Die Shinsengumi-Hanahaki-Krise von MariLuna (oder: wenn die Mehrheit von etwas überzeugt ist, heißt das noch lange nicht, dass sie Recht hat) ================================================================================ Kapitel 1: Saitō Shimaru – Teil I Dienstag, 08:00 Uhr ------------------------------------------------------ Saitō Shimaru – Teil I Dienstag, 08:00 Uhr   Die regelmäßige Morgenbesprechung der Shingensumi, bei der ihr Führungspersonal zusammenkommt um die Aufgaben des Tages zu verteilen und dienstliche Neuigkeiten auszutauschen, dauert nie lange, denn Fukuchō Hijikata Tōshirō hasst nichts mehr als Zeitverschwendung. Saitō Shimaru ist das nur recht. Er hat so seine Schwierigkeiten mit sozialer Interaktion und daher bedeutet selbst so etwas harmloses wie diese Morgenbesprechung großen Streß für ihn. Er fühlt sich in seinem Büro am Wohlsten. Genau wie bei allen hier ist sein Büro zugleich auch der Raum, in dem er wohnt, aber anders als seine Kollegen verlässt er ihn nur, wenn es wirklich notwendig ist. Er ist der Ermittler für innere Angelegenheiten der Shinsenumi und er hat es sich zum Lebensziel gemacht, dass – so lange er diesen Job bekleidet – sich niemals wieder Verräter in den Reihen der Shingensumi einnisten werden. Der Verrat von Itou Kamatarou und seinen Anhängern vor einem halben Jahr wäre fast das Ende vieler guter Männer gewesen. Es war nicht Shimarus Schuld, Itous Hintergrund und seine Referenzen waren echt und hervorragend, es war alles in Ordnung, nur mit seinem Charakter stimmte etwas eben nicht. Er war zu ehrgeizig und schielte zu sehr auf den Posten des Kyokuchōs. Shimaru war neben Fukuchō Hijikata einer der wenigen, denen es auffiel, aber Kyokuchō Kondō hörte auf keinen von ihnen. Nun, wenigstens hat sich das jetzt geändert. Nun schenkt man Shimarus Urteil mehr Gehör. Das gute an diesem Job ist auch, dass niemand ihn mit seiner unerwünschten Anwesenheit belästigt. Und dass er vollständig autark arbeiten kann. Rein offiziell untersteht er zwar immer noch Kyokuchō Kondō Isao, aber da dieser seit dem Vorfall mit Itou seinem eigenen Menschenurteil nicht mehr recht traut, hat er diese Verantwortung an den stets mißtrauischen Fukuchō Hijikata Tōshirō weitergereicht. Also erstattet Shimaru meist diesem Bericht. Bedauerlicherweise kümmert sich Hijikata um seine Untergebenen und animiert Shimaru daher immer, sich mehr „unter die Leute zu mischen“. Deshalb gehören diese langweiligen Morgenbesprechungen auch zu seinem täglichen Pflichtprogramm. Normalerweise döst Shimaru diese knappen zwanzig Minuten immer gelangweilt vor sich hin, doch in den letzten Wochen hat sich eine unangenehme Nervosität zwischen den Männern ausgebreitet und Shimaru ertappt sich immer öfter dabei, sich davon anstecken zu lassen. Aber ist es denn ein Wunder, bei dem, was da draußen in Edo los ist? Sie sind alle Samurais, manche von ihnen wahrhaftig wie die Führungsriege, andere nur dem Geiste nach, aber sie alle folgen dem Pfad des Bushido und sind das Kämpfen gewohnt, ob mit Katana, Pistole oder Fäusten, sie adaptieren schnell und haben gelernt, eigene Bedürfnisse ihrer Pflicht unterzuordnen, aber - ehrlich gesagt - was können sie schon gegen das Unheimliche unternehmen, das ihre geliebte Stadt in ihrem Würgegriff hält? Die Shinsengumi wurde gegründet, um die Terrorgefahr zu eliminieren, angefangen bei den sogenannten „Rebellen“ der Jouishishi bis hin zum illegalen Menschen- bzw. Amanto- und Waffenschmuggel, sie sind Krieger, eine Sondereinheit der Polizeikräfte Edos, aber sie sind keine Wissenschaftler. Und diese Hilflosigkeit kratzt an ihren Nerven. Shimaru sieht es jeden Tag: wie die Männer immer bedrückter von ihren Patrouillen durch die Straßen Edos zurückkehren, wie ihre Sticheleien untereinander allmählich aufhören und vor allem, wie besorgt sie den Fernsehnachrichten lauschen und wie oft sie am Tag auf ihren Smartphones durch die sozialen Medien scrollen. Er hört sie wispern, wenn sie beim gemeinsamen Essen sitzen. Husten. Blüten. Tod. Hanahaki. Ha-na-ha-ki. Es ist ein Name, der Furcht in ihre Kämpferherzen gräbt. Noch hat es ihre Familien oder Freunde nicht getroffen oder gar einen aus den Reihen der Shingensumi, aber das ist nur eine Frage der Zeit. „... die meisten Ausbrüche wurden vom Bauernmarkt gemeldet.“ Hijikatas dunkle Stimme holt ihn aus seinen Gedanken. „Sagt euren Männern, jeder, der sich da in der letzten Woche aufgehalten hat, könnte sich angesteckt haben. Sie sollen auf Symptome achten und in sich gehen, ob sie jemandem etwas zu gestehen haben. Und jetzt zu den Tagesaufgaben: Erste Division: Küchendienst. Und ich esse auswärts, Sōgo, mach dir also keine Hoffnungen...“ „Ich hoffe, du erstickst trotzdem“, erwidert Kumichō Okita Sōgo neben ihm nonchalant wie immer. Doch diesmal fehlt seiner Stimme der rechte Biß. Das Damokles-Schwert, das über Edo hängt, läßt ihn nicht ganz so unbeeindruckt, wie er es wohl gerne hätte. Natürlich nicht, fährt es Shimaru durch den Sinn, er hat Freunde in der Stadt wie wir alle. Und die meisten davon gehören zur Yorozuya. Ganz bestimmt macht er sich besonders große Sorgen um Kagura. Selbst ihm, der er nicht viel mit Sakata Gintoki und dessen kleinem Unternehmen zu tun hat, ist die sexuelle Spannung zwischen dem Yato-Mädchen Kagura und Okita Souga nicht entgangen. Auch, wenn es nicht jeder sofort sieht, aber sich bei jeder Gelegenheit zu beleidigen und zu verprügeln gilt bei den beiden eindeutig als Flirt. Wenn die Ärzte recht haben, dürfte Hanahaki bei den beiden keine Auswirkungen haben, so sie denn infiziert sein sollten. Shimaru bezweifelt, dass einer von den beiden in den anderen unglücklich verliebt ist. Da gibt es ganz andere Kandidaten. Oh. Verdammt! Hastig kritzelt Shimaru etwas auf seinen Block und winkt dann damit, um auf sich aufmerksam zu machen. Kyokuchō Kondō Isao bemerkt ihn als erstes. „Ja, Shimaru?“ Shimaru hebt seinen Block noch höher und flüstert aufgeregt. In solchen Situationen verflucht er seine ausgeprägte Schüchternheit, die ihn sogar seiner Stimme beraubt hat. Hijikata hat aufgehört, die Tagesaufgaben zu verteilen und sieht nun auch neugierig zu ihm hinüber. Und plötzlich fühlt Shimaru die Blicke aller auf sich gerichtet. Er spürt, wie ihm der kalte Schweiß ausbricht. „Yamazaki“, wispert er, aber natürlich versteht ihn niemand. Todo Bokosuke, Kumichō der 8. Division und einer der wenigen, die Shimaru einen Freund nennt und der bei solchen Zusammenkünften immer aus genau solchen Gründen in seiner Nähe sitzt, nimmt ihm den Block aus den Händen und liest laut vor: „Wo ist Zaki?“ „Er hat einen Observierungsauftrag“, erwidert Hijikata stirnrunzelnd. „Seit zwei Wochen. Am Bauernmarkt.“ Shimaru nickt aufgeregt. Aber als ihn Kondō, Hijikata und Okita daraufhin nur fragend anstarren, spürt er echte Verzweiflung in sich aufsteigen. Wieso sieht das denn niemand außer ihm? Hilfesuchend sieht er sich um, doch auch in den Gesichtern der anderen Kollegen liest er nichts als irritierte Neugier. Shimaru nimmt seinen ganzen Mut zusammen. „Hanahaki!“ schreit er dann, doch heraus kommt es nur etwas lauter als ein Murmeln und nur die Männer in seinem direkten Umfeld können es hören. Doch dann sieht er, wie sich Bokosukes Augen erschrocken weiten. „Um Himmels Willen! Du hast Recht! Kyokuchō!“ wendet er sich direkt an ihren Kommandanten. „Ruft Zaki zurück! Die Gefahr, dass er sich mit Hanahaki infiziert, ist zu groß. Ich melde mich auch freiwillig, ihn zu holen. Mir macht Hanahaki nichts aus, ich bin glücklich verlobt. Bitte laßt ihn mich holen.“ „Natürlich“, ruft Kondō sofort, „geh und-“ „Nein!“ unterbricht ihn Hijikata scharf und funkelt Kondō und dann sie alle aus seinen marineblauen Augen drohend an. Letztendlich bohrt sich sein stechender Blick direkt in Shimarus Augen. „Yamazakis Auftrag ist zu wichtig, um ihn jetzt schon davon abzuziehen. Es sind noch drei Tage, die wird er überleben.“ „Tōshi“, wendet Kondō zögernd ein, „ich glaube nicht-“ „Yamazakis Auftrag ist wichtig“, unterbricht ihn Hijikata, schlägt diesmal jedoch einen sanfteren Tonfall an, um ihn zu überzeugen. „So lange er keine Symptome zeigt, sehe ich keinen Grund, wieso er vorzeitig zurück ins Hauptquartier sollte. Wieso sollten für ihn andere Regeln gelten als für alle anderen?“ Hastig schreibt Shimaru auf seinen Block und wieder liest Bokosuke es vor: „Weil es Yamazaki ist, von dem wir hier reden.“ Er wechselt einen schnellen Blick mit Shimaru, reicht ihm den Block wieder zurück und ergänzt dann – und das ist ungefähr genau dasselbe, wie es alle anderen hier denken: „Wenn jemand in der Shinsengumi unglücklich verliebt ist oder gar an unerwiderter Liebe leidet, dann unser Zaki. Erinnern Sie sich nicht mehr an die Sache mit dem Robotermädchen Tama damals oder mit der Verdächtigen, die ihm vergiftetes Essen unterschob? Etwas Aufmerksamkeit von einem hübschen Mädchen genügt und Yamazaki ist sofort Feuer und Flamme. Und am Markt laufen mehr als genug schöne Mädchen herum, die ihm mit einem einzigen Lächeln den Kopf verdrehen können. Bitte, Fukuchō, lasst mich ihn holen. Jemand anders kann doch seinen Job übernehmen. Jemand, der nicht gefährdet ist.“ Die anderen Männer murmeln zustimmend, doch Hijikata bringt sie mit einer ungeduldigen Geste zum Verstummen. „Yamazaki ist nicht so schwach, wie ihr alle von ihm denkt. Wer, glaubt ihr, hat uns vom Ausbruch der Krankheit am Bauernmarkt berichtet? Es ist sein eigener Wille, seinen Auftrag zu Ende zu bringen. Ihr entehrt ihn und euch, wenn ihr ihm absprecht, genau zu wissen, was er da tut.