Crystal of the Dark von Kikono-chan ================================================================================ Kapitel 16: Neue Herausforderungen ---------------------------------- Kapitel 16: Neue Herausforderungen Der erste Tag hier in der Unteren Welt neigt sich dem Ende zu. Kaum waren Arkor und ich zurückgekehrt, war es auch schon Zeit für das gemeinsame Essen. Es war... weniger befremdlich als am Vorabend, aber immernoch seltsam. Sai warf mir noch immer hasserfüllte Blicke zu, wann immer er sich von den anderen unbeobachtet fühlte. Ich versuchte es zu ignorieren, so gut ich konnte aber kurz vor Ende platzte mir der Kragen und wütend knallte ich meine Faust auf den Tisch, räumte wortlos mein Geschirr ab und verschwand auf mein Zimmer. Und nun liege ich hier. Mein Kopf hängt am Fußende hinunter, mein Kissen fest an mich gepresst, den Blick nach draußen gerichtet. Keine bequeme Position aber sie hat mir immer beim Nachdenken geholfen. Und ich habe gerade verdammt viele Dinge, über die ich nachdenken muss. Da wäre zum Einen all das, was mein Vater mir heute erzählt hatte. Die Vergangenheit meiner Familie ist gezeichnet von Schicksalsschlägen und dem immer andauernden Kampf gegen die Kreaturen der Finsternis. Sie haben so viel geopfert. So viel verloren. Und doch werden sie weiter kämpfen. So lange es auch nur ein einziges Wesen in den drei Welten gibt, welches kein Schatten ist, werden sie weiter kämpfen. Ein Kampf, der nun auch der meinige ist. Allerdings frage ich mich, wie das gut gehen soll, solange mir Sai so feindlich gesinnt ist. Seit ich hier bin, bereitet er mir nichts als Kopfschmerzen und schlechte Laune. Er gibt mir ja noch nicht einmal eine Chance! Am liebsten würde ich ihn so lange anbrüllen, bis er endlich nachgibt und einsieht, dass ich ebenso ein Mitglied der Familie bin, wie er. Ich beteilige mich auch an den Kämpfen - zumindest, sobald ich mit eingeteilt werde... Dann geht mir das Gespräch mit Luzifer einfach nicht aus dem Kopf. Was ist es, was die Schatten begehren? Und warum tun sich alle so schwer, mir diese simple Frage zu beantworten? Außerdem regt mich sein arrogantes Gehabe tierisch auf! Mag ja sein, dass er hier unten der Chef ist, eine gewisse Macht besitzt und in seinem langen Leben durchaus einiges an Wissen angehäuft hat - aber das gibt dem Kerl noch lange nicht das Recht, derart unverschämt zu sein! Wenn es etwas gibt, dass er in all den Jahrtausenden nicht gelernt hat, dann ist es Anstand! Ian hat nie so herablassend mit mir geredet, obwohl ich keine Ahnung hatte. Ich rolle mich auf mein Bett und ziehe die Beine nah an meinen Körper. Er fehlt mir. Bisher war Ian der einzige, der für mich so etwas wie einem Freund gleichgekommen ist. Hier, in diesem Haus, habe ich zwar meine Familie aber da hört es auch schon auf. Oh, und einen Todfeind - nur weil ich Sai nicht leiden kann, muss ich ja nicht gleich seine Existenz unterschlagen... Ein bitteres Lächeln huscht über meine Lippen. Ich könnte wirklich jemanden gebrauchen, bei dem ich mich einfach nur auskotzen kann. Einfach nur jemand, der mir zuhört, hinterher über meine bescheuerten Probleme lacht und mir dann durchs Haar wuschelt. Ich vergrabe mein Gesicht im Kissen. Na großartig! Jetzt fehlt mir sogar schon diese bescheuerte Geste, für die ich Ian so oft verteufelt habe. Ich bin wirklich ein hoffnungsloser Fall. Ein leises Klopfen reißt mich aus meinen Gedanken. Schnell springe ich auf, um die Tür zu öffnen und schaue in das entschuldigende Gesicht meines Vaters. "Entschuldige die späte Störung, Aki. Ich wollte noch kurz mit dir reden. Darf ich reinkommen?" "Klar. Was