Babylon-6 - 04 von ulimann644 (Alte Feinde) ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Als Lynden Benjamin Hayes erwachte, gewann er den Eindruck, sein Kopf wäre von einer dieser klassischen Heavy Metal Bands des 20. und des 21. Jahrhunderts als Schlagzeug benutzt worden. Gleich darauf spürte der Generalmajor einen stechenden Schmerz entlang seiner linken Körperhälfte. Nur langsam setzte sein Erinnerungsvermögen ein und so dauerte es eine Weile, bis die Erinnerungen an die letzten Geschehnisse vollständig einsetzte. Hayes realisierte mit immer noch geschlossenen Augenlidern, dass er auf dem Rücken lag. Er versuchte, sich etwas zu bewegen, und gab gleich darauf ein schmerzhaftes Stöhnen von sich. Keine gute Idee. Der Generalmajor atmete tief durch und öffnete langsam seine Augen. Gleichzeitig hörte der Generalmajor eine Männerstimme, die sagte: „Er kommt zu sich, Doktor Yldirim.“ „Danke, ich werde mich sofort um den Generalmajor kümmern“, erklang gleich darauf eine bekannte, weibliche Stimme. Hayes hatte sie inzwischen zu oft gehört, wie er befand. Diese Ansicht ging natürlich nicht gegen die Ärztin. Er hasste es nur, sich auf der Krankenstation aufzuhalten, egal wer immer dort das Sagen hatte. Die hübsche Chefärztin der Station geriet in das Blickfeld des Kommandeurs. Sie lächelte ihn beruhigend an und erkundigte sich mit sanfter Stimme: „Wie geht es Ihnen, Sir?“ „Mein Kopf fühlt sich an, als hätte ihn eine Heavy Metal Band als Schlagzeug benutzt“, knurrte Hayes finster. „Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie einige Takte mitsummen?“ Hayes wollte etwas sagen, doch die Ärztin kam ihm zuvor und mahnte: „Nicht zu viel sprechen, Sir. Ihre angeknacksten Rippen werden es ihnen danken. Liegen Sie, zumindest heute noch, möglichst still und versuchen Sie, auch in nächster Zeit Ruhe zu bewahren.“ Hayes bedachte die Ärztin mit einem mürrischen Blick: „Geht es, wenn ich weiteratme, oder ist das bereits zu viel?“ „Sie befinden sich offensichtlich auf dem Weg zur Besserung, Sir“, stellte die Ärztin vergnügt lächelnd fest. Sie sah kurz zur Seite und machte eine knappe Geste in Richtung einer Person, die sich außerhalb des Sichtwinkels des Generalmajors befand. Gleichzeitig sagte sie: „Da möchte Sie jemand sehen, Sir.“ Die Ärztin zog sich zurück und Hayes erkannte, dass es Irina Zaizewa war, die nun dicht an sein Bett herantrat. Seine Laune stieg umgehend und mit einem schwachen Lächeln meinte er: „Warum müssen wir uns eigentlich ständig hier treffen?“ Irina Zaizewa lächelte erleichtert und flüsterte: „Diesmal ist es ganz und gar Ihre Schuld, General.“ Auf den fragenden Blick des Mannes hin murmelte die Russin: „Wir sind nicht allein.“ Etwas lauter meinte sie dann: „Unsere Chefärztin erlaubt mir heute nur einige Minuten Besuchszeit, Sir. Sie brauchen noch Ruhe. Das wird sich erst in den nächsten Tagen ändern, fürchte ich. Versuchen Sie zu schlafen, das macht die Schmerzen erträglicher. Ich spreche da aus Erfahrung.“ „Bevor Sie wieder gehen, noch eine Frage, Commander: Wie viele Personen liegen gegenwärtig auf der Krankenstation?“ „Aktuell ist die Station zu über neunzig Prozent ausgelastet, Sir.“ Erschrecken zeichnete sich auf dem Gesicht des Generalmajors ab. „Aber die Station ist für zweihundert Personen ausgelegt, Commander.“ „Mit Ihnen befinden sich zur Zeit einhundertvierundachtzig Personen in stationärer Behandlung, Sir. Die meisten davon sind Piloten der Jäger und Jagdbomber.“ Hayes wollte etwas erwidern, doch er spürte, wie Irina kurz ihre Hand auf seinen Oberarm legte und ihn dabei beschwörend ansah. Darum schwieg er. „Ich komme morgen wieder, Sir.