Unmasked von Yuugii (Kunikida/Dazai) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Mein Name ist Kunikida Doppo. Ich bin ein Realist, der nach Idealen strebt und ich arbeite für die Armed Detective Agency – eine Detektei, die Fälle übernimmt, die die Polizei nicht bewältigen kann. Ich rücke meine Brille zurecht, betrachte mein Spiegelbild und stelle sicher, dass meine Weste und der Hemdkragen perfekt sitzen.     Perfekt in dem Sinne, dass kein einziger Knick oder eine Falte zu sehen sind. Ein anständiger Mann achtet auf sein Äußeres und pflegt sich. Das ist auch etwas, das in meinem kleinen Notizbuch, das ich täglich mit mir führe, niedergeschrieben habe. Es gibt Ideale auf dieser Welt, die das Leben in einer Gesellschaft erleichtern und sie sind die Grundsäulen des menschlichen Charakters.     Zufrieden nicke ich meinem Spiegelbild zu und beuge mich zu meinen Schuhen, welche ich so zuschnüre, wie man es lediglich aus bearbeiteten Bildern kennt. Der Knoten muss perfekt sein. Die Schlaufe ordentlich gezogen, damit sich auch im Laufe eines hastigen Tages nichts verzieht. Allein der Gedanke inmitten einer Mission meine Schuhe erneut zuschnüren zu müssen, lässt es mir eiskalt den Rücken herunter laufen. Immerhin bin ich ein Profi.     Mein Ideal, mein Leitfaden für mein alltägliches Leben, beschreibt ethische und moralische Werte, an die ich mein Handeln orientiere. Dieses kleine, unscheinbare Notizbuch beschreibt die Funktionen der Welt, in der ich lebe und die Art von Gedanken, die ich hege. Meine Ideale streben Vollkommenheit an und verfolgen ein Ziel, einen Richtwert und würden von den allermeisten Menschen, die einen Blick in mein Buch werfen, als geradezu utopisch bezeichnet werden.     Die Menschheit hat im Laufe ihrer Geschichte Gesetzeswerke zustande gebracht, die das Leben in einer Gesellschaft fundamental bestimmen. Das Gesetz muss beschützt werden.     Die Werte eines Menschen werden anerzogen und werden von klein auf geprägt. Meine Auffassungen sind in vielerlei Hinsicht schwarz und weiß, es gibt kein grau. Gut und Böse. Mitmenschen zu schaden ist schlecht. Ihnen zu helfen ist gut. Das soziale Leben eines Menschen wird bestimmt von Kontrasten. Verbrechen und Gesetz. Schuld und Sühne. Hass und Liebe. Schwarz und Weiß. Tag und Nacht. Licht bringt zwangsläufig auch Finsternis mit sich. Je heller ein Licht ist, desto größer wird der Schatten, das es wirft. Es gibt keine gleichwertige Verteilung, eine Seite dominiert stets und daher habe ich meinen Leitfaden, der mir dabei hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Mein Ideal ist ein Wegweiser. Mein Ideal ist meine persönliche Prophezeiung.     Meine Werte wurden geprägt von meinen Lebensumständen und Erfahrungen. Meine Gefühle und mein Unterbewusstsein sind wie ein Schleifstein, die meine Werte und Auffassungen schärfen. Der Wunsch nach Gerechtigkeit hat schon immer etwas mit Bedürfnissen zu tun gehabt, diese unterscheide ich in natürlichen und individuellen Bedürfnissen. Das Bedürfnis nach Sicherheit, Nahrung, Wasser, grundlegende Dinge, die das Leben erst möglich machen. Doch es sind die individuellen Bedürfnisse, die eine Gesellschaft verderben und das Schlechte in den Menschen hervorholt. Macht, Ruhm, Reichtum und Status. Die Sehnsucht nach Luxus und die aus dieser resultierende Bereitschaft, Opfer in Kauf zu nehmen und Mitmenschen zu verletzen.     Ethische Maßstäbe, wie jene, die in meinem Notizbuch niedergeschrieben sind, helfen mir die Linie zwischen gut und böse strukturell und perfekt zu ziehen und mich in dem sozialen Konstrukt ihrer Gesellschaft zurechtzufinden. Ideale spiegeln eine Vorstellung wider, die gerecht ist und sich den moralischen Gedanken eines Menschen anpasst, somit ist es gut und richtig, dass ich mich an diesen Sätzen und Wörtern, die ich niedergeschrieben habe, orientiere. Ohne mein Ideal bin ich hilflos und aufgeschmissen. Ich fürchte die Welt, wenn ich ihr zwangsläufig nackt und ohne Verhüllung entgegentreten muss. Die Realität, diese Wirklichkeit in der ich lebe, ist in vielerlei Hinsicht ungerecht und deshalb kämpfe ich dagegen an.     Als Detektiv helfe ich Menschen und kämpfe gegen das Verbrechen. Menschen, die anderen wissentlich schaden, sind schlecht und müssen bestraft und erzogen werden. So einfach ist das. Das möchte ich glauben, denn ich fürchte die harte Realität und verstecke mich daher hinter meinem Ideal.     Jahrelang bin ich meinem Leitfaden gefolgt. Bis zu dem Tag, als Dazai Osamu ein Teil des Detektivbüros wurde und all meine Ideale mit Füßen trat.     „Ein verantwortungsvoller Mann kommt gut gekleidet, pünktlich und mit wachem Geist zur Arbeit.“     Pflichtgefühl, Arbeitsmoral und der tiefe Wunsch nach Verantwortung, um sich selbst zu verbessern. Ideale einer sozialen Gesellschaft. Eine absolute Selbstverständlichkeit und grundlegende Sozialkompetenzen, die ausnahmslos jeder Mensch haben muss. Dazai ist das genaue Gegenteil. Mit zerknittertem Mantel tritt er in das Detektivbüro, nicht nur eine halbe Stunde zu spät – schließlich habe ich akribisch genau auf meine Armbanduhr geachtet und diese Verspätung notiert – sondern mit Drogen berauscht und geistig verwirrt. Wirre Wörter aus seinem Mund. Schrilles Lachen. Verdrehte Augen und zuckende Bewegungen. Ein unangenehmer Zeitgenosse.     Unsere erste Begegnung ist alles andere als ideal und ich weiß, dass mein Leben und mein Arbeitsplatz sich ab nun verändern werden. Mein Ideal wird konfrontiert mit der harschen Realität. Meine moralischen Werte werden tagtäglich aufs Neue herausgefordert. Mein Entschluss ruhig, gelassen und souverän mit aufkommenden Problemen umzugehen, meine Wut und mein aufbrausendes Temperament hinter mir zu lassen, gerät ins Wanken. Denn kein normaler Mensch kann bei Dazai ruhig bleiben.     Dieser verdammte Taugenichts schläft auf der Arbeit und macht seinen Kollegen nichts als Kummer und trotz allem besteht Fukuzawa darauf, dass er ein wertvolles Mitglied unserer Detektei ist. Ich kann ihn nicht ausstehen, diesen faulen Brünetten, der inmitten eines hastigen Arbeitstages auf der Coach schläft und den Stoffbezug vollsabbert. Was denkt sich dieser Kerl überhaupt? Diesem Kerl zu vertrauen empfinde ich als unmöglich, also habe ich es zu meinem persönlichen Ziel gemacht, ihn auf Vordermann zu bringen und genaustens zu beobachten. Ihn für jeden Fehler, den er begeht, zu bestrafen und ihm Recht und Ordnung ins Blut übergehen zu lassen.     Als Dazais Vorgesetzter und zugeordneter Partner bleibe ich auch bei wichtigen Missionen an der Seite dieses gar nutzlosen Kerls. Anstatt Zeugenbefragungen ernst zu nehmen, flirtet er mit diesen und verschwindet während eines Auftrags, nur um am Ende mit seinem Intellekt einen Fall zu lösen und Menschen vor Schaden zu bewahren. Dazais Art Probleme zu lösen, bringt in erster Instanz meist noch mehr Probleme mit sich und ich hasse es, wenn dieser auf eigene Faust ermittelt, sich in Schwierigkeiten bringt und von mir erwartet, gerettet zu werden, nur um am Ende selbst mit seinen Fähigkeiten allen anderen die Show zu stehlen.     Ich hasse es, wenn Dazai zu einem vereinbarten Termin nicht erscheint und mir die Drecksarbeit überlässt, nur um am Ende den Fall mit einem Fingerschnippen zu lösen und unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Seine Art an Fälle zu gehen ist unkonventionell und unprofessionell. Trotzdem muss ich mir eingestehen, dass Dazai trotz seiner inkompetenten Arbeitsweise Fälle löst, die mich selbst überfordern. Dass dieser Taugenichts ein wichtiges Organ unseres Detektivbüros werden würde, damit hätte ich niemals gerechnet. Mein Ideal, meine moralische Vorstellung dessen, wie ein Detektiv zu sein hat, wird von diesem wankelmütigen Vagabunden in den Schatten gestellt und ich immer wieder eines Besseren belehrt.     Dazai erzählt nichts über sich. Sein Lebenslauf ist absolut sauber und ich werde das Gefühl nicht los, dass diese Nervensäge etwas verheimlicht. Ein Grund mehr, auf der Hut zu sein und ihn genaustens zu beobachten. Ich beobachte ihn. Dazai setzt ein falsches Lächeln auf und sagt selten das, was er wirklich denkt. Er bemüht sich darum, eine Rolle zu spielen. Die Rolle des charmanten Exzentrikers, der alle zum Lachen bringt und mit seinen Fähigkeiten glänzt.     Ich bin hin und hergerissen. Dazais Fähigkeiten als Detektiv sind unangefochten und er kann vieles, was niemand anderes kann, vor allem was die Beschaffung von Informationen und das Durchschauen von Gegnern angeht. Er macht Dummheiten und bringt sich selbst regelmäßig in Gefahr, es ist so, als würde er auf sein eigenes Leben keinen Cent geben. Solange er einen Fall lösen kann, sind ihm alle Mittel recht und das ist etwas, das mir Bauchschmerzen bereitet.     Denn auch Sachschäden und der Ruf der Detektei sind Dazai so ziemlich egal. Seine Kollegen (allen voran mich) vor Klienten zu blamieren, ist für diesen Taugenichts absolut in Ordnung. Seine mangelnde Ernsthaftigkeit ist ein Problem und immer wieder habe ich das Problem, dass ich mir nicht sicher sein kann, ob die Worte aus dem Mund des Brünetten nun ernst gemeint sind oder nicht. Ab und zu kommen tatsächlich hilfreiche Tipps aus seinem Mund, die ich in meinem Ideal niederschreibe und mich zum Nachdenken anregen. Doch dann macht sich dieser Kerl einen Jux aus mir und legt mich nach Strich und Faden rein. Das sind Momente, wo ich meine aufkommende Wut nicht mehr zurückhalten kann und diesen unverschämten Kerl erwürgen will und es sogar tue, weil ich urplötzlich die Kontrolle über mich selbst verliere.     