gibt es denn?" Ob ich endlich mit den anderen losziehen darf? "Du weißt, dass wir jeden Einzelnen brauchen zur Verteidigung der Welten." Ich nicke hastig, innerlich platze ich fast vor Vorfreude. "Dafür ist es wichtig, dass wir als Team zusammen arbeiten." Er sieht mich eindringlich an. "Die Streitereien zwischen dir und Sai müssen unbedingt beigelegt werden." Will er mich etwa mit Sai in ein Team stecken? Das könnte... interessant werden. "Deswegen ist es umso wichtiger, dass du stärker wirst. Du darfst ihm in nichts nachstehen." Ich stutze. Irgendwie klingt das nicht mehr danach, dass ich morgen mit den anderen mit darf. "Darum wirst du morgen deinen neuen Mentor kennen lernen. Er trainiert auch deinen Bruder. Ihr könnt zusammen dorthin." "Das ist ja..." ... nicht das, was ich mir erhofft hatte... "... großartig." Ok, dieses halbherzige, aufgesetzte Lächeln würde mir nicht einmal jemand abkaufen, der mich überhaupt nicht kennt. Arkor sieht mich aus zusammengekniffenen Augen an. "Du bist nicht sonderlich glücklich." "Es kommt nur etwas überraschend. Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, einen anderen Mentor zu bekommen." Was eine glatte Lüge ist, denn ich wusste ja bereits, dass mir ein neuer Mentor zugeteilt werden würde. Dennoch blieb da ein kleiner Hoffnungsschimmer. Der sich gerade in Wohlgefallen auflöst. "Yrrian hat viel zu tun und bereits mehr für uns getan, als ich ihm jemals vergelten könnte. Ich nehme seine Hilfe nur ungern erneut in Anspruch. Außerdem denke ich, wird es dir mit einem Mentor der Erddämonen besser ergehen. Er versteht dein Wesen viel eher als ein Wasserdämon." "Bestimmt hast du Recht. Wann soll ich morgen wo sein?" Lächelnd sieht er mich. "Haru wird dich in vier Stunden holen kommen, damit ihr pünktlich zu Sonnenaufgang am Trainingsort seid." "Dann sollte ich jetzt besser versuchen zu schlafen." Obgleich ich mir mehr als sicher bin, dass ich jetzt wohl keinen Schlaf mehr finden werde. Oder aber erst einschlafe, wenige Minuten bevor Haru mich aus den Federn werfen wird. Arkor gibt mir einen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn, lächelt mich noch einmal auf eine Weise an, wie es nur Väter bei ihren Töchtern tun und verlässt dann mein Zimmer. Wäre ich jetzt noch in der irdischen Welt, würde ich mit einem Kissen die Inneneinrichtung meines Zimmers verwüsten, um meinem Frust Ausdruck zu verleihen - ich will keinen anderen Mentor! Und anschließend in Taras Tanzstudio fliehen, um Rheas Predigt zu entkommen über Problembewältigung und das innere Gleichgewicht und derartigen Kram. Scheiße! Jetzt muss ich doch wieder an Rhea denken - als ob die Gedanken um Ian nicht schon schwer genug zurückzuhalten sind - und dann heul ich auch noch! Und ausgerechnet inmitten dieser leisen Verzweiflung streift mich kurz eine Aura. Wie eine flüchtige, liebkosende Berührung. Für einen kleinen Moment hätte ich sogar schwören können, es ist die von Ian. Aber das ist völlig unmöglich. Trotzdem bewege ich mich zu meinem Fenster, berühre vorsichtig das Glas mit den Fingerkuppen und schaue angestrengt nach draußen. Doch da ist nichts. Auch über meinen Geist kann ich nichts weiter wahrnehmen, als die Auren meiner Familie. Meine Stirn gegen die kühle Fensterscheibe lehnend, atme ich einige Male tief ein und aus. Ich muss mich beruhigen. Und dann versuchen, noch etwas Schlaf zu finden. Doch auch als ich mich endlich in mein Bett kuschle, bleibt der Wassermagier in meinen Gedanken und begleitet mich selbst bis in meine Träume. Durch ein zaghaftes, aber dennoch kräftiges Klopfen an meiner Zimmertür, schrecke ich aus meinen