Füreinander bestimmt? von LadyKaiba ================================================================================ Kapitel 1: Der Zauber --------------------- Füreinander bestimmt? Teil 1: Der Zauber Gemütlich saß die Clique in ihrem Stammcafé in Doby Village. Zeki war besiegt. Wie es nun mit dem Turnier weiter gehen würde, wusste niemand. Auch zwei Monate nach dem entscheidenden Kampf gegen Yohs Vorfahren und Zwillingsbruder hatte sich der König der Geister noch nicht wieder gemeldet. Daher hatten Yoh und seine Freunde, genau wie viele ihrer Konkurrenten, beschlossen, in Doby Village zu bleiben, bis das Turnier fortgeführt und der Sieger zum König der Schamanen gekrönt wurde. Silver hatte die Getränke gebracht und die Stimmung war ausgelassen. Während Ryu Joco gewaltsam daran hinderte, zum hundertsten Mal den gleichen dämlichen Witz über Cola zu machen, Manta sich über die zwei kaputt lachte, und Ren stillschweigend seine Suppe aß, schlangen Yoh und Trey ihr Essen nur so herunter. „Wenn ihr weiter alles gleichzeitig in den Mund stopft erstickt ihr gleich!“, wies Anna die beiden genervt zurecht. Alles war wie immer. „Puuh...Bin ich voll!“, rief Trey, rieb seinen prall gefüllten, kugelrunden Bauch und legte seinen Kopf zufrieden auf Rens Schulter. „Lass mich in Ruhe essen“, fauchte dieser. „Ich fütter' dich!“, schrie der Blauhaarige fröhlich, schnappte sich Reisschüssel und Stäbchen aus Rens Händen und hielt diesem die Essstäbchen vor die Nase. „Sag: 'Ahhh'“ Die Wangen des Chinesen färbten sich rot. „Lass den Mist! Ich kann alleine essen!“, erwiderte er gereizt. „Ach komm schon, Ren...bittee...“, flehte Trey und setzte das zuckersüßeste Lächeln auf, das er zu bieten hatte. „Wenn's sein muss...“, knurrte Ren und schaute verlegen zur Seite, während Trey ihm eine Ladung Reis in den Mund steckte. Stimmt. Nicht alles war wie immer. Etwas hatte sich innerhalb der Clique geändert. „Ihr zwei jungen Turteltäubchen erwärmt mein Herz...Ich frage mich, wann ich endlich meine lang ersehnte Schamanenkönigin treffen werde“, kommentierte Ryu und bedeckte in gewohnt theatralischer Manier sein Gesicht mit seinem Unterarm. „Fragt sich nur, wer von beiden die Königin ist“, warf Yoh breit grinsend ein. Alle lachten. Alle außer Ren. „Das hör' ich mir nicht länger an“, sagte er schnippisch, stand auf und verließ schnurstracks das Café, gefolgt von seinem Schutzgeist. „Bleib doch hier, Ren...“, rief Trey ihm mit einem Schmollmund auf den Lippen, hinterher. „Ach, Ren ist nur schüchtern...“, vernahm der junge Chinese noch Mantas Stimme beim Rausgehen. „Tze.“ „Es ist dir unangenehm, auf deine Beziehung mit Meister Trey angesprochen zu werden, oder, Meister Ren?“, fragte Bason. „Hmm...“, war Rens einzige Erwiderung. Bason hatte recht. Es war ihm unangenehm. Der Gelbäugige schämte sich nicht dafür, mit Trey zusammen zu sein. Im Gegenteil. Er war wirklich glücklich mit dem Blauhaarigen. Jedoch wurde Ren sein ganzes Leben lang dazu gedrillt, seine Gefühle zu unterdrücken, niemandem zu vertrauen und in jedem Menschen einen Feind zu sehen. Sein Vater hatte ihn zu einer machtversessenen, erbarmungslosen Tötungsmaschine erzogen. Erst seine Freundschaft mit Yoh, und später auch mit Trey und den anderen, hatte die Tonnen schwere Mauer durchbrochen, die der junge Schamane um sein Herz aufgebaut hatte. Doch noch immer fiel es ihm schwer, seine Gefühle zu zeigen. Sowohl seinen Freunden, als auch seinem Freund gegenüber. Er konnte noch nicht wirklich damit umgehen. Aber er arbeitete daran. Wenn er mit Trey allein war, fiel es ihm schon leichter sich zu entspannen und auch mal seine weiche Seite zu zeigen. Er spazierte durch das Dorf und schaute sich den, von der einsetzenden Dämmerung, leicht rötlichen Himmel an, als er sich, wie so oft, an den Tag zurück erinnerte, an dem er und Trey zusammen gekommen waren. Es war vor zwei Monaten, an dem Tag, an dem sie Zeki endgültig besiegt hatten... Flashback Spät in der Nacht betrat Ren das kleine, steinerne Haus, in welchem er und sein Team hier in Doby Village wohnten. Die Anderen waren noch im Café, welches angesichts des großen Sieges über das Böse für die heutige Nacht zum Partytempel umfunktioniert worden war. Alle Schamanen feierten ausgiebig den Sieg über Zeki und dessen Gefolgschaft. Doch gegen 1:30 Uhr wurde Ren der ganze Trubel zu viel. Er mochte es nicht, mit so vielen Menschen auf engstem Raum zu sein, und ein Partymensch war er auch nicht. Das wusste jeder, deshalb wunderte es auch niemanden, dass der Chinese einer der ersten war, welcher die Party verließ. Er zog sein rotes Hemd aus und öffnete die Schublade an der Kommode im Schlafzimmer, um sich einen Pyjama herauszuholen. „Du kannst dich zurückziehen, Bason. Ich gehe jetzt schlafen.“ … „Bason?!“ „Ren...“ hörte der Gelbäugige plötzlich eine Stimme hinter sich und drehte sich erschrocken um. „Trey?! Was machst du denn hier? Wo ist Bason?