine unsichere Handbewegung. „Ja.“ Sirius Gesicht wird hart und verschlossen. „Sollen sie ihn doch nach Azkaban bringen, wenn sie ihn erwischen. Er hätte es verdient. Dieser Bastard.“ Seine Stimme bricht bei dem letzten Wort. Er ist erst achtzehn, denkt James. Er ist in einer völlig verrückten Familie aufgewachsen. Wie viel freie Wahl kann er bei dieser Entscheidung gehabt haben? Könntest du wirklich gegen ihn kämpfen? Könntest du wirklich dabei zusehen wie sie deinen kleinen Bruder nach Azkaban bringen? Nichts davon spricht er aus. „Weißt du, es ist keine so dringende Information“, sagt er stattdessen zögernd. „Das nächste Treffen ist auch erst in drei Tagen. Also…“ Langsam wendet Sirius den Kopf. Seine Augen sind gerötet, aber sie ruhen hoffnungsvoll auf James Gesicht. „Es… es reicht doch, wenn wir es ihm dann sagen, oder?“ fährt James fort. Sirius nickt langsam. „Ja.“ „Das ist früh genug.“ „Früh genug“, flüstert er. Sein schwarzes, seidiges Haar fällt ihm wie ein Vorhang ins Gesicht und James hört, was er eigentlich sagt. Zu spät. Fortsetzung folgt Kapitel 2: Staub und Blut ------------------------- Warnungen: Angst, Walburgas A+ Parenting, Flashbacks wie diesem verdanken wir die Triggerwarnung, all hurt no comfort (das kommt später, versprochen) Vorwort: Und ich fürchte, DAS ist der Grund, wieso ich mit James' POV angefangen habe. Ohne ihn ist das alles einfach nur endlos deprimierend. D: Januar 1971, Grimmauldplatz 12 Schreie und Blut sind im Treppenhaus. Glitzernde Staubpartikel flirren in der Luft, es riecht nach Kupfer und verbranntem Holz. Sirius ist elf und Hogwarts ist noch ein halbes Jahr entfernt, sechs, endlose Monate, ein halbes Leben. Sirius ist elf und schon jetzt kann er es gar nicht abwarten hier wegzukommen. Er steht oben und blickt hinunter in die große Halle, die Fingerknöchel treten weiß hervor, so fest umklammern seine Hände die Brüstung. „Kannst du sie nicht aufhalten?“ Es ist sein Bruder, der schreit. Es ist sein Bruder, der blutet. Sein Vater sitzt tief in einem Sessel, so tief, als versuche er darin zu versinken, um nie wieder aufzustehen. Whiskey neben sich, und ein Glas, was sich immerzu nachfüllt, er hat die Zeitung vor sich ausgebreitet, als versucht er sich dahinter zu verstecken. Es dauert eine Weile, bis er antwortet, als ob alles erst durch einen langen, dunklen Tunnel muss, bis es ihn erreicht. „Okklumentik ist eine wichtige Fähigkeit.“ „Er ist neun Jahre alt.“ „Deine Mutter weiß, was sie tut.“ „Er ist NEUN!“ Die Antwort ist Schweigen. Vaters Antwort ist immer Schweigen, schwarz und endlos, und zwischen seinem Schweigen, und Mutters Schreien weiß er nicht, was er schlimmer findet. Sirius ist elf und er hasst es jetzt schon ein Black zu sein. Noch nicht so sehr, wie er es später hassen wird, aber schon jetzt reicht dieser Hass aus, um seine Finger von dem schweren, dunklen Holz zu lösen und ihn die Treppe hinunterstürmen lassen. Zum Teufel mit Vater. Zum Teufel mit Mutter. Ebenholzmöbel, Wandteppiche wirbeln an ihm vorbei, silberblau und grau, alles getränkt in jahrhundertealte Familientradition, in Staub und Blutstolz und Inzest. Er läuft daran vorbei und es kribbelt in seinen Fingern, ein intrinsisches Verlangen nach einem Zauberstab, den er noch nicht besitzt (Weißdorn, Drachenherzfaser, 14 Zoll - sechs Monate, noch sechs Monate), als ob sein Körper ihn schon darauf vorbereitet, dass er ihn eines Tages in der Hand halten wird. Er stürmt in den Salon – schwarze Möbel, graue Tapete, dunkelblauer Teppich, sein Bruder auf dem Boden, in Embryostellung zusammengekrümmt, Mutter über ihm, den Zauberstab gezogen – und er denkt nicht, er fühlt nicht, seine Finger sind taub und sehnen sich nach einem Zauberstab, den er noch nicht besitzt. Er ist elf Jahre alt und seine Hand ist erfüllt von dem Phantomschmerz seines fehlenden Zauberstabs, und er packt eine alte, hässliche Vase und donnert sie auf den Boden. Sie explodiert in tausend weiße, glitzernde Scherben. Sein schwerer Atem hallt in der Stille, er ist selbst erschrocken über seinen Wutausbruch, aber seine Mutter zuckt nicht einmal mit der Wimper. Sie steht über Regulus, ihr schwarzes Haar hat sich halb aus ihrem Knoten gelöst und fällt ihr ins Gesicht. Ihre Brust hebt und senkt sich und ihre Augen glitzern manisch. „Tu es“, sagt sie. „Tu es! Willst du, dass jeder deine schwachen, widerlichen Gedanken sehen kann? Was bist du? Ein Squib? Ein nutzloser, hässlicher Squib?“ Regulus schüttelt den Kopf. Er kennt die Antwort auf diese Frage genauso gut wie Sirius. Es ist eine Fangfrage, kein Black war jemals ein Squib (und wenn ja, wurde der Name ausgelöscht vom Familienteppich, weggebrannt, als hätte es ihn nie gegeben). „Dann verschließ endlich deine Gedanken“, zischt sie. „Tu es! Legilimens. Legilimens!“ Regulus schlingt die Arme um den Kopf und er gibt ein Geräusch von sich, was alle Blacks kennen. Er schreit mit zusammengebissenen Zähnen. Es ist ein dumpfer, grässlicher Laut, wie ein langgezogenes Heulen. „Mutter!“ schreit Sirius, aber seine Stimme ist zu hoch um eindrucksvoll zu sein, sie verhallt, wird erstickt in den dicken staubigen Wandteppichen. Er ist elf, es sind noch drei Jahre bis zu seinem Stimmbruch und Hogwarts ist noch sechs endlose Monate entfernt, und das ist da vorletzte Mal in seinem ganzen Leben, dass er sie Mutter nennen wird. Die nächste Vase wirft er nach ihr. Als ob er je eine Chance gehabt hätte, sie zu treffen. Ohne den Blick zu heben, macht sie eine beiläufige Handbewegung mit ihrem Zauberstab und schnippt sie mühelos zur Seite, wo sie an der Wand zerbirst. Aber es hat sie lange genug abgelenkt. Regulus hat aufgehört hat zu schreien. Zitternd ringt er nach Luft. „Ein Haustier, ein kuscheliges Haustier zum Liebhaben“, höhnt sie. Ihr Gesicht ist eine verzerrte Fratze. „Kannst du das glauben? Dein Bruder wünscht sich ein Haustier. Als wäre er ein Muggle! Ein gewöhnlicher Muggle!“ Eine Reihe an gezischten Beschimpfungen folgt von denen Blutsverräter, Versager, Squib, noch die harmlosesten sind. Ihr Zauberstab brennt ein zischendes Loch in den Teppich, während sie auf und abläuft und zornig vor sich hinmurmelt. Sirius geht zu seinem Bruder und streckt ihm eine Hand entgegen. Regulus lässt die Arme sinken und sieht zu ihm auf. Seine Augen glänzen, aber er weint nicht (das würde er nicht wagen). Seine Lippe ist blutig gebissen. (Nicht zu schreien bezahlt man immer mit Blut.) Er starrt erst Sirius an und dann Sirius‘ Hand, als wüsste er nicht, dass man irgendetwas anderes von einer Hand erwarten kann, außer dass sie schlägt und maßregelt und kneift und den Zauberstab schwingt wie eine Peitsche. Er starrt sie an, als weiß er nicht, was das bedeutet, was Sirius von ihm will. „Komm schon“, sagt Sirius rau. Ungeduldig. Zornig. Auf sich, auf ihn, auf SIE. Regulus Finger zittern, als er seine Hand umschließt. Seine Hand ist feucht und heiß, Angstschweiß umgibt ihn in dunklen Wellen. Sirius zieht ihn auf die Beine, hält ihn fest, als er schwankt, und eine Sekunde lang stehen sie direkt voreinander. Die Brüder Black. Schwarzes Haar, schwarzes Herz. Weiße Gesichter. Graue, tote Augen. Ein kuscheliges Haustier, denkt Sirius verächtlich. Natürlich ist es Verachtung, was er fühlt. Es kann nichts anderes sein. Zum Liebhaben. Verachtung gräbt sich durch seinen Magen und verbeißt sich in seiner Kehle. „Verschwinde“, sagt er. Regulus starrt ihn an. Er bewegt die Lippen, formt tonlos: „Siri…“, aber er ist klug genug, das nicht laut zu sagen. Nicht in Gegenwart ihrer Mutter, die sich auf alles Weiche, Zarte, Kindliche stürzt wie eine Furie, und es ausmerzt. Sirius zieht die Hand weg. „Geh auf dein Zimmer“, befiehlt er barsch und schubst ihn zur Tür. Regulus gehorcht ohne Widerworte. „Er ist erst neun“, sagt er, sobald die kleine, schmale Gestalt seines Bruders aus der Tür verschwunden ist. Seine leisen Schritte verhallen im Treppenhaus, mehr Geist als Mensch. „Es dauert noch ewig, bis er sowas lernen muss.“ „Denkst du, das bringen sie einem in Hogwarts bei?“ Sie lacht hämisch. „Wie naiv du bist. Nur die reinblütigen Familien…“ Er hat keine Lust auf eine erneute Diskussion über Hogwarts und darüber wie wertlos und schmutzig diese Institution geworden ist („schickt man die Kinder nicht doch besser nach Durmstrang? Da wird noch wert gelegt auf Blutreinheit und alte Werte“) – es sind noch sechs endlose Monate bis er dorthin kommt, aber der Name Hogwarts verkörpert für ihn bereits jetzt schon die einzige, größte Freiheit seines Lebens. Er wendet sich ab. „Was denkst du, wo du jetzt hingehst?“ fragt sie leise. „Auf mein Zimmer.“ „Oh nein.“ Schneller als er blinzeln kann, steht sie plötzlich vor ihm und sie lächelt. Es ist ein grausames Zähnefletschen. „Nicht bevor du diese Sauerei nicht beseitigt hast.“ „Ich bin kein Hauself!“ „Der arme, alte Kreacher kann doch nicht die ganze Arbeit in diesem Haus erledigen.“ Sie macht eine lässige Bewegung aus dem Handgelenk heraus und tausend weiße Porzellansplitter erheben sich in die Luft und schweben um ihn herum. Sie sinken wie Schneeflocken um ihn herum zu Boden. „Beseitige es.“ Trotzig hebt er das Kinn. „Gib mir deinen Stab und ich setz sie wieder zusammen“, sagt er herausfordernd. Er hat keine Ahnung, ob er das kann. So etwas – schmutzige Dienstbotentätigkeiten - bekommt man nicht beigebracht im alten und ehrwürdigen Haus der Blacks. Einen Wimpernschlag später steht sie direkt vor ihm und neigt den Kopf zu ihm hinunter. Noch ist sie größer als er. „Oh nein“, flüstert sie, die Lippen dicht an seinem Ohr. „Kein Stab für dich. Du wirst sie alle einzeln einsammeln. Mit den Fingern. Wie ein Muggle.“ „Das kannst du knicken, ich werde nicht…“ Sie packt nach ihm. Spitze Fingernägel bohren sich in seinen Nacken und er keucht auf vor Schmerz. „Danach wirst du vielleicht ein bisschen mehr zu würdigen wissen, was es bedeutet ein Black zu sein“, zischt sie. Am Ende gehorcht er, so wie er immer gehorcht, und er hasst sich selbst dafür. Und vielleicht hasst er Regulus auch ein bisschen. Er kniet auf den staubigen Teppichen, und er sammelt und sammelt, tausend winzige Glassplitter zusammen, so lange bis seine Finger bluten. Er ist elf Jahre alt, die Luft riecht nach Staub und Blut, und es sind noch sechs endlose Monate bis Hogwarts, es sind noch elf Monate, bis er endlich James Potter kennenlernt, der sein ganzes Leben auf den Kopf stellen wird, verändern und verbessern und es schöner machen wird, als er es jemals für möglich gehalten hat. Er ist elf Jahre alt, und es sind noch sechs Monate und fünf Jahre, bis er endlich flieht und seinen kleinen Bruder alleine in der Hölle zurücklässt, endgültig und für immer. Kapitel 3: Ein Wort, sechs Buchstaben ------------------------------------- Sein Kopf hämmert. Er schmeckt Asche. Halb schwebt er noch im Traum, aber eine Hand auf seiner Schulter zerrt ihn hartnäckig in die Wirklichkeit. „Tatze.“ Er gibt ein unwilliges Knurren von sich, wie ein Hund, und vergräbt das Gesicht tiefer im Kissen. Die letzten drei Nächte waren ein Kaleidoskop aus Alkohol und Londoner Muggleclubs, (Punk heißt die Musik, die sie spielen), und gesichtslosen Menschen, mit denen er herumgeknutscht hat. Er hat keinerlei Erinnerung mehr daran, wie er letzte Nacht nach Hause gekommen ist, aber er hat die vage Vermutung, dass James nicht unbeteiligt daran war. Die Hand auf seiner Schulter wird sanfter, die Stimme auch. „Tatze… wach auf. Es ist wichtig.“ Er will nicht aufwachen, die Realität hat nie weniger Reiz für ihn bereitgehalten als in den letzten Wochen, aber James Stimme zieht an etwas tief in seiner Brust, und genau das, was immer es ist, ist der Grund, wieso er ihm noch nie etwas abschlagen konnte. „Hm?