Between Love and Friendship von KatieBell (Zwischen Liebe und Freundschaft) ================================================================================ Kapitel 10 - Lächeln -------------------- „Ich glaub's ja nicht...“, hörte er sie, als er gerade wieder im Türrahmen zum Wohnzimmer reinkam. „Was ist denn?“ „Da ist Moos drauf. Wie geht das denn?!“, stieß sie aufgeregt aus. Neugierig wie Moos und Computer in einem Kontext zusammenpassen sollte, trat Genzo näher und ging neben ihr in die Hocke. „Moos?“ „Auf der Pumpe... guck.“, sagte sie und hielt ihm ein Teil entgegen, dass sie gerade vom Inneren gelöst hatte. Er stellte seine Kaffeetasse aufs Sideboard links und setzte sich im Schneidersitz, bevor er sich das grüne Ding ansah. „Doch kein Aquarium. Ein Steingarten hat Moos.“ „Sehr witzig.“, kommentierte sie es trocken, „Wo kommt das her?“, fragte sie laut und legte das Gehäuse vorsichtig zur Seite. Interessiert sah er ihr dabei zu, wie sie einzelne Kabel, rote, grüne, gelbe, weiße hin und herschob, bis sie an zwei Schläuche kam. Erst jetzt bemerkte er, dass sie Einweghandschuhe trug. „Wozu die Handschuhe?“ „Damit ich keine Fettflecken hinterlasse. Jedes Teil ist empfindlicher, als das andere. Außerdem will ich eh noch die Leitpaste erneuern. Das hab ich nicht gerne an den Händen.“ Dann legte sie ihre Finger unterhalb des Schlauches und fuhr diesen ab, bis sie ihre Hand wieder zurückzog. „Da ist ein Leck. Ich fass es nicht.“, stöhnte sie genervt, „Oh Gott... die Graka... hoffentlich hat die nichts abbekommen...“ „Graka?“ „Die Grafikkarte...“, antwortete sie murmelnd, „Abkürzung. Sorry, ich vergesse immer, dass du davon keine Ahnung hast.“ „Keine Ahnung ist noch untertrieben, wenn ich mir das Chaos da drin ansehe. Wie kannst du da den Überblick behalten?“ „Weiß nicht,... im Endeffekt, wenn man sich damit nur ein bisschen beschäftigt, weiß man, welches Kabel für was ist.“, sagte sie federleicht und nahm erneut den Schraubenzieher zur Hand. „Also... ist es kaputt?“ „Definitiv Schrott. Ich hab eine Haufen Kohle für die geschlossene Wakü-“, begann sie, doch sie musste erneut seinen verwirrten Blick gesehen hatte und revidierte ihre Aussage noch einmal, „-Wasserkühlung ausgegeben. Ich wollte keine, die ich dauernd das Wasser wechseln musste. Da hätte ich alle sechs Monate kontrollieren müssen und das Ding komplett auseinander bauen dafür. War mir zu viel Aufwand.“, murmelte sie und löste ein etwas größeres Teil. „Was ist das?“ „Die Grafikkarte. Halt mal.“, sagte sie nur kurz angebunden und drückte ihm das Teil schon in die Hand. „Ehm... ich mach daran aber nichts kaputt, oder?“ „Wenn du es nur an den Seiten hebst und nicht rumwirfst, dann nicht.“, kam es sarkastisch von ihr. „Als würde ich das machen...“, murmelte er nun und sah sich das Ding genauer an. Er hatte wirklich null Ahnung davon. Kaum zu glauben, was für ein riesen Gerät das war. Genzo drehte es vorsichtig, als er einen Schriftzug sah. Er wollte wissen, was darauf stand, doch schon beim ersten Wort wusste er nicht, wie er es aussprechen sollte. „Was steht da?“ Sie sah zu ihm, während sie beide Hände gerade im Gehäuse hatte. „Nvidia.“ „Ach so spricht man das aus. Ist das der Name der Karte?“ „Nein. Der Hersteller.“, erwiderte sie und fügte hinzu, „Nvidia und AMD sind Marktführer, was Grafikkarten angeht. Wobei AMD erst in den letzten Jahren ziemlich gut dasteht. Preis-Leistung technisch gesehen. Aber bei Grakas nehm' ich lieber eine von Nvidia, auch wenn ich da mehr bezahle.