Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht von MariLuna ================================================================================ Kapitel 12: Vergangenheit – Silvester und Neujahr – Das Licht am Ende des Tunnels sollte man nicht mit dem entgegenkommenden Zug verwechseln -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Düster starrt Hijikata in sein Sektglas, sieht den kleinen Bläschen dabei zu, wie sie in der hellen Flüssigkeit nach oben an die Oberfläche steigen und dort zerplatzen. Er mag keinen Sekt, viel lieber hätte er jetzt einen richtigen Sake. Aber zu Silvester, hat Kondō angeordnet, gibt es nur Sekt. Und salziges Knabberzeugs. Und Raclette. Und Fondue. Und Luftschlangen und Tischfeuerwerk. Und Karaoke. Hijikata ist sich sicher, dass da irgend etwas nicht zusammenpasst, aber so wird seit der Gründung der Shinsengumi nun einmal im Hauptquartier Silvester gefeiert. Der Speisesaal trägt noch die Weihnachtsdekoration und bis das richtige Jahresende gefeiert wird, das nach dem Mondkalender, wie es die Tradition vorschreibt, kommen bestimmt noch andere Dekorationen hinzu. So war es bisher jedes Mal. So sehr Hijikata auch diese ganze Feierei gegen den Strich geht – generell und seit dem Bônenkai vor vier Wochen erst recht – muss er doch zugeben, dass es die Motivation der Männer steigert. Diejenigen von ihnen, die keinen Urlaubstag ergattert haben und zur sogenannten „Stallwache“ eingeteilt wurden, genießen es, wenigstens im Kreise ihrer Kollegen ins neue Jahr zu feiern. Wenigstens mangelt es ihnen nicht an Disziplin, sie gönnen sich zwar den einen und anderen Schluck, aber nie so viel, dass sie nicht trotzdem jederzeit einsatzbereit wären. Am Tor stehen die üblichen Wachen, in der Stadt wird patrouilliert, die Notrufe werden auf ihre Diensthandys umgeleitet und diese sind alle griffbereit an ihrem Gürtel. Also: alles im Lot. Warum nur wird er dieses nagende Gefühl nicht los, dass irgend etwas im Argen liegt? Vielleicht braucht er einfach nur eine Zigarette? Schnell kippt er den Sekt hinunter, stellt das leere Glas auf den erstbesten Tisch und schlängelt sich dann an den in kleinen Grüppchen zusammenstehenden Männern vorbei, Richtung Shoji, den Lärm der Karaoke-Maschine mitsamt Kondōs und Okitas schrägen Sangeskünsten hinter sich lassend. Draußen auf dem Engawa atmet er einmal tief durch und zündet sich gierig eine Zigarette an. Tief zieht er den Tabak in seine Lungen, und hält ihn dort für einen Moment, bevor er ihn mit seinem nächsten Atemzug wieder herauslässt. Von einem seltsam melancholischen Gefühl ergriffen, sieht er dem Rauch nach und bewundert kurz, wie sich dieser durch die kalte Luft kräuselt. Langsam hebt er den Kopf und starrt hoch in den Nachthimmel. Ein schöner Vollmond und so viele Sterne. Eine Schande, dass dies in wenigen Minuten von einem - in seinen Augen – furchtbar überflüssigen Feuerwerk überstrahlt werden wird. Plötzlich das Geräusch von eines dumpfen Aufprall, gefolgt von einem leisen „autsch" und dem Knirschen von verharschtem Schnee. Es kommt vom Gebüsch an der Mauer. Eher neugierig als beunruhigt schleicht sich Hijikata näher. Das hindert ihn allerdings nicht, vorsichtshalber schon mal sein Katana zu ziehen. Im Schatten hinter den kahlen Sträuchern bewegt sich etwas. Hijikata strafft die Schultern, fasst sein Schwert etwas fester und räuspert sich einmal. „Oi. Ganz schön dreist, ins Shinsengumi-Hauptquartier einzubrechen.“ „Fukuchō.“ Er erkennt diese Stimme sofort, noch bevor die dazugehörige Gestalt aus den Büschen tritt und der Schein des Vollmonds sein Gesicht erhellt. Kopfschüttelnd steckt Hijikata sein Schwert zurück. „Zaki? Wieso kommst du nicht durch den Haupteingang wie alle vernünftigen- oh.“ Er stockt und blinzelt überrascht, als sein verdutztes Gehirn endlich den unteren Teil eines bunten Kimono registriert, der unter dem Saum von Yamazakis Mantel hervorlugt. Erst dann sieht er die perlenbestickten Stiefel und die Perücke in seiner Hand. Yamazakis Zähne blitzen kurz auf, als er die Lippen zu einem verlegenen Lächeln verzieht. „Das ist mir jetzt etwas peinlich", beginnt er hastig. „Ich wollte nicht, dass mich irgend jemand so sieht. Ich war bei Nori-chan. Ihr Freund ist sehr eifersüchtig, also hab ich mich als ihre Kusine verkleidet.“ „Nori-chan? Ist das die Freundin...“ Hijikata lässt den Satz vielsagend offen und versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie unangenehm ihm das ganze Thema ist. Schließlich kann Yamazakis Freundin nichts für das, was ihr angetan wurde. Und er sollte eigentlich stolz auf Yamazaki sein, dass dieser ihr ein so guter Freund ist, dass er keine Mühen scheut, um ihr beizustehen, also warum fühlt er dabei diesen Druck auf seiner Brust? „Genau die“, nickt Yamazaki, wieder mit diesem Lächeln. Hijikata mustert ihn kurz von Kopf bis Fuß und für einen klitzekleinen Moment durchfährt ihn der Gedanke, wie die anderen wohl reagieren würden, wenn Yamazaki sich die Perücke wieder aufsetzt und er ihn als seine Freundin vorstellen würde. Das wäre gewiß ein guter Scherz. Aber der Gedanke verschwindet genauso schnell wieder, wie er gekommen ist. „Geh", betont grimmig wedelt er mit der Hand. „Verschwinde, bevor dich Okita so sieht.