“ Hayes lächelte schwach. Als die Telepathin ging, schossen ihm Dutzende von Fragen durch den Kopf. Gleichzeitig spürte er eine unendliche Müdigkeit. Er schloss die Augen und dämmerte gleich darauf schon wieder weg. * * * Nurcan Yldirim fühlte sich nach ihrer Doppelschicht wie gerädert. Doch im Moment war sie zu aufgedreht, um Schlaf zu finden, darum suchte sie den Japanischen Garten, im Innenbereich der Rotationssektion auf. Als sie einen sehr abgelegenen Teil des Gartens erreichte, in dem sie bisher stets für sich gewesen war, bemerkte sie einen hochgewachsenen, kräftigen Offizier der Flotte, der auf einer der Bänke saß und brütend vor sich hinstarrte. Als sich die Ärztin dem Mann näherte, stellte sie erstaunt fest, dass es sich um Fernando Esposito handelte. Bisher hatte der Captain auf sie nie den Eindruck gemacht, ein mürrischer Eigenbrötler zu sein. Irgendetwas musste passiert sein. Mehr, als der Verlust von Kameraden. Allein das war schlimm genug, doch die Ärztin vermutete, dass es sich um etwas Persönliches handeln musste, um diesen Zustand bei Esposito hervorzurufen. Die Ärztin schabte beim Näherkommen etwas mit dem linken Fuß über den Weg, damit der Captain sie kommen hören konnte. Fernando Esposito sah zu Nurcan Yldirim auf, als sie die Bank erreichte, sagte aber nichts, sondern blickte stattdessen abwesend durch sie hindurch. „Guten Abend, Captain Esposito“, sprach die Ärztin den Mann an. „Darf ich mich zu Ihnen gesellen, oder wollen Sie lieber allein bleiben?“ Esposito brauchte einen Moment lang, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Als sich die Ärztin bereits abwenden wollte, sagte er rasch: „Bitte bleiben Sie, Doktor. In meiner momentanen Verfassung tut es gut jemanden bei sich zu haben, mit dem man reden kann. Ich versuche, mit dem Tod von Melanie fertig zu werden.“ Die Ärztin setzte sich neben den Mann auf die Holzbank. Fragend sah sie ihn an und erst nach einem Moment verstand Esposito und erklärte: „Ich meinte Commander Sterling. Wir waren sehr gut befreundet. Sie ist im Kampf gefallen.“ „Standen Sie ihr nur freundschaftlich nah, oder war da mehr?“ Esposito schüttelte heftig den Kopf. „Ich weiß, dass man mir nachsagt, eine Schwäche für schöne Frauen zu haben. Wohl nicht ganz zu Unrecht. Doch Melanie gehörte nicht zu den Frauen, mit denen ich ein flüchtiges Abenteuer gesucht hätte. Die Freundschaft zu ihr war echt und von aufrichtiger Natur, Doktor. Nurcan Yldirim hielt dem Blick des Mannes stand. „Ich wollte Sie mit meiner Frage nicht verletzen, Captain Esposito. Manchmal bricht bei mir lediglich die berufliche Neugier zu sehr durch.“ Die Ärztin zögerte etwas, bevor sie sich bedächtig erkundigte: „Commander Sterling schien mir ein eher verschlossenes Wesen zu besitzen? Wenn sie mit Ihnen befreundet war, dann gab es sicherlich eine echte Vertrauensbasis? Nicht nur von Ihrer Seite, Sir.“ Der Captain schluckte. Dann sprudelte es aus ihm heraus: „Sie haben recht, Doktor. Zwischen Melanie und mir hatte sich ein sehr enges Vertrauensverhältnis entwickelt, während unserer gemeinsamen Dienstzeit. Wir kannten uns gegenseitig ziemlich gut. Von allen Kameraden beim Militär war sie die einzige, mit der ich mich, außerhalb des Dienstes, oder wenn wir unter uns waren, geduzt habe und bei ihr war es nicht anders, Doktor. An Familie hat sie nur noch eine Schwester gehabt. Ich weiß nicht, wie ich ihr beibringen soll, dass Melanie tot ist. Ich selbst kann es noch gar nicht richtig fassen. Sie war für mich so etwas, wie eine kleine Schwester, die ich nie hatte. Ich werde sich schrecklich vermissen.