Träumen. Ich muss ein paar Mal blinzeln, bevor ich mich daran erinnere, wo ich bin. Die Umstellung wird wohl noch ein bisschen dauern. Noch leicht verschlafen öffne ich die Tür. Und hätte sie am liebsten gleich wieder zugeschlagen! Harus breites Grinsen und seine überaus fröhliche Miene sind einfach zu viel für mich im Moment. Als ich murrend zurück zu meinem Bett schlurfe, sieht er mir nur fragend nach. "Gib mir einfach noch fünf Minuten. Oder zehn. Und Frühstück." Harus leises Lachen erfüllt mein Zimmer. "Ich bin mir nicht sicher, ob wir noch so viel Zeit haben. Ich versuche bereits seit einer halben Stunde dich zu wecken." "Was?" überrascht fahre ich herum und sehe meinen Bruder aus großen Augen an. Ok, JETZT bin ich wach! "Ich werde zu spät kommen! Am ersten Tag!" "Jetzt nicht gleich hysterisch werden, Schwesterchen. Du solltest vielleicht erst einmal etwas anderes anziehen und dann machen wir uns auf den Weg. Wir haben noch Zeit, du wirst dich schon nicht verspäten." Ich kann die Räder in meinem Kopf genau rattern hören. Direkt nach dem Aufstehen will mein Hirn einfach noch nicht so richtig arbeiten. Anziehen. Etwas anderes... anziehen... Mein Blick gleitet in Zeitlupe an mir herab. Eine kurze Schlafhose und ein viel zu großes Shirt. Ideal als Schlafanzug. Aber ich muss Haru Recht geben: Ich sollte nicht in diesem Aufzug auf die Straße gehen. In der gleichen rekordverdächtigen Geschwindigkeit schaue ich zu meinem Kleiderschrank und erneut rattern die Zahnräder. Ich habe keine weiteren Anziehsachen mit hierher geholt. Der Schrank dürfte noch genau so leer sein, wie gestern. Trotzdem begebe ich mich zu dem Ungetüm und öffne zweifelnd die Türen. Um völlig ungläubig auf eine Auswahl an Klamotten zu blicken, die ich durchaus tragen würde. Es sind nicht viele aber ich könnte schwören, dass die gestern noch nicht da waren. "Das hast du wohl Roni zu verdanken. Allerdings glaube ich, wäre es nach ihr gegangen, wären da jetzt viel mehr Rüschen, Kleidchen und rosa Sachen drin." Ich werfe Haru einen belustigten Blick über die Schulter zu. "Ich sollte mich bei ihr bedanken, dass sie nicht nur meinen Schrank befüllt, sondern dabei auch ihren eigenen Geschmack hinten an gestellt hat." "Unbedingt!" Harus breites Grinsen wirkt allmählich ansteckend und meine Morgenmuffel-Laune verkriecht sich zurück in eine dunkle Ecke. Ich entscheide mich für eine bequeme lange Hose in einem ausgewaschenen Gelbton und ein khakifarbenes Tanktop. Es dauert keine fünf Minuten, da bin ich einmal durch mein Bad gehuscht, habe wieder eine Frau aus mir gemacht und bin aufbruchfertig. Haru führt mich einen anderen Weg aus der Stadt heraus, als den, welchen ich tags zuvor mit Arkor gegangen bin. Dieses Mal scheinen wir nach Süden abzubiegen, vorbei an herrschaftlichen Häusern mit roten Dächern zu unserer linken und den normalen Stadthäusern mit ihren glänzenden, schwarzen Dächern auf der rechten Seite. So langsam bekomme ich einen Überblick über die Stadt. Allerdings bleibt mir nicht viel Zeit, alles genau zu analysieren, denn kaum haben wir die letzten Ausläufer der Stadt erreicht, verwandelt Haru sich und prescht einfach los, ohne Rücksicht auf mich zu nehmen, ob ich auch folge. Ich könnte mich jetzt einfach umdrehen und zurückgehen. Vielleicht etwas die Stadt erkunden und herausfinden, wie man hier an neue Klamotten kommt und welche Annehmlichkeiten es hier noch so gibt. Aber die Vernunft - und zugegeben auch ein klein wenig Neugierde - lässt mich dann doch meinem Bruder folgen. Es dauert nicht lange, da habe ich ihn bereits wieder eingeholt und erhalte von ihm ein breites