“ Er pustet halbherzig Haarsträhnen aus seinen Augen, die über sein Gesicht fallen wie ein schwarzer Vorhang. Geübte Fingerspitzen schieben ihm die Haare hinters Ohr. Er blinzelt und bereut es gleich wieder, als ein Sonnenstrahl, grell wie ein Todesblitz, sein Gehirn durchbohrt. Stöhnend presst er die Augen zu. Die Spitze eines Zauberstabs berührt seine Schläfe. „Episkay“, murmelt James. Sirius gesamter Kopf kribbelt, wird er heiß und dann kalt, und die pulsierenden Schmerzen flauen im Rhythmus seines Herzschlages langsam ab. Als er dieses Mal die Augen öffnet, ist der Sonnenstrahl nur ein Sonnenstrahl, grau und bleich, weil es ekelhaft früh ist, und das Zimmer schwimmt langsam um ihn herum in einen klaren Fokus. „Danke“, murmelt er und bringt sich vorsichtig in eine aufrechte Position. „Was ist los?“ Er gähnt breit, bemerkt beiläufig, dass er oben ohne ist und – ist das ein Knutschfleck auf seiner Brust? „Ist was passiert?“ James antwortet nicht sofort und diese Stille ist alarmierender als alles andere. „Was?“ Sirius lässt die Hand sinken. „Ist was mit Remus?“ Der Gedanke ist nicht völlig abwegig. Remus ist schon seit Wochen unterwegs, irgendeine geheime Mission in Dumbledores Namen, über die er niemanden auch nur ein Sterbenswörtchen verraten hat. James schüttelt den Kopf. Aus seinem heiterem Labradorgesicht ist jede Fröhlichkeit verschwunden. „Remus geht es gut. Moody hat eben einen Patronus geschickt wegen dem Treffen heute Abend…“ Sirius wartet. Sein Herz klopft. James fährt sich mit der Hand über den Mund, als versuche er die Worte drin zu behalten, als würde das irgendetwas daran ändern, nur weil er es nicht ausspricht. „Milly ist tot.“ Milly. Mildred MacMillon. James nennt sie so, weil die alte Hexe bei seinen Eltern aus und eingegangen ist, eine uralte Bekannte seiner Mutter. Sirius erinnert sich an graue ondulierte Löckchen, eine verzauberte Handtasche mit einem schier unerschöpflichen Vorrat an Keksen, und dem eisernen Zug um den Mund, wenn sie im Ministerium Gesetzesentwürfe zum Schutz von Mugglen durchgeboxt hat. Er fühlt nichts. Alles ist taub. „Was ist passiert?“ Seine Augen saugen sich auf James Gesicht fest, (so ernst, dass es ganz fremd aussieht), verfolgen jede Linie, jedes Zucken, während er um Fassung ringt. „Sie… sie haben sie gefoltert. Und ermordet. Sie haben nur noch… es war nicht mehr viel von ihr übrig…“ Er schüttelt den Kopf. „Shit“, flüstert Sirius. „Meine Eltern wissen es noch nicht. Ich muss… meine Mutter…“ James verzieht das Gesicht und bricht ab. Er sitzt auf der Bettkante, noch immer im Pyjama, die Haare schlafzerzaust und das Gesicht beinah kindlich in seiner geraubten Unschuld, und Sirius kann es kaum ertragen wie ernst und niedergeschlagen er aussieht. Er schlingt einen Arm um seine Schultern und zieht ihn zu sich. Es ist selten, dass er es initiiert, sonst ist es fast immer anders herum. In seiner Familie gibt es keine Zärtlichkeit, keine körperliche Zuneigung, gibt es nicht und gab es nie. Einzig mit körperlicher Züchtigung war Walburga immer extrem großzügig. Körperliche Züchtigung war für alle da. Ein Spaß für die ganze Familie. Aber James sinkt in seine Arme so willig und ohne jede Scham, wie es nur Menschen können, die in ihrem Leben freigiebig, bedingungslos und ausdauernd geliebt wurden und die niemals gelernt haben geizig zu sein mit ihrer Zuneigung. Sirius fährt mit der Hand über seinen Rücken. „Ich versteh das nicht.“ „Sie hatten es schon lange auf sie abgesehen.“ „Ja, aber…“ Seine Hände sind weich und zärtlich mit James, aber seine Gedanken sind finster und scharfkantig und arbeiten auf Hochdruck. „Das ist es nicht. Ich meine… sie haben sie doch in Sicherheit gebracht. Moody persönlich hat ihren Aufenthaltsort verhext. Nur wir wussten…“ „Die Todesser müssen es irgendwie rausgekriegt haben.“ Aber… nur WIR kannten den Aufenthaltsort, denkt Sirius beklommen. Nur der Orden. Niemand sonst. Woher können sie diese Informationen haben, wenn nicht… Gleich darauf schämt er sich. Er denkt wie ein Black. Natürlich denkt er wie ein Black, er ist ja auch einer. Und natürlich ist James dieser spezifisch grauenvolle Gedanke und all seine Implikationen nicht einmal gekommen. Alle im Orden sind ihre Freunde. Sie sind die Guten. Sie würden nicht… Ein Gedanke trifft ihn wie ein Klatscher mitten in die Nieren. Sekundenlang vergisst er zu atmen. Bitte nicht, denkt er und fühlt sich mit einem Mal, als ob er in einen bodenlosen Tunnel fällt. „Wer war es?“ fragt er erstickt. „Die Todesser? Wissen sie die Namen?“ Denn es gibt nur eine Variante, wie das Ganze noch schlimmer, noch alptraumartiger werden lassen könnte. Und er kann es nicht einmal aussprechen, er kann es nicht einmal denken, so feige drückt er sich vor der Antwort. James richtet sich auf. Jegliche Überraschung fehlt in seinem Blick. Er muss nicht einmal fragen, was Sirius meint. „Nein. Nein, sie wissen es nicht.“ Und endlich, endlich versteht Sirius seinen weichen, mitfühlenden Blick, die sanfte Hand auf seiner Schulter, den Widerwillen mit dem James ihn geweckt hat, und er begreift, dass er es ist, der gerade getröstet wird und nicht umgekehrt. Und das, obwohl James derjenige ist, der jemanden verloren hat, viel mehr als Sirius. Sirius kann niemanden mehr verlieren. Er hat sie bereits alle verloren. Er zerrt die Decke weg und steht auf, bringt körperlichen Abstand zwischen sich und James‘ warmen Arme. Er will keinen Trost und er braucht keinen Trost. Er ist ein Black, verdammt nochmal. Er verdient keinen Trost. Nicht wenn… „Ich hoffe, dass sie ihn kriegen“, sagt er bitter. „Ich hoffe, sie kriegen ihn und schicken ihn nach Azkaban.“ „Wir wissen nicht, ob Regulus involviert war“, sagt James behutsam und spricht seinen Namen aus, einfach so, als sei es gar keine große Sache. Als ginge es nicht wie ein Schwert durch Sirius Brust. „Ich hoffe, sie kriegen ihn“, zischt er. „Tatze… Ich glaube nicht, dass er es war. Er ist achtzehn und…“ „Kaffee.“ Sirius schiebt sich die langen Haare aus dem Gesicht und bindet sie zu einem nachlässigen Zopf zusammen. „Ich brauche Kaffee.“ Und dann sprechen sie nicht mehr darüber. Es gibt auch nichts mehr dazu zu sagen. Gar nichts. Sein Bruder ist ein Monster. Und heute Abend wird er dafür sorgen, dass der gesamte Orden es erfährt. - Sein Bruder ist elf. Der Bahnsteig ist vollgestopft mit Kindern in Umhängen, mit Katzen und Eulen, mit Eltern, die sich panisch vergewissern, dass alles eingepackt wurde. James ist eine leuchtende, rotgoldene Präsenz an seiner Seite, Mr. Potter („Nenn mich Fleamont“) steckt ihnen belegte Brote zu und Mrs. Potter (Euphemia) gibt ihnen Tipps für den Zaubertränke, was offenbar ihr Lieblingsfach gewesen ist. „…unterschätzt wie viel Kreativität darin steckt…“ „… Hilfe bei den Hausaufgaben braucht…“ „… jederzeit eine Eule schicken…“ Sirius lauscht mit einem Ohr, zu gleichen Teilen beeindruckt, neidisch und ein wenig eingeschüchtert davon, was für liebevolle, fürsorgliche Eltern James hat, während er mit begierigen Blicken den Bahnsteig absucht. „Suchst du jemanden?“ fragt Mr. Potter und reckt ebenfalls den Hals. Sirius schüttelt hastig den Kopf, aber im gleichen Moment sagt James: „Stimmt ja! Dein kleiner Bruder wird doch dieses Jahr auch eingeschult, oder?“ „Wirklich? Wir hätten ihn mitnehmen können“, sagt Mrs Potter. Sie haben Sirius abgeholt vom Grimmauldplatz, weil seine Mutter die Demütigung nicht ertragen konnte mit ihrem Ältesten in Gryffindorfarben gesehen zu werden. Das hat Sirius aber nicht gesagt. Weil seine Eltern ‚zu beschäftigt sind‘. Er ist zwölf und das ist das letzte Mal, dass er für sie lügen wird. „Nein“, Sirius schüttelt zögernd den Kopf. „Er war die letzten beiden Ferienwochen bei meinem Onkel. Er wird direkt von da kommen.“ James‘ Mutter wirkt sofort beruhigt, denn sie hat keinen Grund es nicht zu sein. Wieso sollte sie auch. Sie kennt ja seine Familie nicht. Sie kennt seinen Onkel nicht. „Hey“, sagt James und stößt ihm einen Ellbogen in die Rippen. „Hey, ist das nicht…?“ Sirius wendet den Kopf und folgt seinem Blick. Er sieht Narzissa zuerst. Jeder sieht Narzissa zuerst. Sie ist siebzehn, geht für zwanzig durch, und sie ist mit Abstand das schönste Mädchen auf dem ganzen Bahnhof. Groß und schlank, mit perfekt frisierten silberblonden Haaren, einer engen Bluse und einem knielanden Rock sieht sie aus wie aus einer Modezeitschrift entstiegen. Sie trägt die Slytherinfarben mit Stolz, überall kleine Akzente aus Grün und Silber, die sie bleicher und noch ätherischer wirken lassen. An ihrer rechten Hand läuft Regulus. Sein Bruder ist elf und er sieht aus als wäre er acht. Er ist winzig klein, zierlich und schwarzhaarig, und doch sehen er und seine Cousine sich ähnlich. Sie haben das gleiche herzförmige Gesicht, das gleiche spitze Kinn und die schmale, gerade Nase. Seine Augen sind riesengroß, Sirius kann sehen wie er alles in sich aufsaugt, die Massen an Schülern, die Tiere, die Farben, die gesamte von Magie und Aufregung getränkte Atmosphäre. Mit schmerzhafter Wucht erinnert Sirius sich daran, wie überwältigend das alles ist, wenn man es zum ersten Mal erlebt. Ab und zu wird Regulus langsamer, wenn seine Aufmerksamkeit fasziniert auf etwas hängenbleibt, aber Narzissa schreitet unbeirrbar geradeaus, und er hat keine Wahl als mit ihr Schritt zu halten. Entschlossen läuft sie auf die Gruppe an Slytherin-Siebtklässlern zu, die sich vor einem Abteil versammelt haben. Die Gryffindors, die ihr im Weg sind, straft sie mit Verachtung. Sirius sieht seinen kleinen Bruder, und er sieht Narzissas besitzergreifenden Griff um seine Hand, ihre weißen Fingerknöchel, und es zieht in seiner Brust. Er möchte die Hand ausstrecken und nach ihm rufen, aber er schweigt und starrt ihn an, und auf seinem Rücken brennen die fragenden Blicke von James und seinen Eltern. Regulus‘ suchender Blick schweift durch die Menge, und dann landet er auf ihm. Seine Augen werden groß und sehnsüchtig. „Siri!“ Sirius zuckt zusammen. Aber er rührt sich nicht. Regulus macht Anstalten loszulaufen, aber Narzissa hält ihn fest. Nachdrücklich zieht sie ihn zurück an ihre Seite. Sie neigt den Kopf zu ihm hinab, und so leise, dass Sirius sie nicht verstehen kann, sagt sie etwas. Regulus schweigt und lauscht, der Kopf gesenkt, die schwarzen Haare fallen ihm tief in die Augen. Narzissa streift sie ihm sanft hinter die Ohren und berührt mit den Fingerspitzen sein Kinn. Er nickt, eine halbe, erschöpfte Kopfbewegung. Sie gehen weiter. Ohne noch einmal aufzublicken, folgt er ihr, als sie weiterläuft und sie gehen an Sirius vorbei, als sei er Luft. Narzissas Kinn ist stolz erhoben, Regulus Kopf ist gesenkt, aber sie ignorieren ihn beide. Sie werden im gleichen Zug sitzen. Aber sie fahren in verschiedene Richtungen und sie werden nie am gleichen Ziel ankommen. Sein Bruder ist elf und Sirius läuft ihm nicht hinterher, er ruft seinen Namen nicht, er schweigt und er wendet sich ab. „Hey“, sagt er. „Da ist Remus.“ Die Würfel sind bereits gefallen. Und niemand ist überrascht, als Stunden später der sprechende Hut ausruft ‚Slytherin‘, sobald er Regulus nachtschwarze Locken berührt. „… Neues, Sirius?“ Er hebt den Kopf, abrupt zurückkatapultiert in die Wirklichkeit. Ordenstreffen. Sämtliche Blicke ruhen auf ihm. Remus, der ihn angesprochen hat, hebt fragend die Augenbrauen. Sirius‘ Hände spielen mit einem Schnatz (Andenken aus der Schulzeit), den er zwischen den Fingern hin und herlaufen lässt, eine Bewegung, die inzwischen so automatisiert ist, dass er darüber nicht mehr nachdenken muss. „Äh, wie war die Frage?“ Sein Tonfall ist gelangweilt und auch das kostet ihn keine Mühe. Herablassende Langeweile ist die Grundeinstellung, die alle Blacks mit der Muttermilch aufsaugen. Weil das immer besser ist als überfordert oder ratlos zu wirken. Ratlosigkeit ist für den Pöbel. „Berichte, Black!“ bellt Moody. „Gibt es Berichte?“ „Wir haben ein Todesser-Treffen beobachtet“, springt James ihm bei. „Mindestens zwölf Stück.“ Sie sitzen nebeneinander, Schulter an Schulter, nur James hat den Stuhl verkehrt unter sich, so dass er die muskulösen Arme auf der Lehne abstützen kann. Sirius verdrängt den unangemessenen Gedanken, dass das ausdauernde Quidditch-Training sich gelohnt hat. „Moodys Vermutung, dass die zerfallene Villa am Wald ein Treffpunkt ist, hat sich bestätigt“, fährt er fort. „Unserer Meinung nach wäre es lohnenswert zu gucken, ob man die Schutzzauber umgehen und zukünftige Treffen belauschen könnte.