“ Mittlerweile nahm sie noch etwas Quadratisches heraus und legte es vorsichtig aufs Laminat ab. „Aha. Und die Karte hat sicherlich auch eine genaue Bezeichnung.“ „Ist eine RTX 2080 Super.“ „Ist die gut?“ „Highend Grafik, Genzo.“, sah er sie grinsen, „Ich könnt damit alle Games auf höchster Einstellung spielen. Ich glaub sogar, bei der hab ich für die nächsten drei Jahre ausgesorgt. Wenn nicht noch länger.“ „Ich will gar nicht wissen, wie viel du für sowas ausgibst.“ „Ich glaube, ich hab ungefähr 600,- Euro ausgegeben.“, kam prompt die Antwort und hatte schon wieder den Blick abgewandt. „Ich wollte es nicht wissen.“, seufzte er und legte die Karte dann mit Bedacht auf seinen Schoß ab, da sie so langsam schwer wurde, „Wieso gibst du so viel Geld aus? Würde es eine schlechtere Karte nicht auch tun?“ „Sicher. Aber ich bin ein Grafikjunkie. Die RTX-Serie hat sogar eine Raytracing Funktion. Das konnte ich mir nicht entgehen lassen.“ „Was ist das jetzt schon wieder?“ „Durch Raytracing kann im Spiel indirektes Licht, das über Ecken reflektiert wird, oder halb-transparente Objekte, durch die Licht scheint, sowie realistische Schatteneffekte dargestellt werden. Das macht das ganze Spiel dahinter um so realistischer.“ „Also eine Spielerei, ja?“ „Wenn du es so nennen magst,... ja. Ich sag ja, Grafikjunkie.“, murmelte sie zuletzt, „Auch wenn ich bei vielen Games auf höchste Grafikeinstellungen gehe, gibt es immer wieder ein paar Sachen, die schalte ich prinzipiell aus. Wie Antialiasing, das braucht nun wirklich kein Schwein. Oder Bewegungsunschärfe bei Shootern. Das ist absolut useless. Aber Raytracing ist schon was feines. Gerade in Storygames.“ „Du bist verrückt.“ „Ich wollt mir halt mal was gönnen. Außerdem ist die Karte schon ein gutes Jahr alt, okay. Es ist nicht die Neuste mehr.“ „Also würdest du dir eine neue Karte holen, wenn es was interessantes auf dem Markt gebe?“, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen nach. „Nein. Mein Geld wächst nicht auf Bäumen.“, sagte sie etwas genervt, „Meine Alte war eh... nicht mehr so fit, sag ich mal. Ich musste eh aufrüsten. Das hat mir gut in den Kram gepasst. Wie gesagt, mit der hab ich ein paar Jahre Ruhe.“ „Wieso beruhigt mich das nicht.“ Sie seufzte und nahm dann endlich die Wasserkühlung komplett heraus. „Das Ding kann ich in die Tonne treten...“ „Gibt's da nicht irgendwie eine Garantie?“, fragte er nach. „Die ist schon überfällig.“, seufzte sie, „Fünf Jahre haben sie gesagt, hält sie, ohne das man was machen muss. Ich versteh es nicht. Für was gebe ich so viel Geld aus, wenn es nach zwei Jahren den Geist aufgibt?!“, seufzte sie und sah sich den wohl defekten Schlauch an, „Nicht auszudenken, wenn ich das noch länger aufgeschoben hätte. Wer ahnt sowas denn... Das hätte mir den kompletten Pc ruiniert.“ „Wie lang hat es schon da drin geblubbert?“ „Puh... ehm... eins-zwei Wochen, vielleicht? Ich hab das erst gar nicht gecheckt, woher das kam. Bin nicht davon ausgegangen, dass es die Wakü ist.“, sagte sie und drehte sich halb zu ihm um, „Ich weiß noch, dass ich vor drei Wochen erst das alles sauber gemacht habe. Da war noch kein Leck und da kann mir keiner sagen, dass das innerhalb einer Woche passiert. Das wäre mir doch aufgefallen, wenn die Schläuche nicht mehr ganz intakt wären.