Die Shinsengumi-Hanahaki-Krise von MariLuna (oder: wenn die Mehrheit von etwas überzeugt ist, heißt das noch lange nicht, dass sie Recht hat) ================================================================================ Kapitel 6: Kondō Isao – Teil II Donnerstag, 11:33 Uhr ------------------------------------------------------ Kondō Isao – Teil II Donnerstag, 11:33 Uhr   Es regnet. Kondō hasst solche Tage. Außerdem hat er einen ziemlichen Kater, einer der acht Sake vom Vorabend war wohl schlecht. Ein schönes Vorbild ist er. Seufzend stützt er die Ellbogen auf seinen Schreibtisch und massiert sich die pochenden Schläfen. Aufstehen war schwierig. Die Morgenbesprechung war schwierig. Der Papierkram ist ätzend, aber zu viel mehr wird er heute nicht fähig sein. Ah, aber Otae hat eine Gehaltserhöhung bekommen, da musste er ihr natürlich einen ausgeben. Und der ganzen Belegschaft der Sunakku su mairu natürlich auch. Diese gerissene Frau bringt ihn nochmal an den Bettelstab, aber wenn sie erst einmal verheiratet sind, wird sie bestimmt umsichtiger mit seinem Geld umgehen, denn dann gehört es zur Hälfte ja auch ihr. Liebevoll betrachtet Kondō das gerahmte Foto auf seinem Schreibtisch und schenkt dem lächelnden Bild seiner Geliebten einen Luftkuß. Ein leises Klopfen am Türrahmen schreckt ihn aus seinen Zuckerwattegedanken. Mit einem ernsten Ausdruck auf dem blassen Gesicht schiebt sich Tōshirō herein. Er trägt seine Uniformjacke nicht und sein Haar ist feucht, und er riecht nach dem Regen draußen. Natürlich, dieser hoffnungslose Workaholic hat ja wieder die vormittägliche Patrouille übernommen. Dann bemerkt Kondō die vereinzelten bläulichen Blütenblätter auf seiner dunklen Weste. Kondō erstarrt, als ihm klar wird, dass sein Fukucho die Jacke nicht nur abgelegt hat, weil sie nass ist. Es ist unvermeidbar, dass die Shinsengumi auf ihren Patrouillen gebeten wird, Hanahaki-Opfer ins Krankenhaus zu fahren, weil es einfach zeitsparender ist, einen gerade vorbeifahrenden Funkwagen anzuhalten als die örtlichen Ambulanzen zu rufen, aber Kondō wünschte sich, dass es nicht ausgerechnet Tōshirō getroffen hätte. „Oi, Tōshi“, beginnt er, doch bevor er eine besorgte Frage stellen kann, unterbricht ihn dieser und reicht ihm eine schmale Akte. „Yamazaki beendet morgen Abend seine Mission.“ Zuerst starrt Kondō nur verwirrt darauf, doch dann dämmert es ihm wieder langsam. „Ah ja, unsere Abmachung. Ich erinnere mich. Ich habe dich gebeten, mich erst vierundzwanzig Stunden vor Ende der Mission in die Einzelheiten einzuweihen.“ Um Kondōs Lippen zuckt es selbstironisch, als er in der Akte zu blättern beginnt. Erfahrungsgemäß ist er nicht gut darin, Geheimnisse für sich zu behalten, wenn er im Sunakku su mairu einen über den Durst trinkt. Etwas, was beinahe täglich der Fall ist. Den heutigen Abend wird er dann wohl strikt im Hauptquartier verbringen müssen, aber das tut seiner Leber und seinem Kopf auch mal gut. Neugierig lässt er seinen Blick über die dicht beschriebenen Dokumente wandern. „Es ist kein Observierungsauftrag?“ stößt er dann überrascht hervor. „Nein“, Tōshirō zieht sich einen Stuhl heran und lässt sich schwer hineinfallen. „Er hilft in dem Restaurant als Kellnerin aus. Die Zielperson isst da jeden Abend und Sagaru meldet der Mimawarigumi wer noch am Tisch sitzt und worüber geredet wird.