Grinsen, welches seine scharfen Zähne enthüllt. Ob er weiß, wie skurril diese Fratze aussieht? "Zeig mir mal, wie schnell du wirklich laufen kannst, Schwesterchen." damit prescht er auf einen dschungelähnlichen Wald los und hängt mich glatt ab. Auch ich ziehe das Tempo an, komme aber kaum noch hinterher. Wie macht er das nur? "Haru, warte auf mich!" "Du denkst zu viel nach. Blende einfach alles aus, was du bisher glaubtest über Geschwindigkeit zu wissen. Und dann lauf." "Alles ausblenden? Etwa auch die gigantischen Bäume mit den tief hängenden, ineinander verschlungenen Lianen, die hier überall herumstehen? Wenn ich mit der Geschwindigkeit gegen einen dieser Stämme krache, verteilt sich mein Hirn vermutlich quer über den Waldboden!" "Nicht denken! Deine Pfoten werden immer einen sicheren Weg finden. Selbst mit verbundenen Augen könntest du hier ohne einen Kratzer durchrennen." "Fällt mir schwer, das zu glauben..." "Dann wirst du wohl zu spät kommen." "Was? Nein! Haru!" Wie von selbst beschleunige ich mein Tempo immer weiter. Ich kann es nicht kontrollieren. Wage es auch gar nicht. Ich lasse dem Wolf in mir freien Lauf und versuche alles andere auszublenden. Nicht das leichteste Unterfangen aber mich beschleicht das Gefühl, dass es doch zu einer Kollision kommen würde, würde mein ängstlicher, menschlicher Teil jetzt das Ruder wieder übernehmen. Etwa zehn Minuten fliegen wir geradezu durch den dichten Dschungel. Niemals hätte ich das für möglich gehalten. Aber Haru hat Recht: Meine Pfoten finden von ganz allein einen sicheren Pfad. Weder verheddere ich mich in den Lianen oder kollidiere mit einem Baum, noch stolpere ich über eine Wurzel oder eine Unebenheit im Waldboden. Und so langsam fange ich an, dieses Gefühl zu genießen. Dabei dachte ich damals, in meiner ersten Nacht nach meiner Verwandlung, ich wäre schnell. Aber das hier übertrifft alles um Längen! Und es ist ein großartiges Gefühl. Dabei bemerke ich gar nicht, wie ich immer weiter zu Haru aufhole, ihn sogar überhole. Erst als seine Aura an mir zerrt, wie ein Reiter am Zaumzeug eines durchgehenden Pferdes, wird mir bewusst, dass ich es geschafft habe, wirklich ALLES auszublenden. Selbst die mentale Kommunikation. "Was war denn DAS?" fragt er mich, als wir auf einer Lichtung anhalten. "Keine Ahnung. Ich habe nur getan, was du gesagt hast. Ich wusste gar nicht, dass wir so schnell rennen können." Noch immer jagt pures Adrenalin durch meine Adern, gepaart mit einer unglaublichen Euphorie. Am liebsten würde ich direkt weiter laufen. Ob es noch weit ist bis zum Treffpunkt? Die Sonne geht nämlich langsam auf. "Aki, so schnell wie du eben gelaufen bist, ist nicht einmal Miri. Und ich habe noch nie jemanden gesehen, der schneller ist, als sie. Außerdem hast du mich immer wieder aus deinem Geist geschmissen. Ich konnte dir nicht einmal sagen, dass du langsamer machen sollst, weil du mich abgehangen hast. So etwas habe ich noch nie erlebt. Wie hast du das gemacht?" "Keine Ahnung." gebe ich ehrlich zu. Mir ist nicht einmal aufgefallen, dass er versucht hat, in meinen Geist einzudringen. "Deine Schwester scheint in der Lage zu sein, das Eindringen eines fremden Geistes zu unterdrücken." erklingt eine tiefe, ruhige Stimme etwas abseits von uns. Sofort nimmt Haru seine menschliche Gestalt an, während ich nur meinen Kopf in die Richtung des Fremden drehe. Am anderen Ende der Lichtung steht ein Mann, den ich als eine Mischung aus Bär, Mönch und Indianer beschreiben würde. Er hat breite Schultern, sonnengeküsste Haut, ist großgewachsen mit langem, dunklem Haar, welches er zu einem Pferdeschwanz gebunden trägt, bis auf