Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht von MariLuna ================================================================================ Kapitel 3: Vergangenheit – 1.-2. Dezemberwoche – wenn der netteste Mensch in der Shinsengumi plötzlich flucht wie ein Bierkutscher, ist die Endzeit angebrochen ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------  Yamazaki verläßt in den folgenden drei Tagen nicht seinen Raum. Das einzige Lebenszeichen ist der Shoji, der manchmal einen Spalt breit offensteht, um frische Luft herein zu lassen. Manchmal sieht man ihn ins Bad oder in den Waschkeller gehen oder hinauskommen. Aber wann immer jemand in Sichtweite kommt, löst er sich regelrecht in Luft auf. Er bleibt dem Morgentraining fern, schwänzt die Morgenbesprechungen und erscheint nicht an seinem Arbeitsplatz. Dabei gibt es genug Papierkram, der sich stapelt und den Hjikata ihm gerne geben würde. Stattdessen erledigt Tetsunosuke diesen Job. Er arbeitet nicht so routiniert wie Yamazaki, aber er gibt sich Mühe. „Ich mache es gern“, erklärt Tetsunosuke mit seinem gewinnenden Lächeln, doch Hijikata wünschte, er würde das nicht sagen, denn damit macht er ihm nur ein schlechtes Gewissen. Er fühlt sich wie ein schlechter Vorgesetzter, wie ein schlechter Freund, weil da immer noch diese dumpfe Wut auf Yamazaki in seinen Eingeweiden nagt. Mehr als einmal muß er sich davon abhalten, in Yamazakis Zimmer zu stürmen und diesen aus dem Bett zu schmeißen, um ihn an den Ohren zur Arbeit zu schleifen. Deshalb hält er sich auch fern. Er weiß nicht, ob er sich wirklich zurückhalten kann. Und trotzdem findet er sich am dritten Abend vor Yamazakis Raum wieder, auf dem Boden sitzend, den Kopf an den Holzrahmen gelehnt und mit den Fingern über das Milchglas der Schiebetür tippend. „Zaki … komm endlich da raus. Kondō wird richtig deprimiert, weil er dir jeden Tag Essen vor die Tür stellt und du es nicht annimmst. Er fängt an, das persönlich zu nehmen. Du kennst ihn doch. Er macht sich Vorwürfe, ob er etwas falsch gemacht hat. Bitte erlöse uns von seiner Trauermiene und komm da raus. Oi, Zaki...“ fragend klopft er an den Fusuma, „lebst du noch? Brauchst du einen Arzt? Oder... Hör zu, wenn es etwas gibt, über das du reden willst – ich bin für dich da.“ Irgend etwas prallt von innen gegen das Holz und dann schreit Yamazaki: „Usero! Kutabare!“ Hijikata spürt, wie die mühsam unterdrückte Wut in ihm hochbrodelt. Er springt auf und reißt den – diesmal nicht abgeschlossenen - Fusuma zurück. „Oi! Hast du sie noch alle? Nicht in diesem Ton, mein Lieber!“ Erschrocken quietscht Yamazaki auf und weicht vor ihm zurück, bis er mit dem Rücken an die Wand stößt. Dort hockt er dann, ein Häuflein Elend, die Decke schützend vor sich und starrt mit großen Augen zu ihm auf. Hijikata sieht die hektischen roten Flecken auf seinen ansonsten so blassen Wangen, das inzwischen violette Hämatom um sein Auge und sein Ausbruch tut ihm sofort leid. „Zaki...“ langsam, um ihn nicht noch mehr zu erschrecken, läßt er sich vor ihm auf die Knie sinken und greift zögernd nach seinen Händen. „Nicht...