神道 – Shintō von Sas-_- (Weg der Götter) ================================================================================ Kapitel 2: 認識 – Ninshiki ------------------------ Verflucht! Ino sah erschrocken auf. Der Kerl aus der Bruchbude schlurfte ziellos durch die Einkaufspassage und rief ständig mit gurgelnder Stimme diesen Namen. Sie ließ alles stehen und liegen und huschte wieder aus dem Laden heraus. Laut knirschten Glassplitter unter ihren Schuhen, aber das Gebrüll des Verwandelten übertönten diesen Fauxpas mühelos. Gebäude, die nur einen Ausgang hatten waren keine gute Idee, egal wie wertvoll der „Loot“ in ihnen auch sein mochte. Der nützte einem dann auch nichts mehr, wenn kreischende Verwandelte den Ausgang blockierten. Mit Tops verteidigt es sich ohnehin sehr schwierig. Schon ganz am Anfang hatte Ino herausgefunden, dass die Verwandelten nicht mehr so gut sehen konnten. Zum Glück. Sonst hätte Ino noch nicht einmal Shikamarus ersten Zettel finden können. Denn als das Telefon sich in Inos Zuhause als tot herausgestellt hatte, war sie hilferufend aus dem Haus gerannt. Hinaus in die Nachbarschaft, in deren Gärten Autos gefahren waren und zum Teil auch in die Häuser hinein. Die Zäune sahen alle aus als seien sie überrannt worden, Beete waren zertrampelt, Fensterscheiben eingeschmissen. Bei einem Garten war der Gartenschlauch abgerissen worden und Wasser spritzte in großer Menge quer über die Straße. Ino eilte von einer Tür zur nächsten, aber oftmals gab es keine Tür mehr oder sie hing zersplittert in den Angeln. Niemand befand sich mehr zu Hause, zumindest reagierte keiner auf Inos Rufen. Eine Verwandelte war die einzige Lebensform, wenn sie sich so schimpfen durfte, auf die Ino schlussendlich traf. Aber zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, was es mit diesen furchtbaren Gestalten auf sich hatte. „Alice!” Der nervt vielleicht, dachte Ino und verdrückte sich ein Knurren. Die Dinger sahen zwar kaum noch was, aber meist hörten sie noch sehr gut –, aber manchmal noch nicht einmal das. Ein paar von ihnen reagierten schlicht auf nichts mehr. Ino erinnerte sich mit Grauen daran, wie sie einen von ihnen wortwörtlich über den Haufen gerannt hatte. Der alte, verwandelte Mann kippte einfach zur Seite um und da lag er dann, auf der Straße. Linkisch versuchte er aufzustehen, mit seinen zerschrammten, mit geronnem Blut überzogen Gliedmaßen. Er grunzte und stöhnte und wiederholte beharrlich, dass sein Stück Kuchen keine Sahne hätte. Ino würde liebend gerne ein Bad nehmen bei dem Gedanken an diese Szene. Jedes Mal fühlte sie sich schmutzig und infiziert, wenn sie daran dachte. Die erste Verwandelte, die sie traf … Ihre Nachbarin war an ihrem Küchentisch gesessen und bat darum, dass ihr jemand die Butter reichen sollte. Ironischerweise stand diese direkt vor ihr. Mit milchigen Augen starrte sie ins Leere und ihre äußere Erscheinung war für Ino schwer in Worte zu fassen. Das Szenario war so verstörend gewesen, dass die 17-Jährige fast eine halbe Stunde in der Küche stand und versuchte zu verstehen, was gerade vor sich ging. Schließlich hatte sie sich ihrer Nachbarin zugewandt, die allerdings auf nichts reagierte. Wegen ihrer milchigen Augen und gräulichen Haut hatte Ino sich nicht sehr nahe an die ältere Frau herangetraut – Gott sei Dank. Schließlich war Ino völlig durcheinander aus dem Haus geflohen und lief in ihrer Verzweiflung zum Blumenladen ihrer Eltern. Dort sah sie die erste Leiche ihres Lebens und leider nicht die letzte.   