Evolition von Charly89 (Hoenn und Tiefen) ================================================================================ Prolog: Neustart ---------------- Es ist dunkel. Ich fühle mich irgendwie – nun ja – dumpf. Als würde ich mich in einer Wolke befinden. Ein merkwürdiges Geräusch dringt an mein Ohr – wieder und wieder. Ich kann es nicht einordnen, ich kann nicht einmal sagen woher es kommt. Langsam wird es deutlicher, es ist ein Fiepen. Halt nein, es sind mehrere. Es klingt nicht ängstlich, eher aufgeregt. Etwas berührt meinen Kopf. Was ist das? Es fühlt sich merkwürdig an, aber irgendwie auch gut. Das Fiepen hört sich weit weg an und das, was da an meinem Kopf ist fühlt sich an, als wäre es nicht an meinem Kopf. Alles ist fremd und eigenartig. Trotzdem ist mir unglaublich warm, nicht nur körperlich sondern auch tief in mir drin. Alles ist gut, genauso fühlt es sich an. Alles ist gut … Mehr kann ich gerade nicht denken oder empfinden, ich möchte auch nichts Anderes fühlen. Das an meinem Kopf wird energischer. Mit stärker werdendem Druck fährt es durch mein Haar. Ich beginne meine Augen zu öffnen, was mir unglaublich schwerfällt. Mehrfach blinzle ich, um den Schleier von meiner Sicht loszubekommen. Endlich stellt sich meine Wahrnehmung scharf und ich sehe … Zwei braune Fellknäule? Sie bewegen sich und wirken so desorientiert, wie ich mich gerade fühle. Sie blinzeln und strecken sich, fiepen aufgeregt. Ich will den Kopf drehen, um sie besser zu sehen, doch … das ist anstrengend! Wie viel wiegt den bitte mein Kopf?! Unter mir raschelt es durch meine Bewegung. Da ich den Kopf gerade nicht heben kann, rolle ich ihn etwas auf die Seite. Unter mir ist es grün und es duftet wunderbar. Ich kann nicht sagen wonach, aber es riecht toll! Etwas Nasses fährt mir plötzlich durch das Gesicht. Erschrocken fiepe ich und zucke zusammen. „Na Kleines?“, flüstert eine Stimme durch den Nebel meiner Wahrnehmung. Ich drehe meinen ganzen Körper, da mein Kopf immer noch viel zu schwer ist. Als ich auf dem Rücken liege, schiebt sich etwas in mein Sichtfeld. Ein blaues Tier sieht mich liebevoll an und lächelt. Ganz plötzlich ist mir wieder so unglaublich warm. Ich habe keine Ahnung, was das für ein Tier ist, oder warum es mich so verträumt betrachtet, aber ich möchte hier nie wieder weg, ich möchte bei diesem blauen Wesen bleiben – für immer … Kapitel 1: Kindheit ------------------- Entspannt liege ich auf dem Bauch, alle Viere von mir gestreckt. Einer meiner Brüder liegt neben mir. Mein Lieblingsbruder, um genau zu sein. Den anderen, den mit der Scharte im Ohr, mag ich nicht so besonders. Der ist laut und will ständig raufen, außerdem ist er der totale Angeber! Ich bin lieber bei Schnuff. Wir nennen ihn Schnuff weil er … nun, er schnufft halt. Er macht das Geräusch mit seiner Nase, wenn er schnell ausatmet. Wenn man mich und meinen Bruder beobachtet, könnte man denken, wir liegen faul in der Gegend rum. Weit gefehlt! Wir warten. „Ob er heute überhaupt kommt?“, murmelt Schnuff und schnufft. „Der kommt schon.“ Aufmunternd stupse ich meinen Bruder mit der Nase. „HA!“, brüllt es plötzlich hinter uns. Schnuff rollt sich erschrocken zusammen und ich – ich springe panisch hoch und quietsche. Hämisch lacht es hinter uns. „Boah! Muss das sein?“, fauche ich, während ich mich umdrehe. „Na? Erschrocken … Quietschie?“ Triumphierend grinst mich mein unliebsamer Bruder an. Wütend funkle ich zurück. „Blödmann“, murrt Schnuff und funkelt ebenfalls alles andere als freundlich. „Ihr hättet euch sehen müssen!“, frohlockt Scharte und stolziert davon. Ich und Schnuff sitzen da und starren dem Blödmann hinter her. „Hab ich was verpasst?“ Freudestrahlend drehen wir uns um. Eines der anderen Glaziola steht da. Er hat frische Blätter für unsere Betten dabei. „Hey!“, rufen Schnuff und ich wie aus einem Mund und strahlen um die Wette. Die anderen Glaziola bringen in regelmäßigen Abständen neue Blätter und Gräser. Meist tauchen sie nur kurz auf, laden ab und verschwinden wieder. Doch er nicht! Er bleibt meist noch, um mit uns zu spielen. Die Höhle in der wir sind ist nicht sehr groß, und es sind auch nur Mutter und wir hier. Das ist langsam echt öde. Daher freuen wir uns immer, wenn er kommt. Verschmitzt grinst er uns an. „Wollt ihr mal etwas Spannendes hören?“ Ach ja. Manchmal erzählt er uns auch Geschichten. „Ja!“ Ich strahle und meine Augen glitzern ganz aufgeregt. Das Glaziola legt sich hin, überschlägt die Vorderpfoten und räuspert sich. Er erzählt von 'draußen', von anderen Pokémon, die er gesehen hat und … „Ein Mensch?“, fragen Schnuff und ich fast zeitgleich. „Ja“, lacht das Glaziola, „ein Weibchen, wenn ich mich nicht täusche.“ Hinter uns ist ein scharfes Räuspern zu hören. Unser Besuch ist in Windeseile auf die Pfoten gesprungen und lacht verlegen – oder eher dämlich. Erstarrt drehen mein Bruder und ich uns um. Mutter steht da und sieht das andere Glaziola streng an – sie zieht eine Augenbraue hoch und wusch, ist unser Besuch verschwunden. „Och, Mama.“ Ich ziehe eine übertriebene Schnute. „Das ist noch nichts für euch“, spricht sie sanft und leckt mir über den Kopf. „Mama!“, empöre ich mich und drehe den Kopf weg. Also wirklich! Ich bin doch kein Welpe mehr! Also nicht mehr so richtig … „Geh runter von mir!“ Ich wünschte, ich würde wütend klingen, aber ich klinge eher atemlos. Scharte hockt auf mir, er hat unsere Rauferei gewonnen – wie immer. Er ist ein wenig größer und kräftiger als ich und außerdem mag ich diese rauen Spiele nicht. Mit Schnuff kämpfe ich auch, aber nur spielerisch. „Ha! Ich bin halt besser wie du!“, tönt es über mir. Wütend knurre ich in mich hinein. Endlich geht der Blödmann von mir runter und ich kann wieder unbehelligt atmen. Scharte stiefelt hoch erhobenen Hauptes davon. Schnuff taucht auf und bekommt direkt eine Kopfnuss von unserem Bruder verpasst. „Hey!“, brülle ich direkt mit meinem bisschen Luft. Scharte dreht sich um und grinst. „Noch nicht genug?“, fragt er provozierend. Schnuff fiept und hält sich die Pfote an den Kopf. Sauer knurre ich. Das geht gar nicht! Schnuff ist eine Seele von Pokémon, das Scharte ihn ständig ärgert, geht mir gehörig gegen den Strich! Der Blödmann scheint Ernst machen zu wollen und kommt auf mich zu gerannt. Ich schlucke. Das war keine gute Idee! Jetzt muss mir schnell etwas einfallen! Noch zehn Schritte … Denk nach, Charly! Scharte ist noch drei Schritte von mir entfernt. Endlich ein Geistesblitz! Ich rolle mich im letzten Moment zur Seite. Der Blödmann kann nicht mehr bremsen und knallt in die Wand. Schmerzerfüllt jault er auf. Mutter taucht im nächsten Moment auf. „Was ist denn hier los?“, fragt sie besorgt und empört zu gleich. Tja, Schnuff hält sich immer noch den Kopf, oder besser die Beule, ich liege total verstaubt auf dem Rücken und Scharte hat eine blutige Nase; was soll schon los gewesen sein? „Nichts!“, tönen wir drei gleichzeitig. In solchen Momenten sind wir uns einige. Geschwister durch und durch halt. „Hört mal, dafür habe ich euch nicht in die große Höhle gelassen!“, schimpft Mutter. Ja, die große Höhle. Wir durften endlich raus! Und siehe da, unsere kleine Höhle befindet sich in einer größeren. Mann, haben wir Augen gemacht! So viel Platz! Und Möglichkeiten! Ich bin nicht gut im Raufen, aber ich kann super Klettern und Springen, wie ich inzwischen festgestellt habe. Viel besser wie Scharte, was wiederum dazu führt, dass er mich ständig ärgert. „Entschuldige, Mutter“, rufen wir wie üblich in solchen Situationen im Trio. Einen Moment sieht sie uns noch streng an, dann lacht sie herzlich. „Komm her, lass mich deine Nase sehen.“ Scharte trottete geknickt zu ihr, Schnuff und ich suchen schnell das Weite … Mein Ohr zuckt. Müde brumme ich und drehe mich leicht. Es ist morgens und ich wache gerade auf. Wieder zuckt mein Ohr. Da ist ein Geräusch, eins das ich inzwischen recht gut kenne. Ich gähne ausgiebig und strecke mich, erst jetzt öffne ich meine Augen. Das Geräusch ist noch recht leise, aber bald wird es lauter werden. Als wir es das erste Mal hörten, hatten wir fürchterliche Angst. Es klang laut und kraftvoll. Mutter hat uns erklärt, dass es die 'Flut' ist. Flut, das ist viel Wasser, welches in die Höhle vor unserem Zuhause fließt. Wenn das Wasser hereinkommt, dürfen wir nicht hinaus; auch nicht auf den kleinen Vorsprung vor unserem Zuhause. Mutter hat uns gesagt, das die Luft in der Höhle verrücktspielt, wenn das Wasser kommt und das wäre gefährlich; wir könnten vom Vorsprung fallen, oder so. Ich hebe den Kopf und sehe mich um. Meine Brüder schlafen noch tief und fest. Neugierig strecke ich mich noch etwas weiter. Mutter schläft auch noch, wie es aussieht. Leise stehe ich auf und schleiche davon. Ich bin ein braves Kind, ich tue immer, was mir meine Mutter sagt. Leider ist mir meine Neugier da oft im Weg. Wenn ich etwas unbedingt wissen oder sehen möchte, sind mir Verbote recht egal. Auf Pfotenspitzen gehe ich zum Eingang. Dort angekommen drehe ich mich noch einmal um. Ja, schlafen noch alle. Ich schleiche weiter. Von unserer Höhle führt ein kurzer Gang zur großen. Bereits auf halber Strecke fühle ich einen starken Luftzug und halte inne. Mein Herz klopft wie wild. Verbote gibt es nicht umsonst, das ist mir bewusst, doch ich möchte das so unbedingt sehen! Die Angst übermannt mich aber ein wenig, also lege ich mich auf den Bauch und krieche langsam weiter. Sicher ist sicher. Das Geräusch wird immer lauter, der Luftzug immer stärker. Ich schiebe mich bis zum Rand des Ausgangs, nur so weit, dass ich den Kopf herausstrecken kann, um in die große Höhle zu sehen. Ich schaue seitlich am Vorsprung vorbei und fassungslosigkeit macht sich in mir breit. Ich kenne das Wasser nur glatt und ruhig. Das, was ich gerade sehe, hat damit nichts zu tun. Das Wasser ist wild und tobt. Es schlägt gegen die Felswände und Steine. Schaum bildet sich durch die vielen Wellen und es ist unfassbar laut! Mir klingeln richtig die Ohren durch das Tosen. Mehrere Minuten dauert das Ganze, dann beruhigt es sich langsam. Die Flut hat ihren Höchststand erreicht. Glatt und spiegelnd liegt das Wasser vor unserem zu Hause, so, wie ich es schon ein paar Mal gesehen habe. Mein Herz klopft immer noch wie wild vor lauter Aufregung. Ich atme mehrfach tief durch und stehe dann auf. Vorsichtig gehe ich zum Ende des Vorsprungs und lege mich hin. Ich lasse die Vorderpfoten über den Rand hängen und sehe hinab. Mein Spiegelbild sieht mich an, neugierig und auch irgendwie fragend. Nach einiger Zeit taucht ein weiteres Spiegelbild auf. Es sieht ganz anders aus wie ich. Nicht braun, sondern bläulich. „Na, Kleines?“ Sanft lächelt mich Mutter in der Spiegelung an. Ich hebe den Kopf und sehe sie an. Seit einiger Zeit beschäftigt mich eine Frage, aber ich habe mich bis jetzt nicht getraut sie zu stellen. „Mama?“ „Ja?“ „Ähm. Warum sehen meine Brüder und ich so anders aus?“ Meine Mutter stutzt kurz, dann legt sie den Kopf schief und lächelt. Sie stupst mich mit der Nase an. „Ihr seid noch Kinder. Wenn ihr eines Tages erwachsen werdet, dann seht ihr so aus wie ich und die anderen.“ Irritiert ziehe ich die Augenbraue hoch. Was soll das denn nun wieder heißen? Mutter lacht und dreht sich um. „Komm! Wir frühstücken erst einmal.“ Ich springe auf und folge. Zusammen gekuschelt liegen wir in unsrem kleinen Heim. Müdigkeit hängt in meinen Knochen. Eindeutig zu viel geklettert heute. Allerdings musste ich unbedingt wissen ob ich es bis unter die Decke der großen Höhle schaffe. Ich habe es schon einige Mal probiert, aber immer ist etwas dazwischengekommen, in den meisten Fällen war es unsere Mutter. Aber heute war sie irgendwie zwischendurch nicht da und ich habe meine Chance genutzt. Und ja, ich habe es geschafft! Kaum wieder auf dem Boden, hat mich Scharte direkt überfallen und in eine Rauferei verwickelt. Zum Glück kam Schnuff mir zu Hilfe! Inzwischen wissen wir, dass wir ihn zu zweit schlagen können. Ich spitze die Ohren, als ich leise Stimmen hören. Mutter redet mit einem anderen Glaziola. Ich verstehe nicht viel, aber etwas von 'morgen', 'sie sind soweit' und 'erwachsen'. Doch die Müdigkeit übermannt mich, bevor ich ernsthaft darüber nachdenken kann und ich falle in einen unruhigen Schlaf. Ich träume merkwürdige Dinge; von Mutter, von meinen Brüdern … Am nächsten Morgen ist alles anders. Mutter weckt uns recht ruppig. In ihrem Gesicht sehe ich etwas, das ich nicht einordnen kann. Sorge, Angst, Traurigkeit? Auch Schnuff scheint es zu sehen. „Mutter? Ist alles in Ordnung?“, fragt er vorsichtig. Sie lächelt gezwungen. „Nun, heute ist ein besonderer Tag. Wir gehen zur Eishöhle.“ „Eishöhle?“, fragt Scharte irritiert. „Ja, es wird Zeit für euch erwachsen zu werden.“ Total baff und überfordert sehen meine Brüder und ich uns an. Erwachsenwerden? Was ist denn das?! Kapitel 2: Unterwegs -------------------- Hastig laufen wir unserer Mutter hinter her. Meine Güte, sie scheint es aber eilig zu haben! Sie führt uns aus der großen Höhle heraus. Mir wird irgendwie mulmig. Was ist nur los? Wir sind noch nie außerhalb der großen Höhle gewesen! Es war uns strengstens verboten und wurde beinahe akribisch von allen Glaziola überwacht. „Mutter? Warum haben wir es denn so eilig?“, fragt Scharte vorsichtig nach. Sie eilt um die nächste Ecke, bevor sie kurz stehen bliebt. Sie sieht zu uns und erklärt: „Wir müssen zur Eishöhle, die ist recht weit weg. Wir haben außerdem nicht allzu viel Zeit, denn wenn die Flut kommt, steht der ganze Bereich unter Wasser.“ Schnuff neben mir schnufft aufgeregt. Ich verstehe ihn! Seit ich gesehen habe, wie wild das Wasser werden kann, habe ich mächtig Respekt davor. Ich würde ungern in der Nähe sein, wenn eine Höhle geflutet wird, geschweigenden in einer. Wir laufen schweigend weiter. Eine merkwürdige Anspannung liegt in der Luft. Mutter führt uns durch unzählige Gänge und andere Höhlen. Immer wieder tauschen meine Brüder und ich besorgte Blicke aus, doch keiner traut sich etwas zu sagen. Wir gehen durch einen langen Gang und kommen in einer recht großen, länglichen Höhle an. Wir stehen auf einem Vorsprung, vorsichtig gehe ich an den Rand und sehe nach unten. Der Boden der Höhle sieht merkwürdig aus, nicht so wie in unserer. Bei uns ist er grau und rau, der hier ist gelb und wirkt irgendwie glatt. Neugierig sehen auch meine Brüder hinab. „Cool “, raunt Scharte. „Ganz schön tief“, fügt Schnuff hinzu. „Nicht trödeln!“, mahnt uns unsere Mutter. Ihre Stimme klingt, als wäre sie schon wieder weiter vorraus. Synchron drehen wir die Köpfe. Mutter läuft über einen schmalen Sims an der Wand entlang. Sie wirkt unglaublich sicher, obwohl sie sonst immer so tut, als würde ihr das Klettern nicht liegen. Ich stupse Scharte sacht mit der Schulter. „Das, ist cool“, necke ich ihn grinsend. Mein unliebsamer Bruder hat nämlich so gar kein Talent dafür, deswegen lässt er seinen Frust immer an mir aus. Auf der anderen Seite angekommen dreht sich unsere Mutter zu uns um. „Los jetzt!“, brüllt sie und Brüllen ist etwas, was sie sonst nie tut. Hastig stürmen wir los; ich vorneweg, hinter mir Schnuff und Scharte etwas weiter dahinter. Mit Leichtigkeit tipple in den Sims entlang, Schnuff ebenfalls und Scharte … Ja, er braucht ein wenig länger. Mutter steht neben mir und schnufft genervt. Ja, sie kann das auch! Während wir auf Scharte warten, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Irgendetwas ist da hinter mir. Ich drehe mich langsam um und starre den breiten Felssteg entlang, auf dem wir uns befinden. Nichts zu sehen. Doch mein Gefühl sagt mir, dass da etwas ist. Ich sehe mich weiter um, lassen meinen Blick schweifen. In der Mitte der Höhle befinden sich einige Plateaus. Da! Auf dem hinteren ist etwas, es lugt hinter einem Stein hervor. Ich sehe nicht viel, außer eine gelbe Spitze und einem schwarzen Gesicht. Erschrocken fiepe ich und verstecke mich hinter Mutter. Das Wesen erschreckt ebenfalls und verschwindet. „Also wirklich!“, tadelt mich Mutter. Scharte hat es nun auch endlich geschafft und wir gehen weiter. „Was war denn?“, fragt mich Schnuff leise, während er neben mir herläuft. „Keine Ahnung. Da war etwas hinter dem Stein. Es war gelb und spitz und hatte ein schwarzes Gesicht“, erkläre ich. Scharte läuft hinter uns und hat alles gehört. „Pah! Du bist so ein Angsthase!“, werde ich von ihm aufgezogen. Genervt verdrehe ich die Augen. Kann er nicht damit aufhören? Ich verstehe sein Gehabe wirklich überhaupt nicht. „Ich würde mich jedem Kampf stellen, egal gegen wen“, tönt er weiter. „Wissen wir.“ Schnuff schüttelt den Kopf. „Du bist auch …“ Scharte bricht mitten im Satz ab. Schnell drehen wir uns um. Scharte steht da, mit großen Augen und schlottert. Zwischen ihm und uns ist etwas. Es ist schwarz, hat Flügel und große Ohren. Die beiden langen dünnen Schwänze berühren fasst den Boden. Es flattert vor sich hin und macht kein Geräusch. Das fliegende Ding nähert sich meinem Bruder, dieser rührt sich vor Angst nicht von der Stelle. Ich drehe mich um … Verdammt! Wo ist Mutter?! Sie war doch gerade noch vor uns! Scharte hinter mir fiept herzerweichend und ich drehe mich wieder zu ihm. Er rollt sich zusammen und zittert, während sich das Ding ihm weiter nähert. Ich muss schnell etwas tun, also mache ich das erste, was mir einfällt: „Hey!“, brülle ich so laut ich kann. Hoffentlich hört uns Mutter und kommt schnell zurück! Das Ding dreht sich um und … Es hat keine Augen! Wieso hat das keine Augen?! Was zum Kuckuck ist das?! Es stößt einen ohrenbetäubenden Schrei aus und plötzlich sehe ich alles verschwommen und doppelt und mir ist fürchterlich schlecht. Aus dem Augenwinkel sehe ich etwas an mir vorbei huschen. Es ist blau, mehr erkenne ich in meinem Zustand nicht. Bedröppelt taumle ich ein wenig hin und her. Ich schüttle mehrfach den Kopf, bis ich wieder richtig bei Sinnen bin. Das erste was ich sehe ist Mutter, die über Scharte steht und ihm den Kopf leckt. Das geflügelte Ding ist wie vom Erdboden verschluckt. Schnuff steht neben mir und sieht mich merkwürdig an. „Was?“, frage ich. „Du warst gerade so komisch.“ Schnuff mustert mich eingehend. „Das war ein Zubat und es hat den Superschall eingesetzt“, erklärt Mutter, während sie zu uns kommt. „Zubat?“ Schnuff legt den Kopf schief. „Superschall?“ Fragend hebe ich die Augenbraue. „Es hat sich wohl gestört gefühlt“, erklärt sie und ignoriert unsere Fragen. „Bleibt dicht bei mir, damit das nicht wieder passiert.“ Ein strenger Blick tadelt uns drei. Danach vergewissert sie sich noch, dass es mir gut geht und die Reise geht weiter. Gefühlt sind wir schon ewig unterwegs. Unzählige Gänge, Höhlen, Plateaus und Steintreppen. Meine Füße tun fürchterlich weh und meine Beine sind schwer wie Blei. Wieder in einer Höhle trotte ich Mutter hinterher. Unter meinen Pfoten ist plötzlich kein Stein mehr, sondern etwas Anderes, aber das stört mich nicht. Ich kenne das Gefühl irgendwie, auch wenn ich gerade nicht weiß woher. Es ist weicher wie Stein, aber trotzdem hart. Es fühlt sich eher warm an und nicht kalt. Ich laufe weiter, merke gar nicht, dass Scharte und Schnuff stehen geblieben sind. Wieder Stein unter den Pfoten remple ich gegen Mutter, weil ich nicht aufpasse. Erschrocken sehe ich auf, sie blickt in die Richtung aus der wir gekommen sind. Ich drehe mich um. Scharte und Schnuff stehen vor dem anderen Boden. Erst jetzt fällt mir auf, dass dieser einen tiefen Abschnitt überspannt und so direkt zwei Plateaus miteinander verbindet. „Kommt schon!“, fordert Mutter. Unruhigen fiepen meine Brüder. „Das ist nur eine Holzbrücke. Menschen habe sie gemacht, damit man hier schneller durchkommt. Das ist sicher“, erklärt sie weiter. Vorsichtig tapsen meine Brüder über die Brücke. Warum machen die so ein Theater? Ich verstehe es gerade nicht. Plötzlich stellen sich meine Haare auf. Ich drehe mich um … sondiere die Lage und … Ha! Gefunden! Hinter einem Stein lugt die gelbe Spitze wieder hervor. Der erste Schreck ist verflogen und die Neugier kommt hoch. Was das wohl ist? Ich versuche auf das Wesen zu zuschleichen... Unsanft werde ich abrupt im Nacken gepackt. „Wo willst du denn hin?“, nuschelt meine Mutter, während sie mich im Maul hat. Ich grinse doof. Was soll ich auch dazu sagen? Sie lässt mich wieder runter und sieht mich streng an, dann lächelt sie kurz. Meine Brüder haben es endlich über die Brücke geschafft und unser Gewaltmarsch geht weiter. Meine Pfoten schmerzen fürchterlich. Schnuff ist auch schon am lamentieren und Scharte sowieso. Wie weit ist denn diese Höhle noch? Ein Schauer huscht durch meinen Körper, irgendwie wird es immer kälter, oder bilde ich mir das ein? Wir gehen immer tiefer in die Höhle, immer weiter runter. Mein Fell stellt sich auf. Es ist wirklich kalt inzwischen! Ich schaue neben mich. Sehe ich tatsächlich Schnuffs Atem? Abgefahren! Am Ende eines langen Gangs treten wir in eine Höhle. Meine Brüder und ich kneifen kurz die Augen zusammen, irgendetwas blendet im ersten Moment. Und dann … Wow! Die Höhle ist kleiner wie unsere „Große“ aber, sie ist weiß! Richtig hell weiß! Sie strahlt und funkelt! Das ist so unfassbar hübsch. „Wartet hier!“ Mutter springt von dem Podest auf dem wir sitzen runter. Sie überquert die Eisfläche, die sich über den ganzen Boden zieht, und springt auf das Plateau, das in der Mitte der Höhle ist. Auf diesem steht ein großer Eiskristall. Er funkelt und glitzert mit dem Rest der Höhle um die Wette; hier scheint alles aus Eis zu sein – Boden, Decke, Wände; einfach alles. Meinen Brüdern und mir gehen fast die Augen über. Aber nicht nur deswegen. Um den Kristall herum tummeln sich überall Glaziola. Was machen die hier? Und viel wichtiger: woher kommen die alle? Ich kann mich nicht erinnern, jemals so viele gesehen zu haben. Gehören die alle zu unserem Rudel? Ich sehe, wie Mutter mit ein paar der anderen spricht. Neugierig spitze ich die Ohren und versuche zu hören, über was sie reden. Aber die Entfernung ist zu groß und ich höre nur Gemurmel. Meine Nackenhaare stellen sich wieder auf und das nicht wegen der Kälte die hier herrscht. Schnell wandert mein Blick durch die Eishöhle. Unweit von uns steht ein großer Stein und hinter dem sehe ich es – das gelbe Ding mit dem schwarzen Gesicht. Na warte, diesmal finde ich heraus, was du bist! Unsicher sehe ich zu Mutter; sie redet immer noch mit den Anderen. Und auch sonst scheint sich gerade keiner für uns zu interessieren. Kann ich es wirklich wagen? Kapitel 3: Traurige Erkenntnis ------------------------------ Ich setze mich in Bewegung, schleiche zum Rand des Vorsprungs. „Was machst du?“, fragt Schnuff mich. Ich sehe kurz über die Schulter. Meine Brüder sehen mich irritiert an. Ja, die habe ich doch glatt vergessen. „Bleibt hier, ich bin gleich zurück“, flüstere ich und rutsche den Felsen hinunter, bevor sie reagieren können. Unten angekommen … Hola! Das Eis unter meinen Pfoten fühlt sich kalt und glatt an, richtig glatt. Kurz bin ich verunsichert, ob das wirklich eine gute Idee ist, doch aus dem Augenwinkel sehe ich wieder das fremde Pokémon. Ich muss unbedingt wissen was das ist! Vorsichtig setze ich mich in Bewegung. An den Untergrund muss ich mich erst gewöhnen, meine Pfoten rutschen immer wieder seitlich weg. Nach einigen Metern habe ich den Bogen raus; gerade aufsetzen und nicht zu viel Druck. Tapp, tapp. Langsam werde ich sicherer. Geht doch! Ich visiere die gelbe Spitze hinter dem Felsen an und lege an Tempo zu. Jetzt bist du fällig! Kurz bevor ich am Felsen angekommen bin, springt das Pokémon hervor und huscht davon. Das Ding sieht aus wie ein laufender Spitzhut, oder ein Tipi - Was auch immer ein Tipi ist … Auf jeden Fall ist das Pokémon wesentlich sicherer auf dem Eis unterwegs als ich, doch das hält mich nicht auf. Es huscht um einen Stein und links weiter – ich hinterher. „Hey!“, rufe ich bemüht leise, mich soll ja niemand Falsches hören. Das Pokémon huscht unbeeindruckt weiter. Irgendwie ist mir das schon wieder fast zu blöd. „Hey? Ich tu dir nichts.“ Ich komme mir reichlich albern vor. 'Ich tu dir nichts'; wie sollte ich auch? „Lass mich!“, blafft mich das Pokémon an. „Ich dich? Du hast mich verfolgt!“, empöre ich mich. Weiter geht es über das Eis, um Felsen und Eis-Stalagmiten herum. „Ich will doch nur wissen, was du bist.“ Langsam geht mir die Puste aus. Die kalte Luft hier ist anstrengend. Wieder geht es um einen Felsen herum. Die Erschöpfung macht sich bemerkbar und ich rutsche weg. Ich lande unsanft auf dem Bauch und schlittre über das Eis. Ich starre dem Pokémon hinterher, wütend verzieh ich das Gesicht. Mist! „Schneppke“, schallt es leise, als das Pokémon im Dunkeln verschwindet. Ich grinse wie ein Honigkuchenpferd … eins, zwei, drei … Mein Lächeln gefriert und das nicht nur wegen der Kälte. Mutter wird nicht begeistert sein, wenn sie mitbekommt das ich weg bin. Ich sollte schleunigst zurück. Hastig rappele ich mich auf und sehe mich um. Verdammt! So groß kam mir die Höhle gar nicht vor. Aus welcher Richtung kam ich noch gleich? Ich laufe etwas unsicher los, um Felsen herum und schau mich um, in der Hoffnung, dass ich etwas wiedererkenne. Aber ich war so mit der Verfolgung von Schneppke beschäftigt, dass ich nicht auf meine Umgebung geachtet habe. Mutter wird mich in der Luft zerreißen, wenn sie das mitbekommt! Verloren stehe ich da und starre vor mich hin. Meine Augen weiten sich als mir eine Idee kommt. Mit Schnuff habe ich in der großen Höhle oft Verstecken gespielt und er hat mich immer gefunden. Ich habe ihn mal gefragt wie er das macht und er meinte, er würde mich riechen. Ob ich das auch hinbekomme? Ich senke meinen Kopf. Meine Nase ist wenige Zentimeter vom Eis entfernt, ich spüre die Kälte die von ihm ausgeht. Ich ziehe die Luft in kurzen schnellen Stößen ein. Wenn ich jetzt noch wüsste, was ich riechen sollte ... Ich laufe los, die Nase kurz über dem Boden. Ich laufe hin und her und dann rieche ich etwas. Keine Ahnung ob das der Geruch von Schneppke ist, von mir selbst oder etwas ganz anderem. Egal, ich laufe der unsichtbaren Spur nach, eine andere Option habe ich nicht. Ich könnte laut nach Hilfe rufen, aber dann wüsste Mutter, dass ich weg war und das möchte ich um jeden Preis verhindern. Ich trabe über das Eis. Meine Pfoten sind furchtbar kalt, meine Nase ebenfalls, von meinen Ohren ganz zu schweigen. Eiskalter Mist! Vor mir baut sich plötzlich ein Plateau auf, es ist komplett mit Eis überzogen. Ich höre leise Stimmen und mir fällt ein Stein vom Herzen. Ein Glück! Ich klettere hoch und sehe mich um. Ich bin auf der Anhöhe in der Mitte der Höhle, rechts in einiger Entfernung sehe ich meine Brüder, die brav vor dem Zugang sitzen. Ich würde mich gern bemerkbar machen, damit sie wissen, dass es mir gut geht, doch ich kann nicht. Die Glaziola und Mutter sind nicht allzu weit entfernt; sie würden mich bemerken und das gilt es zu verhindern. Die Stimmen sind eindringlich; irgendetwas stimmt scheinbar nicht und das weckt wiederum meine Neugier. Ich schleiche vorwärts, suche Deckung hinter einigen Felsen. Langsam pirsche ich mich weiter und weiter vor. Ein besonders großer Felsen, der nah genug an den Glaziola steht, ist mein Ziel. Endlich angekommen drücke ich mich an den eisbedeckten Stein und schaue vorsichtig hervor. Ich spitze die Ohren … „Ich verstehe das nicht.“ „Das ist doch nicht möglich.“ „Alle Eissteine sind weg!“ Die Glaziola reden alle wild durcheinander. Wenn ich wüsste was 'Eissteine' sind und warum alle sich deswegen so aufregen … „Das waren bestimmt die Menschen!“, empört sich eins lautstark. Menschen? Ich dachte hier kommen keine Menschen her. Zumindest wurde uns immer gesagt, dass Menschen nicht in das Innerste der Höhle vordringen. „Ja, bestimmt!“, wird beigepflichtet. „Es wird Monate dauern, bis neue Eissteine gewachsen sind“, merkt ein Glaziola bedrückt an. „Glaubst du?“ „Monate?“ Was für ein Chaos! Und das wegen ein paar Steinen? Irgendwie verstehe ich es gerade einfach nicht. Plötzlich wird es still. Ein Glaziola schreitet durch die Gruppe auf meine Mutter zu. Es scheint ziemlich alt zu sein. Sein Fell ist wesentlich heller und die Schritte wirken ein wenig schwerfällig. Mir scheint, dass er wohl der Anführer unserer Gruppe ist, so respektvoll wie sich alle ihm gegenüber verhalten. Er bleibt vor meiner Mutter stehen und setzt sich hin. Sein Blick ist direkt auf sie gerichtet, als beginnt zu sprechen. „Es ist an der Zeit, meine Liebe.“ Die Stimme des alten Glaziola ist rau und leise, ich habe Probleme es zu verstehen. „Zeit?“ Mein Herz beginnt zu rasen. Mutters Stimme ist zittrig, so habe ich sie noch nie gehört. Was ist hier los? „Ja, es ist an der Zeit das Versprechen einzulösen.“ Der Blick des Anführers hat etwas Verständnisvolles. Mutter hebt schlagartig ihren gesenkten Kopf. „Gibt es keinen anderen Weg?“ Sie klingt, als wäre sie den Tränen nahe. „Nein“, antwortet das alte Glaziola bestimmt. „Die Kinder können nicht monatelang in der Höhle bleiben. Das funktioniert nicht und das weißt du auch.“ Mutter senkt wieder ihren Kopf und schluchzt. Ich fühle, wie mir Feuchtigkeit in die Augen steigt. Ich habe meine Mutter noch nie weinen sehen. Etwas ganz Schreckliches muss hier gerade passieren und ich verstehe nicht was, was es für mich noch viel schlimmer macht. Mein Herz pocht, meine Augen sind nass und meine Beine fühlen sich an wie Pudding. Pudding? „Das Versprechen ist bindend.“ Die Stimme des Anführers lässt keinen Widerspruch zu. Mutter beginnt leise zu weinen. Eines der anderen Glaziola geht zu ihr, stupst sie mit der Nase und reibt seinen Kopf an der Wange meiner Mutter. „Es ist besser so.“ Was geht hier vor?! Ich beobachte das Ganze noch kurz, dann dämmert mir, dass ich dringend zu meinen Brüdern muss. Ich muss ihnen erzählen, was ich gehört habe! Versteckt hinter Steinen und Eisschollen schleiche ich zum Rand. Ich rutsche nach unten und renne, soweit es Eis und fehlende Puste zulassen, Richtung Eingang. Hastig klettere ich den Vorsprung hoch. Ich komme oben an, Vorderpfoten und Kopf auf dem Vorsprung, der Rest hängt noch halb in der Luft. Meine Brüder sehen mich an, erst erleichtert, dann besorgt, was wohl an meinem Gesichtsausdruck liegt. Mit großen feuchten Augen und offenem Mund hänge ich da und bekomme kein Wort heraus. „Was ist passiert?“ Schnuff und Scharte starren mich an, ich starre zurück. Gute Frage; was zum Kuckuck ist da gerade passiert?! „Sag schon“, fordert Schnuff aufgeregt. Ich hieve mich hoch und atme erstmal tief durch. Meine Brüder wuseln aufgeregt um mich herum. „Ähm. Also …“, beginne ich los zu stottern. Wo soll ich nur anfangen? Ein Geräusch lenkt mich ab und ich drehe mich um. Mutter und ein anderes Glaziola tauchen auf. Es ist das Gleiche, welches sie vorhin getröstet hat. „Tut mir leid, ihr drei“, beginnt Mutter zu erklären. Sie wirkt nicht mehr ganz so aufgelöst wie vorhin. „Leider funktioniert das mit 'erwachsen werden' gerade nicht.“ „Was?!“ Scharte scheint am Boden zerstört, obwohl er gar nicht weiß, worum es so richtig geht. Mutter sieht ihn an und lächelt ein wenig. „Um endlich erwachsen zu werden braucht ihr die Eissteine, und im Moment sind leider keine da.“ Scharte springt auf. „Aber … Und wann gibt es wieder welche?“ Das andere Glaziola leistet Mutter Beistand. „Bald.“ Meine Brüder tauschen Blicke aus. Ich sitze recht unbeteiligt da und starre meine Mutter an. Krampfhaft versuche ich in ihrem Gesicht etwas zu lesen, etwas, das mir hilft zu verstehen, was ich da eben mitgehört habe, doch ich schaffe es nicht. „Wir müssen gehen.“ Das fremde Glaziola setzt sich in Bewegung. „Die Flut setzt ein.“ Mutter geht einen Schritt beiseite und gibt den Blick in die Eishöhle frei. Tatsächlich. Das Wasser steht bereits recht hoch, scheinbar läuft es ruhig in die Höhle, nicht so laut und tosend wie bei uns, weswegen wir es nicht bemerkt haben. Die spiegelnde Oberfläche und das Eis in der Höhle scheinen regelrecht zu verschmelzen. „Das heißt, wir können nicht nach Hause?“ Fragend legt Schnuff den Kopf schief. Mutter nickt. „Ja, wir gehen in eine höher gelegene Höhle und warten dort, bis die Flut vorüber ist.“ Wortlos setzen wir uns in Bewegung. Wir folgen dem fremden Glaziola und Mutter bildet die Nachhut. Kapitel 4: Einsamkeit --------------------- In der Höhle angekommen gehen meinen Brüdern und mir kurz die Augen über. So viele Glaziola! Wo kommen die denn alle her? Das sind noch mehr wie vorhin in der Eishöhle. In dem blauweißen Gewimmel sind sehr viele unbekannte Gesichter. Doch eines erkenne ich wieder, obwohl ich es nicht dürfte. Das alte Glaziola, das wohl unser Oberhaupt ist, und es kommt geradewegs auf uns zu. „Kommt“, fordert er uns auf und dreht sich wieder um. Wir folgen ihm zur Gruppe. Als wir dort sind erklärt er uns, wie es weitergeht. „Ihr legt euch in die Mitte, der Rest legt sich um euch herum.“ „Mama?“ Meine Stimme zittert ein wenig. Ich bin immer noch fürchterlich aufgewühlt. „Alles gut, Kleines. Euer Fell ist nicht dafür geeignet, euch richtig warm zu halten bei den Temperaturen hier, daher kuscheln wir uns an euch, damit ihr es schön warm habt.“ Aufmunternd stupst Mutter mich noch mit der Nase an. Scharte legt sich als erster hin, an seinen Rücken legt sich Schnuff und ich kuschle mich an dessen Seite. Mutter legt sich halb um uns herum, das andere Glaziola auf die Seite von Scharte. Nach und nach folgen die restlichen. „Versucht zu schlafen oder seid wenigstens leise“, ertönt die Stimme des Anführers von irgendwo aus dem blauweißen Knäuel. Ich bin dankbar das Mutter neben mir liegt. Aus dem Augenwinkel sehe ich genau, dass es Schnuff unter den Pfoten brennt, mir Löcher in den Bauch zu fragen, wegen vorhin. Meine Gedanken kreisen immer noch um das, was ich gehört habe. Ich versuche zu verstehen, was los ist, aber sie schaffen es nicht. Irgendwann schließe ich die Augen und schlafe schließlich ein … Ich wache auf. Verwirrt sehe ich mich um. Was zum …?! Alle sind weg! Alle! Wirklich alle! Ich springe hektisch auf meine Pfoten. Mehrfach drehe ich mich, in der Hoffnung, doch jemanden zu sehen. Nichts. Mein Herz rast und das Blut rauscht mir in den Ohren. Was ist passiert?! Hinter mir keckert es plötzlich. Panisch drehe ich mich um. Ein Schneppke steht nicht allzu weit entfernt. Verwirrt lege ich den Kopf schief und verenge die Augen. Das hier sieht irgendwie anders aus als das, welches ich gesehen habe. Seine Augen wirken heimtückisch und der Mund grotesk verzerrt. Wieder keckert es. Ich bekomme Angst, hier stimmt etwas ganz und gar nicht! Das Schneppke schreit laut und feuert einen weißen blitzförmigen Strahl in meine Richtung. Im letzten Moment weiche ich aus und renne, was meine kurzen Beine hergeben. Wohin ist mir völlig egal, Hauptsache weg. Schneppke rennt mir nach. Immer wieder lacht es hämisch und feuert weiße Blitze. Ich renne und renne und renne. Kurz sehe ich über meine Schulter. Das Schneppke springt in die Luft und … verwandelt sich?! Eine schwarze Wolke hüllt es ein und heraus kommt ein Zubat. Ein Zubat! Wie ist das möglich?! Panisch haste ich weiter und renne über eine Brücke. Als ich etwa in der Mitte bin, kommt das Zubat von rechts angezischt. Ich kann mich nicht wegducken und es erwischt mich. Ich rolle über das Holz, über den Rand und falle. Ich falle und falle und falle ... „Kleines!“ Ruckartig hebe ich den Kopf. Zwei besorgte blaue Augen sehen mich an. Mein Puls rast immer noch und meine Atmung geht schnell. Ich bin kurz völlig orientierungslos und weiß gar nicht wo ich bin. „Ein Traum, es war nur ein Traum“, flüstert mir meine Mutter beruhigend zu und leckt mir über den Kopf. Ich drücke mich fest an ihre Seite. Langsam schießen mir Tränen in die Augen. Ich habe mich noch nie so hilflos gefühlt. Und das liegt nicht an diesem bizarren Traum von eben. „Alles ist gut.“ Während sie mir über den Kopf leckt, murmelt sie das immer wieder. Immer noch zitternd dämmere ich wieder weg. „Wach auf, Kleines.“ Müde blinzle ich. Ich fühle mich erschlagen, der Schlaf war nicht sehr erholsam, weder der erste noch der zweite. Träge rapple ich mich auf. „Du siehst nicht gut aus“, stellt Scharte fest und sieht mich an. Ich brumme als Antwort und reibe mir mit der Pfote über die Augen. „Kommt. Wir können jetzt gehen, die Flut ist vorüber.“ Mutter läuft los, Scharte ihr hinterher, dahinter Schnuff und ich. „Was ist passiert?“ Ich sehe Schnuff an. Er sorgt sich um ich, dass sehe ich, aber ich will ihm nichts verraten. Schlimm genug, dass es mir so furchtbar geht deswegen. „Nichts.“ Ich wünschte, ich hätte auf Mutter gehört. „Du gehst weg?!“ Fassungslos starre ich sie an. Irritiert wegen meiner heftigen Reaktion runzelt unsere Mutter die Stirn. „Ich komme bald wieder.“ „Wohin gehst du?!“ Selbst Scharte findet das Ganze offensichtlich merkwürdig. Mutter war noch nie weg, sie hat uns noch nie allein gelassen. Also zumindest nicht so. Natürlich war sie mal nicht bei uns, aber das jetzt fühlt sich nicht so an wie sonst. Und es liegt nicht an dem was ich gehört habe, dass ich dieses Gefühl habe. Meine Brüder wissen von nichts und selbst sie scheinen aber das verhalten unserer Mutter merkwürdig zu finden. Sie seufzt genervt. „Erwachsenen-Dinge klären. Meine Schwester passt so lange auf euch auf.“ Wie auf Kommando taucht unsere Tante auf, sie grinst fröhlich. „Hey, ihr.“ Ehe wir reagieren können, huscht Mutter aus unserem Zuhause. Meine Brüder und ich tauschen Blicke aus; verwirrte, irritierte und besorgte. „Ich finde es blöd, dass wir nicht erwachsen werden konnten“, tönt es lautstark. Ich verdrehe die Augen. „Sei doch still, Scharte.“ „Findest du es denn nicht blöd, Quietschie?“, fragt er und betont seinen Kosenamen für mich extra. „Keine Ahnung, und nenn' mich nicht so!“, fauche ich zurück. Unsere Tante Missy, setzt sich zu uns. „Wisst ihr denn überhaupt, was das heißt; erwachsen werden?“ Schnuff und Scharte sehen sie mit großen Augen an und schütteln den Kopf. Ich sehe nicht wirklich auf. Eigentlich will es nicht wissen, ich habe schon zu viele karussellfahrende Gedanken, auf noch mehr würde ich gerne verzichten. Außerdem ist dieses „erwachsen werden“ offenbar der Auslöser für all die merkwürdigen Dinge. „Also“, beginnt Missy, „ihr habt bestimmt schon bemerkt, dass ihr anders ausseht wie der Rest von uns.“ Synchrones Kopfnicken, außer von mir. Ich liege demotiviert auf Boden und rühre mich nicht. „Gut. Als wir noch klein waren, sahen wir auch noch so aus wie ihr. Erwachsenwerden, heißt sich 'entwickeln'.“ „Entwickeln?“, hakt Schnuff nach. „Ja“, erklärt unsere Tante. „Ein Evoli, so wie ihr es noch seid, verändert sich, wenn es mit einem Eisstein in Berührung kommt. Es 'entwickelt' sich und wird zu einem Glaziola.“ „Oh.“ Meine Brüder machen große Augen. Und ich hebe tatsächlich neugierig den Kopf; das klingt tatsächlich ganz spannend. „Wie ist das?“, frage ich ehrfürchtig. Missy überlegt kurz. „Es fühlt sich toll an. Man ist ganz warm und spürt wie Energie durch den Körper strömt. Man merkt wie man sich verändert und stärker wird.“ „Cool.“ Schartes Augen leuchten richtig und ich kann ihn verstehen; dass klingt wirklich cool. Unsere Tante hat sich die größte Mühe gegeben uns abzulenken. Bei Scharte und Schnuff hat das auch recht gut funktioniert. Bei mir eher nicht. Ich habe mit mir gehadert, ob ich meinen Brüdern erzählen soll, was ich gehört habe. Doch was soll ich ihnen erzählen? Das es irgendein ominöses Versprechen gibt, dass scheinbar jetzt eingelöst werden soll? Dass Mutter deswegen am Boden zerstört war? Das ist nicht wirklich viel. Und, dass mit der Höhle, dass Kinder nicht ewig in der Höhle bleiben können; was meinte der Alte nur damit? Ich behalte es lieber für mich, es reicht, wenn ich mir darüber den Kopf zerbreche und Sorgen mache. Das muss ich meinen Brüdern nicht antun, zumal sie sich schon um Mutter Gedanken machen. Es ist inzwischen nämlich schon spät, die nächste Flut kommt bald und sie ist immer noch nicht zurück. „Kommst du, Charly?“ Ich muss kurz schmunzeln. Meine Tante ist tatsächlich die Einzige die mich bei meinem derzeitigen Namen nennt. Schnuff sagt Schwester, Scharte Quietschie und Mutter ruft mich Kleines. Seufzend trotte ich zu unserer Schlafstätte. Schnuff und Scharte liegen bereits dort. „Wo bleibt Mama nur?“ Selbst Scharte macht sich inzwischen einen ziemlichen Kopf. „Macht euch keine Sorgen. Eure Mutter kann auf sich aufpassen“, versucht Missy uns zu beruhigen. „Im Gegensatz zu einigen anderen.“ Schelmisch grinst Schnuff Scharte an. Dieser knurrt als Antwort. „Was habe ich denn verpasst?“, fragt Missy neugierig. Schnuff grinst. „Scharte hat Bekanntschaft mit einem Zubat gemacht.“ „Wohl eher Quietschie.“ Scharte funkelt mich an. Ich muss kurz nachdenken. „Es war Superschall, glaube ich.“ „Na ja. Ihr habt Glück gehabt, dass es kein Golbat war.“ „Golbat?“ Fragend sehe ich unsere Tante an. „Die Weiterentwicklung von Zubat ...“, erklärt sie grinsend. Sie erzählt noch eine Weile, von Georok und Seemops, von Schneppke und anderen Pokémon die hier in den Höhlen leben. „Schlaft jetzt“, sagt sie nach einiger Zeit. Liebevoll stupst Missy jeden von uns mit der Nase. „Aber … Mama?“ Man hört die Sorge aus Schnuffs Worten. „Sie kommt bald. Schlaft jetzt.“ Wir kuscheln uns zusammen. Dicht an dicht, wie schon lange nicht mehr. Es fühlt sich merkwürdig an, ohne Mutter einzuschlafen. Wir mussten noch nie ohne sie die Nacht verbringen. Das Rauschen der einsetzenden Flut dringt allmählich zu uns vor. Nach und nach fallen uns allen die Augen zu. Kapitel 5: Erste Begegnung -------------------------- Es ist dunkel und ich fühle mich dumpf. Etwas leckt mir über den Kopf. Es fühlt sich vertraut und warm an. Blinzelnd öffne ich die Augen. Mama! Ich springe auf und drücke mich an ihre Brust. „Wir haben uns Sorgen gemacht!“, sprudelt es aus mir heraus. Schnuff und Scharte wachen auf, auch sie kommen sofort zu Mutter und kuscheln sich an sie. „Wo warst du so lange?“ „Was hast du gemacht?“ „Wir hatten Angst!“ Was für ein Durcheinander! Ich und meine Brüder blubbern alle gleichzeitig los. Mutter lächelt. Sie lächelt einfach nur und sagt kein Wort. Ich schleiche mich raus und setze mich auf den Vorsprung vor dem Eingang. Meine Gedanken kommen einfach nicht zur Ruhe. Die Stimmung ist gedrückt, wir verbringen bereits den Großteil des Tages Zuhause. Das Verhalten von Mutter macht es noch schlimmer. Sie kuschelt ständig mit uns und dieser traurige Gesichtsausdruck, wenn einer von uns doch mal die Höhle verlässt. Bis gestern war alles gut, und jetzt? „Hey.“ Verwirrt sehe ich zur Seite. Scharte? Mit ihm habe ich mal nicht gerechnet. „Hey“, antworte ich und lassen meinen Blick wieder durch die Höhle schweifen, die auch seltsam leer wirkt. „Irgendetwas stimmt nicht, oder?“ Scharte wirkt bedrückt, eher untypisch für ihn. Ich nicke. „Ich denke, etwas wird passieren.“ „Passieren? Wie meinst du das?“ „Keine Ahnung, aber es sollte nicht so sein, wie es jetzt ist“, seufze ich. Scharte nickt. Still sitzen wir da und starren vor uns hin. „Scharte? Kleines?“, ruft es aus unserer Höhle. Mein Bruder seufzt. So schwermütig kenne ich ihn gar nicht. Er steht auf und geht zurück. Noch kurz verharre ich, dann folge ich ihm. Wir liegen alle zusammen, wie schon die ganze Zeit. Mein Ohr zuckt, Besuch kündigt sich an. „Hey, ihr.“ Ich runzle die Stirn. Meine Tante ist eigentlich eine Frohnatur, doch ihre Stimme klingt wie die Stimmung des Tages – bedrückt. Mutter steht auf und geht zu ihr, leise reden die beiden. Ich verstehe nicht viel nur „Es ist soweit“ und „Sie sind da.“ „Passieren“, flüstert Scharte neben mir. Ja, es scheint so weit zu sein, was auch immer es ist. Mutter dreht sich zu uns um. Sie wirkt … bemüht, ein anderer Vergleich fällt mir gerade nicht ein. „So“, beginnt sie und ringt sich ein Lächeln ab. „Heute ist ein großer Tag für euch. Da das mit dem Erwachsenwerden ja im Moment nicht geht, bekommt ihr eine andere Überraschung.“ Verdutzt sehen meine Brüder und ich uns an. Überraschung? Ich hasse Überraschungen! Noch dazu, wo sich diese hier nicht gerade mit fröhlicher Stimmung einher zu gehen scheint. „Wir gehen nach draußen“, erklärt Mutter. „Draußen?“ Schnuff ist irritiert, Scharte auch, und ich erst. Was ist denn draußen? Mutter geht ohne weitere Erklärung voran und wir folgen ihr verdutzt. Draußen klingt … harmlos, oder? Wir sind schon eine ganze Weile unterwegs. Ein ziemlicher Marsch, der Weg nach draußen. Mutter hat uns erklärt, dass wir uns in der Küstenhöhle befinden und wir heute diese verlassen. Meine Brüder sind ziemlich aufgeregt deswegen. Meine trüben Gedanken sind tatsächlich auch verschwunden und ich freu mich. Das ist so spannend! „Was das wohl ist, draußen?“ Scharte ist total euphorisch. Schnuff lacht, „Werden wir bestimmt bald erfahren.“ „Sonne“, murmle ich in mich hinein. Keine Ahnung warum, aber als Mutter von draußen sprach, hatte ich einen gelben, strahlenden Ball auf blauem Grund vor meinem inneren Auge. Der gelbe Ball heißt Sonne; ich weiß das, warum auch immer. „Oh.“ Schnuff hält die Nase in die Luft. „Riecht das toll!“ Scharte und ich tun es ihm gleich und recken unsere Nasen in die Luft. Er hat recht, es riecht großartig! Irgendwie frisch. Mutter springt einen kleinen Absatz hinunter. Meine Brüder und ich bleiben kurz stehen und sehen nach unten. Da ist der merkwürdige gelbe Boden wieder. Ich bin mal gespannt wie er sich anfühlt! „Na dann!“, rufe ich und springe, meine Brüder direkt mit. Wir landen unten und... „Igitt!“ Schnuff verzieht angewidert das Gesicht. Der Boden fühlt sich nicht an wie erwartet. Ich dachte er ist trocken und krümelig. Vorsichtig hebe ich eine Pfote und betrachte sie. „Bäh!“ Der Boden hängt klumpig an Ballen und Fell. Mutter lacht. „Das ist nur nasser Sand. Das geht wieder ab.“ „Na hoffentlich“, motzt Scharte, der ebenfalls seine Pfoten betrachtet. „Kommt schon!