“, beginnt Yamazaki mit zitternden Lippen. „... anfassen“, beendet er. Doch da hat Hijikata schon seine linke Hand umfasst. Im ersten Moment scheint Yamazaki regelrecht zu erstarren, doch dann entspannt er sich langsam. „Baka“, meint Hijikata nur, und während er mit der einen Hand seinen Puls überprüft, legt er ihm die andere prüfend auf die Stirn. Er ist etwas warm, aber das ist noch kein Fieber. Erleichtert läßt Hijikata ihn wieder los. Er versucht, ihm in die Augen zu sehen, doch Yamazaki weicht seinem Blick beharrlich aus. In Hijikatas Augen ist das mehr als verdächtig. Mißtrauisch sieht er sich in dem Raum um. Er hat sich nicht sehr verändert, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte – es riecht sogar immer noch nach Räucherstäbchen. Doch diesmal fällt ihm auch ein, welcher Duft das ist: Lavendel. Beruhigend, schlaffördernd, angstabbauend. Dann fällt sein Blick auf die Tablettenpackung neben dem Futon und seine Augen weiten sich. Hastig hebt er sie auf und liest den Aufdruck. „Schlaftabletten?“ entsetzt stöhnt er auf und untersucht die Blisterverpackungen auf Vollständigkeit. Es fehlen nur drei Tabletten, aber das beruhigt ihn trotzdem nicht. „Die nehme ich besser an mich.“ Yamazaki gibt nur ein tonloses Lachen von sich. „Angst, ich könnte mich umbringen, Fukuchō?“ „Ja“, erwidert Hijikata schonungslos ehrlich. „Dann“, kommt es dumpf zurück, „solltest du lieber mein Katana konfiszieren.“ Hijikata zögert kurz, doch dann geht er zur Ecke, wo Yamazakis Schwert an der Wand lehnt und nimmt es an sich. Yamazaki beobachtet ihn nur aus dunklen, müden Augen und kommentiert das alles mit einem völlig tonlosen: „Laß mich einfach nur in Ruhe.“ Tatsächlich geht Hijikata zur Tür. Doch auf der Schwelle dreht er sich noch einmal zu ihm um. „Heute, wenn Kondō dir dein Essen vor die Tür stellst, isst du es auf. Und morgen früh erscheinst du zur Morgenbesprechung. Das Training darfst du schwänzen, aber die Morgenbesprechung ist Pflicht, verstanden?“ Um Yamazakis Mundwinkel zuckt es kurz spöttisch. „Sonst Seppuku?“ Hijikata starrt ihn durchdringend an. „Nein, sonst schleife ich dich an dem Mopp, den du Frisur nennst, zu einem Arzt.“       Tetsunosuke wußte nicht, dass ein Spion so viel neben seinen offensichtlichen Ermittlungen zu tun hat, aber für ihn ist es selbstverständlich, seinem „Lieblingsbruder“ zu helfen, wo er kann. Er soll schließlich nicht sofort wieder krank werden – diesmal wegen Überarbeitung. Und den Mailpostkorb aufräumen und sortieren und das Nötigste ins System übertragen, das kann er auch, Von daher schreckt er regelrecht auf, als eine Tablettenschachtel auf seiner Tastatur landet. Irritiert nimmt er sie in die Hand. „Was soll'n ich damit, Bro?“ Vor Überraschung fällt er glatt in seinen Gangsta-Rapper-Slang zurück. Dafür fängt er sich von Hijikata einen Klaps auf den Hinterkopf ein. Doch im Gegensatz zu vielen anderen, fällt dieser heute sehr lasch aus. Tetsunosuke spürt ihn kaum. „Was kannst du mir darüber sagen, Tetsu?“ Tetsunosuke verbeißt sich die freche Bemerkung, ob sein Fukuchō den Beipackzettel nicht selber lesen kann und betrachtet die Schachtel dafür genauer, schließlich implizieren Hijikatas Fragen oft mehr als das Offensichtliche. „Das stammt aus meinem Vorrat, den ich damals mitgebracht habe.