“ Er zieht eine verächtliche Grimasse. „Ich hasse es, wenn er für sie arbeitet. Diese arroganten Hunde wissen weder seine Arbeit noch uns zu schätzen. Er trägt das ganze Risiko und sie heimsen die Lorbeeren ein. Die sollen verdammt nochmal endlich ihre eigenen Spione für so etwas einsetzen, aber dafür sind sie sich ja zu fein.“ „Die Mimawarigmi ist nicht unser Feind“, versucht Kondō ihn zu beschwichtigen. Egal, was er persönlich von ihren Konkurrenten hält, dass sie beide nebeneinander existieren ist eine rein politische Entscheidung, auf die keiner von ihnen einen Einfluß hat. „Wir müssen mit ihnen kooperieren. Es dient unserem Shogun.“ Es raschelt leise, als er ein Blatt umdreht. Und erst jetzt verarbeitet sein Verstand, was sein Stellvertreter ihm ganz zu Anfang mitteilte. „Oh. Zaki verkleidet sich als Kellnerin? Das würde ich zu gerne sehen.“ „Untersteh dich. Es gibt einen Grund, warum ich das niemandem sage. Ihr Idioten würdet sofort hinrennen und ihn dadurch gefährden.“ Er hält kurz inne und fährt dann mit einem Unterton des Stolzes fort: „Aber einige der Jungs haben schon bei ihm bestellt ohne ihn zu erkennen. Er ist gut in dem, was er da tut.“ Bedächtig schiebt Kondō die Dokumente wieder zusammen und lässt sie in einer Schreibtischschublade verschwinden. Er schließt sie ab und verstaut den Schlüssel sicher in seiner Hosentasche. „Hattest du keine Bedenken? Was ist, wenn Gäste zudringlich werden?“ „Das ist ein Restaurant am Bauernmarkt, keine Bar in Kabukichō. Da wird niemand zudringlich. Und wenn doch, kann Sagaru das regeln.“ Kondō blinzelt überrascht. Sagaru? Seit wann ist Tōshirō mit Yamazaki so vertraut, dass er ihn beim Vornamen nennt? Und wie leicht ihm dieser Name von den Lippen schlüpft. Unwillkürlich verspürt Kondō einen Hauch von Eifersucht in sich aufsteigen. Doch sein von Natur aus sonniges Gemüt setzt sich schnell wieder durch. „Hast du ein Foto von ihm? Du hast bestimmt ein Foto von ihm, oder? Komm schon, zeig's mir. Zeig's mir, das ist ein Befehl.“ Zuerst zögert Hijikata, aber er kennt Kondō und weiß, dass dieser keine Ruhe geben wird, also zückt er sein Smartphone und öffnet die Bildergalerie. „Von ihm allein wäre zu auffällig gewesen“, erklärt er, während er aufsteht und zu Kondō hinter den Schreibtisch geht und ihm dann sein Smartphone vors Gesicht hält. „Ich hab aber ein Foto von der Belegschaft. Hab behauptet, wir suchen nach einem Lokal für unsere Betriebsfeier.“ „Wir machen eine Betriebsfeier?“ erkundigt sich Kondō irritiert, während er versucht, auf dem Foto vor sich irgend etwas zu erkennen. „Nein.“ „Doch“, bestimmt Kondō, von der Idee zunehmend begeistert. „Wir machen eine. Das ist eine gute Idee. Stärkt die Moral. Wie wär's mit August? Und du redest dich diesmal nicht raus wie bei den Weihnachtsfeiern immer, von wegen Stallwache und so.“ Er denkt kurz nach und schnippt dann mit den Fingern. „Ich hab's: wer zur Betriebsfeier geht, übernimmt den Dienst während der Weihnachtsfeier und umgekehrt. Dann ist das Hauptquartier immer mit einem Minimum an Männern besetzt. Das ist doch in deinem Sinne, oder?“ Übergangslos interessiert er sich wieder für das Foto. Diesmal jedoch nimmt er Hijikata das Mobiltelefon aus der Hand, bevor dieser es wieder aus seiner Reichweite ziehen kann. Auf dem ersten Blick sieht er nur vier hübsche junge Frauen, die eng zusammen vor einer Theke oder so etwas stehen. Sie tragen alle einen klassischen Kimono mit Blütenmuster. Er muss die Ansicht vergrößern, um die Gesichter genauer sehen zu können. „Welcher von ihnen ist Zaki? Oh, ich sehe schon.