“, fordert Mutter uns auf. Hastig laufen wir weiter. Wir kommen in einer Höhle an, die anders aussieht wie die, die wir bisher gesehen haben. Sie wirkt heller und übersichtlicher. Uns gegenüber ist ein Durchgang und dieser leuchtet. Wie auch immer ein Durchgang leuchten kann. Mutter läuft direkt darauf zu und wir ihr etwas zögerlich ihr hinterher. Es wird so hell, dass wir die Augen zusammenkneifen müssen. Noch ein paar Schritte und ich fühle etwas durch mein Fell streichen. Es ist leicht und nicht körperlich, eher wie sich bewegende Luft. Rauschen dringt an mein Ohr, das weder tobend noch wild, sondern ruhig und gleichmäßig klingt. Der Boden fühlt sich plötzlich auch nicht mehr nass und matschig an, er ist trocken und feinkörnig. Ich blinzle einige Mal bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt haben. Wow! Ungläubig sehe ich mich um. Da ist Sand und an dessen Ende ist Wasser, Wasser soweit das Auge reicht. Die Luft bewegt sich und lässt das Fell unserer Krägen flattern. Mutter steht ein paar Schritte entfernt und sieht uns an. „Na?“ „Toll“, hauche ich. Scharte und Schnuff nicken nur. Sie sehen genauso geplättet aus wie ich. „Der gelbe Sand hier heißt Strand und das viele Wasser Meer“, erklärt Mutter. „Ah, ihr seid schon da.“ Wir drehen uns um. Der Anführer steht da und betrachtet uns. Wo kam der denn so plötzlich her? Als wir eben in der Höhle waren, war da weit und breit niemand. Stand er etwa schon hier? Wenn ja, warum? Ein Geräusch in der Ferne lenkt mich ab und weckt meine Neugier. Ich sehe angestrengt den Strand entlang und entdecke etwas. „Was ist das?“, frage ich verwirrt. Meine Brüder folgen meinem Blick. Da läuft etwas den Strand entlang. Es ist groß und geht auf zwei Beinen. Es hat Fell auf dem Kopf, aber nicht mehr sehr viel. An seinem Körper trägt es ... Dinge. Keine Ahnung, was das sein soll. Der Anführer steht neben uns und sieht in die gleiche Richtung. „Ah. Der alte Mann.“ „Alte Mann?“ Fragend legt Schnuff den Kopf schief. „Ja, ein Mensch. Ein Männchen und schon recht alt, so wie ich.“ Heiser lacht unser Anführer. Ich betrachte das alte Glazolia von der Seite. Der Typ ist ein komischer Kauz, gestern war er irgendwie anders. Gestern wirkte er sehr streng und bestimmt; jetzt ist er irgendwie lockerer. „Kommt. Wir gehen zu ihm.“ Und schon läuft er los. Fragend sehen wir zu unserer Mutter, sie nickt und lächelt leicht. Während wir zu dem Mann laufen, läuft dieser in unsere Richtung. „Der alte Mann ist oft hier. Er sammelt Dinge in der Höhle, aber er dringt nie weit in sie vor, um niemanden zu stören.“ Das alte Glazolia nickt vor sich hin während es redet. „Er tut niemanden etwas, er ist nett und ungefährlich.“ „Du meine Güte“, tönt der Mensch aus einiger Entfernung. Erschrocken bleiben meine Brüder und ich stehen. „Soll das so?“ Fragend sehe ich den Anführer an. Das alte Glaozlia verengt die Augen und grübelt, dann erhellt sich seine Miene, als er begreift was ich meine. „Ja. Wisst ihr, wir verstehen die Menschen, obwohl sie keine Pokémon sind, aber die Menschen uns leider nicht.“ Der alte Mann kommt näher. „Nein, was für süße drei Evoli!“ Er geht in die Hocke. Seine Knie machen dabei ein merkwürdiges Geräusch, was mich dazu veranlasst, zusammen zu zucken und zu fiepen. „Oh, nicht doch. Haben meine alten Gelenke dich erschreckt?“ Der Mann streckt seine Hand nach mir aus. Starr vor Schreck und Angst rühre ich mich nicht. Seine Hand kommt näher und berührt meinen Kopf und tätschelt diesen. Sie ist warm und irgendwie weich. Ein bisschen wie die Zunge von Mutter, nur größer und trockener. Ich schließe die Augen und recke meinen Kopf. Das fühlt sich gut an! „Siehst du? Ich tu euch nichts“, redet der Mann auf mich ein. „Ihr seid zum ersten Mal draußen, was?“ „Quietschie?“ Die Stimme von Scharte zittert ängstlich. „Das fühlt sich toll an“, säusle ich. Schnuff kommt näher und schnüffelt neugierig an der Hand des Menschen. „Na, und du?“ Bedacht streichelt er meinem Bruder über den Rücken. „Oh... toll...“, schnurrt Schnuff. Scharte bleibt auf Abstand. Er hat zwar immer die große Klappe, aber eigentlich ist er ein ziemlicher Angsthase. „Komm doch mal her.“ Einladend streckt der Mann Scharte die Hand hin, doch dieser weicht zurück und schüttelt den Kopf. „Dann eben nicht“, lacht der Mensch. Mit großen Augen sehe ich den alten Mann an. Er lächelt ein bisschen wie Mutter, sanft und liebevoll. Seine Hände schließen sich um meinen Körper. Ich versteife mich kurz, was Schnuff dazu veranlasst zurückzuweichen. Der Mensch hebt mich hoch. Oh Gott, das fühlt sich eigenartig an! Er setzt mich auf seinen Schoß und legt einen Arm um mich, damit ich nicht herunterfalle. Sanft streichelt er mir über den Rücken. Selig schließe ich die Augen, es fühlt sich warm und sicher an. Alle Gedanken der letzten Stunden sind für einen Moment wie weggefegt. Schnuff kommt neugierig wieder näher. Er schnüffelt an den Dingen die der Mann am Körper trägt und endlich überwindet sich auch Scharte. Er schleicht vorsichtig näher und betrachtet den Mann und mich skeptisch. „Du wirst wohl kein Menschenfreund was?“ Der Mensch sieht Scharte grinsend an. Nach einiger Zeit setzt mich der Mann wieder auf den Boden. Er tätschelt mir und Schnuff noch den Kopf. „Ihr werdet nun die große weite Welt entdecken, ich wünsche euch viel Spaß dabei.“ Dann erhebt er sich. Seine Knie protestieren wieder lautstark, was mich wieder zum Zucken und Fiepen veranlasst. Ja, ich bin schreckhaft, so was Blödes aber auch. Der Mann schlendert in Richtung Höhle davon. Er summt vergnügt und scheint glücklich. Ich muss grinsen. Mein Blick wandert zu dem alten Glazolia, dass sich die ganze Zeit zurückgehalten hat. Seine Augen sind auf das Meer gerichtet. Ich drehe mich und folge seinem Blick. Verwirrt lege ich die Stirn in Falten. Da draußen ist etwas, etwas Großes. Ich erkenne es nicht, aber es sieht aus wie ein Hügel auf dem Wasser und darauf sitzen zwei Knubbel. „Was ist das?“ „Ein Wailmer. Es bringt unseren Besuch“, erklärt der Anführer. „Wailmer?“ „Besuch?“ Schnuff und Scharte klingen neugierig. Mich suchen sofort meine Sorgen wieder heim. Etwas wird passieren; ist es jetzt soweit? Kapitel 6: Schlechte Neuigkeiten -------------------------------- Das Wailmer kommt immer näher und näher. Nach einiger Zeit merke ich, dass die beiden Knubbel auf ihm gar nicht zu ihm gehören. Es sind zwei andere Pokémon. Sie sehen … sie sehen ein bisschen aus wie meine Brüder und ich. Allerdings sind sie größer, ihr Fell ist rot und die Mähne um den Hals ausgeprägter. Obwohl? Nein, das eine hat helleres Fell, es wirkt ein bisschen gelblich. Ob es alt ist, wie unser Anführer? Das Wailmer kommt ganz nah an den Strand und hält an einem Felsplateau. Die beiden Fremden springen herunter. Sie drehe sich um und reden kurz mit dem großen blauen Pokémon, dann kommen sie in unsere Richtung gelaufen. Wir sind inzwischen zu unserer Mutter zurückgekehrt. Sie sieht uns merkwürdig an, sagt aber nichts. Mein Herz beginnt wieder wild zu klopfen. Was hat das alles nur zu bedeuten? Warum sind wir hier und warum bekommen wir Besuch? „Sei gegrüßt, Monty“, meldet sich das heller der Pokémon aus einiger Entfernung zu Wort. Die Stimme klingt kräftig und hat einen ausgeprägten Bass. Das hatte ich nicht erwartet und zucke kurz. „Sei ebenfalls gegrüßt“, antwortet unser Anführer. Ich sehe ihn von der Seite an. Monty? Unser Anführer heißt Monty? Ernsthaft?! Die beiden Fremden kommen bei uns an und betrachten meine Brüder und mich eingehend. „Das sind Flamara“, erklärt unser Anführer, an uns gewandt. „Ihr müsst wissen, es gibt verschiedene Clans, die alle auf den verschiedenen Entwicklungen von Evoli basieren. Unser Besuch hier, gehört zum Flamara-Clan und wir selbst zum Glazolia-Clan.“ Mit großen Augen sehen wir erst Monty, dann unsere Mutter an. Was bedeutet das alles? Verschiedene Entwicklungen? Unterschiedliche Clans? „Es freut mich, euch kennenzulernen“, beginnt das ältere Flamara. Er betrachtet uns wohlwollend, während er fortfährt, „Mein Name ist Chief, ich bin der Anführer des Flamara-Clans“ Überfordert nicken meine Brüder und ich. Das andere, weibliche, Flamara räuspert sich. „Mein Name ist Chilli. Freut mich ebenfalls.“ Wieder nicken wir nur. Schnuff dreht sich als erster zu unserer Mutter um. „Mama?“ „Was ist hier los?“ Scharte blickt zwischen Monty und Mutter hin und her. „Warum sind die Flamara hier?“ Meine Stimme ist heiser. Der Blick unserer Mutter ist für einen Moment irgendwie leer und abwesend, dann fängt sie sich. „Das wird Monty gleich erklären.“ Mit großen Kulleraugen sehen wir unseren Anführer an. Monty räuspert sich, ihm scheinen irgendwie auch die Worte zu fehlen. „Nun, ihr drei müsst jetzt tapfer sein. Ihr werdet Chief und Chilli begleiten, ihr werdet zu ihrem Clan wechseln ...“ Weiter kommt er nicht. Schlagartig bricht lautstarkes Geschrei los. „Was?!“ „Warum?“ „Das geht aber nicht!“ Wir drei brüllen lauthals durcheinander. Mutter versucht uns zu beruhigen und ermahnt uns zur Ruhe, aber wir hören einfach nicht auf. Es ist ziemlich chaotisch, wie meine Gedanken. Langsam beginnt sich Montys Miene zu verändern, von freundlich zu verärgert. Er sieht uns missmutig an und dann: „RUHE!“ Blitzartig drehen wir uns zu ihm um und setzen uns auf unsere Hintern. Mit großen, schreckgeweiteten Augen starren wir das alte Glazolia an. Unbewusst drücken wir uns aneinander und gleichzeitig mit den Rücken gegen unsere Mutter. „Gut. Ich würde gerne zu Ende erzählen.“ Griesgrämig sieht uns Monty an, dann atmet er tief durch und seine Miene erhellt sich wieder ein bisschen. „Ich verstehe euch, denkt nicht ich bin herzlos. Aber lasst mich bitte erklären.“ Wir nicken kaum sichtbar. Aus dem Augenwinkel sehe ich Chief, der verschmitzt grinst, scheinbar amüsiert ihn irgendetwas. „Alle paar Generationen werden unter den Clans Jungtiere getauscht. Es geht darum, die Bindung unter den verschiedenen Clans zu stärken und die Blutlinien sauber zu halten. Wisst ihr, wenn zu viele Tiere in einem Clan direkt miteinander verwandt sind, also in direkter Blutlinie zueinanderstehen, ist das nicht gut. Es führt manchmal dazu, dass, nun ja, schlechtes Erbgut sich verbreitet und den Clan schwächt.“ Wir nicken wieder. Um ehrlich zu sein; ich habe keine Ahnung, was Monty uns da gerade erklärt, aber es klingt wichtig. Das macht es aber nicht besser. Ich fühle mich gelähmt und in meinem Kopf herrscht gähnende Leere. Ich beginne unkontrolliert zu zittern, scheinbar versucht mein Körper zu kompensieren, dass mein Gehirn nicht reagiert. Mutter leckt mir vorsichtig über den Kopf. Ich drehe ihn ruckartig zur Seite, ich will jetzt nicht berührt werden! Mir ist gerade alles zu viel. Scharte neben mir beginnt fürchterlich zu fiepen und zu winseln. Er dreht sich zu unserer Mutter um und drückt sich an sie. Schnuff sitzt teilnahmslos da und starrt vor sich hin, er beginnt zu schluchzen und zu weinen. Missy taucht auf und reibt ihre Wange über seinen Kopf, leise flüstert sie ihm etwas zu. Ich drehe mich um und sehe Mutter an. Sie weint nicht, sie tobt nicht. Für einen Moment habe ich das Gefühl, wir sind ihre egal, aber dann sehe ich es. Ich sehe die Feuchtigkeit in ihren Augen und auch ihr gebrochenes Herz irgendwie. Wir rücken zusammen, meine Brüder, ich, unsere Tante und Mutter. Wir drängen uns aneinander ... vielleicht das letzte Mal? „Sehen wir uns ...“ Ich bekomme den Satz nicht zu Ende, meine Stimme versagt. „Wir sehen uns wieder. Die Clans besuchen sich untereinander regelmäßig“, erklärt Mutter uns heiser. „Es wird nicht gleich sein, denn ihr werdet euch erst bei den Flamaras einleben müssen und daher die ersten Monate komplett dort verbringen.“ Das tröstet mich - so gar nicht. Erst können wir nicht erwachsenwerden, dann lässt uns Mutter plötzlich bei Missy bis spät in die Nacht und jetzt sollen wir weggehen? Weit weg auch noch, wie es scheint. Ich würde gerne ... keine Ahnung. Schreien wäre gut, oder weinen, aber ich kann nicht. Ich sitze da, starre vor mich hin und zittere wie Espenlaub. Wie konnte alles nur so schieflaufen und das innerhalb von nur einem Tag? Was haben meine Brüder und ich verbrochen?! Schnuff fängt an bitterlich zu weinen, wie gern würde ich das auch. „Das geht doch nicht“, schluchzt er immer wieder. „Ich will nicht!“ Der plötzliche Ausbruch von Scharte lässt mich zusammenzucken. Laut brüllt er, wieder und wieder. Er löst sich von Mutter und versucht wegzulaufen, doch Missy erwischt ihn gerade noch rechtzeitig am Schweif und zieht ihn zurück. Sie legt ihre Pfote um ihn und drückt ihn an sich. Er tobt zunächst noch, doch dann beruhigt er sich langsam. Etwas zupft sanft an meinem Ohr. Verwirrt drehe ich den Kopf und sehe auf. Zwei dunkle mitfühlende Augen sehen mich an, es ist Chilli. Wieder leckt sie über meinem Ohr. Sie scheint zu wissen, wie ich, wir, uns gerade fühlen. Sie lässt sich uns gegenüber nieder, stupst Schnuff mit der Nase, um auch seine Aufmerksamkeit zubekommen. Total verheult sieht er schließlich auf. „Ich verstehe euch. Wisst ihr, ich stamme auch nicht aus dem Flamara-Clan.“ Chillis Stimme ist sehr gefühlvoll und melodisch. „Ich erinnere mich genau, wie ich mich damals gefühlt habe, als ich meinen Blitza-Clan verlassen musste.“ Ich runzele die Stirn. Monty hatte etwas von verschiedenen Entwicklungen gesagt. Scheinbar gibt es noch mehr. „Blitza-Clan?“ Ich frage eher aus Höflichkeitsgefühl, als aus Neugier. Chilli will uns beistehen, da sollte ich wenigstens etwas Interesse an ihr zeigen, oder? „Ja, der Blitza-Clan.“ Ihre Stimme klingt ein wenig traurig. „Der Clan lebt sehr weit entfernt von hier. Er gehört zum Typ Elektro.“ Schnuff zieht die Augenbraue hoch. „Elektro?“ Gott, er klingt fürchterlich krächzend. „Okay. Hm.“ Chilli scheint zu überlegen. „Das mit den verschiedenen Typen erklären wir euch später.“ Monty und Chief gesellen sich zu uns, bis eben saßen sie etwas abseits und haben sich leise unterhalten. Das alte Glaziola ergreift als erstes das Wort. „Nun, ich weiß, dass die Situation schwer für alle beteiligten ist.“ Mitfühlend sieht er unsere Mutter an. „Doch der Tag neigt sich schneller dem Ende, wie uns lieb ist. Wir haben schon zu viel Sonnenlicht vergeudet.“ Ich versuche den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken, aber es geht nicht. Irgendwo von der Seite höre ich Scharte wieder brüllen, „Ich will nicht!“ Ich fürchte, dass das nicht zur Debatte steht. Immer noch kann ich nicht weinen und auch nicht schreien, ich zittere einfach nur. Ich zucke zusammen, als Chief zu sprechen beginnt. „Wir werden den Weg, zurück in die Wüste zwar ohnehin nicht an einem Tag schaffen, aber wir sollten uns schon ein wenig Sputen.“ Sein Blick geht für einen Moment zur Sonne. „Ich würde ungern die Nacht auf dem Meer verbringen.“ „Ich will nicht!“, brüllt es wieder. Ich bin derselben Meinung, aber ich bekomme kein Wort heraus. Ich sehe Chilli an, die sanftmütig Lächelt, dann drehe ich mich zu Mutter um. Sie leckt Schnuff über den Kopf und murmelt, „Alles wird gut.“ Ich fühle mich wie betäubt. War es das? Wir gehen jetzt einfach? Ist das wie mit dem Schneppke, das sich in ein Zubat verwandelt hat? Es ist ein Traum, ein Albtraum ... ich wach gleich auf, oder? „Wir müssen.“ Ich zucke, dumpf dröhnt mir der Bass in den Ohren. Wie mechanisch erhebe ich mich und sehe zu Schnuff. Seine Augen glänzen immer noch voller Tränen, doch auch er scheint zu begreifen, dass wir keine wirkliche Wahl haben. Wir nicken uns zu. Ein letztes Mal drängen wir uns an Mutter und Missy, schmusen und nehmen ihre Gerüche und Wärme tief in uns auf. Scharte beäugt uns misstrauisch. „Ich will nicht“, flüstert er noch einmal trotzig, dann tut er es Schnuff und mir gleich. Chief und Chilli sind bereits ein wenig vorgegangen, haben uns Zeit und Platz gelassen, doch nun werden sie ungeduldig. Meine Brüder und ich traben los, Köpfe gesenkt und jeder tief in seinen eignen Gedanken. Ich drehe mich noch einmal um. Mutter und Missy stehen Seite an Seite, geben sich halt. Monty sitzt daneben, mit einer Mischung aus Stolz und Trauer in den Augen und weit hinter ihnen sehe ich noch etwas. Da ist der alte Mann, er steht am Eingang der Höhle. Er sieht zur mir, lächelt freundlich und winkt. Seine Worte von vorhin hallen in meinem gedankenleeren Kopf; „Ihr werdet nun die große weite Welt entdecken, ich wünsche euch viel Spaß dabei.“ Ob der alte Mann wusste, was passieren wird? Kapitel 7: Neue Ufer -------------------- Wir folgen den beiden Flamara schweigend zu dem Felsplateau. Das Wailmer wartet dort geduldig auf uns. Jetzt wo wir uns ihm nähern, wird mir erst die beeindruckende Größe bewusst. Mann, das Ding ist riesig! „Hallöchen!“, tönt das blaue Pokémon freundlich. Und ich tue was? Genau! Ich zucke und fiepe. Chief und Chilli sehen mich verwundert an. Scharte schnauft. „Das macht sie immer.“ Verärgert funkle ich ihn an. Doch eigentlich bin ich froh, dass er wieder etwas mehr er ist. „Keine Angst, ihr kleinen Häppchen, alles wird gut.“ Häppchen?! Erschrocken starre ich das Wailmer an. Donnernd lacht es los und auch Chilli lacht ebenfalls. „Nehmt ihn nicht zu Ernst, er macht gerne ein Späßchen.“ Großartig! Das kann ja heiter werden. Die beiden Flamara springen auf den Rücken des Wailmer. Auffordernd sehen sie mich und meine Brüder an. Scharte bemüht sich, mal nicht der Angsthase zu sein und klettert als erster rüber, Schnuff folgt ihm vorsichtig und ich ... ich stehe noch einen Moment da und starre das blaue Pokémon an. „Komm schon, Kleines.“ Freundlich lächelt es mich an. Verwirrt schüttle ich den Kopf. Kleines. Prima. Ich tapse los und klettre auf das Wailmer. „Mein Name ist übrigens Rod“, stellt es sich vor. „Freut mich, Rod”, antworte ich. „Mich nennen alle ...“ „Quietschie“, mischt sich Scharte ein. „Oder Schwester“, fügt Schnuff hinzu. „Oder ... Kleines“, flöten beide synchron und betonen es genauso, wie Mutter es immer tut und lachen anschließend. Ich sollte sauer sein, aber eigentlich freue ich mich das Lachen der beiden zuhören. „Na da habe ich doch voll ins Schwarze getroffen.“ Das Wailmer lacht ausgelassen, wobei sein ganzer Körper vibriert. Ich hatte erwartet, dass sich die Haut von Rod glitschig anfühlt, aber das tut sie nicht. Sie ist zwar glatt, aber nicht rutschig. Außerdem fühlt sie sich warm an, was womöglich an der Sonne liegt, die schon die ganze Zeit auf sie scheint. „Schön sitzen bleiben“, ermahnt uns Chief. „Nicht, dass ihr runterfallt.“ Artig nicken wir. Chief und Chilli sitzen recht weit vorn, meine Brüder und ich, dicht zusammen, dahinter. „Na dann los!“ Rod pustet Luft, aus dem Loch, das weiter vorn auf seinem Rücken ist und setzt sich in Bewegung. Muss ich wieder erwähnen, dass ich zucke und fiepe und deswegen von den beiden Flamara merkwürdig angesehen werde? Nein? Gut. Bewegung ist hier das Stichwort. Als ich das Wailmer aus der Ferne gesehen habe, sah es aus, als würde es dahingleiten, ohne sich groß zu bewegen. Jetzt merke ich, dass es anders ist. Rod bewegt sich mit dem Wasser; auf und ab, leicht nach rechts und links. Woah. Das ist befremdlich! Meine Brüder und ich sehen noch eine ganze Weile zum Strand. Reglos sitzen alle dort und sehen uns nach. Immer kleiner werden sie, je weiter wir uns entfernen. Angst schnürt mein Herz ein. Wir gehen weg. Die Erkenntnis flutet mich so blitzartig, das ich nicht dagegen ankomme – ich fange an zu weinen. Schnuff und Scharte drücken sich an mich, versuchen mich zu trösten. Kleiner und kleiner werden Strand, Glazolia und Höhle. Irgendwann verschwinden sie und auch meine Tränen. Ich habe mich wieder gesammelt und atme durch. Die Luft schmeckt komisch, wie die Wände in der Höhle, wenn die Flut weg war. Das liegt am Salz im Wasser, hat Missy einmal erklärt. Weit und breit ist nichts außer Wasser. „Abgefahren“, flüstert Schnuff neben mir. Er kann seine Augen gar nicht abwenden. Im Gegensatz zu mir. Ich sehe auf den blauen Rücken von Rod. Mein Magen fühlt sich eigenartig an. Er scheint jeder Bewegung des Wailmer zu folgen. Auf, ab, rechts, auf, links, ab, ... Ich schlucke. Aus irgendeinem Grund habe ich unglaublich viel Spucke im Mund. „Quietschie?“ Scharte klingt besorgt, aber ich traue mich nicht den Kopf zu heben. Wieder eine etwas größere Welle. Moah, mir ist übel... „Nicht doch.“ Der tiefe Bass von Chief bekommt mir gar nicht. Mein Magen beginnt, zusätzlich zu dem hin und her Geschwanke, nun auch noch zu vibrieren. „Da verträgt wohl jemand das Seefahren nicht?“ Rod scheint sich zu amüsieren. „Kleines?“ Chilli schiebt sich vorsichtig in mein Sichtfeld. Ich hebe ein wenig den Kopf und sehe sie an. „Du musst zum Horizont sehen. Konzentrier dich auf die Linie, zwischen Himmel und Wasser.“ Ich schlucke wieder und sehe auf. Horizont. Ich fixiere die Linie und konzentriere mich darauf. Nach einer Weile setzt tatsächlich langsam Besserung ein. Mein Magen fühlt sich nicht mehr ganz so flau an und auch das Atmen fällt mir leichter. „Siehst du?“ Aufmunternd lächelt Chilli. Ich ringe mir ein gequältes Lächeln ab. „Ho, das wäre es geworden. Die Tentacha hätten sich bestimmt über eine Mahlzeit gefreut“, frohlockt unser Transport-Pokémon. „Rod“, ermahnt Chief das Wailmer. Wir fahren, schwimmen, gleiten, was auch immer - eine ganze Weile. Rob erzählt uns einiges; über sich und das Meer, über Nautik und Hoenn – so heißt die Region in der wir uns befinden. Ich kann mir allerdings noch nicht wirklich etwas unter der Hoenn-Region, oder Festland und Inseln vorstellen … Nach einiger Zeit kneife ich die Augen zusammen. Da ist etwas in der Ferne, es ist grau und rund. Als wir noch ein Stück näher sind, sehe ich eine Art mehrstöckiges Plateau unter der Kugel. „Was ist das?“ Chief folgt meinem Blick. „Ein Leuchtturm.“ „Leuchtturm?“, hakt Schnuff nach. „Menschen haben ihn gebaut, um sich auf dem Meer besser zu orientieren.“ Das Flamara dreht sich zu uns um und zwinkert. „Und für uns, ist er auch ganz nützlich.“ Wir halten auf den Turm zu und langsam taucht immer mehr auf. Wir können Felsen sehen und bald darauf einen Strand. Dieser hier ist erheblich größer, wie der vor unserer Höhle. Neugierig strecken meine Brüder und ich die Köpfe. Auf dem Strand sind Menschen. Große, kleine, dicke und dünne. Männchen, Weibchen und scheinbar auch einige Welpen. Manche tragen nur sehr spärliche ’Dinge’, wodurch man sieht, dass sie tatsächlich nur Fell auf dem Kopf haben. Außer ein Rüde, der hat auch beachtliches Fell auf der Brust und scheint um ein Weibchen zu buhlen. Rod steuert zwischen einigen Felsen hindurch. Ich sehe nach rechts, zu einem großen Felsmassiv. Dort befindet sich auf Wasserhöhe ein großes Loch, scheinbar eine Höhle. Wir fahren weiter. An einem Felsplateau hält das Wailmer schließlich an und wir klettern runter. „Wir hätten doch weiter vorn absteigen und dann durch das Wasser laufen können“, wundert sich Schnuff. „Wir sind Feuer-Pokémon“, erklärt Chilli. „Wasser in großen Mengen schadet uns.“ „Oh.“ Mit großen Augen sehe ich sie an. Das mit den Typen scheint kompliziert zu sein. Wir verabschieden uns von Rod, der noch einmal fröhlich aus seinem Atemloch, wie er uns erklärt hat, pustet und von dannen zieht. „Viel Spaß noch, euch Häppchen!“   Wir laufen los, eine hohe Felswand zur rechten und links Strand und Meer. Chief bleibt stehen und dreht sich zu uns um. „Ihr müsst mir jetzt genau zuhören. Wir sind hier in einer Menschenstadt, sie heißt Seegrasulb City.“ Ich werde hellhörig. „Nicht alle Menschen sind nett, also haltet euch von ihnen fern. Verstanden?“ Meine Brüder und ich nicken. Chief wendet sich nach rechts. In der Felswand ist ein schmaler Pfad dem wir hinauf folgen. Chilli sieht noch einmal zu uns. „Seid leise.“ Geduckt und mucksmäuschenstill schleichen wir den Pfad entlang. Oben angekommen huschen wir zu einigen Büschen und dann hinter ein großes helles ... Hm. „Was ist das?“ Chilli sieht mich an. „Ein Haus. Menschen bauen sie und leben darin.“ „Ah“, hauchen wir im Trio. „Schh“, ermahnt uns Chief. Wir huschen im Schatten des Hauses weiter an der Ecke, dort sammeln wir uns. „Wir müssen darüber, zur Wettbewerbshalle.“ Neugierig sehe ich an Chief vorbei. Uns gegenüber steht ein großes Haus, viel größer wie das an dem wir stehen. Es ist orange, verziert und laut. Komische, rhythmische Geräusche dringen heraus. Scharte neben mir beginnt leicht im Takt dieser zu wippen. „Los“, gibt Chief das Startsignal. Schnell wie der Wind huschen wir über im Boden eingelassene Steine in den Schatten der Wettbewerbshalle. Das ist mega spannend! Und aufregend! Überall sind Menschen, die sich unterhalten und rechts von uns auf einer Anhöhe, steht ein riesiges Haus, noch riesiger wie die Halle. Unglaublich! Außerdem ist es hier ziemlich laut. Überall höre ich Gespräche, Geklingel, Klopfen ... mir schwirrt etwas der Kopf. „Sind Menschen immer so laut?“, frage ich nach. Chief brummt verächtlich. „Ja, sie hören nicht gut, daher ist ihnen nicht bewusst welchen Krach sie machen.“ Ich remple in Schnuff der verträumt stehen geblieben ist. „Oh“, säuselt er angetan, während er die Nase in die Luft hält. „Das riecht lecker.“ Eine Öffnung des Hauses, an dem wir gerade sind stehen, ist offen. Es ist Klimpern zu hören und ein Mensch summt vergnügt. Ich halte ebenfalls die Nase hoch und ... „Bäh!“ Es riecht furchtbar. Irgendwie nach ... nach ... „Lauwarmes Hackfleisch“, nuschle ich leise. „Was?“, hakt Scharte nach. Gute Frage. Was ist denn Hackfleisch?! „Kommt endlich!“, faucht Chief leicht angesäuert. Wir huschen weiter an einem ... einem ... Keine Ahnung. Ich bleibe stehen und schnüffle daran. Es sind Stäbe die senkrecht im Boden sind und an den Steinen im Boden entlangführen, oben auf den Stäben ist noch ein Stab. „Hör auf an dem Zaun zu riechen“, ermahnt mich Chilli. Ah, Zaun also. Weiter geht die Schleich-Tour. Am Zaun entlang zwischen den Büschen hindurch. Rechts taucht ein weißes Gebäude auf. Es hat ein rotes Dach und ein Rundes Emblem an der Front. Das Haus scheint wichtig zu sein, zumindest gehen ziemlich viele Menschen rein und wieder raus. Ich erhasche einen kurzen Blick in das Innere. An einem Tresen steht eine freundlich wirkende Frau und ein großes rosa Pokémon. Vor dem Haus steht ein kleiner weiblicher Mensch, der mir ins Auge fällt. Es ist ein Welpe, wie mir scheint. Sie sieht zu uns herüber ... Sieht sie uns etwa? Ich bleibe stehen und schaue zu ihr. Das kleine Weibchen hat ihr Fell rechts und links zusammengebunden. Fasziniert betrachte ich sie und bemerke gar nicht, dass der Rest schon weiter ist. Der Welpe kommt auf mich zu und hockt sich vor den Zaun. Sie sieht mich direkt an, obwohl ich im Gebüsch bin. Ich kann nicht anders, ich schleiche aus meinem Versteck heraus. Gespannt sehe ich den kleinen Menschen an. „Hallo, kleines Evoli von der Küstenhöhle“, flüstert das kleine Weibchen. Mich schaudert es. Warum weiß sie wo ich herkomme?! Ich sehe zu, dass ich wegkomme. Hastig eile ich den Zaun entlang, in ein Gebüsch und - bäm. Ich bin gegen irgendetwas geknallt. Schlagartig wird mir schwarz vor Augen. Kapitel 8: Böses Erwachen ------------------------- Es ist dunkel und ich höre ein Summen. Langsam kehre ich zurück und beginne zu blinzeln. Als meine Sicht sich klärt hole ich erschrocken Luft. Das ist kein Summen! Ich sehe Chief über mir mit einem ziemlich finsteren Ausdruck im Gesicht, außerdem brummt er wütend. Hektisch springe ich auf meine Pfoten. Schuldbewusst Wickel ich meinen Schweif um mich und senke den Kopf. „Entschuldigung“, nuschle ich vor mich hin. Ich höre Chief tief Luft holen und bereite mich auf eine Standpauke vor. Instinktiv mache ich mich immer kleiner und lege auch die Ohren an. „Komm jetzt.“ Irritiert hebe ich den Kopf. Wie jetzt?! Das war's? Unsicher tapse ich ihm hinterher. Irgendwie rechne ich immer noch mit einem Wutausbruch. Chief bleibt kurz stehen. Er mustert mich eindringlich. Wieder holt er tief Luft. „Hör mal, ich weiß, dass das nicht einfach ist. Du musstest dein zu Hause verlassen, wir sind übers Meer gefahren und nun sind wir in einer Menschenstadt. Du kennst das alles nicht und ich verstehe, dass du neugierig bist.“ Ich sehe das Flamara an und bekomme ein verschmitztes Grinsen von ihm. Mir wird bewusst, dass er sich nur Sorgen gemacht hat und ich fühle mich plötzlich schlecht. „Ich wollte dir keine Probleme machen.“ „Ich weiß.“ Aufmunternd stupst Chief mich mit seiner Nase gegen die Stirn. „Aber Menschen fangen Pokémon“, erklärt er mir streng. „Fangen?“ Während er weiterspricht, setzt er sich wieder in Bewegung und ich folge ihm. „Ja, fangen. Sie würden dich mitnehmen und du könntest deine Mutter nicht wiedersehen.“ Ich stocke in der Bewegung und meine Brust schnürt sich ein. Mutter nicht wiedersehen … das wäre schrecklich. Das einzige was das Ganze hier erträglich macht, ist die Tatsache das ich sie irgendwann wiedersehe … hoffentlich. Um mich abzulenken hake ich nach. „Ähm. Wie fangen Menschen Pokémon?“ „Sie habe spezielle Bälle dafür.“ Ich überleg kurz. Meine Wangen plustern sich auf, weil ich verhindere das ich laut loslache. Bälle? Ich bin zwar nicht besonders groß, aber mal ehrlich; wie soll ich in einen Ball passen? Oder Rod? Wie groß müsste ein Ball sein in den Rod passt? Belustigt schüttle ich den Kopf, während ich mir einen Ball vorstelle, der groß genug wäre, damit ein Wailmer hineinpasst. Das erinnert mich an die Geschichten, die Mutter immer erzählt hatte um uns davon abzuhalten die große Höhle zu verlassen. Geschichten von Kobolden und Geistern und lauter solchen Quatsch … Wir schließen zu Chilli und meinen Brüdern auf. „Wo warst du?“, fragt Schnuff mich. Sein Gesicht zeigt mir deutlich, dass er sich auch Sorgen gemacht hat. „Oh. Ähm …“, stottere ich unsicher. „Ts“, mischt sich Scharte ein. „Hast du bei deinem letzten Ausflug nichts gelernt?“ Wütend funkle ich ihn an. Blödmann! „Letzter Ausflug?“, fragt Chief von der Seite und zieht eine Augenbraue hoch. Ich sehe ihn an und grinse unsicher. „Ja, also …“ „In der Eishöhle hat sie sich auch weggeschlichen“, erklärt Scharte. „Blöde Petze!“, fauch ich ihn an. „Um das nächste Zubat kannst du dich selber kümmern!“ Schnuff lacht los und Scharte beschwert sich. Chilli steht neben mir und kichert leise. Plötzlich fühle ich mich entspannt, als wäre eine unsichtbare Last verschwunden. Ich war mir gar nicht bewusst, dass ich überhaupt angespannt war. Ich sehe zu Chief. Er rollt mit den Augen und mustert uns. Sein Blick bleibt kurz auf mir haften und er schmunzelt. Beschämt sehe ich weg. Ich kenne diesen Blick von einem älteren Glazolia. Sie hat mich auch immer so angesehen und meinte, man würde mir ansehen, dass ich nur Unfug im Sinn habe. Und dann hat sie mir einen liebevollen Stups mit dem Kopf gegeben … „Los jetzt“, fordert Chief und reißt mich aus meiner Erinnerung. Unser Tross setzt sich wieder in Bewegung. Wir passieren ein kleines Haus, das etwas abseits ist und mitten auf dem Menschenweg steht. Ob das der Zugang zur Stadt ist? Wir sammeln uns an der Ecke und sehen … „Was ist das?!“ Scharte starrt ungläubig nach vorn, Schnuff ebenso. Ich betrachte das grüne, in den Himmel ragende, Geflecht aus dünnen, flachen Stangen. Es kommt mir bekannt vor. Es liegt mir förmlich auf der Zunge. Ich betrachte das Grün, welches uns die komplette Sicht versperrt. Meine Güte; selbst ein Mensch würde wohl darin verschwinden, so hoch ist das … das … „Gras!“, rufe ich laut. Meine Brüder sehen mich erschrocken an. „Woher weißt du das?“, fragt mich Chilli erstaunt. Öhm. Eine sehr gute Frage. Woher nur? Genau wie die Sonne kam es mir plötzlichen in den Sinn, aber das kann ich schlecht sagen. „Ein Glazolia hat mir davon erzählt“, lüge ich spontan, obwohl das nicht meine Stärke ist. Chief mustert mich eingehend. Er glaubt mir kein Wort, das sehe ich ihm an. „Ist eigentlich egal“, brummt er schließlich. „Das Gras gibt uns Deckung während wir die Route passieren. Hier gilt dasselbe wie in Seegrasulb City. Leise und vorsichtig.“ Wir nicken und weiter geht es. Chilli ist dicht bei uns, Chief geht etwas voraus und sondiert die Lage. Etwas erregt seine Aufmerksamkeit und wir ducken uns. „Ist wie Verstecken spielen in der großen Höhle“, flüstre ich Schnuff zu. „Ja, nur, dass das hier weicher ist“, kichert er und reibt seinen Kopf an den Grashalmen. „Und besser riecht!“ Tut es wirklich. Es riecht toll; irgendwie frisch und lebendig. Scharte beäug uns missmutig, dann wendet er sich an Chilli. „Warum müssen wir hier auch so leise sein?“ Sie räuspert sich kurz. „Viele Menschen aus der Stadt kommen hier her und trainieren oder versuchen neue Pokémon zu fangen.“ „Fangen?“, fragt Scharte erschrocken. Chilli nickt. „Ja. Sie fangen Pokémon und tragen Kämpfe mit ihnen aus.“ Ich runzle die Stirn; davon hat Chief nichts erwähnt. „Kämpfe? So richtige Kämpfe?“ Schartes Augen funkeln leicht. „Weiter“, treibt uns Chief plötzlich an. Wir huschen durch das dichte Grün. „Außerdem“, erklärt Chilli während wir weiter schleichen, „ist der Pyroberg nicht weit.“ „Und das bedeutet …?“, frage ich. „Die Geist-Pokémon die dort leben kommen gerne mal hier her.“ „Es gibt wirklich Geister?!“ Ich bin total perplex. „Ich dachte immer, Mutter hätte uns das nur so erzählt.“ „Nur so?“ Chilli lacht. „Nein. Geister gibt es wirklich und das wäre schlecht für euch, wenn ihr auf sie trefft.“ Plötzlich sind wir aus dem Gras heraus und vor uns ist ein kleines Haus. Es ist weiß und über dem Zugang ist ein großes farbenfrohes Schild. Von drinnen höre ich leise Stimmen. Neugierig strecke ich den Kopf um einen Blick zu riskieren – zack. Ich werde unsanft am Schweif zurückgezogen. Schüchtern sehe ich über meine Schulter in das Gesicht von Chief. Ich lächle unsicher; er brummt. War klar, dass die Unschuldsnummer bei ihm nicht zieht. „Warum?“, höre ich Schnuff fragen. Warum? Worum ging es noch gleich? „Nun, Geist-Pokémon können von Normal-Attacken nicht getroffen werden“, erläutert Chief. Wachsam sieht er sich um und deutet uns, dass wir an dem Zugang zu dem Haus vorbei müssen. Eilig hasten wir zur anderen Ecke und von dort aus wieder ins hohe Gras. Scharte legt den Kopf schief „Und?“ Chilli sieht ihn an. „Nun, ihr seid Normal-Pokémon.“ Ich kichere. „Und ihr seid unnormal?“ Geräuschvoll atmet Chief aus. Er ist genervt, das merke ich. „Wir sind Feuer-Pokémon. Ihr seid Normal-Pokémon. Selbst wenn ihr kämpfen könntet, würdet ihr bei einem Geist keinen Schaden anrichten.“ Angestrengt denke ich nach. „Das hat was mit den Typen zu tun, oder? Das was du gesagt hattest, Chilli?“ Sie nickt und lächelt sanft. „Ruhe jetzt!“, knurrt Chief. Ich habe das Gefühl, seine Geduld hat langsam ihr Ende gefunden. Wir laufen und laufen; schleichen und schleichen … Mir tun die Pfoten weh. Das erinnert mich an den Marsch aus der Küstenhöhle heraus … Mama … Mir wird elend zu mute. Wie es ihr wohl geht? Sie denkt bestimmt an uns. Jetzt so alleine in der Höhle, das muss schrecklich für sie sein. Ich habe wenigstens noch Schnuff und … ja, Scharte auch. Klar hat sie Missy, aber die ist schon groß und immer viel auf Achse. Meine Schritte werden immer langsamer und schwerer während ich meinen Gedanken nachhänge. Wie es wohl wird, bei den Flamaras? Es wird bestimmt komisch sein, in einem fremden Rudel. Ich sehe auf. Chilli und meine Brüder sind schon etwas weiter voraus. Chief ist sogar noch ein ganzes Stück mehr. Prima. Ich bin nicht nur nieder-, sondern auch abgeschlagen. Gerade als ich wieder aufschließen will, hält mich etwas am Bein fest. Ich falle und lande auf dem Bauch. Irritiert blinzle ich und drehe den Kopf. Moah, ich wieder. Um meine linke hintere Pfote hat sich die herausragende Wurzel eines Busches gewickelt. Brummend rapple ich mich auf und betrachte das Schlamassel. Ich ziehe erst sacht, dann immer fester. Doch statt das ich meine Pfote frei bekommen, scheinen die Wurzeln sich immer fester zu ziehen. Verdammt! Ich drehe mich um und … oho. Die anderen sind schon ziemlich weit weg. Energisch hole ich Luft, öffne den Mund und … Was?! Die Luft entweicht tonlos meinen Lungen. Ganz in der Nähe bewegt sich das Gras und raschelt auffällig. Starr vor Schreck beobachte ich, wie sich Etwas seinen Weg bahnt … in meine Richtung! Panisch versuche ich meine Pfote frei zu bekommen und ziehe und zerre. Keine Chance! Die Wurzeln ziehen sich immer enger und schneiden inzwischen schon schmerzhaft ein. Ich … ich … was mach ich denn jetzt?! Rufen? Damit würde ich Aufmerksamkeit erregen, gute und schlechte. Das Ding im Gras würde wissen das ich hier bin, aber die anderen auch. Chief und Chilli könnten mir helfen … es sei denn, dieses Ding ist schneller. Oh Gott … was wenn es ein Mensch ist?! Mich unter dem Gebüsch verstecken? Ich könnte warten bis das im Gras weg ist und dann … wird der Rest schon verschwunden sein. Ob ich sie wiederfinden könnte? Sie werden bestimmt merken, dass ich weg bin und zurückkommen. Also lieber verstecken … oder? Wenn es mich trotzdem findet, bin ich alleine aufgeschmissen! Das Rascheln kommt immer näher! Mein Herz klopft wie verrückt. Ich habe fürchterliche Angst und ich … Kapitel 9: Begegnung der besonderen Art --------------------------------------- Ich hole so viel Luft wie ich kann und brülle was meine Lungen hergeben. Dann steht die Welt für einige Sekunden still. Ich höre nichts, außer meinem panisch pumpenden Herz. Gerade als ich beginne zu denken, dass ich mir die Bewegung und das Rascheln im Gras nur eingebildet habe, beginnt es von neuen. In, für mich, unvorstellbaren Tempo bewegt sich etwas durch das hohe Gras in meine Richtung. Ich war mir zwar bewusst, dass genau das passieren könnte, aber jetzt wo es tatsächlich passiert verfluche ich mich selbst. Ich drehe den Kopf und registriere, dass mich die anderen auch gehört haben und zu mir zurückeilen. Allen voran Chief, was mich wundert, weil er ja eigentlich am weitesten entfernt war. Direkt hinter ihm ist Chilli. Meine Brüder versuchen mitzuhalten, was aber unmöglich scheint. Wieder drehe ich den Kopf. Dass Etwas aus dem Gras ist gleich da und erreicht mit definitiv vor den Flamara! Ich beginne unkontrolliert zu fiepen und kauere mich zusammen. Oh, bitte, bitte, sei kein Mensch! Das Gras wird aus einander gedrückt und zum Vorschein kommt … nun, es ist zumindest kein Mensch. Es ist ein anderes Pokémon, eines was ich noch nie gesehen habe, aber mir dennoch bekannt vorkommt. Es sieht aus wie … ein Wolf. Wolf? Das Pokémon ist um einiges größer wie ich und wirkt extrem furchteinflößend. Seine Augen sind zu Schlitzen verengt, die Zähne blitzen gefährlich und das Knurren grollt bedrohlich. Ich fange an zu hyperventilieren und zittere wie Espenlaub. Ich werde sterben! Ich werde sterben und meine Mutter nie wiedersehen! Mir kommen die Tränen und meine Sicht beginnt zu verschwimmen. In Erwartung meines Endes, schließe ich die Augen. Nichts geschieht. Dann verstummt das Knurren auf einmal. Vorsichtig öffne ich die Augen wieder und sehe nach oben. Das Pokémon steht da und beäugt mich. Sein Gesicht wirkt irgendwie entspannter und … ja, ein wenig freundlich. Wir sehen uns an und ich bekomme das Gefühl, dass der Wolf mir nicht wirklich etwas tun möchte. Ich entspanne mich etwas, bleibe aber weiterhin zusammengerollt – sicher ist sicher. Ehe ich wirklich dazu komme, etwas zu tun oder zu denken, kommt der Wolf schnuppernd auf mich zu. Sofort keimt erneut Panik in mir auf und mein Fell sträubt sich. Ich beginne wieder zu fiepen. Doch das Pokémon bleibt unbeeindruckt und nähert sich mir weiter. Es fixiert mich und fletscht die Zähne. Ich quietsche erschrocken und schließe die Augen erneut. Unerwartet löst sich der Druck von meiner Hinterpfote und ich fühle, wie sich das Pokémon ein wenig zurückzieht. Neugierig öffne ich die Augen und sehe an mir entlang. Huh? Die Wurzel um meine Pfote ist weg. Die Enden sind ausgefranst, was bedeutet …  Ich wende den Kopf und sehe den Wolf mit großen Augen an. „D-Danke“, flüstere ich stotternd. Das Pokémon mustert mich. Ich habe das Gefühl, dass es etwas sage möchte … „Kleines!“, brüllt Chief so laut, dass selbst der Wolf zusammenzuckt. Er hebt den Kopf und sieht in Richtung der heraneilende Flamara. Noch einmal wendet er den Blick zu mir und scheint die Stirn zu runzeln. Ehe ich noch etwas sagen kann, dreht er sich und verschwindet so schnell wie er aufgetaucht ist. Ich sitze da und starre gegen die grüne Wand in der das Pokémon verschwunden ist. Es hat mir geholfen. Einfach so. Ohne irgendeinen Grund. Ich bin zu tiefst verwirrt und weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. „Kleines“, ertönt Chiefs Stimme erneut. Er läuft die letzten Schritte und kommt schließlich neben mir zum Stehen. „Alles in Ordnung?“ Er mustert mich besorgt und … schleckt mir über die Stirn. Völlig perplex sehe ich ihn an. Mit einer derart fürsorglichen Geste habe ich wirklich nicht gerechnet, eher mit einer Ermahnung, weil ich mal wieder Probleme gemacht habe. „J-Ja, alles gut, denke ich.“ Chilli trudelt ein und ist im Gegensatz zu Chief ein wenig außer Puste. „Was ist passiert?“ „Ich …“ Ich sortiere meine Gedanken und atme kurz durch. „Ich hing in der Wurzel fest und kam nicht mehr los und dann war da etwas im Gras und ich hatte Angst …“ „Quietschie …“ „… Schwester.“ Schnuff und Scharte kommen nun auch an, allerdings sind sie noch in einiger Entfernung und gehen eher, als dass sie rennen. Chief sieht sich meine Pfote. Als er mit der Nase sacht dagegen stupst, verziehe ich das Gesicht. Es tut weh; nicht so schlimm, dass es nicht auszuhalten wäre, aber der weitere Fußmarsch wird bestimmt nicht angenehm. „Das war sehr nett, von dem Magnayen“, spricht er vor sich hin, während er die Wurzel begutachtet. „Magnayen?“, frage ich nach. Meine Brüder kommen endlich an und schnaufen mächtig. Chilli nickt vor sich hin. „Das Pokémon war ein Magnayen.“ Sie wendet sich an Chief. „Es hatte bestimmt Angst vor uns.“ Ich verziehe das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. „Es war definitiv furchteinflößender wie ihr.“ Ein leicht angesäuertes Räuspern ertönt und ich drehe mich zu Chief. „Darum geht es nicht. Freie Pokémon leben eigentlich friedlich untereinander. Allerdings könnte das Magnayen unser Auftreten fehlinterpretiert haben und da wir zu zweit …“ „Hey!“, empört sich Scharte. „… sind, wird es seine Chancen eher gering ausgelegt haben“, erzählt Chief ungerührt weiter. „Noch dazu, wo es der Annahme gewesen sein könnte, es vielleicht mit besorgten Elterntieren zu tun zu bekommen“, ergänzt Chilli. Ich sitze da und glotze doof. Ich bin irritiert und verwirrt und weiß nicht so recht. Das Magnayen hat mich erst angeknurrt und bedroht. Doch dann hat es mir geholfen und die Wurzel scheinbar durchgebissen. Es wirkte irgendwie unsicher und … hm. Es wollte mir etwas sagen; doch was? Es hat scheinbar nicht mitbekommen, das ich nicht alleine unterwegs war und wollte mir wohl nur helfen. Die heranstürmenden Flamara haben ihm wohl Angst gemacht, was ich verstehen kann. Chief sah wirklich beängstigend aus … Moment! Elterntiere?! Schlagartig drehe ich den Kopf zu Chilli. „Wie meinst du das?“ Sie sieht mich sanft an. „Naja, wir sind Flamara und du ein Evoli. Das Magnayen könnte gedacht haben, dass wir deine Eltern sind. Und niemand legt sich mit wütenden Eltern an“, erklärt sie zwinkernd. Ratter, ratter, ratter … Ja, das macht Sinn. Flamara entwickeln sich ja aus Evoli, also werden ihre Kinder auch Evoli sein. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. „Au!“ Wütend sehe ich zu meiner Pfote. Schnuff hat dagegen gestupst, nur das er nicht so vorsichtig war wie Chief vorhin. Entschuldigend sieht mich er an. Ein tiefes Seufzen ertönt und wir alle wenden unsere Aufmerksamkeit auf unseren Anführer. „Wir müssen unbedingt weiter! Hier ist es nicht sicher.“ Er sieht Chilli an. „Ich denke wir sollten einen anderen Weg nehmen.“ Sie wendet sich mir zu und sieht mich grübelnd an, dann wendet sie sich wieder an Chief. „Hm. Glaubst du, sie schafft das, mit der Pfote?“ Hallo! Reden die gerade über mich, als wäre ich nicht da?! Wütend verziehe ich das Gesicht und höre Scharte leise lachen, was mich gleich noch wütender macht. „Sie muss, es geht nicht anders!“ Die Stimme klingt streng und ermahnend und ich sinke in mich zusammen. Das war nicht meine Schuld! Bockig drehe ich den Kopf leicht zur Seite um die beiden Flamara nicht ansehen zu müssen. „Los jetzt“, treibt Chief uns an und wir erheben uns alle. Wir setzen unseren Weg fort, allerdings in andere Reihenfolge. Chilli geht voran, dicht von Schnuff und Scharte verfolgt. Ich trotte, leicht humpelnd, dahinter und Chief … ja, Chief läuft leicht schräg hinter mir. Er hat quasi ein Auge auf mich. Uhrg. Peinlich und unangenehm. Betrübt lasse ich den Kopf hängen und hinke vor mich hin. Nach einiger Zeit erreich wir dichtes Gehölz. Chief läuft es ab, also würde er etwas Bestimmtes suchen und bleibt dann stehen. Er schiebt den Kopf unter den tiefhängenden Ast eines Busches und drückt ihn hoch. „Woah!“, tönen meine Brüder zeitgleich. Ja, das unterschreibe ich so. Hinter dem Ast befindet sich ein Pfad. Es wirkt ein wenig, als würde sich ein Tunnel im Unterholz befinden. Man kann gar nicht sehen, wohin er führt; was wiederum meine Neugier weckt und mich, zumindest für den Moment, meine Bewachung und die schmerzende Pfote vergessen lässt. „Kommt.“ Chilli klingt irgendwie selber ganz aufgeregt und ein bisschen kindlich. Sie geht voran und Schnuff und Scharte folgen ihr. Die beiden wirken ein wenig verunsichert, vor allen Scharte. Sie schleichen in Zeitlupe in den Tunnel. Ich gehe zum Eingang und schaue mit großen leuchten Augen hinein. „Cool!“ Ein bisschen wie … bei Alice; wer auch immer das sein mag. „Beeil dich“, knurrt Chief ungeduldig und reißt mich wieder aus meiner Euphorie. Wieder ein wenig kleiner und geknickter gehe ich den Tunnel. Es ist eher dunkel und die hellen Flecken, die das Sonnenlicht verursacht, tanzen lustig. Der Gang ist recht eng, gerade breit genug, dass die Flamara hindurch passen. Es knackt und knarzt überall. Es riecht zunehmend muffig und feucht. Chief brummt hinter mir ein wenig ungeduldig und seufzt. Er sagt nichts, aber ich weiß, was er damit meint; ich bin zu langsam. Mein Fuß beginnt allerdings wieder schmerzhafter zu werden. Das Klettern und das ungleichmäßige Aufsetzen, machen mir zunehmend zu schaffen. Schließlich gebe ich nach, „Ich brauche eine Pause.“ Verärgert knurrt es hinter mir. Wieder ein Seufzen. „Es ist nicht mehr weit. Wir sind gleich raus“, sagt er schließlich mit erstaunlich sanfter Stimme. Ich hole kurz Luft und versuche mich noch ein wenig zusammenzureißen. Weiter geht es durch den Tunnel aus Holz und Wurzeln. Kurz nach meinem Durchhänger kommt eine Biegung und … wir sind raus! Erschöpft lasse ich mich auf den Bauch fallen und verschnaufe erstmal. Ich spüre wie Chief neben mir stehen bleib. „Geht es?