Dazai schafft etwas, was kaum ein anderer zuvor geschafft hat: mich dazu zu bringen, mein eigenes Ideal zu verraten und Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen. Auf eigenartige Art und Weise fühlt es sich gut an, wenn ich hin und wieder nicht mein Ideal um Hilfe konsultiere, sondern etwas tue, wonach mir gerade der Sinn steht. Dazai durchbricht meinen idealen Tagesablauf und was als rein berufliche Zusammenarbeit beginnt, geht langsam aber sicher auch auf unser Privatleben über.     „Ein anständiger Mann ist stets ehrlich und offen, begegnet seinem Gegenüber mit Respekt und sticht mit seiner Verlässlichkeit hervor. Er ist aufmerksam und bemerkt auch die kleinsten Veränderungen und nimmt diese ernst, ermutigt seinen Gegenüber dazu, seinen eigenen Wert zu erkennen.“     Als wir das erste Mal miteinander trinken gehen, bemerke ich schnell, dass Dazai gedanklich wo anders ist. Er ist ungewöhnlich ruhig und aufmerksam, hört mir zu und zeigt seine ernste Seite und wir sprachen wie Erwachsene über unseren Job und unsere letzten Missionen. Es sind Momente wie diese, in denen ich Dazai von einer anderen Seite kennenlerne. Dazai ist weder schwarz noch weiß, er ist ein bunter Farbmisch, der selbst nicht weiß, was er vom Leben will und verzweifelt auf der Suche nach etwas ist, das ihm so etwas wie Lebensfreude schenkt. Das Konstrukt von gut und böse existiert für ihn nicht und das ist etwas, was ich ebenso abschreckend als auch faszinierend empfinde.     Ist dies der Grund, warum Fukuzawa darauf besteht, dass Dazai und ich zusammenarbeiten? Dazai durchbricht mein gewohntes Denkmuster und lässt mich Dinge sehen und erfahren, die mir zuwider sind und mich doch als Menschen wachsen lassen. Etwas in Dazai verändert mich und mit jedem weiteren Arbeitstag lerne ich, mich selbst und meine eigenen Fehler zu verzeihen. Ich lerne, mit unangenehmen und unvorhersehbaren Situationen umzugehen und mein Drang nach Perfektionismus wird durch Dazais verschrobene Art geschwächt. Plötzlich ist es gar nicht mehr so schlimm, wenn etwas nicht so klappt, wie es soll, da ich durch Dazais Hilfe andere Wege finde, Probleme zu lösen. Dazai öffnet Türen, die mir verschlossen bleiben.     Wir arbeiten seit exakt 14 Monaten und drei Tagen zusammen, als Dazai mal wieder unpünktlich zur Arbeit kommt. Vom Regen klatschnass hinterlässt er Fußspuren am Boden, sein Mantel klebt an ihm und er gibt ein klägliches Bild ab. Wie kann ein erwachsener Mann so zur Arbeit erscheinen? Am liebsten würde ich ihn ausschimpfen und ihm sagen, dass er sich gefälligst seine nassen Sachen ausziehen soll, bevor er den Marmorboden in der Detektei verdreckt, da erkenne ich etwas an Dazais Aussehen, das merklich anders ist.     Die ungekämmten Haare, tja, an die habe ich mich gewohnt. Sein ständiges Zuspätkommen, tja, auch das habe ich mehr oder weniger hingenommen. Zumindest macht er einen guten Job. Da kneife ich das ein oder andere Auge zu. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig. Der Verband, der scheinbar seinen ganzen Körper umwickelt und ihm eine mysteriöse Aura verleiht, an den habe ich mich schon längst gewöhnt und aufgehört den Sinn dahinter zu hinterfragen. Immerhin hat Dazai mehr als einmal voller Stolz verkündet, dass das andere Geschlecht durch diese Mitleidstour magisch angezogen werden würde und ja, selbst ich muss zugeben, dass Verbände Geschichten erzählen und das Interesse wecken, unabhängig des Geschlechts.     Heute ist etwas anders. Nach 14 Monaten und drei Tagen ist dieser Verband leicht verrutscht und dadurch, dass er vom Regen von oben bis unten komplett durchnässt ist, sehe ich etwas, das Dazai vermutlich zu verheimlichen versucht. Narben. Wunden. Frische Wunden, die sich in sein Fleisch schneiden. Blut. Sein Verband ist blutgetränkt. An beiden Armen blitzen rote Flecken hindurch. Ich überlege, ob ich ihn darauf ansprechen soll und entscheide mich dagegen. Der Verband verbirgt also etwas, das Dazai auf keinen Fall mit irgendjemanden teilen möchte. Einmal mehr bin ich hin und hergerissen.     „Die Geheimnisse anderer gegen ihren Willen offenzulegen, ist in höchstem Maße anmaßend und verachtungswürdig. Geheimnisse müssen respektiert werden. Das Herumschnüffeln in dem Privatleben der eigenen Kollegen ist nicht nur unprofessionell, sondern zerrüttet das Vertrauensverhältnis und macht das zukünftige Zusammenarbeiten unmöglich.“     Ich habe meine eigenen moralischen Auffassungen in der Sekunde verraten, als ich das Blut an den Armen meines Kollegen erkannt habe und die Gleichung sich löste. Dazais makabren Witze über Selbstmord und seine Selbstlosigkeit während unserer Missionen, seine Bereitschaft sich selbst in Gefahr zu bringen und verletzt zu werden, all das hat einen ernsten Hintergrund. Unentwegt grübele ich über Dazais Beweggründe und in mir baut sich ein schlechtes Gewissen auf, denn ich habe etwas gesehen, das nicht für meine Augen bestimmt gewesen ist. Dazai ist eine verlorene Seele auf der Suche nach einem Sinn im Leben.     Ich entscheide mich dazu, dass ich Dazai nicht ansprechen werde, aber weiterhin ein wachendes Auge über diesen haben werde. Dazais Laune verschlechtert sich und ich bemerke schnell, dass die makabren Witze über Selbstmordmethoden immer weniger werden. Ein scheinbar schleichender Prozess, der selbst mir entgangen wäre, hätte ich die frischen Wunden nicht gesehen. Dazai ist mit Ernst bei der Arbeit und erscheint pünktlich zum Arbeitsbeginn. Diese Wandlung notiere ich in meinem Notizbuch. 14 Monate und sieben Tage später lösen wir einen Cold Case allein durch Dazais hilfreiche Strategie und Pläne. Ein winzig kleines Detail, das mir entgangen ist, fiel ihm mit nur einem Blick auf.     Ein Monat vergeht und nach 15 Monaten und zwei Tagen erscheint Dazai nicht zur Arbeit. Es ist Montag und seit Freitag habe ich nichts mehr von ihm gehört. Nun, sein Privatleben geht mich nichts an und es gehört sich nicht, herumzuschnüffeln. Soll dieser Taugenichts in seiner Freizeit tun und lassen, was er will, solange er der Detektei mit seinem Verhalten nicht schadet.     Mehrere Textnachrichten und einige laute Sprachnachrichten später, antwortet dieser mit einem lachenden Smiley in unserer Nachrichtengruppe.       Dazai Osamu Hey, ich steck in der Klemme! :D       Kunikida Doppo Was hast du angestellt? Wo bist du?!       Ich werde hellhörig, denn dass der Brünette erst gar nicht zur Arbeit erscheint, ist mir komplett neu. Zuspätkommen? Das ist ja nun wirklich nichts Neues, aber sich nicht einmal vorher krankzumelden und sich nicht zu melden, da kann ich nicht anders, als ein bisschen besorgt zu sein. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich.       Dazai Osamu Hör zu, das ist total witzig... ich wollte mich umbringen und war so nah dran! Aber jetzt stecke ich fest. Wortwörtlich! Haha.       Im Gruppenchat werden fleißig Smileys verschickt. Ein unschuldiges „Glückwunsch“ von Kenji, der nicht weiß, dass Dazais Selbstmordversuche ein Schrei nach Hilfe und Aufmerksamkeit sind.     „Keine Lust, frag wen anders“, kommt es von Ranpo, der mich mit vielsagenden Blicken durchbohrt. Ich weiß genau, dass Ranpo von mir erwartet, nach ihm zu suchen. Der Schwarzhaarige zeigt es nicht, aber in Wirklichkeit macht er sich Sorgen. Vermutlich hat er Dazai schon längst durchschaut und weiß um die Bedeutung der weißen Baumwollverbände an seinen Armen. Ein Geheimnis, das keiner von uns beiden ausplaudert.     „Schreib nochmal, wenn du kurz vorm Abkratzen bist, dann komme ich“, ist Yosanos Antwort, mit einem teuflischen Smiley.     Tanizaki betrachtet mich. Unsere Blicke treffen sich für einen Moment.     „Was sollen wir tun? Ihm helfen? Ich... ich bin ungern mit Dazai-san allein“, erklärt der Rothaarige verlegen und wird im nächsten Moment von seiner kleinen „Schwester“ mit Küssen und lauten Liebesbeurkundungen überhäuft. Dass ihr geliebter „Bruder“ jemand anderem mehr Aufmerksamkeit schenkt als ihr, ist in ihren Augen ein Unding. Ich bin genervt. Schon wieder bringt Dazai nicht nur meinen idealen Tagesplan durcheinander, sondern macht vermutlich auch noch Zivilisten Ärger und schädigt den guten Ruf unserer Detektei.     Ein genervtes Stöhnen entweicht meiner Kehle. Ich gebe Fukuzawa Bescheid und mache mich auf die Suche nach Dazai. Dazais Antworten sind brüchig und nicht gerade aussagekräftig. Als dieser nicht mehr reagiert, mache ich mir Sorgen um meinen Kollegen, denn das Bild der frischen Verletzungen kann ich noch immer nicht abschütteln. Immer wieder tauchen diese Wunden vor meinem geistigen Auge auf. Es steht mir nicht zu, mich in Dazais Leben einzumischen und dennoch habe ich das Gefühl, etwas tun zu müssen. Schließlich bin ich der einzige, der von Dazais Geheimnis weiß, obgleich dieser so erpicht darauf ist, seine Probleme mit niemanden zu teilen. Es ist eigenartig. Einerseits will Dazai niemanden zur Last fallen, doch andererseits schickt er ihnen Nachrichten wie diese, wenn er mal wieder in der Klemme steckt.     Es wird bereits dunkel, als ich mich dazu entscheide, meinen Nachhauseweg anzutreten und die Suche aufzugeben. Dieser Taugenichts macht sich doch nur einen Spaß daraus, mich zu verhöhnen! Stundenlang bin ich durch Yokohama gelaufen, habe alle Plätze, an denen er sich sonst befindet, abgesucht. Mein kompletter Tagesplan ist durcheinander und nichts von dem, was ich heute schaffen wollte, kann ich von meiner Liste streichen. Grummelnd ziehe ich mein Ideal hervor, blättere darin und notiere mir folgende Zeilen:     • 𝓓𝓪𝔃𝓪𝓲 𝓱𝓪𝓽 𝓶𝓲𝓬𝓱 𝓻𝓮𝓲𝓷𝓰𝓮𝓵𝓮𝓰𝓽 𝓾𝓷𝓭 𝓶𝓲𝓬𝓱 𝓭𝓲𝓮 𝓰𝓪𝓷𝔃𝓮 𝓢𝓽𝓪𝓭𝓽 𝓷𝓪𝓬𝓱 𝓲𝓱𝓶 𝓪𝓫𝓼𝓾𝓬𝓱𝓮𝓷 𝓵𝓪𝓼𝓼𝓮𝓷 • 𝓓𝓲𝓮 𝓢𝓾𝓬𝓱𝓮 𝔀𝓪𝓻 𝓮𝓻𝓯𝓸𝓵𝓰𝓵𝓸𝓼 𝓘𝓬𝓱 𝓭𝓪𝓻𝓯 𝓶𝓲𝓬𝓱 𝓭𝓪𝓿𝓸𝓷 𝓷𝓲𝓬𝓱𝓽 𝓪̈𝓻𝓰𝓮𝓻𝓷 𝓵𝓪𝓼𝓼𝓮𝓷.     𝓐𝓱, 𝔀𝓲𝓮 𝓼𝓮𝓱𝓻 𝓲𝓬𝓱 𝓶𝓲𝓬𝓱 𝓭𝓪𝓷𝓪𝓬𝓱 𝓼𝓮𝓱𝓷𝓮, 𝓲𝓱𝓶 𝓮𝓲𝓷𝓮 𝓻𝓮𝓲𝓷𝔃𝓾𝔀𝓾̈𝓻𝓰𝓮𝓷 𝓾𝓷𝓭 𝓲𝓱𝓷 𝓯𝓾̈𝓻 𝓼𝓮𝓲𝓷 𝓴𝓲𝓷𝓭𝓲𝓼𝓬𝓱𝓮𝓼, 𝓾𝓷𝓪𝓷𝓰𝓮𝓫𝓻𝓪𝓬𝓱𝓽𝓮𝓼 𝓥𝓮𝓻𝓱𝓪𝓵𝓽𝓮𝓷 𝔃𝓾 𝓼𝓬𝓱𝓮𝓵𝓽𝓮𝓷! 