“, fragte er verdutzt und schaute sich im Raum um. Er konnte seinen Schutzgeist nirgends entdecken. Der Blauhaarige zeigte auf Basons Totentafel, welche neben Rens Schafplatz stand. „Ich habe ihn darein geschickt“, antwortete er monoton. Die Augen des Chinesen verzogen sich zu Schlitzen, als er fauchte: „Wie kannst du es wagen MEINEN Schutzgeist-“, stoppte er plötzlich, als er sah, wie Trey, ohne ein Wort zu sagen, mit gesenktem Kopf, langsam auf ihn zukam. Irgendetwas stimmte mit dem Blauhaarigen nicht. Er wirkte so ernst, so völlig anders, als sonst. Ren war irritiert. „Was...ist denn mit dir los, Trey?“, fragte er verwirrt und wich instinktiv einen Schritt zurück, wobei er mit dem Rücken gegen die hölzerne Kommode stieß. Der Größere blieb wenige Zentimeter vor Ren stehen. Er starrte auf den entblößten Oberkörper des Chinesen und sagte nichts. Noch immer irritiert über Treys seltsames Verhalten blickte Ren ihm ins Gesicht. Es sah...traurig aus? „Hey...Was hast du denn?“ Der Andere antwortete nicht. Er hob seinen linken Arm, streckte ihn nach seinem Gegenüber aus und legte sie auf die Brust des Gelbäugigen. Dieser wollte weiter zurückweichen, konnte er jedoch nicht, da die Kommode bereits genau hinter ihm stand. „Was soll das denn? Rühr' mich nicht an!“, brüllte er wütend und wollte zur Seite fliehen, als Trey seinen rechten Arm fest um seine Taille schlang und ihn so daran hinderte. Der Blauhaarige machte einen weiteren Schritt nach vorne, um auch die letzten Zentimeter der Distanz zu überwinden und Ren zwischen der Kommode und sich selbst zu fixieren. Seine linke Hand lag noch immer ruhend auf der Brust des Kleineren, sein rechter Arm hielt dessen Oberkörper fest. Einen Moment lang konnte Ren den Älteren nur anstarren. Dessen Mimik hatte sich nicht verändert. Sein trauriger Blick lag nach wie vor auf seiner Brust. Ren war so verwirrt. Was war nur los mit Trey? Wieso hielt er ihn fest? Wieso sprach er nicht? Wieso schaute er ihn so traurig an? Vorhin auf der Party war er noch normal gewesen. Das machte den Chinesen nervös. Nicht nur, dass sein Freund sich so komisch verhielt, auch diese körperliche Nähe war etwas völlig Neues für ihn. Er konnte damit nicht umgehen. Er legte seine Hände an die Schultern des Blauhaarigen und versuchte, diesen von sich weg zu drücken. „Jetzt lass den Quatsch, Trey! Lass mich los!“ Doch der Andere rührte sich nicht. Mit eisernem Griff hielt er Ren fest. Diesem reichte es nun endgültig. „Lass mich endlich los!“, schrie er Trey entgegen und verpasste ihm eine heftige Ohrfeige. Doch auch das brachte diesen nicht dazu, irgendetwas an ihrer Position zu verändern. Langsam drehte Trey seinen Kopf wieder nach vorn. Ren riss seine Augen auf, als er sah, wie sich die Augen des Größeren plötzlich mit Tränen füllten. „T-Trey...?!“, stotterte er, als der Blauhaarige mit den Fingerspitzen seiner linken Hand langsam die große Narbe auf Rens Oberkörper hinabfuhr. Er hatte sie aus dem Kampf gegen Zekis Gefolgsleute davongetragen, als er von ihnen seine Klinge genau durch Rens Brust bohrte. In letzter Sekunde hatten seine Freunde es geschafft, Ren mit Hilfe ihrer Schamanenkräfte zu reanimieren. Eine Träne kullerte Treys Wange hinab, als er flüsterte: „Es tut mir so Leid, Ren...“ „Huh?! Was denn?“, fragte Ren, mittlerweile noch verwirrter als zuvor. Der Ältere fuhr die Narbe wieder hinauf, als er leise antwortete: „Es ist meine Schuld...Wenn ich besser aufgepasst hätte, wärst du nicht...“, er sprach nicht weiter. Jedoch sah Ren, das eine weitere Träne ihren Weg über die Wangen des Größeren fand. Achso. Darum ging es hier also. Endlich verstand der Chinese, was mit seinem Freund los war. „Trey...“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Es war nicht deine Sch-“, wurde der Gelbäugige unterbrochen, als der Blauhaarige ihn plötzlich mit beiden Armen umschlang und ihn fest an sich drückte. Sofort fühlte Ren, dass der Andere am ganzen Leib zitterte. „Ich hatte solche Angst um dich...“, flüsterte Trey in das Ohr des Kleineren. „Trey...“ „Da war so viel Blut...Und du hast dich nicht mehr gerührt...Du hast nicht mehr geatmet...“ „Trey...“ „Ich dachte wirklich, ich würde dich verlieren...“ „TREY!“, brüllte Ren, nahm mit beiden Händen den blauen Schopf und hielt dessen Gesicht genau vor sein eigenes. Mit ernster Mimik sah er dem Größeren in die verweinten Augen. „Du hast mich nicht verloren...Ich stehe vor dir, oder etwa nicht? Es geht mir gut...Also hör auf, dir um so einen Mist Gedanken zu machen“, sprach Ren mit sanfter Stimme und wischte mit seinem Daumen ein paar Tränen von der Wange des Anderen. „Hast du dich wieder beruhigt?“, fragte der Chinese und lächelte leicht. „Es gibt da etwas...das ich dir sagen muss, Ren...“ „Und was?“ „Als ich dich dort liegen sah...Und wir alle dachten, dass du...Naja, du weißt schon...Ist mir...Mir ist etwas klar geworden...