“ Ich brumme und er lacht kaum hörbar. „Quietschie! Sieh dir das an!“, ruft Scharte ganz aufgeregt. Mürrisch hebe ich den Kopf und bekomme große Augen. Kapitel 10: Verschnaufpause --------------------------- Ich rapple mich aufgeregt auf und registriere am Rande, wie Chief leise lacht. Ihn amüsiert wohl meine plötzliche Genesung. Nun, da stehen wir, Schnuff, Scharte und ich, und staunen mit großen Augen und offenen Mündern. Chief und Chilli gesellen sich zu uns. „Wir sind hier in einem Wald, genauer im Unterholz. Hier gibt es keine Menschenwege und dementsprechend auch keine oder nur sehr, sehr selten Menschen“, erläutert Chief. Über uns befindet sich ein recht dichtes Blätterdach. Dicke und dünne Äste verweben sich mit einander. Es wirkt fast so, als würden die Bäume und Büsche uns vom Rest der Welt abschirmen wie … „Wie eine Höhle“, flüstre ich ganz leise und meine Brüder nicken ehrfürchtig. Die Sonne bricht sich hier und da durch die Blätter und funkelt. Helle Flecken bewegen sich über den grünen Boden. „Das ist … ein bisschen wie zu Hause.“ Ich schlucke und stimme Schnuff schließlich zu. Es ist wirklich ein wenig wie zu Hause. Es ist kühl und Feuchtigkeit hängt in der Luft. Das Licht ist schwach und der Himmel nicht zu sehen. „Eine Wald-Höhle“, kichere ich. „Nun denn.“ Chief setzt sich in Bewegung und wir folgen. Immer noch staunend betrachten wir diese merkwürdig vertraut wirkende Umgebung, während wir unseren Weg fortsetzen. „Wie geht es deinem Fuß?“, fragt mich Chilli nach einer Weile. „Besser. Der komische Boden scheint ihm gut zu tun.“ Der Boden ist grün, es ist aber kein Gras. Er ist weich, kühl und ein wenig nass. „Das ist Moos“, erklärt sie mir, sichtlich amüsiert. Kurz darauf. Knurr. Wir halten alle an und sehen zu Schnuff. Er legt verlegen die Ohren an. „Oh.“ Chilli lacht und Chief verzieht einen Moment das Gesicht. „Stimmt. Wir sind schon ganz schön lange unterwegs. Entschuldigt, dass ich das vergessen habe.“ Oh. Das klingt als ob es bald Essen gibt. Um ehrlich zu sein, habe ich auch ziemlichen Hunger. Nachdem ich schon so viel Ärger gemacht habe, habe ich mich aber nicht getraut zu fragen. Wir gehen weiter und biegen nach rechts, kurz darauf wird das Blätterdach etwas lichter. Wenige Momente später verlassen wir das Unterholz. Vor uns ist eine große Lichtung, genau in der Mitte ist ein Fels. Rings um den Felsen sind kleiner, teilweise etwas größer Wasseransammlungen. „Ist das sicher?“ Ich fühle mich unwohl. Im Wald hat es mir definitiv besser gefallen. Chief streckt die Nase in die Luft und schnuppert. „Niemand hier, zumindest kein Mensch.“ Er geht festen Schrittes auf die Wiese. „Nun kommt schon“, fordert er ungeduldig. Unsicher tapsen wir los. „Im Wald war es schöner“, nuschelt Scharte und sieht sich um. Schnuff nickt abwesend, öffnet den Mund und … schlagartig werden seine Augen groß. „Oh!“ Plötzlich hastet er los. „Ich rieche Nanabbeeren!“ Scharte und ich sehen uns irritiert an. „Euer Bruder hat eine sehr gute Nase“, bemerkt Chilli anerkennend. Wir eilen ihm hinter her. Chief ist bereits dabei, sich an einem Strauch zu schaffen zu machen. Er stößt mit der Schulter gegen den Stamm und rosa Beeren purzeln herunter. Schnuff ist nicht zu bremsen, er stürzt sich sofort auf eine der Nanabbeeren. Ja, beim Essen hört die Freundschaft auf, zumindest bei Schnuff. Inzwischen ist Chief an einem anderen Strauch und einige Himmihbeeren fallen herunter. Chilli sieht Scharte und mich an; wir sehen verlegen grinsend zurück. „Verstehe, zu scharf“, kichert sie. Sie geht und lässt es sich schmecken. Chief geht zum dritten Strauch. Scharte und ich rücken zusammen. „Bitte, bitte, …“, flüstern wir gemeinsam. So unterschiedlich wir sonst oft sind, aber wenn es ums Essen … „Ja!“, brechen wir in Jubel aus und stürzen los. Wunderbar reife Pirsifbeeren kullern über die Wiese. Hastig machen wir uns darüber her. Mhhh. So süß! Während ich an meiner zweiten Beere knabbere sehe ich einige Pokémon über die Wiese laufen. Sie sind klein und dunkel, auf ihrem Kopf sind Blätter. Es ist eine Gruppe von sechs Stück. „Chief? Was sind das für Pokémon?“, frage ich neugierig. Er sieht von seiner Beere auf. „Das sind Myrapla. Pflanzen-Pokémon. Eigentlich harmlos, aber sie können Puder erzeugen, wenn sie Angst haben.“ „Puder?“ Chief nickt. „Ja. Es gibt verschiedene. Manche lassen einen einschlafen, andere können einen sogar vergiften.“ „Vergiften?“ Die Vorstellung gruselt mich und passt irgendwie nicht zu diesen niedlichen Gesellen. Ich beobachtet sie eine Weile. Sie scheinen zu spielen; springen immer wieder in die Wasserstellen und quietschen vergnügt. Irgendwie breitet sich ein warmes Gefühl in mir aus, was ich nicht einordnen kann. Neben mir knackt Schnuff gerade die dritte Nanabbeere. Er knuspert lautstark und summt zufrieden dabei. „Psst“, ertönt Chillis Stimme leise. Wir sehen sie an und sie deutet hinter sich. Was?! Da sind kleine schwarze Pokémon. Sie haben eine Spitze auf dem Kopf und … schweben! „Geister“, flüstert Scharte ehrfürchtig. „Shuppets“, korrigiert Chief. Auch diese Pokémon sind in einer Gruppe unterwegs. Sie schweben am Rand des Waldes entlang und verschwinden schließlich im Unterholz. Mit vollem Bauch geht es zurück in den Wald. Endlich wieder dort fällt ein wenig Anspannung von mir ab. Ich finde es hier definitiv schöner und ich fühle mich auch sicherer. Immer noch spukt mir die Begegnung mit dem Magnayen im Kopf herum. Ja, es wollte mir scheinbar nicht weh tun, aber trotzdem war es beängstigend, vor allem am Anfang. Es wollte mir etwas sagen; ich frage mich immer noch was … Während wir recht entspannt unseren Weg fortsetzen, bekomme ich plötzlich ein ungutes Gefühl. Es erinnert mich an das, welches ich bei der ersten Begegnung mit dem Schneppke hatte, nur, dass es nicht so intensiv ist. Werde ich beobachtet? Chief und Chilli laufen vorn, Scharte hinter ihnen und Schnuff geht schräg vor mir. Hinter mir ist also niemand, oder? Unsicher sehe ich über meine Schulter. Stämme, Äste, Sträucher und Blätter. Ich atme geräuschvoll aus. „Dein Fuß?“, fragt Schuff besorgt. „Nein, dem geht es gut. Die Pause hat geholfen.“ Hat sie tatsächlich; und das kühle, weiche Moos ebenso. Wir laufen weiter. Hinter mir höre ich etwas und drehe mich um. Huch? Da steht ein Pokémon, etwa meine Größe. Es ist grau und erinnert mich unwillkürlich an das Magnayen, nur das das hier weniger furchteinflößend wirkt. Es sieht mich an und ich sehe zurück. Ich lege irritiert den Kopf schief und das Pokémon tut es mir gleich. Gerade als ich das lustig finden will, tauchen noch mehr auf. Ähm … Das ist jetzt nicht mehr lustig. Da stehen vier von diesen Pokémon und mustern mich. Soll ich etwas sagen? Hallo vielleicht? Hinter mir räuspert es sich. Die Pokémon stellen die Ohren auf. Eines bellt und schon verschwinden alle. Ich drehe mich um. „Dafür konnte ich nichts!“, platze ich sofort los. Chief schmunzelt, was mich augenblicklich beruhigt. „Du hast es mit denen, was?“ „Wie bitte?“ Ich ziehe die Augenbraue hoch. Wovon redet er da? „Das waren Fiffyen, die Vorstufe von Magnayen.“ Ich brauche einen Moment bis ich verstehe, worauf er hinauswill. Fast schon entsetzt sehe ich Chief an, der ausgelassen loslacht. Kaum das wir erneut losgelaufen sind, ist da wieder dieses eigenartige Gefühl. Ob das erneut die Fiffyen sind? Ich drehe mich um … nichts. Bin ich verrückt? Gerade als ich weiter will, sehe ich eine Bewegung. Ein schwarzer Schweif verschwindet hinter einem Baum. Das Magnayen?! Es folgt uns? Aber … warum? Grübelnd lege ich die Stirn in Falten. Ob es alleine ist? Alle Pokémon die ich hier bisher gesehen habe, waren in Gruppen unterwegs. Ob es sein Rudel verloren hat und Anschluss sucht? Aber warum bei uns? Das macht doch keinen Sinn. Offensichtlich gibt es hier Fiffyen, zu denen würde es doch viel besser passen … „Kleines?“ Ich zucke erschrocken und fiepe. Schnuff und Scharte lachen und auch Chilli kichert. Immer noch grübelnd drehe ich mich um. Chief mustert mich. „Ist etwas?“ „Ähm …“ Das Magnayen ist vorhin offensichtlich vor den Flamara geflohen. Aber nun folgt es uns … will aber nicht gesehen werden. Ich schaue nochmal über meine Schulter. Nichts zu sehen und ich fühle auch nichts. Vielleicht ist es weg? Wenn ich jetzt sage, dass da etwas ist und dann ist da nichts, komme ich mir doof vor. Außerdem bin ich schon genug aufgefallen, was ich überhaupt nicht mag. Also … Ich sehe Chief an. „Nichts.“ Hoffentlich … Kapitel 11: Im Wald ------------------- Argwöhnisch mustert Chief mich. „Wirklich?“, fragt er skeptisch nach. Ich nicke, wahrscheinlich etwas zu sehr und zu hektisch, denn Chief legt den Kopf schief. „Wie du meinst.“ Er brummt und dreht sich um. Wir setzen unseren Weg fort. Die vollen Bäuche und die heimelige Atmosphäre des Waldes lassen nach und nach alle Anspannung von uns weichen. Schnuff und Scharte tauen auch Zusehens auf. Chief und Chilli wirken ebenfalls entspannter und gelassener. Gleichzeitig scheint der Wald immer lebendiger zu werden, je weiter wir die Menschenwege hinter uns lassen. Das ganze Unterholz wirkt wie ein Lebewesen; überall raschelt es, oder knackt. Alles bewegt sich und macht Geräusche. In einiger Entfernung rechts neben mir gibt ein morscher Ast etwas Schwerem nach. Eine grünes Pokémon mit großen Augen huscht über einen Ast davon und … ähm, entweder habe ich es im Blätterdach aus den Augen verloren, oder es ist unsichtbar geworden. Ich wende den Blick ab und sehe in die Richtung aus der das Geräusch kam. Ein großer dunkler Schatten steht dort, von Gebüsch und einem umgestürzten Baum fast verdeckt. Doch das rote Paar Augen sehe ich überdeutlich. Unsicher lege ich den Kopf schief. Das Magnayen schon wieder? „Schwester?“ Ich schüttle den Kopf und schließe zu den anderen auf. Eigenartig. Nun, zumindest scheint es nicht böswillig. Also, ich habe zumindest nicht das Gefühl, dass es uns etwas tun möchte. „Wo werden wir leben?“, höre ich Schnuff neugierig fragen. Gespannt spitze ich die Ohren. Chilli sieht meinen Bruder an und erklärt: „In einer Wüste auf Route 111. Wir Flamara mögen die Hitze und das trockene Klima.“ Das klingt … ungemütlich, wenn ich ehrlich sein soll. Irgendwie fände ich es schöner hier, oder wie vorhin auf der Lichtung. Bei Wüste habe ich Bilder von Unmenge an Sand vor meinem inneren Auge. Staubige Angelegenheit … Ein Luftzug rauscht durch das obere Blätterdach. Gespannt sehen wir hoch. Ein großes, etwas plump wirkendes Pokémon fliegt über den Wald hinweg. Sein Hals ist lang und es hat vier schmale grüne Flügel. „Kein Feind“, erklärt Chilli an Scharte gerichtet, der sich auf den Boden drückt, als wolle er darin verschwinden. Schnuff und ich kichern leise und werden direkt von der Seite als „Doofköpfe“ bezeichnet. Gemächlich gehen wir weiter. Schnuff und Scharte sind so damit beschäftigt, den beiden Flamara Löcher in den Bauch zu fragen, dass es kaum auffällt, dass ich etwas zurückbleibe. Mit einem Ohr höre ich den Gesprächen vor mir zu und mit den anderen lausche neugierig in den Wald. Huch? Ich bleibe stehen und lausche angestrengt. Da fiept etwas, oder? Vorsichtig verlasse ich unseren imaginären Weg und schleiche unter einem Strauch hindurch. Auf der anderen Seite sehe ich kaum einen Meter entfernt ein kleines Myrapla das sich in einer Wurzel verheddert hat. Das kenne ich zu meinem Leidwesen. Armes Ding. Ich erinnere mich aber an Chiefs Worte bezüglich des Puders. „Hey“, spreche ich das Myrapla leise an, um es nicht zu erschrecken. Es hört mit Zappeln auf und sieht mich ängstlich an. Langsam krieche unter dem Busch hervor. „Ich würde dir gern helfen“, erkläre ich sanft. Das Kleine tut mir fürchterlich leid; es sieht aus als würde es jeden Moment in Tränen ausbrechen. Zögerlich nickt es schließlich und ich nähere mich ihm weiter. Ich sehe mir das Schlamassel an seinem Fuß an und löse vorsichtig mit meinem Eckzahn eine der Schlingen, der Rest löst sich danach von selber. Das Myrapla strahlt und freut sich. „Danke“, jauchzt es und hüpft davon. Wieder habe ich dieses eigenartig warme Gefühl im Brustkorb. Gleichzeitig fühlt es sich an, als würde irgendetwas versuchen sich ‚hochzudrücken‘, als ob ich wissen müsste, warum ich diese merkwürdige Wärme fühle. Kurz darauf ist es weg und ein kalter Schauer huscht durch mein Fell – schnell zurück bevor es wieder Ärger gibt. Wieder am Strauch drehe ich mich noch einmal um, um eventuell noch einen Blick auf das Myrapla zu erhaschen. Nein, es ist nicht zusehen, dafür sehe ich rote Augen, die mich neugierig betrachten. Ähm. Irgendwie bekomme ich das Gefühl, dass das Magnayen scheinbar nur an mir interessiert ist. Warum? Egal! Ich muss zurück! Hastig wusle ich unter dem Strauch durch und haste los. Ich sehe die Anderen zwar im Moment nicht, dafür höre ich sie ziemlich deutlich. Nach einem kurzen Sprint bin ich wieder auf meine vorhergehende Distanz an den Rest heran. „Wie viele seid ihr eigentlich?“, fragt Scharte und sieht Chief an. „Wir sind ungefähr 50 Mitglieder, ein paar sind oft unterwegs zu anderen Evoli-Gruppen oder auf der Suche nach bestimmten Items.“ Tja, wenn ich jetzt wüsste wie viele wir waren. Als wir in der fremden Höhle übernachtet haben, waren da ziemlich viele Glaziola … Mutter … Ich spüre einen kurzen Stich und lasse den Kopf hängen. Das hier ist toll und aufregend, aber ich wäre auch gern einfach zu Hause geblieben. „Müssen wir irgendetwas beachten, wenn wir dann bei euch sind?“ Schnuff klingt eher unsicher wie wirklich interessiert. Chilli überlegt kurz. „Wir unterscheiden uns nicht so sehr von der Glaziola-Gruppe, die ihr kennt, das wird es einfach machen euch einzuleben. Es gibt einige Regeln, die man unbedingt befolgen muss. Ich erzähle euch aber vorerst nur die wichtigsten: Ihr müsst immer auf den Chief hören“, sie sieht über ihre Schulter zu mir und ich grinse schief als Antwort. „Und ihr dürft nicht rausgehen, wenn ein großer Sandsturm kommt!“, erklärt sie weiter. Sandsturm klingt wie das Pendant zur Flut bei uns; zumindest ist die Regel dieselbe. Ob alle Clans mit so etwas zu tun haben? Immer weiter geht unsere Tour und ich merke langsam aber sicher meine Pfote wieder. Es schmerzt nicht so schlimm wie am Anfang, aber ich spüre deutlich, dass sie noch angeschlagen ist. Vor mir wird munter geplaudert, aber der Wald fordert meine ganze Aufmerksamkeit. Rascheln, Knacken, Knarren. Füße die über Erde laufen, Flügel die Flattern – so viele neue Geräusche. In der Höhle war es im Gegensatz hierzu richtig still, wenn man von der hereinströmenden Flut mal absieht. Ein Geräusch sticht plötzlich heraus – es schreit förmlich nach meiner Aufmerksamkeit und ich ahne bereits, wer es verursacht hat. Jetzt reicht es mir aber! Wenn dieses Magnayen etwas von mir will, soll es gefälligst den Mund aufmachen! Ich bleibe stehen und warte, bis die anderen noch weiter weg sind, dann schlage ich mich in die Büsche. Ein kleiner Fels dient mir kurz darauf als Aussichtspunkt und ich entdecke es. Demonstrativ setzte ich mich hin und sehe es an. Es verlässt sein Versteck und kommt auf mich zu, bleibt aber in etwa fünf Meter Entfernung stehen. „Was willst du von mir?“, frage ich etwas forsch, was mir direkt leidtut, weil es mir ja geholfen hatte und ich mich nicht mal ordentlich bedankt habe. Das Magnaye öffnet die Schnauze. „Verzeih mir, ich wollte dich nicht erschrecken oder dergleichen.“ Ich sitze da, mit offenem Mund, und bin verwirrt. Das Magnayen ist weiblich, damit habe irgendwie nicht gerechnet. „Schon gut“, stammle ich unsicher. „Nochmal danke, für deine Hilfe mit der Wurzel.“ Sie kommt noch ein paar Schritte näher und sieht mich mit einem unfassbar weichen Gesichtsausdruck an.  Hätte mir jemand gesagt, das ein Magnaye so schauen kann, hätte ich gelacht, aber ich lache nicht. In den roten Augen spiegeln sich unendliche Traurigkeit und Verlust wider. Das ergreift mich unfassbar tief, ohne dass ich weiß warum genau. „Was möchtest du von mir?“, flüstere ich so leise, dass mich der Wald beinahe übertönt. Kapitel 12: Erinnerungen ------------------------ In den roten Augen sammeln sich Träne und ich fühle mich schlecht deswegen. Das Magnayen ringt offenbar mit sich und ich sitze da und schweige. Die Zeit scheint furchtbar langsam zu vergehen; selbst der Wald scheint still zu sein und zu warten. „Ich …“, sie seufzt tief und senkt den Blick. „Ich hatte einen Sohn. Er … ein Mensch kam und …“ Das Magnayen bricht ab und Tränen tropfen auf den Waldboden. Mich schaudert es. „Er ist weg“, flüstere ich und spüre einen fürchterlichen Schmerz so tief in meinem Herzen, dass ich das Gefühl habe, es bleibt jeden Moment stehen. Warum? Das Verlustgefühl ist so viel intensiver, wie das was ich beim Abschied von meiner Mutter empfunden habe, dass es damit nichts zu tun haben kann. Ich habe das Gefühl, ich müsste wissen wie es ist, ein Kind zu verlieren – aber woher? „Ich hoffe, dass es ihm gut geht.“ Das Magnayen scheint sich gesammelt zu haben und sieht zu mir. „Auch, wenn ich nicht bei ihm bin.“ Der Fels unter meinen Füßen scheint zu wanken, obwohl er es nicht tut. Ich lege mich hin, weil ich fürchte, herunter zu stürzen. Irgendetwas beginnt sich wieder ‚hochzudrücken‘, nur, dass es jetzt viel kraftvoller und stärker ist wie vorhin bei dem Myrapla. Eine riesige Welle rauscht heran, die mich überspülen wird, und ich kann nicht fliehen. „Du … du hast mich an ihn erinnert“, erklärt das Magnayen leise und liebevoll. „Er-Erinnert“, stottere ich und sehe es an. Die roten Augen sind plötzlich blau und menschlich. Was passiert mit mir? Die Welle bricht und reißt mich gurgelnd und tobend von den Füßen. Ein Sog zieht mich in die Tiefe und alles wird schwarz. „Mama?“ Ich sehe an mir herunter. Ich bin groß und … stehe auf zwei Beinen? Menschlichen Beinen … „Mama!“ Ruckartig drehe ich den Kopf. Da ist ein kleiner Menschen-Welpe. Seine blauen Augen sehen mich auffordernd an. „Kommst du, Mama?“ Das Kind strahlt und streckt mir die Hand entgegen. Mama? Meint er mich? Da ist wieder dieses warme Gefühl in mir und plötzlich weiß ich, dass dieses Kind zu mir gehört, wie auch immer das sein kann. Warum auch immer ich ein Mensch bin … Mein Körper streckt die Hand aus, ohne dass ich die Kontrolle darüber haben. Der Junge lacht und kurz bevor sich unsere Finger berühren, ist wieder alles schwarz. „Geht es dir gut?“ Panisch blinzle ich. Ich möchte „Nein!“ schreien, aber ich bekomme kein Wort heraus. Mein Mund ist trocken und meine Zunge scheint an meinem Gaumen festgeklebt zu sein. Schwerfällig nicke ich und sehe das Magnayen an. „Ich wollte dich nicht so aufwühlen“, entschuldigt es sich. „Ich wollte … Ich weiß nicht, etwas Zeit mit dir verbringen.“ „Mama!“ Plötzlich bin ich wieder woanders. Ich sehe durch fremde Augen, die aber trotzdem meine sind. Das Kind ist auch wieder da … Nein, nicht das Kind – mein Kind. Der menschliche Körper agiert erneut, ohne, dass ich Einfluss darauf habe. Er sieht das Kind an. „Was ist denn?“, frage … ich? „Spielst du mit mir?“ Der Junge grinst schelmisch und zappelt aufgeregt. „Klar, was möchtest du spielen?“ Der Körper steht auf. Ich sehe es nicht, aber ich fühle wie ich(?) die Bewegung ausführe. „Können wir den Zug aufbauen?“ Die Stimme des Kindes überschlägt sich fast und es hüpft aufgeregt. Ich strecke die Hand aus und streiche ihm durch die blonden Haare. Sie sind kurz und weich und es fühlt sich so unfassbar vertraut an. „Ist wirklich alles in Ordnung?“ Meine Atmung wird hastig und ich fiepe. Nichts ist in Ordnung! Ich schüttle den Kopf und mir kommen die Tränen. Was um Himmelswillen hat das zu bedeuten?! Ich bin hier und dann plötzlich woanders, plötzlich bin ich jemand anders … und dann wieder hier … Das Magnayen kommt vorsichtig auf mich zu, doch es stoppt abrupt. „Charly?!“, donnert die Stimme von Chief durch den Wald, der scheinbar plötzlich auch aus seiner Trance gerissen wird. Es raschelt wieder überall und ich höre irgendwo in der Ferne Pokémon. „Tut mir leid, das wollte ich nicht“, erklärt das Magnayen sichtlich betroffen und zieht sich zurück. „Verzeih mir“, flüstert es noch und verschwindet im Dickicht. Mein Hirn läuft Amok. Ich fühle noch den menschlichen Körper, das Haar des Kindes an meinen Fingern und ich spüre, dass es noch nicht vorbei ist. Etwas lauert da noch in meinem Kopf, etwas, dass jeden Moment hervorspringen wird. Ich schluchze und weine, ohne sagen zu können warum genau. Mein Brustkorb fühlt sich warm und gleichzeitig grauenvoll leer an. Ein Flamara taucht vor mir auf. „Kleines?“ Es ist Chilli und sie klingt besorgt. Ich will nicht wissen, was ich für ein Bild abgebe - weinend und zitternd auf einem Felsen zusammengesunken. Chilli schmiegt ihren Kopf an meinen um mich zu beruhigen. Fell an Fell. Haut an Haut. Eine kleine Wange, die sich an meine geschmiegt. Arme die um meinen Nacken gelegt sind. Ein kleiner Körper, der an meinen gedrückt wird. „Hab‘ dich lieb, Mama.“ „Ich hab‘ dich auch lieb, Nico.“ Ich springe auf und falle den Fels hinunter ins Laub. Hastig rapple ich mich auf und sehe nach oben. Chilli sieht mich erschrocken an, was ich durchaus verstehe, mir aber herzlich egal ist. Unsicher tappe ich rückwärts. „Kleines … was …?“ Sichtlich besorgt verzieht Chilli das Gesicht. Ich. Habe. Ein. Kind. Ich zittere und bebe … „Kleines?“, flüstert das Flamara so vorsichtig, als ob es mich nicht verschrecken wolle. Ungläubig sehe ich Chilli an, drehe mich um und sprinte davon. Ich muss weg! Das Flamara ruft mir panisch nach, doch ignoriere es. Ich brauche ganz dringend Abstand und Ruhe. Meine Pfoten flitzen über den Waldboden als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Chillis Rufe höre ich nach einer Weile nicht mehr, nur noch den Wald und mein eigenes Herz das wild klopft. Immer weiter und weiter renne ich. Ich ignoriere die Tränen und den Schmerz in der Hinterpfote. Völlig außer Puste halte ich schließlich an und lasse mich erschöpft ins Laub fallen. Ein Kind. Ein menschliches Kind. Mein menschliches Kind. Wie ist das möglich? Ich bin verwirrt, aber vor allem bin ich verzweifelt. Das ist ein Loch in meinem Herzen, was immer größer zu werden scheint. Ich weine dicke Tränen und rolle mich zusammen. Selbst der Abschied von meiner Mutter hat nicht so weh getan wie das hier jetzt. Mein Kind ist irgendwo, ohne mich … Die Tränen werden immer mehr und mehr. Ich höre das Magnayen in meinem Kopf, „Ich hoffe, dass es ihm gut geht.“ – das hoffe ich auch; hoffentlich passt irgendjemand auf meinen Sohn auf. Nach einiger Zeit spüre ich Jemanden und schaue vorsichtig hinter meinem Schweif hervor. Chief steht da, Wut und Verwirrung in seinem Blick, aber vor allem ist da Sorge. Ich vermute, dass Chilli erzählt hat, was passiert ist, denn er scheint darauf bedacht Abstand zu mir zu halten. „Was ist passiert?“, fragt er leise und scheint in meinen Augen die Antwort zu suchen. Ich habe ein Kind, ich bin ein Mensch, ich … „Ich habe mich erinnert“, erkläre ich zittrig und konfus. In meinen Kopf rotiert immer noch alles wild durcheinander. „Erinnert? Woran?“ Das Flamara legt sich hin, als erwartet es eine längere Geschichte. Krampfhaft versuche ich meine Gedanken zu sortieren und in vernünftige Worte zu fassen. Wie erklärt man das? „Ich … habe mich … an ein anderes Leben erinnert.“ Gespannt sehe ich Chief an und bin unsicher wie er reagieren wird. Er runzelt die Stirn und verengt die Augen. „Ein anderes Leben?“, hakt er nach und mustert mich eindringlich. Ich nicke stockend. „Ich … bin kein Pokémon. Ich bin … ein Mensch und ich habe einen Sohn.“ Das klingt bescheuert, jetzt wo ich es laut ausgesprochen habe – aber es die Wahrheit, oder fühlt sich zumindest so an. Ich rechne damit, dass er jeden Moment in Gelächter ausbricht, stattdessen denkt er angestrengt nach. Gerade als er etwas sagen will, kommen Schnuff, Scharte und Chilli angestürmt. Chief erhebt sich und sieht mich an. „Das bleibt erstmal unter uns“, flüstert er streng. „Okay“, hauche ich überfordert und stehe ebenfalls auf. „Was ist passiert?“, platzt Schnuff los, kaum, dass er da ist. Unsicher sehe ich Chief an. „Eine unschöne Begegnung mit einem Myrapla. Ich sagte doch, dass sie nicht zu unterschätzen sind“, erklärt er, als wäre es tatsächlich die Wahrheit. „Oh“, tönen meine Brüder und Chilli scheint erleichtert. Immer noch sehe ich Chief an und weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat. „Ein Glück.“ Chilli atmet geräuschvoll aus und scheint regelrecht in sich zusammen zu sinken. Oh je. Sie hat sich bestimmt fürchterliche Sorgen wegen mir gemacht. Ich spüre wie sich mein schlechtes Gewissen meldet – das wollte ich nicht. Schnuff kommt zu mir und ich verkrampfe sofort. Chief bemerkt es und schenkt mir einen strengen Seitenblick. Ich habe das Bedürfnis mich der nahenden Berührung zu entziehen, aus Angst, dass es wieder Erinnerungen triggert. Ich möchte mich zwar erinnern, um zu verstehen was passiert ist, aber für den Moment war es erstmal genug. Mein Kopf raucht immer noch und ich muss das Bisherige erstmal verarbeiten. Ich schließe die Augen und ziehe den Kopf leicht ein. Schnuff lässt sich davon nicht beirren und schmiegt seine Wange an meine. Fell an Fell – sonst nichts. Geräuschvoll atme ich aus und entspannen mich augenblicklich. Ein Glück. Scharte, der das Ganze beobachtet hat, legt verwirrt den Kopf schief, dann sieht er zu Chief. „Was genau meintest du mit „Eine Begegnung mit einem Myrapla“?“ „Manchmal, wenn sie noch sehr jung sind, ist ihr Puder noch nicht sehr wirksam und dann können mitunter merkwürdige Sachen passieren“, erklärt Chief. „Davon habe ich schon mal gehört. Hin und wieder wirkt Giftpuder nicht giftig, löst aber Halluzinationen aus“, mischt sich Chilli ein und sieht mich mitfühlend an. Halluzinationen. Nein, das war echt.  Erschreckend echt, um genau zu sein. Immer noch verstehe ich es nicht. Ich bin ein Mensch? Oder … war es? Ein früheres Leben vielleicht? Doch es fühlt sich so real an, als wäre es noch nicht allzu lange her. „Wir müssen dringend weiter“, meldet sich Chief zu Wort und reißt mich aus meinen Gedanken. Wir setzen unseren Weg fort. Ich fühle mich irgendwie verloren, ohne genau sagen zu können warum. Im Gegensatz zu vorher, laufe ich deshalb in der Gruppe, in der Hoffnung, dass das Gefühl nachlässt. „Wir laufen bergab?“, fragt Schnuff leicht irritiert. Tatsächlich. Bisher sind wir irgendwie immer hochgelaufen. Durch den dichten Wald hat man es zwar nicht gesehen, weil man einfach keine Anhaltspunkte hatte, aber gespürt. „Natürlich“, antwortete Chief. „Wenn man einen Berg hochläuft, muss man auf der anderen Seite wieder runter, wenn man nicht oben bleiben möchte.“ Etwas beschämt zieht Schnuff den Kopf ein. Die Bäume werden weniger und man sieht den Himmel zwischen ihren Kronen hindurch. „Der Wald ist bald zu Ende, oder?“, frage ich ein wenig traurig. Ich mochte es hier, trotz der jüngsten Ereignisse. „Ja, wir werden gleich Route 119 erreichen.“ Chilli sieht mich an. „Dort müssen wir wieder vorsichtig sein. Es gibt da zwar hohes Gras, aber auch wieder Menschen und vor allem Pokémon-Trainer.“ Menschen. Eigenartig, wie das Wort plötzlich seinen Schrecken verloren hat. Ich bin, oder war, auch ein Mensch. Mein Herz sticht und meine Stimmung trübt ein. Was ist mit meinem Sohn? Geht es ihm gut? Ist jemand bei ihm? Sein Vater vielleicht? Angestrengt denke ich nach, versuche irgendwie etwas abzurufen, doch da ist nichts. „Langsam“, ermahnt uns Chief. Wir schleichen unter einigen Büschen hindurch. Auf der anderen Seite, zeigt sich ein ähnliches Bild, wie nach Segrasulb City. Allerdings schlängelt sich in der Mitte ein Fluss, der leise murmelt. Er fließt ruhig und langsam dahin, während sich an seinen Ufern das hohe Gras sacht im Wind hin und her wiegt. „Idyllisch“, flüstre ich leise und halte mein Gesicht in die leichte Brise. Ich rieche Blumen. Chief, der direkt neben mir steht, nickt. „Ja, ein schöner Flecken Erde. Aber wie gesagt, es gibt hier viele Menschen, also Vorsicht.“ Meine Brüder und ich nicken synchron. „Wir müssen auf die andere Seite“, erklärt Chilli. „Da wir nicht schwimmen können, müssen wir eine der Brücken nutzen.“ „Wir müssen vorher die Lage genau auskundschaften“, erklärt Chief und sieht meine Brüder an, und anschließend mich. „Ihr bleibt da, wo wir es sagen. Keine Ausflüge, kein „Nur mal kurz“ – ihr bleibt genau da, wo wir euch parken und kommt auch erst raus, wenn wir es sagen. Klar?“ Die Frage, die eigentlich eine Anordnung war, galt natürlich in erster Linie mir. Ich nicke und senke den Blick. „Na dann.“ Chilli setzt sich zusammen mit Chief in Bewegung und meine Brüder und ich folgen ihnen. Wir laufen in gebührenden Abstand zum Fluss schließlich Stromaufwärts. Das Gurgeln und Gluggern des Wassers hat etwas beruhigendes und das Chaos in meinem Kopf scheint langsam etwas abzuebben. Die Flamara bleiben stehen und spitzen die Ohren. „Ihr bleibt hier“, brummt Chief und wirft uns, speziell mir, noch einmal einen strengen Blick zu. Chilli und er schleichen ins hohe Gras und sind kurz darauf hinter der grünen Wand verschwunden. Da sitzen wir nun: ich in der Mitte und Schnuff und Scharte je auf einer Seite von mir und wirken etwas verloren. Kapitel 13: Wasser ------------------ Da sitzen wir nun: ich in der Mitte und Schnuff und Scharte je auf einer Seite von mir und wirken etwas verloren. Wir sehen uns an - Schnuff zuckt mit den Schultern, ich muss leider doof Grinsen und Scharte kichert ein wenig. Die gelöste und entspannte Atmosphäre fühlt sich einfach nur gut an. „Dir geht es wirklich gut?“, fragt Schnuff mich schließlich und legt den Kopf leicht schief. Mir stockt kurz der Atem. Diese großen besorgten Kulleraugen sorgen dafür, dass ich dieses Loch in mir wieder besonders stark merke. „Klar“, sage ich, nicht wirklich überzeugend, und ringe mir ein Lächeln ab. Mein Blick geht an Schnuff vorbei Richtung Fluss. Ich beobachte die leichten Wellen und fühle mich plötzlich alles andere als Wohl. Eine Welle die mich von den Füßen reißt und mich in die Tiefe zieht. Mich schaudert es kurz und mein Fell bauscht sich auf. „Pff. Hast du jetzt auch Angst vor dem Wasser, wie die Flamara?“, fragt mich Scharte herausfordernd. Ich funkle ich ihn garstig an. Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er keine Ahnung hat, wie machtvoll Wasser sein kann, weil er nie die Flut wirklich erlebt hat, aber ich lasse es. Ich will mich nicht streiten. Scharte dreht sich herum und sieht ebenfalls zum Fluss. Sein Blick schweift über das Wasser. „Ähm …“ Fragend ziehe ich die Augenbraue hoch, was hat er denn …? Oh! Irgendetwas ist da im Wasser. Also, irgendwie. Man sieht zwar, dass sich die Wellen dort anders bewegen, aber man sieht nicht wirklich, was es ist. Fasziniert betrachten wir, was auch immer da ist. Schnuff steht neben mir, ihm ist auch aufgefallen, dass da etwas zu sein scheint. Verschwörerisch sieht Scharte sich um. „Los kommt.“ Er schleicht in Richtung Wasser. Schnuff folgt ihm direkt, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. Ihn scheint zu sehr zu interessieren, was da Unsichtbares im Wasser ist. Tja, ich hocke einen Moment dort und weiß nicht so recht. Eine Mischung aus Sorge, Neugier und Angst überkommt mich. Ich habe a) eigentlich genug Ärger gemacht b) dürfte Chiefs Geduld mit mir langsam ihr Ende erreicht haben c) ist das echt gefährlich ABER d) es ist wahnsinnig spannend. „Komm schon, Quietschie! Oder hast du etwa doch Angst?“, fragt Scharte mit einem herausfordernden Blick und grinst hämisch. Blöder Penner! Ja, ich lasse mich von ihm aus der Reserve locken und nach einem Blick in Richtung Gras, schleiche ich meinen Brüdern hinterher. Es ist schwierig zu beschrieben, was ich, wir, da sehen. Da ist eindeutig etwas im Wasser, man erkennt es deutlich. Gleichzeitig hat es keine Kontur und Farbe – ist komplett durchsichtig. Je näher wir dem Wasser kommen, umso deutlicher hören wir Fluss. Ich muss mich revidieren, er scheint nicht so friedlich zu sein, wie er aus der Ferne gewirkt hat. Das Gurgeln ist lauter und man sieht wie die Wellen gegen das Ufer branden und aufschäumen. Die Luft ist feucht von der Gischt und riecht nach Wasser, aber nicht wie das bei uns zu Hause. Das hier riecht irgendwie anders. Weil es Süßwasser ist, fällt mir ein. Ha, jetzt machen auch andere Sachen plötzlich Sinn. Ich wusste, was Gras ist, kannte die Sonne bereits, bevor ich sie gesehen habe … weil ich diese Dinge aus meinem eigentlichen, oder früheren Leben kenne, oder kannte … oder wie auch immer … mir schwirrt direkt wieder der Kopf. „Da ist etwas“, flüstert Schnuff und deutet mit dem Kopf auf … Hm. Zwei Flossen? Ich glaube es sind zwei Flossen und schwarze mandelförmige Augen. Der Rest scheint immer noch mit dem Wasser zu verschmelzen. Uns trennt nur noch etwa ein halber Meter vom Fluss und irgendetwas meldet sich in mir. „Wir sollten nicht so nah ran.“ „Angsthase“, macht sich Scharte über mich lustig und geht demonstrativ weiter. „Musst du gerade sagen“, gifte ich zurück, trotz der Unruhe, die ich fühle. Scharte kommt am Ufer an und beugt sich leicht nach vorn um das Etwas, was sich eher in der Flussmitte befindet besser zu sehen. Die Erde unter seinen Pfoten ist weich, weil sie feucht ist und ich sehe wie er leicht einsinkt. Unsicher verkrampfe ich und öffne gerade den Mund … Wasser platscht, ein Schrei ertönt und verstummt gurgelnd. „Scharte!“, rufen Schnuff und ich lauthals. Nackte Angst ergreift mich. Mein Herz rast und scheint jeden Moment stehen zu bleiben. Meine Augen huschen hektisch über die Wasseroberfläche; bitte, bitte! Plötzlich taucht der braune Kopf von Scharte wieder auf, er hustet und schlägt mit den Vorderpfoten um sich. Ich bin erleichtert für den Augenblick, bis er wieder fast untergeht. Wir brauchen dringend Hilfe! Wie aufs Stichwort tauchen die Flamara auf, in ihren Gesichtern das blanke Entsetzen. Erst da begreife ich, dass sie ihm nicht helfen können. Scharte treibt Flussabwärts und Chief und Chilli rennen am Ufer entlang, Schnuff und ich folgen ihnen. Ich mache mir schreckliche Vorwürfe; ich hätte ihn davon abhalten sollen! Wenn ihm jetzt etwas passiert … wenn er stirbt … Ich remple unsanft in Chilli die vor mir stehen geblieben ist. Perplex stehe ich da, Schnuff kommt hinter mir angerannt und ist genauso abgelenkt wie ich vorhin und rempelt mich dadurch über den Haufen. Fast schön wütend boxe ich ihn von mir herunter. „Ein Glück“, höre ich Chief sagen. Ich springe auf und folge seinem Blick. Scharte hustet und paddelt kraftlos mit den Pfoten, trotzdem bewegt er sich in unsere Richtung und geht nicht dauernd unter. Es macht den Eindruck, als würde das Wasser ihn halten und tragen. Was geht hier vor? Scharte wird am Ufer abgesetzt und Schnuff und ich rennen zu ihm.  Mich überwältigt ein Glücksgefühl, gleichzeitig löst sich die Angst und mir kommen plötzlich die Tränen. „Geht es dir gut?“, schluchze ich aufgelöst und tue etwas, was ich noch nie getan habe: ich lecke Scharte über den Kopf. Im Trubel geht das zum Glück ein bisschen unter und ich besinne mich, bevor jemand es doch bemerkt. Was ist da in mich gefahren?! Das Wasser macht plötzlich merkwürdige Geräusche und ich wende mich ab. Da sind wieder die Flossen und die schwarzen Augen. Eine Welle schwappt an Land, aber sie versiegt nicht. Sie scheint sich zu erheben und das Wasser perlt von dem unsichtbaren Wesen ab. Wow. Die Tropfen glitzern wie kleine Diamanten in der Sonne und ziehen mich völlig in ihren Bann. Langsam gewinnt, das Wesen an Farbe und die Konturen werden deutlicher. Der Anblick ist faszinierend und lässt mich kurz vergessen, was zuvor passiert ist. Es ist ein Pokémon, was mir eigentlich hätte klar sein sollen, aber in der Hektik und Angst einfach keinen Platz hatte. Ein blaues Pokémon, mit vier Beinen und ein Delphinähnlichen Schwanz. Ein Aquana. Ich erinnere mich. Es steht da und sieht mich direkt an und ich sinke in mich zusammen. Ohne, das ich erklären könnte warum, erinnert es mich gerade an meine Mutter – meine Pokémon-Mutter. Meine Lippen formen ein stummes „Danke“. Das Aquana nickt kurz und wendet sich dann den Flamara zu. „Ich danke vielmals, Snow“, spricht Chief das Pokémon an. Er klingt gequetscht, als müsste er sich zusammennehmen. Ich befürchte, seine Geduld hat ihr Ende gefunden und uns wird eine ziemliche Standpauke blühen, wenn nicht sogar Schlimmeres. Das Aquana und die Flamara unterhalten sich leise, sie scheinen sich zu kennen. Ich wende mich ab, eigentlich interessiert es mich gerade nicht, was da vor sich geht. Mitfühlend sehe ich Scharte an, der zitternd und zusammengerollt dahockt. Das Wasser aus seinem Fell hat inzwischen eine Pfütze unter ihm gebildet und fängt an den Boden zu durchweichen. „Hey, Brüderchen“, spreche ich ihn vorsichtig an. Seine Augen sind angsterfüllt und ich spüre, wie mir das fast die Luft zum Atmen nimmt. Ich schlucke trocken und versuche mir nichts anmerken zu lassen. „Wir sollten etwas weitergehen, zu einem trockenen Platz, okay?“, sage ich vorsichtig und stupse ihn gleichzeitig mit dem Kopf um ihn zum Aufstehen zu bewegen. Schnuff hilft mir in dem er sich von der anderen Seite gegen Scharte drückt. Wackelig erhebt er sich und geht einige Schritte mit uns und lässt sich dann wieder in das Gras plumpsen. Schnuff und ich legen uns zu ihm und beginnen sein Fell trocken zu lecken so gut es geht. Ich bekomme mit, wie sich das Aquana verabschiedet. Besorgt hebe ich den Kopf und beobachte das Ganze. Kaum ist Snow wieder im Fluss verschwunden wendet sich Chilli an Chief. Ich höre nicht, was sie sagt, aber ihr Blick hat etwas Flehendes und ich ahne, dass sie ihn milde stimmen möchte. „Lass das!“, faucht Scharte, der sich scheinbar langsam wieder gefangen hat, Schnuff an, der ihm gerade über den Kopf leckt. „Ich sage es nur ungern, aber du solltest das wirklich lassen“, sage ich tonlos und füge dann noch an, „Wir haben jetzt andere Probleme.“ Ich spüre, wie sich Scharte sich verkrampft. Schnuffs „Oh oh“ sagt mir, dass er unsere Lage ebenfalls erfasst hat. Chiefs Gesicht und Körperhaltung sprechen Bände, als er mit gesenktem Kopf, verengten Augen, aufgestelltem Kragen und zuckender Lefze auf uns zukommt. Er kocht vor Wut und das, so habe ich das Gefühl, tatsächlich und nicht nur sprichwörtlich. Eine ungeheure Hitze geht von ihm aus. Ich erinnere mich an etwas in die Richtung. Flamara haben in ihrem Inneren einen Flammensack, in dem ein Feuer brennt. Sie stellen den Kragen auf um ihre Körpertemperatur zu regulieren, oder so. „Was fällt euch eigentlich ein?!“, donnert Chief los, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Seine eher tiefe Stimme und der Bass lassen es wirklich wie ein Gewittergrollen klingen und wirken. Reflexartig zucken meine Brüder und ich zusammen und machen uns klein. Sogar Chilli, die ohnehin schon Abstand gehalten hat, zuckt und geht einige Schritte rückwärts. „Haltet ihr das hier für Spaß?! Glaubt ihr, das ist ein Spiel?!“, knurrt das Flamara außer sich. „Du hättest sterben können!“, faucht er Scharte an, der verschämt nach unten sieht. „Und ihr zwei?!“, knurrt er Schnuff und mich an, wobei sein Blick einen Moment länger auf mir haftet. „Er ist eurer Bruder! Ihr seid Familie! Ihr solltet aufeinander aufpassen und euch nicht gegenseitig in Gefahr bringen!“ Das Bild, des tobenden, leicht über uns gebeugten Chief triggert ganz plötzlich etwas und eine völlig andere Szene spielt sich vor meinen Augen an. Ich stehe vor meinem Sohn und bin fürchterlich sauer. Ich weiß zwar nicht wirklich warum, aber ich fühle es genau - er hat mich wütend gemacht. Gleichzeitig spüre ich aber auch etwas Anderes, ich spüre Enttäuschung. Dennoch schimpfe ich hauptsächlich mit ihm, anstatt ihm zu sagen, dass ich auch enttäuscht bin. Mein Sohn fängt an zu weinen und plötzlich fällt mir auf, dass er kleiner und jünger ist, wie bei den anderen Erinnerungen. Das schlechte Gewissen überkommt mich; ich entschuldige mich, dass ich ihn angeschrien habe und nehme ihn fest in den Arm. Mein Sohn erwidert die Geste und sagt, dass es ihm auch leid tut. „… habt ihr das verstanden?!“, grollt Chiefs Stimme über mich hinweg und ich nicke hastig und gedankenverloren. Das Flamara wendet sich ab und atmet tief durch. „Wir müssen weiter …“, sagt er schließlich und hört sich müde an und … enttäuscht. Wir trotten los und laufen Flussaufwärts. Chilli erklärt uns, dass hier ein Aquana-Clan lebt. „Sie gehören auch zu den Evoli-Entwicklungen und haben, wie ihr gesehen habt, eine besondere Verbindung zum Wasser.“ Sie gibt sich alle Mühe, die gedrückte Stimmung aufzulockern, mit mäßigem Erflog. „Weiter oben ist eine Brücke, über die gelangen wir auf die andere Seite“, mischt sich Chief ein und bleibt kurz stehen. Er und Chilli wechseln einen kurzen Blick und sie geht vor. Meine Brüder laufen vor mir, ich habe mich wieder nach hinten abgeseilt. Krampfhaft versuche ich nicht in Tränen auszubrechen und meine Gedanken zu sortieren. Ich fühle mich, als wäre ich zwei Personen gleichzeitig – zerrissen und verwirrt. Neben mir räuspert es sich leise und ich drehe den Kopf zur Seite. Chief ist da und verlangsamt seine Schritte merklich, gleichzeitig sieht er mich aus dem Augenwinkel an und scheint mich aufzufordern es ihm gleich zu tun. Ich leiste seinem Wunsch folge, obwohl mich ein ungutes Gefühl überkommt. Kapitel 14: Klärungsbedarf -------------------------- Der Abstand zwischen dem Rest der Gruppe und uns vergrößert sich, schließlich bleibt Chief stehen und sieht mich an. Sein Blick und seine Haltung verraten mir zwar, dass er nicht mehr wütend ist, aber sauer ist er allemal noch … und enttäuscht, glaube ich. Das Flamara holt tief Luft und atmet bewusst aus, als ob es versucht, sich noch mehr zu beruhigen. „Ich bin enttäuscht.“ Kurz und knapp – und direkt in die Magengrube. „Ich weiß …“, flüstere ich seufzend und fühle, wie mir die Tränen kommen. Bloß nicht losheulen! Chief kämpft offensichtlich ebenfalls, aber nicht mit den Tränen, sondern mit der aufkeimenden Frustration. „Ich meine es ernst. Du hast mir erzählt, dass du meinst, dass du ein Kind hast oder hattest und dann lässt du zu, dass dein Bruder – dein Bruder, im hier und jetzt – sich derart in Lebensgefahr bringt.“ Er brummt unzufrieden und wendet kurz den Blick von mir ab. Ich sehe ihm an, dass er mit sich ringt – wahrscheinlich würde er mir lieber einige deftigere Worte an den Kopf werfen. Das Schlimme ist, ich verstehe ihn. Tränen quellen aus meinen Augenwinkeln und ich fange an zu schluchzen. „Ich verstehe das selber nicht … ich …“ Hektisch hole ich kurz Luft und versuche mich zu beruhigen. „Es fühlt sich alles so merkwürdig an … als wäre ich nicht ich und trotzdem ich. Also ich, Charly, das Evoli was nichts von der Welt weiß und gleichzeitig ich, als Mensch, erwachsen und …“ Ich heule los – und ich hasse mich dafür – aber ich kann nicht anders. Alles, wirklich alles, fühlt sich plötzlich anders an; falsch und richtig zu gleich. Ich empfinde Liebe für meine Brüder, weil sie meine Brüder sind, weil wir zusammen aufgewachsen sind und bis zu dem Punkt hier, alles zusammen durchgestanden haben. Gleichzeitig spüre ich eine innere Distanz zu ihnen, weil sie eigentlich nicht meine Brüder sind, weil wir eigentlich nicht mal derselben Rasse angehören. Ich selbst fühle mich gleichzeitig fremd und vertraut an … es ist so schwierig das in Einklang zu bringen, oder in Worte zu fassen. „Ich fühle mich so verloren …“, schluchze ich schließlich nach einiger Zeit, als ich mich endlich etwas beruhigt habe. Chief brummt und stupst mich leicht mit der Nase. „Du bist nicht allein. Deine Brüder sind da und Chilli und ich sind auch da. Deine Mutter und deine Tante sind auch immer noch da. Auch wenn du …“ Das Flamara ringt um die richtigen Worte und runzelt einen Moment die Stirn. „Auch, wenn du vielleicht nicht Charly, das Evoli, bist, oder schon immer warst, oder …“ Chief gerät ins Stocken und ich muss kurz freudlos Grinsen, weil ich merke wie ihm wohl bewusstwird, wie verworren das Ganze ist, wenn man erst einmal anfängt darüber nachzudenken. Er schüttelt demonstrativ den Kopf, bevor er weiterspricht, „Es ist egal - das hier ist echt, oder denkst du anders darüber?“ Ich schüttle den Kopf und langsam wird mir klar, was er meint. Das hier ist echt, egal was davor war. Meine Brüder, meine Familie sind meine Brüder und Familie, egal, ob wir die selbe Rasse sind, oder ob ich eigentlich viel eher eine Mutter, wie eine Schwester bin … Mir fällt die Situation mit Scharte wieder ein, wie ich ihm über den Kopf geleckt habe … „Ich glaube dir, dass du dich erstmal sortieren und damit arrangieren musst, aber nicht auf Kosten deiner Brüder.“ Chiefs Blick bohrt sich geradezu in mich. Irgendwie bekomme ich das Gefühl, dass sein Verhalten persönliche Gründe hat. „Ich werde auf deine Brüder und dich aufpassen, hier und, wenn wir endlich angekommen sind, aber ihr müsst auch auf euch selbst und euch gegenseitig achtgeben, verstanden?“ Ich nicke, während ich dem Flamara in die Augen sehe. Sein Blick ist besorgt und trotzdem warm. Ich weiß nicht warum, aber die Leere die ich stellenweise in mir fühle, scheint ein bisschen weniger geworden zu sein und ich lächle leicht. „Nun gut, wir sollten zu sehen, dass wir wieder zu den Anderen kommen.“ Chief zwinkert mir kurz zu, wahrscheinlich um mich aufzumuntern, und geht dann schnellen Schrittes los. Eilig laufe ich ihm nach und wir schließen zügig zum Rest auf. Wir folgen dem Fluss und schlagen uns dann kurzzeitig wieder in die Büsche. „Wir müssen diese Anhöhe hinauf“, erklärt Chief und deutet auf den Wall vor uns, der etwa zwei oder drei Meter hoch ist. „Oben Sammeln wir uns am Rande des Unterholzes und dann sage ich euch, wie es weitergeht.“ Chilli klettert als erstes hoch, nein, sie springt – tapp, tapp – und schon ist sie oben. Nicht nur, dass sie das so problemlos geschafft hat, es auch noch sehr elegant aus, als wäre sie geübt darin. Ich sehe zu Scharte, der neben mir steht. Schnuff ebenso; er grinst, sagt aber nichts. „Pff“, kommentiert unser Bruder und verzieht das Gesicht. Natürlich weiß er, worauf wir hinauswollen. Klettern ist nicht seine Stärke und das hier wird alles andere als leicht für ihn. „Chief?“, frage ich vorsichtig und ernte einen „Halt-bloß-die-Klappe-Blick“ von Scharte, den ich ignoriere. „Ich glaube nicht, dass Scharte das schafft.