Eine etwas andere Geschichte - Die Klammer muss weg! von izu- ================================================================================ Kapitel 2: Die Experten – Der zweite Termin (25.02.2021) -------------------------------------------------------- Ich machte mir in den nächsten Tagen wirklich viele Gedanken, ob ich das alles wirklich machen will. Nachdem ich die ersten Zeilen geschrieben hatte wurde mir immer mehr klar, warum ich so eine Angst habe. Es ist nicht einmal das Thema Geld oder Schmerzen... Es ist die Tatsache, dass ich ohne Zähne im Gesicht rumlaufen müsste. Nennt mich 'Oberflächlich', aber ich habe wirklich keine Lust ein halbes Jahr ohne Frontzähne herum zu laufen. Auch wenn mein Freundeskreis das mit den Zähnen weiß und wir gerade sowieso Corona haben und mit Maske rumlaufen müssen, ist es mir einfach unangenehm. Wir müssen nicht weiter darüber reden, dass es nicht schön aussieht, doch sich ein halbes Jahr ohne Zähne vor den Verlobten stellen und sich dabei „begehrenswert“ zu fühlen, ist für mich nicht machbar. Es ist eben eine Sache, die bei mir ganz tief drinsitzt, auch wenn so viele gesagt haben, dass das alles halb so schlimm sei. Auch als mein Bruder F an einen Abend bei uns war, wurde das wieder ein tiefsinnigeres Gespräch, als ich es mir erwünscht hatte. Mal wieder war ich am heulen. Ich glaube, ich habe mein Kontingent an Tränen mindestens für die nächsten zehn Jahre aufgebraucht. Ich habe oft und lange mit M darüber geredet. Er meinte, dass das auch für ihn nicht schlimm wäre. Leicht zu sagen, für Jemanden der mit seinem Oral-B-Lächeln Werbung machen könnte. Noch dazu käme das Handicap mit dem Essen. Auch wenn meine jetzige Prothese lose ist, war sie immer eine gute Stütze beim Abbeißen. Esst mal einen Apfel ohne Frontbeißer... Viel Spaß! =P Letztendlich zog ich sogar in Erwägung, mir eine sogenannte „Brücke“ einbauen zu lassen. Bei dieser Methode des Zahnersatzes werden die nächsten benachbarten Zähne als Pfeiler benutzt. Diese werden runter geschliffen, wie eine Krone präpariert und zur Stabilisierung und Befestigung genutzt. Dazwischen sitzen dann die künstlichen Zähne. Ein Knochenaufbau ist hierfür nicht nötig. Mein persönlich großer Nachteil bei dieser Prozedur ist ganz einfach zu erklären: Zwei Zähne werden komplett unbrauchbar, um vier Zähne zu ersetzen. Dazu sind es vier Zähne, die eine leichte Biegung machen. Das heißt, die Brücke wird auf Kurz oder Lang, je nach Belastung brechen. Selbst wenn sie nicht kaputt gehen würde, hat so eine Brücke eine Haltbarkeit von etwa zehn Jahren. Dann sind die benachbarten Zähne eventuell unbrauchbar. Im Endeffekt würde ich also in etwa zehn Jahren wieder vor dieser Entscheidung stehen: Eine Brücke, dieses Mal würde ich zwei weitere Zähne opfern, um sechs Zähne zu ersetzen (Falls das überhaupt möglich ist), oder Implantate, Knochenaufbau, also alles mit allem drum und dran mit dem Stand von heute. Für viele Leute ist diese Brücken-Lösung ganz toll, ich will sie absolut nicht schlecht machen! Nur in meinem Fall ist so eine Brücke eben unvorteilhaft. Dennoch könnt ihr mein inneres Dilemma vielleicht verstehen, ich stehe einfach nicht so auf Schmerzen und dann noch ein halbes Jahr so aussehen, als hätte man (ganz unkonventionell gesagt) eine auf's Maul bekommen, steht eigentlich nicht unbedingt auf meiner To-Do Liste. Dazu kam, dass Bekannte, Freunde und Familie auf einmal alle zu Experten wurden. Kennt ihr das? Jeder weiß auf einmal alles besser. Ich kann mich davon nicht los