“ Er wirft einen verächtlichen Blick in die Runde. „Ich wünschte, ihr besäßet auch nur einen Hauch seines Pflichtgefühls.“ Unter seinen Untergebenen wird ein protestierendes Raunen laut. Das war unfair, und sie fühlen sich zurecht gekränkt. Shimaru sinkt in sich zusammen und starrt wie betäubt auf seine im Schoß verschränkten Hände. Er ist fassungslos. Er versteht nicht, was in Hijikata gefahren ist. Okita Sōgos schnarrende Stimme reißt ihn wieder zurück ins Hier und Jetzt. „Zu unser aller Beruhigung wird Hijikata-san bestimmt die nächsten drei Tage täglich bei Yamazaki vorbeischauen, um sich von dessen Stärke zu überzeugen, oder, Hijikata-san?“ „Natürlich, Okita“, gibt dieser scharf zurück. Um Okita Sōgos Lippen zuckt ein fieses Lächeln. „Wie bedauerlich, dass unser dämonischer Fukuchō kein Herz besitzt und daher auch keinen Herzschmerz kennt, so daß ihn gewiß kein Hanahaki ereilen wird. Und wenn doch, übernehme ich gerne deine Position als Fukuchō.“ Hijikata schnaubt nur und verdreht die Augen. „Das hättest du wohl gern. - Und jetzt hört alle auf, kostbare Zeit zu verschwenden und geht an eure Arbeit!“ Noch ein letzter funkelnder Blick, und dann ist er der erste, der geht.     Kapitel 2: Saitō Shimaru – Teil II Dienstag, 11:55 Uhr ------------------------------------------------------- Saitō Shimaru – Teil II Dienstag, 11:55 Uhr   Shimaru kann sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren, immer wieder muß er an das denken, was während der Morgenbesprechung vorgefallen ist. Er versteht nicht, wie Hijikata-san gegenüber Yamazakis Schicksal so gleichgültig bleiben kann. Das passt nicht zu dem, was er in den letzten Monaten beobachtet hat. Er war sich so sicher, dass sich zwischen dem Fukuchō und dem Spion eine innige Freundschaft entwickelt hat. Das hat ihn ehrlich gesagt, gefreut. Für Yamazaki, denn auch wenn es in der Shingensumi niemanden gibt, der Yamazaki nicht mag, erinnern sich die wenigstens daran, dass er existiert. Die Masse der Männer hat ihn vergessen, sobald er aus ihrem Bildfeld verschwunden ist. Das macht ihn zu einem so guten Spion – er ist wie Inventar: leicht zu übersehen. Menschlich ist es aber traurig, beinahe schon tragisch. Daher war es erfreulich zu sehen, wie Yamazaki in Hijikata Interesse weckte. Shimaru verlässt sein Zimmer zwar nur zu den gemeinsamen Mahlzeiten und wenn er etwas Wichtiges in Edo zu erledigen hat, aber wann immer er zum Abendessen ging, sah er sie zusammen an einem Tisch sitzen und sich angeregt unterhalten. Manchmal, wenn er sah, wie sie sich zufällig berührten, bekam er das Gefühl, dass da mehr zwischen ihnen ist als bloße Freundschaft, aber er ist nicht gut darin, solche Dinge zu beurteilen. Und genau deshalb ist ihm Hijikatas Benehmen jetzt so ein Rätsel. Er hat lange mit sich gerungen, aber die Sache läßt ihm einfach keine Ruhe und so nimmt er all seinen Mut zusammen, verlässt die Sicherheit seines Büros und betritt kurz vor zwölf Uhr mittags das Büro von Kyokuchō Kondō, seinen Schreibblock fest in der rechten Hand. Überrascht blickt Kondō von seinen Unterlagen auf. „Ja? Was ist los, Shimaru?“ Vielsagend hält ihm Shimaru seinen Block entgegen. Wo ist Yamazaki? Kondōs eben noch so freundliche Miene verdunkelt sich etwas. Er versucht sich in einem schiefen Lächeln und streicht sich dann verlegen durch seine kurzen Haare. „Das ist geheim. Selbst ich weiß nicht, wo er steckt.“ Er seufzt einmal tief, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und mustert seinen rothaarigen Spion nachdenklich. „Du willst ihn selbst hierher zurück holen?“ Shimaru nickt so heftig, dass sein Afro ins Schwingen gerät. Wieder seufzt Kondō tief. Dann starrt er lange an die Decke über sich. Shimaru wartet geduldig. Wenn man ihn nicht kennt, hält man Kondō leicht für einfältig und behäbig, aber alle, ausnahmslos alle korrigieren diese Meinung über ihn, sobald sie ihn einmal im Einsatz gesehen haben. Seine Methoden mögen unkonventionell sein, aber sie sind von Erfolg gekrönt. Er ist ein ausgezeichneter Stratege und in einem Schwertkampf ist er ein Gegner, vor dem man sich hüten sollte. Seine Gedanken sind – wenn sie sich nicht um seinen Schwarm Shimura Tae drehen – fast genauso scharf und klar wie Hijikatas, nur mit dem Unterschied, dass Kondō viel zu gutmütig ist und immer das Gute in den Menschen sieht. Wie er sich diesen Optimismus bei seiner schicksalsgebeutelten Vergangenheit bewahren konnte, wird Shimaru wohl immer ein Rätsel bleiben. „Ich kann dich verstehen“, meint Kondō schließlich langsam, eindeutig jedes Wort sorgsam abwägend, richtet seine Aufmerksamkeit von der Decke und sieht Shimaru direkt in die Augen. „Aber ich vertraue Tōshirōs Urteil.“ In seiner Stimme liegt die ihm typische Unerschütterlichkeit, wenn er von Hijikata oder Okita spricht. Die drei kennen sich ihr halbes Leben lang und im Grunde genommen waren sie die Gründer der Shinsengumi. Shimaru liegt es fern, Kondōs Vertrauen anzuzweifeln, aber ... hastig kritzelt er etwas auf seinen Block: Und wenn er sich irrt? Kondō runzelt die Stirn und öffnet den Mund, um etwas zu sagen, doch dann dringt ihm überraschenderweise Shimarus leise Stimme an die Ohren. Und das Wissen, wieviel Kraft es ihn gekostet haben muss, sie auszusprechen, verleiht seinen Worten zusätzliches Gewicht: „Dann verlieren wir beide.“ Sprachlos starrt Kondō ihn an. Daran hat er nicht gedacht. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein guter Mann unter Hijikatas Kommando stirbt – das gehört hier nun einmal zum Berufsrisiko – aber das war immer in einem Kampf. Noch nie hat Hijikata das Leben eines Mannes leichtsinnig aufs Spiel gesetzt oder sich dagegen entschieden, ihn zu retten, obwohl er die Gelegenheit dazu hatte. Er ist eher dafür bekannt, der erste zu sein, der sich in die Gefahr stürzt. Je länger Kondō darüber nachdenkt, desto mehr muß er Shimaru Recht geben - wenn Yamazaki etwas wegen dieser Entscheidung zustößt, wird Tōshirō sich das nie verzeihen. „Ich werde nochmal mit ihm reden“, verspricht er ihm daher. Erleichtert bedankt sich Shimaru mit einer Verbeugung und zieht sich dann wieder eilig zurück.   Kapitel 3: Saitō Shimaru – Teil III Dienstag, 1318 Uhr ------------------------------------------------------- Saitō Shimaru – Teil III Dienstag, 1318 Uhr   Er sitzt gerade mal seit einer Stunde wieder in seinem Büro, als er von draußen laute Stimmen hört, und dann werden die Shojis zum Innenhof schwungvoll zurückgestoßen und ein wutschnaubender Hijikata stürmt herein. Er bringt einen kalten Windstoß mit sich, der Shimaru unwillkürlich fröstelt lässt. „Ist das deine Schuld?“ drohend baut er sich vor Shimaru auf und drückt dabei seine Zigarette auf der Tischplatte mit einer Heftigkeit aus, als wolle er damit andeuten, was er am Liebsten mit Shimarus Kopf machen würde. „Hast du Kondō-san gegen mich aufgewiegelt?“ Bevor der eingeschüchterte Spion auch nur zu seinem Schreibblock greifen kann, taucht Kondō hinter Hijikata auf und legt ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter. „Tōshi, bitte, er hat mich doch nicht aufgewiegelt. Er hat nur etwas gesagt, was mich meine Meinung ändern ließ.“ Wütend schlägt Hijikata seine Hand beiseite und wirbelt zu ihm herum, doch in genau diesem Moment schlendert Okita Sōgo mit einem süffisanten Grinsen durch die geöffnete Tür herein. Hinter ihm kann man sehen, wie sich auf dem kleinen Hof eine neugierige Menge zusammenschart. „Oi, was ist denn hier los? Gibt es hier etwas umsonst?“ Hijikata wirft ihm einen wahren Todesblick zu. Ihm mißfallen die ungebetenen Zuhörer da draußen eindeutig, doch noch viel mehr stört ihn Okitas Anwesenheit. „Verschwinde, du Nervensäge!“ Sōgo bleibt stehen, mustert die kleine Gruppe vor sich mit schiefgelegtem Kopf und lässt provokativ eine Kaugummiblase platzen, bevor er betont frohlockend meint: „Oi, Hijikata-san, hat Kondō endlich bemerkt, welch ein Idiot du bist und schmeißt dich raus?“ Dafür erntet er von Hijikata nur ein genervtes Schnauben, während Kondō ihm bereitwillig Auskunft gibt: „Nein, Sōgo. Es geht um Yamazaki. Shimaru hat mich überzeugt, daß wir ihn doch besser zurückholen sollten.“ Das veranlasst Okita dazu, den schüchternen Spion aus seinen karmesinroten Augen genauer zu mustern. Shimaru muß einmal hart schlucken. Okita weiß genau, wie seine Augenfarbe auf andere wirkt und er spielt dieses Blatt unbarmherzig aus, wann immer er kann. Er ist trotz seines jungen Alters zweifellos ein Sadist, und Shimaru ist froh, nicht auf seiner Abschußliste zu stehen. Unangenehm ist ihm dieser Blick trotzdem. Doch es ist Hijikatas Temperament, das er jetzt mehr als alles andere fürchten sollte. Zum Glück ist er schon längst nicht mehr das Ziel seiner Aufmerksamkeit. „Ihr Heuchler!“ schreit Hijikata da auch schon los, und seine rechte Faust landet dabei an Kondōs Schulter, was diesen überrascht einen halben Schritt zurückstolpern lässt. „Jetzt interessiert ihr euch für ihn? Wo ward ihr vor einem halben Jahr, he? Jetzt braucht er euch nicht mehr! Er braucht keinen von euch, also lasst ihn in Frieden!