“ Es brummt ärgerlich neben mir, aber auch das ignoriere ich. Plötzlich habe ich eine Idee. „Ich meine, nach seinem Fluss-Abenteuer fehlt ihm bestimmt die Kraft dafür“, erkläre ich hastig. Mein Bruder sieht mich verblüfft an. Wir wissen beide, dass es nicht um seinen Badeausflug geht, selbst ohne den, würde er es kaum alleine da hoch schaffen. Das Flamara sieht mich an und dann Scharte. Geräuschvoll und genervt atmet er aus. „Nun gut, das wird wohl schon stimmen.“ Chief geht auf Scharte zu und bleibt stehen. Verschwörerisch senkt er den Kopf und sieht uns alle der Reihe nach an. „Das bleibt aber unter uns“, flüstert er und wir nicken alle drei, ohne dass wir wissen, was genau er meint. Blitzschnell packt er Scharte im Nacken und springt mit ihm den Wall hoch. Schnuff und ich sehen uns an. Langsam bildet sich ein Grinsen auf meinem Gesicht und mein Bruder kichert los. „Auf die Plätze … fertig … los!“, zählen wir zusammen runter und klettern dann um die Wette die Anhöhe hinauf. Oben angekommen werden wir mit einem „Psst!“, von Chilli ermahnt. Wir sammeln uns am Rand des Unterholzes. Ich höre lautes Rauschen und recke neugierig den Kopf. In einiger Entfernung sehe ich die besagte Brücke und einen Wasserfall dahinter. Er ist nicht ausgesprochen hoch, aber trotzdem ziemlich beeindruckend. Sanfter Nebel stiebt und man erkennt einen blassen Regenbogen. „Hört zu!“, spricht Chief uns an und wir versammeln uns um ihn. „Wenn wir die Brücke überqueren, haben wir keine Deckung – also heißt es: schnell sein. Ich gehe vor, dann Scharte, Charly, Schnuff und Chilli geht zuletzt. Auf der anderen Seite gehen wir im hohen Gras in Deckung und verhalten uns ruhig und warten.“ Wir gehen in Position, Chief streckt den Kopf vorsichtig heraus und sondiert die Lage. Alle scheinen die Luft anzuhalten und zu warten … „Los!“ Wir rennen los. Mein Herz klopft wie verrückt und ich bin fürchterlich aufgeregt. Ich habe das Gefühl jeden Moment über meine eigenen Füße zu stolpern. Es geht im Eiltempo über die nicht allzu lange Brücke und auf der anderen Seite sofort ins hohe Gras. Wir rücken zusammen und ducken uns. Neugierig beobachte ich Chief. Er lauscht angestrengt nach draußen und versucht jedes Geräusch einzuordnen. Scharte neben mir schnauft ziemlich und Chilli stupst ihn an. Sie sagt nichts, aber ihr Blick ermahnt ihn, etwas leiser zu sein. Er bemüht sich, die Atemzüge etwas langsamer und vor allem leiser zu machen. Die Anspannung steht den beiden Flamara ins Gesicht geschrieben. Genau in dem Moment, wird mir tatsächlich erst bewusst, welche riesige Verantwortung die beiden eigentlich tragen, und das für „Fremde“. Der ganze Ärger den ich gemacht habe, tut mir jetzt doppelt und dreifach so leid. „Gut“, flüstert Chief irgendwann, als er sich sicher scheint, dass uns wirklich niemand entdeckt hat. Er sieht uns an und nickt. „Weiter geht es.“ Wir pirschen durch das hohe Gras, immer eng beieinander und so leise wie möglich. Als wir das Ende erreicht haben, sehen wir vorsichtig aus dem grünen Dickicht hervor. In einiger Entfernung sehe ich ein Gebäude stehen. Es ist recht hoch und hat eine Glasfront … Allgemein wirkt das Haus ein bisschen wie ein kleines Schloss oder das Anwesen eines Adligen … ich war hier schon einmal – glaube ich. „Was ist das?“, fragt Schnuff und deutet auf das Haus. Chief scheint einen Moment zu überlegen und antwortet dann, „Das ist das Klimainstitut. Die Menschen erforschen dort das Wetter.“ „Wie das?“, hakt Scharte interessiert nach. Das Flamara schüttelt den Kopf. „Das weiß ich nicht. Wir halten uns aber davon fern. Die Menschen dort erforschen zwar das Wetter, aber auch von ihnen, halten sich viele Pokémon.“ „Wir können jetzt“, meldet sich Chilli von der Seite und schnell huschen wir über den Weg und auf der anderen Seite wieder ins Gras. Klimainstitut … Nein, ich erinnere mich nicht konkret. Mir kommt es zwar bekannt vor, und ich glaube, dass es irgendetwas besonderes hier gab oder ist, aber Genaueres will mir einfach nicht einfallen. „Wir gehen blad wieder ins Unterholz“, meldet sich Chief zu Wort. Meine Brüder und ich spitzen interessiert die Ohren, was den beiden Flamara offensichtlich nicht entgeht. „Freut euch nicht zu früh!“, ermahnt uns Chilli. „Das wird anstrengend, weil wir auf einen Bergpass müssen und der Aufstieg ist ziemlich steil. Ihr müsst unterwegs unbedingt auf den Weg achten, weil er unwegsam ist und auch recht schmal.“ Wir seufzen und lassen die Köpfe hängen. Keiner von uns traut sich etwas zu sagen, aber wir sind alle ziemlich müde und erschöpft inzwischen. „Leon wird nicht ewig warten und wir müssen noch rüber zur Route 111“, brummt Chief als Antwort. „Leon?“, fragt Scharte irritiert nach. „Er wird am Fuße des Bergs auf uns warten und uns den sicherersten Weg zeigen. Es gibt manchmal Steinschläge oder kleiner Erdrutsche – ein Weg der gestern noch sicher war, kann morgen schon unpassierbar sein. Der Blitza-Clan lebt in den Bergen, sie kennen sich einfach am besten dort aus“, erklärt uns Chilli mit einem wehmütigen Ausdruck im Gesicht. Es dauert einen Moment bis ich mich erinnere. „Dein Heimat-Clan“, flüstere ich. „Ja, Leon ist ein guter Freund. Wir haben oft gespielt, als wir noch klein waren.“ Chilli lächelt zwar, aber ich sehe auch die Traurigkeit. „Wir machen hier erst Mal Pause“, erklärt Chief, an einer ruhigen Stelle, weit genug vom Klimainstitut und den Wegen der Menschen entfernt. Endlich! Kaum hat er die Worte ausgesprochen, haben meine Brüder und ich uns an Ort und Stelle fallen lassen. Wir kuscheln uns ein wenig zusammen und ich spüre, wie sich Müdigkeit in mir breitmacht. Der Tag war lang und anstrengend, sowohl körperlich als auch mental. Meine Augen fallen mir immer wieder zu und der verdächtig ruhige und gleichmäßige Atem meiner Brüder, macht es umso schwerer, mich selber wach zu halten. Ich beobachte Chief, der immer verschwommener wird und schließlich nur noch ein roter Fleck ist … und irgendwann ist es schwarz … Kapitel 15: Nachtquartier ------------------------- Ich werde angestupst. Verschlafen öffne ich die Augen. Ein freundliches Gesicht sieht mich an, welches ich zunächst nicht einordnen kann. Mein Sichtfeld ist noch verschwommen und ich blinzle mehrfach um zu erkennen wer da ist. „Chilli?“, nuschle ich schließlich. „Hey, Kleines“, flüstert sie zurück. „Ihr müsst aufstehen.“ Mühsam rapple ich mich auf, gähne und strecke mich. Schnuff und Scharte kehren auch langsam aus dem Land der Träume zurück und tun es mir gleich. Etwas irritiert sehe ich mich um; da fehlt doch jemand. Gerade als ich fragen will, wo Chief abgeblieben ist, taucht er auf. „Guten Morgen“, grüßt er uns und grinst. „Morgen?“, fragt Schnuff zurück und sieht in den Himmel. Ich muss lachen. „Das war ein Scherz.“ Müsste ich schätzen, haben wir Nachmittag, späten Nachmittag wahrscheinlich sogar. „Ach so“, antwortet Schnuff immer noch verschlafen. Nachdem meine Brüder und ich uns sortiert haben, gehen wir los. „Das Schläfchen hat gut getan“, murmelt Scharte und gähnt noch einmal. Ich nicke zustimmend. Es war auf jeden Fall erfrischend und ich fühle mich wieder fitter. „Der weitere Weg wird sehr anstrengend, deswegen haben wir euch auch schlafen lassen, damit ihr wieder zu Kräften kommt“, erklärt Chief. „Aber wir müssen jetzt unbedingt los. Es ist schon spät und im Dunkeln wird es noch schwieriger wie ohne hin schon.“ „Außerdem wartet Leon bestimmt schon“, fügt Chilli noch an und lächelt etwas abwesend. Ich lege den Kopf schief und sehe sie an. Ertappt räusperte sie sich. „Los geht’s.“ Verwirrt ziehe ich die Augenbraue hoch und sehe zu Chief, welcher irgendwie wissend grinst und amüsiert den Kopf schüttelt. Ich bin immer noch nicht richtig anwesend und beschließe, mir später darüber Gedanken zu machen. Wir laufen los. Im Wald sind wir als Gruppe nebeneinander unterwegs. Die Bäume werden immer weniger und der Boden langsam aber sich felsiger. Wir müssen öfter über größere Steine klettern und organisieren uns daher um. Chilli geht vor, ich gehe hinter ihr und nach mir folgt Schnuff. Hinter mir läuft Scharte und Chief geht als Letzter und unterstützt ihn beim Klettern. Irgendwann sind die Bäume fast gänzlich verschwunden und der Boden wechselt komplett von Erde zu Stein. Wir kommen nur langsam vorwärts, weil es steil bergauf geht und uns ziemlich viel Kraft abverlangt. Chief und Chilli sind geduldig und warten oder helfen uns. „Boah, ist das anstrengend“, beschwert sich Scharte und lässt sich kurz fallen. „Ja, deswegen haben wir euch die Pause gegönnt. Selbst für Erwachsene ist es ziemlich kräftezehrend“, erklärt Chief und sieht in die Ferne. Ich folge seinem Blick. Jetzt, wo wir aus dem Wald heraus und ziemlich weit oben sind, hat man eine unfassbare Aussicht. Irgendwo links sieht man in der Entfernung eine Stadt zwischen Felsen und Bäumen. „Wie heißt der Ort?“, frage ich neugierig. „Malvenfroh City“, antwortet mir Chief. „Und das“, er deutet nach rechts, „Ist der Schlotberg.“ Ein Berg erhebt sich in der Ferne. Er bildet sich als riesiger Schatten vor dem roten Himmel ab und die Flanken leuchtend golden. Von seiner Spitze steigen Aschewolken auf, die im Licht der untergehenden Sonne dunkelrot glimmen. Einen Moment sitzen wir alle da und betrachten wortlos das mystisch wirkende Farbschauspiel das uns geboten wird, dann gehen wir weiter. In setze eine Pfote vor die andere, den Blick stur auf den Boden gerichtet, um nicht doch über irgendeinen Stein oder meine eigenen Füße zu stolpern. Meine hintere Pfote schmerzt seit einiger Zeit wieder merklich und ich bemühe mich, es zu ignorieren. „Hey, hey, hey!“, brüllt es plötzlich über die karge Landschaft hinweg. Erschrocken zucke ich zusammen und fiepe. Ich hasse mich dafür, ehrlich … „Leon!“, ruft Chilli vor mir freudig, beschleunigt ihre Schritte und eilt dem Blitza entgegen. Ja, ein Elektro-Pokémon, das sieht man. Es ist gelb und stachelig, als hätte es in eine Steckdose gegriffen. Steckdose? Diffus erinnere ich mich, das man dadurch Strom bezieht … und dass man nicht die Finger hinein stecken sollte. Ich beobachte wie sich die beiden sehr herzlich begrüßen. Sie strecken sich ihre Köpfe entgegen und geben sich eine überschwängliche Kopfnuss, anschließend reiben sie ihre Stirnen aneinander und schließlich ihre Wangen. Wie Katzen, schießt es mir durch den Kopf. Das Ganze wirkt extrem vertraut und erinnert mich an einige Glaziola die ich manchmal gesehen habe. Meistens habe ich das bei Familienmitgliedern gesehen oder Verlieb … Plötzlich fällt mir Chiefs wissendes Grinsen wieder ein und ich muss kurz los prusten. Freunde, klar. Leon sieht zu uns herüber und grinst breit. „Hey, ihr Fellnasen“, ruft er freundlich. „Hey“, antworten meine Brüder und ich gleichzeitig. „Sei gegrüßt, Leon“, meldet sich Chief hinter uns. „Abend, Chief.“ Leon grinst immer noch breit. Meine Güte, der Typ scheint eine Frohnatur zu sein. „Los kommt, das Abendessen wartet schon.“ „Abendessen!“, platzt Schnuff heraus und entlockt dem Blitza ein herzliches Lachen. Wir laufen wieder los und Leon plappert munter, und ungefragt, drauf los. Er erzählt uns, dass das Überleben in den Bergen anstrengend ist – und definitiv nichts für zartbesaitete Pokémon. Er plustert sich irgendwie dabei auf und ich muss kichern. Chief, der neben mir läuft räuspert sich. Ich sehe ihn an und registriere sein gespielt genervtes Grinsen und das Augenrollen. Beinahe hätte ich gelacht, beiße mir aber im letzten Moment auf die Unterlippe. Ich nicke, um ihn zu zeigen, dass ich ihn verstanden habe. „Es bietet aber auch viele Vorteile. Andere Pokémon machen uns seltener Nahrung und Revier streitig“, erklärt Leon voller Inbrunst weiter. „Außerdem gibt es hier viele Donnersteine – die brauchen wir ja für unsere Entwicklung.“ Scharte spitzt die Ohren. „Donnersteine? Ist das wie mit den Eissteinen?“ „Ja“, antwortet Chilli und nickt. „Evoli entwickeln sich im Normalfall durch den entsprechenden Stein. Mit Eissteine zu Glaziola, durch Donnersteine zu Blitza und so weiter.“ Ich sehe Chief an. „Wie viele Entwicklungen gibt es denn?“ „Insgesamt Acht“, antwortet er. „Acht?!“, ruft Scharte erstaunt. Leon lacht. „Ganz schön viele was? Leider sind die Menschen auch immer auf der Suche nach den entsprechenden Steinen; um ihre gefangenen Evoli zu entwickeln oder andere Pokémon. Hierher kommen sie aber selten, denn sie wissen: wir kämpfen um jeden Donnerstein!“ Wieder plustert sich das Blitza auf. Tja, das hätten die Glaziola lieber auch machen sollen. Allerdings habe ich das Gefühl, dass sich die Clans nicht nur in ihrer Elementzugehörigkeit unterscheiden, sondern auch in ihrer Mentalität. Die Frage ist: Hat das mit der Entwicklung zu tun? Aber wieso sollte sich der Charakter dadurch verändern? Vielleicht ist man kampffreudiger, wenn man weiß, dass die entsprechenden Attribute dafür hoch sind. Oder es liegt einfach an der Art wie man aufwächst. Chilli scheint ja auch nicht unbedingt rauffreudig zu sein, obwohl sie ursprünglich aus dem Blitza-Clan kommt. Sie ist bei den Flamara groß geworden und scheint sich wohl den dortigen Gepflogenheiten angepasst zu haben. Während ich vor mich hin sinniere kommen wir in einem Tal an. Spärliche und ungesund wirkende Vegetation ist zusehen. In den Felsen der hohen Berge, die das Tal umgeben, sind Zugänge zu Höhlen. Da die Sonne inzwischen kurz vor dem Horizont steht, füllen langen Schatten den Bereich und lassen ihn irgendwie trostlos und unheimlich wirken. Leon bleibt stehen und dreht sich zu uns um. „Willkommen beim Blitza-Clan.“ Wie aufs Stichwort, tauchen unzählige Blitzas aus den Höhlen auf. Wir gehen einen schmalen Pfad hinunter und werden freundlich begrüßt. Alle wuseln um uns herum, reden mit Leon oder den Flamara. Ich fühle mich unwohl mit dem ganzen Trubel. So viele Fremde! Das ist überhaupt nicht meins. Unbewusst halte ich mich nah bei Chief, den das alles recht kalt lässt und mir damit irgendwie Sicherheit vermittelt. Wir gehen immer weiter und Leon führt uns in eine der Höhlen. Es wird ruhiger, ich atme aus und entspanne mich. Es geht einen Tunnel entlang und wir erreichen eine größere Höhle. Leon geht hinein und dann einen Schritt beiseite um Chief vor zu lassen. Dieser geht selbstbewusst voran, wir folgen ihm etwas unsicher. Wir gehen auf einen flachen Felsen zu, auf dem sich ein Blitza befindet. Es sieht sehr anmutig und edel aus, wie es da mit erhobenen Kopf liegt; majestätisch irgendwie. Mir muss keiner sagen, dass es sich hier um das Clanoberhaupt handelt, denn das spürt man förmlich. „Ich grüße dich, Chief“, spricht das weibliche Blitza. Die Stimme klingt zwar alt, aber dennoch erhaben. Bevor Chief antwortet, senkt er kurz den Kopf. Ich bin irritiert. Bei Monty hat er das definitiv nicht gemacht. Scheinbar lag ich gar nicht so falsch mit meiner Vermutung, dass sie die Clans nicht nur in ihren Elementtypen unterscheiden. „Ich grüße dich ebenfalls, Leonore.“ Leonore. Ich sehe zu Leon hinüber, der etwas abseits steht. Er reckt einen Moment wieder die Brust heraus, als er es bemerkt. Ich grinse und er zwinkert mir zu. Daher weht der Wind also; er ist der Sohn der Anführerin. Oft werden Namen innerhalb einer Familie weitergegeben, oder ähnliche gewählt. Unsere Großmutter hieß Mistle. Missy heißt unsere Tante und Milly unsere Mutter. Wäre interessant gewesen, welche Namen meine Brüder und ich bekommen hätten, wenn wir geblieben wären. Da man seinen richtigen Namen erst nachdem „erwachsen werden“ bekommt, werden wir wohl jetzt Flamara-Namen erhalten. Da wird mir plötzlich der Hintergrund für dieses Vorgehen bewusst. Würde man den Jungtieren direkt einen Clan-Namen geben und sie müssten wechseln, hätten sie „falsche“ Namen, also bekommt man erst nach der Entwicklung einen. Chief, Chilli … Hm. Wir werden wohl Namen mit C bekommen. Ich muss Grinsen, als mir der Gedanke kommt, dass ich meinen Anfangsnamen theoretisch behalten könnte. „… ansonsten gibt es keine nennenswerten Neuigkeiten.“ Huch. Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich gar nicht mitbekommen habe, was Chief erzählt hat, oder warum. „Keine Neuigkeiten sind gute Neuigkeiten“, sagt Leonore und nickt. Sie wendet ihren Blick zu meinen Brüdern und mir. „Wie geht es dem Glaziola-Clan?“ Schnuff und Scharte sehen direkt mich an. Warum ich?! Ich kann nicht gut vor Leuten reden, vor Fremden schon gar nicht! Ich hocke da, mit großen Augen und starre das Blitza an. Reiß dich zusammen! „Ähm … Es gibt nichts Außergewöhnliches zu berichten … Es geht allen soweit gut und … ähm … bis auf die geklauten Eissteine auch keine sonstigen … nennenswerte Ereignisse.“ Unsicher und fragend sehe ich Leonore an. Die Anführerin nickt. „Nun, der Glaziola-Clan handhabt die Dinge seit jeher etwas …“ Chief räuspert sich hörbar. Ich bin nicht dumm; er scheint das Blitza auf seine Wortwahl aufmerksam machen zu wollen. Leonore mustert ihn kurz, dann huscht ein unscheinbares Lächeln über ihr Gesicht. „Etwas anders wie wir. Aber es freut mich zu hören, dass alle wohl auf sind.“ Sie neigt ihren Kopf. „Ihr könnt jetzt Essen und dann bringt euch Leon zu eurem Nachtquartier.“ Die Anführerin steht auf, was ihr sichtlich Mühe bereitet. Sie scheint noch älter zu sein wie Monty, trotzdem strahlt sie nicht Gebrechlichkeit aus, sondern puren Stolz. Sie geht davon und lässt uns zurück. Ein kurzer Moment der Stille setzt ein. „Essen?“, fragt Schnuff dann ungeduldig und wir brechen in Gelächter aus. Kapitel 16: Überfall -------------------- Nach einem sehr reichhaltigen und köstlichen Essen führt uns Leon aus der Höhle. Am Eingang treffen wir auf ein Blitza, welches Leon direkt überschwänglich begrüßt: „Hey, Lucy!“ Wir versammeln uns alle draußen und Leon beginnt direkt wieder zu erzählen, was meine Brüder und ich aber nicht hören. Über uns glitzern unzählige Sterne. Es ist atemberaubend! Ein riesiger funkelnder Teppich! „Wow!“ Schnuff staunt ebenso. Scharte bekommt den Mund gar nicht mehr zu. „Wie krass!“ „Man könnte denken, ihr habt noch nie Sterne gesehen“, witzelt Leon. „Haben wir auch noch nie“, antworte ich etwas atemlos, weil ich immer noch überwältigt bin. „Oh.“ Leon ist sichtlich peinlich berührt und wendet sich schnell an Lucy, „Gehst du los?“ „Ja“, sie grinst und sieht die beiden Flamara an. „Ich dachte, vielleicht möchte unser Besuch mitkommen.“ Chief lacht leise. „Natürlich.“ „Okay, dann bring ich die Kleinen ins Bett.“ Was?! Ungläubig wende ich den Blick vom Himmel ab und starre Leon an und dann zu den Flamara. „Wir helfen, die Feuer für die Nachtwache zu entzünden“, erklärt Chilli. „Und uns geht das leichter von der Hand, wie den Blitza.“ Lucy bedankt sich für die Hilfe und geht los, die Flamara folgen ihr. Entsetzt sehe ich ihnen hinterher. Irgendetwas kaltes, ekliges schlägt seine Klauen in mein Herz. „Ihr geht weg?!“ Ich bin selber erschrocken über die Angst und Panik in meiner Stimme. Die drei drehen sich um. Chief runzelt besorgt die Stirn und mustert – uns, wie ich gerade bemerke. „Ihr dürft nicht gehen“, flüstert Schnuff neben mir zittrig. Ihm scheint es nicht besser zu gehen wie mir. Die beiden Flamara tauschen Blicke und Chilli nickt. „Okay, ich bleibe bei euch.“ Sie kommt zu uns zurück, während Chief und Lucy weitergehen. „Danke“, sage ich leise und sehe das Flamara an. „Schon okay.“ Sie stupst mich und Schnuff und dann gehen wir los. Wir folgen Leon, der uns in eine kleine Höhle führt und uns erklärt, dass die Feuer wichtig sind. Während der Nacht halten einige Blitza Wache und die müssen schließlich etwas sehen, meint er. Wir kommen an und legen uns in die hinterste Ecke, die dick gepolstert ist mit Blättern und Moosen. Meine Brüder und ich kuscheln uns direkt eng aneinander. Ich lausche dem leisen Gespräch zwischen Chilli und Leon. Das Murmeln lässt mich dann recht schnell einschlafen. Schlagartig öffnen sich meine Augen. Ich bin irritiert und wundere mich, weil ich so abrupt aufgewacht bin. Chief und Chilli befinden sich direkt in meinem Blickfeld. Sie stehen am Eingang der Höhle und wirken beunruhigt. Ich hebe den Kopf und will sie fragen, ob etwas passiert ist, da höre ich von draußen laute Rufe. „Alarm!“, brüllt eine mir unbekannte Stimme lautstark. „Wir werden angegriffen! Sammelt euch!“ Das war definitiv Leon. Unter mir bewegt es sich plötzlich. Scharte hebt den Kopf und blinzelt. „Was ist denn los?“ Hinter mir gähnt Schnuff und rollt sich herum. Die Flamara bekommen mit, dass wir wach geworden sind und drehen sich zu uns um. Die Sorge die den beiden ins Gesicht geschrieben steht nimmt mir kurz die Luft. Was passiert da draußen? „Pass auf sie auf“, weißt Chief Chilli an und verschwindet. Als er weg ist verkrampft etwas in mir. „Chilli?“, frage ich beunruhigt und komme auf die Pfoten. Schnuff schüttelt und streckt sich, dann hält er inne, als wieder laute Rufe zu hören sind. „Was ist denn los?“ „Macht euch keine Sorgen, alles wird gut.“ Chilli ringt sich ein Lächeln ab und kommt zu uns. Wir hören ein Brüllen, welches definitiv nicht von einem Blitza stammt. Instinktiv rücken wir zusammen. „Was passiert da?“, fragt Scharte und drückt sich fest auf den Boden. „Hier sind wir sicher. Da passieren …“ Das Flamara denkt hektisch über die richtigen Worte nach. „Erwachsenendinge.“ Wieder hören wir laute Rufe, ein grollendes Brüllen und etwas was verdächtig nach einer Explosion klang. Das Dorf wird überfallen! Nackte Panik ergreift mich und mein Herz rast sofort. Da draußen wird gekämpft und das mit hörbarer Intensität und Gewalt. Vor der Höhle ist etwas zu hören, aber es ist auf keinen Fall Chief. Bevor das Pokémon komplett hereinkommt, springt ihm Chilli bereits entgegen. Sie spukt Feuer und stürzt sich auf den Gegner. Staub wird aufgewirbelt und man erkennt nicht viel. Scharfe Klauen zischen über uns hinweg und treffen die Wand – noch mehr Dreck wirbelt auf und Steine rieseln auf uns herab. Schnuff fängt an zu Husten und auch ich spüre, wie mir das Atmen zunehmend schwerer fällt. Gleichzeitig flattert meine Magen und mir wird schlecht vor lauter Aufregung und Angst. Ein Maul mit spitzen Zähnen taucht aus der Staubwolke auf. Erschrocken schreien wir los. Bevor es uns erreicht kommt Chilli von der Seite und tackelt es weg. Die gelben, schmalen Augen des Gegners blitzen zornig bevor er gegen die Wand stößt und die nächste Dreckwolke alles einhüllt. Ich bekomm kaum noch Luft und auch Scharte hustet inzwischen. „Wir müssen raus!“, keuche ich. Wir werden ersticken, wenn wir hierbleiben. Der Gedanke löst meine Starre schlagartig. „Los!“, brülle ich mit dem bisschen Luft, was ich zusammen bekomme. Schnuff rennt los und ich packe Scharte, der wie gelähmt am Boden klebt, am Ohr und ziehe ihn mit mir. Wir sehen zwar nichts, aber der Ausgang ist genau gegenüber, also hasten wir einfach drauf los. Ein blauer schuppiger Schweif taucht auf und knallt auf den Boden, er verfehlt Schnuff nur um wenige Zentimeter. Wir rennen einfach weiter. Scharte hat sich endlich aus seinem Schock gelöst und rast an mir vorbei, als der Ausgang zu sehen ist. Endlich draußen, husten wir stark und versuchen Luft zu bekommen. Hinter uns brüllt es und ich drehe mich um. Chilli und das fremde Pokémon sind ebenfalls draußen und kämpfen erbittert weiter. „Vorsicht!“ Schnuff schubst mich zur Seite. Neben uns schlägt ein Blitz ein, der so stark ist, dass der Fels splittert. Panisch sehe ich mich um. Es tobt eine Schlacht zwischen den Blitza und … Verdammt! Das sind Knarksel! Oh nein, das ist schlecht, sehr schlecht – wenn mir jetzt noch einfallen würde warum, wäre ich vielleicht beruhigter. Überall sind Pokémon die gegeneinander kämpfen, oder die Flucht ergreifen. Ein riesiger Blitz zuckt durch den Himmel und erleuchtet das Szenario, was es noch bedrohlicher und schrecklicher wirken lässt. Von links taucht ein lilaroter Energiestrahl auf, tritt auf eine der Bergflanken und hinterlässt einen riesigen Krater. In der Ferne explodiert irgendetwas und das grelle Licht blendet uns einen Moment. Die Luft knistert vor Elektrizität und vibriert durch Explosionen – Angst lähmt meine Gedanken und ich habe keine Ahnung was ich tun soll. Ich habe das Gefühl plötzlich in einem Kriegsgebiet gelandet zu sein – unbewaffnet und ohne Kampferfahrung. Neben mir schlägt wieder irgendeine Attacke ein. Ich höre Scharte panisch schreien und mein Gehirn beginnt wieder zu arbeiten. Wir müssen uns verstecken! Ich drehe mich um und sehe wie Scharte davonrennt und in einer Staubwolke verschwindet. „Komm zurück!“ Mein Magen verkrampft sich schmerzhaft und ich drehe mich erneut. Nein! Schnuff ist auch verschwunden. Was mach ich denn jetzt?! Etwas zischt über meinen Kopf hinweg und ich renne los. Der Himmel zuckt erneut, ich höre Steine bröckeln. Hektisch flüchte ich mich hinter einen Busch, der neben einem großen Felsen steht. Ich atme panisch und rolle mich zusammen. Das darf doch alles nicht wahr sein! Ich bin alleine in dem ganzen Chaos; Chief weg, Chilli weg, meine Brüder weg … Tränen laufen über meine Wangen. Plötzlich spüre ich einen stechenden Schmerz am Rücken und schreie auf, weniger, weil es extrem weh tat, mehr wegen dem Schreck. Ich drehe mich zitternd um und erwarte das Schlimmste. Kapitel 17: Volltreffer ----------------------- Huch? Da steht kein Knarksel, das ist ein … Kaumalat. Es glotzt mich unsicher und verwirrt an. Hat es mich gerade angegriffen? Falls, ja, war das nicht besonders souverän, oder treffsicher – zum Glück! Das hätte böse für mich Enden können. Wir stehen da, mitten in dem ganzen Chaos und sehen uns an. Es scheint genauso wenig kampferprobt zu sein wie ich. Ich hoffe, dass es einfach von dannen zieht und mich in Ruhe lässt. Das Kaumalat verengt die Augen und macht sich bereit, und meine Hoffnung schwindet. Ich atme durch und versuche mich etwas zu beruhigen. Natürlich war klar, dass der Moment irgendwann kommen würde, aber ich hätte mir einen weniger dramatischen gewünscht. Es fühlt sich an, als würde eine andere Kraft von mir Besitz ergreifen, als würde mein Körper wissen, was zu tun ist – im Gegensatz zu meinem Kopf. Ich sehe dem Kaumalat fest in die Augen und stelle mich ihm direkt gegenüber hin. „Dann wollen wir mal.“ Es funkelt finster und knurrt. Ich befürchte, dass ich mir das vielleicht doch besser hätte überlegen sollen; doch jetzt ist es zu spät. Einen Moment rutscht mir das Herz in die Hose … ähm, Hose? Ich schüttle den Kopf, egal jetzt! Die verpatzte Attacke von eben war ziemlich kräftig – ich sollte versuchen, weitere Treffer möglichst zu verhindern. Jetzt heißt es schnell sein, was ich leider eigentlich nicht bin. Hoffentlich ist mir das Glück hold! Ich sprinte los und mach eine 180°-Wende, dabei drücke ich meinen Schweif auf den Boden und ziehe ihn durch den Dreck. Ich schleudre dem Kaumalat eine Ladung Sand ins Gesicht – Treffer! Ha! Nimm das du Biest! Ich freue mich so darüber, dass ich tatsächlich getroffen habe, dass ich unaufmerksam werde. Von mir unbemerkt, schlägt mein Gegner seine Klauen in den Boden und revanchiert sich mit einem Sandwirbel seinerseits. Der Dreck brennt in meinen Augen und Tränen bilden sich. So ein Mist, das ging irgendwie nach hinten los. Ich sollte wohl doch lieber zum direkt Angriff übergehen so lange ich noch etwas sehe. Mit tränenden Augen und verschwommener Sicht visiere ich das Kaumalat an und stürme los. Ich bekomme es gerade so zu fassen und beiße so feste zu wie ich kann. Das tut verdammt weh! Nicht nur, dass es ziemlich hart ist und dadurch an den Zähnen schmerzt, nein, seine Haut ist auch noch so rau, dass es schmerzhaft an meiner Wange scheuert. Oh oh. Mir dämmert langsam aber sicher, dass ich hier keinen leichten Gegner vor mir habe – Kampferfahrung hin oder her. Das Kaumalat wehrt sich wütend. Es brüllt und schüttelt mich ab. Ich lande unsanft auf dem Boden und mein Gegner setzt direkt nach. Es schlägt seine Krallen in meinen Rücken, die sich noch härter anfühlen wie bei der Attacke ganz am Anfang – als wären sie mit Metall verstärkt. Es schmerzt höllisch und ich schreie laut auf. Ich fühle, wie meine Beine nachgeben und mir die Energie für einen weiteren direkten Angriff fehlt. Das Kaumalat grinst und knurrt – es ist sich seines Sieges sicher und ich kann ihm das nicht verdenken. Eigentlich sollte ich lieber verduften, aber ich fürchte, jetzt wo mein Gegner der Meinung ist, den Gewinn hierfür schon in der Tasche zu haben, wird er mich nicht so einfach gehen lassen. Ich muss dringend verhindern, dass es mich noch einmal erwischt! Mit meiner verbliebenen Energie ziehe ich meinen Schweif noch einmal durch den Dreck und attackiere das Kaumalat mit einem weiteren Sandwirbel. Getroffen! Gerade, als ich überlege, welche Optionen ich noch habe, kommt mein Gegner aus der Staubwolke gestürmt und tackelt mich – mit aller Kraft und so zielsicher, dass er einen Volltreffer landet. Ich werde nach hinten geschleudert und rolle über den Boden – plötzlich ist alles schwarz um mich herum.   Unsanft werde ich gerüttelt. Langsam erkenne ich die Geräusche um mich herum deutlicher. Ich höre, dass immer noch gekämpft wird, aber es ist nicht mehr so laut und extrem wie vorhin noch. Vorhin? Blitzschnell öffne ich die Augen. Was ist passiert?! Warum liege ich hier im Dreck?! „Du musst aufstehen, Herzchen.“ Was? Herzchen? Wer redet da mit mir? Ich blinzle krampfhaft und reibe mir mit der Pfote über die Augen um den Sand rauszubekommen. „Steh schon auf.“ Ich drehe den Kopf. Da ist ein Blitza … „Leonore?“ „Ja. Steh jetzt endlich auf, Herzchen.“ Sie stupst mich energisch gegen Seite. Mühsam rapple ich mich auf und bin immer noch komplett neben der Spur. Langsam kommt die Erinnerung zurück. Das Kaumalat! Der Kampf! Ich … habe verloren, aber wo ist es hin? „Wo …?“ „Davongelaufen, als es mich gesehen hat“, erklärt mir Leonore und mustert mich eingehend. „Das war dein erster Kampf?“ Ich nicke abwesend. In meinem Kopf dreht sich immer noch alles und ich bemühe mich, die jüngsten Ereignisse irgendwie zusammen zu bekommen. Außerdem fühle ich schlapp und müde, am liebsten würde ich mich wieder hinlegen. „Du hast dich ganz wacker geschlagen. Kaumalat sind nicht unbedingt die einfachsten Gegner.“ Ein kleines Lächeln huscht über das Gesicht des Blitzas. „Das habe ich gemerkt“, nuschle ich. Eigentlich merke ich es sogar immer noch; mein Mund schmerzt. Mit der Zunge fahre ich über meine Zähne, weil ich fast befürchte, einen eingebüßt zu haben, aber es sind noch alle da; und sie schmerzen – alle. Gerade, als ich fragen will, wo meine Brüder sind, grollt es hinter uns. Wir drehen uns um und sehen ein Knarksel. Es steht nicht weit entfernt und starrt uns an. Es ist auf Krawall gebürstet, das sieht man sofort. „Geh hinter mich!“, befiehlt mir Leonore und geht in Angriffsposition. Ich ducke mich hinter hier weg, linse aber trotzdem um sie herum, weil ich wissen möchte was passiert. Die Anführerin ist zwar alt und wahrscheinlich nicht mehr sehr schlagkräftig, aber sie ist hier die Chefin und das bestimmt nicht umsonst. Leonore hebt stolz den Kopf und sieht dem Knarksel festentschlossen in die Augen. „Wenn du glaubst, eine Alte wie ich und ein Welpe sind leichte Beute, hast du dich geschnitten“, donnert sie dem Drachen-Pokémon selbstbewusst entgegen. Einen Moment stutzt das Knarksel. Tja, damit hat es wohl nicht gerechnet – ich ehrlich auch nicht. Doch der Augenblick vergeht und es stürzt sich knurrend auf uns. Ein Blitzt kommt von der Seite angeschossen und trifft das Drachen-Pokémon. Es geht zu Boden, steht aber direkt wieder auf und scheint noch wütender zu sein. „Leg‘ dich mit Jemanden deiner Größe an!“, brüllt es von einem Felsen herunter. Verwirrt sehe ich hoch. Da steht Leon, und die Verwandtschaft ist nicht mehr zu übersehen. Stolz, mit hoch erhobenen Haupt steht er da und fixiert das Knarksel. Brüllend stürzt sich das Drachen-Pokémon auf Leon, welcher ihm genauso entgegen stürmt. Blitz und Feuer treffen aufeinander und erzeugen ein unwirkliches Farbschauspiel. „Komm!“, befiehlt Leonore und reißt mich aus meiner Faszination. „Ich bringe dich an einen sicheren Ort.“ Sie läuft eilig los und ich tapse ihr verwirrt hinterher. Nach einigen Metern bleibe ich stehen. Der Kampf mit dem Kaumalat kommt mir wieder in den Sinn. Das war beängstigend, wenn ich es jetzt rückwirkend betrachte. Ich hatte Glück, das Leonore aufgetaucht ist, wer weiß, was passiert wäre … Schnuff! Scharte! Was, wenn sie eine ähnliche Begegnung haben? Was, wenn keiner da ist, um sie zu retten?! Mein Herz krampft bei dem Gedanken. Ich will sie nicht auch noch verlieren! Das würde ich nicht ertragen! Ich sehe, dass Leonore etwas voraus ist. Sie ist hier die Chefin und ich würde mal vermuten, dass sie weder Widerworte, noch Ungehorsam duldet … Ich werde sicher riesen Ärger bekommen, wenn ich stiften gehe … aber … Ich hole tief Luft und lege die Ohren leicht an. Nein! Ich werde nicht ohne meine Brüder gehen! Niemals! Meine Beine fühlen sich inzwischen nicht mehr so weich an, obwohl ich deutlich die Erschöpfung merke. Ich fürchte, dass ich das ganze Ausmaß erst richtig zu spüren bekomme, wenn das Adrenalin und die Aufregung sich legen. Trotzdem! Ich kann und will meine Brüder nicht im Stich lassen und beschließe, mich hinterrücks davon zu machen. Kapitel 18: Vom Suchen und Finden --------------------------------- Gerade als ich mich entschlossen habe, mich davon zu machen, kommt mir König Zufall zu Hilfe. Ein greller Blitz zischt über uns hinweg und lenkt Leonore ab. Ich ducke mich und schleiche im Schatten einiger Steine weg. Meine Gedanken kreisen um meine Brüder. Hoffentlich geht es ihnen gut! Ich bemühe mich, möglichst unauffällig zwischen Geröll und Sträuchern hindurch und drum herum zu schleichen. Mit jedem Busch und jedem Felsen fällt es mir allerdings schwerer. Die Erschöpfung fängt an mehr und mehr an mir zu zerren und meine Hinterpfote schmerzt mit jedem weiteren Schritt schlimmer. Ich darf jetzt nicht einknicken! Mit zusammengebissenen Zähnen humple ich weiter. Überall sind noch Kämpfe im Gange die Staub und Dreck aufwirbeln. Ein Hustenanfall stoppt mich und ich habe Mühe Luft zubekommen. Ja, der Dreck verhindert zwar, dass man mich sieht, was prinzipiell eine feine Sache ist, aber er nimmt mir auch sprichwörtlich die Luft zum Atmen. Ein fürchterlich lautes Brüllen lässt mich aufsehen. Auf einem Bergkamm stehen drei Blitza und ihnen gegenüber ein … Knakrack! Oh, Gott! Das Ding ist riesig und erinnert mich irgendwie an Leonore – es wirkt stolz und als wäre es unantastbar, allerdings strahlt es Gewalt aus und nichts Majestätisches. Es ist bestimmt der Anführer der Drachen-Pokémon. Eines der Blitza beginnt zu leuchten und kleine Blitze zucken um es herum. Eines der anderen scheint, von einer elektronischen Ladung umgeben, zum direkt Angriff überzugehen. Das Knakrack hüllt plötzlich auch Energie ein und es springt dem Blitza entgegen. Volttackel und Drachenstoß prallen mit aller Kraft aufeinander und es gibt eine Explosion. Das Blitza wird aus der Detonation geschleudert und landet irgendwo außerhalb meines Sichtbereichs. Das andere Blitza entlädt sich mit einer mächtigen Donner Attacke. Es britzelt und funkt; selbst ich spüre die statische Aufladung der Luft obwohl ich recht weit entfernt stehe. Als die Helligkeit vergeht sehe ich das Knakrack – es steht unbeeindruckt da und schüttelt sich kurz. Ich bin gleichzeitig fasziniert und verängstigt. Einen Moment hadere ich mit mir und meiner Entscheidung, alleine auf die Suche nach meinen Brüdern gegangen zu sein, aber im nächsten habe ich ein schreckliches Bild vor Augen: Schnuff und Scharte, bewusstlos zwischen Schutt und Asche – und keiner da, der ihnen hilft. Mit neugewonnener Überzeugung das Richtige zu tun, humple ich wieder los. Immer wieder bin ich gezwungen kleine Pausen einzulegen, weil ich entweder kaum Luft bekomme durch den ganzen Dreck, oder meine Hinterpfote so sehr schmerzt, dass ich sie nicht richtig aufsetzen kann. „… Herzchen …?!“, schallt es dumpf durch den Dreck in der Luft. Bitte nicht! Schlimm genug, dass sie mir auch einfach irgendeinen „Kosenamen“ verpasst hat, ich habe auch keine Lust, mir ihre Standpauke anzuhören und, oder mich womöglich gegen meinen Willen davon schleifen zu lassen – schnell hinke ich weiter. Mühsam quäle ich mich voran und sehe überall nach; aber ich finde niemanden. Plötzlich rumpelt vor mir ein Pokémon vorbei – es scheint den Berg herunter gerollt zu sein. Es knallt gegen einen Stein und bleibt reglos liegen. Neugierig gehe ich ein paar Schritte auf es zu. Ein ist ein Kaumalat; größer wie jenes, gegen das ich gekämpft habe. Wieder schaudert es mich und ich zweifle wieder etwas mehr an meiner Entscheidung. Nein! Ich muss meine Brüder finden! Quälend langsam setze ich meine Suche fort. Irgendwann höre ich vor mir Kampfgeräusche und sehe zwei Silhouetten. Angestrengt verenge ich die Augen um irgendetwas Genaueres zu erkennen. Es durchfährt mich wie ein Blitz. Eine der schemenhaften Gestalten ist definitiv ein Evoli! Ich sammle meine letzten Kräfte und humple so schnell ich kann. Als ich näher dran bin, erkenne ich, dass es Scharte ist. Er ist offensichtlich am Ende seiner Kräfte und sieht ziemlich mitgenommen aus. Es macht den Eindruck, als würden seine Beine jeden Moment nachgeben. Die Scharte in seinem Ohr ist größer wie vorher und er hat einige Kratzer an der Seite. Er atmet schwer und es scheint auch schmerzhaft zu sein, so wie er das Gesicht verzieht. Sein Gegner ist ein Kaumalat, das auch nicht mehr wirklich fit aussieht. Es hat eine Wunde über dem Auge und beißt auffällig die Zähne zusammen. Das Drachen-Pokémon ist leicht vornübergebeugt und knurrt, aber es klingt eher frustriert wie wirklich gefährlich. Scharte springt los und schlägt wie verrückt auf das Kaumalat ein – mit einer Kraft, die ich ihm nicht zugetraut hätte. Irgendwie scheint sein schlechter Zustand sich positiv auf seine Attacke auszuwirken. Der Gegner geht bewusstlos zu Boden und Scharte bricht kurz darauf erschöpft zusammen. „Scharte!“, rufe ich so laut ich kann und haste, meine Pfote und Erschöpfung ignorierend, zu ihm. Endlich bei ihm angekommen lecke ich ihm aus einem Reflex heraus wieder über den Kopf. „Ich bin hier“, flüstre ich ihm beruhigend zu und schmiege meinen Kopf an seinen. „Quietschie?“, haucht er erschöpft. „Ja, ich bin hier. Alles wird gut.“ Ich fühle, wie mir die Tränen kommen. Plötzlich muss ich an unseren Abschied denken: Mutter leckt Schnuff über den Kopf und sagt ihm, dass alles gut wird. „Herzchen!“, ruft es hinter mir und reißt mich abrupt heraus. Ich drehe den Kopf und sehe Leonore auf uns zukommen, dicht gefolgt von ihrem Sohn. „Ein Glück, haben wir euch gefunden“, spricht Leon etwas außer Puste. Die Blitza kommen zu uns und ich mustre die Anführerin etwas ängstlich. Ich rechne damit, dass sie mich jeden Moment zusammenfaltet – doch nichts passiert. „Nimm du den Burschen“, weist sie Leon an, der daraufhin Scharte im Nacken packt und losläuft. „Komm, Herzchen, wir müssen auch.“ Mit großen Augen glotze ich sie an. Ich bin immer noch verwirrt, dass sie mich nicht zurecht weißt – dann kommt mir ein anderer Gedanke. „Ich kann nicht! Schnuff …“ „Ist in Sicherheit“, unterbricht mich Leonore direkt. „Chief hat ihn gefunden und in die große Höhle gebracht. Alle aus dem Clan, die nicht kämpfen können sind dort und werden beschützt“ „Ein Glück.“ Schlagartig geben meine Beine nach und alles, was mich aufrecht gehalten hat, scheint aus mir zu weichen. Ich spüre meinen ganzen Körper plötzlich auf eine sehr schmerzhafte Art und Weise. Knochen, Muskeln – alles brennt, kneift und sticht. Und ich bin müde – unendlich müde. Meine Augen hängen auf halb Acht und mir fehlt die Kraft, sie richtig zu öffnen. „Lass uns gehen, Herzchen.“ Diffus fühle ich, wie sich ein Maul um mein Genick schließt und ich hochgehoben werde. Alles um mich herum verschwimmt und wird neblig. Die Kampfgeräusche hören irgendwann auf und andere Geräusche dringen an mein Ohr. Ich kann sie aber nicht zuordnen, weil alles klingt, als hätte ich Watte in den Ohren – dumpf und leise. Selige Schwärze hüllt mich ein und nimmt mir den Schmerz.   Ich öffne die Augen – obwohl, nein eigentlich waren sie irgendwie die ganze Zeit offen. Aus einem Grund, den ich nicht verstehe, registriere ich es aber erst jetzt. Vor mir ist etwas, was wie ein kleiner zweiteiliger Bildschirm aussieht, ringsherum ist es unscharf und verschwommen. Auf dem oberen Bildschirm sehe ich zwei Pokémon, die sich gegenüberstehen, auf dem unteren sind vier große Quadrate. Was zum …? Ich werde angesprochen und hebe den Kopf. Plötzlich ist meine Sicht scharf gestellt und ich erkenne meine Umgebung. Da steht ein Mann der mich genervt ansieht. Er trägt eine Jacke, scheint eben erst in die Wohnung gekommen zu sein. Wohnung? „Hängst du schon wieder vor dem Ding?“, murrt er und schüttelt den Kopf. „Ja, sorry“, antworte ich … ohne Einfluss darauf zu haben. Moment! Dieses Gefühl kenne ich doch! Das hatte ich auch, als ich mich erinnert habe! Das hier ist eine Erinnerung! „Mama!“ Mein Sohn kommt um die Ecke und stürmt zu mir. Schwungvoll springt er mir auf den Unterbauch, weil ich halb liege. Mein angestrengtes „Uff“ quittiert er mit einem kurzen „‘Tschuldigung“ Schnell schmiegt er sich an meinen Oberkörper und sieht interessiert mit auf den Nintendo 3DS – die XL Variante, weil ich den angenehmer fand. Stück für Stück kommen mehr und mehr Erinnerungen hoch. Der DS war ein Geschenk; von mir für mich, weil ich jahrelang nicht mehr gespielt habe und es mir gefehlt hat, einfach mal den Kopf vom Alltag zu lösen auf diese Art. Der Mann, nein, mein Mann, grummelt etwas in seinen Zwei-Wochen-Bart und verschwindet. „Mama“, lenkt mich mein Sohn ab und zeigt auf den Bildschirm. Das gegnerische Pokémon ist besiegt und der Trainer ruft ein neues. Ein Knakrack taucht auf. Ich gehe auf „Tauschen“ „Was machst du?“, fragt mein Sohn neugierig. „Ich wechsle das Pokémon. Weißt du, Luxtra ist ein Elektro-Pokémon, das ist schwach gegen Boden-Pokémon“, erkläre ich. Vom Drachen-Attribut ganz zu schweigen, denke ich noch. Ich suche Sumpex aus meinem Team und schicke es in den Kampf. Während die Pixel auf dem Bildschirm kämpfen, gebe ich meinem Sohn einen Kuss auf die Haare und schmiege meine Wange an seinen Kopf. Er ist zwar schon „groß“, zumindest seiner eigenen Auffassung nach, und riecht schon lange nicht mehr nach Baby, aber sein Geruch löst immer noch ein tiefes warmes Gefühl von Liebe und Geborgenheit aus. „Hab‘ dich lieb“, flüstert er und sieht fasziniert dabei zu, wie Sumpex mit Müh‘ und Not Knakrack besiegt. „Nicht mal die Wäsche hast du aufgehängt!“, schimpft es aus dem Badezimmer. Oh oh, das habe ich völlig vergessen! Ich klappe den 3DS zu, winde mich unter meinem Sohn heraus und gehe zu meinem Mann. Er steht sichtlich sauer vor der Waschmaschine und holt gerade die Sachen raus. Ich umarme ihn seitlich, gebe ihm einen Kuss auf die stachelige Wange und lege meinen Kopf auf sein Schulterblatt. Er ist warm und riecht nach Seife. Er ist gerade von der Arbeit gekommen, fällt mir ein. Ich spüre seine Bewegungen und auch das genervte Brummen in seinem Brustkorb. „Ich gelobe Besserung“, flüstere ich und mache einen Schmollmund. Mein Mann hält inne und sieht mich an. Seine blauen Augen mustern mich liebevoll und schelmisch. Ich fühle Liebe und Schutz in diesem Blick. Er schmunzelt und gibt mir wortlos einen Kuss. Es wird dunkel, aber es fühlt sich nicht bedrohlich an. Ich fühle mich warm und sicher … und geliebt. Kapitel 19: Verwirrung ---------------------- „Herzchen?“ Ich murre und öffne die Augen. Ich sehe … ein Blitza. Verwirrt runzle ich die Stirn und springe im nächsten Moment panisch auf. Eben habe ich mich noch geborgen gefühlt, doch jetzt … irgendwie ist es kalt. Ich drehe mich im Kreis und sehe mich hektisch um. Eine Höhle?! Wo zum Teufel bin ich?! „Ruhig“, flüstert das Blitza und sieht mich eindringlich an. „Alles ist gut, du bist in Sicherheit.“ Ich atme hektisch und meine Augen huschen wild durch die Gegend. Meine Gedanken rasen. Ich war … zu Hause. Energisch schüttle ich den Kopf. Nein! Ich habe mich erinnert; an zu Hause. Doch es ist wie beim letzten Mal, nein, sogar noch schlimmer. Ich fühle immer noch alles und das so intensiv, dass es alles andere einfach abblockt. „Herzchen?“ Ich drehe mich zu dem Blitza um und sehe es wütend an. „Lass das!“, fauche ich außer mir. Was will es überhaupt von mir? Das Pokémon stutzt und sieht mich mit einer Mischung aus Entsetzen und Verärgerung an, dann folgt Sorge, tiefe Sorge. Plötzlich fluten die alten Erinnerungen meine neuen, oder umgekehrt – ich bin mir nicht so sicher. Ich erkenne mein Gegenüber endlich. „Verzeih mir, Leonore“, flüstere ich heiser vor Entsetzen. „Schon gut, das war alles zu viel; ich verstehe das.“ Sie stupst mich leicht. „Ich gehe Chief suchen und du passt auf deine Brüder auf, okay?“ Brüder? Ich blinzle und runzle die Stirn, erneut. Immer noch fühlt sich alles unwirklich an und verschoben irgendwie. Es dauert einen Augenblick … Schnuff! Scharte! Ich drehe mich um und sehe die beiden, die mich argwöhnisch und besorgt ansehen. Irgendeine Last, die ich zuordnen kann, fällt von mir ab. Es geht ihnen gut! Ich gehe zu meinen Brüdern. „Ich bin so froh“, seufze ich und lasse mich neben ihnen nieder. Meine Seite schmerzt fürchterlich und nimmt mir kurz die Luft. „Alles … in Ordnung?“, fragt mich Schnuff leise. Ich nicke. „Jetzt schon“, keuche ich etwas heiser. Eine glatte Lüge! Es fühlt sich nicht „in Ordnung“ an – okay, aber nicht in Ordnung. „Wirklich?“ Schnuff runzelt besorgt die Stirn. „Das blöde Vieh hat mich ganz schön erwischt.“ Ich schließe kurz die Augen um mich zusammeln. Meine Flanke sticht bei jedem Atemzug und mein Rücken schmerzt ebenfalls. „War ganz schön heftig, oder?“, erkundigt sich Scharte in die Runde. Wir reden noch eine Weile; erzählen uns was passiert ist und beglückwünschen Scharte, zu seinem gewonnenen Kampf. Die Kälte in mir weicht langsam wieder der Wärme, auch wenn sich diese anders anfühlt. Leonore taucht wieder auf, gefolgt von den Flamara. Warum auch immer fällt mir ein Stein vom Herzen, als ich Chief sehe. Chilli begrüßt uns etwas überschwänglich und Leon taucht kurz darauf ebenfalls auf. Was für ein Gewusel! Mir fällt auf, dass wir etwas abseits sind. Mein Blick schweift durch die Höhle, die mit vielen Blitza und einigen Evoli gefüllt ist; hauptsächlich Alte, Jungtiere und Welpen. Plötzlich fällt mir Chief ins Auge, der in einiger Entfernung steht. Er sieht mich direkt an und deutet mir mit einem Kopfnicken, dass ich zu ihm kommen soll. Ohne darüber nachzudenken stehe ich auf und gehe zu ihm. Als ich bei ihm bin, senkt er den Kopf um mir in die Augen zu sehen. „Was ist los?