sprechen. Ein Beispiel: Man schaut Nachrichten. Vielleicht Politik oder sowas, ganz aktuell ist ja momentan auch Corona. Ich weiß natürlich viel besser als unsere Politiker, was zu tun ist. Ich habe diese Sache extrem. Ich schaue mir die Nachrichten an und weiß natürlich sofort, wie man es Besser machen kann, obwohl ich null Ahnung von Politik, Corona oder Viren habe. Als wäre ich Politiker, Arzt oder Virologe. Als wäre ich ein Experte. Das gleiche passierte in den Tagen, nachdem ich den ersten Termin hatte. Auf einmal war jeder in meiner Familie und aus meinem Bekanntenkreis ein Zahnarzt, ein Chirurg oder ein Implantologe. Sprüche wie „Lass dir für jeden Zahn ein einzelnes Implantat machen.“ oder „Nimm doch besser den anderen Zahnarzt, der macht das schon seit Ewigkeiten.“ waren keine Seltenheit. Mir wurden Zahnärzte empfohlen, ein Labor in Köln, welches anscheinend „Zahnkunst“ betreibt und etliche Zahnzusatzversicherungen, bei denen beim genauen hinschauen und vorrechnen auch den Experten klar wurde: Das bringt nix. In diesen Momenten merkte ich, wie nervig ich selbst sein kann. Ich halte mich in Zukunft aus der Politik und der Coronakriese raus. Ich hatte es satt zu jammern, zu heulen und von jedem „Gute Ratschläge“ zu bekommen. Immerhin ist das hier eine Sache, die nur mich selber etwas anging. Auch wenn ich es schätze, dass meine Mutter immernoch mit mir zum Arzt gehen will, um diverse Sachen abzuklären, finde ich, dass ich so langsam auch mal erwachsen bin und für mich selbst sprechen und Fragen stellen kann. So sehr ich meine mütterliche Mutter schätze. Also fing ich an, mich unabhängig schlau zu machen. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der man nur die richtigen Worte in die Suchmaschine eingeben muss, und schließlich von Informationen überflutet wird. Also ran an den Speck! Der YouTube-Kanal von Dr J hat mir viel weiter geholfen. Corona sei Dank - hat er sich vielen Themen gewidmet, wo man sich einen persönlichen Termin sparen kann. Eine Beratung war demnach also auch von Zuhause möglich. Daher konnte ich mir direkt von Dr J erklären lassen, was nun passiert, wie es passiert, welche Vor- und Nachteile es bei verschiedenen Behandlungen gibt und welche Sachen man vorher beachten sollte. Auch über eine Brücke habe ich mich weiterhin schlau gemacht und abgewogen, was in meinem Fall sinnvoller wäre, weshalb ich letztendlich zu dem Schluss kam, den ich bereits oben aufgeführt habe. Sinnvoller: Implantate; Leichter: Brücke. Der Knochenaufbau bereitete mir ebenfalls weiterhin Magenschmerzen. Immerhin ist es kein Zuckerschlecken, sich ein Stück seines Knochens entnehmen zu lassen. Ich stelle es mir schmerzhaft vor. Also befragte ich Tante Google nach Erfahrungsberichten, die sie mir bereitwillig anzeigte. Ich kam in einem Forum an, bei dem viele Leute beteuerten, dass dieser Eingriff nur halb so schlimm sei. Schmerzen – Ja; Unendlich schlimme Schmerzen – Nein. Also konnte mich dieses Forum zumindest etwas beruhigen, denn ich kann von mir behaupten, relativ gut mit Schmerzen klar zu kommen. Wenn da nicht diese Sache mit dem nackten Zahnfleisch wäre... Doch auch hier konnten mich einige Foren-Berichte beschwichtigen: Bei vielen Patienten wurde die Prothese angepasst und wieder benutzt, sobald die Schwellung zurück gegangen war. Ein kleiner Hoffnungsschimmer. Letztendlich ging ich ziemlich entspannt zum nächsten Termin. Nachdem ich zu meinem ersten Termin ziemlich unvorbereitet kam, hatte ich mich dieses Mal vorbereitet, ein paar Notizen gemacht und Fragen aufgeschrieben. Puh, was kam ich mir erwachsen vor! Auch für Dr J hatte ich meinen Bericht einmal ausgedruckt und zukommen lassen. Immerhin könnte es ihn ja interessieren, was in seinen Patienten vorgeht. Auch wenn seine jetzige Patientin leicht bescheuert, sentimental und verrückt ist. Anscheinend hat ihm dieses Skript tatsächlich gut gefallen, denn ein weiteres Mal kam Dr J weit grinsend in den Behandlungsraum hinein. Ja, bei ihm sieht man das auch ohne Maske. „Huhuuuu!