“ „Was denn?“ Sanft legte Trey eine Hand an die Wange des Jüngeren und streichelte darüber. Dieser zuckte überrascht zusammen. Er fühlte, wie seine Wangen warm wurden. Beide sahen sich tief in die Augen. „Ich liebe dich, Ren.“ Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Rens Herz setzte einen Schlag aus. Fassungslos starrte er den Blauhaarigen an. Hatte er sich gerade verhört? Bestimmt. „Was?“, flüsterte er ungläubig. „Ich liebe dich“, wiederholte Trey seine Worte ohne Umschweife. „A-Aber...“, stotterte der Gelbäugige. Das musste doch ein Scherz sein, oder? Mit weit aufgerissenen Augen blickte er sein Gegenüber an. Er schien es ernst zu meinen. „Ich habe für dich von Anfang an anders empfunden, als für Yoh und die anderen...Ich bin sicher, dass ich mich auf den ersten Blick in dich verliebt habe, Ren...Ich wollte es nur nicht wahrhaben...Doch als du dort auf dem Boden lagst, blutüberströmt, und ich dachte, dass du deine Augen nie wieder öffnen würdest, habe ich meine Gefühle verstanden...'Ich liebe ihn...Er darf nicht sterben...Ich muss es ihm sagen...' Diese Gedanken fuhren mir die ganze Zeit durch den Kopf“, erklärte Trey und lehnte seinen Kopf dabei unbewusst nach unten, immer näher an das Gesicht des Chinesen. Dieser konnte nichts erwidern. Er war vollkommen überrumpelt von diesem Geständnis. Noch immer versuchte er in den Augen seines Freundes die Lüge zu finden. Den Witz. Er wartete auf das plötzliche Lachen, auf den amüsierten Ausruf: „Haha! War nur ein Scherz!“ Doch nichts davon passierte. Bevor er sich versah, spürte er die warmen Lippen des Blauschopfes auf seinen eigenen. Sie begannen, sich gegen seine zu bewegen. Treys Hand, welche auf seiner Wange lag, wanderte zu seinem Nacken und streichelte diesen sanft, während er den Gelbäugigen mit seinem anderen Arm noch näher an sich zog. Rens Körper war wie gelähmt. Er war viel zu überrascht, viel zu verwirrt, als das er hätte reagieren können. Doch als die Zunge des Größeren über seine Lippen glitt, versuchte er sich loszureißen. „T-Trey...hör...a-mh!“ Der Blauhaarige hatte die Umstände sofort ausgenutzt, Ren noch fester an sich gepresst und ihm seine Zunge in den Mund geschoben, wo er mit ebendieser fest über die des Chinesen glitt. Plötzlich riss Trey sein Gesicht zurück. „Bitte, Ren...Bitte, weiß mich nicht zurück...“, flehte er schon beinahe, bevor er Rens Lippen erneut umschloss und seine Zunge zwischen dessen Lippen schob. Pure Verzweiflung hatte er sowohl im Gesicht, als auch in der Stimme seines Teamkollegen wahrnehmen können. Rens Herz schlug schnell. Er legte seine Hände auf Treys Brust und wollte gerade gegen diese drücken, um ihn wegzuschieben, als er plötzlich den unglaublich schnellen Herzschlag seines Freundes spüren konnte. „Durch sein T-Shirt...“, dachte er nur. Er wusste zwar nicht warum, aber irgendwie schien Treys Herzschlag, so schnell er auch war, eine beruhigende Wirkung auf ihn zu haben. Er schloss seine gelben Augen und nahm zum ersten Mal den Geschmack des Anderen wahr. Es war ein angenehmer Geschmack. Auch seine Körperwärme und die dicken, blauen Strähnen, welche seine Nase kitzelten, spürte er nun richtig. Ohne es bewusst zu steuern, begann Ren damit, seine Zunge gegen die des Blauhaarigen zu bewegen. Er legte seine Arme um den Hals des Anderen und ging leicht auf die Zehenspitzen. Auf einmal wurde er von starken Armen angehoben und auf die Kommode hinter sich gesetzt. Ohne den leidenschaftlichen Kuss zu unterbrechen, hatte Trey sich zwischen seine Beine gestellt. Zärtlich fuhr er mit seinen Händen über die Seiten des Gelbäugigen. Was diesem zu gefallen schien, denn er begann damit, immer wieder leicht in den Kuss zu seufzen. Auch Trey stöhnte leise in den Kuss hinein, als Ren mit seinen Händen unter sein Shirt fuhr und sanft seinen Rücken streichelte. Der Blauhaarige konnte sein Glück kaum fassen. Von Ren berührt zu werden, und dann auch noch so zärtlich, IHN berühren zu dürfen, ihn zu spüren, zu schmecken, zu riechen...Es fühlte sich einfach himmlisch an. „SHH!“ Sofort rissen die beiden die Augen auf. Sie lösten sich voneinander und sahen gleichzeitig zum Fenster, von wo aus sie das Geräusch gehört hatten. Und beide starrten mit aufgerissen Augen in die Augen ihrer Freunde, dessen Köpfe alle nebeneinander durch das Fenster lugten. „Mist, sie haben uns gesehen!“, seufzte Manta. „Sorry Jungs, wir wollten euch echt nicht stören...“, grinste Yoh breit. „Tja, ich würde sagen, ich habe gewonnen!“, stellte der Brünette freudig fest, als Manta, Ryu, Joco und Lyserg ihm jeweils eine Münze in die Hand drückten. „Ich habe doch gesagt, dass aus den beiden ein Paar wird!“, sagte er stolz. „Ich bin wie immer tief beeindruckt von deiner ausgezeichneten Menschenkenntnis, Meister Yoh!