“ Moody nickt nachdenklich und verschränkt die Arme. „Konntet ihr jemanden identifizieren?“ Neben ihm schreibt eine freischwebende Feder eifrig alles mit. „Na ja…“ James‘ Blick flackert hinüber zu Sirius. Sirius hört auf mit dem Schnatz zu spielen und er setzt sich aufrechter hin. Sag es, denkt er. Sag es. Es ist ganz leicht. Regulus Arcturus Black. Mein Bruder ist ein Todesser. Zwei Sätze. Ein Name. Ein Urteil. Todesser. Ein Wort, acht Buchstaben. Es ist ganz leicht. Sein Bruder ist ein Monster. In Gedanken hat er die Worte schon ein Dutzend Mal geformt, wieder und wieder und wieder. Aber es ist, als ob sein Mund ihm die Kooperation verweigert, als ob seine Lippen vergessen hätten, wie man Worte formt. Wieso ist er ihm nicht nachgerannt? Der Gedanke kommt aus dem Nichts, genauso wie die Erinnerung aus dem Nichts kam, aber plötzlich kann er an nichts anderes mehr denken. Wieso? Wieso. Wieso hat er seinen Namen nicht gerufen? Wieso hat er ihn nicht von Narzissa weggezerrt, Reggies schmale, kleine Hand aus ihrem festen Griff befreit, und ihn mit in ihr Abteil genommen. Mit zu James und Remus und Peter. Wieso? Reggie. Ein Wort. Sechs Buchstaben. Wieso hat er es nicht gesagt? Hätte es irgendetwas geändert? Nach all den Jahren denkt er zum ersten Mal, dass es vielleicht alles, alles geändert hätte. Sag es, denkt er erneut. Seine Hände schwitzen. Er bekommt das Bild nicht aus seinem Kopf, das hinter seinen Schläfen pulsiert. Sein Bruder ist elf und winzig klein, seine Augen riesengroß und staunend aufgerissen... ‚Siri…‘ „Es war dunkel“, bringt er hervor und er würgt an jedem Wort. „Wir sind uns nicht ganz sicher, aber da... da war…“ „…Rosier“, sagt James. „Ehrlich, ihr könnt das Fragezeichen neben seinem Namen wegstreichen. Ich bin ziemlich sicher, dass das seine hässliche Visage war. Man, wenn man ihn kennt, erklärt das, wieso die alle Masken tragen.“ Vereinzeltes Gelächter brandete auf. Die Prewetts johlen zustimmend. Marlene kichert. Lily verdreht die Augen, aber sogar ihr Gesichtsausdruck ist beinah liebevoll. Dumbledore lacht nicht, sein Blick ruht auf Sirius, ernst und nachdenklich, und wie üblich gibt sein Gesicht nicht das geringste preis. Sirius wird heiß und kalt. „Ruhe“, schnauzt Moody, aber auch er sieht belustig aus. „Sonst noch jemanden, den ihr identifizieren konntet?“ Sirius öffnet den Mund, sein Herz schlägt ihm bis zum Hals. „Nein“, sagt James und klaut ihm mit einer routinierten Handbewegung den Schnatz aus den tauben Fingern. „Nur Rosier.“ Er wirft ihn hoch und fängt ihn, ohne hinzusehen mit der anderen Hand. Moody nickt und wendet sich dem nächsten Tagesordnungspunkt zu. Und der Moment ist vorbei. Verstrichen. Kaum ein Wimpernschlag. Sirius sinkt in seinem Stuhl zurück und streckt die Beine auf den leerstehenden Stuhl auf seiner anderen Seite aus. Bittersüße Erleichterung macht sich in seiner Magengegend breit und er hasst sich selbst dafür. Ein Wort. Sechs Buchstaben. Bruder. Als gleich darauf heftig diskutiert wird (Sollen die Ordensmitglieder ihre Identität auch durch Masken schützen? Ja? Nein? Eh zu spät?) und alle abgelenkt sind, neigt er den Kopf zu James. „Wieso...?“ bringt er hervor. James zuckt mit den Schultern und wirft ihm den Schnatz zu. Sirius fängt ihn reflexartig auf. Das goldene Metall ist noch warm von James‘ Fingern. „Weil du nicht weißt, was gut für dich ist.“ „Und du weißt es?“ fragt er skeptisch. Sie sitzen so dicht beieinander, dass James mühelos den Kopf auf seine Schulter lehnen kann, was er in diesem Moment auch tut. „Weil es dir das Herz gebrochen hätte, Tatze“, sagt er leise. Sirius sagt nichts, denn was in Merlins Namen soll man bitte dazu sagen? In seiner Brust entfaltet sich ein heißes, schmerzhaft bittersüßes Gefühl, und er knufft James wortlos in die Seite, weil Worte nicht ausreichen. Kapitel 4: Blut erkennt Blut ---------------------------- Sie apparieren mitten in einen Alptraum. Muggel schreien. Der Geruch nach Ozon und brennendem Phosphor schlägt ihm entgegen. „Vorsicht!“ Ein Fluch zischt haarscharf über ihren Köpfen vorbei und James zieht ihn gerade noch rechtzeitig nach unten. „Todesser auf einem Muggel-Campingplatz. Brauchen Verstärkung.“ Remus‘ Patronus – ein riesiger, silbriger Wolf – ist mitten durch ihr Wohnzimmer gebraust, als sie dabei waren ein extrem verspätetes Frühstück zu vertilgen. Jetzt - drei Minuten später - finden sie sich mitten in einer schreienden Menschenmenge wieder. Sie tragen Jeans und offene Hemden, haben vergessen ihre Zauberroben überzuziehen und James hat noch Marmelade auf der Wange. Aber wenigstens haben sie an Stäbe und den Tarnumhang gedacht. Die Erde ist matschig und aufgewühlt. Schreiende Muggel rennen an ihnen vorbei, Flüche zischen über ihre Köpfe hinweg, rot und grün und schwarz, und Sirius packt James am Arm, um ihn hinter ein rundes weißes Gebilde zu ziehen. Sirius hat so etwas noch nie gesehen, aber es hat Räder. „Siehst du die anderen?“ keucht James. „Da drüben sind Remus und Marlene!“ Remus und Marlene McKinnon haben Stellung hinter einem umgekippten Muggelfahrzeug bezogen und liefern sich ein wildes Gefecht mit drei Todesser auf der anderen Seite. Remus gibt ihnen Deckung, während sie zu ihnen herüberhechten. „Was ist passiert?“ keucht Sirius. „Etwa Dutzend Todesser“, erwidert Remus und deutet auf die schwarze Wolke im Zentrum des Platzes. „Vielleicht mehr.“ Sirius wirft einen ungläubigen Blick um sich. Hier ist weit und breit nichts außer Hunderten von den diesen runden, weißen Muggelfahrzeugen und Wald. Unglaublich viel Wald. „Was zur Hölle ist deren Ziel?“ „Ich habe nicht den Eindruck, dass sie eine bestimmte Strategie verfolgen. Protego!“ Marlene wirft einen schirmförmigen Schutzzauber vor ihnen aus, an dem keine Sekunde später mehrere Flüche abprallen. „Ich glaube, die wollen einfach nur ein bisschen Spaß haben.“ Sie klingt angewidert. „Wo sind die anderen?“ „Lily und die Prewetts versuchen die Muggel zu beschützen. Dorcas und Mary sind irgendwo da drüben.“ Ein Baum kracht tosend zu Boden. „Und das war Caradoc.“ „Alice und Frank sollten jeden Moment auftauchen“, ergänzt Remus. James und Sirius tauschen einen kurzen Blick. Sirius kann sehen, was er denkt, auch wenn James es nicht ausspricht. Sie sind erbärmlich in der Unterzahl und weder Moody, noch Dumbledore sind hier. Sie heben ihre Zauberstäbe und klacken sie kurz aneinander. „Auf ins Gefecht“, murmelt James. Und sie stürzen sich mitten hinein. Kämpfen ist ein Nervenkitzel. Ein wilder Adrenalinrausch. Jedes Mal aufs Neue. Seine Welt schrumpft zusammen auf sich und seinen Gegner. Sie sind erst zu dritt, dann nur noch zu zweit, anonyme schwarze Umhänge und hässliche Masken. Sie sind gut, aber Sirius ist ebenfalls gut, er ist schnell und brutal, wenn er muss. Aber dann hört er wahnsinniges Gelächter und er sieht schwarze Locken aufblitzen und ein maskenloses Gesicht, was er nur allzu gut kennt. Bellatrix. Wut brodelt in ihm nach oben. Er schießt vor, bereit es mit ihr aufzunehmen, aber dann ist James plötzlich da, wie aus dem Nichts steht er neben ihn, packt ihn am Arm und wirft ihm den Tarnumhang um. „Was machst du da? Protego!“ Das Schutzschild breitet sich flimmernd um sie aus. Flüche prallen zischend dagegen. James zieht ihn hinter ein weißes Muggelfahrzeug. „Sobald sie dich sieht, hast du doch eine Zielscheibe auf dem Rücken! Halt dich bedeckt!“ „Glaubst du, ich kanns nicht mit ihr aufnehmen?“ fragt Sirius beleidigt. „Ich habe keinen Zweifel, dass du es mit ihr aufnehmen kannst“, flüstert James. „Aber hier sind überall Muggel und wenn ihr euch miteinander anlegt, gibt es ein Blutbad. Tu es nicht, Tatze. Bitte.“ Sirius nickt widerwillig. Natürlich weiß er, dass James recht hat. Sie sind so wenige, dass sie vor allem eins tun können. Die Stellung halten, bis Verstärkung kommt. Und so vielen Muggeln wie möglich sicheres Geleit zu verschaffen. Er zückt seinen Stab, als es passiert. Sirius spürt es wie ein Prickeln auf seiner Haut, Elektrizität in der Luft, wie vor einem herannahenden Gewitter. Er sieht eine Bewegung aus den Augenwinkeln und wendet den Kopf. Etwas – jemand - bewegt sich zwischen den Bäumen. Er sieht nur den Umriss, dunkler als die Schatten, und doch ist ihm etwas in der Bewegung so vertraut, auf einer beinah viszeralen, körperlichen Ebene schmerhaft vertraut. Blut erkennt Blut. Das war einer der Lieblingssprüche seiner Mutter. Blut erkennt Blut. „Bin gleich zurück“, murmelt er. „Was?!“ „Halt mir den Rücken frei.“ Zum Glück ist James James, denn er gehorcht ohne überflüssige Fragen, während er links und rechts Flüche austeilt. „Stupefy! Expelliarmus! Was hast du vor…? Sirius!“ Aber Sirius ist bereits weg. „Sei vorsichtig!“ James Stimme hallt hinter ihm her. Noch im Laufen zerrt er den Umhang fester um seine Schultern, spürt das vertraute Gefühl von Wasser, das an ihm hinabperlt, bevor er sich mitten in das Getümmel stürzt. Lärm explodiert in seinen Trommelfellen. Um ihn herum fliegen Flüche hin und her, Zauberer schreien und er weiß nicht, auf welcher Seite sie stehen. Er weicht einem goldgrünen Fluch aus, der an ihm vorbeischießt und er rempelt schwarz gekleidete Gestalten an, ohne zu sehen, wer sie sind. Seine Augen haben nur ein einziges Ziel und das ist alles, was er sieht. Ohne jede Vorsichtsmaßnahme stürzt er zwischen die Bäume. Der Wald ist an dieser Stelle so dicht, dass es sich anfühlt, als tauche er mit dem Kopf unter Wasser. Schlagartig wird es ruhiger zwischen den dicht gedrängten Bäumen, das Kampfgetümmel kommt plötzlich von weit her. Streifen von graugrüngefiltertem Sonnenlicht schneiden durch die Blätter. Äste greifen nach ihm wie Schlingpflanzen und verhaken sich in dem Umhang. Er atmet tief durch und lauscht. Er blendet die Schreie aus und das Zischen der Flüche, die von weit her zu ihm hallen. Er blendet das Knistern der Blätter aus, die im Wind rascheln. Da. Ein Knacksen, als ob ein Ast bricht. Er befreit den Umhang, kämpft sich durch das Unterholz in die Richtung aus der das Geräusch kam. Wo ist er? Wo..? Da! Er sieht gerade noch den Zipfel eines Umhangs, der zwischen den Schatten zerschmilzt und sprintet ihm nach, stürzt sich mitten ins Unterholz. Die Schatten läuft nicht tiefer in den Wald, er läuft am Waldrand entlang. Lichtstreifen flackern über seine Gestalt. Seine Schritte sind taumelnd, zögernd, die nachlässige Eleganz der Bewegungen ist verschwunden. Bellatrix‘ kreischendes Gelächter zerschneidet die Luft. Er fährt zusammen und die Gestalt fährt zusammen, wie sein dunkles Spiegelbild. Der andere läuft nicht weiter, er bleibt einfach stehen und Sirius bewegt sich ebenfalls nicht mehr. Ein einzelner, erratischer Fluch zischt durch die Bäume, reißt brutal einen Ast ab und streift die Maske des Todessers. Er stolpert zurück, prallt mit dem Rücken gegen einen Baumstamm, und die Maske zerspringt. Regulus. Es ist Regulus. Sirius hat es geahnt, gefühlt, gewusst; trotzdem ist es wie ein Faustschlag mitten in die Nieren. Ihm ist schlecht. Er starrt ihn an und ist dankbar für den Umhang, mehr als je zuvor in seinem Leben, denn nur Godric weiß, was sein Gesicht in diesem Moment preisgibt. Regulus lehnt schwer atmend an der Eiche. Mit einer Handbewegung streift er die Reste seiner zerstörten Maske endgültig vom Gesicht und lässt sie achtlos zu Boden zu fallen. Seine schwarzen Haare hängen lang und strähnig in sein Gesicht. Er sieht blass und verschwitzt aus, und seine Augen sind riesengroß und beinah schwarz in dem grüngefilterten Waldlicht. Aus einem roten Streifen mitten auf seiner Wange quillt Blut. Oh Reggie, denkt Sirius. Er fühlt sich wie betäubt. Bist du so tief gesunken? Ist Muggel jagen jetzt sowas wie ein Sport für euch geworden? Regulus lauscht. Er kann ihn nicht sehen, aber seine Augen flackern suchend immer wieder und wieder an die Stelle, wo Sirius sich verborgen hält. Er runzelt die Stirn. Aber er kann ihn nicht sehen. Das ist unmöglich. Blut erkennt Blut. Sie hören das Geräusch beinah gleichzeitig. Regulus richtet sich auf, Sirius macht einen Schritt nach vorne, und aus dem Gebüsch tritt… Lily… nein, NEIN! Nicht Lily! Bitte nicht Lily! Sie hat den Stab wachsam erhoben, aber ein verirrter Sonnenstrahl blendet sie, fällt ihr direkt in die Augen und sie blinzelt. Diese Sekunde ist alles, was Regulus braucht. Er macht eine rasche Handbewegung, ein Schrei gefriert in Sirius Kehle. Sekundenlang ist alles Zeitlupe, schwarz-weiß und eine Endlosschleife aus nein. Nein. NEIN. Das wird er ihm nicht verzeihen. Das wird er ihm niemals verzeihen. Das nicht. Bitte nicht. „Petrificus Totalus!