Phoenix von Last_Tear ================================================================================ Kapitel 4: Falling ------------------ Ein unbestimmtes Gefühl überfällt mich, als ich langsam versuche meine viel zu schweren Augen zu öffnen und es dauert sicherlich einige Minuten, bis es mir überhaupt gelingt, dieses Kunststück zu meistern. Wo bin ich? Der komplette Raum ist weiß. Und leer. Neben meinem Bett befindet sich ein Fenster und ich verziehe das Gesicht, als mein Blick sich automatisch in der Scheibe verfängt. Krankenhaus. Natürlich. Hätte ich mir denken können. Wobei, eigentlich nicht und mit gerunzelter Stirn versuche ich mich aufzusetzen und schnappe heftig nach Luft, als dabei ein stechender Schmerz durch meine komplette Hand fährt. Was ist bitte passiert? Relativ ungläubig starre ich auf meine Hand und den Gipsverband, welcher sich darum befindet. Wie konnte das denn passieren? Meine Gedanken drehen sich im Kreis und ich zwinge mich, tief durchzuatmen, bevor ich der Panik nachgebe und mich darin verliere. Denn sobald ich in diesen gefährlichen Strudel gerate, gibt es kein Entkommen mehr. Das habe ich längst gelernt. Je länger ich in dieser Position verharre, desto mehr wird mir bewusst, dass da noch ein anderer Schmerz ist, welcher meinen Körper im Griff hat, allerdings ist er dumpfer als der in meiner Hand. Warum kann ich mich nur nicht erinnern? Für gewöhnlich lande ich nicht im Krankenhaus, sondern bewahre meine angetrunkenen Bandkollegen eben davor…Natürlich könnte ich eine Krankenschwester rufen und Antworten verlangen, allerdings ist mir so gar nicht danach, mit einem Menschen zu reden, weswegen ich es vorziehe, mich wieder hinzulegen. Gleich besser. Ich muss eingedöst sein, denn das nächste Mal als ich die Augen öffne, sehe ich direkt in Akinoris besorgtes Gesicht, welcher mich aufmerksam mustert. „Reo…Du bist wieder wach!“ Damit fällt er mir um den Hals und ich gebe einen erstickten Laut von mir. Weiß er überhaupt, wie schmerzhaft das gerade ist? Zum Glück wird er von Hazuki am Kragen fast sofort weggezogen und ich kann wieder durchatmen. „Du sollst ihm dankbar sein, Aki, nicht seinen Krankenhausaufenthalt verlängern!“ Akinori sieht geknickt drein und ich muss schmunzeln - es ist selten, dass Hazuki mal so ernst ist, aber wenn, dann wirkt es. „Kann mir einer von euch erzählen, was passiert ist? Ich hab keine Erinnerung mehr, wieso ich hier bin.“, stelle ich seufzend fest, eigentlich sollte ich mich vermutlich aufsetzen, aber ich liege so bequem und so ist der Schmerz sogar halbwegs erträglich. Hazuki und Akinori tauschen einen Blick, bevor der Sänger mit den Schultern zuckt und leise aufseufzt. „Ums kurz zu fassen, hast du Aki den Arsch gerettet. Hab dich noch nie so wütend gesehen.“ Hazuki zuckt mit den Schultern und ich starre ihn an, während Gedanken sich in meinem Kopf zu drehen beginnen. Ich habe WAS getan? „Na ja…ein Kerl wollte mich unbedingt dazu bringen, dass ich mit ihm verschwinde…“ Akinori klingt so kleinlaut, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich ihn überhaupt ansehen soll, er scheint einiges durchgemacht zu haben und vermutlich habe ich gerade den schlimmsten Todesblick überhaupt drauf. Dabei bin ich doch einfach nur wahnsinnig verwirrt. Kurz herrscht Stille, bevor Akinori sich offenbar doch durchringen kann, weiter zu reden. „Und ich wollte nicht, also ist er handgreiflich geworden…Du hast dich eingemischt und gemeint, dass ich nicht für schnellen Spaß zu haben bin und na ja, dann ist die Sache wohl eskaliert.“ Er muss schlucken und ich starre ihn völlig fasziniert an. Ich erinnere mich an nichts mehr davon. Aber offenbar habe ich ihn mit dir verwechselt, denn ich weiß, dass ich schonmal einen Kerl mit einem „Der gehört mir!“ angeschnauzt habe, der dir damals nur einen ausgeben wollte. Offenbar sollte ich nie wieder so viel Alkohol trinken oder nicht mehr versuchen, meine Gefühle zu ertränken. „Der Kerl hat dich geschubst und du bist so blöd gefallen, dass du dir offenbar das Schlüsselbein gebrochen hast…Hat dich aber nicht davon abgehalten, ihn mit einem Schlag zu Boden zu befördern, dass er von seinen Kumpels rausgetragen werden musste, weil er nicht mehr aufgestanden wäre.