“ Er erkennt Yamazaki nur an seinem Lächeln. Es ist nicht das erste Mal, daß sich ihr Spion wegen einer Mission als Frau verkleidet, aber dann war das meistens eine eilige Notlösung. Etwas Lippenstift, eine eilig übergeworfene Perücke und ein langes Gewand, das seine fehlenden weiblichen Rundungen verdeckt. Für Letzteres ist ein Kimono immer gut geeignet, aber darüberhinaus hat er sich diesmal wirklich Mühe gegeben. Als Mann mag er gewöhnlich und nichtssagend aussehen, aber als Frau ... „Meine Güte, er ist wirklich süß!“ Kondō ist hin und weg. „Eine wahre Schönheit. Das Restaurant heißt Sakura, nicht wahr? Das passt. Er sieht aus wie eine Kirschblüte! So zart und zerbrechlich und doch jeder Zoll eine echte Lady! Er ist bildschön! Nicht schöner als meine Otae, aber eine ganz andere Art von Schönheit. Eher überirdisch, wie eine Tennyo!“ „Geierst du gerade deinen Untergebenen an?“ Hijikata reißt das Telefon grob wieder an sich, verstaut es sicher in seiner Brusttasche und wirft seinem Vorgesetzten einen ungläubigen Blick zu. Abwehrend hebt Kondō beide Hände. „Aber Tōshi, was denkst du denn nur immer von mir?“ „Hijikata-san hat Angst, dass du ein Auge auf seinen kostbaren Spion geworfen hast“, ertönt eine wohlbekannte Stimme von der Tür her. Dort lehnt ein breit grinsender Okita lässig am Rahmen. „Sōgo!“ entfährt es Kondō und Hijikata zugleich. Dessen karmesinrote Augen funkeln sie vergnügt unter seinen hellen Ponyfransen an. „Ich kenne das Restaurant“, erklärt er seelenruhig. „War erst letzten Dienstag da. Das Essen ist gut und die Bedienung sehr zuvorkommend. Ich stimme dafür, dass wir dort wirklich unsere Betriebsfeier abhalten. Vielleicht kann uns Zaki ja wieder bedienen.“ Sein Tonfall rutscht betont in die Doppeldeutigkeit ab. „Vielleicht kann er uns diesmal ja sogar ein paar Extrawünsche erfüllen. Besondere Desserts vielleicht.“ Tōshirō steigt das Blut ins Gesicht. „Sōgo!“ Dieser hebt unbeeindruckt eine Augenbraue. „Hijikata-san?“ Sekundenlang starrt Hijikata ihn nur mit einem geradezu mörderischen Ausdruck auf dem hübschen Gesicht an und dabei zuckt seine Schwerthand gefährlich Richtung Katana, doch dann schnaubt er nur und kreiselt auf dem Absatz herum. „Ich gehe, bevor ich etwas tue, was ich später bereue. Bis später, Kondō.“ Als er durch die Tür tritt und dabei an Sōgo vorbei muss, rempelt er ihn aggressiv mit der Schulter an, doch der Jüngere nimmt es nur mit gleichgültiger Miene hin. Aber als er Tōshirō hinterhersieht, kann Kondō sehen, wie wieder dieses besonders breite Grinsen um seine Mundwinkel zuckt. Und für einen klitzekleinen Moment beschleicht Kondō der Verdacht, dass Sōgo etwas weiß. Etwas, was Tōshirō und Yamazaki betrifft. Und... dass Hijikata es weiß. Der Gedanke bereitet ihm nur noch mehr Kopfschmerzen. „Du warst wirklich da, Sōgo? Und hast Zaki gesehen?“ Okita strahlt ihn an. „Nein. Ich wußte genauso viel wie du, Gori. Ist doch nicht meine Schuld, wenn Hijikata so dumm ist und auf jeden Bluff hereinfällt.“ Dann wird er plötzlich ernst. „Ich würde Zaki nie in Gefahr bringen, indem ich da auftauche.“ „Sōgo...“, seufzt Kondō, „du sollst Tōshi doch nicht immer so ärgern. Der Ärmste ist gestresst genug. Und nenn mich nicht Gori.“ Gott, er hasst diesen Spitznamen, den ihm das Yato-Gör Kagura gegeben hat! Er ist kein Gorilla, auch, wenn ihn so eine außerirdische Gorilladame heiraten wollte, und er in einem Affentempel groß wurde. Nachdenklich legt Sōgo den Kopf schief und lässt eine Kaugummiblase platzen. „Wenn er seiner Position nicht mehr gewachsen ist, sollte ich sie vielleicht übernehmen?