“ Ich schlucke. Unsicher sehe ich ihn an, suche etwas in seinem Blick, ohne zu wissen was. „Leonore sagte, dass du dich wie ein völlig anderes Pokémon benommen hast, als du aufgewacht bist“, erklärt er seine Frage. Plötzlich sprudelt es komplett ungefiltert aus mir heraus. Ich erzähle Chief alles; von meinem Kind, von meinem Mann – von all‘ den Empfindungen und Emotionen. Und ich beginne zu weinen, während ich rede; aus Verzweiflung und weil ich diese Emotionsflut einfach nicht verarbeitet bekomme. Gleichzeitig weine ich, weil das Weinen unfassbar schmerzhaft ist. Jedes Mal, wenn ich Schluchze, zucke ich, weil die Seite so sticht. Ich bin wie im Tunnel und bemerke erst, das Chief an mich herangerutscht ist, als ich beinahe zur Seite kippe. Er legt eine Pfote auf meinen Rücken und drückt mich leicht an sich. Ohne darüber nachzudenken nehme ich das stumme Angebot an. Ich vergrabe mein Gesicht in seinem Kragen und drücke mich an ihn. Die Wärme die von ihm ausgeht fühlt sich wohlig an und hüllt mich ein. Ich spüre wie er seinen Kopf sacht auf meinen legt Chief sagt nichts, lässt mich weinen und schluchzen, und wartet geduldig bis ich mich langsam wieder fange. „Ich glaube dir“, flüstert er schließlich in mein Fell. Ich löse mich von ihm und sehe zu ihm auf. Da flackert wieder etwas durch seine Augen, was ich nicht einzuordnen vermag, weil es weg ist, bevor ich es ergründen kann. Doch es sah irgendwie nach Verlust aus. „Weißt du, ich war mir nicht sicher, als du es mir im Wald erzählt hat, aber jetzt glaube ich dir.“ Chief sieht mich aufmerksam an und legt den Kopf schief. „Die Dinge, die du beschrieben hast, also das was du empfunden hast, dass kann ein Jungtier noch gar nicht kennen.“ Ich fühle mich erleichtert, dass er mich nicht als verrückt abstempelt. „Was tun wir jetzt?“, frage ich heiser vom Weinen nach. „Erst einmal nichts. Wir befassen uns damit, wenn wir bei meinem Clan sind. Und bis dahin, bleibt das bitte zwischen uns.“ Ich nicke. „Nun komm“, fordert er mich auf. Schweigend gehen wir zu den anderen zurück. Schnuff liegt da und schläft tief und fest. Chilli liegt neben ihm und es ist sieht aus, als würde sie über ihn wachen. „Das war wirklich beeindruckend!“, höre ich Leon loben. Er steht zusammen mit Leonore und ein paar Jungtieren des Blitza-Clans bei Scharte. Dieser ist sichtlich Stolz und begeistert von der Aufmerksamkeit. „Und du hast wirklich Dreschflegel eingesetzt?“, fragt eines der Blitza. Scharte nickt eifrig. „Ja, damit habe ich das Kaumalat zur Strecke gebracht!“, tönt er. Leonore lächelt ihn an. „Aus dir wird bestimmt ein großer Krieger.“ Wer hätte das gedacht? Scharte, der Hasenfuß, hat das Zeug zu einem außerordentlichen Kämpfer. Nun gut, wer hätte gedacht, dass ich ein Mensch bin? Diese Nacht hat einige Dinge ans Licht gebracht, von denen keiner etwas geahnt hat. Chief räuspert sich. „Wir sollten das Wenige, was von der Nacht noch übrig ist nutzen und etwas schlafen.“ Zustimmendes Gemurmel setzt ein. Die Jungtiere und Leonore trollen sich davon. Ich beobachte wie Chilli den schlafenden Schnuff sanft im Nacken packt und hochhebt. Angeführt von Leon machen wir uns auf den Weg. Wir gehen Richtung Eingang und ich verkrampfe kurz. „Gehen wir raus?“ „Die Drachen sind weg, wir haben sie in die Flucht geschlagen“, erklärt Leon sichtlich stolz. Er bleibt stehen und dreht sich zu mir um. „Außerdem begleite ich euch.“ Ja, da steht er wieder; mit stolzgeschwellter Brust und in die Luft gerecktem Kinn. Scharte springt übermütig an seine Seite und kopiert die Pose. „Und ich bin auch da!“ Ich gönne Scharte seinen Erfolg, aber sein Getue nervt trotzdem. Ich rolle mit den Augen und höre Chief neben mir amüsiert schnaufen. Draußen hängt immer noch Dreck und Staub in der Luft und wir beeilen uns zurück zu unserer Gasthöhle zukommen. „Leon?“, fragt Scharte als wir uns in unser Blätter- und Moosbett kuscheln. „Hm?“ „Warum haben die Drachen euch angegriffen?“ Das Blitza beginnt zu erzählen, davon, dass das Tal strategisch gut liegt, weil man es nicht weit zu Nahrung und Wasser hat. „Außerdem kommen, wie gesagt, kaum Menschen hierher.“ Um dieses Areal wird immer wieder gekämpft, erklärt er weiter, aber meist verlaufen diese Auseinandersetzungen ohne Verluste, denn keiner hat Interesse daran, Kameraden oder Familienmitglieder zu betrauern. Schnuff neben mir schläft immer noch tief und fest. Er schnufft leise und dreht sich um.  „Vor vielen, vielen Jahren hat der Blitza-Clan sich dieses Tal selbst erkämpft!“ Stolz plustert Leon sich wieder auf. „Was eine beachtliche Leistung für Elektro-Pokémon ist, da unsere stärksten Attacken bei Drachen kaum etwas ausrichten“, fügt er noch an. Ich unterdrücke angestrengt ein Gähnen, weil ich nicht unhöflich wirken möchte und es wahrscheinlich weh tun wird. „Seitdem greifen die Drachen hin und wieder an, in der Hoffnung, das Tal zurückerobern zu können. Das geht inzwischen schon seit vier Generationen so.“ „Versucht zu schlafen“, wendet sich Chilli an mich und meine Brüder. „Gehen wir morgen?“, fragt Scharte mit hörbarer Traurigkeit. Ihm gefällt es hier, das merkt man.  Die ganze Aufmerksamkeit und das Lob, das er bekommen hat, dürften nicht unschuldig daran sein. Chief denkt nach und ergreift das Wort. „Nein, ich denke wir bleiben noch einen Tag. Das heute Nacht war … unerwartet und extrem. Ihr ruht euch morgen ordentlich aus und dann gehen wir übermorgen weiter.“ Ich sehe ein verträumtes Lächeln über Chillis Gesicht huschen. Mir fallen die Augen zu. Ich höre Scharte neben mir flüstern, dass er ein toller Kämpfer ist und ein großartiger Krieger wird. „Ja, das wirst du“, nuschle ich leise und lächle. Dann wird es still um mich herum. Kapitel 20: Lauschangriff ------------------------- Ich wache langsam auf. Mein Geist sortiert sich allmählich und ich drehe mich um – und bereue es furchtbar. Ein stechender Schmerz zieht von meiner Flanke durch meinen ganzen Körper. Ich fiepe und öffne die Augen. In meinem Blickfeld ist zunächst nur eine graue Steindecke, weil ich auf dem Rücken liege. Ich drehe mich auf die schmerzfreie Seite und erwische dadurch Schnuff mit meiner Vorderpfote. Voll auf die Nase! Dieser schreckt entsprechend hoch. Mit großen Augen sieht er mich an, dann kichern wir kurz. Ich sehe Richtung Eingang und bemerke Chilli. Sie dreht sich zu uns und lächelt freundlich. Es beruhigt mich, dass sie offensichtlich so entspannt ist. Strahlend kommt sie auf uns zu. „Guten Morgen, ihr zwei.“ „Morgen“, grüßen wir synchron zurück und stehen auf. Ich drehe mich um und … Wo ist Scharte? Der Platz wo er gestern lag ist verwaist. „Kommt schon! Es gibt Frühstück in der großen Höhle“, erklärt Chilli gut gelaunt. Ich würde gern fragen, wo mein anderer Bruder ist, aber Schnuff ist nicht zu bremsen. Tja, Essen und Schnuff – ich muss Grinsen. Er stürmt los und Chilli und ich folgen ihm. Draußen laufen wir quasi Chief in die Arme, der sichtlich amüsiert grinst. „Na, ihr Schlafmützen? Ihr verpasst noch alles.“ Es donnert plötzlich in der Ferne. Erschrocken zucken Schnuff und ich. Instinktiv rücken wir zusammen. Ich erinnere mich schlagartig an das dämliche Kaumalat und; vor allem, an das riesige Knakrack. „Hey, alles gut“, versucht Chief uns zu beruhigen. „Da wird nur eifrig trainiert.“ Erleichtert atme ich aus. Ich habe schon das Schlimmste befürchtet. „Wirklich?“, hakt Schnuff ängstlich nach und zittert leicht. Chilli leckt ihm übers Ohr. „Wirklich. Die Blitza möchten nur vorbereitet sein, für den nächsten Angriff.“ „Nächsten Angriff?!“ Mein Bruder ist sichtlich entsetzt und Chilli verzieht das Gesicht, als ihr ihre Worte bewusstwerden. Chief zieht die Augenbraue hoch und schenkt ihr einen mahnenden Blick, dann wendet er sich Schnuff zu. „Das wird nicht so schnell passieren. Nach so einem Kampf werden erstmal Wunden versorgt und Kräfte gesammelt.“ Apropos „Wunden versorgen“ fällt mir ein: „Wo ist Scharte?“ Fragend sehe ich die beiden an. Der Anführer des Flamara-Clans lächelt schief. „Er war nicht zu bremsen. Kaum hatte er die Augen auf, wollte er unbedingt mit, als die ersten Blitza zum Training aufgebrochen sind.“ Mir wird schlagartig flau im Magen. Bereits gestern habe ich gespürt, dass es Scharte hier ausgesprochen gut gefällt. Vielleicht zu gut? „Er hätte sogar fast das Frühstück ausgelassen“, lacht Chilli. „Frühstück“, flüstert Schnuff verschwörerisch. Ich muss lachen, verziehe aber schnell das Gesicht. Au! Die Seite schmerzt wieder; dass dürfte die nächsten Tage noch lustig werden. In der großen Höhle angekommen vergesse ich für einen Moment alles. Auf Blättern und Steinen ist ein üppiges Frühstücks-Buffet angerichtet. Da liegen Beeren von sämtlichen Sorten. Unfassbar! Wenn ich mir überlege, dass es auf dem Weg hierher gefühlt nichts gab, außer Steinen und Staub, will ich gar nicht wissen, welche Mühe es gekostet hat, dass alles zusammenzutragen. Auf der anderen Seite müssen die Blitza auch fit sein, wenn sie solche Überfälle wie gestern Nacht erfolgreich abwehren müssen, also ist eine ausreichende und gesunde Ernährung wichtig. Schnuff und ich beginnen zu essen. Köstlich! Es tut gut, den Bauch voll zu schlagen und für einige Zeit alles andere Mal zu vergessen. Chillis „Oh“ lässt mich dann aber aufsehen. Leon ist eben aufgetaucht und kommt grinsend in unsere Richtung. Er ist sichtlich außer Puste und verschwitzt. „Morgen, Fellnasen!“, tönt er fröhlich und grinst. „Von mir ebenfalls“, erklingt es aus der anderen Richtung. Leonore ist eben aus einer Gruppe Blitza, die mit ihr gesprochen haben, herausgetreten und kommt auf uns zu. „Nur ohne Fellnasen“, fügt sie noch an und sieht ihren Sohn mit hochgezogener Augenbraue an, als wolle sie ihn tadeln. Danach wendet sie sich Chief zu. „Auf ein Wort?“ Das Flamara nickt und die beiden entfernen sich. Mein Magen macht augenblicklich dicht. Ich ahne, warum Leonore mit Chief sprechen will. Oder … vielleicht ist es auch etwas Banales? Die zwei entfernen sich immer weiter. Ich sehe mich um. „Das hättest du sehen müssen! Zack! Mit einer einzigen Donner-Attacke habe ich den Felsen gespaltet …“ Leon brüstet sich und fordert Chillis ganze Aufmerksamkeit. Sehr gut! Ich stehe auf und … „Schwester?“ Mist! Vergessen … „Ja?“, frage ich Schnuff und sehe ihn ertappt an. „Wo …?“, fragt er besorgt und runzelt die Stirn. „Ich … muss mal für kleine Welpen.“ Übertrieben lächle ich. „Bin gleich zurück!“ Schnell husche ich davon, bevor er noch etwas sagen kann. In der Höhle sind überall Blitza und einige Evoli sehe ich hier und da. In dem Gewusel achtet niemand auf mich, was mir sehr gelegen kommt. Zum Glück fällt Chief unter dem vielen Gelb sofort auf, sonst hätte ich womöglich Probleme den beiden zu folgen. Wir verlassen die große Höhle. Draußen herrscht inzwischen auch reges Treiben; es wird geplappert und aufgeräumt. Die Blitza sind euphorisch und ausgelassen wegen der gewonnenen Schlacht. Mir wird eher schlecht bei der Erinnerung. Das war nicht schön! Selbst, wenn ich den Kampf gewonnen hätte, wäre ich nicht angetan von den Ereignissen. Und wieder wird mir bewusst, wie unterschiedlich die Clans sind. Und meine Vorahnung bezüglich des Gesprächs zwischen den Clanoberhäuptern meldet sich. Will Leonore, dass Scharte hierbleibt? Dass er ein großer Krieger wird beim Blitza-Clan? Meine Gefühle sind gemischt; ich verdränge sie erst einmal und konzentriere mich auf meine Verfolgungsjagd. Leonore und Chief sind neben einer Höhle etwas abseits stehen geblieben und sprechen leise – zu leise! Ich gehe hinter einigen Steinen in Deckung und böse Erinnerungen kommen hoch. Das letzte Mal, als ich Erwachsene belauscht habe, war das, was ich gehört hatte, der Vorbote schrecklicher Dinge gewesen. Ich fürchte, dass das hier wohl nicht anders werden wird … Einen Moment verharre ich nachdenklich. Will ich es wirklich wissen? Es ändert nichts … aber ich hätte Gewissheit … Ich nicke mir selbst zu irgendwie und schleiche weiter. Endlich in Hörweite … „... hat unsere Mentalität und lebt sich bereits wunderbar ein.“ Nein! Ich fühle wie mir die Tränen kommen, als ich Leonores Worte höre. „Er hat erst kürzlich seine Mutter verlassen müssen und sich kaum an Chilli und mich gewöhnt!“, knurrt Chief. „Jetzt auch noch die Geschwister zu verlieren könnte ihm mehr schaden als nützen!“ Er ist hörbar unzufrieden. „Er kann das ja selbst entscheiden, niemand zwingt ihn dazu.“ Ich bewundere Leonore irgendwie für ihre majestätische Art, aber dieser leicht intrigante Tonfall gerade, bringt mich zum Kochen. Chief poltert ungehalten los: „Scharte ist ein Welpe, er kann die Tragweite seiner Entscheidungen doch noch gar nicht erkennen!“ Er ist aufgebracht, was ich so noch nicht erlebt habe. Liegt ihm wirklich so viel an uns, oder ist es am Ende vielleicht eher wie Leonore? Drei neue Clanmitglieder sind besser wie zwei? Ich merke, wie die Situation auch an meinem Vertrauen zu Chief nagt, obwohl ich es nicht will. „Ihr seid doch nicht aus der Welt!“, versucht das Blitza zu beschwichtigen. „Chilli war Teil meines Clans, ich habe sie euch gegeben, weil ich gesehen habe, dass sie für Kämpfe nicht geboren war! Das fiel mir nicht leicht, und Chilli auch nicht, aber es war das Beste für uns alle. Nun erwarte ich dasselbe von dir.“ Woah! Mir wird schlecht. Chilli wurde … abgeschoben, weil sie nicht in die Clanstruktur passte. Egal was Leonore tatsächlich gesagt hat, ihr Ton und die Art und Weise machen deutlich, dass es so ist. Ich finde das furchtbar grausam, aber irgendwo ganz hinten in meinem Kopf meldet sich eine Stimme; eine erwachsene Stimme, die mir flüstert, dass es in so einer kargen und schwierigen Umgebung nicht anders geht. Hier muss jeder seine Pflicht erfüllen, sonst kann die Gruppe nicht überleben … trotzdem … „Scharte bräuchte mehr Zeit …“ Chief knickt etwas ein und ich bin unglücklich darüber. Leonore atmet geräuschvoll aus. „Die haben wir nicht, und umso früher Scharte sich eingewöhnen kann und unsere Regeln lernt, desto besser bekommt ihm das.“ „Ich muss mit allen darüber reden, wir müssen das erst einmal … verdauen, das verstehst du sicher?“ Das Flamara klingt niedergeschlagen. „Natürlich verstehe ich das. Du weißt, dass ich diese Entscheidung nicht leichtfertig gefällt habe, ich weiß, was auf dem Spiel steht.“ Leonore geht und Chief setzt sich. Er lässt den Kopf hängen. Der Anblick bricht mir das Herz und ich fühle mich schlecht, weil ich an ihm gezweifelt habe. Das hier hat nichts mit Pflicht zu tun, Chief liegt wirklich etwas an uns. Ich … Ich muss dringend zurück! Meine Gedanken rasen und irgendwie scheinen sie sich nicht einig zu sein. Auf der einen Seite will ich meinen Bruder nicht verlieren. Wir sind uns zwar nicht so nahe, wie Schnuff und ich, aber er ist mir trotzdem wichtig. Ich liebe ihn, er ist Teil meiner Familie! Ich hätte ihm am Fluss schon beinahe verloren, das war schrecklich! Auf der anderen Seite ist da diese erwachsene Stimme, die das viel zu rational sieht. Scharte hat sich gut geschlagen und hier die Chance zu sein, was er schon immer sein wollte: ein großer Krieger. Sollten wir dem wirklich im Weg stehen? Zwischendurch kocht Wut hoch; Wut auf die Blitza, die meinem Bruder gestern in den höchsten Tönen gelobt, und ihm Honig ums Maul geschmiert haben. Wie soll er da eine objektive Entscheidung treffen? Meine Füße haben mich zurückgetragen, ohne, dass ich sagen könnte wie. Chilli ist zum Glück immer noch mit Leon beschäftigt, so kann ich zu Schnuff, ohne, dass jemand es bemerkt. „Was ist los?“, fragt mich mein Bruder leise und zittrig. Ich sehe wahrscheinlich ziemlich aufgewühlt aus, was ich auch bin. Mein Herz poltert förmlich in meiner Brust und meine widersprüchlichen Gedanken machen mir zu schaffen. Ich sehe Schnuff an und … erzähle ihm alles; er hat ein Recht zu wissen, was los ist. Mit jedem meiner Worte werden seine Augen größer und feuchter. „Das … das …“ „Ich weiß“, seufze ich, dann kommt mir eine Erkenntnis, die ich lieber nicht hätte. „Aber …“ „Aber?!“, schnappt er fast schon beleidigt und starrt mich an. „Er ist nicht hier …“, flüstere ich niedergeschlagen. Tatsächlich wird mir das erst jetzt richtig bewusst. Er ist gegangen, ohne uns. Er ist aufgestanden und los – ohne uns zu wecken oder sonst irgendetwas. Wahrscheinlich hat er die Flamara sogar gedrängt ihn gehen zu lassen. Auch Schnuff scheint langsam zu verstehen, was ich ihm damit begreiflich machen will. Er sinkt zusammen und starrt ins Leere. „Alles okay?“, fragt mich Chilli plötzlich. Ich sehe sie an und schlucke eine spitzfindige Antwort im letzten Moment herunter. „Ja, ich … ähm … meine Flanke schmerzt etwas.“ „Oh und was ist mir dir, Schnuff?“ „Ich, ich … habe zu viel gegessen“, nuschelt er vor sich hin und vermeidet den Blickkontakt mit dem Flamara. Leon lacht lauthals. „Na kommt, bringen wir euch zurück.“ Wir laufen los und verlassen die große Höhle. Kaum das wir an der frischen Luft sind, sehen wir Chief. Er ist völlig in sich gekehrt und nimmt keine Notiz von uns. „Wartet hier“, weißt Chilli an und läuft zu ihm. Die Flamara reden leise und eindringlich. Chief schüttelt mehrfach den Kopf, als wolle er ihr noch nicht sagen, was genau los ist. Während sie anschließend zu uns kommt, läuft Chief in Richtung des Dorf-Ausgangs. Ich möchte für Nichts auf der Welt in seiner Haut stecken. Er trägt die Verantwortung für uns und er hat versprochen auf uns aufzupassen, uns zum Flamara-Clan zu bringen … „Nun kommt, gehen wir“, erklärt Chilli und reißt mich aus meinen Gedanken. „Ihr müsst euch ausruhen.“ Sie wirkt durcheinander und verwirrt. Möchte ich das? In der Höhle hocken und auf eine Entscheidung warten? „Ich würde mir gern das Dorf anschauen“, lüge ich mit großen Kulleraugen. „Wie bitte?“ Das Flamara ist hörbar perplex und sieht mich an. „Als wir angekommen sind, hatten wir keine Zeit und jetzt …“ Ich sehe zu dem Blitza und mir kommt eine Idee. „Ich meine, wo Leon und die anderen heute Nacht so großartig aufgeräumt haben, sollte doch alles sicher sein, oder?“ „Klar! Sicher wie in Mutters Schoß!“, tönt Leon und wirft sich in Pose. Mir klappt der Mund auf. Wie pietätlos kann man eigentlich sein?! Ich berapple mich schnell wieder und werfe Schnuff einen auffordernden Blick zu. Er scheint einen Moment zu überlegen, was ich von ihm will, dann begreift er es. „Ich möchte mich hinlegen … mein Bauch“, lügt mein Bruder und verzieht wehleidig das Gesicht. „Oh … ähm …“ Chilli ist sichtlich überfordert und nickt konfus vor sich hin. „O-Okay“, stimmt das Flamara schließlich zu. Schnuff und ich nicken uns verschwörerisch zu und er geht Richtung Höhle. Chilli hat wirklich keine Ahnung. Ein Muttertier hätte unsere Scharade wahrscheinlich sofort durchschaut; zumindest hat unsere Mutter das ziemlich schnell. „Lass doch die kleine Abenteurerin!“, lacht Leon und gesellt sich an Chillis Seite. Ja, irgendwie bin ich froh, dass ich das erst einmal nicht mehr mit ansehen muss. Während ich warte bis sie außer Sichtweite sind, denke ich nach. Chief oder Scharte? Ich muss mit einem von beiden reden; besser mit beiden, aber ich fürchte, dass ich das nicht schaffen werde. Der illustre Trupp ist verschwunden; nun gut, jetzt oder nie. Kapitel 21: Unter vier Augen ---------------------------- Ich hadere noch einen Moment mit mir. Doch meine Entscheidung fällt schnell, als mir Chiefs Haltung wieder in den Sinn kommt und dieser Ausdruck in seinen Augen letzte Nacht. Das war definitiv Verlust … Ich laufe los, Richtung Dorf-Ausgang. Zwischen den ganzen Blitza und Evoli überall, ist es schwer den Überblick zu behalten. Verdammt! Zwischen diesem Gelb und Braun sollte doch ein Flamara auffallen! Wo ist er nur? Langsam beschleunigen sich meine Schritte. Ich weiß nicht, wie viel Zeit ich habe, also sollte ich mich beeilen. Da! In der Ferne ist ein roter Fleck und ich beginne zu rennen. Meine Flanke meldet sich sofort, aber das ist mir herzlich egal. „Chief!“, rufe ich laut, als ich näher dran bin. Er bleibt stehen und sieht mich verwirrt an, und traurig. Ich überbrücke das letzte bisschen Distanz und verziehe das Gesicht. Mit der schmerzenden Seite hätte ich definitiv nicht rennen sollen! Meine Rippen pochen dumpf und drücken mir die Luft irgendwie ab. „Du solltest dich ausruhen“, seufzt Chief bedrückt. „Aber … Scharte … Leonore …“, keuche ich noch etwas außer Puste. „Du hast gelauscht“, stellt Chief amüsiert fest und schmunzelt. „Ja …“ Ich senke schuldbewusst den Kopf. „Schon gut, ich verstehe dich.“ Das Flamara seufzt. Ein Moment der Stille setzt ein, dann stupst mich Chief an. „Ich bin dir wirklich nicht böse. Es ist viel passiert; verständlich, dass du wissen wolltest, was los ist …“ Ich sehe das Flamara an; da ist so viel Schmerz in seinen Augen – aber warum? „Ich verstehe, dass das schwierig für dich ist; du hast ein Versprechen gegeben. Allerdings …“ Ich beiße mir auf die Lippe. Ist es nicht etwas anmaßend von mir, Chief hier ins Gewissen zu reden? „Allerdings?“, fragt er auffordernd nach. „Ich glaube, dass hier der richtige Platz für Scharte ist.“ Es tut so weh das zu sagen, aber diese erwachsene Stimme hat einfach recht. „Er kann hier glücklich werden.“ Chief betrachtet mich eingehend. „Das hätte ich fast vergessen.“ „Was?“, frage ich verdutzt nach. „Das du kein Welpe bist …“ Ich grinse schief. Stimmt, wie ein Welpe rede ich nicht gerade … und denke auch immer weniger so. „Warum … trifft dich das so?“ Die Frage brennt mir wirklich unter den Pfoten. „Wenn wir eine falsche Entscheidung treffen … und du musst wissen, das ist schon passiert …“ Er bricht ab und atmet durch. „Ich könnte mir nicht noch mal verzeihen, das zu tun.“ Noch mal? Ich ahne, dass das wohl eine längere Geschichte sein dürfte. Obwohl ich neugierig bin, will ich nicht weiter nachfragen – Scharte ist jetzt wichtiger. „Ich glaube nicht, dass es hier eine falsche Entscheidung gibt.“ Ich sortiere meine Gedanken und erkläre weiter, „Weißt du, Schnuff und ich werden immer unseren Bruder in Scharte sehen: den Raufbold mit der großen Klappe, der sich aber fast ins Fell macht, wenn ein harmloses Zubat auftaucht. Ich glaube nicht, dass wir je in der Lage sein werden, das in ihm zu sehen, was die Blitza offenbar sehen. Wie bei Eltern, die immer ihre Kinder sehen – egal wie erwachsen sie schon sind … Ich fürchte, dass wir ihm im Weg wären, der zu sein, der er sein möchte …“ Chief hört mir aufmerksam zu und nickt. „Du musst wissen, dass ich die Tochter, Sandy, meines besten Freundes zu den Aquana geschickt habe, weil sie es dort so geliebt hat, als wir sie besucht haben. Ich war mir so sicher, das Richtige getan zu haben …“ Das Flamara lässt den Kopf hängen und kämpft offensichtlich mit den Emotionen. „Während sie glücklich war, war ihre Familie das natürlich nicht, es hat unsere Freundschaft belastet und damit auch den Clan.“ Ich höre den Schmerz und die Verbitterung heraus. Chief trägt so viel Verantwortung und dadurch eine Last, die mir irgendwie vertraut vorkommt – wenn auch in einem anderen Maßstab. „Viele Monate später, als die Aquana uns besuchten, erwartete ich Sandy anzutreffen. Sie war nicht dabei und die Aquana haben mir erzählt, dass sie den Clan auf eigene Faust verließ. Sie konnte nicht mehr zu uns zurück, das soll sie sehr mitgenommen haben. Ohne ein Wort des Abschieds verschwand sie aus dem Clan.“ Chief seufzt und schließt einen Augenblick die Augen. „Bis heute wissen wir nicht, was aus Sandy geworden ist, und ihre Familie hat meinen Clan verlassen, um sie zu suchen. Alle weg. Ich habe Mitglieder meines Clans verloren und der Aquana-Clan Sandy. Es gibt falsche Entscheidungen, zumindest empfinde ich das so, weil ich es bin, der dafür die Verantwortung tragen muss.“ Mich trifft das tief. Chief hat durch seine damalige Entscheidung viel verloren. „Ich kann mir vorstellen, dass das alles sehr schlimm und schmerzhaft war, aber … vielleicht hätte sie auch den Flamara-Clan verlassen, wenn sie geblieben wäre, weil sie doch lieber bei den Aquana gewesen wäre. Vielleicht war es ihre Bestimmung zu gehen, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort.“ Chief lacht kurz freudlos. „Meinst du?“ „Ich glaube, dass manche nie glücklich sind, mit dem was sie haben, und immer genau das andere wollen – egal wie herum es ist.“ Der Rasen vom Nachbarn ist immer grüner … solche Leute gibt es einfach, vielleicht war Sandy so jemand. Chief denkt über meine Worte nach. „Ich habe auch daran gedacht und … mich mit dem Gedanken oft getröstet, wenn es mal wieder zu schlimm wurde. Tja, es ist Teil meiner Aufgabe, solche Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen zu tragen …“ „Aber diesmal bist du nicht allein …“, flüstere ich leise. Ich will, dass er weiß, das ich hinter ihm stehe, bei diesem Thema. „Sollte Scharte hier bleiben und sich dann doch eines Tages auf und davon machen, werde ich dennoch dazu stehen, seinen Verbleib im Blitza-Clan unterstützt zu haben.“ Chief lächelt mich an und legt den Kopf schief. „Danke. Ich freue mich, dass du deine Meinung und Gedanken mit mir teilst – das macht die Entscheidungsfindung einfacher.“ Er richtet seinen Blick in die Ferne. „Ich war gerade auf dem Weg zu Scharte. Begleitest du mich?“ Ich muss lachen; was für eine Frage! „Natürlich.“ Wir verlassen das Dorf endgültig und gehen zum Trainingslager des Blitza-Clans. Angekommen stehen wir auf einer kleinen Anhöhe und überblicken so das Gelände. Meine Güte! Man müsste meinen, dass es die Blitza nach dem Überfall letzte Nacht ruhig angehen lassen, aber davon ist hier nichts zu sehen. Überall wird eifrig trainiert – Blitza und Evoli gleichermaßen. Wenn ich an meine „Evoli-Zeit“ denke … hier ist wirklich vieles anders. Plötzlich zischt ein Sternschauer gen Himmel und lenkt mich ab. „Wie cool!“ Ich sehe aus dem Augenwinkel wie Chief grinst und ich fühle mich ertappt – warum kann ich nicht sagen. Ich versuche abzulenken: „Und das ist sicher?“ „Siehst du die Steine?“ Tatsächlich. Auf dem Gelände liegen Steine verteilt, die offenkundig platziert wurden. „Sie trennen verschiedene Bereiche. Nur in bestimmten Bereichen dürfen Attacken trainiert werden, und auch nur bestimmte“, erklärt Chief. „Okay. Ich bleibe trotzdem einfach dicht bei dir, nur zur Sicherheit“, nuschle ich leicht beschämt. Mir ist das alles nicht geheuer. Das Flamara lacht und läuft los. Wie angekündigt bleibe ich an Chiefs Seite, sehe mich aber trotzdem neugierig um. Zwei Evoli rennen aufeinander zu, ihre Schweife beginnen zu leuchten und treffen mit einem kraftvollen Hieb aufeinander. Auf der anderen Seite sehe ich ein Blitza, welches in die Luft springt, einen Salto hinlegt und mit den Pfoten einen Stein pulverisiert – mit nur zwei Schlägen! Das hier ist alles so anders … unweigerlich frage ich mich, wie es gewesen wäre, wenn Scharte hier das Licht der Welt … „Da“, holt mich Chief ins Hier zurück. In einiger Entfernung steht mein Bruder, zusammen mit drei anderen Evoli. Sie trainieren, lachen und unterhalten sich ... Es versetzt mir einen Stich, gleichzeitig fühle ich mich bestätigt. Er gehört hier her. Als wir näher kommen erzählt gerade eines der Evoli. „… und siehst du das?“ Sie deutet auf die Narbe über ihrem Auge. „Die habe ich mir vor einem Monat verdient, als ich gegen ein Knarksel gekämpft habe!“ „Woah!“ Scharte ist hörbar beeindruckt. „Das ist echt cool, Cleo.“ Ich fühle mich wie der letzte Depp. Ein Knarksel? Ernsthaft?! Sie hat gegen ein Knarksel gekämpft und ich bin von einem unerfahrenen Kaumalat platt gemacht worden … Als wir bei der Gruppe ankommen, räuspert sich Chief um die Aufmerksamkeit der Bande zubekommen. Scharte wirkt irritiert, dass ich ebenfalls dabei bin und zieht die Augenbraue hoch. „Was gibt es?“ „Du musst leider mitkommen“, erklärt Chief und ringt sich ein freundliches Gesicht ab. „Muss ich?“ Mein Bruder ist nicht glücklich darüber und er verbirgt es auch nicht. „Ich würde lieber mit Cleo und den anderen noch etwas trainieren.“ „Tut mir leid, Scharte, aber es muss.“ Das Flamara dreht sich um und macht deutlich, dass er nicht diskutieren wird. Wir verabschieden uns von den Evoli und machen uns auf den Weg zurück ins Dorf. Die Stimmung ist gedrückt und selbst Scharte fällt es auf. „Ist etwas Schlimmes passiert?“, fragt er schließlich. „Nein, nein“, beschwichtigt Chief. „Aber es muss etwas Wichtiges entscheiden werden und du bist unverzichtbar dafür.“ Scharte grinst breit und sieht mich an. „Unverzichtbar, hast du gehört?“ Ich rolle mit den Augen, verkneife mir aber ein Kommentar – ich will nicht streiten. Mein Bruder bemerkt das natürlich und runzelt die Stirn. Er sagt nichts und auch ich hülle mich weiter in Schweigen, genau wie Chief. Kapitel 22: Der letzte Schritt ------------------------------ Zurück im Dorf schickt das Flamara mich und meinen Bruder vor; wir sollen in der Höhle warten, weil er noch mit Chilli reden muss. Mein Herz fängt an wild zu klopfen. Ich bin aufgewühlt und weiß nicht so recht, wegen was am meisten. Was jetzt kommt wird schwer werden, aber es muss! Und es ist richtig; davon bin ich überzeugt. Trotzdem … Kaum das wir die Höhle betreten haben kommt Schnuff angelaufen. Er ist aufgewühlt und durcheinander, das merke ich sofort. Er begrüßt Scharte, als hätte er ihn Jahre nicht gesehen. Schnuff schmiegt sich an ihn und schmust. Auffälliger geht es ja kaum. Ich hoffe nur, Scharte wird nicht sauer, wenn er begreift, dass wir vor ihm schon Bescheid wussten. „Ey! Hör auf!“, beschwert sich Scharte und schiebt unseren Bruder unsanft weg. „Ich werde mal ein großer Krieger! Da wird nicht geschmust!“ Alles in mir verkrampft sich bei diesen Worten. Natürlich weiß er nicht, worum es geht und wie hart seine Worte mich und Schnuff gerade treffen. Ich kämpfe gegen das Bedürfnis an, ihn aus Gewohnheiten für sein rüdes Verhalten zu beschimpfen. Niedergeschlagen, mit Tränen in den Augen, schleicht davon Schnuff. „Was stimmt denn nicht mit euch?“, fragt Scharte leicht genervt in die Runde. Wir schweigen und weichen seinem Blick aus. Ich bin ehrlich froh, als die beiden Flamara auftauchen und uns aus dieser Situation erlösen. Chillis Gesicht verrät, das Chief sie auf den neusten Stand gebracht hat und sie offenbar auch damit zu kämpfen hat. „Ihr auch?“, platzt Scharte direkt los. „Was ist denn los? Warum schaut ihr alle so?“ Grabesstille ist die Antwort. Kurz darauf tauchen Leonore und Leon auf und Schartes Verwirrung erreicht ihr Maximum. „Hast du ihnen bereits erklärt, worum es geht?“, fragt das Clanoberhaupt der Blitza an Chief gewandt. „Nein, ich wollte warten, bis alle hier sind …“ „Worum geht es hier?!“, unterbricht Scharte ungeduldig. Chief sieht meinen Bruder an, der daraufhin den Kopf senkt, weil ihm bewusst wird, dass er ihm eben ins Wort gefallen ist. Das Flamara holt kurz Luft und redet weiter. „Wie war die Nacht für dich, Scharte? Wie gefällt es dir hier?“ Mir dreht sich der Magen um. Ich will es eigentlich nicht hören. Natürlich stehe ich zu meiner Überzeugung, aber es tut trotzdem weh. Schartes Gesicht erhellt sich. „Es war gefährlich aber auch aufregend! Wenn ich besser kämpfen könnte, wäre bestimmt mehr drin gewesen. Und das Training! Das war echt klasse! Cleo und die anderen sind voll nett.“ Schnuff schluchzt kaum hörbar hinter mir. Ich verstehe es. Wir werden unsere Reise wohl ohne Scharte fortsetzen und dass wird nicht leicht werden. „Bei uns im Flamara-Clan, wird es Kämpfe in dieser Form kaum geben“, beginnt Chief zu erklären und Scharte sinkt in sich zusammen. „Die Wüste ist ein unwirtlicher Ort, gemacht für Feuerpokémon. Die kleinen Oasen, macht uns kaum einer streitig.“ Scharte sagt nichts, aber er scheint davon ausgegangen zu sein, dass Kämpfe bei allen Clans üblich sind. Er ist enttäuscht. Leonore meldet sich zu Wort. „Es gibt die Möglichkeit, dass du hier bleibst.“ „Wa …?“ Mein Bruder scheint sich vor den Kopf gestoßen zu fühlen. Hastig huscht sein Blick über alle Anwesenden. „Allerdings solltest du wissen, dass es mehr wie Kampfqualitäten braucht, um im Blitza-Clan zu bestehen. Das Leben hier ist hart und anstrengend. Das Revier muss täglich kontrolliert, Nahrung in rauen Mengen beschafft und noch viele andere Aufgaben erfüllt werden“, erklärt das Clanoberhaupt der Blitzas. „Das schafft Scharte doch mit links“, mischt sich Leon ein und grinst siegessicher. „Lass das!“, faucht Chief ungehalten von der Seite. „Er soll eine objektive Entscheidung treffen, soweit es ihm möglich ist. Das wird er kaum können, wenn du ihn umschmeichelst.“ „Also wirklich“, tadelt auch Leonore ihren Sohn. „Ich verstehe dich, aber trotzdem solltest du wissen, dass man das nicht macht.“ Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie ihn nur ermahnt um Chief ruhig zu stellen. Scharte stottert zusammenhanglos vor sich hin und sieht immer wieder zwischen allen hin und her. „Ich mag es hier und ich könnte bestimmt alles schaffen … aber …“ Er dreht sich zu Schnuff und mir um und beginnt zu zittern. Chilli tritt einige Schritte vor und stupst Scharte an, dann wendet sie sich den Blitza zu. „Ich denke, wir brauchen noch etwas Zeit.“ Leonore und Leon stimmen zu und verlassen die Höhle. Es wird still und drückend. Schnuff kommt wieder aus der Ecke, in die er sich zurückgezogen hatte. Er schmiegt sich wortlos an Scharte, der sich nun nicht mehr dagegen wehrt, die Geste sogar erwidert. „Oh, Scharte“, flüstere ich und kuschle mich ebenfalls an ihn. Die Flamara halten sich im Hintergrund. Sie scheinen uns erstmal das Ganze im familiären Kreis verdauen lassen zu wollen. „Was mach ich denn jetzt?“, nuschelt Scharte fragend. Schnuff hebt den Kopf. „Egal was es ist, wir stehen hinter dir. Du … wirst … fehlen … falls … aber …“ Er bricht in Tränen aus und schluchzt heftig. Auch Scharte kämpft sichtbar um Beherrschung und sieht mich an. „Quietschie, du warst immer die Vernünftigste …“ Ich grinse schief. „Klar; ich belausche andere und schleiche mich weg und handele mir damit ständig Ärger ein … wenn das nicht vernünftig ist …“ Chief hustet irgendwo abseits um sein Lachen zu überspielen. Meine Augen werden feucht. Lange werde ich mich nicht mehr beherrschen können, also muss ich mich beeilen meinem Bruder zu sagen, was ich ihm unbedingt sagen muss. „Ich liebe dich, Doofkopf. Aber ich glaube, dass … dass du … so eine Chance … nicht … nochmal bekommst.“ Ich breche heftig in Tränen aus und drücke mich an Scharte, versuche ihm zu vermitteln, was ich nicht mehr sagen kann, weil ich schluchze ohne Ende. Wir weinen – alle drei. Auch ohne, dass jemand von uns etwas sagt, wissen wir, was jeder von uns mitteilen möchte und verstehen es. „Ihr … werdet mir fehlen … Doofköpfe“, flüstert Scharte irgendwann. Schnuff schluchzt heftig und drückt sich noch mehr gegen unseren Bruder. „Pass auf dich auf“, bitte ich leise und reibe meine Wange über Schartes Kopf. Die Flamara kommen schließlich dazu und legen sich zu uns. Ihre Wärme umgibt uns und tröstet irgendwie. „Wir sind werden uns wiedersehen“, versucht Chilli die Stimmung etwas zu lockern. Chief lacht leise. „Du wirst das großartig machen, Scharte. Und wenn wir uns das nächste Mal sehen, wirst du schon ein toller Kämpfer sein.“ „Dann kannst du uns erzählen, was du alles erlebt hast“, sagt Schnuff etwas heiser vom Weinen. „Und du und Cleo können uns eure neuesten Verdienstabzeichen präsentieren“, kichere ich. „Du bist doof“, nuschelt Scharte beschämt. „Du wirst mir fehlen …“, sage ich und schwärze hüllt mich ein. Es ist dunkel, ich weine und bin fürchterlich aufgelöst. Ich höre, wie jemand in mein Zimmer kommt. Ich setze mich auf. Ein Teenager steht da im Halbdunkel und … er sieht aus wie ich, oder ich wie er – je nach Standpunkt. Er kommt zu mir, setzt sich auf mein Bett und nimmt mich in den Arm. Es fühlt sich warm und tröstend an. Mir fällt auf, dass ich klein bin – fast noch ein Welpe … Halt nein, ein Kind; ich bin ein Kind. „Schon gut, Quietschie. Du hast nur schlecht geträumt“, flüstert der Teenager. Er streicht mir über den Rücken. Er … ist mein Bruder – mein großer Bruder. „Er kommt nicht wieder, oder?“, frage ich. Mein Vater schüttelt den Kopf. „Nein, er wohnt jetzt bei seiner Freundin.“ Meine Mutter weint heftig … Ich verstehe es nicht so ganz, ich fürchte, ich bin noch zu jung … Ich betrete mein Zimmer; es ist größer wie das in der anderen Erinnerung. Da steht ein großer Käfig neben meinem Bett. „Hey, ihr Fellnasen!“, rufe ich und lege meinen Rucksack ab. Ich bin gerade von der Schule gekommen. Es raschelt und rumpelt. Die Bewohner des Käfigs kommen eilig aus ihren Häusern und stecken ihre rosa Nase heraus. Ich öffne die Tür und eine der Ratten kommt sofort heraus. Ich nehme ihn hoch und streichle ihn. „Na, Lars? Alles gut?“ Die braun-weise Ratte klettert an mir hoch und kuschelt sich in meine Haare. „Wir nehmen einen Cocktail-to-go und laufen Heim, oder?“, frage ich in die Runde. Die Mädels nicken und es ist beschlossen. Schon ordentlich angeheitert vom Griechen, gehen wir los. Das kleine silberne Auto steht da und ich kann es immer noch nicht fassen. Es gehört mir! Mein erstes Auto! „Zufrieden?“ „Sehr zufrieden“, freue ich mich überschwänglich. Ich drehe mich um. Da ist mein Mann, nur das er im Moment nur mein Freund ist. Wir heiraten erst viel später, erst nachdem unser Sohn geboren wird … Ich blinzle. Es ist dunkel und um mich herum ist gleichmäßiges Atmen zu hören. Mein Kopf drückt leicht, als ob er plötzlich das doppelte und dreifache an Erinnerungen hat … und das hat er. Ich erinnere mich an alles … fast. Ich erinnere mich an mein menschliches Leben, aber … Wie zum Teufel bin ich hier gelandet?! Kapitel 23: Josie ----------------- Ich sehe mich vorsichtig um. Alle schlafen mehr oder weniger ruhig. Scharte brabbelt irgendwas Unverständliches vor sich hin und Chilli … lächelt selig. Ich muss kein Hellseher oder Traumdeuter sein um zu wissen was, oder besser von wem, sie wohl träumt. Mein Blick fällt auf Chief. Einen Moment bin ich verleitet ihn zu wecken. Ich bin ein Mensch. Oder war. Ich bin mir immer noch unsicher, wie ich das alles deuten soll. Mein Gefühl sagt mir, dass meine alten Erinnerungen komplett sind. Das bedeutet, dass ich noch nicht sehr alt war; Anfang Dreißig vielleicht. Kein Alter in dem man stirbt – zumindest nicht an einer natürlichen Ursache. Bin ich überhaupt gestorben? Und selbst wenn, ich kann nicht als Pokémon reinkarniert sein, weil es Pokémon nicht gibt! Aber ich bin hier, und es fühlt sich sehr real an. Koma? Hatte ich einen Unfall und liege jetzt im Koma und fantasiere vor mich hin? Möglich … vielleicht liege ich auch in der Klapsmühle und werde mit bunten Pillen vollgepumpt … Mein Kopf brummt – ich sollte erstmal aufhören und schlafen; ich fühle mich fürchterlich schlapp. Ich beschließe, mir und Chief unseren wohlverdienten Schlaf zu gönnen und schließe die Augen. Es ist dunkel und warm; kein Traum, keine Visionen oder Erinnerungen. Ich werde angerumpelt und zucke zusammen. Verschlafen öffne ich die Augen und sehe Schnuff, der mich ansieht, als wüsste er nicht wer ich bin, oder wo er gerade ist. Mein Bruder braucht früh immer etwas, bis er ansprechbar und Aufnahmen fähig ist – wie mein Mann, der ist morgens die erste halbe Stunde auch kaum zu gebrauchen … Ich schüttle den Kopf. Das dürfte extrem merkwürdig werden in Zukunft, mit all diesen Erinnerungen. Wir stehen alle auf und strecken uns. „Habt ihr gut geschlafen?“, fragt Chief freundlich in die Runde. „Japp“, antwortet Scharte und grinst. Schnuff gähnt ausgiebig. „Ging schon.“ Chilli summt zufrieden und lächelt vor sich hin. „Es war …“, ich überlege kurz. Irgendwie möchte ich Chief mitteilen, dass es Neuigkeiten gibt. „Ereignisreich.“ Das Flamara und ich sehen uns einen Moment an; dann nickt Chief kaum sichtbar und das Thema ist damit erstmal beendet. Heute stehen einfach wichtigere Sachen an, zum Beispiel … „Frühstück?“, unterbricht Schnuff meine Gedanken. Ich muss lachen, weil das natürlich das Erste ist, was ihm einfällt und anschließend ziehe ich scharf die Luft ein, weil das Lachen immer noch schmerzt. Chilli sieht mich besorgt an. „Alles okay?“ „Mein Rücken schmerzt, von meinen Rippen ganz zu schweigen“, grummle ich. „Und warum hast du gestern nichts gesagt?“, fragt mich Chief tadelnd. Mein Blick fällt auf Scharte und ich lächle wehmütig, anschließend wende ich mich an die Flamara. „Weil es gestern wichtigere Sachen gab.“ Das Clanoberhaupt seufzt und schließt kurz die Augen, dann sieht er mich an. „Mag sein, aber deine Gesundheit ist auch wichtig.“ Ich nicke schuldbewusst. „Frühstück“, grätscht Schnuff wieder dazwischen. Chief lacht kurz. „Na los.“ Er verlässt die Höhle und wir folgen ihm. Das Frühstück findet wieder in der großen Höhle statt und ist genauso üppig wie am Vortag. „Ich werde Leonore von unserer Entscheidung unterrichten“, erklärt Chief und sieht zu Scharte. „Und du wirst mich begleiten.“ Mein Bruder springt auf und strahlt, dann sieht er mich und Schnuff an. Einen Augenblick schläft ihm das Gesicht ein. Er kommt zu uns und wir reiben unsere Köpfe aneinander. „Aber, aber; dass ist jetzt noch kein Abschied für immer“, spricht Chilli uns an. Mir fällt ein Stein vom Herzen; ein „Lebewohl“ hier zwischen Tür und Angel wäre schon ziemlich furchtbar gewesen. Wir sehen Chief und Scharte hinterher, bis sie verschwunden sind. „Es ist das Richtige“, rede ich mir selber leise gut zu. „Auf jeden Fall“, flüstert Schnuff und grinst. „Ihm wird es hier gut gehen“, mischt sich Chilli von der Seite ein. „Und nun zu dir, Kleines.“ Erschrocken sehe ich das Flamara an. „Mir?“ Es kommt zu mir und inspiziert meinen Rücken vorsichtig und murmelt vor sich hin. Ich fühle mich unwohl und schaue auch wahrscheinlich dementsprechend, denn Schnuff amüsiert sich köstlich. „Es sieht zwar okay aus, aber es ist warm und gerötet; wahrscheinlich ist Schmutz in die Wunde gekommen.“ Chilli sieht mich mahnend an. „Du hättest wirklich gleich etwas sagen sollen.“ Ich ziehe den Kopf ein und senke den Blick. Hallo, Mama. Urhg. „Eigentlich war ein leichtes Training für euch angesetzt, um euch ein besseres Körpergefühl zu vermitteln und damit ihr euch und eure Fähigkeiten besser einschätzen lernt.“ Chilli legt grübelnd den Kopf schief. „Aber wir gehen besser erst zu den Heilern.“ „Heiler?“, fragt Schnuff neugierig. „Ja, sie sollten sich das unbedingt erstmal ansehen.“ Damit ist das beschlossene Sache. Mein Bruder begleitet uns, damit er nicht alleine bleibt. Wir verlassen die große Höhle und Chilli führt uns durch das Dorf. Mensch, heute ist hier auch so ein Gewimmel. Ich dachte, dass das mit dem Sieg zusammenhing, aber hier scheint es immer so zu sein. „Ist das immer so … wuselig?“ Das Flamara lacht. „Ja, immer. Die Blitza sind eben ein sehr energiegeladener Clan.“ Mir fällt wieder ein, was Leonore über Chilli gesagt hat und ich spüre für einen Moment einen Kloß im Hals. Das Flamara ist seinem alten Clan gegenüber sehr positiv, trotzdem, dass sie „abgeschoben“ wurde. Weiß sie es nicht, oder ist sie okay damit? „Ähm, wegen dem Training“, spricht Schnuff Chilli an und lenkt mich damit ab. „Keine Sorge. Nur ein paar Übungen und so. Wärt ihr noch zu Hause, würdet ihr jetzt auch damit anfangen“, erklärt sie geduldig. Tja, zu Hause wären wir jetzt aber schon Glaziola. Die Clans handhaben das wirklich extrem unterschiedlich. Wir kommen an einer Höhle an, die ein wenig versteckt liegt. Die Höhle selber ist wie ein L, der Eingang befindet sich genau im Eckpunkt. Im langen Abschnitt scheint der Wartebereich zu sein, dort sitzen und liegen einige Blitza, die wohl auch noch mit den Nachwirkungen des Überfalls zu kämpfen haben. Außerdem sehe ich ein riesiges rosa Pokémon, das ich im Moment noch nicht zuordnen kann. Der kurze Bereich gabelt sich hinten und ist dort durch Blättervorhänge abgetrennt; ich vermute, dass sich dort die Behandlungszimmer befinden. „Wir werden wohl etwas warten müssen.“ Chilli läuft Richtung Wartebereich. Ein Blitza steht ächzend auf, zwei andere stützen es und helfen ihm. Das rosa Pokémon steht daneben und beobachtet das Ganze. Als wir etwas näher sind dreht sich um – zu mir. Es sieht mich an, und nur mich. Was …? „Bringt ihn ins Behandlungszimmer, ich komme gleich“, sagt das Heiteira, wie mir wieder einfällt, zu den beiden Blitza und kommt dann direkt auf mich zu. „Meine Güte, da bist du ja endlich.“ Ich?! Völlig überfordert und verdutzt setze ich mich hin und starre das rosa Wesen mit großen Augen an. Kenne ich das Heiteira? Oh Gott, bitte nicht noch mehr alte oder sonstige Erinnerungen an irgendwelche anderen Leben! Es bleibt vor mir stehen und sieht mich mitfühlend an, dann tätschelt es mir liebevoll den Kopf. „Deine Traurigkeit fühle ich schon, seit du unser Dorf betreten hast.“ Das Heiteira streicht sie sich über sein flauschiges Fell und seufzt wehmütig. „Deine Trauer ist ja noch größer geworden … Ich helfe dir, den Schmerz zu lindern, sobald ich kann.“ Der rosa Riese verschwindet hinter einem der Blättervorhänge. Was zum Teufel? Hilfesuchend sehe ich Chilli an. „Heiteira können Traurigkeit über große Distanzen fühlen, und auch die Intensität sehr genau wahrnehmen“, erklärt sie mir und zieht kurz darauf die Stirn in Falten. „Warum warst du schon so traurig, als wir hier angekommen sind?“ Ich kann Chilli schlecht sagen, dass ich traurig war, weil ich mich daran erinnert habe, einen Sohn zu haben … hatte, wie auch immer. „Ähm …“ Schnuff huscht an mir vorbei und reckt neugierig den Kopf. Er versucht einen Blick hinter die Vorhänge zu erhaschen, wird aber von einem der Blitza abgewiesen und zurück in den Wartebereich geschickt. „Wegen unserer Mutter natürlich …“ Was für eine lahme Ausrede, selbst für mich. Chilli mustert mich eindringlich. „Sie hat aber nur von dir gesprochen und nicht von deinen Brüdern.