“ Hazuki lacht, als wäre das alles wahnsinnig amüsant und ich starre ihn mit großen Augen an, versuche gleichzeitig zu verstehen, wieso ich das getan haben könnte und dann fällt mein Blick auf Akinori und ich muss schlucken. Natürlich. Er ist unser Küken, der Jüngste von uns, mein Beschützerinstinkt jedoch war bisher nur bei dir so stark. Ich muss da gestern einiges verwechselt haben, was wohl am Alkohol lag - und am Duschgel. Vielleicht auch an mehr versucht mir eine böse Stimme einzuflüstern und ich erschaudere. Nein, das ist völlig unmöglich, woher sollen Gefühle für den Bassisten denn bitte kommen? Ich liebe dich, Yusuke. Daran ändert auch dein Tod nichts. Das Herz will, was es will, flüstert mir die gleiche böse Stimme zu und mein Magen dreht sich um, während ich die Augen zusammen kneife. Nein, das kann einfach nicht sein, vor allem ergibt es überhaupt keinen Sinn. Ich empfinde für Akinori nicht mehr, als bevor ich nach Irland gegangen bin. Vielleicht hätte ich Aislyn fragen sollen, was in diesem verdammten Tee ist. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass es irgendetwas illegales war, das meine Gedanken ins Chaos stürzt. Das kann nicht einfach so passieren, dafür kenne ich mich selbst zu gut. Zwar heißt es, dass Menschen sich verändern, vor allem wenn sie geliebte Personen verloren haben, aber das kann es nicht sein. Ich war nie davor so sehr in einen Mann verliebt, du hattest mich völlig von den Füßen gerissen und mir den Kopf verdreht, dass ich absolut unsicher war, wer ich wirklich bin. Aber wie kann ich mich jetzt noch einem anderen Mann zuwenden? Noch dazu deinem besten Freund. Allein die Vorstellung ist so absurd, dass ich mir nicht mehr sicher bin, ob das hier nicht einfach ein Traum sein könnte. Ein Alptraum, sicherlich, aber doch nichts, was mich verletzen, oder ernsthafte Konsequenzen mit sich ziehen könnte. „Reo?“ Akinoris Stimme reißt mich zurück in die Realität und ich sehe ihn müde an, während ich merke, wie ich Kopfschmerzen bekomme. „Du bist so blass…“ Ich zucke mit den Schultern und schnappe nach Luft, als der Schmerz mir bewusst macht, dass das eine ganz blöde Idee war. „Alles gut. Ich bin nur müde.“ Hazuki nickt und steht auf und ich bin ihm wahnsinnig dankbar, dass er Akinori mit sich zieht. „Dann ruh dich aus, wir kommen morgen wieder, ja?“ Damit schenkt er mir noch ein Lächeln und als die Tür hinter ihnen ins Schloss fällt, vergrabe ich das Gesicht in den Händen. Was passiert nur mit mir?! Zwei Wochen dauert es, bis ich zurück nach hause darf, nachdem ich meine Symptome einer Krankenschwester beschrieben und einige Tests gemacht werden mussten um sicherzugehen, dass ich mir keine weiteren Verletzungen im Kopfbereich zugezogen habe. Aber offenbar bin ich soweit gesund, wenn man von den Brüchen absieht. Gut, meine Hand ist nur angebrochen, es reicht jedoch, dass ich starke Schmerzmittel verordnet bekomme, nicht allein sein darf und mich von Bars und Alkohol fern halten soll. Na ja, wenigstens hatten sie wohl etwas Humor im Krankenhaus. Trotzdem bin ich nicht glücklich mit dieser Lösung, welche sich angeboten hat. Hazuki hat es geschafft, sich damit rauszureden, dass ich ihm den Frauenbesuch vergraulen würde und vermutlich wäre es eine absolut blöde Idee, bei meinem Exfreund einzuziehen, bei Asanao lag es daran, dass in der ganzen Wohnung verteilt unfertige Designs liegen und er nicht sicher ist, ob seine Katze damit einverstanden wäre, einen neuen Mitbewohner zu haben - also bin ich vorübergehend bei Akinori untergekommen. Es wird definitiv Zeit, dass ich mir eine eigene Wohnung suche, stelle ich seufzend fest, als ich meine Reisetasche auf dem Gästebett abstelle - ich kann nicht ewig von Freunden zu anderen Freunden pendeln, das ist zu anstrengend und nervenaufreibend. Ich hätte sicherlich zurück nach hause gehen können, aber meine Mutter würde mir nicht die nötige Ruhe geben, die ich so dringend brauche. So sehr ich sie auch liebe, ab und an kann sie mich in den Wahnsinn treiben und ich bin noch nicht bereit, darüber zu reden, was passiert ist, dass dein Tod nur ein dummer Unfall war…Ich muss schlucken, während sich für einen kurzen Moment alles um mich zu drehen beginnt. Eventuell hätte ich mir einfach ein Hotelzimmer nehmen sollen…Allerdings brauche ich jemanden, der darauf aufpasst, dass ich mich mit den Schmerzmitteln nicht abschieße, das wurde