“, sagte Ryu anerkennend. „Und ich habe dich für verrückt erklärt, als du das gesagt hast...Das hätte ich wirklich nicht gedacht...“, gab Lyserg lächelnd zu. „Ja...Ich meine, dass Trey auf Ren steht, war ja klar, aber das er Ren tatsächlich rumbekommt, hätte ich auch nicht für möglich gehalten“, gab Manta seinen Senf dazu. „WAS MACHT IHR DENN HIER?!“, schrie Trey verärgert. „Die viel wichtigere Frage ist doch: Wieso treibt ihr zwei es auf der Kommode, wenn direkt neben euch ein gemütliches Bett steht?“, stellte Joco als Gegenfrage. „WIE LANGE BEOBACHTET IHR UNS SCHON?“, brüllte der Blauhaarige wütend. „Wir sind gerade dazu gekommen, als du Ren so leidenschaftlich auf die Kommode gehoben hast, Romeo“, antwortete Ryu mit einem neckischen Grinsen, welches die anderen Jungs ebenfalls auflegten. „Wir haben uns gewundert, dass du nach Ren auch direkt abgehauen bist...Da haben wir uns Sorgen gemacht und wollten nur sehen, ob alles okay ist...“, erklärte Yoh lachend. Ren konnte nicht sprechen. Er saß einfach nur da und starrte entsetzt vor sich hin... Flashback Ende Der Chinese musste grinsen, als er sich daran zurück erinnerte. Mittlerweile konnte er darüber lachen, auch, wenn es ihm nach wie vor peinlich war. Doch lange konnte er nicht mehr darüber nachdenken, denn auf einmal hörte er einen lauten Knall. Es hörte sich an wie eine Explosion. Sie musste ganz in der Nähe gewesen sein. „Meister Ren! Sieh nur!“, rief Bason und zeigte in eine Richtung, wo man immer wieder helle Lichter sah. Gefolgt von weiteren Explosionen und Rauch. Dort musste ein Kampf stattfinden. Sofort rannte der Gelbäugige zu Ort des Geschehens. Es war ein einziges Chaos. Mehrere Schamanen schienen in den Kampf verwickelt zu sein, doch es war schwierig zu erkennen, wer hier gegen wen kämpfte. Wieder ein helles, lilafarbenes Licht. Und auf einmal waren mehrere große, uralte Eichen verschwunden. Sie waren einfach weg. „Was ist hier los?!“, rief Ren in die Menge und machte sich augenblicklich kampfbereit. „Das ist so ein seltsames Wesen!“, schrie ihm eine Frau entgegen, die offenbar gerade genau nach diesem Wesen Ausschau hielt. Und dann sah Ren es: Es war ein Kleines, vielleicht einen halben Meter großes, Koboldartiges Geschöpf. Es sah ein bisschen aus, wie eine Mischung aus Tinkerbell und Miss Piggy; es hatte große Augen, kleine, weiße Flügel und flog im Zick Zack durch die Luft. Es schien kein Geist zu sein. „Was ist das denn?!“, fragte Ren. „Ich habe keine Ahnung, Meister Ren; ich habe so etwas auch noch nie gesehen!“, antwortete Bason. Dieses Ding schoss immer wieder willkürlich mit lila-leuchtenden Lichtkugeln um sich und kicherte dabei ununterbrochen. Es hörte sich fast so an, wie das Kichern eines Kleinkindes. Ein Schamane nach dem anderen versuchte mit seinen Attacken das seltsame Wesen außer Gefecht zu setzen. Doch es war flink. Niemand erwischte es. Ren zückte sein Kwan Dao, schaffte Geistkontrolle, rannte los, machte einen hohen Sprung, bis genau vor dem Wesen in der Luft seinen Angriff ansetzte. „Überschallgeschwindigkeitsa-ahh!“ Doch plötzlich schoss das kleine Flügelwesen eine lilane Lichtkugel genau auf Ren. „REN!“, hörte er seine Freunde noch kollektiv schreien, bevor alles schwarz wurde. Die Clique sah, wie Ren, umgeben von violettem Licht, zu Boden fiel. „REN!“, schrien sie erneut und rannten auf ihren Freund zu. Doch sofort sahen die, dass etwas nicht stimmte. Rens Kleidung lag auf dem Boden, doch den Chinesen selbst konnten sie nicht sehen, während sie auf ihn zurannten. Doch plötzlich schien die Kleidung sich zu bewegen; bzw., UNTER der Kleidung, bewegte sich etwas. „Huh?“ Die Jungen traten näher heran. Und auf einmal lugten zwei große, runde, gold-gelbe Augen unter der Kleidung hervor. „W-Was ist denn hier...Ren?!“ Ein kleines Köpfchen wurde herausgestreckt. Es war ein Kind. Ein Kind, das genauso aussah wie Ren. Ungläubig hockte die Clique sich hin. „R-Ren?“, fragte Trey vorsichtig. Der Kleine Junge lächelte und antwortete: „Hallo!“ Er winkte fröhlich. „Oh mein Gott...Es ist wirklich Ren...“, stellte Yoh fest. „Aber wieso ist er denn ein kleines Kind?“, fragte Joco entsetzt. „Dieses komische Ding muss ihn verzaubert und wieder in ein Kind zurück verwandelt haben“, schlussfolgerte Lyserg. „Ren...Wie alt bist du?“, fragte Manta den Kleinen. Dieser hob seine Hand, zählte seine Finger ab und antwortete fröhlich: „Ich bin drei!“ „Meine Güte...Ich glaube, ich habe noch nie ein so niedliches Kind gesehen“, sagte Ryu. „Aber wir müssen ihn wieder zurück verwandeln!“, schrie Trey außer sich, worauf der kleine Ren verängstigt zusammenzuckte. „Beruhige dich Trey! Du machst ihm ja Angst!“, wies Ryu den Blauhaarigen zurecht, wickelte den Kleinen in Rens Hemd und nahm ihn auf den Arm. „Keine Angst mein Kleiner; wir tun dir nichts; ich bin Ryu“, stellte er sich dem Kleinen freundlich vor. „Onkel Ryu“, erwiderte der Junge lächelnd, woraufhin Ryu sich nicht mehr zusammenreißen konnte. „Aww! Ich liebe es, Onkel Ryu genannt zu werden!