“ Ich zucke mit den Schultern. „Wer weiß …“ Hör bitte einfach auf, bete ich zu wem auch immer und habe Glück. Das Flamara sieht mich fragend an, hakt aber nicht weiter nach. Schnuff kommt mir indirekt zu Hilfe und beginnt Chilli mit Fragen zu löchern. Er findet das Ganze hier offenbar sehr interessant und möchte wissen, wie man denn Heiler wird und was man da so macht. Sie erklärt ihm, dass man dazu sehr gute Kenntnisse über den Körper braucht und das einige Pokémon, wie Heiteira zum Beispiel, von Natur aus gute Heiler sind. Es dauert scheinbar eine Weile, bis ich an der Reihe bin. Andere Pokémon hat es beim Kampf härter getroffen; lebensbedrohlich verletzt ist aber niemand, soweit ich mitbekommen habe. Ich liege da und warte, höre Chilli zu, wie sie geduldig alles erklärt und … warte … und warte … und warte … „Du bist dran.“ Da ich halb am Wegdösen war, habe ich das Blitza nicht mitbekommen und erschrecke dementsprechend durch die Ansprache. Schnuff springt freudig auf die Pfoten, wird aber gleich in seine Schranken gewiesen. „Nur sie. Der Raum soll sauber bleiben und du würdest auch nur im Weg stehen“, erklärt das Blitza. Mein Bruder zieht eine Schnute und ist sichtbar enttäuscht. Ich folge dem Heiler zu einem der beiden Behandlungszimmer. Der Raum selber ist recht unspektakulär. In der Mitte ist ein großer rechteckiger Fels, der als Tisch dient. In den Nischen und auf den aufgehängten Regalen liegt allerlei Krempel. Beeren, Gläser, Tuben und Tiegel. In einer Ecke sehe ich Wasser, welches als kleine Quelle über einen Felsen fließt und sich in einem Steinbecken darunter sammelt. Hinter dem Behandlungstisch, an der Rückwand des Raums, ist eine Art Tresen im Fels. Dort stehen viele medizinische Instrumente. Es gruselt mich einen Moment. Ich fühle mich plötzlich an ‚Felidea‘ erinnert. Den Film habe ich gesehen, als ich eigentlich noch zu jung war … und allein … und im Dunkeln. Das war keine gute Kombination gewesen. Ich habe zwar schon früh Horrorfilme geschaut, aber dieser war einfach anders. Wahrscheinlich weil es ein Trickfilm war und ich als Kind natürlich anderes erwartet hatte. Die Szene im Labor, als der rote Kater da immer wieder aufgeschnitten und gequält wurde … Ja, der Film hat sich diesbezüglich extrem in mein Gedächtnis gebrannt. Das Heiteira, welches bis eben an dem Tresen stand, kommt um den Tisch herum und direkt auf mich zu. „Na komm her du armes Ding.“ Es beugt sich herunter und nimmt mich hoch. Was dann passiert kann ich kaum beschreiben. Ohne Vorwarnung überschwemmt mich ein unglaublich starkes Gefühl von Geborgenheit. Mich verlässt schlagartig die Kraft und alles in mir scheint sich zu entspannen, körperlich und seelisch. Ich hänge wie ein nasser Sack in den Armen von Heiteira und … schnurre. Ich schnurre! Das habe ich noch nie gemacht, weder hier noch in meinem anderen Leben. Das ist jetzt aber peinlich irgendwie, andererseits … Scheiß drauf! Ich schließe die Augen und genieße. Immer noch schnurrend schmiege ich mich an das Heiteira, während die Heilwogen mich in die Glückseligkeit tragen. Vage nehme ich war, wie ich auf den Behandlungstisch gelegt werde und eines der Blitza meinen Rücken untersucht. Es ziept immer wieder leicht, ist aber aushaltbar. „Mein Name ist übrigens Josie. Willst du mir nicht sagen, was ein junges Mädchen wie dich, so traurig macht?“ Die Stimme von Josie ist wunderbar sanft und melodisch, sie umschmeichelt mich regelrecht. Ich sehe zu ihr auf und habe plötzlich das Bedürfnis, ihr alles zu erzählen; die ganze Informationsflut endlich aus meinem Kopf zu lassen … aber das Ziepen am Rücken holt mich zurück. Die zwei Blitza sind hier. Ich will nicht, dass sie das mitbekommen. Mit Chief hatte ich unglaublich viel Glück, und ich bin mir sicher, dass die meisten mich als verrückt abstempeln würden. Das wäre mir an sich egal, ich werde den Blitza-Clan ja nicht ständig besuchen … aber Scharte wird hierbleiben. Ich möchte nicht, dass er Probleme oder Ärger bekommt, weil seine Schwester nicht mehr alle Tassen im Schrank hat; also schweige ich beharrlich. Die Heiler reinigen die Verletzungen auf meinem Rücken und schmieren eine Paste darauf. „Das wird die Heilung fördern“, erklärt mir eines der Blitza. Während Josie meine Seite abtastet startet sie einen weiteren Versuch. „Reden hilft oft, die Gedanken besser zu sortieren und einen neuen Blick auf die Dinge zu bekommen.“ Ich nicke und zucke, als sie eine besonders empfindliche Stelle berührt. Das Heiteira erklärt mir, das die Rippen nur geprellt sind, es aber dauern wird, bis ich komplett schmerzfrei bin. Und weil wir einmal dabei sind, schauen sich die drei auch noch meinen Fuß an. Auch hier nichts Gravierendes, tatsächlich spüre ich eh kaum noch Schmerz dort. Ich bedanke mich bei den Dreien, werde von Josie noch einmal hochgehoben und geherzt, dann verlasse ich das Behandlungszimmer. „So, da ja alles soweit okay zu sein scheint, gehen wir jetzt zum Trainingsplatz“, verkündet Chilli feierlich. Schnuff hört das kaum, er beginnt sofort mich auszuquetschen und will alles ganz genau wissen. Wie das Behandlungszimmer aussah, was die Heiler gemacht haben, was sie gesagt haben … Bis eben wollte ich nicht zum Training, jetzt werde ich froh sein, wenn wir endlich dort sind. Kapitel 24: Training -------------------- Der Trainingsplatz kommt endlich in Hörweite und Schnuff verstummt augenblicklich. Ich sehe Chief und Scharte auf der Anhöhe sitzen und muss sofort Grinsen. „Komm Schnuff!“ Mein Lauftempo erhöht sich und ich eile den beiden entgegen. „Beeilt euch doch mal!“, ruft Scharte uns aufgeregt zu und strahlt über das ganze Gesicht. Angekommen zeigt sich die Aufregung von meinem Bruder erst richtig. Er hibbelt auf der Stelle und kann es scheinbar kaum erwarten. Schnuff lässt seinen Blick unsicher über den Trainingsplatz wandern. „Ist das … sicher?“ Chilli kichert. „Ja, absolut sicher. Es gibt ausgewiesene Plätze wo Attacken geübt werden dürfen. Die mit großer Durchschlagskraft oder hoher Reichweite dürfen nur in den hinteren Gebieten genutzt werden.“ „Hör auf so ein Hasenfuß zu sein“, witzelt Scharte. „Ich bin doch bei dir.“ Ich muss lachen, murre danach aber schmerzbedingt. „Los, ich will euch Cleo und die anderen vorstellen.“ Übermotiviert sprintet der zukünftige große Krieger los. Auf dem Weg sehe ich mir Chief aufmerksam an. Er wirkt zufrieden und irgendwie beruhigt, trotzdem ist er immer noch etwas in sich gekehrt. Wir kommen bei der Evoli-Gruppe an, mit der Scharte bereits gestern trainiert hat. Er stellt uns vor, mich tatsächlich sogar mit meinem Namen! Ich bin gerührt, auch davon, dass er irgendwie stolz dabei wirkt; als wären Schnuff und ich etwas Besonderes. „Das ist Cleo“, stellt Scharte uns das Evoli mit der Narbe über dem Auge vor. „Und das sind Sam und Gai.“ Er deutet auf die anderen zwei. Gai ist der größte und wirkt etwas plump, Sam wirkt hingegen recht zart, aber seine blitzenden Augen zeigen, dass man ihn besser nicht unterschätzen sollte. „Lasst es bitte langsam mit den beiden angehen. Schnuff hat so gar keine Erfahrung und Charly ist leicht verletzt“, erklärt Chilli. „Natürlich“, säuselt Cleo, die einen Schritt vorgetreten ist. „Wir werden ganz zart zu den Welpen sein.“ Sie plustert sich auf und reckt das Kinn hoch. Ähm … Die Pose kommt mir bekannt vor, genau wie ihr Benehmen. Nur, dass Leon im allgemeinen sympathischer und freundlicher rüberkommt. Cleo ist … ätzend. Ich mag sie nicht, so viel steht fest. Die Flamara ziehen sich zurück und beobachten uns aus einiger Distanz. Wir fangen mit Aufwärmübungen an. Ausweichen, rollen und einige kleinere Klettereinlagen. Und ja, ich entlocken der illustren Runde ein erstauntes „Oh“ als ich mit Leichtigkeit, und als Schnellste, die kleine Parcoursübung meistere – und das mit geprellten Rippen. Ha! Nimm das Cleo! Danach werden Attacken geübt. Erstmal Passive; Sandwirbel und Heuler hauptsächlich. Bei den Aktiven wird es dann schon komplizierter. Ich halte mich raus, weil ich nicht glaube, dass meine Rippen das im Moment mitmachen. Ich sitze abseits und beobachte die anderen. Meine neue beste Freundin gesellt sich zu mir. „Ein großer Kämpfer wird der nicht.“ Ich seufze. Zu gern würde ich Cleo widersprechen, aber sie hat recht. Selbst mit dem Tackle hat Schnuff Probleme und der ist nun wirklich nicht schwer. „Und da heißt es immer, dass sich Verwandtschaft bemerkbar macht.“ „Was?“, frage ich irritiert zurück. „Nun. Scharte ist ein toller Kämpfer, ohne das er bisher groß trainiert hat. Schnuff hingegen …“ Cleo verzieht das Gesicht. „Pass auf was du sagst“, knurre ich und sehe sie an. „Weißt du“, quasselt sie einfach weiter. „Bei meiner Familie merkt man das. Ich meine Leonore, meine Oma, ist schon klasse, obwohl sie so alt ist. Und Leon, mein Onkel, hast du ihn mal kämpfen sehen? Voll krass! Und mein Vater erst!“ Boah. Ich bin drauf und dran ihr ins Gesicht zu sagen, dass sie die Fresse halten soll; halte mich aber zurück, um Schartes Willen, denn er scheint Cleo ja zu mögen. Ich beobachte wie Sam sich zu Schnuff stellt, der deprimiert da sitzt, weil irgendwie so gar nichts zu funktionieren scheint. Er redet auf meinen Bruder ein, dieser hebt nach einiger Zeit neugierig den Kopf. Was bereden die da? „Und du?“ „Was meinst du?“, frage ich desinteressiert. Ich sehe, wie Sam und Schnuff ein wenig weggehen; Scharte und Gai sind so in ihren Übungskampf vertieft, dass sie es gar nicht mitbekommen. „Na, wo hast du die Verletzungen her?“ Moah. Kann die mich nicht in Ruhe lassen? Und dann muss sie ausgerechnet in dieser Wunde bohren. Wenn ich nämlich ehrlich bin, wurmt es mich extrem, dass ich gegen das Kaumalat abgestunken habe. „Ich bin an ein Kaumalat geraten. Ich konnte zwar einen Treffer landen, aber … die Haut von denen ist echt … hart. Und dann hat es mich schneller erwischt, wie ich schauen konnte.“ „Ja, die Rauhaut ist schon echt doof, vor allem, wenn man nur direkte Attacken kann.“ Cleo denkt einen Augenblick nach. „Du scheinst nicht dumm zu sein …“ Das hat sie jetzt nicht wirklich gesagt?! Was bildet diese blöde Göre sich eigentlich ein?! „… also könnte ich dir eine Distanzattacke beibringen.“ Verwundert sehe ich sie an. Wie jetzt? „Los komm.“ Sie springt auf und geht zum anderen Ende des Trainingsbereichs. Ich folge ihr. Ja, sie ist ne Bitch, aber, Hey, wieso nicht etwas Neues lernen? Als ich bei ihr ankomme, beginnt sie sofort wieder loszusprudeln. „Die Attacken heißt Kraftreserve, ihr Typ ist von Pokémon zu Pokémon unterschiedlich – also wird es eine Überraschung.“ Stimmt, ich erinnere mich. Schade, dass ich nicht zu der alten Frau in Baumhausen kann, die konnte einem vorher sagen, welcher Typ bei welchem Pokémon rauskommt. Nun gut, dann lass ich mich überraschen … Ich hasse Überraschungen! „Du musst dich auf die Energie in deinem Körper konzentrieren.“ Cleo positioniert sich und ich sehe ihr an, wie sie sich fokussiert. „Dann bündelst du sie …“ Sie beginnt regelrecht zu leuchten. „… und: Feuer!“ Eine beachtliche Energiekugel bildet sich und zischt los. Sie trifft auf einen Stein und explodiert. Cool! Und, ja, dass klang prinzipiell einfach. Nun gut. Ich atme durch und versuche mein Glück. „Die Energie beim ersten Mal zu erwecken, kann etwas dauern, vor allem bei so Anfängern wie dir. Da muss man schon das gewisse Extra haben“, erklärt Cleo süffisant. Diese blöde … Also ehrlich; was findet Scharte bloß an der? Wütend konzentriere ich mich ... Huch. Ich spüre wie etwas durch meinen Körper wabert. „Ja, genau so! Das ging doch recht flott“, stellt meine Trainerin erstaunt fest. „Und jetzt bündeln!“ Ich schließe die Augen und versuche dieses „Gewaber“ irgendwie in Form zu bringen. Es dauert eine Weile, bis es sich gleichmäßig anfühlt. „Jetzt musst du es vor dir materialisieren und abschießen.“ Vorsichtig öffne ich die Augen. Scheinbar leuchte ich, wie Cleo vorhin. Ich ziehe die Energie zusammen und vor mir erscheint eine Kugel – nicht sehr groß, aber immerhin. Und: Feuer! Ich schieße sie ab, ohne genau zu wissen wie. Die Energie prescht nach vorn und trifft einen Stein. Es gibt eine kleine Mini-Explosion. Nicht spektakulär, aber fürs erste Mal, bin ich zufrieden. „Joa, kann man gelten lassen …“ Diese blöde Kuh … Aber nun gut, ich will mal nicht so sein, immerhin hat sie mir eine neue Attacke beigebracht. „Und woher weiß ich jetzt, welcher Typ das ist?“, frage ich. Cleo zuckt mit den Schultern. „Ausprobieren. Eventuell kann eines der Älteren es einschätzen.“ „Schwester! Schwester!“ Ich zucke und fiepe; was meiner Trainer ein amüsiertes Lachen entlockt. „Sieh dir das an!“ Schnuff ist fürchterlich überdreht. Schlitternd kommt er vor mir zum Stehen. „Pass auf.“ Er geht in Position und nach wenigen Momenten entsteht vor ihm eine Energiewand. „Cool“, staune ich. Das müsste Schutzschild sein, wenn ich mich nicht täusche. „Ja, ich dachte er kann die Attacke ganz gut gebrauchen.“ Sam taucht neben mir auf und grinst. Ich sehe ihn an. Seine Augen blitzen, stolz und amüsiert, während er zu Schnuff sieht, dann dreht er den Kopf und schaut mich an. „Danke“, sage ich aufrichtig. Das ist wirklich nett von ihm, und, ja, Schnuff wird das gut gebrauchen können. Sam mustert mich regelrecht, was mir ehrlich unangenehm ist, dann zwinkert er mir zu und geht davon. Ich bleibe verwirrt zurück und blinzle mehrfach, während ich Sam nachsehe. Ich habe das Gefühl, irgendetwas verpasst zu haben. „Lass uns üben!“, drängelt Schnuff und holt mich aus meinen Überlegungen. Meine Kraftreserve ist noch nicht besonders stark, und Schnuff hat noch Probleme mit dem Schutzschild – also üben wir zusammen und haben Spaß daran. Zwischendurch kommt Scharte dazu. Wir verbringen eine wunderschöne Zeit zusammen, die uns fast vergessen lässt, was uns noch bevorsteht. Kapitel 25: Heiße Quellen ------------------------- Die Zeit vergeht; wir lachen, trainieren und freuen uns einfach nur, noch etwas Zeit mit einander zu verbringen. Leider ist Cleos Einschätzung bezüglich Schnuff nicht aus der Luft gegriffen - er ist wirklich keine Kämpfer. In einem Eins-gegen-Eins-Kampf, würde er wahrscheinlich sang- und klanglos untergehen. Allerdings hat er die Schutzschild-Attacke ziemlich schnell im Griff, vielleicht liegt ihm das ja eher. Ich bekomme langsam die Kraftreserve besser unter Kontrolle. Die Energiekugel wird größer und die Explosionen auch etwas ansehnlicher. Ich werde aber noch einiges an Übung und Training brauchen, bis das alles funktioniert wie es soll – und ein paar bessere Attacken, bevor ich mich in den nächsten Kampf stürze. Das ist hier alles so anders wie im Spiel; viel anstrengender und irgendwie auch gefährlicher. Es ist Nachmittag, als die Flamara wieder zu uns stoßen. „Sehr schön.“ Chief ist sichtlich zufrieden mit uns. Mir wird in dem Moment flau im Magen. Ist es jetzt soweit? Müssen wir uns verabschieden? Das Flamara scheint es zu merken und lächelt mich an. „Keine Sorge, ich habe mit Leonore gesprochen. Da die Umstände sich geändert haben, bleiben wir erst einmal.“ Schnuff freut sich wie verrückt und springt Scharte überschwänglich über den Haufen. Dieser beschwert sich natürlich, lacht aber mehr, wie er wirklich schimpft. „Na kommt, für heute ist jetzt aber Schluss.“ Chilli lächelt in die Runde. Es gibt leichte Proteste, hauptsächlich von Scharte und Cleo, aber letzten Endes wissen auch die beiden, dass es einfach reicht. Wir machen uns auf den Weg zurück zum Dorf. Cleo und die anderen begleiten uns ebenfalls. Es wird geredete und gelacht, die Stimmung ist ausgelassen. Ich bemerke, dass Sam irgendwo leicht hinter mir läuft und lasse mich etwas zurückfallen. „Danke nochmal“, spreche ich ihn an. „Ich denke, du hast recht: Schnuff wird die Attacke wirklich gut gebrauchen können.“ Er sieht mich schweigend eine ganze Weile an, was mir fürchterlich unangenehm ist, dann grinst er schelmisch und zwinkert mir zu. „Schon okay.“ Ich bin peinlich berührt. Irgendwas an der Art von Sam macht mich nervös, er trifft einen Nerv, von dem ich nicht will, dass er ihn trifft. Trotzdem kann ich mich dem, oder ihm, nicht wirklich entziehen, was mir unangenehm ist, in Anbetracht meines eigentlichen Alters. Mensch, ich bin doch kein Teenager mehr … andererseits, hat das eventuell nichts mit meinem ‚Geistigen-Alter‘ zu tun, sondern eher mit meinem körperlichen? Keine Ahnung – ich weiß nur, dass Sam da einen empfindsamen Punkt trifft und ich froh bin, dass wir morgen gehen und ich dem nicht länger ausgesetzt bin. Wir sind nicht die einzigen die den Trainingsplatz verlassen. Auch der Großteil der Blitza macht sich auf, zurück ins Dorf zu gehen. Überall wird entspannt geredet oder auch geschwiegen. Chief und Chilli laufen etwas vor uns und wechseln Blicke und tuscheln. Wie eigenartig … „Ihr geht morgen?“, werde ich von der Seite gefragt. Ich sehe hinüber, zu Sam. Prima, warum verwickelt er mich auch noch in ein Gespräch? Tatsächlich wird mir bewusst, dass ich ihn gerade genauso schweigend ansehe, wie er es immer mit mir macht. Ich räuspere mich, um mich selber zur Ordnung zu rufen. „Ähm, ja. Also die Flamara, Schnuff und ich. Scharte bleibt ja bei euch.“ Ich sehe wieder nach vorn, einfach nur um Sam nicht anzusehen. Er brummt neben mir und ich sehe aus dem Augenwinkel, wie er den Kopf leicht hin und her wiegt. „Schade eigentlich.“ Lass mich doch bitte einfach in Ruhe! Was will der Typ nur von mir?! Ich beschließe, zu versuchen, einen anderen Weg einzuschlagen. „Ja, kann schon sein … aber Scharte ist eigentlich ein Netter.“ Ich grinse frech vor mich hin und kann schließlich nicht widerstehen und schaue zu Sam. Er hat die Augenbraue hochgezogen und mustert mich skeptisch, dann lacht er amüsiert. „Schon möglich. Cleo scheint jedenfalls begeistert von deinem Bruder.“ „Hm. Beruht offensichtlich auf Gegenseitigkeit“, antworte ich und sehe mir die Beiden an, die weit vorn laufen und angeregt miteinander quatschen. „Die scheinen nicht die einzigen zu sein“, flötet Schnuff hinter uns und kichert. Ich werfe ihm einen finsteren Blick zu, der ihn herzlich wenig interessiert. „Wo er recht hat …“, mischt sich Chilli plötzlich auch noch mit ein. Einen Augenblick bin ich verleitet ihr etwas wegen Leon an den Kopf zu werfen, aber das wäre nicht fair, also schlucke ich meinen Kommentar und seufze einfach nur frustriert. Um mich herum bricht fröhliches Gelächter aus – außer Sam und Chief, die beiden finden das offenbar weniger lustig. Während Sam eher cool darüber zu stehen scheint, und versucht das gelassen zu nehmen, wirkt Chief hingegen eher … sauer? Ich brauche kurz, um zu verstehen warum, dann fällt der Groschen. Ich schenke ihm das schönste Lächeln, zudem ich im Stande bin und ernte ein schiefes Grinsen seinerseits. Aber meine Botschaft dürfte angekommen sein. Ich habe definitiv nicht vor, den Rest meines Pokémonlebens in einem Clan voller kampflustiger Casanovas und Schürzenjäger*innen zu verbringen, dann doch lieber die staubige Wüste. Im Dorf angekommen verabschieden sich Cleo, Gai und Sam von uns und ziehen von dannen. Ein Glück! Chilli sieht uns grinsend an, was mich irgendwie verunsichert. „Bis zum Abendessen haben wir noch Zeit, ich würde vorschlagen, wir gehen so lange zu den heißen Quellen.“ „Heiße Quellen?“, fragt Schnuff verwirrt. „Ja, der Schlotberg ist nicht weit und seine Lava fließt unterirdisch in einem Tal in der Nähe entlang. Dort sind Wasserquellen, die durch die Hitze aufgewärmt werden. Das Wasser dort ist selbst für uns Flamara erträglich, weil es so heiß ist, dass es unserer Physiologie und unserer inneren Flamme nicht so sehr zusetzt“, erklärt Chief mit einem begeisterten Lächeln. „Und was macht man da?“, hakt Scharte nach. „Na, baden“, lacht Chilli. „Baden?“ Schnuff scheint verwirrt und legt den Kopf schief. Chief setzt zu einer Erklärung an, „Man geht ins Wasser und lässt sich den ganzen Dreck aus dem Fell spülen und entspannt sich.“ „Oh“, tönen meine Brüder. Ich sitze etwas teilnahmslos da und verstehe im ersten Moment nicht, warum die Beiden das nicht wussten, dann wird mir bewusst, dass ich das eigentlich auch nicht wissen konnte. „Das klingt toll!“, mische ich mich euphorisch mit ein. „Viel besser wie nur schnöde geputzt zu werden.“ Am Anfang dachte ich, dass das Dorf nur in der Schlucht ist, in der wir angekommen sind, aber inzwischen weiß ich, dass es noch weitere kleinere und größere Schluchten gibt. Diese gehören ebenfalls dazu und sind über kleine Pfade miteinander verbunden. Wir verlassen das Dorf an einer völlig anderen Ecke wieder; wenn ich mich nicht täusche, sind die Heiler ein, zwei Felsen weiter. Es geht einen schmalen Pfad auf einen der Bergkämme hoch. Das ist anstrengend und ich merke deutlich meine geprellten Rippen. Ich brauche eine kurze Pause und trete einen Schritt beiseite, um Schnuff vorbei zu lassen, der hinter mir läuft. Mein Bruder überholt mich, dann folgt Chief, der allerdings stehen bleibt. „Geht es?“, fragt er nach. Ich atme geräuschvoll aus und nuschle, dass es schon geht … irgendwie. „Es lohnt sich. Du wirst sehen, kaum im schönen warmen Wasser, wird es dir und deinen Rippen bessergehen“, munter mich Chief auf. Nach einigen weiteren Minuten kommen wir in eine Schlucht, die sanft abfällt und dann zu einer großen Hochebene wird. Wir stehen einen Moment mit großen Augen da und staunen, während die Blitza, die sich auf dem Weg zu uns gesellt hatten direkt weiterlaufen. Es gibt viele natürliche Wasserbecken auf der Ebene die unterschiedlich groß sind, und wohl auch unterschiedliche Tiefen haben. Die Luft wird dicker und schwerer, als wir auf der Ebenen ankommen, Wasserdampf hängt über dem Gebiet und bildet dichten Nebel. Zielstrebig läuft Chief zu einem Becken, etwas abseits. Wir folgen ihm und kommen an einem mittelgroßen Bassin an. Der fordere Bereich ist sehr flach, dort sind auch einige größere und kleinere Steine, dann geht es treppenartig immer tiefer. „Wie krass!“, tönt Scharte und hat die Nase schon fast im Wasser. Schnuff schleicht unsicher am Beckenrand entlang und sieht alles andere als begeistert aus. „Das ist doch bestimmt viel zu heiß.“ „Keine Sorge, das hat genau die richtige Temperatur“, versichert Chief und ist schon mit allen vier Pfoten im Wasser. Er läuft durch den flachen Bereich und geht weiter hinter, bis er bis zum Kragen im warmen Nass verschwindet. „Los!“ Scharte springt förmlich hinein und spritzt dadurch Schnuff voll, der wiederum zu nörgeln beginnt. Ich verdrehe die Augen und sehe zu Chilli, welche mit den Schultern zuckt. Wir gehen ebenfalls ins Wasser und Schnuff folgt uns schließlich zögerlich. Es ist so schön! Ich wünschte ich könnte das voll genießen, aber ich traue mich nicht so recht. Chiefs Aussage bestätigte sich, meine Rippen fühlen sich tatsächlich besser an; aber die Kratzer auf meinem Rücken, würde ich ungern richtig nass machen. So liege ich also im flachen Bereich, wo mir das Wasser gerade bis zur Brust reicht. Mein Kopf liegt auf einem Stein, der durch den Dampf ebenfalls schön warm ist. Chief holt einen Moment Luft und taucht komplett unter, was meine Brüder mit großen Augen zur Kenntnis nehmen. Als er wiederauftaucht, muss ich beinahe loslachen. Das flauschige Fell der Flamaras ist definitiv nur bedingt für Wasser geeignet – es hat sich vollgesogen und hängt dadurch herunter. Chief sieht aus, wie der sprichwörtliche begossene Pudel. Leon taucht auf und gesellt sich zu uns. Irgendwie bekommt das ganze langsam Freibad-Atmosphäre – fehlen nur noch ein paar betrunkene Halbstarke, die grölend Dosen durch die Gegend werfen bis der Bademeister auftaucht und sie rausschmeißt. Ich muss grinsen und hänge ein wenig meinen ‚neugewonnenen‘ Erinnerungen nach, während Leon und Scharte sich über das heutige Training austauschen – was natürlich voll krass, cool und klasse war. „Übrigens“, wendet sich Leon dann an Chief, „Tsubasa war bei mir.“ „Wer ist Tsubasa?“, frage ich verwirrt in die Runde. „Ein Bote, ein Vogel-Pokémon um genau zu sein“, erklärt mir das Blitza und wendet sich wieder dem Flamara zu. „Er hat gesagt, dass sich die Nachtara wieder auf den Weg machen.“ „Und wohin?“, fragt Chief etwas missmutig nach. Leon seufzt bevor er antwortet. „Zum Pyroberg.“ Eine unangenehme Stille macht sich breit, die von Scharte durchbrochen wird. „Und warum ist das so interessant?“ „Der Psinana-Clan lebt auf dem Pyroberg und die Nachtara sind der Meinung, dass er aber ihnen zu steht. Dieser Streit existiert schon ewig und flammt immer mal wieder neu auf und führt dadurch zu … großen Problemen“, erklärt Chief schließlich nach einigen Momenten. Große Probleme klingt nach der ‚netten‘ Umschreibung für Krieg. Irgendwie habe ich schon vermutet, dass das mit dem ‚alle leben friedlich Seite an Seite‘ nicht so ganz der Realität entspricht. „Und warum ist das für uns so wichtig?“, mischt sich Schnuff plötzlich ein. „Ich meine, was geht es die anderen Clans an, wenn die zwei sich streiten?“ „Nun, die Nachtara und die Psiana tauschen keine Jungtiere aus, was den Streit wahrscheinlich auch so lange schon am schwelen hält, aber alle anderen Clans tun es.“ Chilli seufzt und senkt den Blick. „Also werden entwickelte Jungtiere gezwungen, gegen eventuelle Verwandte oder Freunde zu kämpfen, die im anderen Clan sind.“ Wie grausam. Ich mag mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn ich Schnuff oder Scharte plötzlich gegenüberstehen würde und gegen sie kämpfen müsste … oder Missy und Mutter. Die Stimmung unter den Erwachsenen ist sichtlich angespannt wegen dem Thema und wir beenden das Bad nach einer Weile. Zurück im Dorf hauen wir uns die Bäuche beim Abendessen voll und gehen schließlich zurück in unsere Höhle. Auf dem Weg dorthin eröffnet uns Chief, dass wir morgen nach dem Frühstück weiterreisen, was bedeutet, dass wir uns auch von Scharte verabschieden müssen. Es drückt die Stimmung, auch wenn Schnuff und Chilli sich bemühen, es nicht zu sehr zu zeigen. Zurück in der Höhle kuscheln meine Brüder und ich uns zusammen und genießen unsere letzte gemeinsame Nacht. Während die Jungs einschlafen und auch Chief bereits im Land der Träume ist, bemerke ich, wie Chilli die Höhle verlässt. Ich sehe ihr nach und ringe mit mir. Mir muss keiner sagen, warum, oder wohl besser, zu wem sie schleicht. Im Grunde interessiert es mich nicht, generell bin ich uninteressiert am ‚Liebesleben‘ meines Umfelds, weil ich der Meinung bin, das jeder machen soll wie er denkt. Mir kommt aber der Gedanke, dass ich so vielleicht erfahren könnte, ob Chilli von ihrer ‚Abschiebung‘ weiß. Ich überlege und komme zum Entschluss, dass es mich nichts angeht und ich vielleicht gar nicht sehen möchte, was sich da eventuell noch zuträgt. Schnurrend schmiege ich mich an Scharte und schleiße die Augen. Kapitel 26: Realitäten ---------------------- Ich schlafe, tief und fest. Und es ist eigenartig, weil ich mir der Tatsache bewusst bin. Ich schlafe bewusst; wie auch immer das geht. Etwas stupst mich an, aber ich bin noch zu weit weg um es zu verstehen oder zu reagieren. Wieder werde ich gestupst und ich komme mühsam zu mir. Es ist dunkel, aber nicht so dunkel wie vorhin als ich eingeschlafen bin. Der Raum ist schwach von außen beleuchtet. Moment. Raum? Ich öffne die Augen weit und verstehe nichts mehr. Ich liege in einem Bett, meinem Bett. Neben mir schnarcht es vertraut und ich drehe mich in die Richtung. Da liegt mein Mann und schläft lautstark. „Mama?“ Was? Ich drehe mich wieder zurück und da steht mein Sohn. Er hat seine Decke dabei und ist offensichtlich aufgewühlt. „Hey“, flüstere ich und setzte mich auf. „Was ist passiert?“ „Ich hab‘ geträumt“, schnieft er. Das kenn ich schon. Mein Nachwuchs unterscheidet nicht zwischen Alptraum und normalem Traum. „Na komm rein.“ Ich klopfe auf den Platz zwischen mir und meinen Mann, weil ich keine Lust auf Diskussionen habe. Mein Sohn kommt zu uns ins Bett gekrabbelt und legt sich hin. Ich kuschle mich an ihn oder eher er an mich. Ich streichle seinen Kopf, seine weichen Haare. Während er friedlich wegdämmert verstehe ich nicht was passiert. Ich hatte ja schon einige Erinnerungen, aber das hier ist anders. Ich höre die Geräusche von draußen, der Raum ist vollständig und hat keine nebligen Ecken … Das hier ist real. Aber wenn das hier echt ist, was war das vorher? Habe ich geträumt? Nein, das kann nicht sein. Ich erinnere mich eigentlich nie an meine Träume und wenn, dann nur an wenige Sequenzen und nur für kurze Zeit nachdem Aufwachen. Aber ich weiß noch alles. Ich erinnere mich an die Eishöhle, an meine Pokémon-Mutter, an meine Brüder, an das blöde Schneppke. Ich erinnere mich, wie wir die Höhle verlassen haben, an den alten Mann mit den knackenden Knien. An den Schmerz als wir erfahren haben, dass wir unsere Familie verlassen müssen. Ich erinnere mich an Rod und wie er sich unter meinen Pfoten angefühlt hat, an die Überfahrt nach Seegrasulb City. Die Begegnung mit dem Magnayen, wie Scharte in den Fluss gestürzt ist, das Aquana, das ihn gerettet hat, alles noch da. Auch Leon und der Blitza-Clan. Die schreckliche Nacht, als die Knarcksel angegriffen haben ebenso. Die herzliche Josy, die sich um meine Verletzungen gekümmert hat. Das Gespräch mit Chief über Sandy und die Entscheidung über Schartes Zukunft. Alles ist da, klar und deutlich. Das ist verrückt. Ich liege da und lausche dem Schnarchen meiner Männer; statt dem Atmen meiner Brüder. Das ist alles unfassbar befremdlich. Ich bin glücklich und unglücklich, und das gleichzeitig. Ich wusste nicht, dass das geht. Während ich versuche meine Emotionen zu verstehen, dämmere ich weg. Ich öffne die Augen und der digitale Wecker befindet sich direkt in meinem Sichtfeld. 10:21 Uhr. Was?! Ich habe so lang geschlafen?! Ich setze mich direkt auf und fahre zusammen. Da ist ein hässliches Ziepen am Rücken und der Seite. Ich stehe auf und widme mich vorsichtig meiner Morgenroutine, danach geht es ins Wohnzimmer, wo ich strahlend begrüßt werde. Ich setze mich erstmal auf das Sofa, ein wenig ungelenk wie meinem Mann auffällt. „Alles in Ordnung?“, fragt er besorgt. „Keine Ahnung. Irgendetwas schmerzt“, erkläre ich. Natürlich muss mein Gatte sofort nachsehen. Feststellung: nichts. Trotzdem habe ich Schmerzen, ich schiebe es auf „komisch gelegen“ in der Nacht und gut. Aber es erinnert mich auch an die Verletzungen die ich im Kampf gegen das Kaumalat erlitten habe. Das ist absurd, ich bin, war?, kein Pokémon. Ich habe keine Ahnung, was das alles war, aber es war nicht echt. Ich kann doch kein Evoli gewesen sein, dass ist einfach nicht möglich. Der Samstag vergeht ohne irgendwelche Besonderheiten. Ich spiele mit meinem Sohn, wir gehen später Eis essen und haben einen schönen Familien-Tag. Alles ist wie immer, alles ist so, als wäre nichts gewesen. Ich bringe meinen Sohn am Abend ins Bett und mache es mir mit meinem Mann gemütlich. Egal wie schön der Tag war, irgendwie hatte ich die ganze Zeit dieses eigentümliche Gefühl, dass etwas fehlt. Es ist verrückt; ich habe mehrfach an meine Brüder denken müssen, und auch an Chief und Chilli. Und völlig bekloppt habe ich mich gefragt, ob es ihnen gut geht. Ich nehme mein Smartphone in die Hand und schreibe Joe: „Ich habe nicht mehr alle Tassen im Schrank.“ „Ich weiß“, kommt prompt die Antwort. „Warum dieses Mal?“ Ich tippe, dass ich einen merkwürdigen Traum hatte und ich die Personen aus dem Traum vermisse und mir Sorgen um sie mache. Jetzt wo ich es schreibe, wird mir noch bewusster wie bescheuert das ist. Vor allem, weil ich nicht wirklich glaube, dass es ein Traum war. Ich bekomme eine Antwort, die wahrscheinlich mehrere DIN A4 Seiten füllen würde. Beispiel-Träume, Erläuterungen darüber, dass dieses Gefühl durchaus normal ist, sich aber wieder verflüchtigen sollte über den Tag, und anderen Kram. Tja, der Unterschied zwischen Joe und mir ist aber, dass er ein Klarträumer ist und ich nicht. Ich erinnere mich spätestens nach einer Stunde nicht mehr an meine Träume. Warum ist es also bei dem so anders? Der Abend vergeht und ich verabschiede mich irgendwann ins Bett, während mein Mann noch fernsieht. Ich schlafe ein und es ist wie das letzte Mal: ich schlafe bewusst. Ich spüre, wie ich tiefer und tiefer sinke. Ich habe sogar den Eindruck, als würde ich mich lösen; von meinem Körper, vom Jetzt. Alles um mich herum löst sich auf. Irgendwo in der Ferne scheint etwas zu rufen. Es ist kein wirkliches Geräusch, eher ein Gefühl. Eine Energie, die mich leitet, die mich wegführt … Ich öffne die Augen. Glaube ich zumindest. Ich bin mir nicht sicher. Irgendwie ist es … leer? Zumindest ist das mein Eindruck: als würde ich mich in einem großen Nichts befinden. Es ist weder dunkel noch hell. Weder weiß noch schwarz. Es ist … leer. Ganz einfach leer. Es macht aber auch nicht den Eindruck als würde etwas fehlen. Mir kommt der Gedanke, dass es vielleicht so vor dem Urknall war. Der Moment in dem einfach noch nichts existierte und damit auch nichts fehlen oder da sein konnte. Der Schwebezustand des Seins, bevor er sich entscheidet, was es sein möchte. Und ich bin offenbar ein Teil davon, denn auch ich bin nichts. Zumindest habe ich keinen wahrnehmbaren Körper. Auch kann ich nichts von mir sehen; keine Hände, Füße oder Pfoten. Ich bin nichts im Nichts – was für ein eigenartiger Zustand. Doch plötzlich drängt sich etwas in dieses Nichts. Es sammelt sich spürbar Energie und ich bekomme Angst. Wenn das hier sowas wie der Urknall wird, was wird dann mit mir? Was passiert mit mir? Werde ich sterben? Weggeschleudert? Zerplatzen? Eine Präsenz scheint sich irgendwo vor mir zu materialisieren. Es bildet sich eine helle Kugel, die größer wird und ihre Struktur immerzu verändert. Sie wächst und wächst und bekommt dann eine Form. Sie leuchtet kurz auf und blendet mich für einige Sekunden. Als ich wieder sehen kann ist da … Ein Pokémon? Ich bin mir nicht sicher um ehrlich zu sein. Es ist weiß, hat vier Beine und einen langen Hals. Um seinen Bauch befindet sich eine merkwürdige Struktur, die mich warum auch immer, an Blitze erinnert. Ich habe das Wesen noch nie gesehen, aber es verströmt eine Aura von Macht und Erhabenheit. Dieses Wesen steht über allem, das muss mir keiner sagen. Ich glaube nicht an höhere Entitäten, aber müsste ich eine beschreiben, wäre ihre Ausstrahlung und energetische Erscheinung genau so. „Mein Kind, ich habe dich gerufen“, höre ich eine Stimme, die überall um mich herum und gleichzeitig in meinem nicht vorhandenen Kopf zu sein scheint. „Warum?“, frage ich stimmlos zurück. „Ich habe dich aus einem bestimmten Grund in meine Welt gebracht“, bekomme ich als Antwort. „Deine Welt?“ Ich bin verwirrt; wovon redet das Wesen? „Ich bin Arceus, der Schöpfer der Pokémon-Welt.“ Gut, dass ich nur Energie bin, sonst müsste ich mich jetzt erstmal setzen. Meine Gedanken laufen heiß. „Es war echt“, stelle ich schließlich ungläubig fest. „Natürlich“, bestätigt die allgegenwärtig Stimme, „Deine Welt und die dortige Familie, genau wie die Pokémon-Welt und die Familie dort.“ „Wie ist das möglich?“, frage ich unsicher und immer noch fassungslos. „Ich habe in meiner Welt einen Körper für dich geschaffen. Eine Hülle, die deine menschliche Seele beherbergen kann.“ Das meinte ich eigentlich nicht. Eigentlich wollte ich wissen wie Pokémon real sein können, aber ich vermute, dass ich keine wirkliche Antwort darauf bekommen werde. Offenbar existieren unsere Welten in parallelen Dimensionen oder so. Woher kann das aber irgendwer bei uns gewusst haben? Andererseits, weiß dieses Wesen vor mir von unserer, also warum sollte das nicht auch umgekehrt der Fall sein? „Verzeih mir, dass ich dich nicht früher eingeweiht oder gefragt habe“, beginnt die Stimme sich erneut zu bewegen. Denn ja, es fühlt sich so an, als würde sie wie Wellen durch das Nichts rollen. „Um meinen Fehler zu bereinigen, hast du nun die Wahl.“ „Eine Wahl?“, hake ich nach. Ich fühle mich nicht mehr schockiert und überrumpelt, nein, ich bin plötzlich alarmiert und misstrauisch. „Du kannst in deine Welt zurückkehren und dein menschliches Leben weiterführen. Oder du kehrst zurück zu deinem Pokémon-Körper.“ „Aber … was wird … aus meiner Familie?“ Ich bin mir nicht mal sicher, welche Familie ich eigentlich meine. Meinen Mann, mein Kind, oder meine Brüder und die Flamara. „Mit Dialga bin ich in der Lage, den Zeitfluss in deiner Welt völlig zum erliegen zu bringen“, erklärt Arceus. Was?! Ich bin schockiert! Nicht, weil die Zeit in meiner Welt offenbar angehalten werden kann, sondern, weil das ein Pokémon kann. Ein Pokémon! Etwas das es nicht geben sollte, kann die Zeit manipulieren! Wie verrückt ist das denn? Es erklärt zumindest, wie ich offenbar mehrere Monate nicht da sein konnte und trotzdem keine Zeit vergangen ist in meiner Realität. Trotzdem ist das kaum zu begreifen für mich. Mich überkommt mehr und mehr Unsicherheit. Ich habe den Eindruck, dass es irgendeinen Haken an der Sache geben muss. „Was passiert mit … mit Charly, wenn ich nicht in die Pokémon-Welt zurückgehe?“ Arceus sieht mich an, antwortet aber nicht. Die Reaktion lässt mich vermuten, dass meinem Evoli-Körper nichts Gutes erwarten wird. Was logisch scheint. So wie es das Schöpfer-Pokemon erklärt hat, ist dieser Körper speziell für mich gemacht worden. Ohne mich ist es eine leere Hülle. Eine seelenloses Etwas. Es wurde mit mir geboren und ohne mich … Mir wird übel, bei der Vorstellung, wie meine Brüder und die Flamara morgens aufwachen und mich tot oder komatös vorfinden. Ich betrachte Arceus. Es scheint wirklich die Zeit in meiner Welt angehalten zu haben, den Beweis hat es geliefert. Ich könnte ohne Bedenken zurück zu Charly, ein anderes Leben führen auf Zeit. Trotzdem bin ich eigentlich verleitet, zurück in meine Welt zu gehen. Der Grund ist wutbedingter Trotz, der sich in mir meldet. Ich war lang genug in der Pokémon-Welt um Verbindungen einzugehen, um Beziehungen herzustellen die mir wichtig sind. Ich wurde erst jetzt gefragt, weil die Chance hoch ist, dass ich aus Liebe oder Pflichtbewusstsein zu meinem Evoli-Ich zurückkehre. Es war ein perfider Plan. Oder? Eigentlich ist egal; ich fühle mich emotional erpresst, und das hasse ich zutiefst. Ich zweifle, an mir, weil ich manchmal überreagiere bei solchen Situationen, aber auch an den Intentionen und Beweggründen von Arceus und ich fühle mich außerstande eine Entscheidung zu treffen für den Moment. „Warum hast du mich in deine Welt geholt?“, frage ich mit fester Stimme. „Das sagte ich bereits, mein Kind: Es hat einen Grund“, tönt es durch das Nichts um uns herum. Toll. Das war eine sehr informative Auskunft. Danke für nichts. Ich ahne, dass ich keine Begründung bekommen werden, was mich noch mehr verunsichert. Ich bin immer so neugierig, aus gutem Grund: Ich fühle mich sicherer, wenn ich Dinge weiß oder verstehe. Das ist kontraproduktiv für die Situation Und gleichzeitig nicht. Ja, ich bin wütend, aber eben auch neugierig. Was mag der Grund sein, dass Arceus ein menschliches Pokémon erschaffen hat? Ich bekomme das Gefühl, dass ich eine Aufgabe erfüllen muss in der Pokémon-Welt. Ich spüre, wie der Widerstand in mir schwindet. Was mich absurder Weise noch etwas wütender macht. Ja? Nein? Pokémon? Mensch? Ich fühle mich zerrissen, wie den ganzen Tag schon. Und das würde ich weiterhin, wenn ich in meine Welt zurückkehre. Mit dem Wissen, meine Brüder und die Flamara im Stich gelassen zu haben, würde ich klarkommen müssen, für den Rest meines Lebens. Könnte ich das? Ich sehe Arceus an. „Ich kehre in deine Welt zurück“, sage ich schlicht. Kapitel 27: Miese Stimmung -------------------------- „Ich freue mich über deinen Entschluss“, spricht das göttliche Wesen. „Und ich verstehe deine Wut.“ Hätte ich ein Gesicht, würde ich jetzt sarkastisch die Augenbraue hochziehen oder es böse anfunkeln. Ich habe aber im Moment keins und so bleibt mir nur ein abschätziges „Hm“ übrig. Aber ich spüre, dass es Arceus ernst meint; es versteht meinen Frust über die Situation. „Ich hätte dich nicht in meine Welt geholt, wenn es nicht außerordentlich wichtig wäre und du wärst sicher nicht zu deiner Entscheidung gekommen, wenn ich dir keinen Anreiz dafür gegeben hätte“, erklärt es. Ehe ich noch etwas sagen kann, beginnt sich das Schöpfer-Pokémon vor mir aufzulösen. Und ich ebenso. Ich fühle, wie sich meine Energie wegbewegt, alles verschwimmt und es wird dunkel. Ich höre etwas. Mein Ohr zuckt und ich öffne blinzelnd die Augen. Es murmelt irgendwo, etwas tief und dann wieder etwas heller. Ich gähne und hebe den Kopf. Das Murmeln wird deutlicher, dass sind Chief und Chilli. Ich bin also tatsächlich zurück in der Pokémon-Welt. Unter mir bewegt es sich, plötzlich knallt etwas gegen meinen Kiefer. „Hey!“, beschwere ich mich sofort. „‘Tschuldigung“, nuschelt Schnuff und reibt sich den Kopf. Schnuff. Mein Herz zieht sich zusammen. Mein Blick wandert zu dem anderen braunen Knäuel neben mir. Scharte. Mich übermannen plötzlich die Emotionen; gute und schlechte gleichermaßen. Ich bin prinzipiell froh hier zu sein, aber die Art, wie man mich dazu gebracht hat stinkt mir. „Alles gut?“, fragt mich Chilli plötzlich. Ich sehe auf und erst da wird mir bewusst, dass ich wahrscheinlich ziemlich grantig aus dem Fell schaue. Ich könnte lächeln und so tun als ob, aber ich bin zu frustriert dafür. „Woah, hättest du in der Nacht so wie jetzt gerade geschaut, hättest du gegen das Kaumalat nicht kämpfen müssen; es wäre schreiend davon gerannt“, zieht Scharte mich. Ich drehe ruckartig den Kopf und funkle ihn finster an. „Halt die Klappe“, murre ich. „Schon gut“, schlägt er einen beschwichtigenden Ton an. „Das war ein Scherz, Quietschie.“ „Wir sind alle emotional etwas überlastet im Moment“, mischt sich Chief sich ein, „Da sollte man nicht alles so persönlich nehmen.“ „Schwester?“, fragt es vorsichtig von der Seite. Ich sehe Schnuff böse an, aber sein Zusammenzucken sorgt dafür, dass ich mich sofort schlecht fühle. „Tut mir leid“, entschuldige ich mich seufzend. „Ich hab‘ nicht sonderlich gut geschlafen.“ Ich sehe auf und zu Chief. „Ich habe das Gefühl, dass ich gar nicht wirklich geschlafen habe“, erkläre ich indirekt an ihn gerichtet. Der Anführer des Flamara-Clans mustert mich kurz und nickt kaum sichtbar. „Gehen wir erstmal frühstücken“, wendet er sich an alle. Wir verlassen die Höhle und machen uns auf den Weg. Ich seile mich etwas nach hinten ab. Meine Laune ist wirklich unterirdisch und die Gefahr groß, dass ich etwas sage, das ich entweder nicht so meine oder später bereue. Und mit dem Abschied von Scharte vor Augen, möchte ich das Risiko einfach etwas minimieren, dass das passiert. „Kleines?“ Ich bleib stehen und sehe auf. Chilli steht vor mir, ihre Sorge ist unübersehbar. Ich seufze. „Ich weiß das du es gut meinst, aber ich … ich bin echt nicht in der Stimmung dafür.“ „Ich verstehe das, aber manchmal hilft reden gerade dann, wenn man es eigentlich nicht möchte“, erklärt sie einfühlsam. Ich plustere genervt die Wangen auf; was an „ich will nicht“ hat sie jetzt nicht verstanden? Irgendetwas sagt mir, dass mich das Flamara nicht ohne wenigstens ein kleines Gespräch ziehen lassen wird, also ringe ich mir ein paar Worte ab: „Ich … Ich bin schrecklich frustriert im Moment.“ „Wegen Scharte?“, fragt sie vorsichtig. „Nicht nur. Eher wegen allem irgendwie.“ Ich versuche die Ereignisse in eine Reihenfolge und neutralformuliert zu bekommen. „Ich … Ich hätte irgendwie gern vorher von allem gewusst.“ „Vorher? Dazu müsstest du ein Psiana sein und Seher können“, versucht sich Chilli an einem Witz um mich aufzumuntern. Und ich muss tatsächlich kurz schmunzeln. „So meinte ich das nicht. Ich hätte gern früher von den Möglichkeiten gewusst“, versuche ich es anders zu vermitteln. Tatsächlich wird mir in dem Moment bewusst, dass ich irgendwie auch ein wenig sauer auf meine Pokémon-Mutter bin. Warum zu Teufel hat sie uns nie von den anderen Clans erzählt? Dass die Möglichkeit besteht, dass wir uns vielleicht nicht entwickeln können und dann womöglich woanders hinmüssen? Warum hat sie uns derart abgeschottet großgezogen? Ich merke, wie mein Frustlevel ein fast unerträgliches Maß erreicht. Arceus, der mich irgendwie erpresst hat, die Unwissenheit mit der unsere Mutter uns hat groß werden lassen, Scharte, den wir nun heute zurücklassen … Ich will gerade einfach nicht mehr. Vielleicht hätte ich doch in die Menschen-Welt zurückkehren sollen … „Es hilft nicht unbedingt, wenn man alle Möglichkeiten vorher kennt“, flüstert Chilli ein wenig traurig und weicht meinem fragenden Blick aus. „Ich wusste von meinen Möglichkeiten, das hat es mir aber weder einfacher noch erträglicher gemacht.“ Sie lächelt niedergeschlagen. „Ich hatte die Option hier zu bleiben und dem Clan womöglich immer eine Last zu sein, oder meine Familie und Freunde zurück zu lassen und in einem anderen Clan einen besseren Platz zu finden.“ Mir wird schwer ums Herz. Chilli weiß warum sie gehen sollte. Und ich versteh was sie meint: alle Optionen zu kennen macht es nicht einfacher sich zu entscheiden. Aber für meinen Disput mit Arceus hilft das nicht, weil die Situation eine völlig andere ist. Ich seufze und sehe das Flamara an. Wir lächeln uns schwermütig zu und gehen schließlich zur großen Höhle um unser Abschieds-Frühstück mit Scharte zu machen. Die Stimmung ist gedrückt und das liegt nicht nur an meiner Laune; hoffe ich zumindest. Selbst der Vielfraß Schnuff schaufelt nicht so wie sonst in sich hinein. Chief wirft mir einen Blick zu und steht dann auf. Er verabschiedet sich für einen Moment, er müsse noch etwas klären. Das Flamara geht und kurz danach stehe ich ebenfalls auf. „Ich brauch etwas frische Luft“, murmle ich und gehe unter den skeptischen Blicken der anderen ebenfalls nach draußen. Kaum, dass ich die Höhle verlassen habe, sehe ich mich um und entdecke Chief unweit von mir. Er deutet mit dem Kopf um die Ecke und verschwindet. Ich trotte ihm hinterher und komme an der etwas abseits und versteckt liegenden Nische an. „Was ist passiert?“, fragt er mich direkt und sieht mich besorgt an. „So kenne ich dich gar nicht.“ Ich sehe ihn an und ich weiß gerade nicht. Einerseits würde ich ihm gern an den Kopf werfen, dass er mich auch erst seit ein paar Tagen kennt und sein Satz damit einfach mal nichtssagender Quatsch ist, anderseits ist das eigentlich egal, weil es Wichtigeres gibt. Ich atme durch, sehe ihn an und hauche: „Ich war zu Hause.“ Chief runzelt die Stirn. „Du hast dich wieder erinnert?“, fragt er zurück. „Nein“, ich schüttle den Kopf. „Ich war wirklich zu Hause. Ich war bei meinem Mann und meinem Sohn. Ganz echt, ganz real“, blubbere ich drauf los. „Aber wie …?