“ „Mhm. Also... brauchst du wohl eine neue Kühlung.“ „Aber sicherlich keine Wasserkühlung mehr. Damit bin ich durch. Da haue ich lieber vier Luftkühler rein, die tun es auch zur Not. Auch wenn mir das Geräusch der Lüfter wieder tierisch aufn Senkel gehen wird.“ Lena nahm das Päckchen endlich in die Hand und griff zu einer Schere, die sie sich offenbar schon bereitgelegt hatte. Im Handumdrehen hatte sie es geöffnet und holte vier Lüfter dort heraus. Die Rädchen, die ihn an einen Ventilator erinnerten, waren in einem viereckigen Kunststoffgehäuse eingebaut gewesen. Mit zügigen Händegriffen, hatte sie zwei Lüfter bereits in wenigen Minuten verbaut, bis sie kurz innehielt. Nur um ihn dann kurz anzusehen. „Du hast doch noch Zeit, oder?“ „Ehm... ja. Wieso?“ Doch sie antwortete ihm nicht. Stand plötzlich auf und tapste leichtfüßig aus dem Wohnzimmer. Was auch immer sie vor hatte, irgendwie wusste er, dass dabei nichts Gutes dabei herumkam. Seufzend schnappte er sich kurz seinen Kaffee und nahm einen großen Schluck daraus. Gerade rechtzeitig, da kam sie auch schon wieder und hielt ihm ein Kästchen entgegen. Er stellte die Tasse zurück und sah sie verdutzt an. „Was soll ich damit?“ „Die Karte sauber machen.“ „Bitte was?“ „Tu was für deinen Kaffee.“, entgegnete sie ihm grinsend. Wenn Hermann so mit ihm reden würde, würde er ihm einen Vogel zeigen. Aber Lena konnte er so schwer was abschlagen. Was sicherlich auch gerade an der gesamten Situation lag. Seit langem hatte er das Gefühl, dass er wieder ganz normal mit ihr Umgehen konnte. Dass sie über ganz normale Themen reden konnten. Das hatte ihm irgendwie gefehlt. „Okay... aber nicht damit.“, sagte er dann und deutete auf das Kästchen. „Mit was sonst?“ „Das sind Wattestäbchen, Lena.“ „Ich weiß.“ „Du willst mich verarschen, oder?“ „Ich mach das auch immer so. Das oder Luftdruckspray. Aber die letzte Dose ging bei der Komplettreinigung von vor drei Wochen aus. Und mit einem Lappen gehst du mir da nicht dran. Am Ende kann ich wirklich eine neue Karte kaufen.“ Er stöhnte genervt und nahm ihr das Kästchen aus den Händen. „Es reicht auch, wenn du nur die Lüfter vom Staub befreist.“, lächelte sie und setzte sich wieder neben ihm. „Na schönen Dank auch. Das nächste Mal, wenn du mich auf einen Kaffee einlädst, frag ich vorher nach, ob du an deinem Computer rumschraubst.“ „Der erste Kaffee ging aufs Haus. Für den Zweiten musst du bezahlen.“, lachte sie dann und wollte etwas Giftiges kontern. Doch er beließ es dabei. Er könnte dabei nur ihr Lachen unterbrechen, dass er so gerne hörte. Ihr Lachen und selbst das Lächeln danach, als sie sich einem anderen Teil wieder zuwandte, um es einzubauen, fand er befreiend. Wenn er da zurückdachte... vor zwei Monaten hatte sie noch weinend in Mayas Wohnung gestanden und hatte die Scherben ihres Lebens aufgesammelt. Wenn er daran nur dachte, kam schon wieder diese elendige Wut in ihm hoch. Oft war Genzo kurz davor gewesen, dem Starspieler einfach eine reinzuhauen. Beim Training kam der Gedanke viel zu oft. Der Blonde verschwendete keinen Augenblick, um ihn spüren zu lassen, dass er unerwünscht war. Er fühlte sich fast Jahre zurückgeworfen, als er in Hamburg anfing zu spielen. Dieses ganze Mobberei. Die gerade von Karl ausging und erst mit einigen Monaten besser wurde, nachdem er ihn als Keeper akzeptiert hatte. Seit