Liebste Lena von Lillithia-Symphonia ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Das Bellen ihres Hundes riss sie aus ihren Gedanken. Wie lange hatte sie jetzt hier gesessen? Eine Stunde? Oder sogar mehr? Niemals hätte sie gedacht, dass sie sich trauen würde an ihre Familie zu denken. Ihren Mann, ihre Tochter und ihre beste Freundin, die vor zwei Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen waren. Lenas Alltag ist seit der Nachricht nicht mehr derselbe. Nie wieder wird sie in Patricks braune Augen sehen, nie wieder Fridas helles Lachen hören, wenn sie am Küchentisch gemeinsam frühstücken. Nie wieder wird sie mit Christina Diskussionen über alltägliche Dinge führen. Seit zwei Jahren erwachte Lena allein im Bett, ging an einem leeren Kinderzimmer vorbei in ein Bad, wo immer noch drei Zahnbürsten im Becher standen. Eine Dunkelblaue für Patrick, eine gelbe für Frida und ihre Eigene in Hellblau. Jeden morgen betrat sie die Küche, machte sich einen Kaffee und ein Toast, fütterte ihren Hund und setzte sich an den Schreibtisch. An dem Küchentisch hatte sich Lena seit dem Vorfall nur selten platz genommen. Dank ihres Bürojobs war Homeoffice keine Unmöglichkeit. Watson folgte ihr in das Büro. Seit der Hiobsbotschaft des Polizisten hatte er sie keine Sekunde aus den Augen gelassen. Er fraß nur, wenn Lena in der Küche stand und ihr eigenes Essen zubereitete. Lena liebte ihren Corgi. Eigentlich hatte sie nie ein Haustier haben wollen, aber Patrick hatte seit Fridas Geburt auf sie eingeredet. Ein Hund sei ein toller Begleiter für ein Kind, hatte er ihr gesagt. So könnte Frida Verantwortung und Mitgefühl lernen, wurde ihr mitgeteilt. In Fridas zweitem Lebensjahr hatte Lena schließlich nachgegeben und sie waren gemeinsam ins Tierheim gefahren. Watson, der damals noch den Namen Kapitän trug, hatte ihr Herz in Sekunden erweicht. Mit seinen dunkelbraunen Knopfaugen, seinem braun-weißem weichem Fell hatte sich der Hund direkt in die Familie gebracht. Selbst heute war Dr. Watson ihr Fels in der Brandung. Ohne ihn hätte Lena die zwei Jahre niemals durchgehalten. Auch heute hatte der Corgi seinen Stammplatz unter ihrem Schreibtisch eingenommen. Ihre Füße lagen auf dem Rand des weichen Kissens, auf dem Watson immer lag, der vor fünf Minuten sein kleines Köpfchen auf ihre nackten Füße gelegt hatte. So als wolle er ihr sagen, dass er sie vor allem Unheil dieser Welt beschützen wollte. „Ist gut, Watson. Das war bestimmt nur der Postbote“, rief sie ihm hinterher während sie schon aufgestanden war und sich auf den Weg zur Tür machte. Watson, der ihr mit kleinen, hüpfenden Schritten entgegen kam, schien mit sich selbst mehr als zufrieden zu sein. Drei Briefe hatte Lena aus dem silbernen Kasten an der Hauswand gefischt. Einer davon stach ziemlich mit seinem beigen Umschlag und dem Wachssiegel in der unteren, rechten Ecke. An wen genau der Brief gerichtet war, konnte sie jetzt noch nicht sagen. Dafür hatte sei auch keine Zeit, denn es wartete immer noch Arbeit auf sie. Und auf Rechnungen hatte Lena jetzt sehr wenig Lust. Mit einer kurzen Handbewegung warf sie die drei Umschläge auf die Anrichte im Flur. Das Haus hatten sie vor acht Jahren gekauft. Zwei Jahre später war Frida zur Welt gekommen. Beide waren sie ein großer Fan von dem alten Landhausstil, in welchem das Haus auch eingerichtet ist. Die Küche und das Kinderzimmer waren ihr am liebsten im ganzen Haus. Mit der grauen Landhausküche, dem dunklen Holztisch und den Holzpaletten an einer Wand fühlte man sich wie in einer Berghütte. Fridas Zimmer war einem Wald nachempfunden. Eine Wand hatte Patrick in dunklem Grün gestrichen und mit Eichhörnchen und Eulen verziert. Das Bett war aus hellem Holz, wie auch die Kommode und das Regal, in dem sie Fridas Spielzeuge aufbewahrten. Seit einem Jahr hatte Lena das Kinderzimmer nicht betreten. Zu sehr schmerzte der Verlust ihrer Tochter. Sie musste nur ihre Augen schließen und sie wusste, wie weich sich der wolkenförmige Teppich anfühlte, wusste wie eine Eule, Fridas Lieblingskuscheltier roch und wie beleidigt das Mädchen werden konnte, wenn man ihr sagte, dass besagtes Kuscheltier doch einmal dringend gewaschen werden müsste. „Aber Mama. Luni hat Angst vor Sauberkeit. Dur darfst ihr keine Angst machen.