“ Lily fällt, Sirius Schrei erstirbt. Sie fällt steif wie ein Brett nach hinten, ihre Augen weitaufgerissen. Mit einem dumpfen Aufprall landet sie im Gras, der Zauberstab in ihrer Hand wie festgefroren. Sirius keucht auf, es wird von dem Rauschen der Blätter verschluckt. Es dauert einen endlosen Herzschlag, bis er das Unglaubliche begreift. Er hat sie nicht getötet. Regulus hat sie nicht getötet. Er hatte sie direkt vor sich, freie Schussbahn und er hat sie nicht getötet. Nicht einmal verletzt. Noch nicht, wispert eine Stimme in seinem Hinterkopf. Noch nicht. Aber Regulus macht keine Anstalten auf die erstarrte Lily loszugehen. Er weicht zurück, als versuche er Abstand zwischen sich und sie zu bringen. Seine Augen flackern wachsam von links nach rechts. Er atmet schwer und fährt sich mit der Hand über den Mund, als sei ihm schlecht. Einige Meter weiter bleibt er stehen. Er lässt er den Zauberstab sinken, legt den Kopf in den Nacken und blickt hinauf zum Himmel. Er schließt die Augen (leichtsinnig, kleiner Bruder, so leichtsinnig). Sirius sieht seine schmale, weiße Kehle, entblößt und verletzlich, und er sieht wie sein Kehlkopf sich bewegt, als er heftig schluckt. Er sieht nicht aus wie ein triumphierender Todesser. Er sieht überfordert aus, entsetzt und angewidert, bodenlos erschöpft, als ob er überall sein möchte, nur nicht hier. Als sei die Welt ein einziger Alptraum und es gäbe kein Erwachen mehr daraus. Die Schatten um seine Augen sind so tief, dass sie aussehen wie mit Tusche umrandet, und er ist so dünn geworden, dass seine Wangenknochen scharf hervortreten. Macht es doch nicht so viel Spaß, wie du erwartet hast?, denkt Sirius, überkommen von eisiger Wut. Erfüllen Terror und Mord und Blutshoheit nicht deine Erwartungen? Er streift den Umhang ab. Regulus atmet aus, ein tiefer, langer Seufzer. Er lässt den Kopf sinken und öffnet die Augen… und er prallt sofort zurück als sein Blick auf Sirius fällt. Sirius hat den Zauberstab erhoben. Regulus nicht. Sie stehen direkt voreinander, weniger als fünf Schritte trennen sie, aber es sind Abgründe und Menschenjahre und Ewigkeiten. Über diesen endlosen Abgrund hinweg starren sie sich an. „Willst du sie nicht foltern und umbringen?“ fragt Sirius leise. Die Spitze seines Zauberstabs ist direkt auf Regulus Kehle gerichtet. „Das macht ihr Todesser doch so gerne.“ Regulus stolzes Gesicht gibt nichts preis. Sein Zauberstab hängt lose zwischen seinen Fingern. Diese Nachlässigkeit ist trügerisch. Sirius weiß, wie schnell und elegant Regulus einen Schlenker mit dem Handgelenk machen kann. Er schweigt und schweigt, und als er schließlich etwas sagt, ist es nicht das, was Sirius erwartet. „Dein Desillusionierungszauber ist noch genauso armselig wie in der fünften Klasse. Ist dir das nicht peinlich?“ Es dauert einen Herzschlag lang, bis er begreift. Er hat ihn gesehen. Er hat sie beide gesehen. Bei dem Haus. Bei dem beschissenen Treffen. Sirius wird heiß und kalt, als ihm schlagartig klar wird, dass er sie in Gefahr gebracht hat. Er hat James in Gefahr gebracht. Nur durch eigene Blödheit. Sie starren sich an. Keiner von ihnen wagt es auch nur zu blinzeln. Stupefy, denkt Sirius wütend. Expelliarmus. Petrificus Totalus. Es wäre so leicht. So leicht. Ein Wort nur, eine rasche Bewegung aus dem Handgelenk. Und sein Bruder ist sein Gefangener. Ein Gefangener des Ordens. Die Schreie sind zu einem Hintergrundgeräusch mutiert. Blut rauscht in seinen Ohren. Eine Grille zirpt. Ein Windhauch lässt die Äste erbeben. Verurteilung, Azkaban, Todesser. Keine Verteidigung. Kein Freispruch. Aber er bewegt sich nicht, er kann nicht, und Regulus bewegt sich ebenfalls nicht. Einzelne Blättchen, in rotgoldenen Gryffindor-Farben, segeln zwischen ihnen zu Boden. Sie sind gefangen in einer Glaskugel aus zu viel Vergangenheit und zu wenig Zukunft, aus zu vielen Fehlentscheidungen und zu wenig Hoffnung. Mach schon, denkt er. Mach schon. Einer muss zuerst schießen. Alles was danach kommt, ist Notwehr. Zum ersten Mal kommt Sirius der Gedanke, dass sein Bruder trotz aller großspurigen Worte auch nicht der Erste sein will. Eine Stimme schreit seinen Namen. Die Seifenblase zerplatzt. Es ist James. Ausgerechnet James. Er bricht aus dem Geäst hervor, groß und trampelig wie sein Patronus, und er schmeißt sich todesmutig direkt vor Sirius, wie der Ritter, der er insgeheim immer sein wollte. „Rictusempra!“ Aber Regulus ist schnell, viel schneller als der Fluch, und er weicht mit der knochenlosen Geschmeidigkeit einer Schlange zur Seite. Der Fluch zischt haarscharf an ihm vorbei, seine Haare flattern im Wind und er wirft James einen Blick zu, der mehr genervt ist als alles andere. „Lern richtig Zielen, Potter“, sagt er, Stab erhoben, Mund schmal und grimmig, ein echter Black. Ein Todesser. Seine Stimme ist so tief. Sirius hat sich noch nicht daran gewöhnt wie rau und tief seine Stimme geworden ist. „Hey!“, stößt James empört hervor. Als er sieht, wer sein Gegner ist, lässt er überrascht den Stab sinken, lebensmüder, herzensguter Idiot, der er ist. Als ob er sich nicht vorstellen kann, dass jemand, der ein bisschen aussieht wie Sirius ihm jemals wehtun würde. (Dieser Idiot.) „Ich kann hervorragend zielen!“ Sirius ist weder herzensgut noch lebensmüde. Er packt James am Arm, zerrt ihn neben sich, ohne dabei den Blick (oder den Zauberstab) von seinem Bruder abzuwenden. Wenn du ihm wehtust, bring ich dich um, denkt er mit plötzlicher Klarheit und vielleicht kann man das in seinem Gesicht ablesen. (Oder vielleicht kann Regulus es tatsächlich lesen. Sirius letzter Stand ist, dass Walburga Legilimentik-Training sehr ernstnimmt. Todernst.) Regulus zögert. Eine namenlose Emotion zuckt über sein Gesicht, höhnisch schmerzhaft kalt, bis es wieder vollkommen unbewegt wird. Ein tiefer, dunkler See, auf dessen Grund man nicht sehen kann. Sehr langsam und vorsätzlich lässt er den Stab wieder sinken. Er schweigt und wartet. „James? Sirius!“ Äste knacken unter heraneilenden Schritten. Stimmen rufen aus der Ferne ihre Namen. Regulus Augen flackern zur Seite und wieder zurück zu Sirius. Er wartet noch immer. Auf ein Zeichen? Auf eine Entscheidung? Und vielleicht hat Sirius von Anfang an gewusst, dass es nur eine Art gibt, wie das hier enden wird. Er atmet aus und lässt den Stab sinken. Er schließt die Augen. Einen Wimpernschlag lang hört er nichts als das Rauschen der Blätter und James beschleunigten Atem neben sich. Verschwinde. Verschwinde. Als er die Augen wieder öffnet, ist die Stelle, an der eben noch sein kleiner Bruder stand, leer. Als wäre dort nie etwas gewesen. Nichts bleibt zurück von ihm, kein Haar, kein Schatten. Zwei einzelne Blätter segeln vor seinem Gesicht zu Boden, eins grün, eins rot. Und nein, die beschissene Symbolik entgeht ihm nicht, sie bohrt sich wie ein Splitter unter seine Haut. „Merlins Eier“, murmelt James und dreht sich überrascht im Kreis, als zweifle er an seinen Augen. „Man, dein kleiner Bruder war ja schon beim Quidditch verdammt schnell… Alles okay bei dir?“ „Bist du verrückt geworden?“ brüllt Sirius. Adrenalin pumpt durch seine Adern und seine Hände zittern. Er ist wütend, so unglaublich wütend, auf sich, auf Regulus, auf alles, und es muss irgendwo hin und James ist das einzige Ziel. „Wieso wirfst du dich vor einen Todesser, du unglaublicher Troll?!“ „Ich dachte, du bist in Gefahr. Ich dachte, du wirst attackiert von einem Dutzend Todesser.“ „Wieso wirfst du dich dann dazwischen?!“ „Ich dachte, du bist in Gefahr“, wiederholt James sehr geduldig. „Ich wusste ja nicht, dass es Baby Black ist.“ „Baby Black…?“ Sirius hebt die Arme. Er wie gar nicht, was er dazu sagen soll. „Der Kitzelfluch, James? Wirklich? DAS war deine Verteidigung?“ James zuckt mit den Schultern. „Sehr wirksam, wenn man ihn richtig einsetzt. Außerdem war es ja auch nur dein…“ „Sag es NICHT!“ Er wendet sich ab, damit James sein Gesicht nicht sehen kann. Er kann das verfluchte Wort nicht ertragen. Er hat ihn laufen lassen. Er hat ihn laufen lassen, weil er Feigling ist, ein solcher Feigling. Er hat ihn laufen lassen, weil die Erinnerung, wie Regulus nach einem Alptraum in sein Bett kriecht und sich an ihn kuschelt, jedes Bisschen gesunden Menschenverstand in ihm ausgelöscht hat. Er ist ein Wurm. Ein Schwächling. Er verdient es nicht jemals nach Gryffindor sortiert worden zu sein. Wie sollen sie diesen Krieg jemals gewinnen, wenn Sirius nicht es nicht mal hinkriegt einen einzelnen Todesser zu besiegen? Wie sollen sie diesen Krieg jemals gewinnen, wenn Sirius nicht einmal James beschützen kann? „Tatze…“, sagt James leise. Aber was immer er sagen will, er kommt nicht dazu, und das ist vielleicht auch gut so, denn Sirius könnte es nicht ertragen, wenn er jetzt lieb zu ihm ist. „James! Sirius!“ ruft eine Stimme. „Wir sind hier!“ antwortet James. Es sind Remus und Marlene. „Sie ziehen sich zurück!“ keucht sie. Ihre Wangen sind hochrot und hält sich mit einer Hand den linken Arm, der schlapp herunterhängt. Remus, den Zauberstab immer noch wachsam erhoben, gravitiert sofort zu James und Sirius. „Alles in Ordnung?“ „Wir haben nichts abgekriegt…“ Sirius unterbricht sich selbst. Scharf atmet er ein. „…Lily!“ Ohne abzuwarten stürzt er an den anderen vorbei, sprintet durch das hohe Gras, wirbelt panisch umher, wo ist sie, wo ist sie? und wirft sich mit Anlauf neben Lilys starrer Gestalt zu Boden. Ist sie…? Hat er? Der Gedanke, dass er ihr doch mehr angetan hat, krallt sich mit Widerhaken in seinem Gehirn fest und er bekommt erst wieder Luft, als er sieht wie ihre Augen sich bewegen und sofort in seine Richtung blicken. „Was ist passiert?“ James folgt ihm. Sobald er Lily in dem hohen Gras liegen sieht, steif und leblos, gibt er ein Geräusch von sich, was Sirius durch Mark und Bein geht, und wirft sich neben ihr auf die Knie. „LILY! Ist sie…?“ „Nein. Nein!“ Er bewegt seinen Zauberstab über ihr, aber seine Finger zittern so sehr, dass Remus, der neben ihn getreten ist, es für ihn übernimmt. „Finite Incantatem!“ Sei okay! Sei okay! Bitte lass sie okay sein! Heiliger Merlin. Sie ist okay. „SCHEISSE!“ ist das erste Wort, was aus ihr herausplatzt. Abrupt setzt sie sich auf. Ihre langen, roten Haare wirbeln herum, als sie sich umblickt. Ein Schwall an Flüchen folgt. „Wo ist er? Wer war das? Habt ihr ihn gesehen? Habt ihr ihn geschnappt? Godrics Eier! Wie eine Anfängerin…! Ich fass es nicht, dass…“ Weiter kommt sie nicht, denn James schlingt die Arme um sie und drückt sie an sich, Marlene schluchzt vor Erleichterung. Sirius lässt sich rücklings in das weiche Gras zurücksinken. Grüngoldene Baumkronen wirbeln schwindelerregend über ihm. Er hat sie nicht getötet. Er hat sie nicht getötet. Kapitel 5: Kein Blut. Keine Tränen. ----------------------------------- „Habe ich was im Gesicht?“ fragt Lily. „Blut oder so?“ Sie hebt die Augenbrauen, als Sirius ertappt den Blick senkt. „Ich frage nur, weil du mich anstarrst seit wir hier sind. Und da ich nicht James bin, bin ich so viel Aufmerksamkeit von dir nicht gewöhnt.“ Es ist ein Satz voller Landmienen und Sirius weicht ihnen mit der Geschicklichkeit jahrelanger Übung aus. „Ich weise das energisch zurück. Ich habe dich sehr viel und sehr aufmerksam angestarrt, seit wir uns kennen. Vor allem, wenn du kurze Röcke getragen hast.“ „Nicht so ausdauernd. Und nicht mein Gesicht.