“ Der Blick des Mannes begann zu flackern. Ohne darüber nachzudenken, legte die Ärztin ihre Hand auf den Oberarm des Captains und drückte ihn sacht. Der Spanier wandte den Kopf zur Seite und Nurcan Yldirim ahnte warum. Er wollte nicht, dass sie seine Tränen sah. Manche männlichen Verhaltensweisen, so überlegte sie, würden sich wohl nie ändern. Die Ärztin gab sich einen Ruck und legte ihren linken Arm um die breiten Schultern des Captains. Sie zog ihn mit sanfter Gewalt zu sich heran. Mit der rechten Hand bettete sie seinen Kopf an ihre Schulter. Sie spürte das Zucken seines Oberkörpers und das aufkeimende Mitleid für den seelischen Schmerz des Mannes schnürte ihr dabei fast die Kehle zu. Sanft forderte die Ärztin mit kratziger Stimme: „Lassen Sie es jetzt und hier raus, Captain. Niemand bekommt es mit und niemand wird es je erfahren. Es ist richtig um Menschen zu trauern, die uns etwas bedeutet haben. Egal wo und egal wie.“ Es dauerte eine geraume Weile, bis sich Esposito mit der linken über das Gesicht wischte und langsam seinen Kopf von der Schulter der Ärztin nahm. Als er sie endlich wieder aus geröteten Augen ansah, nahm er ihre Hände in seine und sagte: „Danke, Doktor.“ Für einen langen Moment sahen sie sich nur an, bis Nurcan Yldirim dem Captain sanft ihre Hände entzog. „Nicht dafür, Captain Esposito. Ich lasse Sie nun besser allein.“ Nurcan Yldirim gewann den Eindruck, als wolle der Spanier widersprechen wollen. Doch dann sagte er nur bittend: „Ich wünschte, Sie würden mich Fernando nennen, Doktor.“ Die Ärztin wägte für einen Moment lang ab, ob Esposito diesen Vorschlag nur aus einer momentanen Gefühlsaufwallung heraus machte oder ob es ihm ernst war, mit seinem Vorschlag. Darum sah sie dem Captain für einige Augenblicke in die Augen, bevor sie eine Entscheidung traf. „Einverstanden, Fernando. Doch nur, wenn Sie zukünftig den Doktor weglassen und mich ebenfalls beim Vornamen nennen. Aber nur außerhalb des Dienstes, oder wenn wir, so wie gerade jetzt, unter uns sind.“ Fernando Esposito nickte ernsthaft. „Dann haben wir eine Abmachung, Nurcan.“ Die Ärztin lächelte schwach, als sie hörte, wie Esposito ihren Namen aussprach. Ihn in gespielter Verzweiflung ansehend meinte sie: „Den Namen werden sie noch sehr oft sagen müssen, bis sie ihn richtig betonen werden, fürchte ich. Wir sehen uns.“ „Hasta luego“, bestätigte der Captain auf Spanisch und sah der Frau nach, als sie ging. Dabei spürte er, wie gut ihm die Nähe der Ärztin getan hatte. Sie hatte ihm in seiner Trauer um Melanie so selbstverständlich einen Halt gegeben, wie es vermutlich nicht sehr oft vorkam, bei Personen, die sich kaum kannten. Dabei strich er gedankenverloren mit den Fingerkuppen über die Stelle seines Gesichtes, wo ihre Hand es berührt hatte. * * * Am nächsten Abend grummelte Lynden Benjamin Hayes im Krankenbett vor sich hin. Denn als ihn am Nachmittag Fernando Esposito besuchte, um ihm von seiner Unterredung mit Susan Ivanova zu berichten, und ihn auf den aktuellen Stand der Dinge zu bringen, hatte Nurcan Yldirim ihre Unterredung ziemlich bestimmt, nach zwanzig Minuten abgebrochen und Esposito mit Nachdruck aus dem Krankenzimmer hinauskomplimentiert. Auf seinen Einwand hin hatte sie ihn auf seine Gehirnerschütterung hingewiesen und darauf, dass er die Wahl hatte: Zwischen einem längeren Besuch von Esposito, oder einem kurzen Besuch von Esposito und einem längeren Besuch von Irina am Abend, wenn er sich gut führte und aus medizinischer Sicht keinen Ärger machte. Da dem Generalmajor klar war, dass in seiner momentanen Lage die Ärztin am längeren Hebel saß, hatte er, wenn auch nur unter Protest, der Frau nachgegeben. Erst als sich das Schott seines Krankenzimmers öffnete und er Irina hereinkommen sah, verbesserte sich die Laune des Dreiundfünfzigjährigen spürbar. Freudig sah er Irina entgegen und verfolgte mit seinen Blicken, wie sie sich schließlich einen Stuhl heranziehend an sein Bett setzte. Dabei deutete er auf ein Päckchen, das sie in ihren Händen hielt. „Endlich bist du hier. Du hast mir etwas mitgebracht?