𝓩𝓪̈𝓱𝓵𝓮 𝓫𝓲𝓼 𝓩𝓮𝓱𝓷. 𝓑𝓵𝓮𝓲𝓫𝓮 𝓻𝓾𝓱𝓲𝓰.     Plötzlich eine Nachricht von dem Brünetten. Nicht in unserer Gruppe, sondern nur an mich gerichtet. Ich hoffe für diesen Taugenichts, dass er sich seine Worte gut überlegt hat und sich aufrichtig für den Ärger, den er mir einmal mehr gemacht hat, entschuldigt! In mir brodelt Zorn und Zähne knirschend öffne ich die Textnachricht.     „Abgestürzt“, ist alles, was in dieser Nachricht steht. Verwirrt. Ich bin verwirrt und verstehe diesen Kerl nicht. Ist er in Gefahr? Der Zorn, der mir bis eben noch ins Gesicht geschrieben stand, verschwindet urplötzlich und ich fühle ein Unbehagen in mir aufkommen.     Hart schluckend wähle ich Dazais Handynummer, innerlich flehend, dass dieser rangeht. Erst beim dritten Versuch hebt dieser ab, doch antwortet nicht. Mein Geduldsfaden reißt und ich verliere einmal mehr die Kontrolle, vor lauter Sorge brülle ich geradezu in den Hörer und verlange von dem Brünetten, mir auf der Stelle zu sagen, wo er sich aufhält. Dazai antwortet nicht, aber ich glaube, ein leises Schluchzen wahrgenommen zu haben. Scharf atme ich ein und ermahne mich, wieder zur Ruhe zu kommen, denke an dein Ideal. Dazai ist abgestürzt. Wie tief ist der Sturz gewesen? Welche Verletzungen sind möglich? Geben Hintergrundgeräusche irgendetwas über Dazais Standort preis? Erneut lausche ich dem Hörer.     „Hilf mir“, kommt es flüsternd von der anderen Seite und mein Magen zieht sich schmerzhaft zusammen. Dazai zeigt niemals Angst und läuft mit offenen Armen ins gegnerische Feuer, ohne Rücksicht auf Verluste oder sein eigenes Leben. Dass dieser sonst immer lachende Kerl, der nichts und niemanden ernst nimmt, nun Tränen vergießt und hilflos und allein seinem Ende entgegen sieht, lässt selbst mir das Blut in den Adern gefrieren. Dazai Osamu ist ein Ärgernis, das nur dafür lebt, meinen Tagesplan durcheinander zu bringen.     „Tu, was getan werden muss. Wenn es in deiner Macht steht, ein Leben zu retten, dann zögere nicht.“     „Dazai“, ist alles was ich hervorbringe. Jetzt bemerke ich erst, dass ich meinen Atem angehalten habe. Mein Herz rast. Dazai braucht Hilfe. Ihm diese Hilfe zu verweigern, ist nicht ideal. Auch wenn ich diesen wankelmütigen Kerl nicht gut leiden kann und er mir ordentlich auf den Zeiger geht, würde ich es mir niemals verzeihen können, würde er sterben, vor allem wenn ich die Möglichkeit habe, ihn zu retten.     „Wo bist du“, frage ich und hoffe auf eine eindeutige Antwort.     „Es tut mir leid“, wimmert Dazai und ich bin mir sicher, dass er eine Kopfverletzung erlitten haben muss, die es ihn unmöglich macht, geradeaus zu denken.     „Wo bist du?!“, wiederhole ich lauter.     „Aokigahara“, flüstert Dazai und in mir keimt Entsetzen.     Aokigahara ist ein Wald, der am sich Fuße des Fuji befindet. An der Nordseite des Berges und westlich des Saiko-Sees und nordöstlich des Shōji-Sees. Ein Touristengebiet mit wunderschöner Flora und Fauna und Höhlen, die von Mythen umgeben sind. Die Narusawa-Eishöhle, die ganzjährig Stalaktiten aus Eis beherbergt und ein malerisches Bild erzeugt und als Naturdenkmal verstanden wird. Auch die Fugaku-Windhöhle, in der glitzernde Eisformationen betrachtet werden können und in der es kein Echo gibt, gehört zu den beliebten Touristenspots. Wer einen Fuß in diese Höhle setzt, macht sich auf in eine andere Welt, so heißt es in der Bevölkerung und ich würde dieses Urteil niemals anzweifeln, sofern ich es nicht widerlegen kann. Die Drachenpalasthöhle, in dessen Tiefen sich ein Schrein zu Ehren Toyotama-hime no mikoto befindet und die aufgrund ihrer Einsturzgefahr für Besucher streng untersagt ist.     Das sind lediglich die berühmtesten Höhlen, doch der Wald beherbergt viel mehr Geheimnisse. Unterhalb der Wurzelwerke der Bäume soll es zig verschiedene Höhleneingänge geben, in denen die Geister der Verstorbenen, die in diesem Wald vor Jahrhunderten ausgesetzt und zum Sterben zurückgelassen wurden, hausen. Verirrte Seelen, die nie Frieden finden konnten. Menschen, die bis zum heutigen Tage zwischen dem Diesseits und der Nachwelt wandern und niemals einen Ausweg finden werden. Mythen, die diesen Wald betreffen, gibt es viele. Der Wald ist gerade mal 1200 Jahre alt und doch ist er eine Berühmtheit.     Aokigahara hat Bäume, die weit über 200 Jahre alt sind und ein Terrain, das schwer begehbar ist. Die hohe Luftfeuchtigkeit dort lässt Pilze gedeihen und Moos wuchern.     Aus welchem Grund sollte jemand wie Dazai zu diesem Wald gehen?     Mein Blick verfinstert sich.     Nein, ich will es nur nicht wahrhaben. Aokigahara mag ein beliebtes Touristenziel sein und mit einzigartiger Flora und Fauna begeistern, doch ein jeder kennt die Schreckensgeschichten und die traurige Wahrheit hinter der Beliebtheit des Waldes. Dieser Wald ist bekannt für seine Besucher, die mit dem Leben abgeschlossen haben und ihr Ende suchen. Ein Wald der Selbstmörder. Ein verfluchter Wald, in dem tausende Geister und Dämonen hausen. Verirrte Seelen, die nicht in das Jenseits gefunden haben und für immer und ewig in den Wäldern verzweifelt nach Erlösung suchen werden.     Dazai ist dort nicht als Tourist. Mein Herz klopft unaufhörlich und ich fühle mich schuldig. Was hätte ich tun können, um dies zu verhindern? Kann ich überhaupt irgendetwas tun? Dazai will keine Hilfe und ihm zu helfen, ist ein Ticket in den Untergang ohne Rückreise. Man kann nicht jeden retten. Manche Menschen können nicht gerettet werden. So ist das nun mal. Ich bin kein Superheld, sondern ein Privatdetektiv. Wenn Dazai unbedingt sterben will, soll er doch!     Bei diesen Gedanken dreht sich mein Magen wieder um und mein Kopf schmerzt. Ich suche nach einer Ausrede, um ihn in Stich zu lassen, doch der Gedanke ihn hängen zu lassen, setzt mir arg zu. Denn Dazai hat in seiner Not seine Hand nach mir ausgestreckt. Was für ein Mensch wäre ich, diesen Hilferuf zu ignorieren? Ich bin ein Realist, der nach Idealen strebt. Selbstmord ist keine Lösung. Mein Ideal ist meine Waffe und meine Lösung. Ich werde Dazai retten und ihm klarmachen, wie dumm seine Entscheidung allein in diesen Wald zu gehen, gewesen ist!     • 𝓓𝓪𝔃𝓪𝓲 𝓫𝓮𝓯𝓲𝓷𝓭𝓮𝓽 𝓼𝓲𝓬𝓱 𝓲𝓷 𝓐𝓸𝓴𝓲𝓰𝓪𝓱𝓪𝓻𝓪 • 𝓭𝓪𝓼 𝓲𝓼𝓽 𝓪𝓵𝓵𝓮𝓼 𝓪𝓷𝓭𝓮𝓻𝓮 𝓪𝓵𝓼 𝓲𝓭𝓮𝓪𝓵     𝓦𝓪𝓷𝓷 𝓷𝓾𝓻 𝔀𝓲𝓻𝓭 𝓮𝓻 𝓪𝓾𝓯𝓱𝓸̈𝓻𝓮𝓷, 𝓶𝓮𝓲𝓷 𝓛𝓮𝓫𝓮𝓷 𝓭𝓾𝓻𝓬𝓱𝓮𝓲𝓷𝓪𝓷𝓭𝓮𝓻 𝔃𝓾 𝓫𝓻𝓲𝓷𝓰𝓮𝓷? 𝓘𝓬𝓱 𝓫𝓲𝓷 𝓼𝓮𝓲𝓷 𝓟𝓪𝓻𝓽𝓷𝓮𝓻, 𝓼𝓸𝓶𝓲𝓽 𝓲𝓼𝓽 𝓮𝓼 𝓶𝓮𝓲𝓷𝓮 𝓟𝓯𝓵𝓲𝓬𝓱𝓽, 𝓲𝓱𝓷 𝔃𝓾 𝓻𝓮𝓽𝓽𝓮𝓷 𝓾𝓷𝓭 𝓲𝓱𝓶 𝓥𝓮𝓻𝓷𝓾𝓷𝓯𝓽 𝓮𝓲𝓷𝔃𝓾𝓹𝓻𝓾̈𝓰𝓮𝓵𝓷.       Sobald ich ihn gefunden habe, kann er sich auf eine Standpauke gefasst machen! Kapitel 2: ----------- Es ist 22 Uhr, die Sterne am Himmel glitzern wie funkelnde Diamanten und lassen mich zur Ruhe kommen. Eine wunderschöne, ruhige Nacht, wenn nur mein Kollege Dazai Osamu nicht wäre. Ich habe eine Nachricht an unsere volljährige Mitglieder geschrieben und die Situation erläutert. Yosano hat abgesagt. Keine Lust durch einen Wald mitten in der Nacht zu wandern. Naomi hat für ihren „Bruder“ abgesagt. Nun, ich verüble es ihnen nicht, schließlich ist es spät in der Nacht und Kinder sollten um diese Zeit schlafen. Tanizaki mag volljährig sein, aber ich persönlich denke, dass er tief in seinem Inneren noch ein Kind ist. Somit bleiben nur noch Fukuzawa und Ranpo. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es Zeit ist, aufzubrechen. In meinem Rucksack befinden sich Medikamente, ein Erste-Hilfe Set, Wasser, Nahrung, eine Karte des Waldes, ein Handy, ein Kompass und eine Taschenlampe. Ich fühle mich wie der Protagonist in einem schlechten Horrorfilm.     Habe ich erwähnt, dass ich Horrorfilme nicht leiden kann? Auch Geister und all dieser überirdische Unsinn jagen mir Schauer über den Rücken. Angeblich spuckt es in Aokigahara. Woher kommt dieser plötzliche Schüttelfrost? Wäre es nicht besser, die Polizei und Bergwache zu benachrichtigen und den Profis diese Aufgabe zu überlassen? Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter und hebe den Blick. Fukuzawa steht vor mir.     „Man kommt nicht jeden Tag dazu, einen Wald zu besuchen. Nutzen wir diese Gelegenheit, um neue Einblicke zu gewinnen und unseren Geist zu stärken“, sagt er mit ernster Miene.     „Aber ist es mitten in der Nacht, Fukuzawa! Ich hoffe für dich, dass meine Belohnung üppig ausfällt!“, grummelt Ranpo, der scheinbar mit Süßigkeiten bestochen wurde, um das Team zu verstärken.     Kenji wäre sicherlich eine gute Ergänzung für unser Team und die Suche nach Dazai, aber als verantwortungsvoller Erwachsener ist es meine Pflicht, darauf zu achten, dass Kinder zu festen Zeiten ins Bett kommen. 21 Uhr ist die perfekte Bettzeit. Ein vierzehnjähriger Junge sollte um diese Zeit schon längst schlafen und am nächsten Morgen voller Elan erwachen.     Ich verneige mich leicht vor dem Präsidenten und bedanke mich mehrmals bei Ranpo. Mit seiner Auffassungsgabe wird es ein Leichtes sein, Dazai zu finden. Es ist fast Mitternacht als wir mit der Schnellstraße auf dem Parkplatz von Aokigahara antreffen. Die Bergwache wartet bereits auf uns und erklärt, dass niemand nachts nach Vermissten sucht, da das Gebiet aufgrund des Boden und des Waldesinneren zu gefährlich sei, es in der Dunkelheit zu durchforsten. Man versichert uns, dass, sobald die Sonne aufgeht, ein weiterer Suchtrupp antreffen wird.     Der Boden des Waldes ist dicht und üppig mit Farnen und Moos überwuchert, jeder Schritt ist gedämpft und es ist leicht, einander aus den Augen zu verlieren. Fukuzawas Gesichtsausdruck ist unverändert, mit seinen scharfen Blick scheint er die Umgebung abzusuchen und ich höre, dass Ranpo genervt stöhnt. Das Waldesinnere hat ein urwaldhaftes Aussehen und die Geräusche von Tieren, sowie das Rascheln von herabfallenden Blättern lassen mich jedes Mal aufschrecken.     