“ Ihre Augen werden schmal und sie neigt den Kopf, als ob sie ihn unter einem Mikroskop betrachtet. Sirius zuckt mit den Schultern und weicht ihrem Blick aus. Es stimmt. Auch drei Stunden später, als die Verletzten alle versorgt sind und sie zu einer kurzen Lagebesprechung bei Mary McDonalds Familie zusammensitzen, kann er nicht aufhören Lily anzustarren. Alles zusammengenommen war es ein kleineres Scharmützel und ein großer Teil von ihnen ist heil davongekommen. Trotzdem ist die Stimmung gedämpft und offensichtlich verspürt gerade niemand das Bedürfnis alleine nach Hause zu gehen. Remus, Mary und Marlene gehen herum und verteilen warme Getränke. James hat eine Hand beruhigend auf Gideons Schulter gelegt und redet leise mit ihm während Edgar seinen Zwillingsbruder verarztet. Dorcas und Caradoc haben die Köpfe über eine Landkarte gebeugt und deuten murmelnd mit den Zeigefingern auf Orte. Alle machen sich nützlich. Nur Sirius steht am Fenster und starrt Lily an, die dabei ist kurze Nachrichten an alle abwesenden Ordensmitglieder zu verfassen. Sie lebt. Regulus hätte sie töten können - es wäre so einfach gewesen, so schnell, nur ein Schlenker aus dem Handgelenk - aber sie ist hier und sie lebt, und Sirius kommt einfach nicht klar damit. Damit dass er es nicht getan und damit, was das vielleicht bedeutet. Sie boxt gegen seine Schulter. „Du tust es schon wieder. Das stresst mich, Black. Lass das! Oder verrate mir endlich, was los ist.“ „Nichts“, erwidert er reflexartig. Ihre Augen wandern forschend über sein Gesicht und er fokussiert auf eine Stelle zwischen ihren Augenbrauen. Das ist ein guter Trick, wenn man so tun will, als ob man jemandem direkt in die Augen sieht, aber es eigentlich nicht tut. Solche Strategien lernt man früh genug in einem Haushalt voller Raubtiere. Die Schreibfeder schwebt noch neben ihr in der Luft. Ein einzelner schwarzer Tropfen Tinte löst sich langsam und tropft zu Boden. Er sieht dabei zu, wie er auf dem Boden zerplatzt und ihm wird ein wenig übel. „Im Wald, da…“ rutscht es ihm heraus. Er bricht ab, beginnt von vorne. „Als du… Ich dachte…“ Er schüttelt den Kopf, wortlos, uncharakteristisch gehemmt. Etwas in ihrem Gesicht verändert sich, ihre Mimik wird weicher, zugänglicher. Die Schreibfeder schwebt langsam auf einen Tisch und sie lehnt sich neben ihn an das Fensterbrett. „Ich komme mir vor wie ein Idiot. Wenn das Licht mich nicht geblendet hätte, wäre mir nie so ein dummer Schnitzer passiert. Du hast ihn von mir abgelenkt, nicht wahr? Ich habe deine Stimme gehört.“ „Hm.“ Er macht ein unverbindliches Geräusch, dankbar dafür, dass sie zwar seine Stimme, aber offenbar nicht seine genauen Worte gehört hat. Abgelenkt. Ja, so kann man das auch sagen. Seine reine Anwesenheit hat Regulus sehr effektiv abgelenkt. „Wer auch immer es war, ich bin ganz froh, dass er offenbar seine unverzeihlichen Flüche gerade nicht parat hatte, sonst wäre ich jetzt wohl Hackfleisch. Danke, dass du dazwischen gegangen bist.“ Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn auf die Wange. Überrascht sieht er sie an. Sie zuckt mit den Schultern, als weiß sie selbst nicht, was sie überkommen hat. Sie stehen sich nicht besonders nah. Lily hat ihm während der Schulzeit sogar mehrfach versichert, dass er ein unausstehliches, arrogantes Arschloch ist und außerdem ein denkbar schlechter Einfluss auf James. (Damit hatte sie nicht Unrecht.) Und wenn er ehrlich ist, muss er zugeben, dass er anfangs überhaupt nicht begeistert darüber war, sich James Aufmerksamkeit plötzlich mit ihr zu teilen. Er teilt nicht gerne. Besonders nicht James. Andere Menschen – normale Menschen – können das nicht verstehen. Aber als Black lernt man sehr früh, dass Liebe eine begrenzte Ressource ist, etwas, von dem nie genug vorhanden ist und das man mit Klauen und Zähnen verteidigen muss. Gegen alles und jeden. Haben er und Lily sich deswegen häufiger als alle anderen Menschen auf der Welt finster über Eisbecher hinweg angestarrt, und peinliche Treffen zu dritt ausgehalten, in denen sie beide lieber mit James allein sein wollten? Ja. Waren sie beide gleichermaßen stur und entschlossen und nicht bereit einen einzigen Millimeter nachzugeben? Oh ja. Es gab keinen einzelnen Moment, an dem sie offiziell Waffenstillstand geschlossen oder sich jemals ausgesprochen hätten. Aber irgendwie, irgendwann schweißt es einen zusammen, wenn man die gleichen Feinde hat, die gleichen Ängste aussteht und den gleichen Menschen liebt. Und dass sie James immer noch liebt, auch wenn sie (grade?) nicht zusammen sind, steht für ihn außer Frage. Sie verschränkt die Arme hinter den Kopf und blickt zu ihm auf, Spekulation in ihren Augen. „Familie ist immer kompliziert. Glaub mir, ich weiß das.“ Es ist wie Fass eiskaltes Wasser, das mitten über seinem Kopf ausgegossen wird. „Was?“ Sie weiß es. Das ist der einzige Gedanke in seinem Kopf. Sie weiß, was er getan hat. Sie weiß, dass sein Bruder ein Todesser ist. Sie weiß, dass er ihn hat laufen lassen, wie der feige Wurm, der er ist. Sie weiß… „Bellatrix.“ „Bella…?“ Einen Moment lang ist ihm schwindelig vor Erleichterung. „Du musst gar nichts sagen“, sagt sie rasch. „Ich weiß… wie das ist. Meine Schwester…“ Sie verstummt und zieht die Schultern hoch, wie immer wen die Rede auf Petunia kommt. „Sie verachtet Zauberer fast genauso sehr wie Bellatrix Muggel verachtet.“ Ihr Lächeln ist wackelig. „Man könnte meinen, dass sie sich gut verstehen würden, wenn sie nicht genau auf unterschiedlichen Seiten stünden.“ „Vielleicht sollten wir sie einander vorstellen.“ „Ach, das würde sie in ihrer Meinung nur bestärken.“ Sie senkt den Kopf und ihr langes, rotes Haar fällt ihr vor das Gesicht wie ein Schleier. Und das ist die andere Sache, die sie zusammenschweißt. Was paradox ist, denn sie reden nicht oft darüber. Nicht über Petunia, nicht über Regulus. Nicht wirklich. Und doch ist es etwas, was sie gemeinsam haben. „Sie weiß nicht einmal, was hier los ist.“ Sie lächelt traurig und dieses Mal hat er das seltene Bedürfnis sie in die Arme zu nehmen. James färbt langsam aber sicher auf ihn ab. „Ich frage mich manchmal, ob es irgendwas ändern würde…“, ihre Stimme bricht, „wenn sie wüsste, dass ich in Gefahr bin. Ob es ihr irgendwas ausmachen würde.“ „Ja.“ „Du kennst sie nicht.“ „Vielleicht würde sie einfach jeden umbringen, der dir jemals wehgetan hat.“ Ihm wird heiß, als er ihren verständnisvollen Blick sieht. Ihm ist klar, dass er mit diesem Satz mehr über sich verraten hat als über Petunia Evans. „Vielleicht auch nicht“, korrigiert er. „Aber wen kümmerts. Sie ist selbst schuld, wenn sie dich nicht in ihrem Leben haben will. Damit bestraft sie sich doch selbst am meisten.“ Ein überraschtes Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht auf. „Wer hätte das gedacht. Hat Sirius Black etwa doch ein Herz?“ „Das sind unhaltbare Gerüchte, Evans.“ Aber danach schafft er es tatsächlich sie nicht länger anzustarren, wie ein verrückter Stalker. Moody und Dumbledore tauchen von Gott-weiß-woher auf, und Lily und Marlene liefern einen raschen Überblick, was passiert ist. Dumbledores Brille rutscht immer tiefer auf seine Nasenspitze und Moodys Gesichtsausdruck wird immer finsterer. Vermutlich muss das Ministerium einschreiten wegen der vielen Muggel, die involviert waren und deren Gedächtnis nun verändert werden muss, aber das ist ja nicht mehr Sirius‘ Problem. Er, Remus und James gravitieren wie gewöhnlich zueinander und enden in eine schmale Nische gequetscht nebeneinander. Sie reichen eine Flasche Butterbier hin und her, die sie einvernehmlich teilen. Es ist ein bisschen wie früher in der Schule. Die ganze Gang beieinander. Erst als James fragt: „Wo ist eigentlich Peter?“ fällt Sirius auf, dass jemand fehlt. Remus schüttelt den Kopf. „Ich habe schon eine Weile nichts mehr von ihm gehört. Ich bin nicht sicher, ob er den Patronus bekommen hat.“ „Komisch, ist alles okay bei ihm?“ „Ich weiß nicht, das letzte was ich mitbekommen habe…“ Sirius lauscht ihren leisen Stimmen, ohne sich an dem Gespräch zu beteiligen. Er und Peter standen sich nie besonders nah. In der Schule hat er sich an ihn und James drangehängt wie eine Klette, und im Gegensatz zu Remus, der klug und interessant ist, hat er nie irgendwas wirklich Cooles beigesteuert. Ehrlich gesagt ist Peter ziemlich langweilig. Aber er weiß, dass James und Remus nicht so denken, nie so über einen Freund denken würden, und deswegen hält er den Mund und nippt schweigend an der Flasche. Remus und James unterhalten sich weiter. Ihre leisen Stimmen fließen um ihn herum wie Wasser. Das Butterbier ist süßlich und viel zu warm. Sein Kopf sinkt auf James‘ Schulter und es ist so gemütlich, dass er beinah einschläft, jetzt wo das Adrenalin nachlässt. Erst als er seinen Namen hört, wird er wach. Eine plötzliche Stille ist im Raum eingekehrt. Anspannung macht sich in James Körper breit. Langsam hebt Sirius den Kopf von seiner Schulter, pustet eine schwarze Strähne aus seinen Augen und blickt sich um. Remus ist aufgestanden. „Möchtest du das wiederholen, Dearborn?“ fragt er höflich. Aber da ist ein kühler Unterton in seiner Stimme. Was immer über Sirius gesagt worden ist, Remus mit seinem übernatürlichen Werwolfgehör ist es nicht entgangen. Caradoc Dearborn steht von dem Tisch auf, an dem er eben noch heftig mit Moody diskutiert hat und verschränkt die Arme vor der Brust. „Der Angriff auf die Muggel war ein Ablenkungsmanöver, während Todesser Amelias Eltern überfallen und entführt haben. Es ist doch offensichtlich, was hier passiert! Nur Ordensmitglieder wussten über ihren Aufenthaltsort Bescheid.“ Er echot damit akkurat den Gedanken, den Sirius schon vor einigen Wochen hatte. Nur Ordensmitglieder… Es wussten auch nur Ordensmitglieder über Millys Aufenthaltsort Bescheid. „Das ist eine schwere Anschuldigung“, sagt Dorcas. Ihr Blick flackert zu Sirius, beinah unwillkürlich, wie ein Reflex. „Keiner von uns würde…“ „Offensichtlich HAT jemand“, widerspricht Caradoc. „Ich bin nicht der erste und nicht der Einzige, der es denkt. Ihr seid nur alle zu feige, um es auszusprechen“ Das Schweigen, was sich im Raum ausbreitet ist beinah ohrenbetäubend in seiner Lautstärke. Er ist definitiv nicht der Einzige, wird Sirius klar. Es hat nur bisher niemand gewagt, es laut zu äußern. Nicht den Verdacht. Und nicht den Verdächtigen… „Es sieht so aus, als hätten wir einen Verräter in unserer Mitte.“ Das leise Sirren von Moodys Auge, als es sich wild hin und herdreht, als ob es alles und jeden gleichzeitig im Auge behalten will, ist das einzige Geräusch. „Niemand würde…“, beginnt Marlene. Caradoc schnaubt. „Ignorieren wir nicht alle den offensichtlichen Kandidaten?“ Seine Augen blicken quer über den Tisch hinweg direkt zu Sirius. Sirius hebt die Augenbrauen und schlägt die Beine übereinander. In seiner linken Hand baumelt lässig die Flasche Butterbier. Nach außen bleibt er gelassen, auch wenn es in seinem Inneren brodelt. War ja nur eine Frage der Zeit, bis das passieren würde. „Willst du mir irgendwas sagen, Dearborn?“ fragt er mit einem aufreizend koketten Lächeln. „Oder bewunderst du einfach nur mein Gesicht? Ich schick dir gerne ein Foto, dann kannst du es die ganze Nacht weiter bewundern.“ Er wackelt vielsagend mit den Augenbrauen. Verächtlich spuckt Caradoc auf den Boden. „Oh, ich habe kein Problem damit, dir was zu sagen“, erwidert er. „Einmal ein Black, immer ein Black. DAS will ich sagen!“ Lily schnappt empört nach Luft. Marlene zieht die Augenbrauen zusammen. „Sirius ist kein Verräter!“ James springt auf. Er vibriert vor Zorn und macht Anstalten auf Caradoc zuzustürzen. „Nimm das sofort zurück oder ich…!“ Remus hebt den Arm, um ihn aufzuhalten. „Hast du irgendwelche Beweise für diese Anschuldigung?“ Caradoc zuckt mit den Schultern. „Seine gesamte Familie besteht aus Todessern und Anhängern der dunklen Künste. Woher sollen wir denn wissen, dass er denen nicht nebenbei Informationen zuspielt?“ „Du hast ja nicht mehr alle!