“ Die Telepathin beugte sich vor und küsste den Mann sanft auf die Wange. Danach erst erwiderte sie: „Nur ein paar Pralinen. Ich habe mir sagen lassen, du stehst auf Süßigkeiten. Aber nicht alle auf einmal aufessen, sonst bekomme ich Ärger mit Nurcan.“ Das Gesicht des Mannes verzog sich, als habe er in eine Zitrone gebissen. Dabei blitzten seine dunklen Augen gefährlich auf, als er grollte: „Ich habe deine Freundin schwer in Verdacht, dass sie es gerade ziemlich genießt, dass ich da bin, wo sie mich haben will. Zudem kommst du mit diesen Kalorienbomben an, wo ich gerade eine neue Freundin habe. Willst du etwa einen Freund haben, der aufgeht, wie ein Hefekloß?“ „Oh, ich kann die Pralinen ja wieder mitnehmen.“ Unerwartet schnell nahm Hayes seiner Freundin die Pralinen aus der Hand und legte sie auf den Nachttisch, der sich auf der anderen Seite des Bettes befand. Dort lagen sie außerhalb ihrer Reichweite. Dabei erklärte er bestimmt: „Die Pralinen bleiben hier.“ Die Telepathin verdrehte die Augen und seufzte schwach. Dabei beugte sie sich über Hayes und gab ihm einen richtigen Kuss. Als sich beide nach geraumer Weile voneinander lösten, sah Irina Zaizewa ihren Freund verschmitzt an und meinte: „Na, das scheint immerhin noch zu funktionieren.“ „Wenn das nicht mehr funktioniert, dann nimmst du deine Auricon PPG und schießt mich über den Haufen“, verlangte Hayes säuerlich. „Versprich mir das.“ Irina Zaizewa nahm die linke Hand des Mannes in ihre. Schnell ernster werdend meinte sie: „Schluss mit dem Geplänkel, Benjamin. Esposito bat mich vorhin darum, dir von seinem Zusammentreffen mit Susan Ivanova zu berichten. Er meinte, du weißt bereits in groben Zügen davon?“ Hayes seufzte und bestätigte: „Er konnte mir eine kurze Zusammenfassung liefern, bevor unsere Chefärztin ihn rauswarf.“ Irina grinste breit, bevor sie sich konzentrierte und erklärte: „Nun, dein Stellvertreter traf auf der SHERIDAN mit ihr zusammen. Er glaubt, dass Ivanova Recherchen zu deiner Kampfgruppe anstellt. Offensichtlich verfolgt Ivanova deine Schritte genauer, als du ahnst.“ „Oder auch weniger offensichtlich“, versetzte Hayes trocken. „Ich bin weit davon entfernt, eine Heldin des Schattenkrieges zu unterschätzen, Irina. Ganz im Gegenteil, ich habe, und das bereits vor meiner Ankunft hier, dem Generalstab dazu geraten unsere Verbündeten darüber zu informieren, dass wir möglicherweise einem neuen und sehr mächtigen Feind gegenüberstehen. Ich kenne Ivanova persönlich und ich bin mir sicher, dass die jetzt nicht mehr locker lassen wird. Aus verlässlicher Quelle weiß ich von einer Anfrage durch sie, bei einem ihrer alten Bekannten im Stab der Erdstreitkräfte.“ „Da wird sie nicht viel erfahren haben, wie ich vermute“, orakelte die Telepathin. „Natürlich hat man sich bedeckt gehalten“, bestätigte Hayes. „Doch gerade das macht Personen wie Susan Ivanova misstrauisch. Da ist sie, wie ich selbst. Wenn diese Frau erst einmal die Witterung aufgenommen hat, dann stellt sie weitere Ermittlungen an. Ich muss dir wohl nicht sagen, über welche Machtmittel sie nun verfügt.“ „Warum weigert sich unser Flottenstab eigentlich so vehement, die Interstellare Allianz mit einzubinden? Das könnte doch nur gut für uns sein.