seiner und Lenas Trennung fing das alles nämlich wieder an. Genzo bemerkte recht schnell seine Eifersucht. Viel deutlicher und intensiver, als all die Jahre zuvor. Obwohl er mittlerweile eher weniger Kontakt hatte, als früher zu ihr. Was Karl allerdings ja auch nicht wusste. Er hatte darüber nur immer gedanklich den Kopf geschüttelt und auch Hermann sagte öfters, er solle ihn reden lassen. Er könne ihm schließlich gar nichts und wenn sich sein Verhalten nicht bald ändern würde, zumindest auf dem Spielfeld, wäre es die letzte Saison, welches er für den HSV spielte. Das hatte ihm Frank zufällig zugesteckt, als er den Vereinspresidenten darüber reden hat hören. Ihm war das alles so egal. Hauptsache, er würde sie in Ruhe lassen. Sie fing gerade erst wieder an, ihr Leben neu zuordnen. Da brauchte sie keine alte Lasten. Deswegen hatte er auch den größten Teil davon verschwiegen, als sie danach fragte. Sie sollte das einfach nicht wissen. Sollte sich keine Sorgen machen. Wenn er es erzählen würde, würde sie das ganz gewiss auf sich projektieren. Dabei hatte sie keine Schuld an dem, was nun gerade alles im Verein abging. Wieder sah er zu ihr und fixierte ihre Augen. Sie leuchteten so voller Vorfreude, oder Heiterkeit. So genau konnte er das nicht beschreiben. Glücklich eben. Das sollte einfach so bleiben. Am besten für immer. Er sah auf die Grafikkarte hinunter und seufzte, bevor er ein Stäbchen nahm und endlich begann die Ventilatoren sauber zu machen. Egal, wie viel es auch Spaß machte, sie auf den Arm zu nehmen und über ihr Hobby Witze zu reißen, sah er ihr Lächeln um einiges lieber. Wenn... wenn sie ihn anlächelte, war es sogar noch um einiges besser. Kaum diesen Gedanken zu Ende gedacht, lächelte Genzo in sich hinein. „Bist du fertig?“, riss sie ihn aus den Gedanken. „Ehm...“, doch schon hatte Lena ihm die Karte aus der Hand geschnappt, „Noch nicht... wirklich.“ „Eher gar nichts. Wo warst du mit deinen Gedanken?“ Bei dir, schoss es ihm durch den Kopf, doch sagte etwas anderes. „Sorry. Das Koffein tut seinen Job nicht mehr. Bin nicht mehr so aufnahmefähig.“ „Das merk ich.“, sagte sie, „Wenn du Heim willst...“ „Ich wart noch, bis du fertig bist. Wer soll sonst die Tonne Metall wieder rüber tragen?“ „Ey... das ist nicht irgendein Kram. Wenn man alles zusammenrechnet, kannst du dir davon einen Kleinwagen finanzieren.“ „Brauch ich nicht. Ich hab ein Auto.“ „Du vielleicht.“, murmelte sie und begann die Karte kurz mit einem neuen Wattestäbchen zu überfliegen, bevor sie diese wieder an ihren Platz im Gehäuse anschraubte. „Wenn du ein bisschen auf den teuren Kram wie... Sekunde... Raytracing war das, oder?“, fragte er für sich und wartete nicht eine Antwort von ihr ab, „... verzichten würdest, hättest du dir schon längst den Führerschein damit bezahlen können.“ „Was nützt mir der Lappen, wenn ich mir kein Auto leisten kann?!“ „Aber einen Highend-Computer. Ich versteh die Logik dabei nicht. Du etwa?“ Er hörte sie stark ausatmen und konnte sich das Grinsen nicht verkneifen. Es war schon einfach, sie auf die Palme zu bekommen. Aber ausfallend wurde sie nie. Das musste er ihr zugute halten. „Kehr du erst mal vor deiner eigenen Tür.“, sagte sie dann relativ ruhig, auch wenn es in ihr wahrscheinlich gefährlich brodelte. „Was soll das jetzt heißen?“ „Du gibst auch unnötig dein Geld aus für den ganzen Fußballkram.