“ Hatte sie immer gesagt und dabei ihre Lippen zu einer Schnute gezogen, die ihre großen dunkelbraunen Augen beim Schmollen unterstützten. Auch jetzt lag Luni ungewaschen auf dem Kopfkissen. Lenas Vorhaben, sie wirklich zu waschen hatte sich noch am selben Tag in Luft aufgelöst. Anstatt Lunis weicher Oberfläche spürte Lena wieder Watsons Kopf auf ihren Füßen. Sie war lange genug mit ihren Gedanken abwesend. Jetzt musste sie sich wirklich auf ihre Arbeit konzentrieren. Kundenkontakt war in jeglicher Hinsicht ein schwieriges Unterfangen. Egal ob sie persönlich oder digital vor einem standen. Bei Lena war zweiteres der Fall. Sie beantwortete Anfragen von Kunden der Firma, in der sie seit 15 Jahren angestellt war. Es gab nichts, was sie noch nicht erlebt hatte. Von Liebesbekundungen über Beleidigungen und Bildern von primären Geschlechtsteilen hatte sie schon alles gesehen und gelesen. Alles wurde kommentarlos gelöscht, damit sie sich um die wichtigen Fragen kümmern konnte. „Was hältst du von einer Pause?“ Lena bückte sich, um Watson ansehen zu können, der ihr beinahe gegen das Gesicht gesprungen wäre. „Das nehme ich mal als Ja.“ Watson war der Einzige, den sie ehrlich anlächelte. Niemals würde sie ihrem Hund zeigen wie schlecht es ihr ging. Nachdem sie von ihrem Spaziergang zurückgekehrt waren, nahm Lena die Briefe zur Hand. Die ersten beiden beinhalteten, wie sie bereits richtig vermutet hatte, Rechnungen. Der dritte zog ihre volle Aufmerksamkeit auf sich. Liebste Lena stand in großen Lettern auf dem Umschlag geschrieben. Doch das war es nicht, was ihr für einen kurzen Moment die Luft zu Atmen nahm. Sie kannte die Schrift. Das geschwungene L und der Kringel über dem I waren eindeutige Indizien für die Handschrift einer gewissen Person. „Christina“, schnappte Lena nach Luft. Das konnte nur ein schlechter Scherz sein. Irgendein Idiot spielte ihr einen sehr makabren Streich. Alles an ihrem Körper zitterte. Sie musste sich dringend setzen. Sollte sie den Brief öffnen? Wenn sie es nicht tat, würde sie keine Gewissheit haben, was sich darin befand. Wenn sie es tat, was würde er Inhalt offenbaren? Lena konnte das Klopfen ihres Herzens bis in den Hals spüren, während sie den Umschlag umdrehte und langsam den Kleber löste um diesen zu öffnen. Das Papier im Inneren hatte die gleiche Farbe, wie der Umschlag. Es erinnerte stark an Pergament, hatte aber die Struktur normalen Briefpapiers. Sicher hatte der Verfasser es in einem Schreibwarengeschäft besorgt. Oder die Verfasserin, schoss es Lena durch den Kopf. Von außen konnte Lena nichts erkennen, da der Brief mit der Schrift nach innen zusammengefaltet im Umschlag steckte. Vorsichtig, als würde das Papier bei zu schnellen Bewegungen in Flammen aufgehen, zog sie ihn hervor. Lena konnte ihre Panik nicht erklären. Es war ein ganz normaler Brief von einer Person, die sich mit großer Sicherheit einen ekelhaften Scherz erlaubte. Sie sollte den Umschlag mitsamt des Inhalts in den Müll werfen und vergessen. „Komm her“, rief sie Watson mit sanfter Stimme zu sich und klopfte auf den freien Platz neben sich. Den Hund in ihrer Nähe zu haben, beruhigte sie ein wenig. „Na dann los.“ Tief atmete Lena durch und zog mit einer ruckartigen Bewegung den Brief hervor Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)