Metanoia von Zaizen (The Journey of Changing One's Mind, Heart, Self or Way of Life) ================================================================================ Kapitel 2: Sommer ----------------- Against the grain should be a way of life What's worth the prize is always worth the fight Every second counts 'cause there's no second try So live like you're never living twice Don't take the free ride in your own life If today was your last day and tomorrow was too late Could you say goodbye to yesterday? Would you live each moment like your last? Leave old pictures in the past? Donate every dime you had? ~ Der Sommer in San Francisco war angenehm mild. Obwohl die Sonne stark schien, wurde es nie unerträglich heiß, was die Arbeit erleichterte. Clay bedankte sich mit einem freundlichen Lächeln bei den zahlenden Kunden des Cafés, indem sie Arbeit gefunden hatte. Das kleine Etablissement lag direkt am Upper Great Highway, also direkt neben der Ocean Beach, die gefühlt zu jeder Tages und Nachtzeit besucht war. Gleich nach ihrer Ankunft im Land der unbegrenzten Möglichkeiten hatten Clay und Nic den Rest ihres Geldes in einen alten, reparaturbedürftigen Van gesteckt, der einige Kilometer weiter auf einem Parkplatz stand. Sie hatten auch bereits einen Mechaniker finden können, der ihnen das Auto für einige hundert Dollar reparieren würde. Bis dahin diente er zwar nicht als fahrbarer Untersatz, durchaus aber als Wohnort für die beiden jungen Erwachsenen. Nic hatte nicht unweit des Parkplatzes Arbeit an einem Fastfood-Stand gefunden, die es gefühlt an jeder Straßenecke zu geben schien. Während ihr bester Freund fettige Würstchen und Bagles verkaufte, servierte Clay in einem mittelständischen Café Getränke und Snacks. Zwar war ihr Arbeitsweg länger, dafür war der Ausblick umso wundervoller. Ihre Gehaltsschecks bekamen die beiden wöchentlich, was die Einteilung ihrer Finanzen enorm erleichterte. Jede Woche konnten sie gemeinsam etwa zweihundert Dollar an die Seite legen, während sie ihre anderen Kosten auf ein Minimum reduzierten. Wenn sie diese Quote durchhielten, hatten sie Mitte August genug Geld gesammelt um ihr Auto zu reparieren, die Benzinkosten bis New York zu finanzieren und gleichzeitig genug Geld für Essen und Hygieneartikel übrig zu haben. Bis dahin würden sie von den Resten des Fastfood-Standes und des Cafés leben, die am Ende des Arbeitstages sonst im Müll landen würden. Für die tägliche Hygiene nutzen sie öffentliche Waschräume. „Über was denkst du nach, Clay?“, fragte Gabriela auf Englisch, die soeben auch ihren Tisch abkassiert und sich zu der zierlichen Deutschen gesellt hatte. Aus ihren Gedanken gerissen schaute Clay ihre Kollegin an. Die junge Spanierin mit den dunkelbraunen Locken war nicht viel älter als sie und studierte am Community College Journalistik. Um sich die Miete und einige andere Annehmlichkeiten zu finanzieren, jobbte sie als Aushilfskellnerin im Café. „Ach, nichts Besonderes“, gab Clay zu, „Nur wie lange ich und Nic wohl noch hier sein werden.“ Daraufhin verzog Gabriela traurig das Gesicht und schaute wie ein Hund, den man im Regen hatte stehenlassen. „Ich habe gerade mal angefangen, euch ins Herz zu schließen und schon redest du über das Abhauen, also ehrlich. Dabei gibt es noch so viel, was ihr sehen müsst!