“ „Noch lang nicht so viel, wie du. 600 Euro für eine Grafikkarte. Mein Laptop hat vielleicht 250,- gekostet. Alles in einem.“ „Laptops.“, zischte sie ungehalten, sah aber nicht zu ihm auf, „Das kannst du ja wohl nicht vergleichen.“ „Reicht aus. Ich könnte damit auch Spiele spielen.“ „Was denn?“, fragte sie herausfordernd und sah nun doch zu ihm, „Spider-Solitär und Minesweeper? Bravo, Genzo. Das konnte schon der alte Pc meiner Mum, auf dem Windows 98 drauf war.“, sagte sie spitz, „Das war in den 90ern.“ „Könnte spielen. Tu ich nicht. Ich brauch nur etwas, worauf ich meine Emails schreibe und das ich ein bisschen im Internet damit surfen kann.“ „Siehst du und genau das ist der Unterschied zwischen uns beiden.“, sagte sie und schraubte gerade die letzte Luftkühlung im Gehäuse an, „Ich brauch den ganzen Scheiß eben. Das ist eben mein Hobby und zufälligerweise mache ich das auch beruflich. Ich bin damit aufgewachsen.“ „Das erwähnst du ständig. Aber du kannst mir nicht erzählen, dass du schon als Kind am Rechner saßt.“ „Nein, so lang dann doch nicht. Damals waren die Konsolen interessanter. Nintendo, Playstation und so... oh die erste Playsi mit Internetzugang. Highlight.“, grinste sie, „War glaube ich die dreier...“, sah sie nachdenklich in die Luft, „Müsste hinhauen. Danach bin ich irgendwann auf Pc gewechselt und da hängen geblieben.“ „Wann hast du eigentlich angefangen Rainbow zu spielen?“, fragte er dann, als ihm die Frage durch den Kopf schoss. „Mit 16.“ „Das Spiel ist ab 18.“, stellte er klar und deutlich fest und wieder sah er sie grinsen. Es gefiel ihm so gut, dass er sich anstecken ließ. „Was du nicht sagst, aber wenn du dir die Keys übers Internet holst, guckt da keiner nach dem Alter. Eine Paysafecard an der Tankstelle gekauft und ab dafür.“ „Also... 16, ja? Dreizehn Jahre schon.“ „Mehr oder weniger. Am Anfang hab ich es schon hart durch gesuchtet. Hab die Schule mega schleifen gelassen, aber als das Abitur vor der Tür stand, hab ich auf die Bremse getreten.“, erzählte sie beiläufig, „Hatte gut zwei, oder drei Jahre komplette Pause davon und dann fing es halt wieder an.“, zuckte sie mit den Schultern. „Man kann also sagen, du hingst dauerhaft davor.“ „Danke, das du mich daran erinnerst.“, sagte sie zugleich und er bemerkte, wie er Lächeln abrupt erstarb. Was hatte er denn jetzt Falsches gesagt? Er hörte sie seufzen und die Stille tat ihr übriges. Nachdem er nämlich nichts mehr sagte, sah sie erneut zu ihm. „Die Kinder hängen heutzutage nur noch vor der Glotze, Zitat von Rudi Schneider.“, half sie ihm auf die Sprünge. „Oh.“, kam es nur über seine Lippen. Verdammt, daran hatte er nicht mehr gedacht. Super, Genzo. Mal wieder erfolgreich Salz in die Wunde gestreut. „Könnte mich grade wieder darüber aufregen. Als ob jeder, der Shooter spielt ein potenzieller Amokläufer wäre! So ein Bullshit...“, keifte sie, „Mir hat's auch nicht geschadet. Nicht dass das alles entschuldigen sollte. Sicher gibt’s ein paar Idioten da draußen, die sich da was abgucken, aber so eine Psyche kommt nicht von solchen Spielen. Da ist einfach schon viel früher was schief gelaufen!“, begann sie ihre Tirade, „Aber man sucht ja immer woanders einen Schuldigen und was wäre da besser, als alle Gamer in eine Schublade zu stecken.“ „Ich steck dich nicht in eine Schublade.