“ Und den Hijikata sofort konfisziert hatte. Soweit er weiß, hat Yamazaki mit den harmloseren Sachen die Apotheke der Shinsengumi aufgestockt und das harte Zeug vernichtet. Oder auch nicht, wie die Schachtel in seiner Hand beweist. „Ein Hammermittel. Es knockt dich besser aus als alles andere auf dem Markt. Wir haben es an reiche Salarymen vertickt, die unter Schlafstörungen litten. Immer auf eigene Gefahr, denn es ist nicht leicht zu dosieren, weil es etwas Zeit braucht, um zu wirken. Manchmal werden die Leute ungeduldig und denken, eine Tablette wirkt nicht und nehmen nach einer halben Stunde eine zweite. Und damit können sie sich dann regelrecht ins Koma schießen. Wie gesagt, ein Hammermittel. 'n Kumpel gab sie seiner Freundin, als die von drei Typen übel zugerichtet wurde. Damit schlief sie sich durch die Schmerzen. Sie schwört noch heute, ohne dieses Zeug hätte sie nie wieder einen Kerl an sich herangelassen und wäre jetzt nicht so glücklich in ihrer Beziehung. Keine Ahnung, was das eine mit dem anderen zu tun hat, aber ich schätze mal, weil sie die Schmerzen nicht bewusst mitbekam, war das Trauma nicht ganz so tief...“, verlegen hält er inne, als ihm bewußt wird, dass er schon wieder plappert. Vorsichtig sieht er zu Hijikata hinüber, der mit verschränkten Armen an der Wand lehnt und ihm aufmerksam zugehört hat. Seine Miene ist völlig blank und das bedeutet meist nichts Gutes. „Darf ich fragen, woher du das hast, Fukuchō?“ „Yamazaki.“ „Oh.“ Tetsunosuke zögert einen Moment, unsicher, was er davon halten soll. „Nun, er wird bestimmt vorsichtig sein, schließlich habe ich ihm dasselbe erzählt wie dir eben.“ Sicherheitshalber zählt er die Tabletten noch einmal durch und ist unwillkürlich erleichtert, als er feststellt, dass nur drei fehlen. „Tetsu … morgen, wenn Yamazaki in der Morgenbesprechung ist, wirst du sein Zimmer durchsuchen. Sieh nach, ob du noch etwas anderes findest.“ „Ich soll sein Zimmer durchwühlen?“ Alles in Tetsunosuke sträubt sich dagegen. Das verlangt sein Fukuchō nicht wirklich von ihm, oder? Das wäre ein riesiger Vertrauensbruch. Doch ein Blick in Hijikatas ernste Miene belehrt ihn eines besseren. „Glaubst du, dass er irgendwo …“, Tetsunosuke schluckt einmal schwer, und fühlt sich plötzlich schuldig, „Drogen versteckt?“ „Ich will nur sichergehen, das ist alles.“ „Yamazaki würde doch niemals Drogen nehmen. Dann würde er doch aus seinem Badminton-Verein fliegen.“ Und aus der Shinsengumi, aber das mit dem Badminton-Verein würde ihn wahrscheinlich viel mehr treffen. „Tetsu... ich will nur sichergehen.“ Hijikata seufzt einmal tief auf und streicht sich dann mit einer müde wirkenden Geste über die Augen. Tetsunosuke hat ihn noch nie so … bedrückt erlebt. „Zaki ist … es ist nicht seine Art, sich so lange zu verkriechen. Er weiß genau, wie sehr ich Disziplinlosigkeit hasse und trotzdem schließt er sich weg und meldet sich nicht einmal krank. Offiziell ist das, was er hier jetzt macht, unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst.“ Verwirrt runzelt Tetsunosuke die Stirn. „Aber... er sagte dir doch, dass es ihm nicht gut geht. Vielleicht dachte er, dass das als Entschuldigung reicht. Ich meine, normalerweise ist das doch auch so, oder?