Die Shinsengumi-Hanahaki-Krise von MariLuna (oder: wenn die Mehrheit von etwas überzeugt ist, heißt das noch lange nicht, dass sie Recht hat) ================================================================================ Kapitel 5: Kondō Isao – Teil I Mittwoch, 16:53 Uhr --------------------------------------------------- Kondō Isao – Teil I Mittwoch, 16:53 Uhr   Müde reibt sich Kyokuchō Kondō Isao über die Stirn, steht von seinem Bürostuhl auf, reckt sich einmal genüßlich, bis es in seiner Wirbelsäule hörbar knackt und verlässt dann seinen Schreibtisch, und das, wie er hofft, für den Rest dieses Tages. Er hasst diesen Papierkram, viel lieber geht er auf Patrouille. Ein richtiger Fall mit dem dazugehörigen Kampf wäre ihm auch ganz recht, aber es muß auch mal ruhige Tage geben. Und jetzt, wo dieses Hanahaki in der Stadt lauert und alle so hypernervös deswegen sind, ist es vielleicht ganz gut, dass es so ruhig ist, denn ihm zeigt das, dass auch die Gangster Angst vor etwas anderem als der Shinsengumi haben können. Er wirft sich seine Jacke über, schnallt sich sein Schwert um die Hüften und tritt dann durch die halbzurückgeschobenen Shoji hinaus in den Hof. Vor wenigen Sekunden hat er aus den Augenwinkeln einen Funkwagen einfahren gesehen. Er ist sich ziemlich sicher, dass das Tōshirō war. Tatsächlich sieht er ihn weiter hinten auf dem Parkplatz noch an dem schwarz-weißem Wagen stehen. Er zündet sich eine Zigarette an, während sein Kollege die Beifahrertür hinter sich zuwirft und dann Richtung Kantine davoneilt. Kondō kann nicht erkennen, wer es ist, aber er kann sich die Namen der neuen Rekruten hier sowieso nicht merken. Die Mühe macht er sich erst, wenn sie nach den ersten drei Probemonaten wirklich bei der Shinsengumi bleiben. Viele geben vorher auf. Tōshirō und Sōgo sind sehr strenge Ausbilder. Während er näherkommt, mustert Kondō seinen langjährigen Freund und Stellvertreter prüfend. Seit zwei Wochen ist Tōshirō viel gereizter als sonst, und das hat nichts mit diesem Hanahaki zu tun. Außerdem wirkt er erschöpft. Dunkle Augenringe sind kein unüblicher Anblick an ihm, aber das hier geht tiefer. Kondō hat eine Antenne dafür entwickelt, die Anzeichen eines beginnenden Breakdowns bei ihm und Sōgo zu erkennen. Sie wissen es nicht, aber darin sind sie sich sehr ähnlich. Sie neigen dazu, sich selbst zu überfordern, aber im Gegensatz zu Sōgo, der diesen Stress dadurch abbauen kann, indem er Wege ersinnt, Tōshirō aus dem Weg zu räumen, findet dieser seine Erlösung nur in ungesunden Süchten. „Du siehst müde aus, Tōshi“, begrüßt er ihn und lehnt sich dann lässig neben ihm an den Wagen. Hijikata nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette und schnauft verärgert. „Fünf Männer haben sich heute krankgemeldet“, schnaubt er dabei und spuckt verächtlich in den Sand. „Gestern waren es auch schon drei.“ Ah ja, das erklärt, warum er heute auf Streife fuhr, obwohl er gar nicht eingeteilt war. Kondō nickt mitfühlend. „Sie haben Angst.“ Tōshirō zieht so kräftig an seiner Zigarette, dass er sich beinahe verschluckt. „Dann sollen sie nicht bei der Shinsengumi arbeiten.