“ „Seht mal, was ich gefunden habe“, sagte der Engländer und zeigte den Anderen einen kleinen Korn. „Was soll das sein?“, fragte Yoh verwirrt. „Das ist ein Samenkorn; ich habe ihn dort drüben in der Erde gefunden, da, wo woher die alte Eiche stand...“, erklärte der Pendler. „Also ist es tatsächlich ein Verjüngungs-Zauber“, sagte Joco. Lyserg nickte. „Gut, dann lasst uns mal herausfinden, wie wir unseren Freund wieder zurück verwanden können“, sagte Yoh lächelnd. Die Übrigen nickten. Doch auch vier Wochen später war Ren noch immer ein dreijähriges Kind. Das seltsame Ding, das ihn verzaubert hatte, war genauso schnell wieder verschwunden, wie es aufgetaucht war. Es war weg. Die Schamanen hatten nicht einmal den Ansatz einer Spur, was dieses Wesen war, um was für eine Art Zauber es sich handelte, und am allerwenigsten hatten sie einen Schimmer, wie sie diesen Zauber wieder rückgängig machen konnten. Es schien auf der ganzen Welt niemanden zu geben, der ihnen helfen konnte. Alle hatten sich mittlerweile an den dreijährigen Ren gewöhnt, und sie liebten den Kleinen von Tag zu Tag mehr. Er war so unglaublich süß, so fröhlich und offen, so...glücklich...so...unschuldig. Ganz anders, als der Ren, den sie kannten. „Es ist wirklich bemerkenswert, was die falsche Erziehung aus so einem niedlichen Knirps machen kann“, sagte Ryu, während er dem kleinen Ren dabei zusah, wie dieser friedlich in Treys Armen schlief. „Ja...“, pflichtete er dem Biker nur geistesabwesend bei. Auch Trey fand den Kleinen unglaublich niedlich. Doch er vermisste den fünfzehnjährigen Ren. Er vermisste seinen Freund. Trotzdem hatte er in den letzten Wochen viel nachgedacht. Und einen Entschluss gefasst. „Ich werde ihn aufnehmen“, sagte der Blauhaarige in die Runde. „Was?“, fragten diese synchron. „Wir können ihn nicht zurück verwandeln, also werde ich ihn aufnehmen und großziehen.“ „Aber Trey...Was ist mit den Taos?“ „Ich werde ihn garantiert nicht wieder in die Hände dieser Monster geben!“, rief er wütend. „Ihr wisst doch selbst, was für eine Familie die Taos sind! Wie grausam sie mit ihren eigenen Kindern umgehen!“ „Shh! Du weckst ihn noch auf...“ „Wir werden bestimmt einen Weg finden, den Zauber rückgängig zu machen“, sagte Yoh zuversichtlich. Ein trauriges Lächeln schlich sich auf Treys Gesicht, als er erwiderte: „Vielleicht...Ist es besser, wenn wir ihn nicht rückgängig machen...“ Alle starrten den Blauhaarigen schockiert an. „A-Aber Trey-“ „-Denkt doch mal nach, Jungs...Ihr wisst doch alle, was für eine schreckliche Kindheit Ren hatte...Und jetzt, seht ihn euch an“, sprach Trey und streichelte sanft über die weichen Haare des schlafenden Kindes. Er sah wieder zu seinen Freunden. „Wer bekommt schon die Chance auf eine zweite Kindheit? Eine glücklichere, friedlichere, und liebevollere Kindheit?“ Sanft lächelnd sah er wieder zu dem Kleinen. „Ich werde ihm diese zweite Kindheit schenken...“ Ein trauriges Lächeln war auf den Gesichtern der Schamanen zu sehen. Sie alle vermissten ihren Freund Ren, doch sie wussten, dass Trey recht hatte. Und sie wussten ebenfalls, dass Treys Entschluss feststand. Sie konnten ihn nun sowieso nicht mehr davon abhalten, selbst, wenn sie es gewollt hätten. „Aber...Sag mal Trey...“, begann Yoh vorsichtig. „Hmm?“ „Bist du sicher, dass du damit klar kommen wirst?“ Tbc. Kapitel 2: Gefühle ------------------ Füreinander bestimmt? Teil 2: Gefühle -14 Jahre später- „Herzlichen Glückwunsch!“, wurde kollektiv gerufen, als Trey sein neues Büro betrat. All seine Kollegen hatten sich hier in aller Frühe zusammengefunden, um ihm zu seiner gerade erhaltenen Juniorprofessur zu gratulieren. Das Büro war festlich geschmückt, ein großer, ebenfalls mit Glückwünschen beschrifteter, Kuchen stand auf dem Tisch. „Oh man, ihr seid ja verrückt...Ich habe doch gesagt, dass ihr nichts organisieren müsst...“, sagte der Blauhaarige und kratzte sich verlegen die Schläfe. „Ach, red' keinen Quatsch, Trey! Du bist mit 30 Jahren nun offiziell der jüngste Professor, den es je am Institut für Biologie gab, so etwas muss gefeiert werden!“, entgegnete sein Kollege und öffnete mit einem lauten „Plöpp!“ die erste Sektpulle. Treys Bedenken bezüglich Alkoholkonsums um halb acht morgens wurden gekonnt ignoriert und alle stießen freudig auf ihren Kollegen an. „Auf Professor Dr. Usui!“ Trey hatte nach seinem Schulabschluss hier, an der Universität Tokio, Biologie studiert. Nach seinem Diplom hatte er am Institut als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet und promoviert. Und seit dieser Woche hatte er tatsächlich eine Juniorprofessur für ökologische Systeme erhalten. Er freute sich unglaublich darüber, das war seit langen sein Ziel gewesen. Er konnte sich nichts schöneres vorstellen, als für den Rest seines Lebens die Natur zu erforschen. „Und, Professor? Was wird Ihr erstes Forschungsprojekt?