“ Hayes sah seine Freundin vielsagend an. „Bei mir rennst du da offene Türen ein. Doch offensichtlich kommt dieser Befehl zur Verschwiegenheit von ganz oben. Also entweder von Präsidentin Okamura selbst, oder von ihrem Verteidigungsminister, in Absprache mit Okamura. Egal wie man es dreht und wendet, die Präsidentin hat dazu, zumindest stillschweigend, ihre wohlwollende Zustimmung gegeben.“ Unglauben lag im Blick der Telepathin. „Aber du willst damit doch nicht andeuten, dass sich Ayumi Okamura zu einem weiblichen William Morgan Clark mausert?“ „Nein!“, wiegelte Hayes rasch ab. „Das würde ich nun nicht vermuten, auch wenn beide derselben politischen Partei angehören. Ich habe da einen anderen Verdacht.“ „Lass hören.“ Hayes blickte seiner Freundin in die Augen, die bei bestimmtem Lichteinfall beinahe golden wirkten. So, als würde er sich fragen, ob sein Verdacht nicht zu verrückt sei, um ihn mit ihr zu teilen. Endlich sagte er: „Die Erde hat durch ihre Zugehörigkeit zur ISA ziemlich profitiert. Die ISA hat im Gegenzug nur recht wenig zurückbekommen. Ich hege seit einiger Zeit die Befürchtung, man könnte auf der Erde zu der Auffassung gelangt sein, ein weiterer Verbleib in der ISA wäre überflüssig.“ Irina Zaizewa sah ihren Freund nun wirklich so an, als habe er völligen Unsinn von sich gegeben. Erst nach einigen Augenblicken fragte sie mit abgesenkter Stimme: „Du glaubst, die Erdregierung will einen mächtigen Gegenpol zur ISA schaffen? Aber…“ „Wenn die Erdregierung mit der des Mars und denen der Kolonien übereinkommt, dann könnte das sogar funktionieren“, unterbrach Hayes die Telepathin. „Selbst wenn danach alles friedlich seinen Gang nähme, würde ein solcher Schritt ziemlich hohe Wellen schlagen. Wenn G’Ryka bei ihrem ersten Gespräch mit mir nicht übertrieben hat, könnten sich in einem solchen Fall vielleicht sogar die Narn auf die Seite der Erdregierung schlagen. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie die Centauri auf eine solche Entwicklung reagieren würden.“ „Du malst da ein sehr düsteres Bild“, murmelte Irina Zaizewa, wobei sie ihren Freund eindringlich ansah. „Aber so muss es nicht sein?“ „Nein, das muss es nicht“, gab der Generalmajor zu. Beruhigend legte er seine Hand auf ihre und drückte sie sacht. „Vielleicht sehe ich die Angelegenheit viel zu schwarz.“ Für eine Weile blieb es still im Raum, bevor sich der Generalmajor räusperte und mit veränderter Stimmlage fragte: „Wie geht es Esposito. Er hat Melanie Sterling sehr nahe gestanden und ich könnte mir vorstellen, dass ihn der Verlust sehr hart getroffen hat. Er selbst wollte nicht mit mir darüber reden.“ Fast erleichtert über diesen Themenwechsel erwiderte die Telepathin: „Vielleicht redet er deshalb nicht mit dir darüber, weil er mit Nurcan darüber redet. Zumindest hat sie heute Morgen, vor dem Dienst, so etwas angedeutet. Während wir zwei hier beieinander sind unternehmen die beiden vermutlich den Abendspaziergang, den Nurcan erwähnt hat.“ Überrascht musterte Hayes seine Freundin. „Ach, guck an.“ „Vielleicht folgt er ja dem guten Beispiel seines Vorgesetzten“, spöttelte Irina und beugte sich rasch vor, um Hayes einen Kuss zu geben. Als sie wieder etwas auf Abstand ging, fügte sie ernsthafter hinzu: „Nurcan hilft dem Captain durch eine schwierige Phase. Da sollte man vielleicht nicht allzu viel hineininterpretieren.“ Hayes lächelte schwach. „Meine Freundin ist nicht nur sehr hübsch, sie ist auch sehr intelligent und lebenserfahren.