“, murmelte er leise. „Ich meine das auch im Allgemeinen. Die Leute suchen sich immer das aus, was ihnen gerade in den Kram passt. Nur weil sie zu unfähig sind, die wahren Probleme zu finden und zu lösen.“, sagte sie und atmete tief durch. Solche Diskussionen hatte sie schon früher oft geführt. Insbesondere mit Karls Vater. Wie oft, das konnte er nicht sagen, aber viele davon hat er hautnah miterlebt. Sie war da kaum mehr zu bremsen gewesen und Rudi Schneider erst Recht nicht. Am Ende war es keine Diskussion mehr, sondern ein regelrechtes Angezicke, Rumgemeckere und meistens wurde es dann auch noch beleidigend. „Ich sag nur der Amoklauf von Winnenden. Was da passierte war schrecklich, ja. Aber das ein 17-jähriger so verschroben war, dass er 15 Menschen in seinem Alter erschoss, lag nicht daran, weil er von Mutti die Killerspiele gekauft bekommen hat.“, sagte sie und betonte die Spielart besonders dabei, „Genau an so was sollte man ansetzen. Das solche Spiele nicht unter 18 geeignet sind, ist klar. Aber dann sollte man mehr darauf achten und besonders Vorboten davon erkennen. Das mit dem was nicht stimmte, war danach ja klar, soviel wie da in den letzten Jahren noch rauskam. Soziale Phobie, die man als nichts abtat, die sich bestimmt rauswächst,...“, fügte sie hinzu und deutete es mit Gänsefüßchen per Hände an, „Da fängt es doch schon an. Den auch noch mitzunehmen zum Schießtraining, damit er unter Leute kommt. Vielleicht ein guter Ansatz, aber die Umsetzung total daneben!“, kam es ungehalten von ihr, „Oder das man Waffen im Schrank ungesichert, geladen lagerte... wo der wunderbar dran kam. Da kann man sich nur an den Kopf fassen.“ „Hast du nicht eben gesagt, du hast Rainbow auch mit 16 angefangen.“ „Ja, schon. Aber ich war und bin nicht psychisch instabil, Genzo. Es entwickelt sich ja auch schließlich jeder anders. Außerdem hat meine Mum das ganz sicher nicht toll gefunden und mir mehr als einmal ein Passwort in den Pc geknallt. Nun... sie hat's versucht. Aber ihre Passwörter waren leicht zu knacken.“, lächelte sie dann kurz, „Wie auch immer. Auf was ich hinauswollte. Es war für mich ein leichtes an so Spiele ranzukommen. Da muss man ansetzen. Aber das ist denen ja alles zu viel Arbeit, weil da müssen dann wieder irgendwelche Gesetze geändert werden, also lässt man es einfach so weiterlaufen. Selbstreflektierung war noch nie ein Ding der Politiker.“ „Ja.“, seufzte er, „Ich will dich ja nicht unterbrechen bei deinem inneren Konflikt, mit der Meinung der Anderen, aber ich werde gerade echt müde. Brauchst du noch lange?“ „Oh. Sorry. Ich... hab mich wieder um Kopf und Kragen geredet.“, murmelte sie entschuldigend. „Tust du immer.“, lächelte er verhalten, bevor er sich zu seiner Tasse streckte und kurz sogar auf gähnte. „Ich muss nur doch die Blende dran machen.“ „Funktioniert wenigstens alles?“ „Das sehe ich dann drüben, wenn es am Netz hängt.“ „Und wenn es nicht geht?“ „Dann mach ich die Blende eben nochmal ab und überprüf die Anschlüsse. Das kann ich auch aufm Tisch machen.“, sagte sie und war gerade dabei die vorletzte Schraube hineinzudrehen, „Sobald er drüben steht, entlass ich dich.“ „Welche Großzügigkeit.“, murmelte er, als er den letzten Schluck des Kaffees genoss, wenn auch mittlerweile kalt und stellte die Tasse auf das Sideboard zurück. „Oh ich merk schon. Du wirst unausstehlich, wenn du müde wirst.“ „Ist das so?“, fragte er dann nach und zog eine Augenbraue nach oben, „Wann hast du mich mal müde erlebt?