Jedes Jahr werden in diesen Wäldern Leichen gefunden. Menschen, die so verzweifelt gewesen sind, dass sie Selbstmord als einzige und letzte Option gewählt haben. Die genauen Zahlen an Opfern ist nicht einmal bekannt, denn das dichte Unterholz des Waldgrundes macht es fast unmöglich, sich hier zu bewegen. Da der Waldboden zudem äußerst uneben, porös und durchzogen von Höhlungen und Spalten ist, besteht auch ein gewisses Risiko zu verunglücken.     „Uuuuuh~“     Ich schrecke auf, mein ganzer Körper versteift sich und eine Gänsehaut bildet sich an meinem ganzen Körper. Für einen Moment bin ich wie eingefroren. Die Umgebung ist still, nichts bewegt sich und selbst das Rascheln der Bäume scheint verstummt. Meinen ganzen Mut fassend, umklammere ich die Taschenlampe in meiner Hand noch fester, drehe mich um meine eigene Achse und versuche in dem dunklen Gestrüpp die Ursache des Geräusches aus zu machen. Es ist nichts zu sehen. Das Licht meiner Taschenlampe reicht nicht tief genug ins Dickicht, ich erkenne lediglich die Silhouetten der Bäume. Woher ist das Geräusch gekommen? Es muss eine logische Erklärung dafür geben.     „UUUUUH!“     Lauter, fordernder ist die geisterhafte Stimme nun. Geisterhaft? Unsinn! Geister gibt es nicht! Erneut drehe ich mich um meine eigene Achse und dieses Mal landet der Lichtstrahl direkt in Fukuzawas Augen, sodass dieser die Augen zusammekneift und mich perplex ansieht.     „Stimmt etwas nicht, Kunikida? Brauchst du eine Pause?“, fragt mich mein Boss und sieht mich eindringlich ein. Ein klares Kopfschütteln. Hat er dieses Geräusch nicht gehört? Bin ich der einzige, der diese gar unweltlichen Geräusche wahrgenommen hat? Ein Geist? Vielleicht ein Yūrei, der nach seinem Tod nach Frieden sucht und zwischen den Welten wandert? Meine Atmung ist stoßartig und ich versuche mich von diesem Gedanken, der sich langsam in meinem Gehirn ausbreitet und meinen Geist verklärt, zu lösen, doch wie so oft, dringt dieser Gedanke immer wieder durch. Alles nur Einbildung. Doch was, wenn nicht … ?     „UhUhhUU“, höre ich die Stimme und vernehme einen leichten Windzug an meinem Ohr. Es fröstelt mich am ganzen Körper. Es spricht also direkt zu mir. Mein gesunder Menschenverstand schaltet sich nun ab, allein mein Überlebensinstinkt bleibt übrig. Irgendetwas ist hinter mir und ohne weiter nachzudenken, packe ich dieses Etwas und werfe es vor mich. Als Kampfkünstler weiß ich mich zu verteidigen und werde die Bedrohung nun ausschalten. Verwundert reiße ich meine Augen auf.     Mit dem Hintern in die Höhe ragend, sehe ich lediglich Ranpo am Boden liegen, der schimpft und sich nur langsam aufrichtet.     „Man, du verstehst echt keinen Spaß! Du Spießer!“, sagt er und zeigt beschuldigend mit dem Finger auf mich. Verwirrt blinzele ich, meine Brille rutscht mir von der Nase und ich betrachte meinen Gegenüber mit weit aufgerissenen Mund.     „Ranpo-san“, hauche ich, doch mein gesunder Menschenverstand macht immer noch Urlaub.     „Ranpo!“, keift Fukuzawa und stampft direkt vor den Schwarzhaarigen, der eingeschüchtert zusammenzuckt.     „Dazai ist in Gefahr und wir sind hier um ihm zu helfen! Wir haben nun wirklich keine Zeit für deine kindischen Streiche! Konzentriere dich auf unsere Mission!“, kommt es autoritär von ihm und erst jetzt macht es so richtig Klick in meinem Kopf. Ich nicke mir selbst zu, ziehe mein Notizbuch hervor.     𝓔𝓼 𝓰𝓲𝓫𝓽 𝓴𝓮𝓲𝓷𝓮 𝓖𝓮𝓲𝓼𝓽𝓮𝓻. 𝓢𝓪̈𝓶𝓽𝓵𝓲𝓬𝓱𝓮 𝓢𝓹𝓾𝓴𝓰𝓮𝓼𝓬𝓱𝓲𝓬𝓱𝓽𝓮𝓷 𝓼𝓲𝓷𝓭 𝓷𝓲𝓬𝓱𝓽𝓼 𝔀𝓮𝓲𝓽𝓮𝓻 𝓪𝓵𝓼 𝓮𝓻𝓯𝓾𝓷𝓭𝓮𝓷𝓮 𝓢𝓬𝓱𝓪𝓾𝓮𝓻𝓶𝓪̈𝓻𝓬𝓱𝓮𝓷, 𝓾𝓶 𝓜𝓮𝓷𝓼𝓬𝓱𝓮𝓷 𝔃𝓾 𝓮𝓻𝓼𝓬𝓱𝓻𝓮𝓬𝓴𝓮𝓷. 𝓔𝓼 𝓰𝓲𝓫𝓽 𝓴𝓮𝓲𝓷𝓮 𝓖𝓮𝓲𝓼𝓽𝓮𝓻. 𝓔𝓼 𝓰𝓲𝓫𝓽 𝓼𝓲𝓮 𝓷𝓲𝓬𝓱𝓽. 𝓛𝓪𝓼𝓼 𝓭𝓲𝓬𝓱 𝓷𝓲𝓬𝓱𝓽 𝓿𝓸𝓷 𝓼𝓸 𝓮𝓽𝔀𝓪𝓼 𝓑𝓪𝓷𝓪𝓵𝓮𝓶 𝓿𝓸𝓷 𝓭𝓮𝓲𝓷𝓮𝓻 𝓜𝓲𝓼𝓼𝓲𝓸𝓷 𝓪𝓫𝓵𝓮𝓷𝓴𝓮𝓷!     „Es ist schon in Ordnung, Shachou. Ranpo-san, ich muss mich, sobald wir hier raus sind und Dazai in Sicherheit ist, bei dir revanchieren. Ganz egal, was du haben möchtest, ich werde dir jeden Wunsch erfüllen.“     Ranpos Augen glitzern und im nächsten Moment erscheint ein schmieriges Grinsen auf seinem Gesicht, das mir etwas Sorge bereitet. Nicht weiter darüber nachdenken. Unsere Mission ist es jetzt, Dazai in diesem schaurigen Wald zu finden. In der Ferne kann ich herumfliegende Lichter wahrnehmen. Der Gedanke, dass es sich um etwas Übersinnliches handeln könnte, kommt mir überhaupt nicht in den Sinn. Wäre ja lächerlich! Als wir den Lichtern näherkommen, stellen sie sich als kleine Glühwürmchen heraus. Ich bin verzückt von diesem Anblick. Ihre goldenen Lichter haben etwas Magisches an sich, gerne würde ich länger bleiben und diese Erfahrung mit jeder Faser meines Körpers genießen, doch irgendwo da draußen steckt Dazai in Gefahr.     „Das Buch, das Dazai immer bei sich trägt“, bricht Fukuzawa die Stille und wirkt nachdenklich.     „Complete Suicide Manual von Tsurumi Wataru“, kommt es vergnügt von Ranpo, der sich neugierig umsieht und mit seiner Taschenlampe hin und herflackert. Wir können froh sein, dass er mit seinem Gefuchtel noch keine wilden Tiere aufgeschreckt hat. Nun, sowohl Fukuzawa als auch ich sind Kämpfer und zur Not kann ich mit meinem Notizbuch eine Waffe hervorbringen, die einen angreifenden Bären oder einen tollwütigen Fuchs sanft zur Ruhe bringen kann. Keine einzige Waffe in meinem Ideal besitzt die Fähigkeit zu töten.     „Was ist damit?“, frage ich nun nach und bemerke, dass wir uns dem verbotenen Teil des Waldes nähern. Eine Polizeiabsperrung und ein Schild warnen Besucher davor, diesen Weg zu betreten. Kein gesunder Mensch würde auf die Idee kommen, all diese Warnungen zu ignorieren. Doch jemand, der keinen Sinn in seinem Leben mehr sieht, würde sich davon nicht abschrecken lassen. Wir betreten den abgesperrten Bereich und sofort wird klar, dass der vorherige Teil des Waldes ein Spaziergang war. Nicht nur ist der Boden hier feucht und uneben, was das Vorankommen ungemein erschwert, sondern wachsen wilde Pflanzen und Brennesseln an allen Ecken und Enden. Das Surren von Insekten dringt zu mir. Mücken.     Ich zücke mein Notizbuch hervor und schreibe einen Satz, der mir irgendwann in der Zukunft nützlich sein wird:     𝓜𝓮𝓶𝓸 𝓪𝓷 𝓶𝓲𝓬𝓱 𝓼𝓮𝓵𝓫𝓼𝓽: 𝓘𝓷𝓼𝓮𝓴𝓽𝓮𝓷𝓼𝓬𝓱𝓾𝓽𝔃 𝓶𝓲𝓽𝓷𝓮𝓱𝓶𝓮𝓷, 𝔀𝓮𝓷𝓷 𝓲𝓬𝓱 𝔀𝓪̈𝓱𝓻𝓮𝓷𝓭 𝓮𝓲𝓷𝓮𝓻 𝓜𝓲𝓼𝓼𝓲𝓸𝓷 𝓲𝓷 𝓭𝓲𝓮 𝓝𝓪𝓽𝓾𝓻 𝓸𝓭𝓮𝓻 𝓦𝓪𝓵𝓭𝓰𝓮𝓫𝓲𝓮𝓽𝓮 𝓶𝓾𝓼𝓼.     Es ist ärgerlich, dass ich an so etwas Banales nicht zuvor gedacht habe. Dieser verdammte Taugenichts bringt meinen gesamten Tagesplan durcheinander und macht es mir unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Wenn er nicht wäre, hätte ich niemals vergessen, Mückenspray mitzunehmen. Ich stoppe bei diesem Gedanken abrupt. Wenn Dazai nicht wäre, würde ich nicht um 2 Uhr nachts durch einen verfluchten Selbstmörderwald umherwandern. Dieser Kerl lebt auch nur, um anderen Ärger zu machen!     Meine Zähne knirschen und ich trampele vor Wut auf und ab, um meinen Ärger irgendwie Luft zu machen, denn wie sonst, soll ich all diesen Dampf ablassen? Ich befürchte, dass ich aufgrund meines idiotischen Partners meine Haltung verliere und mein Temperament nicht mehr unter Kontrolle habe. Selbst mein kleiner Zopf, den ich adrett zusammenbinde und ordentlich kämme, verwandelt sich einen zerzausten Blitz. So weit ist es wegen ihm schon gekommen! Was kommt als Nächstes? Mutiere ich zu einem Drachen?     Meinen Gedanken folgend, bemerke ich etwas, das im Licht meiner Taschenlampe aufleuchtet.     „Hey, was ist das?“, fragt Ranpo und legt den Kopf schief. Vermutlich weiß er es schon, will aber sehen, welche Schlüsse wir ziehen, nur um uns auszulachen, wenn wir falsch liegen. Manchmal ist Ranpo wie ein kleines Kind.     „Sieht nach einem Verband aus“, meint Fukuzawa und nimmt das Stück Stoff, das an einem Ast festhängt, ab.     „Das sehe ich selbst“, grummelt Ranpo und zieht die Augenbraue in die Höhe.     „Ich meine das da“, sagt er dann und zeigt mit seinem Zeigefinger durch das Gestrüpp.     „Moment, das sieht aus wie eine Rettungsleine“, kombiniere ich.     Jemand hat mit seinem Verbänden einen Weg markiert. Eine lange Verbandsrolle wurde ausgerollt und an einigen Ästen, Sträuchern und Bäumen befestigt, um einen Weg zu markieren. Sofort kommt mir das grinsende Gesicht meines verschollenen Kollegen in den Sinn.     „Das machen unentschlossene Suizidgefährdete häufiger, wenn sie sich nicht vollkommen sicher sind, ob sie bereit sind, alles zu beenden“, erklärt Fukuzawa und erleuchtet den Weg und wirft einen genauen Blick in den Wald.     „Wenn wir dieser Spur folgen, finden wir vielleicht Dazai.“     „Es ist einen Versuch wert.“     Wir laufen seit mehreren Minuten wortlos der Spur hinterher. Jeder von uns folgt seinen eigenen Gedanken und ich lasse gedanklich das Gespräch von zuvor Revue passieren. Mir wird klar, dass ich Fukuzawas Frage nicht beantwortet habe und versuche das Thema erneut anzusprechen.     „Shachou, wegen dem Buch, das Dazai immer bei sich trägt“, beginne ich und hoffe, dass ich diese Situation nicht unnötig unangenehm mache.     „Complete Suicide Manual ist eine Anleitung für verschiedene Selbstmordmethoden. Meines Wissens nach, erwähnt der Autor des Buches diesen Wald als perfekten Ort für ein friedliches Ableben.“     „Das ist doch absurd.“     „Nun, ich kann nicht verleugnen, dass dieser Wald eine beruhigende Wirkung hat. So fern von der Moderne und dem Druck unserer Gesellschaft.“     „Shachou, wollen Sie etwa sagen, dass Sie Dazais Entschluss, sich umbringen zu wollen, gutheißen?“     „Nein, aber ich kann verstehen, warum er diesen Ort auswählen würde. Es ist schön hier.“     „Unsinn, hier ist rein gar nichts friedlich oder schön. Der Wald ist einfach nur creepy. Ich bin mir sicher, dass früher oder später ein Oni uns anspringt und unsere Seelen frisst.“     Bei dem Gedanken schüttelt es mich. Ranpo grinst zufrieden.     „Lasst uns diesen Idioten finden und von hier abhauen“, bringe ich über meine Lippen.     Alte Zweige knacken bei jedem Schritt, den wir tiefer in den Wald vordringen. Überall abgestorbene Blätter und der Sternenhimmel, der bis vor einigen Minuten noch auf uns herab geblickt hat, beginnt sich hinter einer dunklen Wolkendecke zu verstecken, während ein leichter Nebel uns die Sicht erschwert. Unsere Taschenlampen weisen uns nicht mehr den Weg. Fukuzawa bleibt stehen und berührt vorsichtig einen halb umgekippten Baum, streicht mit seiner Hand über das morsche Holz und gibt uns zu verstehen, für den Moment innezuhalten. Ich hinterfrage seine Handlung nicht, sondern hole meinen Kompass hervor. Ich beleuchte diesen mit dem fahlen Licht der Taschenlampe und observiere das Gerät in meinen Händen genau. Die Kompassnadel dreht sich wild im Kreis und kommt nicht zu Stehen. Vorsichtig tippe ich gegen das Glas, sodass die Nadel ein Mal kurz stehen bleibt, ehe sie sich weiter pausenlos dreht.     Meine Gedanken werden unterbrochen von Ranpos lautem Gähnen, der mit dem Zeigefinger an dem Verband rumzupft. Er zieht an dem Stoff und lässt diesen zurückschnellen, sichtbar enttäuscht darüber, dass der Baumwollstoff kein merkbar lautes Geräusch verursacht, wie es ein Gummiband würde. Sein Grummeln bringt mich zum Schmunzeln. Ich werfe einen weiteren Blick auf den Kompass.     „Irgendetwas stimmt nicht“, höre ich Fukuzawa sagen, der sich zu uns dreht und uns wie immer ernst ansieht, in seinen Augen brennt ein Feuer und ich nickte ihm bestätigend zu.     „Der Kompass spinnt, der plötzliche Nebel ist verdächtig und ich glaube, dass wir im Kreis laufen“, erkläre ich und ernte einen verdutzten Blick von Ranpo. Ranpo gehört zu der Sorte der Mensch, die sich auf dem Weg zum Kühlschrank in den Dachboden verirren, deshalb erwarte ich auch von ihm nicht, diese Absonderlichkeit bemerkt zu haben. Doch Fukuzawa nickt mir zu, überkreuzt seine Arme und senkt seinen Blick.     „Ich habe diesen Baum vor wenigen Minuten markiert, dort ein Zeichen eingeritzt. Obwohl wir dem Verband folgen, sind wir an diesem exakten Baum nun schon zum zweiten Mal vorbei gekommen.“     „Vielleicht führt der Verband nur im Kreis herum?“, kommt es von Ranpo, der sich nun nachdenklich das Kinn reibt und dann seinen Kopf schief legt.     Ich gehe auf die Knie, lasse meine Hände über den Boden wandern und verfolge die Fußabtritte, die wir hinterlassen haben. Sie führen weder vor noch zurück. Sie befinden sich lediglich in zwei Metern Radius um uns herum, was bedeuten würde, dass wir diese Stelle noch nicht verlassen haben. Doch das kann nicht sein. Könnte es ein Fluch eines verirrten Geistes sein? Unsinn!     Fieberhaft denke ich nach und suche nach einer Antwort. In Wäldern wie diesen gibt es garantiert giftige Pflanzen, die Wahnvorstellungen hervorrufen. Ist es möglich, dass wir die Sporen eines Pilzes eingeatmet haben und das Gift unsere Sinne nun täuscht? Diesen Gedanken verwerfe ich schnell wieder, denn die Wahrscheinlichkeit, dass drei Personen rein zufällig ein und dieselbe Illusion erleben, erscheint mir zu gering, als dass ich sie überhaupt in Erwägung ziehen wollen würde.     Rasch setze ich meinen Rucksack ab und ziehe die Karte des Waldes hervor. Es sind lediglich die Wege eingetragen, die von Touristen benutzt werden und da wir uns im Sperrgebiet befinden, müssen wir uns anhand der Fluss- und Bergketten orientieren.     „Wir sind ungefähr dort reingekommen“, sagt Fukuzawa und zeigt mit dem Finger auf die Stelle.     „Wir laufen seit ungefähr 20 Minuten im durchschnittlichen Schritttempo geradeaus, also müssten wir demnach hier sein“, meine ich und klemme nun meine Taschenlampe zwischen meine Wange und die Schulter, um so meine Hände frei zu haben und die Karte weiter ausklappen zu können.     „In ungefähr 300 Meter ist ein Fluss“, kombiniert Fukuzawa.     „Sagt bloß nicht, wir haben uns verlaufen?!“, meckert Ranpo und stöhnt laut.     Suchend lasse ich meinen Blick umherschweifen, schenke meinem motzenden Kollegen kein Gehör. Das Gebiet ist dicht mit Bäumen umwachsen und das Blätterwerk lässt kaum bis gar kein Licht zum Waldboden hindurch, nicht, dass ich bei diesem plötzlichen Nebel etwas Anderes erwartet hätte, doch diese gar unnatürliche Stille inmitten des Waldes macht mich unruhig. Mit jedem Schritt, den wir tiefer eindringen, desto ruhiger wird es. Es ist totenstill hier. Nicht einmal die Waldtiere geben Laute von sich, was in meinem Unterbewusstsein erneut den Gedanken aufkeimen lässt, dass Ranpo mit seiner Mutmaßung, dass wir von Oni gefressen werden könnten, durchaus Recht haben könnte. Natürlich akzeptiere ich diesen Gedanken nicht. Ich? Und an Geister glauben? Ich bin Detektiv, es ist mein Job das Gegenteil dieser paranormalen Dinge darzulegen und auch ein volkstümlicher Aberglaube wird meine Überzeugung nicht erschüttern.     Wir gehen weiter, folgen dem Verband und fassen den Entschluss, einen anderen Weg einzuschlagen, sollten wir erneut bei diesem Baum, den Fukuzawa markiert hat, landen. Der Weg vor uns ist mühselig, wir gehen hintereinander her und achten darauf, einander nicht aus den Augen zu verlieren. Der Nebel tut sein Übriges und stellt mir ein wenig die Nackenhaare auf, denn durch den vernebelten Schein der Taschenlampe erscheint das kleinste Gestrüpp wie eine Monstrosität einer anderen Dimension. Gerade als ich mich einigermaßen gefasst habe und gedanklich über diesen Ärger fluche, bewegt sich etwas hinter dem Baum. Rasch richte ich meine Taschenlampe in diese Richtung. Ein menschenähnliches Wesen, das uns direkt anstarrt und dann verschwindet.     Eiskalter Schweiß läuft mir über die Stirn.     „Habt ihr das auch gesehen?“, frage ich meinen Boss und tippe an dessen Schulter. Dieser zieht fragend die Augenbraue in die Höhe, während sich Ranpo über mich lustig macht. Was habe ich dort im Dickicht gesehen? War es nur ein Streich meines Unterbewusstseins, das mir unbedingt einreden möchte, dass der Wald verflucht ist? Den Gedanken muss ich endlich begraben. Plötzlich laufe ich gegen Fukuzawa, der stehengeblieben ist und den halb umgefallenen Baum begutachtet.     „Schon wieder hier?!“, murrt Ranpo und schimpft weiter, doch ich habe gelernt, sein ewiges Gemecker zu filtern und nehme ihn nur flüchtig wahr.     „Das ist derselbe Baum und meine Schnitzerei ist auch hier, aber“, murmelt Fukuzawa.     Vorsichtig trete ich näher. In der Baumrinde steht etwas geschrieben:     „Du musst nicht alleine leiden.“     Ich spüre jegliche Farbe aus meinem Gesicht entweichen.     Die riesigen Wurzeln der Bäume macht es uns unsagbar schwer voranzukommen und Ranpo setzt sich einfach hin und schimpft, er will nicht weiter laufen und meint, dass wir bis zum Morgengrauen warten sollen. Wenn ich nicht wüsste, dass Dazai in Gefahr ist, würde ich ihm sofort zustimmen, denn das Vorankommen ist beinahe unmöglich. Die Bäume des Waldes wachsen so dicht aneinander, dass das Wurzelwerk am Boden sich bereits ineinander verkeilt. Hier und da ist der Boden so weich, dass ich fürchte, wir könnten bei jedem falschen Schritt in die Hölle stürzen. Die scheinbare Endlosigkeit der Natur erschwert mein Gemüt, es fühlt sich so an, als wäre ich weit, weit weg von der Welt, in der ich sonst lebe.     „Dazai ist zwischendurch an sein Handy gegangen, nicht wahr?“, erklärt Fukuzawa und zieht nun sein eigenes Handy hervor. Das Display leuchtet und wischt mehrmals über die Oberfläche, ehe er mir den Bildschirm zeigt. Kein Empfang. Plötzlich hinterfrage ich Dazais Nachrichten. Ist er wirklich in Aokigahara? Hat sich unser Neuling vielleicht nur einen schlechten Scherz erlaubt? Tausende Gedanken gehen mir durch den Kopf. Ist das ein grotesker Witz, ein weiterer Versuch mich erneut reinzulegen? Ich sehe Dazai vor meinem geistigen Auge, der bequem auf seiner Coach sitzt und sich amüsiert ins Fäustchen lacht, weil er genau weiß, dass ich nach ihm suchen werde. Bei dem Gedanken steigt mir die Zornesröte hoch und ich bin kurz davor, zu explodieren.     „Du hast mit ihm gesprochen, ja?“     „Er hat um Hilfe gebeten, aber es gab keinerlei Geräusche.“     Nachdenklich senke ich meinen Blick. Ranpo sitzt auf einer der hohen Wurzeln und starrt gelangweilt auf den Boden.     „Ranpo-san, wie schätzt du die Situation ein?“     „Es war nie die Rede davon, dass ich arbeiten muss, nur dass ich mitkommen soll.“     „Ranpo, ich bitte dich“, kommt es von Fukuzawa, er lächelt leicht und kommt dem Schwarzhaarigen etwas näher, beugt sich zu ihm und sieht ihm mir ernster Miene an, bevor er zögerlich weiter spricht, „nur du kannst uns bei diesem Fall helfen! Ohne dich, da sind wir doch total aufgeschmissen. Bitte, Meisterdetektiv Ranpo Edogawa, lass uns Zeuge deines Könnens werden.“     Ich glaube, dass Fukuzawa, auch wenn er es nicht offen nach außen zeigt, innerlich gerade vor Scham im Boden versinkt. Trotz der Dunkelheit des Waldes sehe ich das Aufblitzen in Ranpos Augen und auch wenn ich es nicht erkennen kann, bin ich überzeugt davon, dass sich ein kleiner Rotschimmer rund um die Nase des Detektivs ausbreitet, während er von einem Ohr zum nächsten grinst.Verlegen reibt dieser sich die Wange und springt urplötzlich von der Wurzel, sein Cape flattert verheißungsvoll und es fühlt sich für einen Moment an, als würde die Welt stehenbleiben. Ranpo zieht grinsend seine schwarz gerahmte Brille aus seiner Brusttasche hervor und setzt sie mit einer eleganten Bewegung auf, schiebt sich mit dem Mittelfinger in die korrekte Position. Ich spüre eine unglaubliche Wärme in mir aufkeimen.     „Ich fasse zusammen, wir befinden uns inmitten eines endlosen Waldes, wir sind orientierungslos und hilflos. Dazai hat sich seit Freitag Abend nicht mehr gemeldet, seine letzte abgeschickte Nachricht am Freitag war ein zwinkernder Kusssmiley. Dazai schaut normalerweise täglich in unseren Gruppenchat, doch am Samstag und am Sonntag blieben sämtliche Nachrichten ungelesen.“     Ich senke meinen Blick und lasse diese Worte noch einmal auf mich wirken. Normalerweise nervt Dazai mich jeden Tag mit dummen Nachrichten oder Fotos von Dingen, die er zufällig sieht. Ein ganzer Ordner auf meinem Handy ist allein den stupiden Bildern meines Kollegen gewidmet, der mir ungefragt Fotos von sich und irgendwelchen Etablissements schickt, um mich neidisch von seiner wilden Lebensweise zu machen. Natürlich bin ich nicht neidisch. Doch Dazai scheint in seiner jugendlichen Naivität zu denken, dass ich ihn um seine „Freiheiten“ beneiden würde. Mir doch egal, wenn er in eine Bar oder eine Disco geht und mit hübschen Frauen spricht! Was juckt mich das? Ranpo stößt laut hörbar seinen Atem aus seiner Nase aus und ein breites Grinsen ziert sein Gesicht.     „Ich kombiniere: Dazai war seit Freitag Nacht nicht mehr zu erreichen. Der Kerl hat zig Feinde in ganz Yokohama und hat immer wieder Frauen und Männer, die ihm auflauern und ihn ernsthaft verletzen wollen“, meint Ranpo und stemmt seine Hände in die Hüften.     „Kein Wunder, wenn er verzweifelten Frauen Hoffnungen macht und sie dann fallen lässt“, zische ich und kann mir ein leichtes Kopfschütteln nicht verkneifen.     „Dazai nimmt seine Verbände niemals ab, warum würde jemand wie er, der so erpicht darauf ist, sich umzubringen, sich einen Rückweg zurück offen lassen? Zumal die Verbände, die wir gefunden haben, offenbar getragen worden waren.“     „Du meinst, dass er nicht hier war, um sich umzubringen?“     „Unwahrscheinlich, ich glaube, dass er verfolgt worden ist oder selbstständig gegen jemanden ermittelt hat. Du weißt ja, wie er ist. Er meint ja, er müsse immer alles allein hinkriegen. Tatsächlich ist Aokigahara ein perfekter Ort, um Ballast loszuwerden. Kein normaler Mensch würde die Absperrungen ignorieren und niemand würde auf die Idee kommen, dass hier ein Mord geschehen würde.“     „Das würde ja bedeuten, dass Dazai verfolgt worden ist.“     „Ich gehe davon aus, dass Dazai verletzt worden ist und der Täter ihn hier zum Sterben zurücklassen wollte. Man hat ihn hier bewusstlos im Wald ausgesetzt, der Täter hat sich verkrümelt und Dazai ist inmitten des Waldes orientierungslos aufgewacht.“     „Das erklärt jedoch nicht, warum er zwischendurch Nachrichten verschicken konnte. Es gibt hier kein Netz“, erklärt Fukuzawa und weist noch mal auf sein Handy hin.     „Ist das nicht offensichtlich? Je nachdem, wie nah man an der Straße ist, desto besser wird die Funkverbindung. Dazai muss lange im Wald umhergeirrt sein und ist an einigen Stellen gekommen, wo er Netz hatte, deshalb hat er auch nicht direkt geschrieben, wo er sich befindet, weil sein Signal nicht stark genug war. Ich bin mir sicher, dass wenn wir ihn finden, wir zig nicht gesendete Nachrichten finden werden.“     „Der plötzliche Nebel, diese Nachricht an dem Baumstamm und der Verband – könnte es sein, dass ein Befähigter dahinter steckt und uns an der Nase herumführt?“     „Ich dachte, Kunikida wüsste das?!“     Plötzlich erinnere ich mich daran, dass ich nur wenige Augenblicke zuvor ein menschliches Wesen im Nebel gesehen habe. Plötzlich wächst der Zorn in mir, denn obwohl die Antwort so sichtbar vor mir geschrieben steht, habe ich den unsinnigen Gedanken, dass ein Geist uns verfolgen könnte, für einen Moment zugelassen. Wahnwitziger Aberglaube. Es ist kein Geist, der sich mit uns amüsiert, sondern ein Befähigter, der sich hinter seiner Fähigkeit versteckt und uns im Kreis herumführt.     „Pah, das heißt, dass uns jemand verfolgt und dafür sorgt, dass wir hier im Kreis laufen. Wenn wir den Befähigten erwischen, wird sich auch der Nebel lichten.“     „Jupp, aber ich dachte, dass Fukuzawa und Kunikida das schon längst wüssten, wo es doch sonst gar keine logische Erklärung für den plötzlichen Nebel gibt. Da müsste man ja echt blöd sein, das nicht zu hinterfragen, hahaha!“     Ich versuche mich an einem fröhlichen Lächeln, das eher krampfhaft rüber kommt und jede Faser in meinem Gesicht schmerzen lässt. Für nur einen Moment habe ich vergessen, dass Ranpo viel intelligenter und aufmerksamer ist als wir und seine Worte sind im Nachhinein so schlüssig, dass ich mich fast schäme, nicht von selbst darauf gekommen zu sein. Vielleicht bin ich wirklich blöd. Grummelnd ziehe ich mein Notizbuch hervor und notiere mir weitere Zeilen:     • 𝓚𝓮𝓲𝓷 𝓖𝓮𝓲𝓼𝓽 𝓿𝓮𝓻𝓯𝓸𝓵𝓰𝓽 𝓾𝓷𝓼, 𝓼𝓸𝓷𝓭𝓮𝓻𝓷 𝓮𝓲𝓷 𝓑𝓮𝓯𝓪̈𝓱𝓲𝓰𝓽𝓮𝓻 • 𝓢𝓮𝓲𝓷𝓮 𝓕𝓪̈𝓱𝓲𝓰𝓴𝓮𝓲𝓽 𝓿𝓮𝓻𝔃𝓮𝓻𝓻𝓽 𝓭𝓲𝓮 𝓡𝓮𝓪𝓵𝓲𝓽𝓪̈𝓽, 𝓿𝓮𝓻𝓾𝓻𝓼𝓪𝓬𝓱𝓽 𝓘𝓵𝓵𝓾𝓼𝓲𝓸𝓷𝓮𝓷 • (𝓿𝓮𝓻𝓶𝓾𝓽𝓵𝓲𝓬𝓱) 𝓲𝓷𝓷𝓮𝓻𝓱𝓪𝓵𝓫 𝓮𝓲𝓷𝓮𝓼 𝓫𝓮𝓼𝓽𝓲𝓶𝓶𝓽𝓮𝓷 𝓡𝓪𝓭𝓲𝓾𝓼     𝓦𝓲𝓻 𝓶𝓾̈𝓼𝓼𝓮𝓷 𝓭𝓮𝓷 𝓑𝓮𝓯𝓪̈𝓱𝓲𝓰𝓽𝓮𝓷 𝓪𝓾𝓼𝓼𝓬𝓱𝓪𝓵𝓽𝓮𝓷 𝓾𝓷𝓭 𝓼𝓮𝓲𝓷𝓮 𝓜𝓸𝓽𝓲𝓿𝓪𝓽𝓲𝓸𝓷 𝓮𝓻𝓯𝓪𝓱𝓻𝓮𝓷, 𝓭𝓪𝓶𝓲𝓽 𝓮𝓻 𝓿𝓸𝓷 𝓭𝓮𝓶 𝓖𝓮𝓼𝓮𝓽𝔃 𝓫𝓮𝓼𝓽𝓻𝓪𝓯𝓽 𝔀𝓮𝓻𝓭𝓮𝓷 𝓴𝓪𝓷𝓷. 𝓘𝓬𝓱 𝓶𝓪𝓬𝓱𝓮 𝓶𝓲𝓻 𝓢𝓸𝓻𝓰𝓮𝓷 𝓾𝓶 𝓓𝓪𝔃𝓪𝓲, 𝓭𝓸𝓬𝓱 𝔃𝓾𝓷𝓪̈𝓬𝓱𝓼𝓽 𝓶𝓾̈𝓼𝓼𝓮𝓷 𝔀𝓲𝓻 𝓾𝓷𝓼 𝓼𝓮𝓵𝓫𝓼𝓽 𝓱𝓮𝓵𝓯𝓮𝓷! 𝓖𝓮𝓲𝓼𝓽𝓮𝓻 𝓰𝓲𝓫𝓽 𝓮𝓼 𝓷𝓲𝓬𝓱𝓽.     Ich verharre für den Moment und überlege. Zügig schreibe ich die Zeichen für „Wärmekamera“ auf, nur wenige Sekunden später leuchtet mein Notizbuch, ich reiße das Blatt heraus und das Blatt transformiert sich in den Gegenstand, den ich niedergeschrieben habe.     Wer auch immer uns hier verfolgt, muss in der Nähe sein und auch wenn der Nebel und die Dunkelheit mein Umfeld verzerren, so kann er der modernen Technik nichts entgegen wirken. Ich schalte das Gerät an und ich scanne die Umgebung. Je mehr Wärme ein Wesen ausstrahlt, desto dunkler und röter werden die Farben, die es aussendet. Fukuzawa und Ranpo befinden sich im roten Farbbereich, da sie Wärme abgeben, sieht es durch das Gerät so aus, als würden sie eine Aura ausstrahlen.     Meinen Blick umherschweifend, suche ich nach eine Veränderung des Bildes und in der Ferne, ungefähr 10-15 Meter von mir entfernt, sehe ich ein warmes Licht, das die Kälte des Waldes und das Farbschema durchbricht. Jemand ist in unserer Nähe und will uns nicht gehen lassen. Schnell werfe ich eine Blick auf meine Uhr, grummelnd stelle ich fest, dass es bereits nach 3 Uhr nachts ist. In nur wenigen Stunden wird die Sonne wieder aufgehen. Das bedeutet, dass ein weiterer Suchtrupp eintreffen wird. Wer ist dieser Mann? Oder ist es vielleicht eine Frau?     Erneut ziehe ich mein Ideal hervor, blättere darin und schreibe das Wort „Taser“ nieder, welcher sich nur wenige Augenblicke später in meiner Hand manifestiert. Fukuzawa hat seine Hand bereits auf dem Griff seines Katana ruhen und starrt wie ein hungriger Wolf in den nebelverhangenen Wald hinein, sein Körper ist angespannt und seine Haltung zeigt deutlich, dass er für einen Kampf vorbereitet ist. Mit einer raschen Handbewegung verstaue ich die Wärmekamera und nicke meinem Chef zu, laufe allein und ohne Rückendeckung in die Finsternis des Waldes. Fukuzawa wird auf Ranpo aufpassen. Kapitel 3: ----------- Meine beiden Kollegen entfernen sich mit jedem Schritt, den ich nach vorne setze, weiter von mir. Der Nebel schließt mich ein und bereits jetzt weiß ich nicht mehr, aus welcher Richtung ich gekommen bin. Mein Atem ist ruhig, jede Bewegung ist durchdacht und ich überlege mir jeden Schritt genau. In der Ferne höre ich ein Geräusch. Leise. Dumpf. Es könnte sich um den Atem unseres Verfolgers handeln oder um eine verzweifelte Person, die hier in diesem Wald ihren Frieden sucht. Ich folge dem Geräusch. Es ist direkt vor mir. Der Nebel ist so dicht, dass ich nicht mal mehr einen Meter vor mich sehen kann. Jeder Schritt könnte mein letzter sein. Vielleicht ist das hier auch eine Falle.     Entschlossen gehe ich weiter. Frische Fußspuren am Boden, durch das fahle Licht meiner Taschenlampe erkenne ich nur die Umrandung. Ich beuge mich herunter, lasse meine Finger über den feuchten Waldboden gleiten. Die Oberfläche der Fußspuren ist noch feucht, also wird mein Ziel in der Nähe sein. Noch einmal ziehe ich die Wärmekamera hervor. Mein Herz macht einen kleinen Aussetzer. Direkt vor mir hockt jemand am Boden. Hat er mich nicht gehört? Keine Zeit zum Nachdenken. Instinktiv stürze ich mich auf die Person vor mir, greife nach seinen Armen und drücke ihn auf den Boden. Die Person zeigt nur wenig Widerstand. Der fehlende Kampfgeist meines Gegenübers lässt mich innehalten.     „Au, au, au, au!“, höre ich die Person unter mir jammern.     Diese Stimme … !     „D-Dazai?!“, entweicht es meiner Kehle, sofort lasse ich ihn los und begutachte ihn. Das Licht der Taschenlampe richte ich auf ihn und Dazai murrt sofort.     „Hey, ich bin ungern im Rampenlicht!“     „Ich habe dich gefunden“, kommt es ungläubig über meine Lippen. Vorsichtig lege ich eine Hand auf die Schulter meines Kollegen, mehr um sicher zu gehen, dass sich dieses Bild vor meinen Augen keine übersinnliche Erscheinung ist. Vor mir sitzt Dazai Osamu.     „Bist du verletzt? Geht es dir gut?“ Ich bin unnatürlich aufgeregt, die Sorge steht mir offensichtlich ins Gesicht geschrieben.     „Nun, hätte mich ein gewisser Möchtegern Karatekünstler nicht brutal überfallen und auf den Boden geworfen, ginge es mir sicher besser.“     „Puh, es geht dir also gut“, sage ich und atme tief ein. Wenn er noch jammern kann, dann geht es ihm gut.     „Kunikida-kun nimmt mich gar nicht ernst! Schau, mein Knöchel ist verstaucht und ich habe mir sicher einige Rippen gebrochen!“     „Ja, ja... darum kümmern wir uns später.