“ „Tōshi-“, beginnt Kondō kleinlaut. Hijikatas Worte haben ihn eindeutig getroffen. Aber da ist er nicht der einzige. Auch Shimaru senkt unwillkürlich den Kopf. Sogar Sōgo macht ein betroffenes Gesicht. Ja, das, was vor einem halben Jahr im Zusammenhang mit Itous Verrat geschehen ist, hat jedem in der Shinsengumi ein schlechtes Gewissen beschert, der dabei war. Dass sie glaubten, Yamazaki sei tot ohne je seine Leiche gesehen zu haben, war eine Sache, aber eine ganz andere war es, seine Totenfeier mit der von Matsudaira Hund zusammenzulegen. Als wäre Yamazaki nicht mehr als ein Haustier. Dass das ganze die Idee von Matsudaira Katakuriko war, dem Mann ganz oben an der Spitze der Shinsengumi und der örtlichen Polizei, macht es nicht besser. Wäre Hijikata damals da gewesen, hätte er das niemals zugelassen. Er hätte sich Matsudaira-sans Anordnungen widersetzt. Vielleicht ist ihre Sorge um Yamazaki jetzt deshalb umso größer – es ist ihrem schlechten Gewissen geschuldet. „Ich sage euch nicht, wo er ist!“ Hijikatas Stimme erreicht eine Tonlage, die dem Grollen eines Drachens sehr nahe kommt. „So weit kommt es noch, dass wegen euch Vollidioten seine Tarnung auffliegt! Das wird ihn nämlich garantiert das Leben kosten!“ Für einen Moment herrscht betroffene Stille. „Oh“, macht Kondō dann, als es ihm langsam dämmert. „Ja, oh! Vielleicht lernt ihr alle mal, weiter als von der Wand bis zur Tapete zu denken! Und jetzt ist Schluß mit dem Theater! Yamazaki ist meine Verantwortung! Ich weiß schon, was ich tue!“ Mit diesen Worten kreiselt er herum und stiefelt davon. Kaum draußen auf dem Hof, herrscht er die acht neugierigen Gaffer an, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten: „Habt ihr nichts zu tun? Haut ab oder begeht Seppuko!“ Eine halbe Minute später hat Shimaru sein Büro wieder für sich allein. Sogar die Shojis haben Kondō und Okita wieder hinter sich geschlossen. Er blinzelt verwirrt. Was war das bitte eben?     Kapitel 4: Saitō Shimaru – Teil IV Mittwoch, 06:05 Uhr ------------------------------------------------------ Saitō Shimaru – Teil IV Mittwoch, 06:05 Uhr   Hijikatas Auftritt hat Shimaru derart eingeschüchtert, dass er den restlichen Tag und die Nacht sein Büro nicht mehr verlässt. Erst am nächsten Morgen schleicht er sich in aller Herrgottsfrühe in die Kantine, um sich als einer der ersten eine Misosuppe zu gönnen. Er zieht es vor, wenn die Kantine so ruhig und beinahe leer ist wie jetzt, wenn er mit seinen Gedanken alleine sein kann ohne sich dabei in seinem Büro verkriechen zu müssen. Er wählt einen Tisch in der hintersten Ecke, direkt vor dem halbgeöffneten Fenster. Er liebt den beruhigenden Duft der blühenden Kirschbäume, die der Wind zu ihm hereinweht. Während er sich für den Tag stärkt, ist er derart mit seinem Smartphone beschäftigt, dass er regelrecht zusammenzuckt, als sich jemand an seinen Tisch setzt. „Guten Morgen, Shimaru.“ Zu seiner großen Erleichterung ist es nur Todo Bokosuke. Er wirft dem Mann mit dem vorschriftswidrigen Bandana und der Narbe im Gesicht einen kurzen Blick zu und wagt ein schüchternes Lächeln zur Begrüßung. „Was machst du da?“ erkundigt sich Bokosuke mit einem interessierten Blick auf das Smartphone. Man sieht Shimaru selten mit einem Mobiltelefon oder einem Tablet, er bevorzugt immer Papier, ihn jetzt hier ganz offen mit einem Smartphone hantieren zu sehen, erweckt also Bokosukes Neugier. Shimaru zögert und schiebt es ihm dann über den Tisch zu. Ein Instant-Messaging-Dienst ist geöffnet und Bokosuke beginnt zu lesen. - Shimaru hier. - - ??? - - Du hast dich acht Jahre älter gemacht. - Irritiert runzelt Bokosuke die Stirn und wirft Shimaru einen fragenden Blick zu. Der scheint diese Reaktion erwartet zu haben, denn er hält ihm seinen Block ins Gesicht: „Tarnen und täuschen. Keine direkten Antworten auf direkte Fragen. Zaki.“ Bokosuke braucht ein paar Sekunden, bis er versteht, was sein Freund damit meint, doch dann grinst er breit. „Das ließ dir keine Ruhe, was? Du hast ihn einfach kontaktiert.“ Als Shimaru daraufhin nickt, verbeißt sich Bokosuke ein Lachen. „Schlau. Riskant, aber schlau. Ich meine, selbst, wenn jemand Zakis Telefon in die Hände bekommt, könnte das am anderen Ende jeder sein. Und du hast ihm etwas gesagt, was nur du wissen kannst, damit er weiß, dass es wirklich du bist.“ Nachdenklich kratzt er sich am Kinn. „Er hat sich wirklich um acht Jahre älter gemacht?“ Shimaru nickt und legt vielsagend den Finger an die Lippen. Bokosuke nickt. Natürlich wird er das nicht weitererzählen. Das ist ganz allein Yamazakis Angelegenheit. Auch, wenn viele hier diesen Verdacht schon länger haben. Der Kerl sieht nicht aus wie zweiunddreißig. Er ist keinesfalls älter als Kondō-san! „Und woher weißt du das?“ „Gründlicher, jährlicher Backgroundcheck“, flüstert Shimaru mit einem stolzen Lächeln. Bokosuke erspart sich den Hinweis, dass er ihren Vorgesetzten davon erzählen sollte. Das wäre übertrieben. Sie reden hier von Yamazaki, um Himmels Willen! Der Junge ist wie ein loyales Hündchen, und er hat bewiesen, dass er sich eher abstechen lässt als die Shinsengumi zu verraten. Und nachdem, was sie ihm alle vor einem halben Jahr angetan haben, können sie wirklich ruhig mal fünf gerade sein lassen. Neugierig betrachtet er wieder den kleinen Bildschirm in seiner Hand. Yamazakis Antwort auf Shimarus Frage sind drei Grinse-Katzenemojis. Bokosuke kichert. Das ist so typisch! - Was willst du? - Geht es dir gut? - Alles ok. Bin nur etwas down. Hab ein Mädchen getroffen, die es schlimm erwischt hatte. So jung. 14. Stellte sich heraus, dass ihr heimlicher Schwarm ihr Lehrer war. Der Mistkerl wollte die Worte nicht sagen. Sie hat es nicht geschafft. - - Wer ist deiner? Dein heimlicher Schwarm? - Keine Sorge. Ich habe es nicht. - Wer ist es? - Alles ok. Mach dir keine Sorgen.- - Aber es gibt da jemanden? - - Alles ok. - - Komm nach Hause. - Die letzte Nachricht wurde drei Stunden später abgeschickt und Bokosuke quittiert sie mit hochgezogenen Augenbrauen. - Ich habe eine neue SIM Karte. Wir sehen uns. Mate ne. - Deutlicher hätte Yamazaki die Kommunikation nicht abbrechen können. Langsam schiebt Bokosuke das Smartphone wieder zu Shimaru zurück und mustert ihn zum ersten Mal an diesem Morgen genauer. Sein Freund sieht sehr übernächtigt aus. Diese letzte Nachricht kam kurz nach drei Uhr morgens und Shimaru sieht nicht aus, als habe er seitdem auch nur ein Auge zugekriegt. „Yamazaki ist...“ beginnt Bokosuke, unterbricht sich jedoch selbst, als sich ihnen aggressive Schritte nähern. Niemand von ihnen ist wirklich überrascht, als sie Hijikata hereinkommen sehen. Die dunklen Haare zerzaust, mit blitzenden blauen Augen und nur in einen Yukata, dunkle Hosen und Halbstiefel gekleidet, sieht er sich kurz in der Kantine um, entdeckt sie und stürmt dann direkt auf sie zu. „Hier bist du also“, schleudert er Shimaru entgegen. Shimarus Gefühlswelt wechselt von der Überraschung, ihren Fukuchō anstatt wie üblich in der schwarz-goldenen Uniform in Zivilkleidung zu sehen, sofort in instinktive Panik, denn dieser stürmische Auftritt und der wilde Ausdruck auf Hijikatas Miene verheißen nichts Gutes. Auch Bokosuke spannt sich unwillkürlich an und stählt sich für das Unausweichliche. An Hijikata hängt der unverkennbare Geruch des Marktplatzes, eine Mischung aus wilden Kräutern, Rauch und frischem Teig, so aufdringlich und stark, dass es sogar den Gestank nach kaltem Zigarettenrauch, der sonst immer an Hijikata klebt, überdeckt. Sie wissen, wo Hijikata war, noch bevor er eine zerschnittene SIM-Karte mitten auf den Tisch knallt. „Laß ihn in Ruhe seinen Job machen, verdammt nochmal!“ herrscht er Shimaru dabei an. „Wenn du deinen Job behalten willst, halt dich da raus!“ Shimarus Augen weiten sich entsetzt und auch Bokosuke keucht leise auf. Diese Drohung ist schlimmer als Hijikatas übliches „begeht Seppuko“ und beweist ihnen nur, wie ernst er es wirklich meint. Hijikata wirft ihnen beiden noch seinen berühmt-berüchtigten Todesblick zu und stapft dann wieder davon. Shimaru und Bokosuke starren ihm eingeschüchtert hinterher. „Oi“, schreckt sie eine wohlbekannte Stimme auf. Auf der anderen Seite des Fensters steht Okita Sōgo und stützt sich nun bequem mit verschränkten Armen auf dem Fenstersims ab, das Kinn auf den Unterarmen und mit einem Gesichtsausdruck, als könne er kein Wässerchen trüben. „Das solltet ihr euch jetzt wirklich zu Herzen nehmen.“ „Kumichō!“ Die beiden fallen vor Schreck fast von ihren Stühlen. Dieser schenkt ihnen nur ein fieses Grinsen, wird dann jedoch überraschend ernst. „So wütend habe ich unseren dämonischen Fukuchō lange nicht mehr gesehen. Geht ihm heute besser aus dem Weg.“ Und damit verschwindet er genauso lautlos, wie er aufgetaucht ist. Bokosuke und Shimaru tauschen einen langen Blick. Shimaru kritzelt etwas auf seinen Block und schiebt es dann seinem Freund zu. „Ja“, stimmt ihm dieser seufzend zu, „ich bin auch urlaubsreif.