“ Gabriela war Clays erste Freundin in San Francisco gewesen. Die offenherzige Spanierin war ein lebensfroher Mensch, bei dem man gar nicht anders konnte, als sie mit Lichtgeschwindigkeit ins Herz zu schließen. Sie war auch diejenige, die Clay und Nic an Wochenenden durch die Stadt führte, mit ihnen Sightseeing-Touren machte und Abends mit auf Partys ihrer Kommilitonen nahm. Clay hatte die leise Vermutung, dass sie einen kleinen Narren an Nic gefressen hatte, da sie Clay bereits am Tag nach ihrem ersten Wochenendausflug sehr genau über ihn ausgefragt hatte. Das hatte Clay ihrem besten Freund natürlich nicht verheimlicht, dem die ganze Schwärmerei etwas unangenehm war und so machte sich Clay einen Spaß daraus, ihn immer ein wenig damit zu piesacken aufzuziehen. „Dann lass uns nach Feierabend an den Strand gehen. Nic holt mich ab. Heute ist Corndog-Friday und er bringt uns vermutlich wieder eine kleine Wagenladung von den Dingern mit“, schlug Clay vor und schnappte sich einen Putzlappen, um die Tische zu wischen. Gabrielas freudiges Geplapper plätscherte derweil im Hintergrund dahin. ~ Da die Tage nicht besonders heiß waren, konnte auch von warmen Sommernächten keine Rede sein. Trotzdem mochte Clay nichts lieber, als nach Feierabend am Strand zu sitzen, den kühlen Sand zwischen ihren Zehen zu fühlen und dem Rauschen der Wellen zuzuhören. In ihrem Magen schlugen die verspeisten Würstchen im Teigmantel kleine Rollen und verursachten ein angenehmes Völlegefühl. „Und dann meinte das Arschloch wirklich, mir auch noch das Trinkgeld zu kürzen, weil ich nicht zwei, sondern nur ein Stück Zucker zu seinem Cappuccino serviert hatte“, regte sich Gabriela bei Nick über einen ihrer Kunden auf, um ein aufmunterndes Schulterklopfen von ihm zu erhalten. „Vielleicht solltest du ihm nächstes Mal einfach gleich eine ganze Wagenladung an den Tisch bringen“, schlug Nic vor, woraufhin Gabriela mit den Schultern zuckte. „Sobald ich mit dem Studium fertig bin, werde ich um einen Job und eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung kämpfen. Dann schreibe ich über all die widerlichen Kunden und die Ladenbesitzer, die ihre Angestellten besser bezahlen und schützen müssen“, grummelte die sonst so fröhliche Spanierin. „Was habt ihr nach eurem Road Trip vor? Wollt ihr auch in den USA bleiben oder möchtet ihr nach Deutschland zurückkehren?“ Auf Gabrielas frage hin schauten sich Nic und Clay unsicher an, sodass Gabriela besorgt zwischen den beiden Freunden hin- und herschaute. „Habe ich was Falsches gesagt?“, wollte sie wissen, woraufhin Clay den Kopf schüttelte. „Nein, nein. Alles gut. Wir wissen schlicht und ergreifend noch nicht, was wir tun wollen oder ob wir uns überhaupt zurück nach Hause trauen können. Immerhin sind wir einfach abgehauen“, überspielte Clay das Thema. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Nics angespannte Haltung sich langsam löste. Sie beide hatten ausgemacht, ihren neuen Freunden nichts von Clays Diagnose zu erzählen. Das würde nur unschöne Fragen und ungewolltes Mitleid auslösen, die sie gar nicht gebrauchen konnten. „Ach, eure Eltern werden das alles vergessen, wenn sie euch erst wieder sehen. Und sollten sie Rabeneltern gewesen sein, dann bleibt einfach hier oder geht nicht zurück nach Hause. Die Welt ist groß“, sagte Gabriela leichthin und damit schien das Thema für sie zumindest gegessen zu sein, denn schon im nächsten Moment sprang sie freudig auf und winkte übertrieben einer kleinen Gruppe zu, die einige Meter weiter von der Straße zum Strand hinunter gingen. Kaum hatte die Gruppe Gabriela entdeckt, schlugen sie auch schon den Weg zu ihr ein. Insgesamt waren es drei Männer und eine Frau, die alle in ausgewaschenen Jeans und löchrigen T-Shirts verschiedene Musikinstrumente mit sich trugen. Sie alle hatten eine dunkelblaue Strähne in ihre Haare gefärbt, was wohl ihre Gruppenzugehörigkeit untermalen sollte. „Alex, schön dich wiederzusehen!“, begrüßte die Spanierin den vordersten Mann der Gruppe. Dieser lächelte und nahm Gabriela freundschaftlich in den muskulösen Arm, bevor er den beiden Sitzenden zunickte. „Hi“ , begrüßte er sie knapp, eher er sich wieder seiner Bekannten zuwandte. „Du bist ja noch immer in diesem Drecksloch, Gabby.