“     „Kunikida-kun ist einfach nur gemein“, grummelt mein Kollege und versucht sich aufzurichten. Er steht auf wackligen Beinen, wie ein junges Rehkitz, das gerade zur Welt gekommen ist. An seiner rechten Wange läuft Blut hinab, als ich genauer hinblicke, merke ich, dass er sich den Kopf angeschlagen haben muss. Vermutlich eine Platzwunde. Ich bin hin und hergerissen. Einerseits will ich ihn für all den Ärger, den er mir mal wieder beschert hat, ausschimpfen, doch andererseits kann ich nicht anders, als mir Sorgen zu machen. Wie schwer sind die Verletzungen? Wäre es nicht doch besser, er bliebe sitzen? Eine Kopfverletzung ist nicht zu unterschätzen.     Außerdem muss ich unsere Umgebung und die Situation, in der wir uns befinden, in Betracht ziehen.     „Warum bist du überhaupt hier?“, frage ich dann und bemühe mich darum, so seriös und belehrend wie immer zu klingen. Dazai braucht eine starke führende Hand, die sicherstellt, dass er nicht vom rechten Weg abkommt und auch wenn ich mich nie freiwillig für diese Rolle gemeldet habe und diese Verantwortung mir zuwider ist, so akzeptiere ich meine Pflicht.     „Oh! Ich war in einer Bar und plötzlich hat mir ein gut aussehender Mann einen Drink bezahlt. Wir kamen ins Gespräch und er war wirklich nett! Aber ich glaube, er hat mir irgendetwas in den Drink gemischt. Ich werde so selten eingeladen, da wollte ich den guten Whiskey nicht weggießen. Vielleicht KO Tropfen, na ja, ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass er mich umbringt, aber stattdessen bin ich hier aufgewacht!“     Dazai grinst und klatscht vergnügt in die Hände, als hätte er eine witzige Anekdote aus seinem Leben erzählt.     „Moment, du hast den Whiskey getrunken, obwohl du wusstest, dass er dir etwas rein gemischt hat?“     Ich starre Dazai ungläubig an, dieser neigt beinahe unschuldig seinen Kopf, sodass seine Haare in sein Gesicht fallen und sein zuckersüßes Lächeln unterstreichen.     „Natürlich~“     „Bist du denn von allen guten Geistern verlassen!? Du hättest den Barkeeper und die Polizei benachrichtigen sollen! Es hätte doch wer weiß was passieren können!“, schreie ich ungehalten und komme Dazai näher, der absolut kein Verständnis für meine mahnenden Worte aufzubringen scheint. Ich rüttele an seinen schmalen Schultern und frage ihn mehrmals, ob er auch wirklich in Ordnung ist. Ich werfe einen musternden Blick auf seine Kleidung.     „Verdammt, ich schlimmsten Fall hätte er dich umgebracht!“, schimpfe ich weiter, doch meine Worte schlagen gegen Beton.     „Hm, klingt mir nach einem Best Case Szenario~“, sagt er lächelnd und kichert amüsiert.     Ohne lange zu überlegen, verpasse ich Dazai eine schallende Ohrfeige. Dieser rührt sich nicht vom Fleck, hält sich seine Wange und zieht leicht verwundert die Augenbrauen hoch.     „Hör auf so über den Tod zu reden! Das ist verdammt noch mal nicht witzig!“     Dazai leckt sich über seine Lippen, leckt das Blut weg und sieht mich mit finsterer Miene an.     „Warum muss man leben?“, fragt er mich dann und sein Blick ist eiskalt.     „Warum?“, wiederhole ich empört und trete mit dem Fuß auf, mache eine abwertende Handbewegung, als würde ich etwas von mir wegschieben. Vielleicht ist das eine Art von Selbstverteidigung, vielleicht versuche ich unbewusst so Dazais harte Worte von mir abprallen zu lassen.     „Warum?! Wenn du stirbst, ist alles vorbei! Geht das nicht in deine Birne rein? Wie kannst du das so auf die lockere Schulter nehmen? Denkst du wirklich, dass du deine Probleme auf diese Art und Weise lösen kannst?“     Ich merke, dass in meinen Worten Verzweiflung mitschwingt, ich bin emotional aufgewühlt und schaffe es nicht, meine Gefühle zu unterdrücken.     „Denk doch mal an all die Leute, die du zurücklässt!“     Dazai stöhnt genervt und streift sich seinen Pony zur Seite, durch das Blut in seinem Gesicht, bleibt dieser genau so kleben, dass ich ihm direkt in die Augen sehen kann. Unsere Blicke treffen sich. Das hier ist die harsche Realität, der ich mich zu stellen weigere. Dazai ist suizidal. Ganz egal, was ich ihm sage, er versteht nicht, warum das Leben kostbar ist. Einmal mehr fordert er meine Überzeugungen heraus.     „Überall stehen hier Schilder, auf denen dasselbe geschrieben steht, wie das, was gerade eben aus deinem Mund gekommen ist. Sag mir, warum muss ich leben, wenn dieses Leben nur mit Schmerz verbunden ist? Du weißt genau, dass du mir darauf keine eindeutige Antwort geben kannst und deshalb schmeißt du mit diesen altbackenen Phrasen um dich.“     „Ich will mir nicht anmaßen, dich zu verstehen, dafür kennen wir uns nicht gut genug“, beginne ich, doch Dazai schnaubt verächtlich.     „Genau, wir kennen uns nicht gut genug, also steck dir deine gutgemeinten Ratschläge und Belehrungen sonst wo hin, okay?“     Ich will etwas sagen. Wie gehe ich mit jemanden um, der sich umbringen will? Wie rede ich mit einem Menschen, der so verzweifelt ist, dass er den Freitod als einzige Lösung sieht? Ich bin Detektiv und Mathelehrer, kein Therapeut. Das einzige, was ich tun kann, ist ein Auge auf ihn zu werfen und ihn zu beobachten. Für ihn da sein. Das ersetzen, was ihm fehlt.     „Trotzdem will ich nicht, dass du stirbst. Ich bin kein Arzt und ich will nicht behaupten, dass ich verstehe, was du durchmachst. Ich verstehe dich überhaupt nicht und das wird sich auch niemals ändern, wenn du einfach deinen Schwanz einziehst und mich zurücklässt!“     Plötzlich stehe ich wieder direkt vor Dazai, schüttele an diesem und versuche in meiner Hilflosigkeit, ihn von meinen Gedanken zu überzeugen.     „Verdammt, Dazai! Ich bin dein Partner und ich kann so nicht arbeiten, wenn du mir nicht hilfst! Ich brauche dich, okay!? Das ist alles, was ich dir anbieten kann. Ich brauche dich.“     Dazai blinzelt und beißt sich auf die Unterlippe, er vermeidet es, mir direkt ins Gesicht zu sehen. Er scheint verwirrt zu sein. Diese ganze Situation ist unangenehm. Das Thema geht mir durch Mark und Bein. Ich fühle mich hilflos, denn ich weiß, dass alles, was ich sage, bei diesem Kerl auf taube Ohren stößt. Also ringe ich mit mir selbst und versuche ihn von einem Argument zu überzeugen, von dem ich weiß, dass es mich selbst nicht überzeugt. Dazai seufzt und kichert. Er will vom Thema ablenken.     „Heißt das, dass Kunikida-kun mich zum Essen einladen wird? ♥“     „Wenn dich das von deinen dummen Gedanken abbringt, dann ja!“     „Und dass Kunikida-kun mich in den Zoo einlädt?“     „Auch das, ja!“     „Und dass Kunikida-kun mit mir in den Freizeitpark geht?“     „Ja, verdammt! Alles, was dazu führt, dass wir uns besser verstehen!“     Dazai grinst verschmitzt und errötet, tänzelt kichernd auf der Stelle. Er erinnert mich in diesem Moment an ein schüchternes Schulmädchen. Es ist faszinierend und frustrierend, wie schnell dieser Kerl zwischen seinen Stimmungslagen hin und herwechselt.     „Gut, dann schnappen wir uns den gutaussehenden Kerl, der mich zum Drink eingeladen hat!“     „Ob er gut aussieht oder nicht, tut so gar nichts zur Sache!“       ___________________       Dazai und ich laufen seit einigen Minuten geradeaus, der Nebel ist nach wie vor ein großer Störfaktor. Vereinzelt höre ich die Rufe von Eulen, die hier irgendwo in den Baumwipfeln ihre Nester haben. Eine Nachtwanderung im Aokigahara. Bei diesem Gedanken schüttelt es mich eiskalt am ganzen Körper. Nicht nur, dass irgendein Befähigter uns hier auflauert, bereitet mir Sorge, sondern auch die Möglichkeit, dass Ranpo und Fukuzawa in Schwierigkeiten sein könnten. Dazai ist verletzt. Ich gehe gedanklich meine Optionen durch.     Ich werfe einen Blick über meine Schulter, um sicher zu gehen, dass Dazai immer noch hinter mir ist. Er sagt nichts. Seine Augen strahlen wie so oft keinerlei Leben aus. Obwohl er verletzt ist, stöhnt er nicht und lässt sich nichts anmerken. Wie schlimm sind seine Verletzungen? Sollte es zu einem Kampf kommen, muss ich diesen allein für mich entscheiden. Dazai mag mein Partner sein und eine gute Unterstützung im Kampf, aber ich wage zu bezweifeln, dass es eine gute Idee wäre, ihn in diesem Zustand in einen Kampf zu ziehen.     „Warte, Kunikida-kun“, sagt er dann und lehnt sich an einem Baumstamm ab, lässt seinen Kopf kurz hängen, ehe er mich wieder ansieht.     „Fällt dir irgendetwas auf?“, fragt er mich dann und wirft mir einen erwartungsvollen Blick zu.     „Wir laufen im Kreis“, sage ich, wissend, dass der Täter nun in der Nähe sein muss und uns anvisiert. Vermutlich ist dem Täter bewusst, dass Dazai verletzt ist und somit leicht zu überwältigen ist. Er geht davon aus, dass wir die leichtere Beute sind. Beute? Was genau ist das Ziel unseres Gegenübers? Wollte er Dazai loswerden oder uns in eine Falle locken?     „Hast du eine Ahnung, was dieser Kerl zu erreichen versucht?“     „Oh, es könnte durchaus sein, dass er von jemandem geschickt wurde, der in der Vergangenheit von der Detektei anvisiert wurde. Es gibt sicher einige kleine Organisationen, die durch unsere Arbeit behelligt wurden. Vor einigen Wochen gab es doch auch die großangelegte Razzia in der Nähe des Hafens, wo viele Clanmitglieder festgenommen wurden. Es ist nur eine Vermutung, aber ich glaube, der Kerl, der mich abgeschleppt hat, steht mit denen in Verbindung. Vielleicht einer der Mitglieder, die fliehen konnten.“     „Das ist nicht gut, das könnte durchaus bedeuten, dass wir es hier nicht mit einem Einzeltäter zu tun haben.“     Dazai lässt es so klingen, als wäre dies nur eine Option von vielen, aber ich vertraue seiner Intuition, welche uns in vergangenen Missionen mehr als einmal das Leben gerettet hat. Doch auch wenn ich eine ungefähre Ahnung habe, mit wem wir es zu tun haben, ändert es nichts an diesem Nebel. Sinnlos weiter durch diese weiße Wand zu laufen, ist in keinem Fall zielführend. Wir scheinen weder vor noch zurück zu kommen.     „Nebel ist nicht gleich Nebel, Kunikida-kun.