“, fragte seine Kollegin, Naomi Osara freundlich lächelnd. Naomi arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut und war, wie Trey, Biologin aus Leidenschaft. Sie war 28 Jahre als, trug mittellange, schwarze Haare, eine dicke, rote Nerdbrille und war mit gerade einmal 1,63 m die kleinste Mitarbeiterin. Sie war ruhig, immer freundlich und wurde von allen gemocht. Und auch, wenn Naomi es glaubte, war es kein Geheimnis, dass sie sich bis über beide Ohren in ihren großen, muskulösen, blauhaarigen Kollegen, verguckt hatte. Auch Trey wusste das. Ihr Verhalten war einfach viel zu auffällig. Sie suchte immer und überall den Kontakt zu ihm, errötete sofort und schaute verlegen zur Seite, sobald sein Blick den ihren zufällig traf, sie machte ihm immer wieder kleine Geschenke, und wenn es nur ein stylischer, neuer Kugelschreiber war, und beinahe jedes Mal, wenn sie sich unterhielten, berührte ihre Hand 'aus Versehen' seine...Man hätte schon ein Autist sein müssen, um nicht zu kapieren, was hier Sache war. Doch Trey stellte sich dumm. Er hoffte, dass sie bald das Interesse an ihm verlieren würde, wenn er einfach keinerlei Reaktionen zeigte. Er mochte Naomi zwar, es war auch fast unmöglich, sie nicht zu mögen, doch in dieser Hinsicht interessierte er sich kein Stück für sie. Sie war einfach ZU freundlich, ZU gut gelaunt und ZU niedlich...Überhaupt nicht der Typ, auf den er stand. Sehr zum Unverständnis seiner männlichen Kollegen, welche sich regelmäßig an seine Stelle wünschten. Und Trey wünschte sich das auch. Anfangs fand er es ja noch niedlich und fühlte sich geschmeichelt, doch mittlerweile gingen ihm ihre ständigen Anmachen, wenn gleich sie versuchte, diese so unterschwellig wie möglich zu machen, gehörig auf den Geist. „Ich werde mich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Huflattichfelder beschäftigen“, antwortete der junge Professor freundlich. „Was für ein interessantes Thema!“, erwiderte sie fröhlich. „Wenn du mal Hilfe gebrauchen kannst, stehe ich dir jederzeit zur Verfügung...“, fügte sie noch hinzu, dabei legte sie ihre Hand an seine Schulter und machte zunächst keine Anstalten, sie wieder zu entfernen. Der Blauhaarige verdrehte innerlich die Augen, antwortete jedoch freundlich lächelnd: „Das ist lieb von dir, aber du hast mit deiner Dissertation momentan genug zu tun.“ „Nein wirklich! Ich helfe dir gern!“, entgegnete Naomi hastig. „Das weiß ich sehr zu schätzen, danke.“ 'Meine Güte...', dachte er jedoch genervt und war heilfroh, dass gerade Professor Okamaru dazukam, an dessen Lehrstuhl er bisher gearbeitet hatte. „Trey! Trink noch einen Sekt mit mir!“, rief dieser fröhlich und füllte das noch halb volle Glas des Blauhaarigen erneut bis zum Rand. „Ich muss heute noch Vorlesungen halten“, sagte er seufzend. 'Ich hab von den eineinhalb Gläsern schon einen sitzen...' Gegen 15 Uhr kam der Juniorprofessor zu Hause an. Er lebte in einem kleinen Haus mit Garten, etwas außerhalb der Innenstadt. Als er die Haustür öffnete und eintrat, stieg ihm gleich der Duft von gebratenem Fleisch und Gemüse in die Nase. Er wunderte sich darüber, da Ren eigentlich noch nicht zu Hause sein dürfte. Als er die Küche betrat, erblickte er diesen jedoch am Herd stehend. „Das Essen ist gleich fertig“, sagte der Teenager und füllte gerade eine Ladung gebratenes Gemüse aus der Pfanne in eine Schüssel. Trey nahm einen tiefen Atemzug und schwärmte: „Hmm...Das riecht köstlich! Wie kommt's, dass du schon zu Hause bist?“, fragte er dann, gab dem Gelbäugigen einen Kuss auf die Stirn und begann damit, den Tisch zu decken. „Meine Vorlesung ist ausgefallen, der Dozent ist krank“, antwortete dieser und stellte das zubereitete Essen auf den Tisch. Trey lief das Wasser im Munde zusammen, als er das kleine Buffet, bestehend aus so ziemlich jeder seiner absoluten Lieblingsköstlichkeiten, sah. „Wow, das ist ja ein richtiges Festmahl...Gibt es einen besonderen Anlass?“, fragte er, sowohl überrascht, als auch vorfreudig. „Nein, ich hatte heute einfach Lust zu kochen“, antwortete der Jüngere trocken und holte zwei Gläser aus dem Schrank. Noch einmal sah der Blauhaarige sich den reichlich gedeckten Tisch an. Ren musste mehrere Stunden in der Küche gestanden haben, um all diese Köstlichkeiten zuzubereiten. Ein warmes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, denn er verstand genau, was sein Ziehsohn ihm damit sagen wollte. Sanft zog er den Kleineren in seine Arme und drückte ihn fest. „Vielen Dank“, sagte er nur und gab ihm einen Kuss auf die Schläfe. „Keine große Sache“, erwiderte Ren verlegen, löste sich aus der Umarmung und setzte sich an den Tisch. Trey musste kichern. Ein einfaches „Glückwunsch zu deiner Professur“ war eben einfach nicht Rens Art... Obwohl der Chinese erst siebzehn Jahre alt