“ Er gibt sich gar nicht erst die Mühe, leise zu reden. Am liebsten hätte er es über den ganzen Hof geschrien, damit alle es hören und genau wissen, was er von dieser Respektlosigkeit hält. „Es ist nur verständlich, wenn sie unter solchen Umständen bei ihren Familien bleiben wollen“, erklärt Kondō neben ihm sanft. „Ich habe es ihnen gestattet.“ Ein langer Seitenblick aus tiefblauen Augen streift ihn, doch alles, was Tōshirō dazu bemerkt, ist ein Geseufztes: „Kondō, du bist viel zu gutmütig für diese Welt.“ Normalerweise sind solche Bemerkungen der Auftakt zu einer typischen Neckerei, doch diesmal mustert Kondō ihn nur ernst. „Wann hast du das letzte Mal geschlafen, Tōshi?“ Sein Stellvertreter knurrt nur etwas Unverständliches vor sich hin, lässt die Kippe fallen und tritt sie mit dem Stiefel aus, nur, um sich einen Atemzug später schon wieder eine neue anzuzünden. Kondō betrachtet es mit Sorge, doch er spart sich jedes Kommentar in dieser Richtung. Tōshirō hat zwei Laster: eine ungesunde Vorliebe für Mayonnaise und eine noch viel ungesündere für Tabak, aber Kondō hat es schon lange aufgegeben, ihm das abgewöhnen zu wollen. Trotzdem ist Kondō tief in seinem Inneren etwas enttäuscht, immerhin hat es in den letzten drei Monaten den Anschein gemacht, als hätte sein Stellvertreter zumindest seinen Zigarettenkonsum deutlich eingeschränkt. Aber hier und jetzt beweist er ihm, dass er sich wohl zu früh Hoffnungen gemacht hat. „Warst du bei Yamazaki?“ erkundigt er sich vorsichtig, genau wissend, auf welch dünnem Eis er sich zur Zeit bei diesem Thema bewegt. Er hat lange überlegt, ob er das, was heute Morgen im Speisesaal geschehen ist, ansprechen soll, aber dann beschloß er, es nicht zu tun. Weder Shimaru noch Bokosuke sind bei ihm gewesen um sich über Tōshirō zu beschweren und auch Tōshirō hat sie nicht gemeldet, also tut er lieber so, als hätte Sōgo nicht bei ihm gepetzt. Tōshirō ist gegenüber Yamazaki tatsächlich in einem geradezu wahnhaften Beschützer-Modus, und Kondō möchte ihm da lieber nicht in die Quere geraten. „Ja. Keine Sorge, es geht ihm gut. Keine Symptome“, kommt die Antwort daher auch abweisend knapp. „Und wie geht es dir, Kondō?“ lenkt er dann schnell ab. Er ist noch immer angepisst, aber die Sorge in seiner Stimme ist echt. Kondō versteht den Wink und bohrt nicht weiter nach. „Keine Symptome. Alles bestens. Ich weiß, dass Otae-san mich liebt.“ Tōshirō gibt einen tiefen Seufzer von sich und der Blick, den er Kondō diesmal zuwirft ist voller Resignation. „Isao...“ „Nein, Tōshi, das ist so“, unterbricht ihn Kondō amüsiert. Er wünschte, Tōshirō würde ihn öfter bei seinem Vornamen nennen, würde ihn damit öfter in der Öffentlichkeit als Freund ansprechen, doch er nimmt, was er bekommen kann. Auch, wenn er sich einen anderen Tonfall gewünscht hätte. Aber in Anbetracht dessen, was Tōshirō noch nicht weiß, kann er es ihm verzeihen. „Das bilde ich mir nicht ein.“ Seine Stimme senkt sich zu einem verschwörerischen Raunen, als er sich vertraulich etwas zu ihm vorbeugt. „Es ist ein netter Zeitvertreib, ein Spiel, ihr den Hof zu machen und von ihr immer wieder eine knallharte Abfuhr zu erhalten, aber sie und ich wissen, dass wir füreinander bestimmt sind. Sie will nur warten, bis Shinpachi volljährig ist, bevor sie und ich heiraten.