“     Ich sehe meinen Partner fragend an, dieser grinst vielsagend und hebt dann seine Hand, zeigt mit dem Zeigefinger nach oben. Mit meinem Blick folge ich seiner Geste. Was möchte er mir sagen?     „Nebel besteht aus kondensiertem Wasserdampf in der bodennahen Luftschicht, die mikroskopisch kleinen Wassertröpfchen, die in der Luft schweben, verringern die Sichtweite in Bodennähe. Wir befinden uns in einem Waldgebiet, also ist bodennaher Nebel somit ganz natürlich. Dieser Befähigter kontrolliert nicht den Nebel, sondern das Wasser~“     „Und wie kommt es, dass wir uns im Kreis bewegen?“     „Er lenkt uns, da er das Wasser und somit den Nebel kontrolliert, stellt er sicher, dass wir immer nur denselben Pfad erkennen können. Je dichter der Nebel, desto unwahrscheinlicher, dass jemand voranschreiten wird, also lässt er den Nebel immer in eine bestimmte Richtung verdunsten.“     Ich überlege für einen Moment.     „Soll ich hochklettern und mir einen Überblick verschaffen?“, fragt Dazai dann.     „Auf keinen Fall! Du bist verletzt!“, knurre ich lauter, als es mir selbst lieb ist. Dieser Kerl treibt mich noch zur Weißglut! Dazai setzt sich hin und rümpft eingeschnappt die Nase, spielt einmal mehr das beleidigte Prinzesschen, nur um mir auf den Senkel zu gehen und Schuldgefühle in mir auslösen. Doch ich gehe auf seine kindischen Spielchen nicht ein, kremple mir stattdessen die Ärmel hoch und lege meinen Kopf in den Nacken, blicke den Baumstamm an. Vorsichtig beginne ich den Baum hochzuklettern. Von unten höre ich Dazai jubeln, ein weiterer Versuch mich zu ärgern. Denkt der Kerl, dass es mich motiviert, wenn er mich anfeuert? Das hier ist eine verdammt ernste Angelegenheit! Es ist enorm wichtig, dass ich bedacht und vorsichtig jeden Schritt plane, denn ein Sturz aus dieser Höhe könnte lebensgefährlich sein.     Dazais Stimme erreicht mich nur noch aus der Entfernung. Ich komme der Spitze des Baumes immer näher. Schweiß läuft mir die Stirn herab, meine Handflächen und Finger sind wund und aufgescheuert. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie lange es her ist, dass ich zuletzt einen Baum erklommen habe. Stück für Stück komme ich meinem Ziel näher, versuche mich so zu positionieren, dass ich im Notfall nach meinem Ideal greifen kann. Der Anblick des Waldes ist genauso faszinierend wie auch angsteinflößend. Eine sternenklare Nacht, die Baumkronen ragen aus dem dichten Nebel hervor und in der Ferne kann ich Berge sehen. Wäre die Situation nicht so ernst, würde ich noch einige Minuten hier verharren.     Zügig ziehe ich die Wärmekamera hervor. Aus dieser Höhe kann ich eine größere Fläche abchecken. Ungefähr 20 Meter von uns entfernt, befinden sich Ranpo und Fukuzawa. Sie scheinen uns näher zu kommen. Ich prüfe die Gegend weiter. Unter mir befindet sich Dazai, hier und da kann ich kleinere Lebewesen wahrnehmen, die sich im Gebüsch hin und her bewegen. Vermutlich Füchse oder andere Waldbewohner. Dann sehe ich eine einzelne Person, die sich nur wenige Meter von Dazai entfernt befindet. Von hier oben kann ich nicht genau bestimmen, was er da tut, doch mein Instinkt sagt mir, dass er eine Waffe auf meinen Partner richtet. Ohne nachzudenken weiß ich, was zu tun ist. Mein Notizbuch befindet sich in sekundenschnelle in meiner Hand, die Spitze meines Stiftes fliegt geradezu über das Papier: Blendgranate.     Ich werfe die Blendgranate unserem Gegner direkt vor die Beine, ein lauter Knall ertönt, der unseren Gegnern für einige Sekunden die Sinne betäuben wird. Dazai befindet sich in direkter Nähe, aber ich weiß, dass ihm nichts passieren wird. Auch wenn er gerne jammert und einen Hang zur Dramaturgie hat, ist er hart im Nehmen und lässt sich nicht so schnell von den Füßen fegen. Meine Angst hinabzustürzen ist komplett verschwunden. Ich springe von Ast zu Ast und komme dem Boden näher. Jeder Schritt ist perfekt, nur ein einziger Fehltritt und die Konsequenzen wären katastrophal.     Das Licht der Blendgranate sollte unseren Gegner fürs Erste die Sicht genommen haben, der Knall seine Sinne betäubt haben, doch mein gesunder Menschenverstand warnt mich davor, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und so befindet sich erneut mein Notizbuch in meiner Hand, ich schlage Seite 89 auf und sage laut und deutlich: Elektroschockpistole.     Es gibt keine einzige Waffe in meinem Ideal, die meine Gegner töten kann. Alle Waffen in meinem Repertoire sind ausnahmslos dafür gedacht, meinen Gegenüber kampfunfähig zu machen. Ich bekämpfe die Kriminalität und den Terror auf meine Weise. Es ist nicht meine Aufgabe, einen Täter zu bestrafen, dafür gibt es die Justiz. Doch ich werde diesen Kerl dingfest machen. Der Nebel ist plötzlich nicht mehr so dicht. Lediglich der natürliche Nebel des Waldes umgibt mich, ich kann problemlos hindurch laufen.   Entschlossen richte ich meine Elektroschockpistole auf den Täter, der auf die Knie gefallen ist. Ein Mann, der offensichtlich kein Japaner ist, sondern aus dem Ausland stammt. Sein Gesicht lässt sich mich auf einen direkten Nachbarn vermuten, Philippinen oder Vietnam.     „Waffen fallen lassen und Hände flach auf den Boden!“, rufe ich ihm entgegen, nicht wissend, ob er mich nach dem Einsatz der Blendgranate überhaupt verstehen kann. Als ich ihm näher komme, steht er auf und zielt mit seiner Waffe auf mich. Seine Waffe kann mich töten, meine wird ihn nur kampfunfähig machen. Nun kommt es darauf an, wer zuerst schießt. Ich wiederhole meine Worte laut und deutlich. Ich bin Detektiv und ich folge meinem Ideal. Aufzugeben ist nicht meine Art. Unsere Blicken treffen sich. Dieser Mann sieht mich hasserfüllten Augen an, ich spüre seinen Zorn und es ist offensichtlich, dass er Rache nehmen will. Wie kann ich diese Situation zu meinem Gunsten drehen? Kann ich ihn davon überzeugen, die Waffe herunterzunehmen und aufzugeben?     Nein, in diesem Fall wird es nichts bringen, mit einem Gespräch Zeit zu schinden. Meine Erfahrung sagt mir, dass er nicht zu diskutieren bereit ist und den Tod anderer Menschen in Kauf nehmen wird, um sein eigenes Ziel zu erreichen.     „Waffe runter“, sage ich noch einmal bestimmend.     „Ihr verdammten Arschlöcher von der Armed Detective Agency!“, brüllt er und ich höre das Klicken seiner Waffe, weiß, dass er sie in diesem Moment entsichert hat und ich keine Zeit mehr habe, die ich verschwenden darf und doch ist mein Wille zu kämpfen und Recht und Ordnung durchzusetzen unerschütterlich.     „Nur wegen euch sind meine Brüder festgenommen worden!“     „Und du wirst sie sehr bald wiedersehen~“, höre ich eine säuselnde Stimme, die sich eindeutig hinter dem Täter befindet. Dazai steht hinter ihm, tippt ihm auf die Schulter. Der Täter dreht sich um, will seine Waffe auf meinen Partner richten, doch Dazai verpasst ihm einen Schlag mitten ins Gesicht, sodass er einige Schritte taumelt und das Gleichgewicht verliert. Ohne weiter zu zögern, ziele ich mit meiner Waffe auf ihn. Sein Körper verkrampft, dann verliert er das Bewusstsein. Dazai klatscht kichernd in die Hände und jubelt mir zu. Genervt verdrehe ich die Augen und räuspere ich mich.     „Wah~ Kunikida-kun hat einmal mehr den Tag gerettet!“, kommt es begeistert von Dazai.     „Es ist mitten in den Nacht“, entgegne ich ihm und versuche vom Thema abzulenken.     „Ach, komm! Die Sonne geht in ein, zwei Stunden auf, es wird sogar schon langsam hell.“     Schritte nähern sich. Fukuzawa und Ranpo treffen zu uns. Ich lasse ein Seil mit meinem Notizbuch erscheinen und fessele den Täter. Fukuzawa wirft sich diesen scheinbar problemlos über die Schulter und ich höre Ranpo meckern, der sich darüber beschwert, wie unfair es doch wäre, dass der Täter nicht laufen müsste und dass er, als bester Detektiv der Welt, ein Recht darauf hätte, ebenfalls getragen zu werden. Dazai kichert amüsiert und auch ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen.     Dank Dazais Verbände finden wir den Weg zurück und als wir endlich zur Station zurückkehren, warten bereits Polizisten und ein Rettungswagen auf uns. Ich werfe einen nostalgischen Blick in den Wald und werfe ein Stoßgebet gen Himmel. Ich bin froh, dass ich keinen Selbstmörder gefunden habe und zugleich bedauere ich, dass Menschen hierher kommen, um ihr eigenes Leben zu beenden. Dieser Wald lässt mein Ideal, das ich stets bei mir führe, verblassen. So sehr ich mich auch darum bemühe, Leben zu retten, so kann ich nicht jeden retten. Dieser Gedanke stimmt mich melancholisch und es frustriert mich, dass ich nichts dagegen tun kann.     Dazai ist suizidal. Für Dazai ist diese Welt, vor der ich meine Augen verschließen möchte, real. Wir befinden uns auf den Rückweg nach Yokohama. Die Polizisten fahren uns in einem kleinen Van zurück. Fukuzawa und einer der Beamten sitzen vorne und reden. Ich sitze direkt zwischen Ranpo und Dazai. Ranpo schnarcht zufrieden und Dazai scheint auch zu schlafen. Meine Gedanken kreisen hin und her, dann ziehe ich mein Notizbuch hervor:     𝓦𝓲𝓮 𝓰𝓮𝓱𝓮 𝓲𝓬𝓱 𝓶𝓲𝓽 𝓮𝓲𝓷𝓮𝓻 𝓼𝓾𝓲𝔃𝓲𝓭𝓪𝓵𝓮𝓷 𝓟𝓮𝓻𝓼𝓸𝓷 𝓾𝓶?   𝓘𝓬𝓱 𝓶𝓾𝓼𝓼 𝓶𝓲𝓬𝓱 𝓲𝓷𝓯𝓸𝓻𝓶𝓲𝓮𝓻𝓮𝓷, 𝓭𝓪𝓶𝓲𝓽 𝓲𝓬𝓱 𝓷𝓲𝓮 𝔀𝓲𝓮𝓭𝓮𝓻 𝓲𝓷 𝓭𝓲𝓮𝓼𝓮𝓷 𝓦𝓪𝓵𝓭 𝔃𝓾𝓻𝓾̈𝓬𝓴𝓴𝓮𝓱𝓻𝓮𝓷 𝓶𝓾𝓼𝓼.   𝓘𝓬𝓱 𝓶𝓾𝓼𝓼 𝓓𝓪𝔃𝓪𝓲 𝓗𝓸𝓯𝓯𝓷𝓾𝓷𝓰 𝓰𝓮𝓫𝓮𝓷, 𝓮𝓼 𝔃𝓾𝓶𝓲𝓷𝓭𝓮𝓼𝓽 𝓿𝓮𝓻𝓼𝓾𝓬𝓱𝓮𝓷.     Während ich dies schreibe, werfe ich einen Blick auf Dazais Unterarme. Der Anblick dieser geschundenen Haut bekräftigt meinen Entschluss. Wenn es in meiner Macht steht, ein Leben zu retten, dann muss ich es versuchen. Ich bin kein Heiliger. Kein Märtyrer. Ich bin ein Realist, der nach Idealen strebt. Ich bin Kunikida Doppo und so lange ich atme, werde ich mit allem, was ich habe, meine Ideale verteidigen. Das hier ist nicht das Ende. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)