“   Kapitel 5: Kondō Isao – Teil I Mittwoch, 16:53 Uhr --------------------------------------------------- Kondō Isao – Teil I Mittwoch, 16:53 Uhr   Müde reibt sich Kyokuchō Kondō Isao über die Stirn, steht von seinem Bürostuhl auf, reckt sich einmal genüßlich, bis es in seiner Wirbelsäule hörbar knackt und verlässt dann seinen Schreibtisch, und das, wie er hofft, für den Rest dieses Tages. Er hasst diesen Papierkram, viel lieber geht er auf Patrouille. Ein richtiger Fall mit dem dazugehörigen Kampf wäre ihm auch ganz recht, aber es muß auch mal ruhige Tage geben. Und jetzt, wo dieses Hanahaki in der Stadt lauert und alle so hypernervös deswegen sind, ist es vielleicht ganz gut, dass es so ruhig ist, denn ihm zeigt das, dass auch die Gangster Angst vor etwas anderem als der Shinsengumi haben können. Er wirft sich seine Jacke über, schnallt sich sein Schwert um die Hüften und tritt dann durch die halbzurückgeschobenen Shoji hinaus in den Hof. Vor wenigen Sekunden hat er aus den Augenwinkeln einen Funkwagen einfahren gesehen. Er ist sich ziemlich sicher, dass das Tōshirō war. Tatsächlich sieht er ihn weiter hinten auf dem Parkplatz noch an dem schwarz-weißem Wagen stehen. Er zündet sich eine Zigarette an, während sein Kollege die Beifahrertür hinter sich zuwirft und dann Richtung Kantine davoneilt. Kondō kann nicht erkennen, wer es ist, aber er kann sich die Namen der neuen Rekruten hier sowieso nicht merken. Die Mühe macht er sich erst, wenn sie nach den ersten drei Probemonaten wirklich bei der Shinsengumi bleiben. Viele geben vorher auf. Tōshirō und Sōgo sind sehr strenge Ausbilder. Während er näherkommt, mustert Kondō seinen langjährigen Freund und Stellvertreter prüfend. Seit zwei Wochen ist Tōshirō viel gereizter als sonst, und das hat nichts mit diesem Hanahaki zu tun. Außerdem wirkt er erschöpft. Dunkle Augenringe sind kein unüblicher Anblick an ihm, aber das hier geht tiefer. Kondō hat eine Antenne dafür entwickelt, die Anzeichen eines beginnenden Breakdowns bei ihm und Sōgo zu erkennen. Sie wissen es nicht, aber darin sind sie sich sehr ähnlich. Sie neigen dazu, sich selbst zu überfordern, aber im Gegensatz zu Sōgo, der diesen Stress dadurch abbauen kann, indem er Wege ersinnt, Tōshirō aus dem Weg zu räumen, findet dieser seine Erlösung nur in ungesunden Süchten. „Du siehst müde aus, Tōshi“, begrüßt er ihn und lehnt sich dann lässig neben ihm an den Wagen. Hijikata nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette und schnauft verärgert. „Fünf Männer haben sich heute krankgemeldet“, schnaubt er dabei und spuckt verächtlich in den Sand. „Gestern waren es auch schon drei.“ Ah ja, das erklärt, warum er heute auf Streife fuhr, obwohl er gar nicht eingeteilt war. Kondō nickt mitfühlend. „Sie haben Angst.“ Tōshirō zieht so kräftig an seiner Zigarette, dass er sich beinahe verschluckt. „Dann sollen sie nicht bei der Shinsengumi arbeiten.“ Er gibt sich gar nicht erst die Mühe, leise zu reden. Am liebsten hätte er es über den ganzen Hof geschrien, damit alle es hören und genau wissen, was er von dieser Respektlosigkeit hält. „Es ist nur verständlich, wenn sie unter solchen Umständen bei ihren Familien bleiben wollen“, erklärt Kondō neben ihm sanft. „Ich habe es ihnen gestattet.“ Ein langer Seitenblick aus tiefblauen Augen streift ihn, doch alles, was Tōshirō dazu bemerkt, ist ein Geseufztes: „Kondō, du bist viel zu gutmütig für diese Welt.“ Normalerweise sind solche Bemerkungen der Auftakt zu einer typischen Neckerei, doch diesmal mustert Kondō ihn nur ernst. „Wann hast du das letzte Mal geschlafen, Tōshi?“ Sein Stellvertreter knurrt nur etwas Unverständliches vor sich hin, lässt die Kippe fallen und tritt sie mit dem Stiefel aus, nur, um sich einen Atemzug später schon wieder eine neue anzuzünden. Kondō betrachtet es mit Sorge, doch er spart sich jedes Kommentar in dieser Richtung. Tōshirō hat zwei Laster: eine ungesunde Vorliebe für Mayonnaise und eine noch viel ungesündere für Tabak, aber Kondō hat es schon lange aufgegeben, ihm das abgewöhnen zu wollen. Trotzdem ist Kondō tief in seinem Inneren etwas enttäuscht, immerhin hat es in den letzten drei Monaten den Anschein gemacht, als hätte sein Stellvertreter zumindest seinen Zigarettenkonsum deutlich eingeschränkt. Aber hier und jetzt beweist er ihm, dass er sich wohl zu früh Hoffnungen gemacht hat. „Warst du bei Yamazaki?“ erkundigt er sich vorsichtig, genau wissend, auf welch dünnem Eis er sich zur Zeit bei diesem Thema bewegt. Er hat lange überlegt, ob er das, was heute Morgen im Speisesaal geschehen ist, ansprechen soll, aber dann beschloß er, es nicht zu tun. Weder Shimaru noch Bokosuke sind bei ihm gewesen um sich über Tōshirō zu beschweren und auch Tōshirō hat sie nicht gemeldet, also tut er lieber so, als hätte Sōgo nicht bei ihm gepetzt. Tōshirō ist gegenüber Yamazaki tatsächlich in einem geradezu wahnhaften Beschützer-Modus, und Kondō möchte ihm da lieber nicht in die Quere geraten. „Ja. Keine Sorge, es geht ihm gut. Keine Symptome“, kommt die Antwort daher auch abweisend knapp. „Und wie geht es dir, Kondō?“ lenkt er dann schnell ab. Er ist noch immer angepisst, aber die Sorge in seiner Stimme ist echt. Kondō versteht den Wink und bohrt nicht weiter nach. „Keine Symptome. Alles bestens. Ich weiß, dass Otae-san mich liebt.“ Tōshirō gibt einen tiefen Seufzer von sich und der Blick, den er Kondō diesmal zuwirft ist voller Resignation. „Isao...“ „Nein, Tōshi, das ist so“, unterbricht ihn Kondō amüsiert. Er wünschte, Tōshirō würde ihn öfter bei seinem Vornamen nennen, würde ihn damit öfter in der Öffentlichkeit als Freund ansprechen, doch er nimmt, was er bekommen kann. Auch, wenn er sich einen anderen Tonfall gewünscht hätte. Aber in Anbetracht dessen, was Tōshirō noch nicht weiß, kann er es ihm verzeihen. „Das bilde ich mir nicht ein.“ Seine Stimme senkt sich zu einem verschwörerischen Raunen, als er sich vertraulich etwas zu ihm vorbeugt. „Es ist ein netter Zeitvertreib, ein Spiel, ihr den Hof zu machen und von ihr immer wieder eine knallharte Abfuhr zu erhalten, aber sie und ich wissen, dass wir füreinander bestimmt sind. Sie will nur warten, bis Shinpachi volljährig ist, bevor sie und ich heiraten.“ Tōshirōs linke Augenbraue wandert skeptisch in die Höhe. Kondō grinst, als er das sieht. „Das hat sie gesagt, ja“, bestätigt er triumphierend. „Als die ersten Hanahaki-Fälle auftraten, hatten wir ein sehr, sehr langes Gespräch.“ Tōshirō nimmt einen Zug von seiner Zigarette und atmet den Rauch mit einem langgezogenen Seufzer wieder aus. „Das ist gut“, erwidert er und fährt dann mit einem schmalen Grinsen fort: „Das erspart mir die Mühe, ihr mit der Enthauptung ihres Bruders zu drohen, damit sie die erlösenden Worte spricht.“ Das Unheimliche daran ist – er meint jedes Wort davon bitterernst. „Man muß an diese Worte glauben, Tōshi“, erinnert ihn sein Vorgesetzter mit mildem Tadel in der Stimme. „Du hättest daran geglaubt.“ „Das stimmt“, gibt Kondō unumwunden zu und lacht leise. Einige Sekunden lang stehen sie einfach nur schweigend nebeneinander. „Machst du dir Sorgen um Gintoki?“ fragt Kondō dann leise. Wie immer, wenn er von den Yorozuya spricht, schwingt eine große Portion Hochachtung in seiner Stimme. Heute mehr als sonst, denn gerade jetzt unternehmen Gintoki, Kagura und Shinpachi alles in ihrer Macht stehende, um den Hanahaki-Opfern beiseite zu stehen, und das ohne eine Bezahlung zu verlangen. Und damit arbeiten sie wie schon oft Hand in Hand mit der Shinsengumi. Sein Stellvertreter gibt ein kurzes, bellendes Gelächter von sich. „Nein. Halb Edo liebt diesen Bastard. Käme es darauf an, würde ihm niemand diese drei Worte ausschlagen. Und wenn doch, würden Kagura und Shinpachi dafür sorgen, dass er sie trotzdem zu hören bekommt. So wie ich deine Otae dazu zwingen würde. Aber ich bezweifel, dass er an unerwiderter Liebe leidet. Das wüssten wir dann schon längst alle. Er ist nicht der Typ, der mit seinen Gefühlen hinter dem Berg hält.“ Kondō nickt zustimmend. Ja, dasselbe hat seine Otae auch schon gesagt. Irgendwie beruhigt es ihn, dass Tōshirō es genauso sieht. Tief in seinem Inneren atmet Kondō erleichtert auf. In diesen Zeiten ist es ein Lichtblick, wenigstens die Freunde außerhalb der Shingensumi in Sicherheit zu wissen. Zumindest körperlich. Psychisch geht diese Zeit an niemandem spurlos vorbei. Kondō schaudert innerlich. Kagura und Shinpachi sind noch Teenager, er mag sich gar nicht vorstellen, wie es ihnen dabei ergeht, zu helfen, die Menschen oder Amanto aufzutreiben, die in den Fokus einer unerwiderten Liebe geraten sind – meist unwissend – und wieviel Überzeugungskraft es sie kosten muß, diese dazu zu bringen, dem unglücklichen Opfer jene drei Worte zu sagen, damit dieses wenigstens überlebt. Wie Gintoki und Kaguras „Überzeugungsarbeit“ aussieht, kann er sich gut vorstellen, aber wenn ein Opfer trotz all ihrer Bemühungen stirbt, nimmt es sie genauso mit wie den sensiblen Shinpachi. Dabei ist es egal, wie gering die Anzahl der Todesfälle letztendlich ist, jeder Tod aus solch tragischen Gründen ist einer zuviel, den Otaes kleiner Bruder mitansehen muß. Und Kondō hat Shinpachi sehr liebgewonnen, auch wenn dieser seine Schwester nicht teilen will. Nachdenklich legt Kondō den Kopf in den Nacken und starrt in den wolkenverhangenen Himmel.„Hast du dir schon mal überlegt...“, beginnt er und setzt dann doch anders an: „Also, wie weit würdest du gehen, wenn jemand in dich unglücklich verliebt wäre?“ Tōshirō stutzt und runzelt die Stirn. „Was ist denn das für eine Frage?“ Kondō dreht den Kopf wieder in seine Richtung und schenkt ihm ein schmales Lächeln. So weit hergeholt ist das schließlich gar nicht. Tōshirō mit seinem guten Aussehen zieht oft genug die Aufmerksamkeit auf sich. Von Frauen und Männern. „Eine ernst gemeinte. Wie du gesagt hast, man muß diese Worte glauben. Und du wirkst immer so unnahbar, und ich frage mich, ob man dir diese Worte wirklich abkauft? Das soll keine Beleidigung sein, das ist nur eine Tatsache.