“ Tōshirōs linke Augenbraue wandert skeptisch in die Höhe. Kondō grinst, als er das sieht. „Das hat sie gesagt, ja“, bestätigt er triumphierend. „Als die ersten Hanahaki-Fälle auftraten, hatten wir ein sehr, sehr langes Gespräch.“ Tōshirō nimmt einen Zug von seiner Zigarette und atmet den Rauch mit einem langgezogenen Seufzer wieder aus. „Das ist gut“, erwidert er und fährt dann mit einem schmalen Grinsen fort: „Das erspart mir die Mühe, ihr mit der Enthauptung ihres Bruders zu drohen, damit sie die erlösenden Worte spricht.“ Das Unheimliche daran ist – er meint jedes Wort davon bitterernst. „Man muß an diese Worte glauben, Tōshi“, erinnert ihn sein Vorgesetzter mit mildem Tadel in der Stimme. „Du hättest daran geglaubt.“ „Das stimmt“, gibt Kondō unumwunden zu und lacht leise. Einige Sekunden lang stehen sie einfach nur schweigend nebeneinander. „Machst du dir Sorgen um Gintoki?“ fragt Kondō dann leise. Wie immer, wenn er von den Yorozuya spricht, schwingt eine große Portion Hochachtung in seiner Stimme. Heute mehr als sonst, denn gerade jetzt unternehmen Gintoki, Kagura und Shinpachi alles in ihrer Macht stehende, um den Hanahaki-Opfern beiseite zu stehen, und das ohne eine Bezahlung zu verlangen. Und damit arbeiten sie wie schon oft Hand in Hand mit der Shinsengumi. Sein Stellvertreter gibt ein kurzes, bellendes Gelächter von sich. „Nein. Halb Edo liebt diesen Bastard. Käme es darauf an, würde ihm niemand diese drei Worte ausschlagen. Und wenn doch, würden Kagura und Shinpachi dafür sorgen, dass er sie trotzdem zu hören bekommt. So wie ich deine Otae dazu zwingen würde. Aber ich bezweifel, dass er an unerwiderter Liebe leidet. Das wüssten wir dann schon längst alle. Er ist nicht der Typ, der mit seinen Gefühlen hinter dem Berg hält.“ Kondō nickt zustimmend. Ja, dasselbe hat seine Otae auch schon gesagt. Irgendwie beruhigt es ihn, dass Tōshirō es genauso sieht. Tief in seinem Inneren atmet Kondō erleichtert auf. In diesen Zeiten ist es ein Lichtblick, wenigstens die Freunde außerhalb der Shingensumi in Sicherheit zu wissen. Zumindest körperlich. Psychisch geht diese Zeit an niemandem spurlos vorbei. Kondō schaudert innerlich. Kagura und Shinpachi sind noch Teenager, er mag sich gar nicht vorstellen, wie es ihnen dabei ergeht, zu helfen, die Menschen oder Amanto aufzutreiben, die in den Fokus einer unerwiderten Liebe geraten sind – meist unwissend – und wieviel Überzeugungskraft es sie kosten muß, diese dazu zu bringen, dem unglücklichen Opfer jene drei Worte zu sagen, damit dieses wenigstens überlebt. Wie Gintoki und Kaguras „Überzeugungsarbeit“ aussieht, kann er sich gut vorstellen, aber wenn ein Opfer trotz all ihrer Bemühungen stirbt, nimmt es sie genauso mit wie den sensiblen Shinpachi. Dabei ist es egal, wie gering die Anzahl der Todesfälle letztendlich ist, jeder Tod aus solch tragischen Gründen ist einer zuviel, den Otaes kleiner Bruder mitansehen muß. Und Kondō hat Shinpachi sehr liebgewonnen, auch wenn dieser seine Schwester nicht teilen will. Nachdenklich legt Kondō den Kopf in den Nacken und starrt in den wolkenverhangenen Himmel.„Hast du dir schon mal überlegt...“, beginnt er und setzt dann doch anders an: „Also, wie weit würdest du gehen, wenn jemand in dich unglücklich verliebt wäre?