“, versucht er nachzufragen. „Ich war da, in meiner Welt, einen ganzen Tag“, erzähle ich weiter ohne seine Frage zu beachten oder ihn ausreden zu lassen. Das Flamara stutzt noch mehr. „Einen ganzen Tag? Aber du warst nicht weg.“ „Als ich in meiner Welt eingeschlafen bin, bin ich irgendwo anders aufgewacht. Irgendwo im Nichts und dann … dann … dann war da …“ Ich traue mich kaum, es zu sagen. Es ist so unwirklich, auch wenn eigentlich alles unwirklich ist. Aber das ist einfach so … so … so komplett drüber. Ich hole Luft und sehe das Clanoberhaupt fest an. „Da war Arceus.“ Chief macht groß Augen und sein Mund bleibt offenstehen; er glotzt mich an wie ein Karpador auf dem Trockenem. Wäre ich gerade nicht so frustriert und genervt, würde ich wahrscheinlich laut los lachen bei seinem Gesicht. Aber ich bin genervt und frustriert, daher sehe ich ihn einfach nur an. „Arceus?“, fragt er ungläubig. Ich nicke. Ich erzähle ihm, was mir das Schöpfer-Pokemon erklärt hat: dass es diesen Evoli-Körper extra für mich geschaffen hat und das ich offenbar irgendeine Aufgabe zu erfüllen habe. „Das ist … unglaublich“, flüstert das Flamara. Ich sehe ihm an, dass er nachdenkt, aber ich kann mich nicht wirklich konzentrieren, um irgendwas in seiner Mimik zu erkennen. Still hocken wir noch einige Momente in der Ecke, bis er wieder das Wort ergreift. „Gut. Wie gehabt bleibt das zwischen uns.“ Chief sieht mich eindringlich an und ich nicke. „Wir sollten zurück zum Frühstück“, erklärt er und geht los. „Ich bin satt und würde gern kurz für mich sein“, sage ich leise. Das Clanoberhaupt mustert mich. „Okay, aber nicht zu lange.“ Ich warte, bis er außer Sichtweite ist und dann sprinte ich los. Na ja, ich laufe eilig trifft es eher. Durch den Tag zu Hause habe ich fast vergessen, dass ich immer noch gehandicapt bin. Was sehr schmerzhaft war vorhin, als wir zum Frühstück gegangen sind und ich auf die blöde Idee kam, mit meinen Brüdern um die Wette zu laufen. Heute sind meine vorerst letzten Stunden mit Scharte und die will ich nicht in diesem Gemütszustand verbringen. Ich möchte, dass es trotz aller Traurigkeit, ein guter Abschied wird. Das bin ich Scharte schuldig. Und Chief auch irgendwie. Ich laufe den Weg entlang und bin glücklich, dass ich meinen guten Orientierungssinn offenbar auch als Evoli besitze. Ich erkenne alles wieder, auch wenn ich erst einmal hier langgelaufen bin. Zielsicher finde ich die Höhle zu der ich wollte. Ich betrete sie und sehe mich um. Nichts, keiner hier; zumindest nicht im Wartebereich. „Josie?“, frage ich vorsichtig Richtung Behandlungszimmer. „Oh je“, tönt es aus einem der Räume und im nächsten Moment taucht das Heiteira auf. „Ich …“, meine Stimme bricht und mir kommen plötzlich die Tränen, weil ich einfach nicht mehr kann. Das Pokémon kommt zu mir. „Schon gut“, sagt es beruhigend und nimmt mich sanft in seine Arme. Wahrscheinlich bin ich mental in einem so schlechten Zustand, dass es diesmal nicht gleich funktioniert, denn es dauert kurz, bis die Heilwoge ihre Wirkung entwickelt. Ich schmiege mich an das rosa Wesen und entspanne mich langsam. Ich spüre wie meine finsteren Gedanken sich ein wenig aufhellen. Nach einer Weile setzt mich Josie wieder ab und ich habe prompt ein schlechtes Gewissen. „Tut mir leid“, sage ich ehrlich und sehe zu der Heilerin auf. „Wofür entschuldigst du dich?“, fragt es mich verwundert. „Na ja, weil ich nur wegen der Heilwoge hergekommen bin und so“, gestehe ich. „Das ist irgendwie nicht nett von mir.“ Das Heiteira lacht und strahlt mich an. Es tätschelt mir liebevoll den Kopf. „Wir haben alle unserer Aufgaben. Und wenn wir sie nicht erfüllen, tut sie niemand. Und das wäre doch traurig, oder?“ Ich glotze Josie mit großen Kulleraugen an. Aufgaben, jeder hat seine Aufgaben. Irgendwie hilft mir dieser Satz von Josie gerade mehr, wie ihre Heilwoge zuvor. Josie hat ihre Aufgabe, Scharte hat seine gefunden und ich habe scheinbar auch eine, auch wenn ich noch nicht weiß welche. Und Arceus hat auch eine. Er ist das oberste Wesen dieser Welt und tut natürlich das, was für diese Welt das Richtige ist. Und wenn das bedeutet sicherzustellen, dass ich meine Aufgabe erfüllen, dann ist das so. So wie Josie mir einfach meinen Kummer genommen hat ohne zu fragen, hat das Schöpfer-Pokémon dafür gesorgt, dass ich zu meiner Aufgabe zurückkehre ohne zu fragen. Ich finde es zwar immer noch nicht gut, aber irgendwie verstehe ich Arceus` Vorgehen nun. „Danke, Josie“, strahle ich zurück. „Vielen Dank!“ Ich schmiege mich kurz an ihre Seite und dann husche ich davon, zurück zur großen Höhle. Kapitel 28: Bauchgefühl ----------------------- Zurück in der großen Höhle ist die Stimmung noch gedrückter wie vorher. Chief sieht mich kurz fragend an und scheint sich zu wundern, dass es mir plötzlich besser geht, sagt aber nichts. Dafür sieht Scharte inzwischen aus, als würde er in Tränen ausbrechen wollen. Er sieht immer wieder zwischen Schnuff und mir hin und her und seine Augen werden feucht. Mir bricht es fast das Herz ihn so zu sehen. Egal wie sehr wir alle wissen, dass es so richtig ist, es ist trotzdem schwer. Ich muss unwillkürlich an Chilli denken. „Hey ihr Fellnasen!“, tönt es plötzlich fröhlich, und passt damit so überhaupt nicht zur allgemeinen Stimmung. Wir drehen uns alle in die Richtung aus der die Stimme kommt und sehen Leon grinsend auf uns zu kommen. Direkt hinter ihm schreitet sehr würdevoll Leonore. „Guten Morgen“, grüßen wir fast zeitgleich die beiden Blitza mit ähnlichem gedrückten Ton; außer Chilli natürlich. „Na, du halbe Portion, freust du dich schon auf deine Zeremonie?“, fragt Leon meinen Bruder. „Zeremonie?“ Scharte sieht erst verdutzt aus, doch langsam schleicht sich ein Funkeln in seine Augen. „Klar!“, gibt das Blitza enthusiastisch von sich. „Wir müssen dich doch ordentlich in unseren Reihen willkommen heißen!“ „Oh“, stellen meine Brüder und ich zeitgleich fest. „Muss ich da irgendwas machen?“, fragt Scharte etwas unsicher. „Nein“, beruhigt ihn Leonore. „Es wird eine schöne Feier. Wir werden dich vor Beginn zu uns holen und dich hübsch mach.“ Ich muss unwillkürlich lächeln. Ich finde es schön, dass Scharte eine „Einweihungsfeier“ bekommt. So fühlt sich das ganze irgendwie besser und richtig offiziell an und nicht nur so „er bleibt hier und ist halt einfach da“. „Cool“, haucht mein Bruder ganz begeistert. „Was passiert da?“, fragt er Leon. Das Blitza grinst breit und öffnet den Mund, hält aber inne, als es den mahnenden Blick seiner Mutter im Nacken spürt. Er zwinkert meinem Bruder zu und schmunzelt. „Das ist eine Überraschung!“ Scharte ist offensichtlich froh über die Ablenkung von der schwierigen Situation und selbst Schnuff taut auf und zeigt reges Interesse. Zusammen versuchen sie etwas aus Leon heraus zu bekommen, während Chilli lächelnd daneben sitzt. Ich vermute mal ihre Freude rührt nicht von der Zeremonie her. „Ich müsste mit dir sprechen.“ Nanu? Ich sehe zu Leonore die sich an Chief gewendet hat. Aufmerksam mustere ich das Flamara und werde das Gefühl nicht los, dass er überrascht ist wegen dem scheinbaren Redebedarf der älteren Dame. Die beiden verlassen wortlos unsere illustre Runde. Irgendwas stimmt da nicht. Ich habe ein ganz merkwürdiges Gefühl bei der Sache. „Wir können zu den anderen Evoli in der Zwischenzeit gehen“, schlägt Chilli vor. „Au ja!“, freut sich Scharte. „Cleo und die anderen werden bestimmt auch da sein!“ Schnuff ist wenig begeistert von dem Vorschlag. „Ist das wieder Training?“, fragt er argwöhnisch. „Nein“, lacht Leon. „Auch wenn es schwer vorstellbar scheint; wir trainieren nicht ständig.“ Er stupst meine Bruder spielerisch. Cleo? Och nöööö. Der Gedanke behagt mir überhaupt nicht. Ich war doch nicht extra bei Josie um mir meine Stimmung von Leons Nichte wieder vermiesen zu lassen. Außerdem … Ich drehe mich um und sehe den beiden Clanoberhäuptern hinterher. Ja, ich würde gern noch Zeit mit Scharte verbringen, aber er ist nicht aus der Welt nach Heute. Aber das, was auch immer Leonore von Chief will, wird nur jetzt besprochen. Und mein Bauch sagt mir, dass es irgendwas Wichtiges ist. „Kleines?“, spricht mich Chilli an. Ich sehe sie an. Mist, ich muss mir etwas einfallen lassen um mich wegzuschleichen. „Komme“, sage ich und laufe den anderen hinterher. Chilli und Leon sind miteinander beschäftigt, Scharte freut sich darauf Cleo zu sehen; also ist die Chance, dass die mitbekommen, dass ich mich wegschleiche eher gering. Aber Schnuff sieht immer wieder zu mir, das wird ein Problem werden. „Schnuff?“ Ich bleibe stehen und warte das er zu mir kommt. Wie erwartet läuft der Rest einfach weiter. Gut so. „Hör mal, ich muss kurz weg“, erkläre ich. „Aber …“, stottert er. „Ich beeile mich“, verspreche ich. „Ich will doch nicht die Zeremonie unseres Angsthasen verpassen.“ Ich grinse so überzeugend wie ich kann. Schnuff wirkt unsicher, gibt sich aber schnell geschlagen. „,Okay“, nuschelt er und geht den anderen hinterher, sieht sich aber nochmal kurz nach mir um. Ich warte keine Sekunde, mache kehrt und eile Leonore und Chief nach. Tatsächlich scheinen die Evoli heute ihren freien Tag zu genießen; irgendwo, aber nicht hier. Überall sind ausschließlich Blitza unterwegs. Als braunes Knäuel zwischen dem ganzen Gelb bin ich auffällig wie ein bunter Hund. Mist! Ich ducken mich hinter einigen Felsen weg und versuche über Nebenstrecken den beiden auf den Fersen zu bleiben, ohne, dass sie mich bemerken. Sie halten etwas abseits an und ich pirsche mich so nah wie möglich ran. „… deutlich, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben“, sagt Leonore. „Ich stimme dir zu“, gibt Chief entspannt von sich. „Wir hatten noch nie ein Blitza in unserem Clan, das nicht aus tiefstem Herzen eins sein wollte; Scharte wird da keine Ausnahme werden.“ Das Blitza lächelt wohlwollend. „Nun zu der anderen Entscheidung die getroffen wurde“, wechselt sie das Thema, „Aber vorher …“ Ihr Blick wendet sich von Chief ab und geht … Zu mir?! Ich mache mich schlagartig noch etwas flacher, trotz fieser Schmerzen in der Seite. Nein, bitte nicht! Wenn die beiden mich bemerkt haben, dann bin ich so was von fällig. Chief sieht über seine Schulter, ebenfalls in meine Richtung, und nickt. „Du kannst rauskommen, Charly.“ Mir ploppen beinahe die Augen aus dem Kopf. Ich weiß auch gerade nicht, was mich mehr verstört, dass die beiden wissen das ich da bin, oder das Chief mich Charly genannt hat. Mir rutscht das Herz in meine nicht vorhandene Hose und ich schleiche mit gesenktem Kopf aus meinem Versteck. Bestimmt bekomme ich den Ärger meines Lebens. Angekommen traue ich kaum den Blick zu heben und mache mich instinktiv ganz klein. Ich könnte mich entschuldigen, aber das wäre irgendwie albern, da ich sie ja nicht „ausversehen“ verfolgt habe, sondern mit voller Absicht. Allerdings sehe ich abrupt auf, als ich Leonore amüsiert lachen höre. „Du hättest auch toll in den Psiana-Clan gepasst“, witzelt sie, „Das sind auch alles so neugierige Alleswisser.“ „Das kann man nicht abstreiten“, stimmt Chief mit einem leichten Seufzen zu. „Wir haben gute Neuigkeiten für dich“, erklärt Leonore. Huh? Was ist denn jetzt los. Ich sehe das Blitza verwirrt an und dann zu Chief, dessen Gesicht zu strahlen anfängt. Was zum Teufel …? Das Oberhaupt des Blitza-Clans wendet sich dem Flamara zu und verkündet: „Sam hat sich entschieden.“ Chief strahlt gleich noch etwas mehr. „Das freut mich.“ Ich brauche kurz, bis ich all die kryptischen Informationen zusammengesetzt bekomme. Wir lassen Scharte hier und … und ... bekommen … als Ausgleich … Nein! NEIN! Völlig entsetzt sehe ich zwischen den beiden hin und her. Ich merke, dass mir völlig die Mimik entgleitet und man mir mein Entsetzen wahrscheinlich recht deutlich ansehen dürfte. „Sam kommt mit uns?“, frage ich abgehackt. Ein wenig verdattert nicken die Clanoberhäupter. Sam? Sam?! Nein! Doch nicht Sam! Was habe ich verbrochen, dass ich damit gestraft werde?! Chief räuspert sich, keine Ahnung ob er damit versucht mich dazu zubringen mich zusammen zu nehmen, oder ob es eine Entschuldigung Leonore gegenüber sein soll; mir auch egal. Ich bereue zu tiefst, dass ich wieder in dieser Welt bin im Moment. Womit habe ich das verdient? „Das war es eigentlich auch schon“, erklärt Leonore hörbar verdattert. „Gut, du solltest nun zu deinen Brüdern“, spricht Chief mich an und deutet mit dem Kopf, dass ich verschwinden soll. Ich gehe, beinahe mechanisch setzte ich einen Fuß vor den anderen. Mir ist schlecht, gut das ich kein Frühstück hatte. Von allen Evoli, die hier herum laufen, musste es ausgerechnet Sam sein? Ausgerechnet der, der da diesen empfindsamen Nerv trifft bei mir? Plötzlich kommt Sorge in mir hoch. Ich bin ein Evoli, ein „Tier“, um es mal in einen Vergleich zu setzen; unterliege ich irgendwelchen spezifischen Instinkten? Bitte nicht! Ich werde durchdrehen, wenn sich herausstellt das so etwas wie eine Paarungszeit gibt und ich dann dem Hormonhaushalt meines Pokémon-Körpers unterworfen bin. Bereits jetzt habe ich den merkwürdigen Eindruck, dass die Sache mit Sam irgendwie meinem Jungtier-Dasein geschuldet ist. Außerdem würde das erklären, warum meine Brüder und ich keinen Vater haben. Und ich auch sonst lediglich Verliebte, aber nie komplette Familien sehe … Wie sieht die Struktur in den Clans diesbezüglich überhaupt aus? Ab wann ist man als Evoli überhaupt fortpflanzungsfähig? Sollte ich wirklich darüber nachdenken? Ich komme am Trainingsgebiet an, wo tatsächlich nicht trainiert wird heute. Evoli tollen herum und spielen. Es ist ein hübsches und friedliches Bild; interessiert mich aber einen Scheiß. Ich bin … wütend? Frustriert? Irgendwie eher beleidigt, auch wenn das keinen Sinn macht und völlig daneben ist. Sind das die Hormone? Bin ich in der Poké-Pubertät oder was ist hier los? Mein Blick schweift umher. Scharte ist, natürlich, bei Cleo, Chilli und Leon sitzen abseits und schäkern. Toll … genau das, was ich jetzt sehen will: turtelnde Verliebte. Schnuff fällt in mein Blickfeld und ich muss lächeln, aber nur, bis ich sehe wer bei ihm ist: Sam. Himmel, kann der nicht woanders sein? Nein, er muss ausgerechnet bei Schnuff sein und ihn so freundlich-frech angrinsen und so nett zu ihm sein … Moment! Ist das womöglich der Auslöser für diesen ganzen Zinnober meinerseits? Er ist nett, freundlich und zuvorkommend Schnuff gegenüber. Schnuff, der kleine zarte Schnuff, der mehr Welpe ist wie alle anderen, eher ein kleiner Bruder wie ein gleichaltriger … Habe ich Muttergefühle für ihn? Vielleicht. Wenn es meinen Mann nicht geben würde und ich würde erleben wie ein Mann mit meinem Sohn so umgehen würde, wie Sam mit Schnuff, würde mich das schon ansprechen … Oder ich denke völlig schief und meine Poké-Hirn denkt sich einfach: „Oh, schau, ein fürsorgliches Männchen, dass könnte doch ein toller Papa werden.“ „Schwester!“, ruft es mich fröhlich. Warum?! Ich sacke in mich zusammen. Jetzt muss ich darüber und … moah, nein. Ich will nicht! Muss ich auch nicht, wie ich im nächsten Moment merke. Schnuff ist auf dem Weg zu mir, mit Sam im Schlepptau. Ganz toll … Kapitel 29: Spiele spielen -------------------------- Schnuff strahlt mich an. „Schön, dass du endlich da bist.“ „Was die Frage aufwirft, wo du gewesen bist.“ Sam sieht mich scharfsinnig an, mit diesem leichten Schmunzeln im Gesicht. „Ähm …“ Tja, und nun? Was erzähl ich bloß? „Sie ist Chief und Leonore hinterher geschlichen“, erklärt mein Bruder völlig ohne Vorbehalte, bevor ich einen klaren Gedanken fassen kann. Ich sehe ihn an, mehr überrascht wie sauer. „Woher …?“ „Wo hättest du sonst hinwollen? So heimlich vor allem“, rechtfertigt er sich. Ja, ich bin platt. Manchmal vergesse ich, dass mein „kleiner“ Bruder zwar zart und sanft ist, aber alles andere als dämlich. Ich schmolle, weil ich mich ertappt fühle, und weil ich doof bin. „Ach was?“, amüsiert sich Sam. „Was gab es denn so Spannendes?“ Er legt den Kopf schief und sieht mich schelmisch an. Ich mustere ihn und dieses wissende Funkeln in seinen Augen lässt mich vermuten, dass er eine Ahnung hat, worum es bei dem Gespräch ging. Ich will nicht mit Sam darüber reden, dass er uns offenbar begleitet; keine Ahnung warum, aber ich will es einfach nicht. „Keine Ahnung“, flüchte ich mich in eine Halbwahrheit, „Sie haben mich bemerkt, bevor ich etwas hören konnte.“ „Ah, deswegen sahst du vorhin so geknickt aus“, vermutet Schnuff, „Du hast mal wieder ordentlich Ärger bekommen.“ „Mal wieder?“, hakt Sam belustigt ein. „Ist das so dein Ding? Heimlichkeiten machen und dann dafür Ärger bekommen?“ Woah. Gut das ich Fell habe, sonst hätte man mir jetzt beim Rotanlaufen zu sehen können. Ich versuche mir einzureden, dass das a) an meiner Vorliebe für Zweideutigkeiten liegt und b) an dem Umstand, dass ich erwachsen bin und dementsprechend irgendwie andere Assoziationen im Kopf habe. „Hab dich!“, brüllt es aus einiger Entfernung. Wir drehen uns alle zeitgleich um und beobachten, wie Scharte nachdem er ein mir unbekanntes Evoli „gefangen“ hat, direkt weiter sprintet. Mir dämmert, warum Schnuff und Sam abseits waren. „Die spielen Fangen“, stelle ich möglichst neutral fest. „Hm. Die haben mich ständig erwischt“, murmelt mein Bruder geknickt. Mir tut mein Bruder leid. Ich sehe kurz zu Sam, der den Kopf ein wenig in die andere Richtung neigt, um mich nicht anzusehen. Ich vermute mal, dass er schnell gemerkt hat, dass meinem Bruder auch das so überhaupt nicht liegt. Und damit er nicht allein ist, hat er ihm Gesellschaft geleistet; aber offenbar will er nicht, dass ich das weiß. „Es wäre toll, wenn Sam zum Flamara-Clan gehören würde“, sagt Schnuff gedankenverloren. Mir stellen sich die Nackenhaare auf. Wie kommt er denn jetzt so plötzlich auf den Gedanken? Ich sehe zu Sam, der mich schelmisch angrinst, aber nichts sagt. Ich sehe wieder weg und beobachte Scharte. Plötzlich kommt mir ein Gedanke. „Los kommt!“, fordere ich und laufe los. „Wo willst du hin?“, fragt Schnuff mich hörbar besorgt. „Wir gehen spielen“, antworte ich lachend. „Aber …“, stottert mein Bruder. „Ich denke, deine Schwester hatte gerade irgendeinen Geistesblitz“, lacht Sam und trottet uns nach. Unten bei den anderen angekommen ist die Fangen-Runde gerade zu Ende. Scharte sieht uns und freut sich sichtlich. „Da seid ihr ja!“ „Ja, da sind wir“, freu ich mich ein wenig zu überschwänglich zurück. „Wir würden gern mitspielen, aber eher kein Fangen.“ „Ach?“, fragt es von der Seite. Cleo sieht sofort zu Schnuff, der neben mir steht wie ein Schluck Wasser. „Ja, mit meinen Rippen ist Rennen keine gute Idee“, antworte ich bissig. Blöde Bitch! Wie kann man nur so wenig emphatisch und übertrieben eingebildet gleichzeitig sein? Im Gegensatz zu Cleo scheint Scharte langsam Lunte zu riechen, dass seine Herzdame und ich uns nicht unbedingt grün sind, also redet er schnell weiter: „Was schlägst du vor?“ „Wie wäre es mit Verstecken?“, frage ich grinsend. Scharte rümpft kurz die Nase. Ich weiß, dass er nicht gut im Versteck spielen ist, weder beim Suchen noch beim Verstecken, aber Schnuff ist ein großartiger Sucher. Und das weiß er. Ich sehe ihn also eindringlich und streng an und der Groschen fällt tatsächlich. Es klingt vielleicht doof, aber genau das bestätigt mich, dass es richtig ist, meinem blöden Bruder den Tapetenwechsel zu ermöglichen. Rücksichtnahme war nie seine Stärke, vor allem nicht Schnuff gegenüber, und nun erklärt er sich euphorisch bereit, Verstecken zu spielen, obwohl er es hasst. „Schnuff sucht als erster!“, tönt Scharte und grinst unseren Bruder an. Der weiß gar nicht wie ihm geschieht und blinzelt erstaunt, bevor er begeistert nickt. „Aber bis 20 zählen, weil Scharte und ich uns ja nicht so auskennen hier“, füge ich noch hinzu. Ja, Sam, ich sehe das du mich neugierig musterst, weil du offenbar sehr viel schlauer bist, wie die anderen hier und natürlich richtig vermutest, dass ich etwas im Schilde führe. Schnuff rollt sich zusammen, legt sich Pfoten und Schweif über die Augen, und beginnt laut zu zählen. Alle Evoli sprinten auseinander und eilen lachend davon. Ich drehe mich um die eigene Achse und versuche mir zu merken, welche Laufwege die anderen genommen habe. Anschließend warte ich kurz und laufe los, hin und her, schaue mich um, laufe zurück und in die andere Richtung, stehe wieder unschlüssig da, bis ich schließlich bei 12 erst tatsächlich losmache um mir ein Versteck zu suchen. Ich ducke mich unweit von Schnuff hinter einem Stein weg und muss grinsen. „Was genau, hast da gemacht?“, flüstert es ziemlich dicht bei mir. Erschrocken sehe ich nach hinten. „Wo …?“ Kommst du her, zum Teufel noch eins?! Sam liegt da halb hinter mir und sieht mich neugierig an und ich schwanke zwischen Entsetzen, Wut und Unverständnis, dass ich ihn nicht früher bemerkt habe. Er legt den Kopf schief und zieht eine Augenbraue fragend hoch. Ich seufze. „Okay. Schnuff ist kein guter Kämpfer, kein guter Renner, kein … eigentlich alles, was mit körperlicher Anstrengung zu tun hat liegt ihm nicht. Aber“, ich mache eine Pause und sehe zu meinem Bruder, der gerade fertig geworden ist mit Zählen, „Er hat die beste Spürnase die ich kenne. Ich würde meinen Pfote ins Feuer legen, dass er einer Duftspur selbst gegen den Wind meilenweit folgen könnte.“ Sam kommt bäuchlings weiter vorgekrochen und sieht neugierig um den Stein. Wir beobachten Schnuff, wie er mit der Nase über dem Boden einige Schritte hin und her macht, dann hält er inne, sein Ohr zuckt kurz und er grinst. Danach läuft er wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen los. Zielsicher findet er die ersten beiden Evoli. „Du hast ihm Fährten gelegt, wo die anderen sind“, murmelt Sam anerkennend. „Meinen Geruch kennt er, aber den der anderen nicht. Sagen wir, ich habe ihn die Startpunkte markiert“, erkläre ich grinsend. „Den Rest schafft er problemlos allein.“ Innerhalb weniger Minuten hat Schnuff alle gefunden, inklusive Scharte, mich und Sam. Und ja er ist stolz und freut sich, vor allem über die anerkennenden Worte der anderen Evoli. Selbst Cleo lässt sich zu einem „Nicht schlecht“ hinreißen. Ich lächle glücklich: Mission erfolgreich. Ruhige Spiele liegen den Mitgliedern des Blitza-Clans offenbar nicht, also geht es nach der zweiten Runde Verstecken wieder energiegeladener und rauer zu. Schnuff und ich suchen uns ein schattiges Plätzchen und werden, kaum, dass wir liegen, direkt von Sam aufgesucht, der sich ohne zu fragen zu uns setzt. „Ob wir beim Flamara-Clan auch eine Zeremonie bekommen?“, fragt Schnuff aus dem Nichts. „Soweit ich weiß, ja“, sagt Sam. „Oh, was passiert da?“, hakt mein Bruder direkt neugierig nach. Sam lacht. „Wenn ich es verrate, ist es keine Überraschung mehr.“ Ich muss Schmunzeln, den Spruch haben wir schon einmal gehört. „Gibt es bei den Flamara eine Prüfung?“, erkundigt sich Schnuff weiter. Ich sehe wie Sam meinen Bruder mustert. Und ich sehe ihm dem Schalk im Nacken förmlich an, als er mir kurz zuzwinkert. „Oh ja“, sagt er und nickt. „Bestimmt sogar. Es muss immer eine Prüfung gemacht werden, um zu beweisen, dass man würdig ist.“ „Was?!“ Schnuff ist sichtlich schockiert. „Aber … aber … Scharte …“ „Hat sich auch bewiese“, erkläre ich wie selbstverständlich. „Er hat das Kaumalat fertiggemacht. Ich meine, wenn das kein Beweis ist, dass er würdig ist dem Blitza-Clan anzugehören, dann weiß ich auch nicht.“ Mit schockiertem Blick sieht mein Bruder zwischen Sam und mir hin und her, bis wir beide lachen müssen. „Ihr seid doof!“, beschwert er sich daraufhin und schmollt. Während ich das Lachen bereue, weil es fies in der Seite sticht, taucht Scharte unvermittelt auf. „Ich habe meinen Namen gehört?“ „Ja, ich habe gerade erzählt was für ein Blödmann du bist“, sage ich grinsend. „Und wie lieb wir dich haben“, füge ich an, bevor er dazu kommt etwas zu antworten. Ihm ist mein „Liebesgeständnis“ sichtlich unangenehm und er räuspert sich. Zwei Blitza tauchen auf, eins davon ist Lucy, das andere kenne ich nicht. „Da bist du ja“, lächelt Lucy und sieht Scharte fröhlich an. „Komm, wir müssen dich hübsch machen“, flötet das andere. Plötzlich steht Cleo mit auf der Matte. „Mama, darf ich mit?“ Mama? Ich grinse und sehe meinen Bruder an, dem der Umstand, dass er scheinbar von der Mutter seiner Herzdame „hübsch gemacht“ wird, so gar nicht behagt. „Nein, mein Schatz“, wiegelt Cleos Mutter streng ab, „Du kennst die Vorschriften.“ Alles Schmollen und Nörgeln hilft nichts, Cleo bleibt zurück, während ihre Mutter und Lucy mit Scharte verschwinden. „Da seid ihr“, tönt es plötzlich. Wir sehen uns im Verbund um. Chilli kommt gerade zu uns, gefolgt von Chief der merkwürdig schmunzelt, als sein Blick mich und Sam erhascht. „Die Zeremonie beginnt bald, also versammeln sich alle in der großen Höhle“, erklärt Chilli. Wir machen uns also auf die Pfoten, genau wie die anderen Evoli. Unterwegs tauchen auch mehr und mehr Blitza auf, die offensichtlich dasselbe Ziel haben wie wir. Angekommen in der großen Höhle gehen mir die Augen über. Alles ist geschmückt und sieht unfassbar festlich aus. Es hängen Blumengirlanden und Ranken unter der Decke, kunstvolle Laternen stehen überall, bunte Moose wurden platziert und es wirkt eher so, als wären wir … „Ein bisschen wie im Wald“, flüstert Schnuff. „Ja“, stimme ich erstaunt zu. „Wie haben die Blitza das alles hierhergeschafft?“ Wir sind auf einem Berg, im Umland habe ich absolut nichts Grünes gesehen; woher stammt das alles also? Und dann auch noch die kurze Zeit; heute Morgen war hier noch nichts. Das ist wirklich erstaunlich und kaum zu glauben. „Das ist verrückt“, stelle ich begeistert fest. Schnuff tapst staunend umher und als er weit genug weg ist, scheint jemand seine Chance zu wittern. „Hör mal“, werde ich von der Seite angesprochen, „Was ist los mit dir?“ Ich sehe neben mich und da hockt Sam. Toll, ganz toll. „Was soll sein?“, frag ich kühl zurück. „Du bist ziemlich grantig“, stell er unverblümt fest und sieht mich schief an. „Und?“, zicke ich zurück. „Vor ein paar Tagen warst du nicht so“, säuselt er fast süßlich und grinst frech. Vor ein paar Tagen wusste ich auch noch nicht, dass ich ein Mensch bin und eigentlich in meiner Welt sein sollte. Und Arceus hat mich ausgetrickst und anschließend erpresst. Und ich weiß, dass du uns in die Wüste begleitest, was ich mal so überhaupt nicht möchte. „Kann sein“, seufze ich. „Jetzt mit der Zeremonie ist das plötzlich alles so real, dass Scharte hierbleibt und so.“ Sam sieht sich in der Höhle um. „Hm, möglich, aber …“ „Aber was?“, murre ich. Sein Blick geht wieder zu mir, er mustert mich eingehend. „Weiß nicht. Irgendetwas sagt mir, dass es etwas Anderes ist.“ Du schlauer Fuchs. Irgendwie verstehe ich, dass er nicht unbedingt im Blitza-Clan bleiben möchte. Nein, ich will nicht sagen, dass ich die Blitza als „dumm“ einschätze, aber ihre Qualitäten liegen nicht unbedingt in dem Bereichen Intelligenz und „Zwischen den Zeilen“ und „um die Ecke denken“, wie man an Cleo und auch ein bisschen an Leon sieht. Aber ich kann nicht die Wahrheit sagen. Nicht nur, weil ich es Chief versprochen haben, sondern, weil mir mit Sicherheit niemand glauben wird. Eher werde ich als Irre abgestempelt. Also … „Ich kann es dir nicht erklären“, versuche ich ihn zu beschwichtigen. „Warum?“, hakt er unverblümt weiter nach. Lass mich doch einfach in Ruhe! Ich seufze und brumme und lasse den Kopf hängen. Komm schon Gehirn, arbeite mit! „Ich habe es jemandem versprochen, der mir sehr wichtig ist“, erkläre ich und sehe Sam fest in die Augen. Er beobachtet mich einige Zeit, als wolle er wirklich sichergehen, dass ich ihn nicht anlüge. „Okay.“ „Okay?“, frage ich überrascht. „Ja. Okay.“ „Du nervst mich deswegen und jetzt ist es einfach okay?“ Ich sehe ihn ungläubig an. Sam grinst, zwinkert mir zu und geht einfach weg. Ich bleibe verdutzt und sprachlos zurück. Was war das denn jetzt wieder? Ich werde einfach nicht schlau aus diesem Evoli. Ein Raunen geht durch die Höhle und ich sehe mich um. Leonore hat gerade den Felsvorsprung betreten, die Zeremonie beginnt offensichtlich. Ich husche schnell zu Schnuff und den Flamara. Kapitel 30: Willkommen ---------------------- Eine ehrfürchtig Stille breitet sich aus und alle Augen sind auf das Clanoberhaupt gerichtet. Sie lässt ihren Blick gewichtig über die Pokémon schweifen, als ob sie sicherstellen will, dass die Aufmerksamkeit vom jedem bei ihr ist. „Wir haben uns hier versammelt“, beginnt sie schließlich und scheint mit jedem Wort mehr zu strahlen, „um Scharte in unserer Mitte willkommen zu heißen. Vom fernen Glaziola-Clan beschritt er einen Weg, der ihn eigentlich zum Flamara-Clan führen sollte. Aber ein Wink des Schicksals zeigte ihm und uns, dass es eine andere Möglichkeit gibt. Mit den Tugenden unseres Clans ausgestattet, mit Mut, Entschlossenheit und Stärke, entschied er selbst, dass er ein strahlendes und stolzes Mitglied in unseren Reihen werden möchte.“ Ich merke, wie mir die Tränen kommen, als Cleos Mutter und Lucy meinen Bruder hereinführen. Scharte ist mit gelben und weißen Blüten geschmückt, die die Farbe seines neuen Clans repräsentieren. Es sticht in meinem Herzen, gleichzeitig freue ich mich für ihn. Es ist schwer das alles, diese ganzen widersprüchlichen Gefühle, irgendwie zu erklären oder zu fassen zu bekommen. Ein kleiner Wirbelsturm scheint alles immer wieder durcheinander zu bringen. Mir kommen mehr und mehr die Tränen und ich muss schniefen, und dann kurz leise lachen, als ich sehe wie mein Bruder aufgeregt und gleichzeitig schrecklich nervös zwischen den Blitzas steht. Sein Blick huscht hektisch hin und her, von den versammelten Pokémon zu Leonore, zu Lucy, zu Cleos Mutter wieder zu seinem neuen Clan. „Willkommen!“, tönt es plötzlich aus der Versammlung. Dann das nächste Pokémon und dann immer mehr und mehr. „Willkommen“ Wieder und wieder. Es wird ein richtiger Singsang, der von den Wänden widerhallt und zu einem kräftigen, wellenartigen Kanon anschwillt. Plötzlich beginnen erst einzelne, dann immer mehr Blitzas zu leuchten. Sie scheinen sich aufzuladen. Ich habe ja nun schon einige Male gesehen, wie es aussieht, wenn sie sich für eine Elektro-Attacke aufladen; dass hier ist irgendwie anders, heller und weicher. „Woah“, tönt es neben mir ängstlich. Schnuff legt den Rückwärtsgang ein und verkriecht sich halb unter Chilli. Unruhig beobachtet er das Geschehen aus seiner Deckung heraus. „Keine Angst“, schmunzelt Chief, ohne den Blick von dem Spektakel abzuwenden. Ein freudiges Funkeln ist in seinen Augen zu erkennen und eine leichte Nostalgie. Chilli beugt sich zu meinem Bruder, der zwischen ihren Vorderpfoten hockt. „Das ist ungefährlich“, flüstert sie. „Und gleich wird es ganz toll werden, versprochen.“ Aus ihrer Stimme ist die Begeisterung deutlich herauszuhören. Irritiert runzle ich die Stirn. Was wird toll? Aber bevor ich fragen kann, beginnen die Pokémon zu singen und die ersten Blitze zischen gen Höhlendecke. Ich sehe zu meinen Brüdern, die genauso perplex und irritiert wirken wie ich. Im nächsten Moment gehen mir die Augen über vor Erstaunen. Die Blitze sind augenscheinlich koordiniert und scheinen dem Gesang zu folgen. Ich habe den Eindruck, dass die Lichtbögen und Blitze und die daraus resultierenden Schatten, richtige Formen und Figuren nachbilden. Und, dass das irgendwie zum Text gehört. Ich verstehe aber kein Wort, da es sich um eine Art Fremdsprache zu handeln scheint. Mit den Licht- und Schatteneffekten und der eigenwilligen Sprache fühle ich mir irgendwie an Druiden erinnert, keine Ahnung warum. Das Lied ist sehr melodisch und kraftvoll und hört sich toll an, aber ich verstehe inhaltlich leider nichts. Als die Lichtshow vorbei ist umringen die Blitza und Evoli meinen Bruder. Sie heißen ihn jeder persönlich willkommen und drücken ihre Freude über seine Entscheidung aus. Mir kommen direkt wieder Tränen bei dem Anblick. Himmel, bin ich nah am Wasser gebaut heute. Einen Augenblick habe ich den Impuls zu Scharte zu gehen, der ein wenig überfordert mit allem wirkt. Ich will ihm beistehen und ihm helfen, wie ich es eigentlich tun würde. Aber im nächsten Moment ist da Cleo. Sie hat sich durch den Pulk gewühlt und hockt jetzt stolz an seiner Seite. Sie erzählt allen von der Nacht des Angriffs, wie mein Bruder ohne jede Kampferfahrung ganz allein ein Kaumalat platt gemacht hat und wie gut und schnell er neue Attacken lernt. Offensichtlich ist sie sehr stolz auf ihn und lässt jeden daran teilhaben. Ich schwanke zwischen Lachen, Würgen und ein wenig Eifersucht. Ich muss Grinsen, weil Scharte extrem verlegen wirkt wegen Cleos Lobhudelei. Gleichzeitig kommt mir die Galle hoch, weil Cleo halt einfach Cleo ist. Und ja, mein Schwester-Mutter-Herz verkraftet den Anblick, wie da jemand anders „meinen Platz“ einnimmt, nur sehr, sehr schwer. Wahrscheinlich hauptsächlich wegen Punkt zwei, ziemlich sicher sogar. „Es muss sich gut anfühlen, endlich angekommen zu sein“, flüstert es schwermütig neben mir. Verdutzt drehe ich den Kopf und sehe Sam, der plötzlich wieder neben mir hockt. Ich blinzle verwirrt, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn richtig verstanden habe. Außerdem wirkt er irgendwie anders; melancholisch und in sich gekehrt. Im nächsten Moment dreht er den Kopf zu mir und lächelt, als wäre die Traurigkeit eben nie da gewesen. „Ich freu mich schon bald zum Flamara-Clan zu gehören.“ Er grinst frech und wirkt so, wie ich ihn kennengelernt habe. Mir wird flau im Magen und im Herzen. Ich bemühe mich meine Mimik im Griff zu behalten, um ihm nicht zu zeigen, dass ich Mitleid habe. Ich war so mit mir und meinem Gefühlschaos und innerlichen Ärger beschäftigt, dass ich gar nicht darüber nachgedacht habe, was es für Sam bedeutet zu gehen und vor allem warum er sich so entschieden hat. Niemand verlässt leichtfertig seine Familie, so wie Scharte sich ja auch schwer tut mit allem. Da Sam aber die ganze Zeit so gewirkt hat, als wäre das alles kein Problem für ihn, habe ich nicht darüber nachgedacht. Mir fallen Chillis Worte wieder ein: „Alle Optionen zu kennen macht die Entscheidung nicht einfacher.“ „Was war das für ein Lied?“, mischt sich Schnuff plötzlich von der Seite ein und unterbricht meine Gedanken. „Das Lied ist uralt“, erklärt Sam. „Die Sprache spricht und versteht eigentlich niemand mehr. Wir nennen sie die Alte Sprache.“ „Ihr singt ein Lied, ohne dass ihr wisst worum es geht?“, frage ich ungläubig nach. Sam lacht und schüttelt den Kopf. „Ganz so ist es nicht. Der Inhalt wurde und wird von Generation zu Generation weitergegeben. Es geht um den Mut und die Kampfkraft der Blitza. Um das, was unseren Clan auszeichnet und jedes Mitglied anstreben sollte“, erklärt er mit leichter Wehmut in der Stimme. „Deswegen wird es bei allen Zeremonien gesungen, auch zur Begrüßung der Neugeborenen und neuer Mitglieder. Sie sollen dadurch mit den Tugenden des Clans geweiht werden und man bittet dadurch Arceus sie zu segnen und zu leiten.“ Mir läuft kurz ein Schauer den Rücken hinunter, bei der Erwähnung des Schöpfer-Pokémons. Und ein absurder Gedanke formt sich in meinem Kopf: hat jemand mit einem Gebet dafür gesorgt, dass ich hier bin? Hat jemand Arceus um Hilfe bei etwas gebeten, wofür er mich dann hierher gebracht hat? Aber wer? Und die wichtigste Frage ist immer noch: wofür? Was ist so wichtig, dass es diesen immensen Aufwand dafür braucht? „Hey“, ruft es erstickt. Wir drehen alle unsere Köpfe und sehen Scharte, der sich zu uns durchkämpft. Er wirkt überfordert und glücklich. Die Blüten sind ganz durcheinander und teilweise abgefallen; mein Bruder sieht aus, als hätte er eine wilde Party gehabt. „Habt ihr das gesehen? Das war ja krass!“, blubbert er los, nachdem er es endlich zu uns geschafft hat. Wir lachen und strahlen uns an. Schnuff, Scharte und ich kuscheln uns einem Moment aneinander. Wir verdrängen, was uns wohl bald bevorsteht einfach noch ein wenig. „Ich wünsche dir vom Herzen alles Gute“, sagt Chief mit einem warmen Lächeln und stupst meinen Bruder. Chilli tut es dem Clanoberhaupt gleich und berührt Scharte kurz mit der Nase. „Pass gut auf dich und meinen alten Clan auf.“ Mein Bruder lächelt breit mit Tränen in den Augen, bekommt aber kein Wort heraus und nickt einfach. I feel you, Bro, ich habe auch einen dicken Knoten im Hals. Die langsam aufkommende Stille in der Höhle unterbricht ein markantes Räuspern. Alle Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf die Anhöhe, auf der Leonore steht. Wieder, oder immer noch. Ich war so abgelenkt von allem, dass ich das grade nicht sagen kann. „Es gibt noch eine weitere Bekanntmachung“, beginnt das ehrwürdige Blitza. „Sam hat sich entschieden, den freigewordenen Pfad zu nutzen. Er wird unseren Clan verlassen und einer strahlenden Zukunft im Flamara-Clan entgegen schreiten.“ Ich habe den Eindruck einen Stein in meinem Magen zu haben. Mir fällt Sams traurige Stimme vorhin wieder ein. Und, mir fällt auf, dass viele Blitza und Evoli nicken oder wissende Blicke austauschen. Offenbar ist niemand überrascht über seine Entscheidung. Einen Moment habe ich das unbändige Bedürfnis meine aufkeimende Wut laut in die Runde zu brüllen. Zu rufen, dass sie sich schämen sollten einen der ihren wegzugeben, nur, weil er nicht in ihr Schema passt. Ich hole tief und angestrengt Luft durch die Nase und schlucke meine Worte hinunter, wo sie sich zu dem fetten Stein in meinem Magen gesellen. Natürlich weiß ich, dass es wichtig ist, dass dieser Clan hier wie ein Uhrwerk funktioniert; trotzdem grämt und schmerzt es mich. Mein Blick geht zu Sam, der unweit von mir zwischen zwei Blitza sitzt. Eines leckt ihm in mütterlicher Manier über den Kopf und das andere stupst ihn. „Es war bestimmt die richtige Entscheidung“, flüstert es mit rauer Stimme. „Egal was passiert, dass hier wird immer dein zu Hause sein.“ Ich drehe den Kopf weg und versuche nicht wieder in Tränen auszubrechen, während sich die Blitza und Evoli auf den Weg machen sich zu verabschieden. Bilder und Emotionen von unserem Abschied von Mutter und Missy suchen mich heim. Von der Traurigkeit und Verzweiflung die ich empfunden habe, als sie am Horizont immer kleiner wurden. Und auch die Gefühle, die mich mit meiner menschlichen Familie verbinden überrollen mich. Mein Mann, mein Kind – gefangen in einer Stase, weil ich hier in der Poke-Welt rumgurke. Sie können mich nicht vermissen; aber ich sie. Zu wissen, dass man nicht vermisst werden kann, fühlt sich seltsam falsch an, egal wie unsinnig das ist. Ja, Sam hat sich selbst dafür entschieden und wusste was passieren wird, aber leichter dürfte es deswegen nicht sein. Ich wusste auch was es heißt, hierher zurück zu kehren, trotzdem nagt es tief unten an meinem Herzen, dass ich meine menschliche Familie „zurückgelassen“ habe. Ich beginne mich wegen meinem Verhalten von heute zu schämen. Sam hat ebenfalls einen schweren Abschied vor sich gehabt und ich war so doof zu ihm. Lässt sich jetzt natürlich nicht mehr ändern, aber ich sollte mich bei Gelegenheit bei ihm entschuldigen. Ich sehe zu Sam und sehe viele betroffene Gesichter um ihn herum. Augenscheinlich werden ihn einige hier vermissen. Ich höre, wie einige Evoli, darunter Gai und Cleo, sich mit bedrückter Stimme verabschieden und ihm alles Gute wünschen. Eines der Blitza bringt seinen Respekt für Sams Entscheidung zum Ausdruck und meint, dass dieser Mut, auch schwierige Entscheidungen zu treffen, etwas ist, dass dem Clan eigen ist und er sich immer daran erinnern soll. Ich sehe wieder weg, ich ertrage das gerade überhaupt nicht. Mein Blick fällt auf Chilli, die sich in eine Ecke zurückgezogen hat. Sie sitzt allein dort und wirkt traurig. Mehr als offensichtlich kämpft sie mit ihren Emotionen. Die Zeremonie dürfte auch bei ihr Erinnerungen wecken. Und mit Sicherheit auch nicht die von der guten Sorte. Leon taucht in der nächsten Sekunde auf und nimmt sich ihrer an. Er drückt seine Stirn gegen ihre und redet leise auf sie ein. Im Hintergrund verstreuen sich einige der Pokémon und machen Platz. Es wird ein Festmahl aufgetafelt, dass einem schon beim Ansehen das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Schnuff strahlt über das ganze Gesicht und im nächsten Moment knurrt sein Magen laut. Wir müssen alle lachen und die Stimmung hellt sich ein wenig auf. Während wir zum Essen laufen nutze ich die Chance und spreche Sam an. „Hör mal, wegen heute …“, murmle ich. Mein Blick geht kurz an ihm vorbei und ich sehe seinen Vater, der zu uns rüber sieht. Im nächsten Moment ziert ein mir bekanntes Schmunzeln, dass zwischen amüsiert und wissend liegt, dessen Gesicht. Ich straffe mich innerlich und lenke meine Aufmerksamkeit wieder zu unserem neuen Reise-Mitglied. „Tut mir leid, dass ich so … So … So blöd war heute.“ Sam mustert mich einige Sekunden und schmunzelt dann wie sein Vater eben. „Nicht weich werden“, zieht er mich auf und legt den Kopf schief. „Pfft.“ Spielerisch beleidigt strecke ich ihm die Zunge raus und schreite hocherhobenen Hauptes weiter. Als ich ihn hinter mir lachen höre wird mir etwas leichter ums Herz. „Zisch und Wusch, Blitz und Sturm, ein Blitza geht immer nach vorn“, singen meine Brüder und ich lachend mit. Die Party ist sehr ausgelassen. Offenbar handhaben es die Blitza nach dem Motto „Work hard, play hard“, denn es wird laut gesungen und gefeiert. Einige Songs, die zum Besten gegeben wurden sind sehr malerisch, beschreiben den Kraterberg am Horizont oder grüne, saftige Täler. Andere Lieder waren sehr typisch für den Clan: Große Schlachten und Kämpfe, stilvoll vertont. Andere sind eher simpel und lustig. Wie das jetzt gerade. „Kling und Klirr, Kinese und Fusion, ein Psiana ist immer auf Kollision“, singen wir recht sicher mit, weil der Song inzwischen zum fünften Mal durch die Höhle schallt. „Pling und Platsch, Tropfen und Wasser, nur ein Aquana ist noch blasser.“ Die Stimmung ist gelöst und heiter, gut genug, dass ich Cleos Gegenwart problemlos ertrage. Sie hat sich, natürlich ungefragt, zu uns gesetzt. Oder besser: sie hat sich wieder an Schartes Seite positioniert. Sam neben mir summt, singt aber nicht mit und wirkt etwas abwesend und gedankenverloren. Chilli scheint sich wieder gefangen zu haben und genießt die Feierlichkeiten ebenfalls; sehr zu Leons Freude. „Sand und Stein, Flamme und Smog, ein Flamara ist immer Snob. Mond und Stern, Spuk und Pauke, nur ein Nachtara macht keine Laute. Wasser und Stein, Eis und Schnee, ein Glaziola zwingt nur Sonne in die Knie.“ Der Song ist eigentlich ziemlich dämlich, aber die Melodie eingängig und das animiert zum Mitsingen. „Baum und Erde, Blatt und Solar, ein Folipurba ist floral. Mond und Schein, Schleife und Flaum, ein Feelinara ist nur ein Traum.“ Die Zeit vergeht wie im Flug und für uns ein wenig unvorbereitet wendet sich Chief an uns. An seinem Gesicht kann man bereits erahnen, was jetzt kommt. „Wir haben noch einiges an Weg vor uns“, sagt er schlicht und etwas gedrückt. Kapitel 31: Mutterherz ---------------------- Die anderen Evoli und Blitza ziehen sich still zurück. Selbst Cleo zeigt sich von ihrer guten Seite und verschwindet wortlos. Mit jedem Schritt den wir auf Scharte zu machen, werden seine Augen größer und feuchter. Schnuff bricht bereits vor dem ersten Wort in Tränen aus und ich muss mich arg zusammen nehmen, um es ihm nicht gleich zu tun. Stattdessen versuche ich mich möglichst positiv zu zeigen. Ich gebe Scharte eine liebevolle Kopfnuss. „Wehe, du bist kein großer Krieger, wenn wir uns wieder sehen“, flüstere ich. Er lacht schluchzend. „Fest versprochen“, haucht er heiser. „Wir wünschen dir alles Gute“, erklärt Chief mit einem Lächeln, das zwischen Trauer und Stolz schwankt. Schnuff sagt nichts. Er weint wie ein Schlosshund und kuschelt sich an unseren Bruder. „Es wird in Nullkommanichts so sein, als wärst du schon immer Teil dieses Clans gewesen“, prophezeit Sam mit einem aufmunternden Grinsen. „Du wirst das beste Blitza werden, das man sich vorstellen kann.“ Chilli lächelt und nickt zustimmend. „Du wirst es hier guthaben. Das kannst du uns glauben.“ Scharte nickt und versucht tapfer nicht zu weinen. „Sam?“, fragt es leise von der Seite. Gai steht da, traurig, ringt sich aber trotzdem ein Lächeln ab. Ich spüre, wie Sam sich einen Moment anspannt. Er entschuldigt sich und geht zu seinem Freund. Weitere Evoli und Blitza nutzen ebenfalls die Chance und schnell ist unser neues Reise-Mitglied von seinem, ab jetzt, ehemaligen Clan umringt. Ich sehe viele betroffene Gesichter, ich sehe Trauer, ich sehe den Wunsch, dass es ihm gut gehen wird in allen Gesichtern. Es bricht mir das Herz. Sie alle lieben und schätzen Sam, so wie wir Scharte. Mit allen „Fehlern“, die sie haben, mit allem „nicht dazu passen“, gehören sie trotzdem dazu. Sind Teil ihres Clans, ihrer Familien, ihrer Freunde. Ich schlucke und versuche all das hier nicht zu sehr mit all den Abschieden in meinem Leben in Verbindung zu bringen. All die Lebwohle, große und kleine, temporäre und dauerhafte, nicht hochzuholen und Revue passieren zu lassen. Mein Blick schweift umher, um irgendwo etwas Ablenkung zu finden und bleibt an einem Blitza, das etwas abseits sitzt, kleben. Ich erkenne es wieder, auch wenn ich es nicht persönlich kenne. Es ist Sams Mutter, die da allein hockt. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht und in ihren Augen trifft mich hart. Ich muss an meine Pokémon-Mutter denken. Sie hatte denselben Ausdruck, als wir auf Rods Rücken davongetragen wurden. Von allen Anwesenden erträgt sie gerade das größte Leid, ich weiß das. Ich weiß, wie es ist sein Kind „zu verlieren“. Dieser dunkle Fleck ganz unten in meinem Herzen, den ich seit meiner Rückkehr versuche zu ignorieren und mir einzureden, dass alles gut ist. Sie sind in Sicherheit, gefangen in der Zeit kann ihnen nichts passieren, rede ich mir ein. Trotzdem schmerzt es unterschwellig. Aus einem Impuls heraus gehe ich zu ihr. Mit jedem Schritt werden meine Augen feuchter und als ich bei ihr ankomme, laufen mir die ersten Tränen über die Wangen. Sie sieht zu mir und ringt sich ein Lächeln ab, das mehr Schmerz und Leid ist wie irgendetwas anderes. Das Blitza senkt den Kopf und wir drücken unsere Stirnen gegeneinander. Wir verharren so einige Zeit, sagen nichts, sind einfach füreinander da. Sams Mutter zieht ihren Kopf zurück, mustert mich und lächelt dann warm. Sie stupst mich, um mir zu sagen, dass ich lieber wieder zurück sollte und ich folge der Aufforderung ohne mich nochmal zu ihr umzudrehen. Ich laufe zurück und sehe das Chief mich besorgt mustert. Ich ignoriere das und kuschle mich zu meinen Brüdern. Wir bilden ein hellbraunes Knäuel, das für ein paar Momente einfach ineinander übergeht und eine Einheit bildet, bevor wir wieder etwas Abstand zwischen uns bringen. „Pass auf dich auf“, flüstere ich Scharte zu. „Ihr auch“, antwortet er leise. Sam taucht wieder auf, wirkt kurz niedergeschlagen, aber berappelt sich schnell. Chief atmet durch, bevor er spricht: „Wir müssen nun. Wir haben noch eine Station vor uns, bevor wir in die Wüste gehen, und die müssen wir vor Einbruch der Nacht erreichen.