“ Kurz schien sie zu überlegen und er rieb sich dabei müde über die Augen, bevor er dann sein Handy aus der Trainingshose holte. Oh Gott. Gleich 18.00 Uhr. Wenn er Zuhause war, würde er sich direkt ins Bett werfen. Morgen war frühes Training angesagt. Irgendwas um sieben rum, hatte sein Torwarttrainer gemeint. Er stöhnte genervt. Eigentlich war es nicht geplant gewesen so lange hier zu bleiben. Aber er vergaß irgendwie total die Zeit. „Letztes Jahr... die Benefiz Veranstaltung, weißt du noch?“, hörte er ihre sanfte Stimme und er sah verwirrt zu ihr. Über was hatten sie eben noch gesprochen? Er war schon so weggetreten, dass er es auf die kurze Distanz vergessen hatte. „Ehm... was?“ „Da war so eine Spendenaktion, den der Sportverein organisiert hatte. War ein cooles Projekt, aber es hat sich ewig gezogen und ihr durftet alle erst nach Ende gehen, wegen der Anwesenheitspflicht.“, erzählte sie munter weiter, „Da warst du auch schon halb am Schlafen und hast Kaltz angepflaumt, ob er nicht endlich mal die Klappe halten könnte.“, kicherte sie. Hatte er das so gesagt? Daran erinnerte er sich gar nicht mehr so richtig. Lena dafür umso mehr, wie ihm schien. Allein an dieses Event konnte er sich nur vage erinnern. Der HSV machte dauernd solche soziale Projekte. Da konnte er sich nicht alles merken. „Kann schon sein.“, murmelte er daraufhin dann nur. „Bin mir ganz sicher.“, erwiderte sie und er schloss kurz die Augen. Nach nur wenigen Minuten hörte er dann ein Klackern und schlug die Augen wieder auf. Sie hatte offenbar den Schraubenzieher neben sich geworfen und zog gerade die Handschuhe aus. „Fertig.“ „Endlich.“, seufzte er und versuchte aufzustehen. Was gar nicht so einfach war, da er sich gefühlt Stunden im Schneidersitz befunden hatte. Seine Beine taten so unsagbar weh. Waren fast eingeschlafen. Dennoch rappelte er sich auf und streckte sich kurz. „Kann ich das Ding jetzt wieder rüber schleppen?“ Doch zu seinem Verwundern, schüttelte sie den Kopf. „Mach lieber, dass du nach Hause kommst, bevor du beim Laufen noch den Pc fallen lässt.“ „Ich werd' schon aufpassen, Lena.“ „Vergiss es.“, sagte sie jedoch eisern, „Ich krieg das auch alleine hin.“ Hieße das jetzt, er hätte schon vor fünf Minuten gehen können? Manchmal... da könnte er richtig fies zu ihr werden. Gerade wenn er so war, wie eben. Müde, hungrig und total im Arsch. Aber er behielt trotzdem seine Haltung. „Wäre doch gelacht, wenn ich den fetten Pc nicht selbst wieder auf den Tisch kriege.“, sagte sie grinsend und stand auf. Genzo beobachtete das Schauspiel, als sie eher unbeholfen über dem Gehäuse stand und nicht wusste, wie sie das Teil anheben sollte. „Ich kann mir das nicht angucken. Geh mal beiseite.“, sagte er dann doch und versuchte halbwegs wach zu werden. Lena würde ihm an die Gurgel gehen, würde er ihren heißgeliebten Computer fallen lassen. „Lass den Scheiß, Genzo... du bist doch-“ „Papperlapapp. Ich bin nicht aus Watte, okay.“ „Das hab ich nicht gesagt.“, entgegnete sie ihm, als er sich schon hinunterbeugte und das Gehäuse, mitsamt all ihren Habseligkeiten, auf die Arme hob. „Wieder an den selben Platz?“, fragte er gleich hinterher. „Ja...“, sagte sie gedehnt und er ging diesmal voraus. Hinaus aus dem Wohnzimmer, durch den Flur, in ihr Zimmer. Ohne viele Probleme ließ er das schwere Teil auf den Schreibtisch ab. „Siehst du. Ganz easy.