“ „Ja, stimmt schon, aber Zaki... ich weiß nicht, ich habe einfach ein schlechtes Gefühl bei der Sache. Er verkriecht sich und nimmt diese Schlaftabletten. Nächste Woche soll er auf Mission sein und es gibt noch viel dafür vorzubereiten und normalerweise wird er gerade dann besonders hektisch, weil er alles doppelt und dreifach überprüft und niemandem dabei vertraut außer sich selbst. Und jetzt scheint er diese Mission einfach vergessen zu haben. Ich frage mich wirklich langsam, was auf dieser Feier passiert ist. Ob da mehr war als eine Prügelei zwischen ihm und einem von der Mimawarigumi.“ Tetsunosuke erinnert sich an die Würgemale auf Yamazakis Kehle und zögert. Vielleicht wäre jetzt der beste Moment, um dem Vizekommandanten davon zu erzählen. Doch dann entscheidet er sich doch dagegen. Sie waren deutlich zu sehen und wenn Yamazaki sie bis heute erfolgreich vor Hijikatas scharfen Augen verborgen hat, wird er einen guten Grund dafür haben. Und er wird den Teufel tun und seinem Lieblingsbruder in den Rücken fallen. Dass er sein Zimmer durchsuchen soll, reicht ihm schon. Er hofft nur, dass er nichts findet. „Hijikata-san ... ich bin sicher, was auch immer Yamazaki zu schaffen macht, seine Mission ist nicht in Gefahr. Er würde dich nie enttäuschen.“ Hijikata sieht nicht überzeugt aus. „Niemals“, bekräftigt Tetsunosuke in dem Bestreben, Yamazaki zu verteidigen. „Du weißt, dass er dich vergöttert. Manchmal glaube ich sogar, daß er … vielleicht ein kleines bißchen … oder auch etwas mehr …“, er grinst etwas schief, „in dich … verliebt ist?“ Hijikata starrt ihn für einen oder zwei Herzschläge einfach nur an. „Wie kommst du auf so einen Blödsinn?“ schnaubt er schließlich. Das denken alle hier. Aber laut antwortet Tetsunosuke nur mit einem lahmen: „Ist so ein Gefühl.“ Hijikatas blaue Augen werden schmal und seine Miene sehr, sehr finster. „Solche Gerüchte haben hier nichts zu suchen. Wenn ich mitbekomme, wer sie verbreitet, dann heißt es Seppuku für denjenigen, kapiert?“ Tetsunosuke versucht, nicht zu grinsen (denn ehrlich, das wäre dann ein Massenselbstmord und Hijikata stünde plötzlich ganz alleine da) und salutiert lässig. „Yessir.“       Nach Ende der Morgenbesprechung sitzt Kommandant Kondō noch mit Hijikata und Okita zusammen. Er wartet, bis alle den Raum verlassen haben und der Shoji hinter dem Letzten ins Schloß schnappt, dann holt er einmal tief Luft und meint bekümmert: „Das ist nicht unser Zaki.“ Man kann von Kondō Isao halten, was man will, aber er besitzt einen sechsten Sinn, wenn es um das Befinden seiner Männer geht. Einige sind ihm vielleicht mehr ans Herz gewachsen als andere, aber er sorgt sich um jeden. Und Yamazaki war schon immer ein Sonderfall für ihn. Er wurde nie richtig schlau aus ihm. Einerseits ist der Junge so still und introvertiert wie Shimaru Saito, ihr verschlossener, rothaariger Spion für innere Angelegenheiten, und andererseits fügt er sich in jede Gruppe so spielend ein, als habe er schon immer dazu gehört. Würde er nicht ständig und überall Badminton spielen und damit Aufmerksamkeit erregen, wäre er schnell nur einer von Vielen. Er ist engagiert und kompetent als Spion, aber dabei so bescheiden, dass man das alles leicht vergisst. Er ist jünger als alle denken, weil er bezüglich seines Alters gelogen