“ Wir nicken alle, drücken uns nochmals aneinander und laufen schließlich los. Wir verlassen die große Höhle unter vielen Lebewohl und guten Wünschen. Als ich zurücksehe, sehe ich wie einige Blitza und Evoli, allen voran Cleo, sich um Scharte versammeln und ihm Trost und Zuspruch spenden. Er wird es hier guthaben, davon bin ich überzeugt und es macht den Abschied ein bisschen leichter. Draußen scheint die Sonne, es ist hell und freundlich; und dadurch irgendwie unpassend. Wir setzen unsere Reise fort, die Stimmung ist gedrückt und alle hängen ihren eigenen Gedanken und Empfindungen nach. „Sam!“, brüllt es plötzlich hinter uns, als wir schon weiter weg sind. Wir drehen uns um und sehen Scharte am Eingang der Höhle. Er hat immer noch Tränen in den Augen, strahlt aber gleichzeitig. „Hab` ein Auge auf Quietschie!“, ruft er lachend, „Sie macht ständig Blödsinn!“ „Hey!“, beschwere ich mich, doch bevor ich noch etwas sagen kann, mischt sich Sam ein. „Mach ich! Versprochen“, sein Blick fällt auf mich und er grinst frech. „Quietschie.“ Ich verziehe bockig das Gesicht und strecke ihm die Zunge raus. Alle lachen, selbst Schnuff, der eher aussieht als würde er jeden Moment einen mentalen Brakedown erleiden. Ein letztes Lebwohl und wir gehen weiter. Chief signalisiert mir etwas Abstand zum Rest zu halten und als er groß genug ist, fragt er mich: „Warum warst du bei Sams Mutter?“ Ich höre, das es kein Vorwurf ist, sondern eher Sorge ihn zu der Frage bewegt. „Weil ich weiß, wie es ist nicht bei seinem Kind zu sein. Wie es ist, wenn man es zurücklässt oder eben gehen lässt“, erkläre ich mit belegter Stimme. „Aber, du weißt, dass es ihnen gut geht“, sagt das Clanoberhaupt. Ich weiß, dass er meine menschliche Familie meint. Ich nicke vorsichtig, weil ich mir die Wahrheit selbst nicht eingestehen möchte und eigentlich nicht darüber reden will. Ich hoffe, dass er mich einfach in Ruhe lässt, aber eigentlich weiß ich, dass er es nicht wird. „Und genauso weiß es auch Sams Mutter“, redet Chief weiter und sieht mich eindringlich an. „Sie weiß, dass es im gut geht.“ „Nein“, widerspreche ich, bevor ich mich versehe. „Weiß sie nicht. Sobald Sam um die Ecke verschwunden ist und sie ihn nicht mehr sieht, weiß sie es nicht mehr. Sie kann es nur hoffen, aber nicht wissen.“ Das Flamara bleibt stehen und mustert mich besorgt. „Das stimmt schon, aber man muss vertrauen haben.“ „Zu jemandem, den man nicht kennt? Der einen an der Nase herumgeführt hat?“, frage ich heiser zurück. Das ist der Punkt, auf den ich eigentlich nicht den Finger legen wollte. Das ist die Wahrheit, die ich verdränge. Der dunkle Fleck, den ich ignoriere. Ja, Arceus hat gesagt, dass er mit Dialga die Zeit in meiner Welt anhält, aber einen Beweis dafür habe ich nicht. Ich muss mich auf sein Wort verlassen und das fällt mir schwer. Ich sehe wie Chief dämmert, was genau mein Problem gerade ist. „Was für einen Grund hätte Arceus dich anzulügen? Er hat dir offenbar bewiesen, dass über all die Monate, die du bereits hier bist, alles in deiner Welt auf dich gewartet hat.“ „Ja“, bestätige ich kleinlaut. „Trotzdem kann ich es nicht abschütteln.“ Das Clanoberhaupt beugt sich zu mir, sieht mir fest in die Augen. „Ich verstehe das, aber es darf dich nicht auffressen. Es wird dich sonst behindern Entscheidungen zu treffen.“ Ich sehe das Flamara an und erinnere mich an die Geschichte, die er mir erzählt hat. Sandy und all das Leid das damit einherging. Wie er jetzt wieder eine derartige Entscheidung treffen musste und wie sehr er damit gehadert hat. Wie sehr ihn der Zweifel behindert hat eine Entscheidung zu treffen. Ich gebe mir einen Ruck. Chief hat Recht, ich muss, zumindest ein wenig, Vertrauen haben. Es wird mir nichts bringen, wenn ich mich daran wundreibe. Ich nicke schließlich. „Ich weiß. Ich werde mich bemühen.“ „Okay.“ Chief lächelt wohlwollend. „Los jetzt.“ Wir beeilen uns, um zum Rest wieder aufzuschließen und meine Schritte fühlen sich ein wenig leichter an wie zuvor. Kapitel 32: Flowerpower ----------------------- „… zum nächsten großen Treffen siehst du ihn bestimmt wieder“, erklärt Sam gerade, als Chief und ich wieder beim Rest unserer Gruppe sind. „Großes Treffen?“, fragt Schnuff mit krächzender Stimme. Offenbar versucht Sam gerade sein Bestes meinen Bruder abzulenken, denn dieser wirkt extrem niedergeschlagen. Der Abschied von Scharte nimmt ihn offenbar mehr mit, wie ich vermutet hätte. „Ja, ein Clan-Treffen. Es findet einmal im Jahr statt, immer an einem anderen Ort.“ „Kommen da wirklich alle?“, hakt mein Bruder hoffnungsvoll nach. „Alle nicht. Die Reviere wären dann ja ohne Schutz. Aber alle, die ein Clan entbehren kann, gehen hin.“ Sam sieht Schnuff warm an. „Vor allem all diejenigen, die Familienmitglieder in anderen Clans haben.“ „Das heißt“, überlege ich laut, „beim nächsten Treffen könnten wir auch unsere Mutter sehen?“ „Gut möglich“, bestätigt Chief. „Bis dahin ist aber noch Zeit.“ „Hey, ihr Fellnasen!“, tönt es plötzlich fröhlich hinter uns. Leon kommt breit grinsend auf uns zu getrottet. Hinter ihm schreitet würdevoll Leonore und grüßt uns mit einem Kopfnicken und einem warmen Lächeln. „Wir begleiten euch noch ein Stück“, erklärt sie. So setzen wir unseren Weg fort, immer weiter aus dem Tal der Blitza heraus. Leon und Chilli seilen sich nach hinten ab und wir alle tun so, als würden wir nichts bemerken. „Hey“, werde ich unvermittelt von hinten angesprochen. Ich sehe über meine Schulter zu Sam und ziehe fragend die Augenbraue hoch. Er schließt auf und läuft neben mir. „Danke“, sagt er schlicht und ernst. „Ähm. Wofür?“, frage ich verdutzt zurück. „Meine Mutter“, erklärt er. „Ich habe dich gesehen.“ Mir ist der Umstand unangenehm und ich weiß nicht so recht warum. „Ich musste an unsere Mutter denken und …“ Ich breche ab. Keine Ahnung, warum ich mich überhaupt zu einer Erklärung genötigt fühle. „Ist mir schon klar, dass du es nicht gemacht hast, um mir einen Gefallen zu tun“, neckt er mich mit einem süffisanten Grinsen, „Quietschie.“ „Du hast nicht das Recht, mich so zu nennen“, murre ich angefressen zurück. Sams Grinsen wird breiter und mir schwant Böses. „Aber es passt zu dir“, erklärt er und fügt immer noch grinsend an: „Es klingt frech und süß.“ Alter! Was stimmt nicht mit diesem Evoli? Und was stimmt nicht mit mir? Ich spüre nämlich, wie meine Wangen warm werden. Peinlich berührt sehe ich weg und ernte ein herzhaftes Lachen. „Blödmann!“, knurre ich sauer vor mich hin. Vor uns lacht es leise. Schnuff, der immer noch fertig wirkt, sieht mich an und ich weiß plötzlich, warum er lacht und stimme mit ein. Scharte habe ich auch immer Blödmann genannt, offenbar wird Sam nun seinen Platz einnehmen. Chief und Leonore laufen vor uns und unterhalten sich. Ihre Unterhaltung scheint ernster Natur zu sein, zumindest entnehme ich das ihren Mienen. Als ich „Pyroberg“ höre, habe ich eine Ahnung, worum es geht. Ich will nicht schon wieder Lauschen, auch wenn es mich extrem interessiert, was da genau im Gange ist zwischen den Nachtaras und Psianas. Ich lasse mich also etwas zurückfallen, um nicht in Versuchung zu geraten. Schnuff und ich beginnen Sam von unserem Zuhause zu erzählen. Wir haben ja nun seins sehr ausgiebig die letzten Tage kennengelernt, da ist es nur gerecht, wenn er auch etwas von unserem Clan und unserer Reise erfährt. Wir erzählen ihm von der Höhle, von der Flut die regelmäßig alles Überflutet, von unserer Tour durch die vielen unbekannten Gänge zu der Eishöhle. Von den fehlenden Eissteinen, die wir für unsere Entwicklung gebraucht hätten und von unserem ersten Ausflug nach draußen, nicht ahnend, was uns bevorsteht. „Übers Meer?“, fragt er ehrlich überrascht nach. „Ja, auf dem Rücken von Rod“, erklärt Schnuff. „Rod?“, hakt Sam nach. „Ein Wailmer“, spezifiziere ich die Aussage von meinem Bruder. Mir fällt ein, dass ich weder Chief noch Chilli je nach ihrer Verbindung zu ihm gefragt habe. Ich meine, das sind Flamara und das Wailmer ist ein Wasser-Poki. Die Flamara leben in der Wüste und Rod lebt kilometerweit entfernt im Meer. Woher kennen die sich? Ich sollte das im Hinterkopf behalten und die nächste Gelegenheit dafür nutzen. Vielleicht kann ich Chief auch fragen, ob er weiß, warum wir so unwissend und isoliert aufgewachsen sind … Das beschäftigt mich tatsächlich extrem inzwischen. Vor allem, weil Sam, der kaum älter ist als wir, so unfassbar viel weiß. „Charly hat fast gekotzt“, gibt Schnuff noch zum Besten. „Aber nur fast“, gebe ich divenhaft von mir und recke das Kinn in die Höhe. Die Jungs lachen über meine Attitüde. Vor allem bei meinem Bruder war mir das wichtig, er kämpft am meisten mit der Trennung und jedes Lachen von ihm ist Gold wert im Augenblick. „… sie hat sich einfach weggeschlichen und irgendeinem Pokémon hinterher. Und sie hat getrödelt und ist an einen Menschen-Welpen geraten. Und dann hing sie in einer Wurzel fest und wurde fast von einem Magnayen gefressen. Und dann hat sie ein Myrapla versucht zu vergiften, als sie sich, mal wieder, weggeschlichen hat und …“, blubbert Schnuff unsere bisherige Reise runter. Oder besser: jede Kleinigkeit die ich in der Zeit angestellt habe. Nein, ich bin nicht glücklich, dass er jede „Schandtat“ von mir zum Besten gibt, aber ihn scheint es zunehmend besser dadurch zu gehen, also lasse ich ihn einfach. Sam sieht zu mir und grinst frech. Ich rolle genervt mit den Augen, muss aber grinsen dabei. Wir sind schon eine Weile unterwegs als wir an einem gruselig anmutenden Gestrüpp ankommen. Die Pflanzen wirken nicht wirklich gesund und etwas bizarr. Außerdem wirkt es ein bisschen, als wären sie eine Art Umzäunung oder Wall. Sam strahlt mich an. „Das wird dir bestimmt gefallen“, prophezeit er. Huh? Wovon redet der? Chief zieht einen dicken Ast beiseite und legt einen Pfad frei. Leonore geht voran, Schnuff, Sam und ich folgen. Hinter mir ist Chilli und dann Chief, der von Leon abgelöst wurde, der wiederum als letzter folgt. Während wir durch das karge Unterholz kriechen, wird das lebendiger. Das trockne, fahle Holz wird saftig und grün und bekommt mit jedem Meter mehr und mehr Blätter. Und es beginnt sich ein angenehm süßer Geruch breit zu machen. Als wir raus sind, traue ich meinen Augen kaum. Seit wir uns auf dem Bergpfad befunden haben, habe ich keine einzige grüne Pflanze gesehen, jetzt liegt da ein Tal, das unnatürlich grün und lebendig ist. Draußen herrscht Kargheit und hier drängen sich Pflanzen dicht an dicht. Es wirkt irgendwie fürchterlich absurd und deplatziert. „Woah!“, tönt Schnuff. Seine Augen glänzen und er reckt begeistert die Nase in die Höhe. „Mit so einer tollen Nase wie seiner, muss das gleich noch viel beeindruckender sein“, höre ich Sam neben mir witzeln. Ich muss lachen. „Ja, gleich läuft ihm der Sabber aus dem Mundwinkel“, steige ich mit ein. Schnuff sieht uns beleidigt an, muss dann aber auch grinsen. „Ihr wisst gar nicht, was ihr verpasst, mit euren Normalo-Nasen.“ Nicht weit von uns quietscht es vergnügt. Zwei Endivie tollen unter Beerensträuchern herum, die brechendvoll mit Früchten sind. Blumen blühen in allen erdenklichen Farben und Papinella und Honweisel flattern durch die Luft. Über einen kleinen Tümpel in der Nähe flitzen einige Geweiher, während zwei Felino am Rand toben. „Wie ist das möglich?“, murmle ich ungläubig vor mich hin, während wir Leonore durch das Tal folgen. „Da“, meldet sich Chilli und deutet zu unserer Rechten. Ein kleiner Fluss murmelt sich dort durch das Tal, und an dessen Ufer dösen einige Meganie vor sich hin. Ein paar Lorblatt sind ebenfalls zu sehen, die entweder wie die Großen dösen oder wie die Kleinen spielen. „Der Atem von Meganie ist extrem belebend und förderlich für die Pflanzenwelt“, erklärt Leon, der zu uns aufgeschlossen hat. Sam neben mir wirkt plötzlich abgelenkt und ich folge seinem Blick. Am oberen Rand des Tals laufen einige Blitza aufmerksam umher, offenbar sind sie auf Patrouille. Eines von ihnen fällt mir auf, wahrscheinlich das, was Sam abgelenkt hat: es ist sein Vater. Das erklärt, warum er vorhin nicht mehr da und Sams Mutter allein war. Er sieht kurz zu uns runter und schenkt seinem Sohn einen stolzen Blick und ein Nicken, bevor er sich wieder voll und ganz seiner Aufgabe widmet. „Das hier ist unser Außenposten, und, wie ihr sicherlich schon vermutet, unsere wichtigste Nahrungsquelle“, erörtert Leonore. Okay. Scheinbar eine Art Symbiose. Die Meganie halten die Pflanzenwelt kräftig und gesund und die Blitza schützen das Tal und die Pokémon darin. Dafür dürfen sie sich an dem Überfluss, der hier herrscht, bedienen. Schicke Angelegenheit. Das Murmeln des Baches gepaart mit dem Geruch nach Beeren, Kräutern und Gras lullt einen regelrecht ein. Außerdem liegt noch ein Duft in der Luft, den ich nicht zuordnen kann. Sam nuschelt, dass er die Meganie gut verstehen kann und ich nicke träge. Das Tal hat etwas von einer Hippiekomune; es benebelt einen und lässt einen sich gut und entspannt fühlen. „Los, weiter!“, werden wir energisch von Chilli aufgefordert die mich in den Rücken stupst. Träge, auf wackligen Pfoten, laufen ich los. Alles wirkt irgendwie … gedämpft? Meine Wahrnehmung scheint auf jeden Fall getrübt und meine Gedanken ziemlich zäh. Was ist hier los? Ich habe den Eindruck wirklich berauscht zu sein. Aber wovon? Was passiert hier? „Warum fühle ich mich so …?“, frage ich extrem langsam. „Das ist der Lockduft der Meganie“, lacht Leon. „Ihr seid noch klein, deswegen wirkt er so extrem auf euch.“ „Ich mag die Meganie“, säuselt Schnuff. Er steht da und himmelt eines von ihnen regelrecht an. Es fehlt nicht mehr viel und er hat Herzchen in den Augen. Chief mustert meinen Bruder und seufzt: „Du meine Güte.“ „Mit so einer tollen Nase ist das bestimmt noch viel schöner …“, murmelt Sam, der verträumt meinen Bruder beobachtet. „Wir sollten uns beeilen“, lacht Leonore und schüttelt amüsiert den Kopf. Leon packt Schnuff kurzerhand im Nacken und Chilli mich, während Sam von Chief hochgenommen wird. Als wir endlich einige Distanz zu den Meganie haben lichtet sich der träge Nebel in meinem Kopf. „Das war gruselig“, flüstere ich blinzelnd. Die Erwachsenen setzen uns wieder ab, tauschen wissende Blicke und lachen dann. Ich finde das weniger witziger und verziehe das Gesicht, während Sam sich erstmal ausgiebig schüttelt und sich offenbar auch erstmal sortieren muss. Schnuff wirkt immer noch leicht benebelt und grinst schief. Wir laufen weiter den Fluss entlang und erreichen das Ende des Tals nach einigen Minuten. „Hier verabschieden wir uns von euch“, erklärt Leonore. Nach einem herzlichen Lebewohl und einigen wehmütigen Blicken zwischen Chilli und Leon, setzten wir unseren Weg fort. Lucy, die uns noch aufgesucht hat, hat uns ein kleines Kehrpaket gebracht, welches Chilli nun trägt. Kapitel 33: Neues Team ---------------------- Unser Weg führt uns nach dem Tal stetig bergab. Über Stein und Stein geht es den Gebirgskamm wieder hinunter. Und ich falle immer weiter zurück. Ich habe natürlich bereits über den Tag verteilt immer mal wieder meine geprellten Rippen gespürt, aber es war in einem Rahmen, der für mich ignorierbar war. Durch die Kletterpartie jetzt, wird das Stechen aber immer schlimmer. Und es nimmt mir mehr und mehr die Luft, was mein Hauptproblem gerade ist. Ich kann nicht so tief Luftholen, wie ich es bei der Anstrengung eigentlich müsste. „Schon außer Puste, Quietschie?“, werde ich amüsiert gefragt. „Halt die Klappe. Und nenn‘ mich nicht so“, schnaufe ich. Ich sehe Sam an, der ehrlicherweise mehr beunruhigt wie belustigt aussieht. Ich sehe demonstrativ an ihm vorbei zu den anderen. Der Abstand wird allmählich etwas größer und ich sehe, wie Chief anhält und nach mir Ausschau hält. So ein Elend. Ich bin schon wieder im Fokus, und das will ich nicht. Ich bemühe ich um ein Grinsen in Richtung Flamara und klettere den Stein hinunter auf dem ich gerade stand. „Dein Grinsen ist furchtbar, wenn es nicht echt ist“, kommentiert Sam stichelnd. Er sitzt da und begutachtet mein ungelenkes Manöver. „Soll ich dich tragen?“, bietet unvermittelt an. Mich erwischt das Angebot so auf dem sprichwörtlichen falschen Fuß, dass mein echter Fuß plötzlich ins Leere tappt. Ich gerate ins Straucheln und plumpse den Felsen hinunter, falle und lande … erstaunlich weich. Im ersten Moment bin ich verwirrt, im nächsten beschämt, im übernächsten sauer (hauptsächlich auf mich selbst). Ich bin mir sicher, dass Sam einen guten halben Meter weiter links saß vorhin. Aber jetzt sitz, oder besser liegt, er direkt unter mir. Er sagt nichts, wirkt sogar merkwürdig zufrieden. Im nächsten Moment steht er auf und läuft los; mit mir auf seinem Rücken. Bevor ich mich beschweren oder runter klettern kann, ist Sam mit mir huckepack, den schwierigen Abschnitt mit den ganzen Steinen und Felsen bereits hinunter. Ich klettere meckernd von Sams Rücken. Er grinst mich hingegen breit an. „Man sagt Danke, Quietschie.“ Bevor ich etwas antworten kann, sind plötzlich die Flamara und Schnuff bei uns. „Deine Rippen?“, fragt Chief besorgt. Ich werfe Sam einen „Genau deswegen wollte ich das nicht“-Blick zu. „Nein“, wende ich mich dem Flamara zu, „Wir haben einfach etwas rumgealbert.“ Ja, ich schlage mir direkt danach innerlich vor die Stirn; das Grinsen von Chilli bestätigt mir, dass der Satz etwas unglücklich formuliert war. Der nächste Bereich ist wieder etwas weniger steil und unwegsam. Generell wird die Landschaft wieder etwas ebener, bleibt aber karg. Wir kommen am frühen Abend an einer kleinen Höhle an, die etwas versteckt an einem Hang liegt. An einem Bachlauf in der Nähe trinken wir erstmal ordentlich bevor wir uns etwas Ruhe gönnen. Chilli, Schnuff und ich liegen vor der Höhle, während Chief und Sam es sich im Inneren bequem gemacht haben. Nun gut, eigentlich hatte Chief unser neues Mitglied per Blick dazu aufgefordert zu ihm zu kommen; ich vermute er hat etwas mit ihm zu besprechen. Und nein, ich bin überhaupt nicht neugierig, was es wohl sein mag … *hust* Der Schlotberg ist deutlich näher als „damals“, als wir den Aufstieg zu den Blitzas gemacht haben. Zu dem damaligen Zeitpunkt wirkte er majestätisch und beeindruckend im Schein der untergehenden Sonne. Jetzt hat er aus mir unerklärlichen Gründen eine unheimliche und bedrohliche Ausstrahlung. Die Sonnenabgewandte Seite ist in tiefe Schatten gehüllt, er wirkt dunkel und … einsam. Wahrscheinlich liegt es auch ein wenig daran, dass wir nicht mehr dieselbe Gruppe sind, die ihn betrachtet. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nicht mehr diesen kindlichen Blick auf die Dinge habe. Ich betrachte die Aschewolken, die der Vulkan ausspuckt und die Formen die sie bilden, und plötzlich fällt mir wieder etwas ein. „Sag mal, Chilli? Woher kennt ihr eigentlich Rod?“, frage ich neugierig. „Wir glaube ich gar nicht. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube die Verbindung läuft über die Aquana.“ Das Flamara sieht mich grübelnd an. „Am besten fragst du Chief, ich vermute er weiß mehr dazu.“ „Hey, seht mal!“, ruft Schnuff aufgeregt außerhalb unseres Sichtbereichs, aber irgendwo in unmittelbarer Nähe. Er ist scheinbar irgendwann aufgestanden, keine Ahnung wann. Ich vermute er ist davongelaufen, als ich mit dem Flamara geredet habe. Ich mühe mich widerwillig hoch und gehe in die Richtung, aus der seine Stimme kam. Ich finde meinen Bruder hinter einem Felsen. Er strahl über das ganze Gesicht und tippt wie eine Katze mit der Pfote gegen … Ähm. Das ist ein Pupance. Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist. Aber ich verstehe Schnuff ein bisschen. Er tippt das Pokémon an einem seiner Arme an und es wippt hin und her danach, wie ein Stehauf-Männchen. Das ist lustig und einen Moment vergesse ich meine Bedenken, während ich meinen Bruder so beobachte. Unvermittelt kommt aber Leben in das Pupance als mein Bruder es wieder antippen will. Es dreht sich schlagartig und wehrt seine Pfote ab. Überrascht und erschrocken springt Schnuff auf und bringt Abstand zwischen sich und das fremde Pokémon. Allerdings scheint das Püppchen nicht gewillt meinen Bruder davon kommen zu lassen. Es dreht sich immer schneller und erzeugt einen Sandwirbel. Nicht nur Schnuff wird Angst und Bange bei dem Spektakel. Hinter uns brüllt es plötzlich bedrohlich. Das Pupance nutzt seinen erzeugten Wirbel direkt zur Flucht und verschwindet weiter den Hang hinunter in der beginnenden Nacht. Mit großen Augen drehen wir uns um und sehen … Chilli. Ja, ich bin trotz allem Wissen, das ich dank jahrelangen Pokémon-Zockens habe, überrascht. Natürlich können Flamara Brüller, aber Chilli wirkt so lieb und als könnte sie keiner Fliege etwas antun. Ja, ich habe sie in der Nacht des Überfalls gesehen, wie sie sich auf das Knackrack gestürzt hat und so, aber sie derartig aggressiv brüllen zu hören ist irgendwie etwas anderes. Das Flamara lacht wegen unserer ungläubigen Mienen und zwinkert uns dann zu. „Kommt schon, wir sollten zurück. Es gibt gleich Essen.“ Wir gehen zurück zur Höhle, wo Chief und Sam bereits das Paket ausgepackt haben. Es gibt Beeren und anschließend gehen wir nochmals zum Bach trinken. Auf dem Rückweg frage ich Chief nach Rod, so wie es Chilli mir geraten hat. Das Flamara bläst einen Moment die Wangen auf. „Genau genommen kennen nicht wir Flamara die Wailmer, sondern viel mehr die Aquana“, beginnt er zu erklären. „Du musst verstehen, dass viele Bande zu anderen Pokémon über viele Jahrhunderte geschlagen wurden und viele Verbindungen auf alten Freundschaften und Übereinkünfte fußen.“ Er sieht mich mit einem schiefen Lächeln an. „Ich bin ehrlich zu dir, ich weiß nicht genau, ob die Aquana und Wailmer einen Deal haben oder ob es in der Vergangenheit dazu kam, dass die Aquana den Wailmer aus der Klemme geholfen haben ... Ich weiß es nicht. Da musst du ein Aquana fragen, aber bitte ... nicht wieder in den Fluss springen dafür, und schon gar nicht nach der Entwicklung!" Schnuff und Sam lachen. Ich rolle mit den Augen und spare es mir zu erwähnen, dass Scharte ja in den Fluss gefallen ist. Das Ganze ist generell … unbefriedigend, wenn ich ehrlich bin. Meine Neugier ist damit so überhaupt nicht gestillt und ich verziehe ein wenig das Gesicht. „Du solltest dein Schutzschild noch besser trainieren“, wendet sich Chilli an meinen Bruder. „Falls so etwas wie vorhin wieder passiert, kannst du dich dann besser verteidigen.“ „Wieder passiert?“, fragt Chief argwöhnisch nach. „Ein Pupance fand es nicht so lustig, von Schnuff als Spielzeug benutzt zu werden“, antwortet sie. Das Clanoberhaupt seufzt. „Tu‘ mir einen Gefallen, Schnuff: tritt nicht in die Pfotenstapfen deiner Schwester.“ Mir fällt schlagartig noch etwas ein, weil Chilli das Schutzschild erwähnt hat, weswegen ich vergesse mich wegen Chiefs Bemerkung aufzuregen. „Wie finde ich heraus welchem Typ meine Kraftreserve angehört?“, frage ich die Flamara. „Testen“, bekomme ich die Antwort von Chief der mich angrinst und mit dem Kopf auf eine flache Stelle etwas abseits deutet. „Hä?“ Ich verstehe nicht, was er meint, und tapse ihm hinter her. „Du feuerst deine Kraftreserve auf mich und ich versuche aus dem erlittenen Schaden Schlussfolgerungen zu ziehen.“ Ah okay … Moment … Was?! Ich sehe das Flamara ungläubig an. „Aber … das geht doch nicht.“ Das Clanoberhaupt bleibt stehen, dreht sich zu mir um und sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an. „Glaubst du, ich kann deine kleine Attacke nicht aushalten?“, fragt er mich mit einem herausfordernden Schmunzeln. „Das wollte ich nicht sagen!“, widerspreche ich schnell. „Ich meinte … du bist der Chef und so … und … und …“ Ich breche ab, als ich Chilli hinter mir lachen höre. „Nun mach schon, die Sonne ist gleich weg“, amüsiert sich Chief. Ich fühle mich überhaupt nicht wohl damit. Er ist das Clanoberhaupt und ihn anzugreifen, auch wenn es nur zu Testzwecken ist, fühlt sich schlicht und ergreifend falsch an. Auf der anderen Seite macht es aber Sinn, weil er das Clanoberhaupt ist und, ich vermute mal, recht viel Erfahrung hat. Er wird schon unzählige Attacken von allen Typen abbekommen haben. Ich gehe also in Position, konzentriere mich auf die Energie, bündle sie und nach einigem Zögern feure ich sie auf das Flamara ab. Die Attacke trifft es und explodiert. Nach einem Augenblick verzieht sich der Staub und zum Vorschein kommt Chief, der mich schräg ansieht. „Interessant“, murmelt er und mustert mich, „Und ungewöhnlich.“ Er kommt auf mich zu gelaufen, stoppt vor mir und lächelt dann eigenartig. „Und?“, frage ich leise nach einigen Sekunden, weil er einfach nichts sagt. „Wasser“, antwortet er knapp. Ich blinzle verdutzt „Wasser?“ Das Flamara nickt und geht an mir vorbei, ich folge ihm grübelnd. Wasser … Das heißt, nach meiner Entwicklung werde ich ein Feuer-Pokèmon mit einer Wasser-Attacke sein. Das hilft. Ein bisschen zumindest. Hoffe ich. „Irgendwie passt das zu dir“, quatscht mich Sam grinsend an, „Ein wandelnder Widerspruch.“ „Gut, dass wir Schutzschild können“, lacht Schnuff, „Sonst würde sie uns platt machen nach der Entwicklung.“ Wir blödeln auf dem Rückweg noch etwas herum und verziehen uns dann in die Höhle. Sam, der sonst immer so souverän scheint, wirkt unsicher, als mein Bruder und ich uns zusammen in eine Ecke kuscheln. Ich beobachte ihn kurz und nach einem auffordernden Brummen von Schnuff gebe ich mich geschlagen. „Wartest du auf eine Einladung?“, murmle ich schon im Halbschlaf. Kurz darauf spüre ich wie er sich zu uns legt und dann bin ich auch schon im Land der Träume. Kapitel 34: Endspurt -------------------- Nach einer traumlosen und erholsamen Nacht wache ich auf. Nicht von selbst, sondern weil ich, zwar liebevoll, aber trotzdem recht energisch gestupst werde. Das Erste, was ich sehe, ist Chilli. Sie lächelt breit und wünscht mir einen guten Morgen. Etwas verpeilt strecke ich mich und sehe mich um. Mein Bruder wirkt noch mehr neben der Spur wie ich, Sam hingegen sitzt schon taufrisch am Höhleneingang. „Ihr seid zwei Schnarchnasen“, witzelt er grinsend. Du mich auch, Sam, du mich auch. Die nächste Nacht kannst du allein verbringen, Witzbold. Wir verlassen die Höhle. Die Sonne ist gerade erst komplett über dem Horizont, es also noch sehr früh. Chief wartet draußen auf uns und wir gehen alle zum Fluss und trinken etwas. „Kein Frühstück?“, fragt Schnuff entsetzt, als das Clanoberhaupt mitteilt, dass wir direkt losmachen. „Nein, tut mir leid“, erklärt Chief ein wenig amüsiert, „Aber der Clan ist nicht mehr weit, dort wartet Essen auf dich.“ Netter Versuch, aber ich kenne meinen Bruder, ihn wird das nicht im Geringsten milde stimmen. Mir ist es egal, ich fühle mich nicht hungrig, also stört es mich nicht. Sam scheint es auch nichts auszumachen, er ist offenbar aufgeregt und hibbelig. Da er sonst eher ruhig und gelassen ist, wirkt es beinahe falsch ihn so zu sehen. Nach einem kurzen Fußmarsch weg vom Fluss, sieht man bereist die Wüste. Wahrscheinlich hätten wir die Ausläufer bereits gestern gesehen, wenn es nicht schon so dunkel gewesen wäre. Von unserer etwas erhöhten Position aus wirkt es so, als wäre vor uns nichts anderes. Lediglich der Kraterberg ragt am Rand der Szene in die Höhe, ansonsten besteht der Horizont aus Sand. „Ihr habt gesagt es ist nicht mehr weit“, nörgelt Schnuff weinerlich. Mein Bruder ist echt schwierig zu ertragen, wenn er hungrig ist. Aber es stimmt, was er sagt. Der Ausblick von hier lässt nicht vermuten, dass wir bald irgendwo ankommen. Verwirrt sehe ich zu den Flamara, die sich wissend angrinsen. „Nun los, vom Hier-Stehen wird es auch nicht besser“, treibt uns Chief an und beginnt den Abstieg. „Aber ich habe Hunger“, jammert mein Bruder, als würde er jeden Moment den Heldentod deswegen sterben. Und mir fällt deswegen die dumme Snickers-Werbung ein. Du bist nicht du, wenn du hungrig bist. Wir sind noch nicht in der Wüste, aber auch nicht mehr wirklich im Gebirge. Terrassenförmige Gesteinsformationen leiten uns abwärts. Widererwartend ist es ganz erträglich. Meine Rippen merke ich zwar, da es aber nicht mehr ganz so steil und uneben ist, bewegt sich der Schmerz in einem problemlos erträglichen Rahmen. „Ich kann dich auch wieder tragen“, neckt Sam mich breit grinsend von einer Etage weiter unten, als ich kurz anhalte und das Gesicht ein wenig verziehe. „Pff. Trag dich selbst“, motze ich beleidigt zurück, was ihn zum Lachen bringt. Endlich unten angekommen haben wir mehr und mehr Sand unter den Pfoten, aber es ist immer noch Erde und fester Untergrund dazwischen. Ich will nichts sagen, aber dieser Sand hier fühlt sich anders an, wie der am Strand damals. Irgendwie ist er viel feiner und das bekommen wir bald sehr deutlich zu spüren. Eine Sandgeschwängerte Windböe zieht über uns hinweg und ich spüre sofort, wie die Körnchen sich ihren Weg durch mein Fell bahnen. Der nächste Sandschleier lässt nicht lange auf sich warten, und der nächste. „Das juckt“, jammert Schnuff und versucht sich zu kratzen. Chilli unterbindet das aber sofort. „Nicht, das macht es nur noch schlimmer“, erklärt sie, während sie die Pfote meines Bruders mit ihrer am Boden hält. „Aber es krabbelt und pikt“, fiept mein Bruder weinerlich. „Ich weiß, ich erinnere mich, wie es damals war, als ich noch als kleines Evoli hier durch gewandert bin. Es ist nicht schön, aber wenn du dich kratzt, wird es noch viel, viel schlimmer“, erklärt das Flamara mitfühlend und schmust Schnuff ein wenig. „Warum krabbelt es bei euch nicht so?“, fragt mein Bruder verzweifelt. „Unsere Unterwolle ist viel dicker du feiner als eure, dadurch kommt der Sand nicht bis auf die Haut“, erläutert Chief, der sich zu den beiden gesellt hat. Mich erinnert das alles an meinen Sohn. Die Szene da, hat sich unzählige Male bei uns zu Hause abgespielt. Wieder und wieder. Seine Neurodermitis hat ihm oft den Tag zur Hölle gemacht, und macht das auch heute noch manchmal. Bis jetzt hatte ich keine Ahnung, wie es ist, wenn es am ganzen Körper derart juckt, aber jetzt schon. Es ist nicht so, dass ich meinen Bruder nicht verstehe. Es krabbelt echt barbarisch und am liebsten würde ich mich an nächsten Stein wundschubbern, aber mein „Erwachsen-Sein“ zeigt hier seine Vorteile. Ich beherrsche mich und versuche an etwas anderes zu denken … zum Beispiel wo Sam abgeblieben ist. Nein, ohne Mist, wo ist er? Ich sehe mich um, soweit der Sand, der auch in den Augen krabbelt, es zulässt. Ich erspähe ihn in einiger Entfernung auf einem Felsen. Irgendwas hat seine Aufmerksamkeit völlig in Anspruch genommen. Und das weckt meine Neugierde. Was gibt es da so Spannendes, dass der coole, alles perlt an mir ab, Sam sich dafür interessiert? Ich lasse die Flamara sich weiter das Gejammer meines Bruders anhören, während ich zu Sam laufe. Er ist so vertieft, dass er mich überhaupt nicht mitbekommt. „Hey, Alleingänge sind meine Sache“, stichle ich. Verwirrt, weil er mich erst jetzt registriert, sieht Sam mich an. „Hm“, murmelt er gedankenverloren und sieht wieder hinunter. Ich stutze, weil ich ihn so gar nicht kenne. Eigentlich habe ich mit einem dummen Kommentar oder so etwas gerechnet, aber das er mich quasi ignoriert war nicht vorgesehen. Ich ziehe skeptisch die Augenbraue hoch und stelle mich direkt neben Sam, um seinem Blick besser zu folgen. Wir stehen auf einer sichelförmigen Gesteinsformation, die eine Art Sandbecken vor einem erhöhten Plateau formt und dort ist … Eine schwarze Brille? Ich runzle die Stirn. Ich bin mir ziemlich sicher, dass da nicht simpel eine verlorene Sonnenbrille liegt. Spätestens als die „Brille“ blinzelt, bin ich mir sicher, dass da ein Pokémon versteckt im Sand hockt. „Das ist dieses Sand-Krokodil …“, murmle ich vor mich hin und versuche mich an den Namen zu erinnern. „Du kennst es?“, fragt Sam mich hörbar überrascht und schenkt mir endlich etwas Aufmerksamkeit. „Was kennt sie?“, mischt sich mein Bruder ein, der plötzlich ebenfalls bei uns ist. „Das Pokémon da unten.“ Sam deutet mit dem Kopf in Richtung „Sonnenbrille“. Das Sandkroko blinzelt mehrfach. „Hey“, ruft Chief fragend in unsere Richtung. „Was ist los?“ In dem Moment, wo die tiefe Stimme des Clanoberhaupts erklingt, verschwindet das Pokémon im Wüstensand. Eigenartig … „Habt ihr etwas Spannendes gesehen?“, erkundigt sich Chilli schmunzelnd. „Da war ein Pokémon!“, platzt Schnuff als erster los. „Unten im Sand“, erklärt Sam, „Es haben nur die Augen herausgeschaut. Charly hat gesagt, es wäre ein Sand-Krokodil?“ Chief sieht sofort zu mir und ich kann für einen Moment Unruhe und Besorgnis erkennen. „Mir fällt der Name nicht ein“, sage ich vorsichtig, weil ich gerade echt keine Ahnung habe, warum das Clanoberhaupt so angespannt ist, und ich Sorge habe, dass es wegen mir ist. Die Flamara tauschen Blicke aus, die mich noch mehr beunruhigen. „Wir müssen weiter“, erklärt Chief dann plötzlich streng. „Ihr bleibt zwischen mir und Chilli, keine Erkundungstouren, keine Alleingänge. Verstanden?“ Synchron nicken wir und sehen uns dann unschlüssig an. In unseren Evoli-Gesichtern steht überall dieselbe Frage: Was ist hier los? Wir folgen Chief, der sich immer wieder aufmerksam umsieht, Chilli bleibt dicht hinter uns. Während Sam seine Augen auch überall hat und wirkt, als würde er gern direkt losstiefeln und alles erkundend wollen, jammert mein Bruder, weil es juckt, weil er Hunger hat und … Ähm, ja. Es ist nicht mehr ganz so exzessiv wie vorher, aber ganz aufgehört hat er nicht. Du wirst zur Diva, wenn du hungrig bist. Ich beobachte Chief die ganze Zeit. Sein Verhalten ist extrem alarmiert, als würde er damit rechnen, dass jedem Moment etwas passiert. Nur was? Wir kommen nach einer Weile am „echten“ Rand der Wüste an, welche uns mit einer Sandböe begrüßt. „Und nun?“, frage ich Chilli, weil Chief weiter vorgelaufen ist und die Umgebung beobachtet. „Wir warten auf jemanden“, erklärt das Flamara. „Auf wen denn?“, hakt Sam direkt nach. „Ein befreundetes Pokémon“, mischt Chief sich ein, als er wieder zu uns gelaufen kommt. Völlig unvermittelt grollt es hinter uns laut und aggressiv. Erschrocken fahren wir alle herum und sehen ein großes, gefährlich anmutendes Pokémon. Das ist definitiv nicht der Freund, auf den wir gewartet haben. Das ist die End-Entwicklung von dem Sand-Kroko, dass wir vorhin gesehen haben. War das eine Falle? Hat uns der Kleine ausspioniert? „Ein Rabigator“, knurrt Chilli unterschwellig abwertend, während Chief leise, aber deutlich wütend, flucht. In Sekundenschnelle sind die Flamara zwischen uns und dem offensichtlich feindlichem Rabigator. Der Sand-Alligator brüllt und fletscht die Zähne. Er kommt auf uns zu und die Flamara vor uns machen sich kampfbereit. Ich fühle mich dezent überfordert mit der Situation und weiß überhaupt nicht so recht, was ich am besten tun soll. Dass ich mich nicht in den Kampf stürze ist klar, aber sollen wir fliehen? Falls, ja wohin? Der Wind frischt plötzlich auf und jede Menge Sand wird aufgewirbelt, an Flucht ist nicht mehr zu denken. Ich drücke mich an Schnuff, versuche ihn etwas abzuschirmen und spüre, wie Sam dasselbe tut. Nur das er nicht meinen Bruder zu schützen versucht, sondern mich. Der Sand schmerzt in den Augen und juckt unerträglich auf der Haut. Ich erkenne kaum noch etwas, weil der Wind stärker wird und mehr und mehr Sand aufwirbelt. Ich höre eine Art Pfeife, was vermutlich durch den Sturm entsteht. Ich höre Chief, wie er dem Rabigator entgegen grollt, dass es verschwinden soll. Ich höre Knurren und „Säbel rasseln“. Was ist hier nur los? Ich spüre, wie ich mich mehr und mehr ohnmächtig fühle, weil ich nichts tun kann, außer hier zu hocken und aufs Beste zu hoffen. Das Pfeifen beginnt zu schwingen und formt eine Melodie. Oder ist es etwas anderes wie der Wind? Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob das wirklich der Sturm ist, der dieses traurig anmutende Lied erzeugt. Plötzlich wird es dunkel und das Knurren und Grollen verstummt. Wir sehen nach oben, irgendetwas verdeckt die Sonne ... Kapitel 35: Freiflug -------------------- Mehr erkenne ich nicht. Der Sand lässt meine Augen tränen und nimmt mir generell die Sicht. Aber ich sehe, wie ein großer Schatten, ich vermute das Rabigator, sich zurückzieht und dann nicht mehr zu sehen ist. Wind und Sand werden im nächsten Augenblick etwas abgeschwächt und ich höre Chilli, die sich scheinbar über uns gebeugt hat, flüstern, dass es gleich besser werden wird. Die Melodie verstummt einige Sekunden später und der Sand beginnt sich zu legen. „Woah!“, tönen Schnuff und Sam zeitgleich und ich sehe auf. Ich bekomme große Augen und verstehe die Jungs. Vor uns ist ein Libelldra! Wie cool ist das denn bitte?! Ich mochte das Pokémon vom ersten Moment an sehr. Die Optik ist wirklich gelungen und der Wortwitz Zwecks englischem Namen und Gestalt passt perfekt. Ich hatte sogar mal ein Shiny. Optisch ist die Shiny-Variante nicht der Brüller, aber das war mir egal. Es war mein mühsam hochgeleveltes Libelldra und ich war glücklich darüber. Dieses hier wirkt irgendwie sehr groß, größer wie normal. Oder liegt es daran, dass ich so klein bin? „Diese Rabigator …“, seufzt das Libelldra genervt. „Keinen Funken Anstand haben sie im Leib. Benehmen sich wie wilde, unzivilisierte, ungehobelte …“ „Liv“, spricht Chief das Pokémon freundlich, aber auch ein wenig mahnend, an. Das Libelldra stutzt und ihr Blick fällt auf uns. „Verzeih, Chief. Ich habe mich hinreißen lassen“, erklärt sich mit einem leichten Kichern. „Das Revier hier gehört den Rabigator“, erklärt uns Chilli leise, während das Clanoberhaupt mit Liv spricht. „Es lässt sich leider nicht vermeiden, dass wir hier hin und wieder durch müssen. Alle Versuche mit ihnen eine freundliche Lösung dafür zu finden, sind bisher gescheitert.“ „Oh“, tönen wir drei. Das erklärt die sehr angespannte Haltung der Flamara, nachdem wir das kleine Sand-Kroko gesehen haben. Sie haben bereits damit gerechnet, dass wir Probleme bekommen. Chief kommt zu uns gelaufen. „Ich möchte euch Liv vorstellen“, sagt er lächelnd und macht einen Schritt beiseite, um dem Libelldra Platz zu machen, dass ihm gefolgt ist. „Sie ist der Freund, oder besser, die Freundin, auf die wir gewartet haben.“ „Hallo Neuankömmlinge“, begrüßt uns Liv. „Hallo Liv“, antworten wir, als hätten wir es einstudiert. „Darf ich fragen, was für ein Pokémon du bist?“, platzt Sam direkt heraus. Von wegen ich bin neugierig. Irgendetwas sagt mir, dass Sam mir da in nicht allzu viel nachsteht. „Ich bin ein Libelldra“, erklärt sie uns und posiert ganz kurz Stolz. „Ich bin die finale Entwicklung von einem Knacklion. Ich bin ein Drachen- und ein Boden-Pokémon.“ „Du bist hübsch“, säuselt Schnuff und zieht im nächsten Moment verschämt den Kopf ein, weil er selbst gemerkt hat, dass das vielleicht etwas unpassend war. „Vielen Dank“, freut sich Liv und lächelt breit. „Liv wird uns mitnehmen und zum Clan bringen“, erklärt Chief. „Mitnehmen?“, frage ich verwirrt. Das Flamara sieht mich schmunzelnd an. „Wir klettern alle auf Livs Rücken und fliegen die restliche Strecke.“ „Fliegen?“, wiederhole ich mehr, wie ich frage. „Cool!“, tönt Sam begeistert und ist schon auf die Pfoten gesprungen. Schnuff hingegen sieht Chief, dann Chilli, dann Liv an. „Muss das sein? Können wir nicht laufen?“, stammelt er unsicher und sieht zum Clanoberhaupt zurück. „Das ist zu gefährlich. Außerdem seid ihr Evoli und die Wüste nicht unbedingt der geeignete Ort für euch, wie ihr bereits gemerkt habt“, erklärt Chief geduldig. Ich verstehe seine Antwort nicht so recht. Das Libelldra bringt uns doch noch weiter in die Wüste, oder nicht? Ist der Zielort anders als der Rest der Wüste? Ich bin etwas überfragt, auch wie ich das finde. Nichts gegen Fliegen per se, aber so ungesichert auf dem Rücken von einem Libelldra? Ich bin nicht überzeugt. „Wird dir das nicht weh tun?“, frage ich Liv skeptisch. „Papperlapapp“, winkt sie ab. Sie klopft gegen ihren Brustkorb. „Ich habe ein dickes und festes Schuppenkleid, wie jeder gute Drache es haben sollte. Ihr könnt euch festkrallen so viel ihr wollt, es wird mir nicht wehtun.“ Nein, ich bin immer noch nicht überzeugt. Aber die Flamara lassen uns nicht wirklich eine Wahl. Chief schiebt meinen Bruder vorwärts, während Chilli mich stupst, damit ich mich auch in Bewegung setzte. Ich laufe auf das Libelldra zu und bin echt unsicher. Die Vorstellung ohne Sicherung auf dem Rücken von Liv über die Wüste zu fliegen, behagt mir überhaupt nicht. Die Pokémon-Dame beugt sich nach vorn und Sam klettert aufgeregt auf ihren Rücken. Er strahlt mit der Sonne um die Wette und scheint es kaum erwarten zu können. Ich fasse mir ein Herz, hauptsächlich, um für meinen Bruder ein Vorbild zu sein. „Komm, Schnuff, wir sind auf einem Wailmer über das offene Meer gefahren, da werden wir doch vor einem Flug mit einem Libelldra nicht keifen“, sage ich möglichste enthusiastisch und laufe zielsicher zu Liv. „Okay“, murmelt er leise und folgt mir. Wir klettern ebenfalls auf Livs Rücken, gefolgt von den Flamara. Widererwartend haben wir alle Platz; es ist ein bisschen eng und kuschelig, aber es geht. „Haltet euch gut fest“, tönt das Libelldra und beginnt mit den Flügeln zu schlagen. Sofort hört man wieder diese Melodie, die ich vorhin schon gehört habe und der Sand wirbelt auf. Das war also vorhin Liv. Wir heben langsam ab und Sam jubelt begeistert, was im nächsten Moment in einen Hustenanfall untergeht. In einem Sandsturm sollte man lieber den Mund halten, du Genie. Ich kneife die Augen zu und drücke mich gegen Liv. Der Sand ist unerträglich, krabbelt auf der Haut und in den Augen und Ohren. Nach einigen Momenten sind wir über dem Gewirbel und die Sicht ist einigermaßen klar. „Los geht`s“, freut sich das Libelldra und setzt sich langsam in Bewegung. Von unserer jetzigen Position aus sieht man wirklich weit. Nur, es gibt nicht wirklich etwas zu sehen. Sand, überall um uns herum ist bis zum Horizont nur Sand. Der Flug ist sehr ruhig, gemächlich gleiten wir dahin, ohne Ruckeln oder Sonstiges. Es fühlt sich tatsächlich echt gut an und vor allem sicher. Ich schiele leicht über mich, wo sich Chiefs Kopf befindet. Tatsächlich interessiert mich sehr, warum die Flamara mit den Libelldra befreundet sind. Ich sehe wie das Flamara zu grinsen beginnt und dann zu mir runter schaut. Ich drehe eher aus Reflex den Kopf weg und starre in die Ferne. Chief lacht leise. „Nun frag schon, Naseweis.“ Aus Trotz bin ich fast verleitet es zu lassen, aber das wäre echt kindisch. „Woher kennt ihr euch?“, frage ich und sehe wieder zu dem Clanoberhaupt. „Vor vielen Generationen, noch bevor ich geboren wurde, war eine Gruppe Flamara in der Wüste unterwegs. Sie waren auf Erkundung und Nahrungssuche und fanden ein Vibrava, das ist die Zwischenstufe zwischen einem Knacklion und einem Libelldra“, erklärt Chief. „Es war am Flügel verletzt und konnte nicht mehr fliegen.“ „Warum ist es nicht gelaufen?“, hackt Sam verwirrt nach. Liv kichert. „Du kannst das nicht wissen, aber Vibrava haben nur sehr kurze Beine. Sie sind nicht wirklich gut zu Fuß.“ „Die Flamara haben das Pokémon mit zum Clan genommen und es gepflegt“, setzt das Clanoberhaupt die Geschichte fort. „Nach ein paar Tagen tauchte ein Libelldra auf, es war auf der Suchen nach dem Bruder der Anführerin. Und wie ihr euch denken könnt, war das Vibrava das gesuchte Pokémon. Darauf hin haben unser und der Libelldra-Clan einen freundschaftlichen Pakt geschlossen. Das ist aber schon wirklich lange her, bestimmt schon zehn Generationen inzwischen.“ Wir sind noch eine Weile unterwegs, bis auf Sand und die Melodie der Libelldra-Flügel findet nichts Nennenswertes statt. „Da hinten“, meldet sich Chilli freudig zu Wort. Wir machen einen langen Hals, um zu sehen, was da wohl ist. In einiger Entfernung zeichnet sich ein grüner Fleck ab. „Eine Oase“, flüstere ich leise. „Eine was?“, fragt Schnuff mich irritiert. Ähm … ich sollte das nicht wissen. Genau wie ich das Sand-Kroko nicht hätte erkennen dürfen, oder, dass ich mich wie Sam hätte wundern müssen, warum das Vibrava nicht nach Hause gelaufen ist … Langsam wird es schwierig, mein Wissen und Verhalten zu erklären. „Eine Oase“, wiederholt Chief. „Ich habe deiner Schwester davon erzählt.“ Dankbar sehe ich das Clanoberhaupt an, das mir leicht zuzwinkert. „Das wird euer neues zu Hause“, fügt Chilli an. „Toll“, staunt Schnuff, gefolgt von einem „Woah“, von Sam. „Wir gehen etwas außerhalb runter“, erklärt Liv, „Wir wollen eure hübsches zu Hause ja nicht unter einer Ladung Sand begraben.“ Nachdem das Libelldra gelandet ist, klettern wir alle von seinem Rücken. „Chief!“, brüllt es aus einiger Entfernung. Erschrocken zucke ich zusammen und sehe mich um. Eine Gruppe Flamara ist auf dem Weg zu uns. „Wo hast du nur gesteckt?! Du solltest die Welpen holen und keinen Abenteuer-Urlaub beim Blitza-Clan machen!“, ruft das hörbar weibliche Flamara, das ganz vorn an der Gruppe ist. „Ich hätte mitkommen sollen, ich hätte mitkommen sollen!“ „Darf sie das?“, fragt Sam stotternd und sieht Chief mit großen Augen an. Ich verstehe ihn. Ja, Chief wirkt recht locker, aber er ist und bleibt das Clanoberhaupt. Ich hätte nicht gedacht, dass es jemand wagen würde, so mit ihm zu reden. Monty habe ich zwar effektiv nur zweimal gesehen, aber er hat nicht den Eindruck gemacht, als würde er zu lassen, dass man so mit ihm spricht. Von Leonore ganz zu schweigen. Und gerade für Sam, der mit ihr als Chefin großgeworden ist, dürfe das hier gerade einem Kulturschock gleichkommen. Das Clanoberhaupt lacht und scheint sich ziemlich zu freuen. „Das ist meine Stellvertreterin“, erklärt er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)