“ James hat seinen Zauberstab in der Hand, schneller als Remus es verhindern kann, und dann ist Caradoc ebenfalls aufgesprungen und hat den seinen gezückt. Es prickelt in der Luft, Vorboten eines riesigen Gewitters. Sirius schmeckt Blut. Sein Blick kreiselt durch den Raum. Marlene packt Lily am Arm und zieht sie einen Schritt zurück. Gideon hat sich schützend vor seinen verletzten Zwillingsbruder gestellt. Edgar weicht seinem Blick aus. Glauben sie ihm? Denken die anderen auch, dass er es war? „Hey! Hey!“ donnert Moody. „Das reicht jetzt! Weg mit den Stäben! WEG damit, habe ich gesagt!“ Keiner von beiden gehorcht. James freundliches Hundegesicht ist finster entschlossen, Caradoc brodelt vor Zorn. Ein Wort, ein Zucken und sie werden aufeinander losgehen. Sirius steht langsam auf. Er schiebt sich erst an Remus und dann an James vorbei, direkt vor Caradoc. „Das ist ja alles herrlich romantisch und so, aber bitte duelliert euch nicht um meine Ehre“, sagt er mit vor Sarkasmus triefender Stimme. „Die habe ich vor Jahren in einem Nachtclub verloren. Es lohnt sich also nicht.“ Caradoc hat die Zähne gefletscht und die Spitze seines Zauberstabes richtet sich auf Sirius‘ Gesicht. „Du kannst ja nicht mal das ernst nehmen.“ Er klingt angewidert. „Tja, du hast Recht. Meine Ernsthaftigkeit ist begrenzt, und für heute ist sie aufgebraucht. Frag doch morgen wieder.“ Er entblößt die Zähne zu einem spöttischen Lächeln. Aus den Augenwinkeln sieht wie Edgar sich abwendet und Dorcas missbilligend die Arme verschränkt. Vermutlich sind sie enttäuscht von seiner Kaltschnäuzigkeit. Sollen sie doch. Du kannst bluten, du kannst weinen – es darf nur nie jemand sehen. Erste Regel im Leben aller Black Kinder. Sie werden ihn niemals bluten sehen. Niemals. Eine Hand berührt seine Schulter. Es ist James, der sich neben ihn geschoben und den Arm um ihn gelegt hat, eine wortlose Unterstützung und eine Aussage, so klar und deutlich, als würde er ein Schild vor sich hertragen, auf dem „TEAM SIRIUS!“ steht. Sirius schnaubt und spürt wie seine vor Anspannung schmerzenden Schultern langsam nach unten sinken. „Gegenseitige Schuldzuweisungen sind sinnlos und gefährlich“, sagt Remus leise und tritt auf seine andere Seite. „Durch Zwietracht und Misstrauen spielen wir den Todessern nur in die Hände. Also überleg dir nächstens, was du sagst.“ „Ich stimme Remus zu“, sagt Dumbledore, der sich erhoben hat. Seine Stimme bewirkt, dass Caradoc endlich auch den Stab sinken lässt. „Wir haben in der aktuellen Situation keine Beweise, die irgendjemanden hier belasten würden.“ Er macht eine Pause und lässt die Worte einsinken. „Ich möchte trotzdem zu einer erhöhten Wachsamkeit aufrufen. Kritische Informationen werden von jetzt an nur noch auf „Need-to-know“-Basis verteilt werden.“ Zum ersten Mal seit Sirius ihn kennt, sieht er plötzlich so alt aus, wie er ist. „Des Weiteren müssen wir in Betracht ziehen, dass uns vielleicht niemand willentlich hintergeht.“ Er hebt die Hand und unterbricht die Proteste, die im Entstehen sind. „Bedenkt, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, die nichts mit Verrat zu tun haben. Der Imperiusfluch. Vielsafttrunk. Um nur zwei davon zu nennen.“ Moody reibt sich das stoppelige Kinn und flucht leise. Die anderen sehen so vor den Kopf gestoßen aus wie Sirius sich fühlt. Wie naiv sie alle sind, dass sie bisher nicht daran gedacht haben. Es muss gar keinen Verräter geben. Einfach jeder könnte es sein. Einfach jeder könnte nicht mehr er selbst sein. Auf dem Heimweg diskutieren sie über nichts anderes. James ist offensichtlich vollkommen entsetzt von diesem Gedanken. „Aber wir würden uns doch immer erkennen, oder?“ fragt er zum dritten Mal. „Ich meine, ich würde doch merken, wenn du nicht… DU bist.“ „Wieso bist du da so sicher? Ich könnte in diesem Moment meine durchgeknallte Cousine sein und du wüsstest es nicht“, erwidert Sirius. „Sag doch sowas nicht“, stöhnt James. „Bist du Bellatrix?“ „Das letzte Mal als ich nachgesehen habe, hatte ich noch alle Tassen im Schrank. Also nein.“ James überlegt weiter halblaut welche Sicherheitsfragen sie sich gegenseitig stellen könnten, und ob sie sich alle die Haare abrasieren sollten, um zu verhindern, dass man daraus Vielsafttrank brauen kann, und ob Lily vielleicht nur deswegen Schluss gemacht hat, weil sie gar nicht Lily ist. Sirius hört mit einem Ohr zu, während er brütend vor sich hinschlendert, die Hände in den Hosentaschen vergraben. „Ich hätte es sagen sollen“, sagt er schließlich als sie an ihrer Wohnung ankommen. James, der dabei ist ihre Schutzzauber zu überprüfen, dreht sich um. „Was?“ „Das mit Regulus. Ich hätte…“ Sirius schüttelt den Kopf und lässt sich auf die Couch fallen. „Wieso habe ich Dumbledore nichts von ihm gesagt? Ich bin ein Idiot. Genau das macht mich verdächtig. Als ob ich ihn beschütze, nur weil er mein Bruder ist!“ Das wäre ein gefundenes Fressen für Caradoc. Sirius hat seinen Todesser-Bruder laufen lassen. Die stecken doch unter einer Decke! „Was? Nein!“ James wirft sich neben ihm. „Hör zu. Ich habe darüber nachgedacht. Und ich denke, es ist gut, dass du nichts gesagt hast.“ Sirius hebt den Arm von den Augen. „Was?“ fragt er unwirsch. „Wieso das denn?“ „Er hat sie nicht getötet!“ James breitet die Arme aus, als ob er Sirius etwas Spektakuläres darbietet und nicht nur einen halbgaren, kontextlosen Fakt. Sirius würde sich gerne dumm stellen, aber es ist ja nicht so, dass ihn diese Sache nicht auch den ganzen Tag beschäftigt hat. „Das beweist rein gar nichts“, sagt er stattdessen. „Doch! Es beweist, dass er da vielleicht in was reingeraten ist, dass ihm vielleicht langsam über den Kopf wächst.“ Sirius starrt ihn an. Hastig redet James weiter: „Denk doch mal darüber nach! Er ist so jung. Wie kann er gewusst haben, worauf er sich einlässt? Deine wahnsinnige Cousine wird ihn bearbeitet haben, bis er nicht mehr gewusst hat, wo oben oder unten ist. Und jetzt steckt er fest und weiß nicht, wie er rauskommen soll.“ „Nein.“ „Ich sage nur, dass das eine Möglichkeit ist, die wir in Betracht ziehen müssen!“ „Nein, müssen wir nicht!“ „Wieso sperrst du dich so gegen die Idee, dass dein Bruder vielleicht KEIN Soziopath ist?“ „Ugh.“ Sirius steht auf. „Weil es Schwachsinn ist! Und jetzt gehe ich duschen.“ Er hat gehofft, dass das Thema damit beendet ist, aber wenn James eins ist und schon immer war, dann hartnäckig. Die nächsten Tage geht es ununterbrochen so weiter. James möchte endlos darüber diskutieren, was passiert ist, und Sirus möchte nie wieder darüber nachdenken. „Er hat sie nicht getötet!“ „Das war vermutlich ein Versehen.“ „Er hat dich auch nicht angegriffen!“ „Weil er wusste, dass er keine Chance hat gegen mich!“ Er hat seinen Bruder abgeschrieben, schon vor Jahren. Er ist immer gut damit gefahren von seiner Familie nichts mehr zu erwarten. Wenn man nichts erwartet, wird man auch nicht enttäuscht, so einfach ist das. Nur James will das einfach nicht verstehen. James hat den irrsinnigen Gedanken, dass Regulus „gerettet“ werden könnte und geht von der völlig falschen Prämisse aus, dass Sirius derjenige ist, der ihn „retten“ möchte. „Vielleicht möchte er kein Todesser sein? Vielleicht bereut er seine Entscheidung?“ „Vielleicht ist er auch einfach kein besonders guter Todesser. Er war nie in irgendwas gut.“ Das ist eine offensichtliche Lüge, denn Regulus hat Dutzend von „Ohnegleichen“ in seinen Prüfungen gekriegt und auf dem Quidditch-Feld war er zumindest gut genug, dass James sich ein bisschen anstrengen musste, und das heißt schon was, denn James ist der beste Quidditch-Spieler, den Sirius je erlebt hat. Und wenn die Welt fair wäre und sie nicht gerade mitten im Krieg wären, würde James das jetzt professionell machen und ein Star sein. Wenn die Welt fair wäre, wäre Sirius auch nicht mit seiner grässlichen Familie gestraft, aber die Welt ist nun mal nicht fair und nur deswegen sitzen sie jetzt hier und diskutieren sich zum siebenundfünfzigsten Mal den Mund fusselig und Sirius ist kurz davor zu schreien. „Was ist, wenn…?“ James Augen sind riesengroß und dramatisch. „Sirius, was ist, wenn er Hilfe braucht?“ „Glaub mir, er braucht keine Hilfe, er braucht eine Tracht Prügel!“ „Aber…“ „Merlins Bart! Hör auf! Ich will nichts mehr davon hören!“ Türen werden geknallt und Sirius weigert sich zwei Tage lang mit James zu reden, sondern schläft bei Remus auf der Couch. Er ist so kurz davor, Remus einzuweihen in seine Probleme, denn Remus ist klug und pragmatisch und viel weniger emotional als James, und vielleicht hätte er ja was Vernünftiges zu dem Ganzen beizusteuern, aber dann sagt Remus „Ehekrach?“ mit diesem Unterton, den er manchmal hat, und Sirius wirft ein Kissen nach ihm und dann reden sie doch nicht darüber. Er kann nicht darüber reden. Worte werden zu Asche in seinem Mund, wenn er es versucht. Er wüsste nicht, wie er es erklären soll. Er besitzt eine meterdicke Schutzschicht aus Arroganz, Verleugnung und Sarkasmus, an der alles abprallt und durch die niemand durchkommt. Niemand wird sein Blut sehen. Niemand seine Tränen. Etwas von seiner Familie zu erwarten, bedeutet die Zugbrücke hinunter zu lassen. Sich ganz und gar nackt und verletzlich zu machen. Und das kann er nicht. Das würde ihn umbringen. Deswegen erwartet er nichts von Regulus. Er kann nicht. Das ist der einzige Schutz, den er hat. Die Zugbrücke muss oben bleiben. - Zwei Wochen nach dem desaströsen Ordens-Treffen wird er mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Zwei Dinge wecken ihn simultan. Das Glühen seines Zauberstabs. Die Hand auf seinem Mund, vertraut genug, dass er die Augen öffnet ohne sich zu wehren. James sitzt auf seiner Bettkante, den Zeigefinger auf dem Mund. Sirius nickt zum Zeichen, dass er wach ist (wach genug), und James lässt die Hand sinken. Schweigend hebt er seinen Zauberstab. Auch von ihm geht ein gelbliches Licht aus. Sirius weiß, was das bedeutet. Die Schutzzauber haben ausgelöst. Jemand ist dabei in ihre Wohnung einzudringen. Lautlos schwingt er sich aus dem Bett, streift sich mit einer Hand ein T-Shirt über (einer Horde Todessern nur in Boxershorts gegenüber zu stehen, hat er schon einmal erlebt und es ist nicht so cool wie man denkt) und schnappt mit der anderen seinen Zauberstab. Lautlos tapsen sie zur Tür. Sirus lauscht, versucht seinen aufgeregten Herzschlag zu beruhigen. Aber wer auch immer dabei ist, gerade in ihre Wohnung einzudringen, tut es sehr leise. James macht eine Kopfbewegung zur Seite und Sirius nickt. Einer von links, einer von rechts. James hebt die Hand und sie lassen ihre Stäbe sacht aneinanderklacken, ein wortloses „Bis-gleich-sei-vorsichtig“, und dann verschwinden sie in entgegengesetzte Richtungen. Man kann ihr Wohnzimmer von zwei Seiten betreten. Während James durch Sirius Schlafzimmer in sein eigenes zurückschleicht, geht Sirius am Badezimmer vorbei und durch die Küche. Er bewegt sich rasch, aber leise. Alle paar Schritte bleibt er stehen und lauscht mit angehaltenem Atem. Da ist etwas in der Luft, er kann es spüren. Ein Hauch von Magie, die Signatur fremd und doch vage vertraut. Irgendjemand hat ihre äußeren Schutzzauber außer Kraft gesetzt, was eigentlich unmöglich sein sollte. Doch dieser jemand rechnet sicher nicht damit, dass sie auch drinnen ein paar Schutzzauber eingerichtet haben. Sie haben eine ganz besondere Alarmanlage. Wie auf Kommando poltert ein Stuhl zu Boden. Der Plattenspieler springt an und die Ramones grölen aus voller Lautstärke: „I WANNA BE SEDATED!“ Der Beat wummert unter seiner Haut. Sirius rennt die letzten Meter, schliddert über die Küchenfließen. „I CAN’T CONTROL MY FINGERS, I CAN’T CONTROL MY BRAIN” Sein Herz hämmert. Gleich. Gleich. Wie viel sind es? Todesser? Ist es Voldemort? „NOTHING TO DO, NOWHERE TO GOO~ – I WANNA BE SEDATED!” Ein Knallen. Das letzte Wort erstirbt mit einem Gurgeln, gefolgt von einem Zischen. Brandgeruch steigt ihm in die Nase. In der Dunkelheit hört er James Stimme. „Expelliarmus!“ Und dann: „Lumos!