“, grüßte er mich sogleich. Gemeinsam setzten wir uns an den Tisch, sprachen kurz über meine „Etwas andere Geschichte“ und kamen schließlich zum Thema. Er sah sich nochmal kurz meine Prothese an, mein Lächeln und meinen nicht vorhandenen Kiefer, welcher aufgebaut werden muss. Ich arbeitete brav meine Liste mit Fragen ab und meine größte Sorge löste sich in Luft auf: „Sobald der Knochenaufbau gemacht wurde, muss ich dann ohne Zähne rum laufen?“, frage ich ihn, für mich die Frage aller Fragen. „Um Gottes Willen, ich kann sie doch nicht ein halbes Jahr ohne Zähne rumlaufen lassen!“, warf er gleich ein. Meine Erleichterung könnt ihr euch sicher vorstellen. Professionell wie er ist, erklärte er mir, dass der Kiefer aufgebaut wird und die Prothese anschließend angepasst wird, sobald alles abgeschwollen ist. Immerhin ist das immernoch ein operativer Eingriff. Doch vorab muss noch etwas anderes geregelt werden: Meine Weisheitszähne müssen raus. Alle. Wenn ich mir vorstelle, was in diesem Jahr in meinem Mund alles los sein wird, bekomme ich wieder ein flaues Gefühl. Doch was tut man nicht alles für ein schönes Lächeln..? Außerdem hätte ich das mit den Weisheitszähnen ja auch ohne das ganze Drumherum machen müssen, also warum nicht jetzt? Dr J riet mir, das noch machen zu lassen bevor wir mit der Implantat-Geschichte starten, da er so auch besser ein Stück Knochen für den Knochenaufbau entnehmen könnte. Er empfahl mir einen guten Kieferchirurgen, mit dem die Praxis nahe zusammen arbeitet und schrieb mir direkt eine Überweisung. Als nächstes kam dann noch die Kostenfrage. Für diese verabschiedete ich mich von Dr J und ging zu den netten Damen, die für die Praxis Kostenvoranschläge und wahrscheinlich noch einiges mehr machen. Diese zeigten mir zuerst den vereinfachten Kostenvoranschlag, der mich schon um einiges beruhigte. Bei meiner Kostenvorstellung für Implantate ohne Zahnzusatzversicherung und zwei Kronen, die ebenfalls noch gemacht werden sollen bin ich wohl weit über's Ziel hinaus geschossen. Im Klartext habe ich mir Kosten von etwa 20.000€ vorgestellt, zum Glück ist es „nur“ etwa die Hälfte. Ein Punkt, bei dem ich aufatmen kann. Es ist immer noch viel Geld, natürlich. Aber es sind keine 20.000€. Anschließend gaben sie mir den detaillierten, sogenannten „Heil- und Kostenplan“ mit Anlagen, eine 12-Seitige Lektüre mit Leisungsbeschreibungen, die kein Mensch kennt. Lustige Begriffe wie „Adhäsive Befestigung“, „Stoma: Osteosynthese Titanschraube“ und „Neoss-Anatomischer Gingivaformer“ sind dort aufgelistet. Und diese lustigen Begriffe habe ich nur auf einer von zwölf Seiten gefunden. Dinge, die ich niemals auf meine Einkaufsliste setzen würde, aber kaufen werde ich sie in Zukunft dann wohl trotzdem. Nun, jedenfalls werde ich mich dann erst einmal an den Kieferchirurgen wenden, bei dem ich mir lustigerweise erst einmal vier Zähne entfernen lasse, damit ich mir vier künstliche Zähne einbauen lassen kann. Das wird ein Spaß! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)