war, studierte er bereits im zweiten Semester Rechtswissenschaften an der Universität Tokio. Das lag daran, dass seine Leistungen in der Schule so herausragend gewesen waren, dass er zwei Klassen übersprungen hatte. Trey hatte das kein bisschen überrascht, schließlich wusste er, dass Ren hochintelligent war. Nachdem er den Entschluss gefasst hatte, den dreijährigen Ren aufzunehmen, hatten er und seine Freunde eine Menge Mühe damit gehabt, die Taos, bzw. Rens Schwester Run davon zu überzeugen, dass der Junge bei Trey aufwachsen sollte. Doch schlussendlich hatte die Grünhaarige schweren Herzens eingewilligt, den Grauäugigen zu unterstützen, allerdings nur unter der Bedingung, dass sie ihren kleinen Bruder regelmäßig sehen und Teil seines Lebens bleiben durfte. Run hatte sogar mit einem kleinen Vermögen das Jugendamt bestochen, sodass diese den Adoptionsantrag einfach durchgewunken hatten. Eigentlich hätte Trey es ja skandalös gefunden, dass ausgerechnet das Jugendamt, welches für das Wohl hilfloser Kinder verantwortlich war, sich tatsächlich bestechen ließ, in diesem Fall war er jedoch froh darüber gewesen. So hatte er Ren ohne Probleme adoptieren können. Es war wirklich eine schöne Zeit. Ren war ein so fröhliches, neugieriges und aufgeschlossenes Kind gewesen. Er war zuckersüß, hatte so viel Spaß und fast immer ein Lächeln auf dem Gesicht gehabt. Das Haus der Beiden war geradezu mit Fotos tapeziert. Bei fast allen Aktivitäten, die sie unternommen hatten, hatte der Blauhaarige stets seine Kamera dabei. Beim Campen, im Freizeitpark, im Zoo, auf dem Spielplatz, zu Weihnachten und zu Rens Geburtstagen, immer wenn sie ihre Freunde besucht hatten... Natürlich waren auch Kohoro und Bason überall dabei. Es hatte ewig gedauert, Bason auszutreiben, Ren mit „Meister“ anzusprechen, doch irgendwann hatte es geklappt. Auch Bason genoss es ungemein, seinen Schamanen so glücklich aufwachsen zu sehen. Das hatte er verdient. Das der Draufgänger aus dem hohen Norden mal einen Doktortitel machen und ein renommierter Professor werden würde, hätte früher sicherlich niemand gedacht. Doch Trey wusste, dass Ren der Grund dafür war. Er wollte dem Kleinen ein gutes Leben bieten können. Das war immer sein Antrieb gewesen, etwas aus seinem Leben zu machen, seine Ziele zu verfolgen und nicht aufzugeben. Für den Wissenschaftler in ihm war Rens zweite Kindheit gleichzeitig eine unheimlich spannende Langzeitstudie darüber, welche Persönlichkeitseigenschaften eher veranlagt, und welche eher von der Umwelt beeinflusst wurden. Interessanterweise hatten sich die Grundzüge von Rens Persönlichkeit kaum verändert. Er war, wenn auch auf etwas charmantere Weise als früher, relativ arrogant, sarkastisch, stolz, zielstrebig, fleißig und eher ruhig. Allerdings war er, und das machte eben den feinen Unterschied aus, sehr viel offener, lachte viel häufiger als früher und hatte Freunde, mit denen er gerne etwas unternahm. Alles in Allem war er ein hochintelligenter, disziplinierter Teenager, der aber auch gerne Spaß hatte. Er und Trey hatten immer ein sehr inniges Verhältnis gehabt. Viele Jahre lang gab es für den Biologen nur zwei Dinge: Ren und sein Studium. Es war zwar anstrengend gewesen, allein erziehender Vater zu sein, und gleichzeitig eine Karriere aufzubauen, doch jedes Lächeln auf Rens Gesicht, jedes fröhlich gerufene „Papa!“ ließ sein Herz höher schlagen und all die Mühen vergessen. Seit etwa einem guten Jahr beobachtete der Dreißigjährige aber, dass Ren sich langsam von ihm distanzierte. Das war natürlich normal bei einem pubertierenden Teenager, aber trotzdem machte er sich in letzter Zeit viele Gedanken darüber. „Bist du fertig?“, fragte der Gelbäugige und begann, nachdem Trey genickt hatte, damit, den Tisch abzuräumen. „Ich helfe dir.“ „Trey, gibst du mir mal die Pfanne?“, fragte Ren und bekam sogleich einen unangenehmen Kneifer in sein linkes Ohrläppchen. „Ich bin dein Vater!, Also nenn' mich gefälligst nicht 'Trey'“, meckerte der Blauhaarige. „Autsch! Ist ja gut...Gibst du mir bitte mal die Pfanne, PAPA?“ „Gerne, mein Sohn“, erwiderte der Andere schnippisch. Nachdem die Küche wieder vorzeigbar war zog Ren sich in sein Zimmer zurück, welches im ersten Stock lag, und der junge Professor machte es sich auf der Couch gemütlich. Heute war Freitag und er beschloss, das Wochenende mit ein paar seiner Lieblingsfilme und einem kühlen Bier einzuleiten. Die Stunden vergingen und gegen 19:30 Uhr klingelte es plötzlich an der Tür. Trey erwartete keinen Besuch, daher vermutete er, dass es sich wahrscheinlich um einen Freund von Ren handeln würde. Er öffnete die Haustür und musste sogleich feststellen, dass er sich da geirrt hatte. 'Ernsthaft?!', dachte er verärgert. „Naomi, was machst du denn hier?