“ Tōshirō Miene verdüstert sich und in seine Augen tritt eine Dunkelheit, wie er sie zum letzten Mal vor einem Jahr gesehen hat. Siedendheiß wird sich Kondō seines Fehlers bewusst. „Das mit Mitsuba war etwas völlig anderes“, beeilt er sich zu versichern. Es dauert zwei unangenehme tiefe Lungenzüge Zigarettenrauch, bis Tōshirō endlich darauf antwortet: „Du hast Recht. Ich kann bei so etwas nicht gut lügen. Nur ein absoluter Idiot würde es mir abkaufen. Wenn ich es sage, würde es vielleicht gerade mal reichen, dass sie es bis zur Operation schaffen. Vielleicht würde ich weitergehen, mit Taten überzeugen wollen, auch wenn das falsch ist. Aber das ist besser als die Alternative, oder?“ beschließt er grimmig. Das passt zu ihm. Bei Mitsuba war er völlig hilflos, wie gelähmt, er konnte sie nicht einmal ansehen, als es mit ihr zu Ende ging und seitdem zwingt er sich, über seinen Schatten zu springen, wann immer es geht. Kondō schenkt ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Ich würde dir die drei Worte glauben.“ „Bei dir müsste ich auch nicht lügen“, murmelt Hijikata, allerdings so leise, dass bei Kondō nur ein unverständliches Nuscheln ankommt. „Was?“ „Ich sagte: du bist ja auch ein hoffnungsloser Idiot.“ Kondō hat nicht das Gefühl, dass es das ist, was er da vor sich hingewispert hat, aber er lässt es mal gelten. Er hat immer noch ein schlechtes Gewissen, daß er seinen Freund unbeabsichtigt an Sōgos Schwester erinnert hat. Die zarte, hübsche Mitsuba, die so sehr in Tōshirō verliebt war, von diesem jedoch schon vor Jahren abgewiesen wurde, und wäre sie nicht letztes Jahr an einem Herzleiden verstorben, dann litte sie jetzt bestimmt an Hanahaki. Aber Kondō hat ihm deswegen niemals einen Vorwurf gemacht und auch Sōgo nicht. Tōshirō brachte Mitsuba nie mehr als freundschaftliche Gefühle entgegen und schon als Teenager war er nicht egoistisch genug, um einem Mädchen eine nicht vorhandene Liebe vorzugaukeln. Nur mit dem einen Unterschied, dass damals nicht Mitsubas Leben davon abhing. Jetzt sieht die Sache ganz anders aus. Jetzt würde Tōshirō jedem etwas vorzugaukeln versuchen, um ihn oder sie vor Hanahaki zu retten, und der Gedanke gefällt Kondō nicht. „Und wie steht es mit deinem Herzen, Tōshi?“ fragt Kondō bei diesem Gedankengang leise und fängt sich dafür einen wahrhaften Todesblick ein. „Leide ich an Kurzatmigkeit? Huste ich? Spucke ich Blütenblätter aus?“ „Ich hoffe doch nicht.“ Schnaubend schnippt Tōshirō seine aufgerauchte Zigarette fort. „Ich habe kein Herz, Kondō.“ Mit diesen Worten stapft er davon. Kondō sieht ihm nur seufzend nach und murmelt kopfschüttelnd: „Oh Tōshi - wer von uns beiden ist jetzt der Idiot?“     Kapitel 6: Kondō Isao – Teil II Donnerstag, 11:33 Uhr ------------------------------------------------------ Kondō Isao – Teil II Donnerstag, 11:33 Uhr   Es regnet. Kondō hasst solche Tage. Außerdem hat er einen ziemlichen Kater, einer der acht Sake vom Vorabend war wohl schlecht. Ein schönes Vorbild ist er. Seufzend stützt er die Ellbogen auf seinen Schreibtisch und massiert sich die pochenden Schläfen. Aufstehen war schwierig. Die Morgenbesprechung war schwierig. Der Papierkram ist ätzend, aber zu viel mehr wird er heute nicht fähig sein. Ah, aber Otae hat eine Gehaltserhöhung bekommen, da musste er ihr natürlich einen ausgeben. Und der ganzen Belegschaft der Sunakku su mairu natürlich auch. Diese gerissene Frau bringt ihn nochmal an den Bettelstab, aber wenn sie erst einmal verheiratet sind, wird sie bestimmt umsichtiger mit seinem Geld umgehen, denn dann gehört es zur Hälfte ja auch ihr. Liebevoll betrachtet Kondō das gerahmte Foto auf seinem Schreibtisch und schenkt dem lächelnden Bild seiner Geliebten einen Luftkuß. Ein leises Klopfen am Türrahmen schreckt ihn aus seinen Zuckerwattegedanken. Mit einem ernsten Ausdruck auf dem blassen Gesicht schiebt sich Tōshirō herein. Er trägt seine Uniformjacke nicht und sein Haar ist feucht, und er riecht nach dem Regen draußen. Natürlich, dieser hoffnungslose Workaholic hat ja wieder die vormittägliche Patrouille übernommen. Dann bemerkt Kondō die vereinzelten bläulichen Blütenblätter auf seiner dunklen Weste. Kondō erstarrt, als ihm klar wird, dass sein Fukucho die Jacke nicht nur abgelegt hat, weil sie nass ist. Es ist unvermeidbar, dass die Shinsengumi auf ihren Patrouillen gebeten wird, Hanahaki-Opfer ins Krankenhaus zu fahren, weil es einfach zeitsparender ist, einen gerade vorbeifahrenden Funkwagen anzuhalten als die örtlichen Ambulanzen zu rufen, aber Kondō wünschte sich, dass es nicht ausgerechnet Tōshirō getroffen hätte. „Oi, Tōshi“, beginnt er, doch bevor er eine besorgte Frage stellen kann, unterbricht ihn dieser und reicht ihm eine schmale Akte. „Yamazaki beendet morgen Abend seine Mission.“ Zuerst starrt Kondō nur verwirrt darauf, doch dann dämmert es ihm wieder langsam. „Ah ja, unsere Abmachung. Ich erinnere mich. Ich habe dich gebeten, mich erst vierundzwanzig Stunden vor Ende der Mission in die Einzelheiten einzuweihen.“ Um Kondōs Lippen zuckt es selbstironisch, als er in der Akte zu blättern beginnt. Erfahrungsgemäß ist er nicht gut darin, Geheimnisse für sich zu behalten, wenn er im Sunakku su mairu einen über den Durst trinkt. Etwas, was beinahe täglich der Fall ist. Den heutigen Abend wird er dann wohl strikt im Hauptquartier verbringen müssen, aber das tut seiner Leber und seinem Kopf auch mal gut. Neugierig lässt er seinen Blick über die dicht beschriebenen Dokumente wandern. „Es ist kein Observierungsauftrag?“ stößt er dann überrascht hervor. „Nein“, Tōshirō zieht sich einen Stuhl heran und lässt sich schwer hineinfallen. „Er hilft in dem Restaurant als Kellnerin aus. Die Zielperson isst da jeden Abend und Sagaru meldet der Mimawarigumi wer noch am Tisch sitzt und worüber geredet wird.“ Er zieht eine verächtliche Grimasse. „Ich hasse es, wenn er für sie arbeitet. Diese arroganten Hunde wissen weder seine Arbeit noch uns zu schätzen. Er trägt das ganze Risiko und sie heimsen die Lorbeeren ein. Die sollen verdammt nochmal endlich ihre eigenen Spione für so etwas einsetzen, aber dafür sind sie sich ja zu fein.“ „Die Mimawarigmi ist nicht unser Feind“, versucht Kondō ihn zu beschwichtigen. Egal, was er persönlich von ihren Konkurrenten hält, dass sie beide nebeneinander existieren ist eine rein politische Entscheidung, auf die keiner von ihnen einen Einfluß hat. „Wir müssen mit ihnen kooperieren. Es dient unserem Shogun.“ Es raschelt leise, als er ein Blatt umdreht. Und erst jetzt verarbeitet sein Verstand, was sein Stellvertreter ihm ganz zu Anfang mitteilte. „Oh. Zaki verkleidet sich als Kellnerin? Das würde ich zu gerne sehen.“ „Untersteh dich. Es gibt einen Grund, warum ich das niemandem sage. Ihr Idioten würdet sofort hinrennen und ihn dadurch gefährden.“ Er hält kurz inne und fährt dann mit einem Unterton des Stolzes fort: „Aber einige der Jungs haben schon bei ihm bestellt ohne ihn zu erkennen. Er ist gut in dem, was er da tut.“ Bedächtig schiebt Kondō die Dokumente wieder zusammen und lässt sie in einer Schreibtischschublade verschwinden. Er schließt sie ab und verstaut den Schlüssel sicher in seiner Hosentasche. „Hattest du keine Bedenken? Was ist, wenn Gäste zudringlich werden?“ „Das ist ein Restaurant am Bauernmarkt, keine Bar in Kabukichō. Da wird niemand zudringlich. Und wenn doch, kann Sagaru das regeln.“ Kondō blinzelt überrascht. Sagaru? Seit wann ist Tōshirō mit Yamazaki so vertraut, dass er ihn beim Vornamen nennt? Und wie leicht ihm dieser Name von den Lippen schlüpft. Unwillkürlich verspürt Kondō einen Hauch von Eifersucht in sich aufsteigen. Doch sein von Natur aus sonniges Gemüt setzt sich schnell wieder durch. „Hast du ein Foto von ihm? Du hast bestimmt ein Foto von ihm, oder? Komm schon, zeig's mir. Zeig's mir, das ist ein Befehl.“ Zuerst zögert Hijikata, aber er kennt Kondō und weiß, dass dieser keine Ruhe geben wird, also zückt er sein Smartphone und öffnet die Bildergalerie. „Von ihm allein wäre zu auffällig gewesen“, erklärt er, während er aufsteht und zu Kondō hinter den Schreibtisch geht und ihm dann sein Smartphone vors Gesicht hält. „Ich hab aber ein Foto von der Belegschaft. Hab behauptet, wir suchen nach einem Lokal für unsere Betriebsfeier.“ „Wir machen eine Betriebsfeier?“ erkundigt sich Kondō irritiert, während er versucht, auf dem Foto vor sich irgend etwas zu erkennen. „Nein.“ „Doch“, bestimmt Kondō, von der Idee zunehmend begeistert. „Wir machen eine. Das ist eine gute Idee. Stärkt die Moral. Wie wär's mit August? Und du redest dich diesmal nicht raus wie bei den Weihnachtsfeiern immer, von wegen Stallwache und so.“ Er denkt kurz nach und schnippt dann mit den Fingern. „Ich hab's: wer zur Betriebsfeier geht, übernimmt den Dienst während der Weihnachtsfeier und umgekehrt. Dann ist das Hauptquartier immer mit einem Minimum an Männern besetzt. Das ist doch in deinem Sinne, oder?“ Übergangslos interessiert er sich wieder für das Foto. Diesmal jedoch nimmt er Hijikata das Mobiltelefon aus der Hand, bevor dieser es wieder aus seiner Reichweite ziehen kann. Auf dem ersten Blick sieht er nur vier hübsche junge Frauen, die eng zusammen vor einer Theke oder so etwas stehen. Sie tragen alle einen klassischen Kimono mit Blütenmuster. Er muss die Ansicht vergrößern, um die Gesichter genauer sehen zu können. „Welcher von ihnen ist Zaki? Oh, ich sehe schon.