hat, um der Shinsengumi beitreten zu können. Kondō ist es zwar schleierhaft, wie sie alle so dumm sein konnten, einen Siebzehnjährigen für volljährig zu halten und woher der Junge diesen perfekt gefälschten Ausweis hatte, aber das beweist nur mal wieder, wie gut Yamazaki im Täuschen ist. Und weil dem so ist, dauerte es ein paar Jahre, bis Kondō hinter die Fassade sehen konnte, doch jetzt macht ihm Yamazaki nichts mehr vor. Und das dort … war nicht der Zaki, wie er ihn kennt. „Habt ihr gesehen, wie abwesend er war? Dass Shimaru mit offenen Augen pennt, sind wir ja gewohnt, aber Zaki...?“ „Ich bewundere sein blaues Auge“, meint Okita und in seiner ansonsten gewohnt monotonen Stimme liegt tatsächlich ein Hauch von Sarkasmus. „Es hebt sich so schön von der krankhaften Blässe seiner Haut ab. Hätte er sich nur noch ein paar Tage länger in seinem Zimmer verkrochen, ginge er als neues Gespenst des Hauptquartiers durch. Warum hast du ihn gezwungen, herauszukommen, Hijikata-san? Wir hätten Eintritt verlangen können.“ Wenn Kondō es nicht besser wüßte, würde er Okita nach diesem Statement für herzlos halten. Da er aber weiß, dass dies Okitas Art ist, seine Sorge auszudrücken, gestattet er sich ein kleines Schmunzeln. „Zurück zur Arbeit wird ihm helfen. Er hat schließlich genug zu tun“, erklärt Hijikata. „So ganz allein in seinem Quartier hat er zu viel Zeit zum Grübeln und das tut ihm nicht gut. Mir reichen seine psychotischen Schübe nach zuviel Anpan, Milch und Isolation.“ Kondō und Okita nicken zustimmend. Es gibt einen Grund, wieso sie Yamazakis Missionen auf maximal dreißig Tage begrenzt haben. Am einunddreißigsten Tag einer Observierung klinkt sich etwas in seinem Gehirn aus und das endet selten gut. Niemand von ihnen hat Lust auf die ständige Wiederholung von etwas, das man am besten so beschreibt: Mission mehr oder weniger erfolgreich abgeschlossen und Yamazaki Sagaru irgendwo im Gaga-Land gestrandet. Es ist kein psychisches Problem, sondern eine Folge von einseitiger Ernährung und extremen Schlafmangel, das haben ihnen die Ärzte bestätigt, aber diese Erfahrungen haben sie sensibilisiert, wie fragil die Psyche eines Menschen sein kann. „Wenn ihn etwas bedrückt, wieso redet er dann nicht mit uns?“ fragt Kondō bekümmert. Das ist es, was ihn wirklich tief verletzt. „Zu wem soll er gehen?“ Okita mustert erst ihn, dann Hijikata skeptisch. „Die meisten seiner Probleme stehen doch im direkten Zusammenhang mit Hijikata-san. Übrigens: shinjimae, Hijikata.“ Hijikata verdreht nur die Augen. „Er weiß, dass er mit jedem Problem zu dir kommen kann, Isao“, erwidert er tröstend an Kondō gewandt. „Aber darüberhinaus hat Yamazaki immer alles mit sich selbst ausgemacht. So ist er nun einmal. Das darfst du nicht persönlich nehmen.“ In diesem Moment klopft es an den Shoji und auf Kondōs „herein“ schiebt sich Tetsunosuke in den Raum. „Ah, Tetsu“, hastig winkt Hijikata ihn näher. „Und? Hast du etwas gefunden?“ „Nein, Fukuchō. Nichts Auffälliges.“ Tetsunosuke ist seine Erleichterung regelrecht anzusehen. „Nur ein paar Kopfschmerztabletten und die gängigen Erkältungsmittelchen. Und er versteckt einen Dom Perignon in seinem Schrank.