“ „Sōgo...“ Kondō vergräbt nur seufzend den Kopf in den Händen, so dass er Sōgos selbstgefälliges Lächeln nicht mehr sehen muß. Manchmal fragt er sich ernsthaft, ob er zu nachsichtig mit dem Bengel ist. „Vielleicht sollte ich seine Zigaretten mit Haschisch versetzen?“ denkt Sōgo weiter laut nach. „Das würde ihn etwas entspannen. Was meinst du, Gori? … Entschuldige, ich meine natürlich Kondō-san.“ Haschisch? Der Gedanke entlockt Kondō unbeabsichtigt ein kleines Kichern. Über diese Frechheiten mit diesem Spitznamen und dem betont höflichen -san sieht er jetzt einfach mal hinweg. Er weiß nämlich auch, was die anderen ärgert – vor allem Sōgo. Er erträgt es nicht, wenn Kondō ihn ignoriert und nicht auf jede seiner Bemerkungen eingeht. Und so brüten sie beide eine Weile schweigend vor sich hin. Kondō, weil er wieder in die Tiefen seiner Gedanken abdriftet, und Sōgo, weil er Kondō kennt und an dessen sorgenvoller Miene sieht, dass dieser noch etwas auf dem Herzen hat. „Sōgo...?“ fragt Kondō schließlich leise. „Hast du mal darüber nachgedacht – was wäre, wenn Tōshi unglücklich in dich verliebt wäre? Würdest du ihm die Worte sagen und ihn retten?“ „Nein, darüber habe ich noch nie nachgedacht“, kommt die sachlich-kühle Antwort. „Ich denke nicht über unsinnige Dinge nach. Deshalb mache ich mir auch keine Sorgen um diese Seuche.“ Kondō starrt ihn nachdenklich an und Sōgo lässt diese Musterung geduldig über sich ergehen. Er verzichtet sogar darauf, wieder eine Kaugummiblase platzen zu lassen. Es dauert eine Weile, aber dann ist bei Kondō der Groschen gefallen. Sōgo erkennt es an dem breiten, erleichterten Lächeln, das über Kondōs Gesicht huscht. Sōgo geht zwar davon aus, dass Kondō diese Schlüsse bezüglich seiner engsten Freunde schon längst selbst gezogen hat, aber er weiß auch, wie wichtig diesem immer eine Bestätigung von anderer Seite aus ist. Andererseits würde es Sōgos schlechten Ruf ruinieren, würde er laut hinausschreien: Tōshirō ist sicher. Ich bin sicher. Die Yorozuya sind sicher. Und dass deine geliebte Otae sicher ist, weißt du ja wohl selbst am besten. Also bedient er sich lieber kryptischen Andeutungen, von denen er weiß, dass Kondō sie versteht. Sein Kyokuchō ist schließlich nicht so begriffsstutzig, wie alle immer denken. Und dann zieht Kondō doch wieder besorgt die Stirn kraus. „Was ist mit Yamazaki? Viele machen sich Sorgen um ihn deswegen. Seit Shimaru das angesprochen hat, höre ich die Männer immer häufiger darüber flüstern. Glaubst du, Yamazaki ist gefährdet?“ Sōgo schweigt einen Moment. „Weißt du, Isao“, erwidert er dann, Kondōs Vornamen besonders betonend, „so ungern ich es zugebe, aber in einem hat Tōshirō recht: darum sollten wir uns erst Sorgen machen, wenn Yamazaki Symptome zeigt. Wie bei jedem anderen auch. Hätte, könnte, wäre, wenn, hat uns nicht dahin gebracht, wo wir heute stehen. Und jetzt entschuldige mich, ich muß Tōshirōs Mayonnaise vergi … ahem, verstecken.“ Er grinst seinem Vorgesetzten noch einmal vergnügt zu, salutiert lässig und beeilt sich, möglichst viel Abstand zwischen ihm und sich zu bringen, bevor dieser Sōgos absichtlichen Versprecher wirklich registriert hat. Natürlich wird er die Mayonnaise nicht vergiften, das wäre stillos. Ein schlichtes Abführmittel sollte vorerst genügen. Hijikata ist schließlich selbst schuld, wenn er das Zeug immer für jeden zugänglich im Kühlschrank stehen lässt.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)