“ Er erkennt Yamazaki nur an seinem Lächeln. Es ist nicht das erste Mal, daß sich ihr Spion wegen einer Mission als Frau verkleidet, aber dann war das meistens eine eilige Notlösung. Etwas Lippenstift, eine eilig übergeworfene Perücke und ein langes Gewand, das seine fehlenden weiblichen Rundungen verdeckt. Für Letzteres ist ein Kimono immer gut geeignet, aber darüberhinaus hat er sich diesmal wirklich Mühe gegeben. Als Mann mag er gewöhnlich und nichtssagend aussehen, aber als Frau ... „Meine Güte, er ist wirklich süß!“ Kondō ist hin und weg. „Eine wahre Schönheit. Das Restaurant heißt Sakura, nicht wahr? Das passt. Er sieht aus wie eine Kirschblüte! So zart und zerbrechlich und doch jeder Zoll eine echte Lady! Er ist bildschön! Nicht schöner als meine Otae, aber eine ganz andere Art von Schönheit. Eher überirdisch, wie eine Tennyo!“ „Geierst du gerade deinen Untergebenen an?“ Hijikata reißt das Telefon grob wieder an sich, verstaut es sicher in seiner Brusttasche und wirft seinem Vorgesetzten einen ungläubigen Blick zu. Abwehrend hebt Kondō beide Hände. „Aber Tōshi, was denkst du denn nur immer von mir?“ „Hijikata-san hat Angst, dass du ein Auge auf seinen kostbaren Spion geworfen hast“, ertönt eine wohlbekannte Stimme von der Tür her. Dort lehnt ein breit grinsender Okita lässig am Rahmen. „Sōgo!“ entfährt es Kondō und Hijikata zugleich. Dessen karmesinrote Augen funkeln sie vergnügt unter seinen hellen Ponyfransen an. „Ich kenne das Restaurant“, erklärt er seelenruhig. „War erst letzten Dienstag da. Das Essen ist gut und die Bedienung sehr zuvorkommend. Ich stimme dafür, dass wir dort wirklich unsere Betriebsfeier abhalten. Vielleicht kann uns Zaki ja wieder bedienen.“ Sein Tonfall rutscht betont in die Doppeldeutigkeit ab. „Vielleicht kann er uns diesmal ja sogar ein paar Extrawünsche erfüllen. Besondere Desserts vielleicht.“ Tōshirō steigt das Blut ins Gesicht. „Sōgo!“ Dieser hebt unbeeindruckt eine Augenbraue. „Hijikata-san?“ Sekundenlang starrt Hijikata ihn nur mit einem geradezu mörderischen Ausdruck auf dem hübschen Gesicht an und dabei zuckt seine Schwerthand gefährlich Richtung Katana, doch dann schnaubt er nur und kreiselt auf dem Absatz herum. „Ich gehe, bevor ich etwas tue, was ich später bereue. Bis später, Kondō.“ Als er durch die Tür tritt und dabei an Sōgo vorbei muss, rempelt er ihn aggressiv mit der Schulter an, doch der Jüngere nimmt es nur mit gleichgültiger Miene hin. Aber als er Tōshirō hinterhersieht, kann Kondō sehen, wie wieder dieses besonders breite Grinsen um seine Mundwinkel zuckt. Und für einen klitzekleinen Moment beschleicht Kondō der Verdacht, dass Sōgo etwas weiß. Etwas, was Tōshirō und Yamazaki betrifft. Und... dass Hijikata es weiß. Der Gedanke bereitet ihm nur noch mehr Kopfschmerzen. „Du warst wirklich da, Sōgo? Und hast Zaki gesehen?“ Okita strahlt ihn an. „Nein. Ich wußte genauso viel wie du, Gori. Ist doch nicht meine Schuld, wenn Hijikata so dumm ist und auf jeden Bluff hereinfällt.“ Dann wird er plötzlich ernst. „Ich würde Zaki nie in Gefahr bringen, indem ich da auftauche.“ „Sōgo...“, seufzt Kondō, „du sollst Tōshi doch nicht immer so ärgern. Der Ärmste ist gestresst genug. Und nenn mich nicht Gori.“ Gott, er hasst diesen Spitznamen, den ihm das Yato-Gör Kagura gegeben hat! Er ist kein Gorilla, auch, wenn ihn so eine außerirdische Gorilladame heiraten wollte, und er in einem Affentempel groß wurde. Nachdenklich legt Sōgo den Kopf schief und lässt eine Kaugummiblase platzen. „Wenn er seiner Position nicht mehr gewachsen ist, sollte ich sie vielleicht übernehmen?“ „Sōgo...“ Kondō vergräbt nur seufzend den Kopf in den Händen, so dass er Sōgos selbstgefälliges Lächeln nicht mehr sehen muß. Manchmal fragt er sich ernsthaft, ob er zu nachsichtig mit dem Bengel ist. „Vielleicht sollte ich seine Zigaretten mit Haschisch versetzen?“ denkt Sōgo weiter laut nach. „Das würde ihn etwas entspannen. Was meinst du, Gori? … Entschuldige, ich meine natürlich Kondō-san.“ Haschisch? Der Gedanke entlockt Kondō unbeabsichtigt ein kleines Kichern. Über diese Frechheiten mit diesem Spitznamen und dem betont höflichen -san sieht er jetzt einfach mal hinweg. Er weiß nämlich auch, was die anderen ärgert – vor allem Sōgo. Er erträgt es nicht, wenn Kondō ihn ignoriert und nicht auf jede seiner Bemerkungen eingeht. Und so brüten sie beide eine Weile schweigend vor sich hin. Kondō, weil er wieder in die Tiefen seiner Gedanken abdriftet, und Sōgo, weil er Kondō kennt und an dessen sorgenvoller Miene sieht, dass dieser noch etwas auf dem Herzen hat. „Sōgo...?“ fragt Kondō schließlich leise. „Hast du mal darüber nachgedacht – was wäre, wenn Tōshi unglücklich in dich verliebt wäre? Würdest du ihm die Worte sagen und ihn retten?“ „Nein, darüber habe ich noch nie nachgedacht“, kommt die sachlich-kühle Antwort. „Ich denke nicht über unsinnige Dinge nach. Deshalb mache ich mir auch keine Sorgen um diese Seuche.“ Kondō starrt ihn nachdenklich an und Sōgo lässt diese Musterung geduldig über sich ergehen. Er verzichtet sogar darauf, wieder eine Kaugummiblase platzen zu lassen. Es dauert eine Weile, aber dann ist bei Kondō der Groschen gefallen. Sōgo erkennt es an dem breiten, erleichterten Lächeln, das über Kondōs Gesicht huscht. Sōgo geht zwar davon aus, dass Kondō diese Schlüsse bezüglich seiner engsten Freunde schon längst selbst gezogen hat, aber er weiß auch, wie wichtig diesem immer eine Bestätigung von anderer Seite aus ist. Andererseits würde es Sōgos schlechten Ruf ruinieren, würde er laut hinausschreien: Tōshirō ist sicher. Ich bin sicher. Die Yorozuya sind sicher. Und dass deine geliebte Otae sicher ist, weißt du ja wohl selbst am besten. Also bedient er sich lieber kryptischen Andeutungen, von denen er weiß, dass Kondō sie versteht. Sein Kyokuchō ist schließlich nicht so begriffsstutzig, wie alle immer denken. Und dann zieht Kondō doch wieder besorgt die Stirn kraus. „Was ist mit Yamazaki? Viele machen sich Sorgen um ihn deswegen. Seit Shimaru das angesprochen hat, höre ich die Männer immer häufiger darüber flüstern. Glaubst du, Yamazaki ist gefährdet?“ Sōgo schweigt einen Moment. „Weißt du, Isao“, erwidert er dann, Kondōs Vornamen besonders betonend, „so ungern ich es zugebe, aber in einem hat Tōshirō recht: darum sollten wir uns erst Sorgen machen, wenn Yamazaki Symptome zeigt. Wie bei jedem anderen auch. Hätte, könnte, wäre, wenn, hat uns nicht dahin gebracht, wo wir heute stehen. Und jetzt entschuldige mich, ich muß Tōshirōs Mayonnaise vergi … ahem, verstecken.“ Er grinst seinem Vorgesetzten noch einmal vergnügt zu, salutiert lässig und beeilt sich, möglichst viel Abstand zwischen ihm und sich zu bringen, bevor dieser Sōgos absichtlichen Versprecher wirklich registriert hat. Natürlich wird er die Mayonnaise nicht vergiften, das wäre stillos. Ein schlichtes Abführmittel sollte vorerst genügen. Hijikata ist schließlich selbst schuld, wenn er das Zeug immer für jeden zugänglich im Kühlschrank stehen lässt.   Kapitel 7: Kondō Isao – Teil III Freitag, 08:29 Uhr ---------------------------------------------------- Kondō Isao – Teil III Freitag, 08:29 Uhr   Kyokuchō Kondō ist besorgt. Ständig wandern seine Blicke zur Tür. Er ist so nervös, dass er von dem, was während der Morgenbesprechung zur Sprache kommt, nicht viel mitbekommt. Aber er bemerkt das selbstgefällige Glitzern in den Augen seines Kumichōs und denkt sich seinen Teil. Als sich der Raum geleert hat und nur sie beide übrig sind, stellt er sich ihm in den Weg. „Sōgo, hast du Tōshi gesehen? Es ist nicht seine Art, die Morgenbesprechung zu verpassen.“ Sein zweitbester Freund sieht mit großen, unschuldigen Augen zu ihm auf. „Du hast recht“, stimmt er ihm zu. „Diese Pflichtvergessenheit gehört bestraft. Gib mir den Posten des Fukuchō.“ „Sōgo. Du hast doch nicht wirklich seine Mayonnaise vergiftet?“ „Nein.“ Sein selbstzufriedenes Lächeln verheißt nichts Gutes. „Aber vielleicht mit einem Schlafmittel versetzt?“ „Sōgo!“ „Ursprünglich wollte ich ein Abführmittel nehmen.“ „Sōgo!“ „Aber dann dachte ich daran, dass meine Division heute mit dem Toilettendienst dran ist.“ Hoffnungslos! Müde reibt sich Kondō über die schmerzende Stirn und schimpft sich selbst einen Idioten. Es hätte ihm auffallen müssen, immerhin hat er gestern Abend sehr lange mit seinen beiden engsten Freunden ein Video-Spiel gespielt – und ihn hätte stutzig machen müssen, dass Tōshirōu sehr schnell sehr müde wurde und dass das schadenfrohe Grinsen auf Sōgos Gesicht, mit dem er ihm hinterhersah, als sich dieser ungewöhnlich früh in seine Räume zurückzog, nichts damit zu tun hatte, dass er jetzt einen Konkurrenten um seinen High Score weniger hatte. Doch dann denkt er einen Schritt weiter. Sōgo ist ein kleiner, sadistischer Teufel, das ist unbestritten, aber manchmal – besonders wenn es sein Lieblingsopfer Tōshirōu betrifft - greift er auch zu Methoden, die diesem helfen und die sich anzuwenden Kondō einfach nicht traut. Das ist einer der Gründe, warum der stets gutmütige Kondō ihm nie wirklich lange böse sein kann. „Na ja“, gibt er dann auch seufzend zu, „etwas mehr Schlaf kann ihm nicht schaden. Er arbeitet zu viel.“ „Dann lass endlich mich Fukuchō anstelle des Fukuchōs sein.“ Bevor Kondō irgend etwas darauf erwidern kann, dringt ein schrilles „Sōgo!