“ „Danke.“, kam es nun von ihr gemurmelt, da sie neben ihm zum Stehen kam. „Kein Problem. Bin gerne dein Packesel.“, kam es so schnell über seine Lippen, dass er das gar nicht so richtig realisieren konnte. Erst Sekunden später danach war ihm bewusst, wie das gerade geklungen haben musste. Dabei wollte er das doch gar nicht so sagen. Diese Müdigkeit war schuld. Er war nicht nur unausstehlich, sondern auch kopflos bei solchen Dingen. Innerlich schüttelte er die Gedanken davon. Einfach gar nicht darauf eingehen. „Ehm... ich geh dann.“ „Okay, ich... bring dich noch zur Tür.“ Sie drehte sich abrupt herum und er atmete tief durch, bevor er ihr folgte. Seine Tasche und Sportjacke hatte er vorhin an der Garderobe abgelegt, welche er nun wieder aufnahm. Sie öffnete die Tür, doch verharrte kurz. „Soll ich dir noch einen Kaffee zum Mitnehmen geben? Kann schnell-“ „Lass gut sein. Ich schlaf schon nicht während dem Laufen ein.“, lächelte er, „Koffein hilft da eh nicht mehr.“ „Wenn du meinst...“ Normal sollte er sich jetzt verabschieden und gehen. Eindeutig, aber... irgendwie hat sich die letzten Minuten bei ihr wieder ganz anders angefühlt. Distanzierter, irgendwie. Weg war die sorglose Stimmung, die Normalität. So konnte er das nicht stehen lassen. „Wann hast du frei?“ „Eh... Donnerstag. Warum?“ „Perfekt, da hab ich nur bis um eins Training. Lass uns was machen.“, sagte er und war nun fast wieder hellwach. „Ehm... ich weiß nicht, ob-“ „Schotte dich bitte nicht erneut von allem ab, Lena. Gerade nicht in deiner kleinen Dunkelkammer mit den vielen bunten, flackernden Lichtern. Da wirst du nur noch bekloppter.“ Normalerweise erwartete er schon einen Konterspruch von ihr, aber es blieb aus. Was ziemlich ungewöhnlich für sie war. „Und... an was hast du da gedacht?“, fragte sie stattdessen leise flüsternd nach. „Lass dich überraschen, ich hol dich ab um Drei.“, stellte er klar, ohne es wie eine Frage enden zu lassen. Es war ja auch keine, sondern eine Feststellung. Damit sie ja auch nicht auf die Idee kam, es zu verneinen. Sie müsste endlich mal wieder rauskommen aus ihrem Dickicht. Auch wenn sie vielleicht gelöster wirkte, konnte er nicht sagen, ob sie auch so in ihrem Inneren war. Genzo wollte sie wieder Lachen sehen und auch wenn er noch keinen richtigen Plan hatte, würde ihm schon was einfallen. Zur Not, konnte er immer noch Marie fragen. Die hatte immer schon das Talent besessen, genau ins Schwarze zu treffen, wenn es darum ging, für Lena das Richtige zu finden. „Okay... von mir aus. Aber wehe du bist unpünktlich.“ „Versprochen.“, lächelte er und kurz lächelte sie zurück. Der Drang sie zum Abschied zu umarmen kam ihm in den Sinn, doch er verkniff es sich. Irgendwie... fand er es unpassend. Wobei er früher damit weniger ein Problem hatte. Wieso war das alles nur so komisch geworden? „Dann... bis Donnerstag.“, räusperte er sich und sie erwiderte dasselbe, bevor sie dann doch endlich die Tür von innen zudrückte. Noch ein paar Minuten stand er vor ihrer Tür, bevor er sich endlich herumdrehte und den Heimweg antrat. Von der Müdigkeit kaum mehr eine Spur. Das sein Herz noch dazu unaufhörlich schlug, als wäre er hundertmal um den Platz gelaufen, konnte er sich auch nicht so richtig erklären. Aber ebenso bemerkte er, dass er seine Maske nicht mehr lange aufrechterhalten könnte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)