“ Die Angesprochene presste die Lippen zu einer dünnen Linie und kniff die Augen zusammen. „Kann eben nicht jeder ein paar Liedchen für ein paar Dollar trällern“, gab sie zurück und wandte sich wieder an Nic und Clay. „Das sind Alex, Lindsey, Henry und Jason. Die Vier treten hin und wieder als „The Ocean Guys“ in ein paar schäbigen Clubs auf. Meistens verdienen sie ihre Kröten aber auf der Straße“, stellte Gabriela die Neuankömmlinge vor, woraufhin diese bei der Nennung ihres Namens kurz nickten. „Freut mich, ich bin Clay und das ist Nic“, erwiderte Clay den Gruß und rappelte sich auf, um den Vieren die Hand zu schütteln. „Und Deutsche seid ihr auch, wenn ich den Akzent richtig deute“, begrüßte Alex sie freundlich und schüttelte Clays Hand. „Ja, sind wir. Krauts, wie sie im Buche stehen“, scherzte Nic, der ebenfalls Alex Hand kräftig schüttelte und die anderen drei begrüßte. „Seid ihr Kommilitonen von Gabby?“, erkundigte sich Lindsey neugierig. Bevor Nic oder Clay die Chance hatten zu antworten, sprang Gabriela bereit s für sie ein: „Nein, die beiden wollen durchs Land ziehen, sich ein wenig das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ansehen.“ „Ja, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – wenn du Kohle hast“, warf Jason sarkastisch ein. Nic zuckte gleichgültig mit den Schultern, wie er es so oft tat, wenn er vor größeren Problemen oder Fragen stand. „Die kriegen wir schon zusammen. Wir wollen keine Luxusreise machen, sondern einfach das Land sehen und die Zeit genießen“, antwortete er und traf anscheinend bei Alex voll ins Schwarze, der sich jetzt zu seinen Freunden umdrehte und mit dem Finger auf Nic zeigte. „Seht ihr, ihr Loser? Das ist Lebenswille und wahre Freiheit! Die Krauts haben Amerika besser verstanden, als ihr einheimischen Affen“, sagte er scherzhaft, was ihm einen stechenden Blick von Jason und ein genervtes Seufzen von Henry einbrachte. „Die machen die ganze Scheiße ja auch nur ein Jahr, Alex, du willst, dass wir den Rest unseres Lebens von Hamburgern und den paar Dollar leben, die wir durch unsere Musik verdienen“, sagte Henry und schüttelte den Kopf. „Sei nicht so ein verdammter Pessimist, Henry“, warf Alex ein, „Noch ein oder zwei Gigs oder einige Straßen-Performances und irgendein Produzent oder hohes Tier wird endlich merken wie verdammt gut wir sind.“ „Dude, wir sind nicht Ed Sheeran. Wir sind die verdammten Ocean Guys“, unterstützte Jason Henrys Argumentation. Entnervt warf Alex die Hände in die Luft. „Ich geb's auf. Da hätte selbst meine Oma noch mehr Kampfgeist im Blut.“ Entschuldigend wandte sich Lindsey an Clay und Nic und machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung ihrer Freunde „Vergesst die Idioten einfach, die streiten sich manchmal den ganzen Tag um nichts anderes. Lasst uns noch ein Stück zum nächsten Shop gehen, etwas zu Trinken kaufen und den Rest des Abends lieber über spannendere Dinge sprechen.“ Schlussendlich war es dann genau das, was die Gruppe tat. Über den Abend verteilt lernte Clay, dass die Band sich in Oregon an einer Uni gegründet hatte und seitdem an der Westküste entlangtourte, um irgendwann den Durchbruch im Musikbusiness zu schaffen. Bisher war ihnen der noch nicht gelungen, doch die Freunde glaubten fest an ihren Traum und wollten mindestens noch zwei weitere Jahre ihr Glück versuchen, bevor sie sich wieder dem „langweiligen Spießerleben“ widmen wollten, wie Alex es nannte. Insgeheim fragte Clay sich wie es wohl sein musste, klare Ideen und Vorstellungen von der Zukunft zu haben. Seitdem sie mit Nic aufgebrochen war, hatte sie in der Gegenwart gelebt und die Zukunft ganz vergessen. Ihr einziges Ziel bestand darin, genug Geld zusammenzukratzen, um ihre Tour durch die USA endlich offiziell zu starten. Vermutlich hatte ihre Mimik sie verraten, denn eine zaghaftes Drücken ihrer Hand riss sie aus den tiefen Gedanken, in die sie unbewusst versunken war. Nic, der neben ihr saß und erneut ihre