“ an ihre Ohren. „Sōgo! Was hast du getan?“ Durch die halbgeöffnete Tür stürmt Hijikata herein. Schlitternd kommt er vor Kondō zum Stehen. Seine Haare sind zerzaust, er hat sich eindeutig nicht damit aufgehalten, sie zu kämmen, und es sieht aus, als habe er sich die Uniform nur hastig übergeworfen – das Hemd hängt vorschriftswidrig über der Hose, Weste und Halstuch fehlen, und die Hälfte der Hemdknöpfe steht offen. Dafür hält er sein Katana angriffsbereit in der Hand, und der Ausdruck auf seinem Gesicht ist geradezu mörderisch. In gespielter Angst versteckt sich Sōgo hinter Kondō und meint dann betont unschuldig: „Ich weiß nicht, was du meinst, Hijikata-san.“ „Hast du mir heimlich Schlafmittel gegeben, du Pestplage?“ Hijikata bebt vor Wut am ganzen Körper, und nur Kondōs Anwesenheit hält ihn davon ab, mit dem Schwert in Richtung des Teenagers zu stoßen. „Oh.“ Sōgos Stimme trieft nur so vor Spott. „Hatte Hijikata-san gestern Nacht eine Verabredung, die er jetzt verpasst hat?“ „Du kleiner, verdammter -“ „Tōshi.“ Mit einer Routine, die er wünschte, manchmal nicht zu besitzen, stoppt Kondō seinen vorpreschenden Stellvertreter, indem er ihm die flache Hand auf die Brust legt und so erstens für Abstand sorgt und zweitens dafür, dass sich dessen Aufmerksamkeit auf ihn richtet. Auch wenn er sich ungern im Fokus dieser blaues Feuer sprühenden Augen sieht. „Lass mich los, Isao! Diesmal mache ich ihn fertig!“ „Tōshi.“ Zwischen Kondōs Augenbrauen bildet sich eine senkrechte Falte. Sein scharfer Blick bohrt sich in eine Stelle an Hijikatas linkem Schlüsselbein. Okita Sōgo hinter ihm grinst nur wissend und beobachtet das alles gespannt. „Tōshi“, wiederholt Kondō, während er mit dem Zeigefinger seiner freien Hand auf die dunkle Stelle auf Hijikatas Haut tippt. „Ist das ein Knutschfleck?“ Von einem Moment auf den anderen ist Hijikatas Wut verflogen. Seine Augen weiten sich, während ihm die Röte in die Wangen steigt. Er lässt das Schwert sinken und macht einen hastigen Schritt zurück, wobei er sich bemüht, mit der freien Hand sein Hemd zusammenzuhalten, um seine Brust zu verdecken. „So ist das nicht. Das ist nichts. Ich hab mich nur gestoßen.“ Aber Kondō läßt sich nicht täuschen. „Das ist ein Knutschfleck.“ Trotzig wirft Hijikata den Kopf in den Nacken und blitzt ihn herausfordernd an. „Und wenn schon? Das geht dich nichts an. Da war eine Hostess etwas übereifrig, na und?“ „Hah! Als ob eine Hostess so etwas bei dir wagen würde!“ Mit der ihm eigenen Schnelligkeit, die man ihm bei seinem eher bulligen Körperbau gar nicht zutraut, hat Kondō den Abstand zwischen sich und seinem Stellvertreter überbrückt, und ehe er es sich versieht, findet sich Hijikata in einem typischen Kondō-Griff wieder. Sehr vertraulich, sehr nahe und sehr unangenehm um Schultern und Nacken herum. „Wer ist sie, hm? Kenne ich sie? Ist sie der Grund, wieso du in letzter Zeit so oft auswärts nächtigst?“ Kondō redet sich immer mehr in Begeisterung. „Wann stellst du sie uns vor, hm? Dass ich das noch erleben darf! Tōshi, ich bin so stolz auf dich!“ „Ich sagte, so ist das nicht! Hör mir doch einmal zu, du Idiot!“ Es gelingt ihm, sich mit einem Ellbogenstoß in Kondōs Rippen zu befreien. Sicherheitshalber springt er noch ein paar Schritte weiter außer Reichweite. Schweratmend starrt er Kondō an, der sich fluchend die schmerzende Seite reibt. Dann wandert Hijikatas glühender Blick hinüber zu Okita. „Mistkerl.“ Der nimmt die Beleidigung nur mit einer betont ausdruckslosen Miene zur Kenntnis. Aber seine Augen lachen. Hijikata schnaubt einmal und strafft dann die Schultern. „Das geht euch gar nichts an. Lernt endlich, die Privatsphäre anderer zu respektieren.“ Er wirft Kondō noch einen letzten, wütenden Blick zu, kreiselt dann schwungvoll auf dem Absatz herum und verlässt den Raum. Er schiebt die Shojis hinter sich so energisch zu, dass der ganze Rahmen erzittert. Um Kondōs Lippen zuckt ein kleines Lächeln, und dann kichert er leise. „Weißt du, wer sie ist, Sōgo?“ „Ja.“ „Sagst du es mir?“ Sōgo zeigt sein bestes wölfisches Grinsen. Gepaart mit seinem unschuldigen Augenaufschlag ist es ein wahrhaft gruseliger Anblick. Doch Kondō winkt ab, bevor er irgend eine absurde Bedingung verbalisieren kann. „Vergiß es. Ich finde es so oder so irgendwann heraus.“ Enttäuscht verzieht Sōgo das Gesicht, doch dann nickt er nur. Er weiß, wann er sich bei Kondō geschlagen geben muß.     Kapitel 8: Yamazaki Sagaru Freitag, 16:30 Uhr ---------------------------------------------- Yamazaki Sagaru Freitag, 16:30 Uhr   Yamazaki sieht sich noch ein letztes Mal sichernd in der kleinen Hintergasse um, bevor er hinter den großen Müllcontainer tritt. Schnell wischt er sich den Lipgloss von den Lippen, schlüpft aus dem Kimono, unter dem er einen schlichten Yukata und eine Hose trägt und zieht sich zuguterletzt die Perücke vom Kopf. Erleichtert fährt er sich mit gespreizten Fingern durch sein dunkles, verschwitztes Haar und verstaut dann alles in seiner schlichten Reisetasche. Bevor er sein Versteck hinter dem Müllcontainer endgültig verlässt, überzeugt er sich noch einmal, ob die Gasse leer ist, um dann wieder zurück auf die etwas größere Seitenstraße zu gehen und von dort auf die gut frequentierte Hauptstraße. Er zögert, entschließt sich dann aber doch, den Bus zu nehmen, auch, wenn es nur fünf Stationen sind. Außerdem sieht er den Bus schon ankommen. Er will so schnell wie möglich wieder beim Shingensumi Hauptquartier sein. Im Bus sucht er sich einen Platz ganz hinten. Gedankenverloren starrt er aus dem Fenster. Er hasst Undercover-Jobs. Sie sind anstrengend, und er fühlt sich nicht wohl dabei, nette Menschen zu täuschen. Wenn er eine Jouishishi-Zelle infiltriert ist es wesentlich einfacher, denn diese Leute sind per se eine Gefahr. Sie sind Gesetzesbrecher. Sie haben es nicht besser verdient. Aber die Belegschaft des Sakura und das nette Ehepaar, die ihn im Zimmer über ihrem Restaurant kostenlos wohnen ließen? Denen gegenüber fühlte er sich wie ein Verräter. Und die letzten zwei Wochen war er so einsam. Hijikata-san kam viel zu selten vorbei und wenn, dann auch nie lange; alle drei Tage kam er zum Essen ins Sakura, spielte den Gast, schäkerte mit seinen Kolleginnen (und mit ihm), und Yamazaki brachte ihm mit der Rechnung eine Speicherkarte mit seinen gewonnenen Erkenntnissen – eine Übergabe wie aus dem Lehrbuch. Aber sie mussten vorsichtig sein, damit seine Tarnung nicht aufflog. Darüber machte sich Hijikata mehr Sorgen als Yamazaki selbst. Zum Ende hin wurde er regelrecht paranoid. Das war schlimm. Seufzend denkt Yamazaki an die vorletzte Nacht zurück, wo diese Hochzeitsgesellschaft bis weit nach Mitternacht das Lokal besetzte und verwüstete, und er sich dann freiwillig bereiterklärte, hinter dieser Bande aufzuräumen. (Irgendwie wird er den Eindruck nicht los, je schlimmer es mit Hanahaki wird, desto ausgiebiger wird gefeiert.) Er konnte es gar nicht erwarten, alle loszuwerden, weil Hijikata schon seit Mitternacht in der Hintergasse auf ihn wartete. Als er Hijikata schließlich über die Hintertür hinein schleusen konnte, war er ganz allein und Hijikata sehr durchgefroren, aber trotzdem war zuerst alles gut, bis er ihm pflichtgemäß Shimarus Nachrichten zeigte… bei allen Yūreis, so wütend hat er Hijikata schon lange nicht mehr erlebt. Das verdarb die ganze Stimmung. Für die restlichen sechsunddreißig Stunden seiner Mission verbot er Yamazaki alles – kein Bummeln über den Markt mehr, keine Mädchen-Abende mit seinen Kolleginnen und Telefonkontakt nur noch mit ihm. Nichts davon störte Yamazaki, denn so toll ist der Markt nicht mehr, wenn man direkt daneben wohnt, und der Mädchen-Abend ist nur einmal die Woche sonntags und es war schon Donnerstag, und er ist nicht so blöd, mit jemand anderem als Hijikata Telefonkontakt zu halten, wenn er undercover ist. Shimaru war eine Ausnahme, weil er auch ein Spion ist und weiß, wie man sich konspirativ verhält. Yamazaki hat aus seinen Fehlern in der Vergangenheit gelernt. Das heißt aber nicht, dass es ihm gefällt, von Hijikata derart bevormundet zu werden und mag der auch hundertmal sein Vorgesetzter sein. Schließlich ist er hier der Spion. Der daraus folgende Streit war nicht schön, und wäre er kein Profi, hätte er sich für die restlichen sechsunddreißig Stunden auf seinem Bett zusammengerollt und vor sich hingeschmollt. So aber schob er diese Gedanken und verletzten Gefühle ganz weit weg, kellnerte, spaßte mit den Mädchen und fieberte dem letzten Treffen mit Hijikata entgegen. Und dieser liebenswürdige Bastard ließ ihn einfach sitzen. Kein Anruf, keine Textnachricht, gar nichts, was das erklärte. Yamazaki hat die ganze Nacht wachgelegen und sich Sorgen gemacht. Es kam aber auch nichts über einen verletzten Fukuchō der Shinsengumi in den Nachrichten, also geht er davon aus, daß sein werter Fukuchō mal wieder bis zum Hals in Arbeit steckte und ihn einfach vergessen hatte. Um acht Uhr hat Yamazaki seinen Messenger-Dienst geschlossen und sich bis jetzt standhaft geweigert, ihn wieder zu öffnen. Nein, Hijikata muss sich nicht entschuldigen, niemals, schließlich ist er doch der fucking dämonische Fukuchō der Shinsengumi! Bastard. Yamazaki entfleucht ein leiser Seufzer. Es war und ist sowieso egal. Yamazaki hat die letzten Stunden als Kellnerin Honda Saki sehr genossen, seinen Lohn eingesackt und sich sehr tränenreich von seinen neuen Freunden verabschiedet, da war keine Zeit für irgend etwas anderes. Fast bedauert er es, dass die Mimawarigumi seine Mission nicht verlängert hat, aber als der Bus in die vertraute Straße einbiegt und einen parkenden Funkwagen überholt, erfüllt ihn ein so großes, warmes Gefühl von Zuhause, dass ihm fast die Tränen in die Augen steigen. Voller Elan springt er aus dem Bus, und je näher er den geliebten Mauern kommt, desto beschwingter wird sein Schritt. Die Tasche geschultert und mit einem fröhlichen Lächeln, tritt Yamazaki ans große Tor zu den beiden Männern, die dort stehen und rechnet schon damit, seinen Ausweis herauskramen zu müssen wie immer, weil sich grundsätzlich niemand an sein langweiliges Gesicht erinnert. Aber zu seiner großen Überraschung schenkt ihm einer der zwei - Todo Bokosuke, unverkennbar an seinem Bandana und der Narbe – ein geradezu strahlendes Lächeln. „Zaki! Willkommen zurück! Wie schön, dich zu sehen!