“ Yamazakis Augen weiten sich unwillkürlich. Nur zu deutlich steht ihm ins Gesicht geschrieben, wie wenig er davon hält, in den Fokus von Okitas Spott zu geraten. „Hai, Fukuchō. Sofort, Fukuchō.“ Hastig eilt er davon. „Du hast noch zehn Minuten.“ ruft ihm Hijikata nach. Yamazaki dreht sich mit elegant wehendem Kimono noch einmal zu ihm um, lacht und winkt so geziert wie eine waschechte Geisha. „Das schaffe ich, keine Sorge, Fukuchō.“ Dieser Junge. Hijikata kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als er ihm hinterhersieht, wie er hinter der Hausecke verschwindet. Das ist schon das zweite Mal innerhalb einer Woche, dass Hijikata ihn in Frauenkleidern erwischt hat. Und, Hijikata runzelt bei diesem Gedanken die Stirn, wenn er so genauer darüber nachdenkt, hat sich Yamazaki im letzten Jahr sehr oft für seine Missionen als Frau verkleidet. Ob die Erfahrung mit dem Dekoboko-Kult aus ihm einen verkappten Crossdresser gemacht hat? Diese Vorstellung verursacht ihm ein flaues Gefühl im Magen, das er einfach nicht zu deuten weiß.     Yamazaki schafft es in neun Minuten. Eine Minute vor Mitternacht findet er sich bei ihnen auf dem großen Hof ein, diesmal in Jeans, Boots und Parka. Hijikata reicht ihm ein gefülltes Sektglas und als um Punkt Mitternacht über ihnen am Himmel das Feuerwerk aufleuchtet und wenige Meter entfernt Okita, Tetsu und Kondō ihre eigenen Raketen hoch in den Himmel schießen, stoßen sie miteinander auf das neue Jahr an. Ausnahmsweise verzichtet Okita sogar darauf, mit den Raketen auf Hijikata zu zielen, aber das liegt vielleicht nur daran, dass so etwas auch die Männer um ihn herum gefährden würde. Amüsiert sieht Hijikata zu, wie Yamazaki seinen Sekt mit einem einzigen großen Zug hinunterschluckt. Dann blickt sich Yamazaki suchend um, entdeckt Harada, und die Sektflasche in dessen Händen und eilt zu ihm. Er läßt sich von dem Älteren noch einmal einschenken und leert dieses Glas genauso hastig. Dann hält er ihm sein Glas noch einmal hin, doch Harada zuckt nur bedauernd mit den Schultern und deutet über seine Schulter nach hinten zum Speisesaal. Jetzt wirklich besorgt, fängt Hijikata seinen Spion ab, als sich dieser Richtung Speisesaal begeben will, packt ihn am Arm und zieht ihn mit sich. Ein paar Meter weiter weg von den anderen, bleibt er schließlich stehen, wendet sich ihm zu und mustert ihn kritisch. Leider kann er nicht sagen, ob Yamazakis gerötete Wangen von der Kälte oder vom Alkohol stammen, aber normalerweise schüttet Yamazaki den Alkohol nicht so schnell in sich hinein. „Meinst du nicht, du hast erstmal genug?“ Er muß sich vorlehnen und es ihn direkt ins Ohr fragen, damit er über den Lärm des Feuerwerks und dem begeisterten Johlen seiner Männer verstanden wird. Zuerst wirkt es, als wolle Yamazaki trotzig aufbegehren, doch dann senkt er den Blick und starrt nachdenklich in sein Glas. „Du hast recht“, meint er dann leise und für einen Moment ist da etwas, eine Dunkelheit an ihm, die Hijikata nicht richtig fassen kann, aber schon eine Sekunde später zuckt es um seine Mundwinkel und er hebt nonchalant die Schultern. „Es schmeckt mir sowieso nicht.“ Hijikata beäugt ihn kritisch. „Ist alles mit dir in Ordnung?“ Er zögert und legt ihm dann vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Fast rechnet er damit, dass Yamazaki unter seiner Berührung wieder zusammenzuckt, doch es scheint ihm nichts mehr auszumachen, angefasst zu werden – eine Wendung, die Hijikata unglaublich erleichtert. „Du weißt, dass du jederzeit zu mir kommen kannst, wenn du jemanden zum Reden brauchst.“ „Es ist alles in Ordnung, Fukuchō“, wehrt Yamazaki mit einem Lächeln ab, das diesmal fast seine Augen erreicht. Und dann richtet er den Blick nach oben und versinkt in den farbenfrohen Blumen, die dort erblühen. Das Lächeln um seine Lippen verändert sich, es wirkt irgendwie bitter-süß und zugleich geheimnisvoll und während Hijikata sein Profil betrachtet, spürt er, wie ihm plötzlich ganz warm ums Herz wird. Einem Impuls folgend, legt er einen Arm um Yamazakis Schultern und drückt ihn einmal kurz und freundschaftlich an sich. Yamazaki gibt einen überraschten Ton von sich, und für einen kleinen Moment befürchtet Hijikata, dass er ihn wegstößt, oder schlimmer noch, wieder zu hyperventilieren beginnt, doch Yamazaki grinst nur vergnügt und drückt ihn auf dieselbe Weise einmal kurz zurück.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)