eine Strähne auf der linken Seite, die in einem kleinen geflochtenen Zopf herab hängt. Er trägt eine Kutte, die mit einer Schärpe zusammengebunden ist. Allerdings hat er den oberen Teil ausgezogen, der nun nach hinten herunterhängt und somit freie Sicht auf seinen durchtrainierten Oberkörper gibt. Der von einer langen Narbe dezent verunstaltet wird. Sie reicht von seiner linken Wange, über seinen Hals, die Brust hinunter und verliert sich dann auf Höhe der Rippen. Ich muss nicht groß fragen, um zu wissen, dass er Harus Mentor ist. Und jetzt auch meiner. "Du musst Aki sein, Harus Zwillingsschwester. Er hat mir schon viel von dir erzählt." Gelassen nähert er sich uns. Als er weiter auf die Lichtung tritt, bemerke ich, dass sein Haar gräulich schimmert und anscheinend nur im Schatten ausnahmslos dunkel wirkt. Und noch etwas fällt mir auf: Er trägt einen Stab bei sich, der aussieht wie ein knorriger Baum, dessen Krone wie die Blüte einer Blume geschlossen ist. Doch zwischen diesen Verästelungen scheint noch mehr zu sein. Ein braun-goldener Schimmer dringt durch das Wirrwarr an Zweigen und erzeugt ein diffuses, warmes Licht. Ganz anders, als seine eisblauen Augen, die mich fixieren, wie ein Beutetier. "Aki, willst du nicht langsam deine humanoide Gestalt annehmen?" richtet Haru das Wort an mich und lenkt somit meine Aufmerksamkeit auf sich. Überrascht schaue ich meinen Bruder an - mir ist gar nicht bewusst gewesen, dass ich noch immer ein Wolf bin. Aber ich fühle mich eindeutig behaglicher in dieser Gestalt. Von dem Mentor geht eine unglaubliche Aura aus, die alle Alarmglocken in mir schrillen lässt. Als Mensch wäre ich ihm hilflos ausgeliefert. "Sie traut mir nicht." kommt die nüchterne Feststellung. Es liegt keinerlei Emotion in seinen Worten. Ich weiß nicht, ob ihn mein Verhalten kränkt oder amüsiert oder ob er es gar gewohnt ist. Was nicht gerade dazu beiträgt, dass ich mich wohler fühle. Außerdem hat dieser unhöfliche Klotz es noch nicht einmal für nötig erachtet, sich vorzustellen! Die eisblauen Augen meines Gegenüber blitzen gefährlich auf, bevor er erneut den Mund öffnet. "Kai." Irritiert sehe ich ihn an. "Mein Name ist Kai. Und ich bin von nun an dein Mentor. Also bringe mir gefälligst den nötigen Respekt entgegen!" Uh, einer von der ganz harten Sorte. Und ich dachte, nur Winddämonen können mir auf Anhieb unsympathisch sein... Im Bruchteil einer Sekunde kassiere ich für diesen Gedanken einen Schlag mit dem Stab auf meinen Kopf. Einen äußerst schmerzvollen Schlag. "AU! Warum..." und stelle zu meinem Entsetzen fest, dass ich wieder ein Mensch bin. "Wie hast du das gemacht?" Entsetzt starre ich erst auf meine Hände, dann auf Kai, der seelenruhig dasteht, als wäre nicht das Geringste geschehen. "Der gleiche Dickschädel. Hätte ich mir denken können. Immerhin seid ihr Zwillinge." Ich werfe einen Blick zu Haru, der entschuldigend mit den Schultern zuckt. Anscheinend hat er auch schon Bekanntschaft gemacht mit diesem Stock. "Zwei Dinge, die du dir ganz schnell einprägen solltest, Mädchen. Erstens: Ich bin dein Mentor - du tust, was ich dir sage! Zweitens: Das Training findet ausschließlich in eurer humanoiden Gestalt statt. Es ist also unnötig, lange in deiner dämonischen Gestalt zu verweilen. Es verzögert nur das Training." "Und wie bitte sollen wir stärker werden, wenn wir nur als schwache Menschen trainieren? Das ergibt doch keinen Sinn!" protestiere ich prompt. Ein überhebliches Grinsen legt sich auf Kais Gesichtszüge. Die erste emotionale Regung, die ich bei ihm sehe. "Man merkt, dass du so gar keine Ahnung hast. Vielleicht ist dir bereits