mir deutlich gemacht, bevor ich entlassen wurde. Allein sein ist nicht gut für mich. Vor allem weil die Fluchtgedanken dann die Überhand gewinnen könnten. Einer der Vorteile, dass ich im Krankenhaus war, ich habe eine Liste von Therapeuten bekommen, um reden zu können. Um alles zu verarbeiten. Aber ich bin nicht sicher, ob ich dafür wirklich schon stark genug bin. Für einen Moment schweifen meine Gedanken zu Aislyn - sie hat mir ja angeboten, dass ich sie jederzeit wieder besuchen kann. Akinori schläft für gewöhnlich recht tief, theoretisch würde ich wohl aus dem Haus kommen, ohne dass er etwas davon mitbekommt, andererseits ist es genau das, was ich nicht mehr tun soll. Davonlaufen. Aber es ist so viel einfacher, als stehen zu bleiben und sich allem zu stellen, was sich angesammelt hat. Bevor ich jedoch in eine Negativspirale geraten kann, klopft es an der Tür und ich sehe müde zu Akinori, welcher mich schwach anlächelt. „Hey. Ich hab Tee gekocht und wollte fragen, was du essen willst…“ Er schaut so verlegen, dass mein Herz zu schmerzen beginnt und mir die folgenden Worte nur umso schwerer fallen. „Ich hab keinen Hunger, Aki.“ Er nickt stumm und seufzt dann leise. „So leid es mir tut, aber du wirst etwas essen müssen. Du musst deine Schmerzmittel nehmen, Reo und ich kann sie dir nicht geben, wenn du dich weigerst.“ Ach ja. Ups. Mit der unverletzten Hand fahre ich mir seufzend durch die Haare und zucke mit den Schultern. „Dann lass dir was einfallen.“ Vermutlich kam das rauer rüber als beabsichtig, so wie Akinori zusammen zuckt, allerdings bringe ich es auch nicht über mich, mich zu entschuldigen. Umso mehr überrascht es mich, dass er mich umarmt und vorsichtig lege ich die Arme um ihn und schließe die Augen. Eigentlich ist das schön. Es ist ewig her, dass ich eine Umarmung wirklich genießen konnte, bisher waren meine Gefühle immer hinter einer Mauer aus Eis verborgen, aber ich beginne offenbar aufzutauen, seit ich aus Irland zurück bin. Ob das gut oder schlecht ist, ist mir nur unmöglich zu sagen. Je länger wir so stehen, desto mehr wird mir bewusst, dass ich sie alle weggestoßen habe - und trotz allem sind sie immer noch bei mir. Womit habe ich das nur verdient? Als Akinori sich nach einer gefühlten Ewigkeit regt, zucke ich irritiert zusammen und als er mich fragend ansieht, treffen sich unsere Blicke und es ist mir unmöglich, woanders hinzusehen. Ich muss schlucken, als mir zum ersten Mal seit wir uns kennen, bewusst wird, was für schöne Augen er hat. Ein ganz anderer Farbton als deine Augen… Bevor ich jedoch weiter darüber nachdenken kann, hat er mich geküsst und ich ziehe ihn noch enger an mich heran, während ich den Kuss vertiefe. Seine Lippen sind unerwartet weich und er entlockt mir ein leises Keuchen, als er mir neckisch in die Unterlippe beißt. Als wir uns wieder voneinander lösen, bin ich komplett atemlos und starre ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Dabei bin ich es doch, der hier verrückt geworden ist. „Reo?“ Ich blinzle, während meine Gedanken sich zu drehen beginnen und er sieht so geschockt aus, so traurig, dass ich ihn automatisch von mir schiebe und aus der Wohnung renne. Erst drei Blocks später wird mir bewusst, dass ich immer noch die Hausschuhe trage und fluche leise. Aber er wird mir sicherlich verzeihen, oder? Seufzend fahre ich mir durch die Haare, meine Lippen kribbeln immer noch, verflucht. Und ich fühle mich so wahnsinnig schwach auf den Beinen. Schlussendlich lasse ich mich auf den Treppenstufen der nächsten Bahnstation nieder und vergrabe das Gesicht in den Händen. Der Kuss war schön. Aber wie kann ich es genießen, Akinori zu küssen, wenn mein Herz doch zweifelsfrei für dich schlägt? Ich brauche Rat - aber von wem? Mein Handy liegt mit meinen Sachen in Akinoris Wohnung, ich habe absolut nichts bei mir, weder meine Metrokarte, noch Geld. Kopfschüttelnd fahre ich mir durch die Haare - ich bin in Jogginghose aus dem Haus gerannt wird mir klar, je länger ich auf der Treppe sitze und schließlich muss ich mir eingestehen, dass es keinen Sinn hat, zu versuchen, davon zu laufen. Ich muss zurück. Mich allem stellen, mit Akinori reden - und mich entschuldigen. Und vielleicht wird es auch Zeit, endlich dein Grab zu besuchen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)