Ino hatte sich schon ein weites Stück von dem Verwandelten Alice-Schreier entfernt, der nun mit hängendem Kopf auf der Straße stand, regungslos. Das kam vor. Die 17-Jährige empfand das immer so, als würden sie in eine Art Stand-by-Modus gehen. Geräusche konnten die Biester allerdings wieder munter machen, weshalb es Lärm unbedingt zu vermeiden galt. Nach der Einkaufspassage folgte die Altstadt, der Grund, warum so viele einst diesen Ort besucht hatten. Historische Gebäude, schmale Gässchen, Museen … All diese Dinge hatten Touristen angezogen wie das Licht die Motten, aber nun … Hier gab es nicht so viele querstehende Autos, aber Müll lag überall herum, und die Fenster der Altbauwohnungen waren zum Teil eingeschlagen. Das Chaos hielt sich in Grenzen; dafür gab es hier mehr Leichen, die aus den oberen Stockwerken gestürzt zu sein schienen – oder gesprungen. Wenn sie diesen Schrecken begegnet waren wie einst Ino selbst, dann kann sie es ihnen nicht verdenken, dass diese Menschen in wilder Panik den einzigen schnellen Weg genommen hatten, den es gab. Ino schauderte. All die Blutlachen und rot getränkten Regenpfützen … Die Altstadt war verwinkelt, die 17-Jährige kannte den schnellsten Weg, aber war es klug, durch schmale Gassen zu gehen? Lieber rechtzeitig beim Schrein ankommen, überzeugte Ino sich selbst, um sich Mut zu machen. Jede Gasse, die sie nicht komplett einsehen konnte, bremste ihren schnellen Gang. Ständig blieb sie stehen um zu lauschen. Die meisten Verwandelten waren kaum zu überhören, weil sie entweder vor sich hin murmelten, Gegenstände umstießen oder gegen etwas liefen. Jede Gasse, die Ino nahm war wie ausgestorben – außer die letzte. Die junge Frau war so darauf konzentriert, dass sie die Altstadt bald hinter sich hatte, dass sie ihre Wachsamkeit ein wenig vernachlässigte und dies wurde sofort bestraft. Ino rannte förmlich in eine verwandelte Frau. Im Gegensatz zur 17-Jährigen, war diese nicht verdutzt. Das blutleere Gesicht der Verwandelten verzerrte sich, sie riss ihren fauligen Mund auf und stieß einen schrillen Schrei aus. Das Wesen stürzte sich direkt auf ihr lebendiges Gegenüber; mit ausgestreckten Händen, die Finger gekrümmt wie Klauen. Ino konnte gerade so zurückweichen. Als sie den ersten Schreck überwunden hatte, flitzte sie an der Verwandelten vorbei und rannte so schnell sie konnte. Wenn Ino es nicht schaffte genügend Strecke zwischen sich und dem brüllenden Ding zu bringen, dann war es vorbei. Dieser Gedanke spornte sie zu Höchstleistungen an; sie stürzte Treppen hinauf und hinunter und jagte über freie Straßen – keine Gässchen mehr, jetzt musste sie sehen können, wohin sie da in Windeseile rannte. Schon bald übersäuerten schmerzhaft ihre Waden und in ihren Lungen stach es. Trotz der Panik und der Aufregung, die sie seit einiger Zeit begleiteten, war Inos Kondition kein Wunder widerfahren und noch genauso schlecht wie tags zuvor. Die entsetzlichen Schreie verfolgten die junge Frau noch lange, denn wo ein Verwandelter schrie, schrien bald noch mehr. Eine vielstimmige Kakophonie hallte durch die tote Stadt und wurde von den Häuserschluchten hin- und hergeworfen. Ino fühlte sich wie in einem Albtraum, aus dem es kein Erwachen gab. Immer weiter trugen sie ihre schmerzenden Beine, während die Dinger träge aus den Seitenstraßen schlurften, schreiend oder weinend. Einer von ihnen blieb an dem halb zerstörten Glas eines Schaufensters hängen und fiel jammernd um. Ino sprang keuchend über ihn hinweg. „Was ... ist los ...? Was willst ... du?” Er streckte seine Hand aus, er hatte nur noch vier Finger, der Daumen fehlte. Seine verrottete Hand wollte sich um Inos Fußgelenk schließen, aber sie war schneller. Weiter, immer weiter. Eine Straße folgte der nächsten, die 17-Jährige war froh, dass sie nicht die Orientierung verloren hatte. Sie musste zum Park, der Park im Norden. Dort war der Schrein. Warum auch immer Shikamaru sich ausgerechnet dort mit ihr treffen wollte.Endlich konnte sie den Eingang zum Park sehen, er bestand aus einem großen, steinernen Torbogen ohne viel Details, aber umrankt von Kudzu; eine Kletterpflanze, welche in Windeseile alles überwuchern kann. Keuchend und mehr