aufgefallen, dass nicht alle Dämonen über unendliche Energiereserven verfügen, so wie wir Erddämonen. Aber auch unsere Stärke hat seine Grenzen. Schatten verderben das Land und entziehen ihm jegliches Leben. Auch die elementaren Energien. Kämpfst du also auf verseuchtem Boden, nützt dir dein Erddämonendasein herzlich wenig. Und wenn dir deine Kraft ausgeht, dein Wolf dich verlässt, was tust du dann? Was bleibt dann noch übrig? Glaubst du, du würdest in deiner jetzigen Verfassung auch nur einen einzigen Schatten töten können? Es ist sicher toll, wenn dein Wolf unsagbar stark ist. Aber wenn der menschliche Teil schwach bleibt, bist du niemandem eine große Hilfe." Autsch. Der Seitenhieb hat gesessen und ich muss mich schwer zusammenreißen, nichts Dummes zu erwidern. Denn leider hat er Recht. Als schwacher Mensch bin ich niemandem eine Hilfe. Wahrscheinlich ist Sai auch deswegen so abweisend zu mir. "Außerdem wird auch deine dämonische Seite gestärkt, je mächtiger deine menschliche Seite wird. Aber vermutlich hast du auch das nicht gewusst." Wütend starre ich Kai an. Woher hätte ich all das denn bitte wissen sollen? Ihm muss doch auch bewusst sein, dass ich die letzten 21 Jahre in der irdischen Welt verbracht habe und rein gar nichts über meine Herkunft und alles, was damit zusammenhängt, wusste. "Es ist mir egal, wer du warst, bevor du hierher kamst. Jetzt bist du hier. Und du solltest anfangen, dich mit diesem Leben zu beschäftigen, statt dem alten hinterher zu trauern." Er sieht mich noch einmal eindringlich an, bevor er sich dann an Haru wendet, der bisher alles schweigend mit angesehen hat. "Die gleiche Strecke wie immer. Zeig sie Aki. So oft, wie es sein muss, bis sie sie im Kopf hat. Ab Morgen läufst du wieder dein Tempo und wir fahren mit dem regulären Trainingsplan fort." "Welche Strecke?" frage ich meinen Bruder vorsichtig, der sich ans südliche Ende der Lichtung begibt. "Es gibt einen Pfad durch den Dschungel. Diese Lichtung liegt ganz im Süden und hinter ihr grenzt direkt ein Gebirge an. Aber keine Sorge, die Steilpässe wirst du noch nicht ablaufen müssen." Er wirft einen schnellen Blick zu Kai. "Denke ich zumindest." Ich verdränge den letzten Teil. "Und wo genau führt dieser Pfad entlang?" "Quer durch den Dschungel. Quasi eine Runde im Inneren entlang zurück zu dieser Lichtung. Du läufst einmal im Kreis, wenn du es so willst." "Durch den... kompletten Dschungel?" "Ja, ich glaub schon. Ab und an sieht man durch die Bäume die letzten Ausläufer." "Ok. Und wie lange brauchst du sonst dafür?" "Keine Ahnung. Vielleicht eine Stunde? Aber ich bin mittlerweile auch schon ziemlich schnell. Keine Sorge, wir laufen in einem für dich angenehmen Tempo." Gleich bekomme ich Schnappatmung! Das kann doch nicht sein Ernst sein?! Ich soll völlig unvorbereitet einen Marathon laufen und das in menschlicher Gestalt! Eine Strecke, für die ich als Wolf nur etwa zehn Minuten gebraucht habe, weil ich förmlich geflogen bin. Mein Blick gleitet zu Kai, der sich auf einen Findling gesetzt hat und uns beobachtet. Sein amüsierter Blick zeigt mir deutlich, dass er daran zweifelt, dass ich die Strecke auch nur ein einziges Mal schaffe. Geschweige denn, so oft, bis ich mir den Pfad eingeprägt habe. Er kann mich nicht leiden, dessen bin ich mir sicher. Allerdings beruht diese Abneigung auf Gegenseitigkeit. Und mir hat so etwas immer zusätzliche Kraft gegeben. Ich werde diesem arroganten Kotzbrocken beweisen, dass ich nicht nur ein kleines Mädchen bin. Ich werde jede seiner Herausforderungen annehmen und bestehen. Jetzt erst recht! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)