Hand drückte, hatte seine Aufmerksamkeit weiterhin auf Jason gerichtet, der gerade erzählte, wie er und Lindsey mit einer Rolle Klopapier und einem Besenstiel ihr liegengebliebenes Auto wieder zum Laufen bekommen hatten. Dankbar für Nics diskreten Hinweis, drückte sie als Antwort ebenfalls seine Hand, konnte sich aber nicht dazu durchringen, die warme, weiche Hand ihres besten Freundes loszulassen, der sich jetzt noch ein Stücken weiter zu ihr lehnte, sodass sie bequem den Kopf auf seiner Schulter ablegen konnte und Trost in seiner Nähe fand. ~ Da Alex und seine Band noch eine Weile in San Francisco bleiben wollten, trafen sich Nic, Clay und Gabby fast jedes Wochenende mit den vier Musikern, um die Stadt unsicher zu machen. Oftmals feuerten sie die aufstrebende Band in den kleinen Clubs an, in denen sie ihre selbstgeschriebenen Songs zum Besten gaben. Mit Alex als Leadsänger, Lindsey an der Akustikgitarre, Jason am Bass und Henry an den Drums spielten „The Ocean Guys“ hauptsächlich Punkrock. Ihre Musik war laut, ihr Rhythmus dominant und ihre Texte strotzten vor gesellschaftskritischen Themen. Clay liebte es. In Deutschland war sie aufgrund ihrer Krankheit selten auf Konzerten gewesen, weil ihre Eltern Angst um sie hatten. Auch Alkohol hatte sie aufgrund der Medikamente nie trinken dürfen. Bisher hatte sie sich auch strikt an die Regeln ihrer Eltern gehalten. Das hatte sich mittlerweile geändert. Vor zwei Wochen hatte Clay aufgehört, ihre Krebsmedikamente zu nehmen. Eine Woche später hatte sie ihr erstes amerikanische Bier getrunken. Nic hatte nichts zu ihrer Entscheidung gesagt, sondern schweigend mit ihr angestoßen. Es blieb bei zwei Bier pro Wochenende. Auf die Frage der anderen, warum Clay so wenig Alkohol trank, sagte sie immer, irgendwer müsse den Haufen ja nach Hause bringen können. Zwar wussten ihre Freunde, dass das nicht die ganze Wahrheit war, drängten sie aber nicht weiter. Vielleicht hatte Nic aber auch einfach eine fantastische Lüge gefunden, die er den anderen erzählt hatte, als sie hinter Clays Rücken nach dem Grund fragten. ~ „Fuck, ich hätte auf dich hören sollen, Clay“, seufzte Nic , der sich schwer auf seine kleinere Freundin stützte, die verbissen das Gewicht trug und sie langsam die Straße entlang zu dem Parkplatz manövrierte, auf dem ihre rollende Behausung stand. Mittlerweile war es August und ihr Plan war aufgegangen: Sie hatten den Van reparieren können, wollten aber noch bis zum Ende des Monats in der Stadt bleiben, um noch ein paar letzte, unvergessliche Tage mit Gabriela und den Ocean Guys verbringen zu können. Dann wollten sie endlich ihre Reise fortsetzen. „Tja, ich sagte ja, dass man Absinth anzündet, bevor man ihn trinkt. Aber du musstest ja auf die idiotische Wette mit Henry eingehen“, belehrte Clay Nic, der daraufhin nur belustigt schnaubte. „Danke für die Lehrstunde, Frau Neunmalschlau.“ „Ganz ehrlich Nic, sei froh, dass ich während meines Jobs so viel schweres Geschirr durch die Gegend trage und deinen dicken Hintern nach Hause schleifen kann“, beschwere Clay sich und knuffte Nic spielerisch in die Seite, der reflexartig ausweichen wollte, was die beiden vom Kurs abbrachte und sie, Schlangenlinien laufend und lachend, versuchten das Gleichgewicht wiederzufinden. „Gabby findet meinen Arsch nicht fett, im Gegenteil. Sie meinte ich hätte das schönste Hinterteil ganz San Franciscos“, verteidigte sich Nic, was Clay ein Schnauben entlockte. „Gabby würde sich auch auf die Golden Gate Bridge stellen und das in die Welt hinausschreien, wenn sie dann endlich eine Chance bei dir hätte.“ „Ich weiß, aber ich wette mir dir, Alex würde sich glatt daneben stellen, so wie er dir immer au- ach du scheiße!