“ Huh? Verwirrt blinzelt Yamazaki ihn an. Dann wandert sein Blick zu dem jungen Rekruten neben ihm. „Willkommen Yamazaki“, begrüßt ihn dieser beinahe genauso überschwänglich. Yamazaki kann sich nicht erinnern, je mehr als ein paar höfliche Worte mit ihm gewechselt zu haben. „Äh... ja... danke?“ bringt er schließlich verdutzt heraus. „Zaki.“ Plötzlich findet er sich in einer starken Umarmung wieder. Todo Bokosuke drückt ihn noch einmal kräftig, bevor er ihn wieder loslässt. „Wir haben dich vermisst“, meint er dabei. Yamazaki weiß nicht, wie er darauf reagieren soll, also bedankt er sich nur wieder und macht, dass er weiterkommt. Ehrlich, er versteht die Welt nicht mehr. Er hat kaum ein paar Schritte in den Hof hinein gemacht, da ertönt es von überall „Yamazaki! Yamazaki ist zurück!“ Der Ruf schallt über den ganzen Hof und wird immer weiter getragen, Männer, die er nur flüchtig kennt und die sich normalerweise nicht einmal seinen Namen merken können, eilen von gefühlt überall heran, um ihm zur Begrüßung auf die Schulter zu klopfen und ihm reihenweise zu versichern, wie froh sie sind, dass er wieder da ist und wie sehr sie ihn vermisst haben. Was zur Hölle -? Mit hochrotem Kopf kämpft sich Yamazaki durch eine Mauer von Körpern, die ihn mit ihrer Aufmerksamkeit schier erdrücken. Was ist das hier für ein kranker Scherz? Er kommt nur drei Meter weit, da findet er sich plötzlich in einer weiteren bärenstarken Umarmung wieder. „Zakiiii!“ brüllt ihm sein Kyokuchō ins Ohr, während er ihm fast die Luft abdrückt. „Du bist wieder da!“ Und dann ruft er das, was Yamazaki – neben dem Luftmangel – fast in Ohnmacht fallen lässt: „Wir lieben dich! Wir lieben dich alle!“ „Jaja, danke“, ächzt der Spion, dem das Ganze mit jeder Sekunde peinlicher wird. Mit letzter Kraft windet er sich aus Kondōs knochenbrechender Umarmung und begegnet Okita Sōgos breit grinsendem Gesicht. Oh ihr Götter – der will ihn doch nicht auch noch umarmen? Das überlebt er nicht. Bitte nicht. „Finger weg von ihm!“ donnert da eine ihm nur allzu wohlbekannte Stimme. Wie aus dem Boden gewachsen steht plötzlich Fukuchō Hijikata vor ihnen und spießt sie mit seinen Blicken regelrecht auf. „Habt ihr nichts Besseres zu tun? Verschwindet oder begeht Seppuko!“ Die eine Hälfte springt eingeschüchtert davon, die andere ist vor Schreck wie erstarrt, Okita kichert und Kondō stottert ein „A-aber Tōshi...?“ Hijikata ignoriert sie alle. Er packt Yamazaki am Handgelenk und zieht ihn mit sich fort, über den Hof, schnurstracks zum nächstbesten Eingang. Überrumpelt stolpert Yamazaki hinterdrein, bemüht mit ihm Schritt zu halten und gleichzeitig seine Tasche nicht zu verlieren. „H-Hijikata“, stammelt er, unfähig, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. „Es tut mir Leid“, entschuldigt sich Hijkata. „Ich konnte nicht kommen. Okita hat mir ein Schlafmittel untergejubelt.“ Er stockt so plötzlich, dass Yamazaki fast in ihn hineingelaufen wäre. „Warum hast du nicht auf meine Nachrichten reagiert? Ich habe dir mindestens hundert Entschuldigungen hinterlassen.“ „I-ich hab doch gearbeitet“, ist das einzige, was Yamazaki auf die Schnelle einfällt. Er kann ihm doch nicht sagen, dass er beleidigt war und sich wie ein bockiges Kind benommen hat. „Vor einer Stunde?“ Hijikatas linke Augenbraue kriecht skeptisch in die Höhe. Eingeschüchtert schüttelt Yamazaki den Kopf. Natürlich, er hätte sich denken können, daß Hijikata, der seine Arbeitszeiten kennt, ihn nicht währenddessen kontaktiert. Jetzt bereut er es, seinen Messenger nicht wieder eingeschaltet zu haben. Hundert Entschuldigungen, huh? Das wird ein Spaß, die sich später durchzulesen. Yamazaki versucht, unter Hijikatas eindringlichem Blick ein ernstes Gesicht beizubehalten. „Was ist hier los?“ schneidet er schnell ein anderes Thema an. „Warum benehmen die sich alle so komisch?“ Hijikata wirft einen glühenden Blick über den Hof, wo jetzt nur noch Kondō und Okita zusammen stehen und zu ihnen hinübersehen und schnauft einmal. Dann sieht er Saitō Shimarus roten Afro hinter einem Baum hervorlugen, schnaubt erneut, fasst Yamazakis Hand fester und zieht ihn eilig weiter zum Eingang. „Diese Idioten befürchten, du könntest Hanahaki haben“, murmelt er dabei. „Nichtsdestotrotz..“ meint er plötzlich und stockt wieder, getroffen von einem Geistesblitz. Oje. Yamazaki kennt diesen Gesichtsausdruck nur zu gut... Seine Tasche fällt zu Boden und ein Augenblinzeln später findet er sich plötzlich in einer seltsamen Position wieder: hinter sich im Rücken die Hauswand und vor sich Hijikata in all seiner einschüchternden Präsenz. Wow. Das ist nicht das, was er erwartet hatte. „Fukuchō?“ Hijikata starrt ihn nur durchdringend an und Yamazaki fragt sich gerade, was er jetzt schon wieder falsch gemacht hat, da packt Hijikata den Kragen seines Yukatas und lehnt sich zu ihm vor. Wie gebannt starrt Yamazaki in diese marineblauen, plötzlich ganz sanft schimmernden Augen und hält unwillkürlich den Atem an. Er wird doch nicht...? Ängstlich huscht Yamazakis Blick an Hijikata vorbei. Dort, in einiger Entfernung, stehen immer noch Kondō und Okita und starren zu ihnen hinüber. Will er das wirklich? Sie können sie sehen! „Fuku...“ Yamazakis schwacher Protest erstickt, noch bevor er ihn richtig artikulieren kann, als Hijikata seinen Mund so fest auf Yamazakis presst, dass dieser instinktiv nach Luft schnappt. Das war ein Fehler, denn sofort schiebt Hijikata seine Zunge nach und erforscht eifrig Yamazakis Mundhöhle. Im ersten Schockmoment ist er wie erstarrt, doch dann, anfangs zögerlich, aber zunehmend begeisterter, steigt er in diesen Zungenkuss mit ein. Hijikata schmeckt nach Mayonnaise (keine Überraschung) und nur ein klitzekleines Bisschen nach Nikotin. Oh, wie hat er das vermisst! Unwillkürlich schlingt Yamazaki seine Arme um Hijikatas Nacken, er braucht diesen Halt, weil ihm die Knie weich werden. Je länger dieser Kuss dauert, desto besser schmeckt sein Fukuchō. Yamazaki kann nie genug davon bekommen! Er ist wirklich sehr, sehr enttäuscht, als Hijikata diesen Kuss genauso abrupt wieder beendet, wie er ihn ihm aufzwang. Irritierenderweise sagt er nichts, er starrt ihn nur an. Prüfend. Abschätzend. Es ist ein Blick, der Yamazaki furchtbar nervös macht. Er schluckt einmal schwer. „Hijikata?“ flüstert er krächzend. Es ist, als würde seine Stimme einen Bann brechen. Plötzlich wird Hijikatas Miene ganz weich und dann zieht er Yamazaki zu sich heran und umarmt ihn. „Ich liebe dich, Sagaru." seine Stimme ist nur ein Wispern an Yamazakis rechtem Ohr. Unwillkürlich ringt Yamazaki nach Luft. Aber das liegt nicht nur an den Gefühlen, die diese Worte in ihm auslösen, sondern hauptsächlich an Hijikatas knochenbrechender Umarmung. „Ich weiß", entgegnet er schließlich über das wilde Pochen seines Herzens hinweg, das Gesicht fest gegen Hijikatas Hals gepresst, aber es scheint, als habe der ihn nicht gehört. „Sagaru, bitte entschuldige, dass ich so ein Baka bin. Dass ich dir das die ganze Zeit über nie gesagt habe. Ich weiß, ich bin verdammt schlecht darin, auszudrücken, was ich fühle. Und ich weiß, ich hätte dir schon viel eher sagen sollen, wie sehr ich dich liebe. Denn das tue ich. Ich liebe dich so sehr." Himmel, er plappert. Hijikata plappert nie! Beruhigend hebt Yamazaki die Hand und streichelt in altgewohnter Manier seinen Nacken, spielt zärtlich mit ein paar Strähnen seines seidig weichen Haars. „Ich weiß", wiederholt er. „Dass du mich liebst. Ich weiß es, Tōshirōu. Ich weiß es schon von Anfang an. Ich brauche keine Bestätigung, aber es ist trotzdem schön, es zum ersten Mal zu hören.“ Wortlos drückt Hijikata ihn an sich. Sein schlechtes Gewissen ist mehr als offensichtlich. Die Art, wie er ihn hält, wie verzweifelt er ihn an sich presst, schreit es geradezu heraus. Yamazaki könnte Hunderte Gelegenheiten aufzählen, wo Hijikata ihn in den letzten sechs Monaten so gehalten hat und immer knapp davor war, ihm seine Liebe zu gestehen. Aber genau genommen war Yamazaki keinen Deut besser. Es ist wirklich an der Zeit, erwachsen zu werden. Leise aufseufzend vergräbt er sein Gesicht noch dichter an Hijikatas Hals, atmet dessen vertrauten und so schmerzvoll vermissten Duft tief ein und haucht ihm dann erst einen kleinen Kuss auf den Kiefer und dann ins Ohr: „Und nur fürs Protokoll: ich liebe dich auch, Tōshirō.“     - Ende -   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)