“ Irina Zaizewa blickte forschend in die Augen des Mannes, um herauszufinden, ob er sich gerade einen Scherz mit ihr erlaubte. Sicher, dass es nicht so war, wechselte diesmal sie das Thema und fragte: „Denkst du, der Feind hat deinen Verband in voller Stärke angegriffen, oder hat er möglicherweise noch Reserven, von denen wir nichts ahnen, Benjamin?“ Die Telepathin wunderte sich etwas über das vergnügte Gesicht ihres Freundes, bis dieser erklärend meinte: „Dir gefällt also mein Zweitname doch ziemlich gut. Entgegen ganz anders lautender Gerüchte.“ Die Russin schnitt ihm eine Grimasse und so kam der Generalmajor schnell auf ihre Frage zurück. „Das lässt sich momentan nicht beantworten. Wäre ich der Befehlshaber des Feindes, so hätte ich noch was auf der Hinterhand. Doch da wir nicht wissen, wie stark der Gegner wirklich ist, können wir bestenfalls orakeln, wie die Fakten aussehen. Genau das jedoch will der Feind vielleicht. Zu versuchen den Gegner zu verunsichern war in Kriegen schon immer ein probates Mittel.“ „Vielleicht sollten wir Miss G’Ryka stärker einspannen, um etwas in Erfahrung zu bringen“, schlug Irina Hayes vor. „Die erste Regel des Krieges lautet: Kenne deinen Feind. Doch wir wissen ziemlich wenig, würde ich sagen. Das sollten wir ändern.“ Hayes hob seine Augenbrauen leicht an. „Du bist mit Sun Tzu und der Kunst des Krieges vertraut?“ „Sollte das nicht jeder gute Offizier sein?“, stellte Irina Zaizewa die Gegenfrage. „Der General hat sich in seinem Werk im Übrigen auch zum Einsatz von Spionen ausgelassen.“ „Ich bevorzuge Clausewitz“, bekannte Hayes und machte ein grüblerisches Gesicht. „Ja, G’Ryka wäre eine Alternative. Sie kann dort hingehen, wo wir selbst nicht hin können. Außerdem schuldet sie uns was. Wir hingegen können es uns nicht erlauben noch viel länger im Dunkel zu tappen. Wir müssen die Initiative gewinnen und wenn wir den Feind endgültig stellen können, dann Gnade ihm Gott, denn ich werde es nicht tun.“ Irina Zaizewa legte beruhigend ihre Hand auf die Brust des Mannes. „He, jetzt gehen aber die Pferde mit dir durch. So brutal bist du nicht, oder ich müsste mich sehr in dem Mann täuschen, für den mein Herz schlägt.“ Sie rückten etwas voneinander ab, als sie das leise Zischen des Schotts hörten. Irina Zaizewa blickte zu der Schwester, die zu ihnen hereinkam und mahnend zu ihr sagte: „Commander, der Patient braucht nun dringend Ruhe.“ „Bitte lassen Sie uns noch für einen Moment allein.“ Als die Krankenschwester lediglich ihre Augenbrauen leicht anhob, legte die Telepathin etwas energischer nach: „Nur eine Minute, Schwester!“ Die Angesprochene beeilte sich, das Zimmer zu verlassen und als sich Irina Zaizewa wieder Hayes zuwandte, blickte sie in sein amüsiertes Gesicht. „Ich will mich wenigstens standesgemäß von meinem Freund verabschieden können. Ist das etwa zu viel verlangt?“ „Nein, gar nicht.“ Sie küssten sich und nur widerstrebend löste sich Irina Zaizewa von Hayes. Dabei verlangte sie: „Werd mir bloß schnell wieder gesund, Benjamin.“ „Versprochen!“ Der Generalmajor ließ die Hand der Frau los, als sich das Schott, genau eine Minute nachdem die Schwester gegangen war, erneut öffnete. Beschwörend sah er seine Freundin an, als sie die Augen verdrehte, und er flüsterte ihr zu: „Sie macht nur ihren Job.“ „Die kann mich mal“, flüsterte Irina Zaizewa zurück, bevor sie sich abwandte und das Krankenzimmer verließ, nicht ohne die Schwester dabei mit einem finsteren Blick zu streifen. Hayes sah ihr und der Schwester sinnend nach. Dann fiel sein Blick auf das Päckchen, auf seinem Nachttisch und sein Gesicht nahm einen irgendwie zufriedenen Zug an. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)