“ Tōshirō stutzt und runzelt die Stirn. „Was ist denn das für eine Frage?“ Kondō dreht den Kopf wieder in seine Richtung und schenkt ihm ein schmales Lächeln. So weit hergeholt ist das schließlich gar nicht. Tōshirō mit seinem guten Aussehen zieht oft genug die Aufmerksamkeit auf sich. Von Frauen und Männern. „Eine ernst gemeinte. Wie du gesagt hast, man muß diese Worte glauben. Und du wirkst immer so unnahbar, und ich frage mich, ob man dir diese Worte wirklich abkauft? Das soll keine Beleidigung sein, das ist nur eine Tatsache.“ Tōshirō Miene verdüstert sich und in seine Augen tritt eine Dunkelheit, wie er sie zum letzten Mal vor einem Jahr gesehen hat. Siedendheiß wird sich Kondō seines Fehlers bewusst. „Das mit Mitsuba war etwas völlig anderes“, beeilt er sich zu versichern. Es dauert zwei unangenehme tiefe Lungenzüge Zigarettenrauch, bis Tōshirō endlich darauf antwortet: „Du hast Recht. Ich kann bei so etwas nicht gut lügen. Nur ein absoluter Idiot würde es mir abkaufen. Wenn ich es sage, würde es vielleicht gerade mal reichen, dass sie es bis zur Operation schaffen. Vielleicht würde ich weitergehen, mit Taten überzeugen wollen, auch wenn das falsch ist. Aber das ist besser als die Alternative, oder?“ beschließt er grimmig. Das passt zu ihm. Bei Mitsuba war er völlig hilflos, wie gelähmt, er konnte sie nicht einmal ansehen, als es mit ihr zu Ende ging und seitdem zwingt er sich, über seinen Schatten zu springen, wann immer es geht. Kondō schenkt ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Ich würde dir die drei Worte glauben.“ „Bei dir müsste ich auch nicht lügen“, murmelt Hijikata, allerdings so leise, dass bei Kondō nur ein unverständliches Nuscheln ankommt. „Was?“ „Ich sagte: du bist ja auch ein hoffnungsloser Idiot.“ Kondō hat nicht das Gefühl, dass es das ist, was er da vor sich hingewispert hat, aber er lässt es mal gelten. Er hat immer noch ein schlechtes Gewissen, daß er seinen Freund unbeabsichtigt an Sōgos Schwester erinnert hat. Die zarte, hübsche Mitsuba, die so sehr in Tōshirō verliebt war, von diesem jedoch schon vor Jahren abgewiesen wurde, und wäre sie nicht letztes Jahr an einem Herzleiden verstorben, dann litte sie jetzt bestimmt an Hanahaki. Aber Kondō hat ihm deswegen niemals einen Vorwurf gemacht und auch Sōgo nicht. Tōshirō brachte Mitsuba nie mehr als freundschaftliche Gefühle entgegen und schon als Teenager war er nicht egoistisch genug, um einem Mädchen eine nicht vorhandene Liebe vorzugaukeln. Nur mit dem einen Unterschied, dass damals nicht Mitsubas Leben davon abhing. Jetzt sieht die Sache ganz anders aus. Jetzt würde Tōshirō jedem etwas vorzugaukeln versuchen, um ihn oder sie vor Hanahaki zu retten, und der Gedanke gefällt Kondō nicht. „Und wie steht es mit deinem Herzen, Tōshi?“ fragt Kondō bei diesem Gedankengang leise und fängt sich dafür einen wahrhaften Todesblick ein. „Leide ich an Kurzatmigkeit? Huste ich? Spucke ich Blütenblätter aus?“ „Ich hoffe doch nicht.“ Schnaubend schnippt Tōshirō seine aufgerauchte Zigarette fort. „Ich habe kein Herz, Kondō.“ Mit diesen Worten stapft er davon. Kondō sieht ihm nur seufzend nach und murmelt kopfschüttelnd: „Oh Tōshi - wer von uns beiden ist jetzt der Idiot?“     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)