“ Beim Gedanken daran verbeißt er sich ein kleines Kichern. Das Schminkset, die Frauen-Kimonos plus Spitzenunterwäsche und die Perücken erwähnt er jetzt mal nicht, da es sich eindeutig um Yamazakis Verkleidungen für seine Tätigkeit als Spion handelt. Und er verrät auch nicht, dass seine Suche nur sehr, sehr oberflächlich verlief – Schrank auf, reingucken, Schrank wieder schließen kann man beim besten Willen nicht als gründliche Durchsuchung bezeichnen, aber mehr brachte er einfach nicht übers Herz. Hijikata bedankt sich und gibt ihm mit einer Geste zu verstehen, dass er gehen kann. „Was war das eben, Tōshi?“ erkundigt sich Kondō verwirrt, nachdem der noch immer etwas übergewichtige Rekrut den Shoji hinter sich wieder geschlossen hat. „Ich habe Tetsu gebeten, Yamazakis Zimmer nach Drogen abzusuchen.“ „Was? Warum?“ „Nur sicherheitshalber, Kondō.“ Und als Kondō ihn nur auffordernd anstarrt, seufzt er einmal tief und gibt unwillig zu: „Yamazaki hat starke Schlaftabletten genommen. Ich habe sie ihm weggenommen und wollte nur sichergehen, dass er nicht noch andere Drogen versteckt hat.“ Okita starrt ihn düster an. „Shinjimae, Hijikata. Shinjimae.“ „Sōgo hat recht, Tōshi“, Kondō mustert ihn streng. „Ahem, natürlich nicht damit, dass du sterben sollst, aber anstatt Yamazaki hinterher zu schnüffeln hättest du ihn einfach darauf ansprechen können, meinst du nicht auch?“ „Kondō“, Hijikatas Stimme trieft nur so vor Spott, „wenn du meinst, das sei so einfach, dann rede du doch mit ihm, Kyokuchō.“       Kondō redet nicht mit ihm. Er sieht keine Notwendigkeit mehr dazu, da Yamazaki offensichtlich wieder bei der Arbeit ist und wie gewohnt im Hauptquartier herumwuselt. Er ist freundlich wie immer, lächelt wie immer und lacht, wenn man ihn auf sein Veilchen anspricht. Seine Standardantwort ist ein „du solltest mal den anderen sehen“ und das ist so typisch, dass sich Kondō langsam fragt, ob er nicht übertrieben reagiert hat. Was auch immer es war, anscheinend hat es sich eingerenkt. Hijikata teilt seine Meinung nicht, Tetsunosuke erst recht nicht und Okita hat seine ganz eigene Ansicht dazu, aber lieber würden sie sich alle drei die Zunge abbeißen, als ihren Kommandanten damit zu belästigen. Es würde ihm nur das Herz im Leibe umdrehen und er braucht sein fröhliches Gemüt und seinen Optimismus für Kommandantenangelegenheiten. Und für die reizende Shimura Tae natürlich. Und daher entgeht Kondo, dass Yamazaki weniger isst, sich seine Gespräche nur noch um die Arbeit drehen, dass er zusammenzuckt, wenn man ihn berührt und dass seine gute Laune nur aufgesetzt ist. Er bemerkt nicht, dass sein Lächeln niemals, wirklich niemals seine Augen erreicht. Augen, so dunkel, leer und tot wie die Leere hinter den bekannten Galaxien. In den fünf Tagen bis zu seiner Mission ist er nicht mehr als eine Kopie seiner selbst, aber eine so verdammt gute, dass er sogar Hijikata, Tetsunosuke und Okita mit jedem Tag mehr davon überzeugt, dass er es in den Griff bekommt. Vielleicht liegt es auch daran, weil er so verdammt ehrlich klingt, als er sich für sein Benehmen entschuldigt und es mit einer Gehirnerschütterung erklärt. Vielleicht aber liegt es auch schlicht und einfach nur daran, weil sie alle es glauben wollen.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)