“, unterbrach Nic sich selbst, als sie schlussendlich um die letzte Ecke gebogen waren und der Parkplatz vor ihnen lag. Die Tür ihres kleinen Vans war verbeult und wies tiefe Kratzer im Lack auf, die anscheinend von einem langen Gegenstand stammen mussten, mit dem die Einbrecher versucht hatten, die Tür aufzubrechen. Schlussendlich schienen sie sich aber doch dafür entschieden zu haben, einfach die Scheiben einzuschlagen, um so ins Innere des Vans zu kommen. Mit zitternden Händen öffnete Clay die Beifahrertür, während Nic hinter hier krampfhaft versuchte, einen klaren Kopf zu kriegen und das Gleichgewicht zu halten. Vorsichtig wischte Clay einige Glasscherben beiseite und kletterte dann in das demolierte Auto. Im Inneren sah es nicht viel besser aus. Ihr ganzes Hab und Gut war durchsucht worden. Ihre Rucksäcke lagen ausgeleert auf dem Boden, ihr Bett war durchwühlt und die Kopfkissen auf der Suche nach verstecktem Bargeld aufgeschlitzt worden. Alles, was nur ansatzweise von Wert sein könnte, hatten die Diebe mitgenommen. Auch das kleine versteckte Seitenfach hatten sie gefunden und das dort enthaltene Bargeld und Clays Krebsmedikamente gestohlen. Ihr Magen wurde flau und ihr Sichtfeld begann zu verschwimmen. Verzweifelt sank die junge Frau auf die Knie, schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte leise. Das war’s. „Es ist alles weg, Nic“, heulte sie und hörte, wie ihr bester Freund wütend mit der Faust auf die Motorhaube schlug und eine Fluch brüllte, bevor er plötzlich vor Schmerzen aufschrie. Die Sorge um Nics Wohlergehen holte sie aus ihrem Tränenschleier und ließ sie wieder auf die Füße kommen. Mit noch immer flauem Magen kletterte sie wieder aus dem demolierten Bus, der bis vor Kurzem noch ihr Ticket durch die USA gewesen war. Nic presste mit zusammengebissenen Zähnen seine blutende Hand gegen seinen Körper. Sein Blick und sein Kopf hatten sich durch den Schmerz etwas geklärt, aber er musste sich noch immer gegen die Motorhaube lehnen, auf der überall Glasscherben lagen. „Zeig her“, forderte Clay ihn sanft auf und nahm die blutende Hand unter die Lupe. Mit spitzen Fingernägeln zog sie vorsichtig die Splitter aus Nics Hand, der darunter anscheinend nur wenig zu leiden schien – Alkohol sei dank. „Ich wette mit dir, das waren irgendwelche Junkies, die schnelles Geld gesucht haben“, knurrte Nic, der nichts mehr von seiner üblichen Coolness übrig zu haben schien. „Verdammte Junkies, verdammte USA. Clay, was machen wir jetzt?“ Die Frage traf Clay unvorbereitet. Normalerweise war immer Nic immer derjenige, der ihre Pläne schmiedete oder bei Problem mit einem kühlen Kopf eine Lösung suchte. Das war im Moment aber nicht möglich, dachte sie, als sie in die glasigen, verzweifelten Augen ihres Gegenübers blickte. „Wir müssen deine Hand erst einmal verbinden. Und wir brauchen einen Platz für heute Nacht. Ich rufe jetzt Alex an und packe das, was von unseren Sachen übrig geblieben ist, während du hier wartest und aufpasst, dass die verdammten Arschlöcher nicht wiederkommen, um uns auch noch direkt abzuziehen“, entschied sie mit einer Entschlossenheit, die sie selbst nicht erwartet hätte. Sie hatten noch etwas Bargeld, sowie ihre Pässe bei sich. Clay war dankbar dafür, dass Nic und sie zumindest schlau genug gewesen waren, die wichtigsten Dinge bei sich zu tragen, denn das gab ihnen immerhin ein wenig Hoffnung. Noch wusste sie nicht, was der morgige Tag bringen würde. Vielleicht mussten sie ihre Eltern anrufen und zurück nach Deutschland fliegen, vielleicht würden sie den Rest des Jahres in San Francisco verbringen. All das waren Gedanken für später, entschied Clay, als sie endlich Alex Nummer wählte und vorsichtig wieder in den Van einstieg. Jetzt mussten sie erstmal einen Platz für die Nacht finden, ohne ein zweites Mal ausgeraubt zu werden. Danach konnten sie weitersehen. ~ Jede Sekunde zählt, denn eine zweite Chance gibt es nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)