“ Das Wohnzimmer ist dunkel bis auf einen Streifen Mondlicht, der quer hindurchgeht und das bläuliche Licht von James‘ Zauberstab. Es ist keine Horde Todesser. Gegenüber von ihm steht nur eine einzelne dunkle Gestalt, gekleidet in einem schwarzen Umhang. Funken sprühen aus der Richtung ihres Plattenspielers und dicker, schwarzer Rauch steigt davon aus. James stößt einen ungläubigen Fluch aus und hustet. „Godrics Eier!“ „Hände hoch!“ faucht Sirius und zielt blindlings in den Rauch. „Nicht schießen!“ ruft James atemlos. „Es ist dein Bruder…!“ Kapitel 6: Finde mich --------------------- Regulus Black steht in ihrem Wohnzimmer. James braucht einen Moment, um das zu verdauen. Offenbar ist er nicht der Einzige, denn Sirius sieht ebenfalls aus, als hätte er grade einen Klatscher an den Kopf gekriegt. Vielleicht ist er hier, um sie umzubringen. Aber irgendwie glaubt James das nicht. Regulus hat die Hände halbherzig erhoben, sein Zauberstab befindet sich in James‘ Hand. Dafür, dass man ihn gerade entwaffnet hat, macht er einen relativ ungerührten Eindruck. „Bist du gekommen, um uns nachts die Kehle durchzuschneiden?“ fragt Sirius, dessen Gedanken offensichtlich in eine ähnliche Richtung gewandert sind. Seine Stimme ist kalt und gefasst, aber James kennt ihn gut genug, um nicht darauf reinzufallen. Sirius ist alles, aber nicht gefasst. „Feige wie alle Todesser.“ „Wenn das meine Absicht gewesen wäre, hätte ich es besser angestellt.“ „Oh ja klar. Sei beleidigt, weil man dir mangelnde Kompetenz unterstellt“, zischt Sirius. „Gott bewahre, dass dir das Fehlen jeglicher Integrität oder Ehrgefühl irgendwie zu schaffen machen könnte.“ „Ich bin kein Gryffindor.“ Baby Black entblößt die Zähne. „Euer Verhältnis zu Kompetenz ist ja bekannt. Nicht vorhanden!“ James blickt hin und her, wie bei einem Tennismatch. „Äh, Leute…“, fängt er an, aber niemand hört auf ihn. „Was hast du mit meinem Plattenspieler gemacht?“ „Diese Höllenmaschine?“ Regulus blickt mit Todesverachtung auf den zerschmolzenen Haufen schwarzes Plastik hinab. „Ich habe mich nur verteidigt.“ Sirius knirscht so laut mit den Zähnen, dass man es hören kann. „Wie hast du uns gefunden?“ „Wieso? Sollte das eine Schwierigkeit darstellen?“ „Wenn du mir nicht sofort sagst…“ „Weil ein fliegendes Motorrad ja vor allem auf Subtilität ausgelegt ist…!“ „WAS MACHST DU HIER?“ „DU hast mir geschrieben!“ „WAS?“ Schwer atmend starren sie sich an. Jeder Spott ist aus Regulus hochmütigen Gesicht verschwunden. Seine schwarzen, halblangen Haare kleben nass in seinem Gesicht und James sieht, wie seine Kehle sich bewegt als er schluckt. Er ist so jung, denkt er mit einer plötzlichen Aufwallung von Mitgefühl. So jung. Er sieht aus wie eine halb ertrunkene Katze, und schlimmer, viel schlimmer, er sieht aus wie eine jüngere, schmalere Version von Sirius, und James kann beinah spüren, wie sämtliche seiner Beschützerinstinkte darauf anspringen. „Du hast mir geschrieben“, wiederholt Regulus trotzig. Aber da ist ein Unterton in seiner Stimme, rau und verzweifelt, beinah flehend, und plötzlich fällt bei James der Groschen. Oh. OH! Shit. Sirius starrt seinen Bruder an, als habe er den Verstand verloren. „Warum sollte ich dir schreiben?“ Durch Regulus‘ schwarzgekleidete Gestalt läuft ein Schauer. „Du hast…“ „Ähm...“ James hebt die Hand, wie im Schulunterricht. „Ich wars?“ Gleichzeitig fahren sie zu ihm herum und einen schwindelerregenden Moment lang fühlt sich, als sähe er doppelt. In ihren Gesichtern spiegelt sich die gleiche wilde Mischung aus Entsetzen und Verrat. „Wieso?“ Sirius greift sich an die Brust, eine unwillkürliche Bewegung, die James mehr schmerzt als sein Gesichtsausdruck. Er fühlt sich, als ob er einen tödlichen Pfeil auf ihn abgeschossen hätte. Ein Schuss, ein Treffer. Mitten ins Herz. Regulus sagt nichts. Er schwankt und schließt die Augen, und einen Moment lang sieht er aus, als würde er gleich zusammenklappen. Seine Haare hängen ihm strähnig ins Gesicht und oh man, James ist nicht der Typ, der viel auf Äußerlichkeiten achtet, aber Baby Black sieht echt fertig aus. Merlins modrige Unterhose. Er hat doch nicht ahnen können… James fährt sich mit beiden Händen über das Gesicht und durch die Haare. Er ringt nach Worten. „Wenn du in Schwierigkeiten steckst - finde mich“, zitiert er. Er sieht Regulus direkt an. „Du brauchst Hilfe… Deswegen bist du hier, nicht wahr?“ In Regulus‘ Gesicht fällt eine Jalousie nach unten. Es gibt keine andere Beschreibung für die plötzliche Ausdruckslosigkeit seiner Mimik. Er strafft die Schultern und hebt das Kinn. Als er antwortet, ist seine Stimme kalt und tonlos. „Eine Fehlberechnung meinerseits. Es wird nicht wieder vorkommen.“ Er tritt einen Schritt auf James zu und streckt die Hand aus. „Wenn ich jetzt meinen Zauberstab wiederhaben dürfte.“ Es sind nicht nur seine Haare, die nass sind. Jetzt wo er direkt unter dem Schein der Lampe steht, fällt James zum ersten Mal auf, dass er von Kopf bis Fuß durchnässt ist. Sein langer, schwarzer Umhang tropft so sehr, dass sich an der Stelle, an der er eben gestanden hat eine Pfütze gebildet hat. „Was ist mit dir passiert?“ fragt er unwillkürlich. „Nichts, was dich etwas anginge, Potter.“ Sirius lässt die Hand sinken. Entschlossen richtet er den Zauberstab wieder auf seinen Bruder. „Du musst verrückter sein als Cousine Bellatrix, wenn du denkst, was wir dich gehen lassen, jetzt wo du weißt, wo wir wohnen.“ Er macht einen Schlenker mit seinem Stab und ein Stuhl rauscht von hinten an Regulus heran. „Setz dich.“ „Nein.“ „Das war keine Bitte!“ James stöhnt. „Du hast mir gar nichts zu sagen…“ „Regulus, ich schwöre bei Godric, ich werde…“ „Schluss jetzt!“ brüllt James. Zu seiner Überraschung gehorchen sie. Huh. Offenbar hat er die Schulsprecher/Quidditch-Kapitäns-Stimme immer noch drauf, wenn er es darauf anlegt. „Baby Black, hinsetzen!“ Regulus verdreht angewidert die Augen, aber zu seiner Überraschung gehorcht er. Sobald er die Stuhlfläche berührt, schießen Fesseln aus dem Stuhl hervor und schlingen sich um seine Hand- und Fußgelenke. Er zuckt zusammen und verzieht dann verächtlich den Mund. „Daraus könnte sich sogar ein Kleinkind befreien.“ „Ja, aber sogar das Kleinkind ist damit wenigstens eine halbe Stunde beschäftigt“, erwidert James, der diesen Stuhl persönlich verzaubert hat und immer noch sehr stolz darauf ist. „Sirius, mitkommen.“ Sirius sieht ihn finster an, aber er folgt ihm ohne Widerworte und ohne den erwarteten Kommentar über Platzhirsche. Das verrät James mehr als alles andere, wie aufgewühlt er innerlich gerade sein muss. Aufgewühlt und verletzt. Wenn Sirius eine Sache nicht gut wegsteckt, dann wenn Freunde ihn hintergehen oder Dinge verschweigen, ganz egal, ob es zu seinem Besten ist. Shit, denkt James zerknirscht, er muss das wieder grade biegen. Er ist dafür verantwortlich, dass Regulus hier ist. Aber er hat ja nicht ahnen können, dass er gleich persönlich hier auftaucht. Mitten in der Nacht! Er hat angenommen, dass er vielleicht… na ja, zurückschreibt? Eine Art Lebenszeichen sendet. Irgendwas, was normale Leute tun würden. Sobald sie im Nebenzimmer (James‘ Schlafzimmer) sind, lässt Sirius den Zauberstab sinken und geht auf ihn los. „Wieso hast du das getan?!“ „Es war nur ein Satz“, beteuert James und hebt verteidigend die Hände. „Kein Name. Keine Adresse. Ich… ich habe es an den Grimmauldplatz geschickt. Ich dachte nicht, dass er… ich habe nicht erwartet, dass er reagieren würde. Ich wollte ihm nur eine Chance geben!“ „Einem Todesser!“ „Deinem Bruder. Allein, dass er jetzt hier ist…“ „Das bedeutet nichts! Nichts!“ „Sollten wir ihm nicht wenigstens zuhören?“ „Es ist eine FALLE, kapierst du das nicht?!“ „Hast du nicht gesehen, wie er aussieht…? Ich meine…“ Sirius verkrallt die Hände in seinem T-Shirt, etwas Wildes, Verzweifeltes in seinem Gesicht. „Bist du jetzt auf seiner Seite, ist es das?“ Fassungslos starrt James ihn an. „Ich bin auf DEINER Seite! Ich bin immer auf deiner Seite. Ich habe es für dich getan.“ „Wieso?“ Schweratmend stehen sie voreinander. Es gibt so viele Antworten auf diese Frage, dass James gar nicht weiß, wo er anfangen soll. Es war eine impulsive Entscheidung. Es fühlte sich richtig an. Als er schließlich antwortet, ist er selbst überrascht davon, was er sagt. „Weil du mir in der vierten Klasse die Zunge an den Gaumen gehext hast, als ich deinen Bruder beim Quidditch vom Besen geholt habe.“ „Ich habe dir die Zunge an den Gaumen gehext, weil du nach dem Sieg ein unerträglicher Angeber warst und ich dein Gelaber nicht mehr ertragen habe.“ „Aber ich habe dein Gesicht gesehen...“, sagt er leise. Sein Gesicht als Regulus am Boden lag. James hat es gesehen und er hat es nie vergessen. Sucher sind immer die kleinsten und schmalsten Spieler im Team. Aber gleichzeitig sind es auch die Spieler, die die meisten und die brutalsten Spielverletzungen davontragen. James war vierzehn, fast fünfzehn, Regulus war einen Kopf kleiner und er sah aus wie zwölf. Und James hat ihn vom Besen gerammt, weil es nicht anders ging, weil sie sonst verloren hätten, weil James mit vierzehn, fast fünfzehn ein unerträglich schlechter Verlierer (und ein noch unerträglicher Gewinner) gewesen ist. Er hat ihn vom Besen gerammt, ohne abzubremsen und mit voller Wucht, Regulus‘ hungrigen Fingerspitzen nur noch Millimeter vom Schnatz entfernt. Es musste sein. „Hey Sirius, ist das ein Problem für dich, wenn wir das Team von deinem Bruder fertig machen?“ „Mir doch egal. Mach sie platt!“ Er war vierzehn, fast fünfzehn und dachte wie ein Idiot, dass Sirius das ernst meint, was er vor dem Spiel gesagt hat. Als ob nicht die Hälfte von allem, was aus Sirius Mund kommt leeres Bravado ist. Es tat ihm schon in dem Moment leid, als Regulus am Boden lag. Der linke Arm in einem unnatürlichen Winkel verdreht, Blut an der Schläfe, das Gesicht weiß und still. Und so klein. Winzig klein aus der Entfernung, fast noch kleiner aus der Nähe. James hatte den Schnatz, Regulus lag am Boden. Sie haben gewonnen. Sirius hat gejubelt, wie alle anderen Gryffindors auch. (Denn Gryffindors sind manchmal ganz schöne Arschlöcher.) Aber erst mit einer Sekunde Verspätung. Und in dieser einen Sekunde hatte er einen Gesichtsausdruck, den James weder vorher noch nachher je wieder bei ihm gesehen hat. Bis zu jener Nacht vor wenigen Wochen, als er seinen Bruder unter den Todessern erkannt hat. Als ob ihm jemand ein Messer in die Brust rammt. Direkt nach dem initialen Schock. Genau in der Sekunde bevor der Schmerz einsetzt. Und dann hat er gelacht und gejubelt. „Wieso hast du mir nicht einfach gesagt, dass ich deinen Bruder nicht anrühren soll?“ fragt James. Sirius schüttelt den Kopf. Seine Lippen bewegen sich, aber er bekommt nichts hinaus. Er weicht zurück, reibt sich mit der Hand über das Gesicht, als versucht er alles wegzuwischen, was er empfindet. Er muss gar nichts sagen, weil James die Antwort sowieso schon weiß. Weil Sirius immer mehr als jeder andere das Gefühl hatte beweisen zu müssen, dass er ein Gryffindor ist, dass er wirklich dazu gehört. Und weil das schon immer bedeutet hat sich gegen seine Familie entscheiden zu müssen. Immer und immer wieder. Laut und deutlich. Auch wenn es bedeutet, einen Teil seines Herzens in Ketten zu legen und wegzusperren. Aber das ist nicht in Ordnung. So kann niemand leben. „Wir können ihn nicht wegschicken. Siehst du nicht…?“ Allein der Gedanke schnürt ihm die Kehle zu. „Er steckt bis zum Hals in Schwierigkeiten. Wenn wir ihm nicht helfen, wird es niemand tun. Und dann ist es vielleicht zu spät. Dann wird er in ein paar Wochen blutüberströmt vor unserer Tür zusammenklappen und ich kann das nicht nochmal… ich kann nicht…“ Er bricht ab. Über Sirius‘ Gesicht flackern in rascher Abfolge Verwirrung, dann plötzliche Erkenntnis. Mitgefühl. Schuld. „James…“ Dieses Mal ist James derjenige, der den Blick abwendet. „Jamie… Es tut mir leid.“ „Das war nicht… ich meinte nicht… pfft.“ Er wedelt mit der Hand. Als ob er freiwillig auf den schlimmsten Nachmittag seines Lebens zu sprechen kommen würde. „Das meinte ich nicht. Das war… hypothetisch.“ „Okay.“ Sirius nickt, aber sein Blick ist weich und verständnisvoll. Seine Hand zuckt in James‘ Richtung, als möchte er ihn packen und zu sich ziehen, aber unmittelbar vor seinem Brustkorb hält er inne und lässt sie wieder sinken. „Was machen wir denn jetzt mit ihm?