joggend als rennend passierte Ino den Eingang, beugte sich nach vorn und stützte sich auf den Knien ab. Jetzt ist mir wenigstens warm! Der Schweiß rann ihr übers Gesicht und dem Rücken hinunter. Hinter ihr verebbte allmählich das hundertfache Brüllen. Die Verwandelten hatten Inos Spur verloren, zum Glück. Nachdem die junge Frau wieder zu Atem gekommen war, richtete sie sich auf und sah sich schnell um. Sie durfte keine Zeit mehr verlieren, aber auch auf keinem Fall mehr so einem Ding begegnen. Der Park sah erschreckend normal aus: Gemähte Rasenflächen, gepflegte Teiche, gestutzte Büsche. Es gab kaum Chaos. Umgeknickte Bäumchen und platt getrampelte Gräser vermittelten höchstens den Eindruck, dass hier eine Art Festival stattgefunden hatte, aber sicherlich keine Apokalypse. Die weiten Grasflächen, auf denen sich für gewöhnlich gestresste Städter entspannten, waren größtenteils leer, hier und da lag etwas Müll. Ein paar wenige Leichen gab es auch – der einzige Hinweis, dass hier mehr geschehen war als Party. Ino wandte den Blick ab, trotzdem erinnerte sie sich schmerzlich und voller Grauen an den ersten Toten, welchen sie zu Gesicht bekommen hatte. Panisch war sie nach dem Zwischenfall mit der verwandelten Nachbarin zum Blumenladen ihrer Eltern gerannt, in der vagen Hoffnung, sie dort zu finden. Ihre Eltern waren immer dort, vielleicht sogar jetzt. Der Laden sah schlimm aus. Tränen schossen Ino in die Augen, als sie die zerstörten Fensterfronten sah. Es fühlte sich an, als hätte jemand ihre Kindheit mit einem Vorschlaghammer zertrümmert. Dieser Laden war das Lebenswerk ihrer Eltern, ihrer Großeltern und deren Eltern. Der Blumenladen war etwas besonderes, und nun lag er in Trümmern. Das allein reichte bereits aus, um Ino an den Rand eines völligen Zusammenbruchs zu treiben. Die verglaste Eingangstür bestand nur noch aus dem Metallrahmen, das Glas war zerschlagen worden. Ob in wilder Panik oder aus bösem Willen war nicht zu erkennen. Nach ihren Eltern rufend lief Ino hastig hinein. Innen ... Nun, sie hätte die Räumlichkeiten nicht mehr als das Geschäft ihrer Eltern wiedererkannt, hätte man ihr ein Bild davon gezeigt. Es gab kaum noch etwas, das an seinem angestammten Platz stand. Tische und Regale waren umgerissen worden, alle Blumen und Pflanzen lagen zerstört am Boden, selbst die Gartengeräte waren zum Teil kaputt. Vor dem Verkaufstresen lag jemand, die Gliedmaßen auf eine Art und Weise verdreht, dass es Ino eisig über den Rücken lief. Wie zu Stein erstarrt stand sie da. Sie konnte nicht hingehen. Unmöglich. Was, wenn das mein Vater ist?! Ich kann nicht! Ich kann das nicht! Größe und Statur passten ungefähr, die Kleidung war voller Erde und Risse, er trug nur noch einen Schuh. Die 17-Jährige weinte und schluchzte, während sie sich nach mehreren Minuten endlich doch dazu durchringen konnte nachzusehen, wer da so regungslos im zerstörten Laden ihrer Eltern lag. Zentimeter für Zentimeter rückte sie an die Leiche heran, ihre Füße schoben Bruchstücke von Blumentöpfen zur Seite, es knirschte – ansonsten herrschte Totenstille. Als sie schon so nahe bei ihm war, konnte Ino sehen, dass in seinem Kopf eine Gartenschere steckte. Offenbar war er damit niedergestreckt worden. Die Hände der jungen Frau zitterten vor Angst und Weinen wie verrückt, als sie den Leichnam auf die Seite drehte. Er war sehr schwer, sie brauchte beide Hände. Es war nicht ihr Vater. Ino schluchzte laut auf und sank erleichtert, aber gleichermaßen zutiefst schockiert über diesen Anblick, auf den mit Erde, Pflanzen und Tonscherben bedeckten Boden. Die Knie anziehend saß Ino einige Zeit weinend da. Sie hatte noch nie eine Leiche gesehen, der Anblick war so surreal, so albtraumhaft – sie wartete verzweifelt darauf aufzuwachen. Aber sie war nicht aufgewacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)