“ fragt er leise. „Die Wahrheit aus ihm rauskriegen?“ „Wie denn!“ „Vorzugsweise ohne, dass ihr euch dabei an die Kehle geht?“ Sirius verzieht das Gesicht. „Ich garantiere für nichts.“ - Als sie wenige Minuten später zurück ins Wohnzimmer kommen, sitzt Regulus trotz aller Verachtung noch genau dort, wo sie ihn zurückgelassen haben. Sein Kopf ist nach vorne gesunken, die nassen Haare hängen ihm tief ins Gesicht. Er sieht gedemütigt aus, jämmerlich und gebrochen, wie eine Krähe mit zerfledderten Flügeln, aber dann hebt er den Kopf und die Fesseln fallen links und rechts neben ihm zu Boden (und James ist vielleicht ein bisschen beeindruckt davon wie schnell das ging). Sein Gesicht ist eine kalte, hochmütige Maske, als er sich vorwurfsvoll die dünnen Handgelenke reibt. „Ich verabschiede mich jetzt.“ Fordernd streckt er die Hand aus. „Meinen Stab, bitte.“ „Wieso bist du hier?“ fragt Sirius. Sein Gesicht und seine Stimme sind sorgsam befreit von jeglicher Emotion und geben nichts preis. Regulus sieht ihn nicht an. „Es war ein Fehler. Vergiss es. Du bist ohnehin zu inkompetent, um mir von Nutzen zu sein.“ „Du unausstehliche Pestbeule…!“ „Ich habe dir nichts zu sagen.“ Regulus beißt die Zähne so fest aufeinander, dass James erst jetzt bemerkt, dass sie klappern. Natürlich. Er ist immer noch von Kopf bis Fuß durchnässt. Er muss inzwischen komplett durchgefroren sein. „Darf ich?“ fragt er und hebt seinen Zauberstab. Regulus schweigt finster, aber Sirius nickt, was James als Einverständnis wertet. Er macht eine langsame Handbewegung und sieht dabei zu, wie Regulus‘ Umhang und seine Haare im Zeitraffer trocknen. Das verschafft ihm Zeit zum Nachdenken und die braucht er grade. James hat keine Geschwister. Er hat nicht mal Cousins oder Cousinen, nicht mal welche zweiten Grades. Es gibt niemanden, mit dem er je verglichen worden ist oder für den er sich je verantwortlich gefühlt hat. Remus, er und Peter sind alle Einzelkinder. Die Einzige, die sonst noch Geschwister hat, ist Lily, aber sie spricht fast nie über Petunia. James ist sogar beinah sicher, dass der einzige, mit dem sie jemals länger über ihre Schwester geredet hat, Sirius ist. Und als James sie - eifersüchtig und übergriffig – zur Rede gestellt hat, wieso sie das ausgerechnet mit Sirius bespricht und nicht mit ihm, mit ihrem FREUND, hat sie ihn nur angesehen und gesagt: „Weil du es nicht verstehen würdest.“ Vielleicht ist das jetzt auch so eine Situation, wo James einfach… nicht versteht. Sirius und Regulus starren sich an, als würden sie sich hassen und sie haben noch nicht ein einziges nettes Wort zueinander gesagt. Es ist offensichtlich, dass niemand Sirius in so kurzer Zeit so auf die Palme bringen kann wie sein Bruder - und umgekehrt. Und doch ist da etwas in ihrer Interaktion, dass die Vorstellung in ihm weckt, dass sie vor einen herannahenden Zug springen würden, um den anderen zu beschützen. Wenn du in Schwierigkeiten steckst - finde mich. Als ob er ebenfalls an den Brief denken muss, atmet Sirius tief durch und verschränkt die Arme. „Du hast mich gefunden. Ich bin hier. Ich höre zu. Diese Gelegenheit bekommst du nicht noch einmal. Also rede, Reggie.“ Reggie. Vielleicht liegt es an dem Spitznamen, dass ein Teil der Anspannung aus Regulus Körper weicht, als habe man die Luft aus ihm herausgelassen. Sein Kopf sinkt nach vorne und er schweigt so lange, dass James schon fast nicht mehr mit einer Antwort rechnet. Als er schließlich den Kopf hebt, sieht er Sirius zum ersten Mal direkt ins Gesicht. „Ich muss etwas tun.“ „Was?“ „Ich… werde Hilfe brauchen, um es zu vollenden.“ Es ist ein widerwilliges Zugeständnis. „Werde spezifischer oder das Gespräch ist zu Ende.“ Einen Augenblick lang ist Regulus still. Sein Blick geht ins Leere und Sirius kann sehen wie es hinter seiner unbewegten Fassade arbeitet. „Würdet ihr alles tun, um den dunklen Lord aufzuhalten?“ fragt er schließlich. „Alles?“ „Ja“, sagt Sirius. „Nein“, sagt James. Jetzt wird er von zwei Blacks gleichzeitig und mit beinah identischen Mienen von Überraschung und Herablassung angestarrt. Verteidigend hebt er die Hände. „Entschuldigt mal, es gibt Dinge, die ich nicht tun würde. Du übrigens auch nicht“, sagt er zu Sirius. „Pfft.“ „Würdet ihr sterben, um ihn aufzuhalten?“ fragt Regulus ungeduldig. Sirius verschränkt die Arme. „Ja.“ „Ja“, sagt James und das ist nicht gelogen. Aber hinter seinem Rücken kreuzt er die Finger und denkt: Aber ich würde Sirius nicht sterben lassen. Niemals. Niemals. „Verzeih meine Verwirrung, kleiner Bruder“, sagt Sirius kühl. „Ich nehme an, dass das keine hypothetischen Fragen sind.“ „Nein.“ „Wieso sollte ich dir glauben, dass DU ein Interesse daran hast Voldi aufzuhalten? Das letzte Mal als ich nachgesehen habe, warst du einer seiner getreusten Untertanen, bereit über Leichen zu gehen und die ‚wertlosen Muggel‘ auf dem Altar der Blutreinheit zu opfern.“ Regulus wendet den Blick ab. „Er muss aufgehalten werden“, sagt er schließlich. „Und ich habe das Einzige gefunden, was ihn aufhalten kann.“ Er hebt das Kinn und sein Blick ist trotzig, als fordere er sie heraus ihm zu widersprechen. James atmet scharf ein. Sirius hebt ungläubig die Augenbrauen. „Wieso solltest du das wollen?“ „Spielt keine Rolle.“ „Ich glaube dir kein Wort.“ Elektrisiert packt James Sirius am Arm. „Wir sollten Dumbledore holen“, schlägt er leise vor. „Wenn das stimmt, muss er es erfahren!“ „Nicht Dumbledore!“, faucht Regulus, im gleichen Augenblick als Sirius heftig sagt: „Nein!“ Seine scharfe Kompromisslosigkeit bremst James sekundenlang aus. Er würde seinen kleinen Bruder niemals ausliefern, wird ihm klar. Nicht an den Orden, nicht an Dumbledore. Nicht an Azkaban und die Dementoren. James weiß nicht, wieso er jemals geglaubt hat, dass das eine realistische Option sei. „Ich bin sicher, dass er zuhören würde“, sagt er langsam. „Und im Zweifel für den Angeklagten entscheiden würde. Außerdem… naja…“ Er zuckt verlegen mit den Schultern. „Er könnte seine Gedanken lesen und dann wüssten wir, dass er die Wahrheit sagt?“ Regulus versteift sich. Sirius schnaubt. „Da gibt es nur ein kleines Problem. Klein Regulus hier kann Okklumentik. Nicht wahr?“ Regulus schweigt, aber er widerspricht auch nicht. „Das hatten wir nie in der Schule.“ „Blacks lernen das im Kindergartenalter.“ James blinzelt. „Ist das legal?“ Sirius lacht rau. „Willkommen im noblen und ehrwürdigen Hause Black, wo die Regeln nicht gelten und wir unsere eigenen Gesetze machen. Nein, Okklumentik bringt uns nicht weiter.“ Seine Augen werden schmal und dann gleitet ein berechnendes Lächeln über seine Lippen. „Aber wir haben noch Veritaserum hier.“ Er stützt die Hände links und rechts von Regulus ab und beugt sich soweit vor, bis ihre Nasenspitzen sich beinah berühren. „Trink eine Dosis, Bruder. Dann bin ich bereit dir zu glauben.“ Regulus Gesicht ist unbewegt. Nur sein Kehlkopf bewegt sich als er schluckt. „Nicht vor ihm.“ Er wirft James einen feindseligen Blick zu. In Anbetracht der Tatsache, dass James derjenige ist, der dafür gesorgt hat, dass er überhaupt hier gelandet ist und die Chance bekommt mit ihnen zu reden, ist das ein wenig undankbar. Sirius zuckt gleichgültig mit den Schultern. „Tja Pech. Wir hören dir beide zu oder keiner.“ - Das Veritaserum ist das Ergebnis einer Wette, die Lily (natürlich) gewonnen hat, und das sie seitdem hier herumstehen haben. Seit Wochen haben sie vor, das kleine Fläschchen an Moody oder Dumbledore weiterzugeben, weil der Orden es zur Zeit besser gebrauchen kann, nur irgendwie sind sie nie dazu gekommen. Sirius kippt großzügig und direkt vor Regulus Augen drei Tropfen in eine Tasse und füllt sie mit kaltem Tee auf, bevor er sie ihm reicht. „Trink.“ Regulus nimmt die Tasse entgegen als enthalte sie Schierlingsgift, und er trinkt sie mit Todesverachtung. James wirft einen Blick auf die Uhr. „Wie schnell wirkt das Zeug?“ „Schnell“, erwidert Sirius nachdenklich. Blitzschnell beugt er sich vor und fragt: „Bist du immer noch eifersüchtig, dass mein Zauberstab länger ist als deiner?“ „Ja“, sagt Regulus. Seine Augen weiten sich abrupt. „Hör auf damit!“ zischt er. Sirius grinst wie ein Zwölfjähriger. „Oh ja. Es wirkt.“ „Ist alles, was du bisher gesagt hast, die Wahrheit?“ unterbricht James, bevor das ganze weiter eskaliert. Irgendjemand muss die wichtigen Fragen stellen, bevor Sirius anfängt sämtliche peinliche Kindheitserinnerungen durchzugehen und Regulus ihm an die Gurgel geht. „Nein“, erwidert Regulus prompt und mit einem finsteren Blick in seine Richtung. „Was war gelogen?“ fragt Sirius. „Ich denke nicht, dass du inkompetent bist. Hitzköpfig, stur und überdramatisch. Aber nicht… generell inkompetent.“ Regulus presst verärgert die Lippen zusammen. „Vielen Dank, ich fühl mich geschmeichelt.“ James wirft ihm einen mahnenden Blick zu. „Hat Voldemort dich geschickt?“ lenkt er das Gespräch wieder zurück zu den wesentlichen Punkten. „Nein.“ „Weiß er, dass du hier bist?“ übernimmt Sirius. Regulus lacht humorlos. „Wenn er wüsste, dass ich hier bin, würde er mich umbringen. Er würde uns alle umbringen.“ „Arbeitest du noch für Voldemort?“ „Nein.“ Auch diese Antwort kommt so schnell und ohne zu zögern, dass James bereit ist, sie zu glauben. Er hat schon erlebt, dass Zauberer unter Veritaserum lügen, aber das können nur die wenigstens, und es geschieht meistens unter sichtbarer Anstrengung. Sirius hebt die Augenbrauen. „Planst du etwa überzulaufen?“ Er klingt ungläubig. Regulus zögert und Schweißperlen treten plötzlich auf seine Stirn und man sieht, dass er sich Mühe gibt seine Worte genau zu wählen. „Nein. Ich trau eurer Seite genauso wenig wie seiner.“ „Was ist dann dein Ziel bei dieser ganzen Aktion?“ „Ihn aufhalten“, erwidert Regulus mit zusammengebissenen Zähnen. „Er hat Dinge getan… ich habe…“ Er atmet schwer und Schweiß steht auf seiner Stirn. James kann den Kampf beinah sehen, den er innerlich gegen das Veritaserum ausfechtet. Offensichtlich will er über diese Dinge nicht sprechen. „Er muss aufgehalten werden.“ „Das wissen wir selbst. Dafür brauchen wir dich nicht. Ein unverzeihlicher Fluch zur passenden Zeit und er ist Voldematsch…“ „Nein.“ Regulus schüttelt heftig den Kopf. „Nein. Er hat Vorkehrungen getroffen. Ihr könnt ihn nicht so einfach töten. Es gibt nur einen Weg. Ich bin der Einzige, der es tun kann.“ Er klingt seltsam resigniert. „Das glaube ich dir nicht“, sagt Sirius gefährlich leise. Erschöpft sinkt Regulus in seinem Stuhl zurück. „Das ist dann wohl dein Problem.“ „Wieso bist du hergekommen?“ Schweißperlen stehen auf Regulus‘ Stirn. James kann sehen, wie er dagegen ankämpft. „Ich bereue es inzwischen, glaub mir“, bringt er mit zusammengebissenen Zähnen zusammen. Sirius‘ Augen werden schmal und gefährlich. James kann sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitet. „Wieso hast du Lily nicht getötet?“ „Ich will niemanden töten.“ „Bist du noch ein Todesser?“ „Nein.“ „Willst du ihn wirklich aufhalten?“ Sirius feuert die Fragen auf ihn ab, wie ein Maschinengewehr, eine nach der anderen, ohne Luft zu holen. Er läuft hin und her wie ein Staatsanwalt und er lässt Regulus keine Zeit zum Nachdenken. Keine Zeit, um dagegen anzukämpfen oder nach Ausweichmöglichkeiten zu suchen. Regulus wird blasser und blasser, und feuchte Haarsträhnen kleben in seiner Stirn. Er ist schweißgebadet und seine Fingerknöchel treten weiß hervor, so fest umklammert er den Stuhl. „Wie hast du unsere Wohnung gefunden?“ „Kreacher. Er hat dein Motorrad ausfindig gemacht.“ Sein Atem geht schwer, seine Sätze werden immer abgehackter. „Versuchst du uns eine Falle zu stellen?“ „Nein.“ „Arbeitest du für Voldemort?“ „Nein!“ Sirius wirbelt zu ihm herum. „Wieso bist du zu mir gekommen?“ „Weil ich nicht sterben wollte, ohne dich noch einmal zu sehen.“ Sirius erstarrt mitten in der Bewegung. Regulus wird blass. Im Wohnzimmer wird es so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)