“, fragte er seine Kollegin, welche eine große, grüne Kunststoffdose in den Händen hielt. Sie schwirrte zwar in der Uni fast ununterbrochen um ihn herum, aber soweit, vor seiner Haustür aufzutauchen, war die junge Wissenschaftlerin noch nie gegangen. Auch ihr Äußeres sprach für sich: Sie trug ein blaues, extrem kurzes Kleid mit tiefem Ausschnitt, High-Heels, Kontaktlinsen statt ihrer Brille, auffälligen, silbernen Schmuck, und aufgestylte Haare. Sie sah aus, als wäre sie auf dem Weg in die Discothek gewesen, doch Trey war klar, dass das nicht der Fall war. „Ähm...Hallo Trey...Entschuldige die Störung...Aber, ähm...Du hast deinen Notizblock im Büro liegen lassen...Normalerweise nimmst du ihn immer mit....Und ähm, ja...Ich wollte ihn dir vorbeibringen...Falls du ihn am Wochenende brauchst...“, druckste sie verlegen herum und holte den Block aus ihrer Handtasche. Innerlich seufzend nahm der Blauhaarige den Notizblock entgegen. Das wurde ja immer schlimmer... „Danke, aber das wäre nicht nötig gewesen, ich hatte nicht vor, am Wochenende zu arbeiten...Wir sehen uns dann am Mon-“ „-Warte! Ähm...I-Ich hatte Muffins gebacken, für deine Feier heute...Aber ich habe sie heute Morgen dummerweise in der Küche stehen lassen...“, unterbrach sie de Anderen hastig und hielt diesem die grüne Dose vor die Nase. „Äh...Das...ist nett von dir...“, erwiderte Trey, ratlos darüber, was er dazu sagen sollte. „Es sind deine Lieblingsmuffins...Mit Nüssen und Zimt“, sagte sie lächelnd. 'Ich habe wohl keine andere Wahl...', dachte der Biologe resignierend. „Willst du auf einen Kaffee reinkommen?“ Naomi schlug begeistert ihre Hände zusammen. „Wahnsinnig gern!“ Er nahm ihr die Dose mit den Muffins ab und ließ sie eintreten. 'Von wegen in der Küche vergessen...Die Dose ist noch warm, du hast sie vorhin erst gebacken...' Eigentlich wollte er es ja vermeiden, aber er musste ihr wohl oder übel eine klare Abfuhr erteilen. Seine „Ignorier-Strategie“ war eindeutig gescheitert. Die junge Frau schaute sich neugierig um, während Trey eine Kanne Kaffee aufsetzte. „Eine wirklich tolle Einrichtung! Modern aber trotzdem total gemütlich!“ Fasziniert betrachtete sie die vielen Fotos im Wohnzimmer. „Oh man...Dein Sohn war ja wirklich zum Anbeißen, als er klein war!...“ Trey bekam von Naomis Gebrabbel nichts mit. Während er darauf wartete, dass der Kaffee endlich durch war, dachte er krampfhaft darüber nach, wie er seiner Kollegin am schonendsten beibringen konnte, dass aus ihnen nichts werden würde und sie ihn doch bitte ab sofort in Ruhe lassen sollte. Bewaffnet mit Kaffee, Tassen, Zucker und Milch atmete der Hausherr noch einmal tief durch, bevor er das Wohnzimmer betrat und das Tablett auf dem Tisch abstellte. „Setz dich“, sagte er zu seinem Gast und nahm ebenfalls auf der Couch Platz. Freudig setzte sie sich, wenig überraschend, direkt neben den Blauhaarigen. Dieser goss für zwei Tassen Kaffee ein und reichte seiner Kollegin eine davon. Naomi griff mit beiden um die Tasse, wobei sich ihre linke Hand über Treys rechte legte, mit welcher er die Tasse festhielt. Langsam streifte sie mit ihrer Hand über die Seine, wobei der Dreißigjährige erneut innerlich die Augen verdrehte. 'jetzt nimm einfach die verdammte Tasse!', dachte er genervt. Er konnte seine Hand nicht einfach wegziehen und ihr mit dem heißen Kaffee die Beine verbrennen, also sagte er: „Nimm bitte die Tasse, sie ist heiß.“ „Oh, natürlich, Entschuldige...“, erwiderte sie schnell und griff endlich die Tasse, sodass der Grauäugige seine Hand wegziehen konnte. „Wie waren denn deine Vorlesungen heute? Haben die Studenten gemerkt, dass du einen im Tee hattest?“, fragte sie kichernd. „Ich hatte gar keinen im Tee, ich-“ „-Oh doch, und wie! Dein Gesicht war ganz rot, bist zu deinen Ohren! Das war...“, sanft legte sie ihre freie Hand auf Treys Oberschenkel und streichelte langsam darüber, „...wirklich niedlich“, beendete sie ihren Satz mit verführerischem Unterton. 'Jetzt reicht's...' Der Blauhaarige griff nach der Hand seiner Kollegin und schob diese von seinem Oberschenkel runter. „Naomi, das muss aufhören“, sagte er mit ernster Stimme. „Was meinst du?“, fragte sie und stellte ihre Tasse auf dem Tisch ab. „Das weißt du genau. Alle fünf Minuten tauchst du an meinem Schreibtisch auf, ständig machst du mir irgendwelche Geschenke, heute tauchst du einfach vor meiner Haustür a- mpf!“, wurde er unterbrochen, als er plötzlich die Lippen der Schwarzhaarigen auf seinen eigenen spürte. Er war so perplex, dass er in diesem Moment nicht reagieren konnte. Mit weit aufgerissenen Augen saß er da. Sofort bewegten sich die Lippen der zierlichen Frau leidenschaftlich gegen seine. Sie legte ihre Hände auf die muskulösen Schultern ihres Kollegen und presste ihren Oberkörper fest gegen seine durchtrainierte Brust, mit ihrer Zunge leckte sie fordernd über Treys Lippen, erbat Einlass. Diesen wollte der Größere ihr verwehren, doch als er den ungewollten Kuss beenden wollte, in dem er seine Lippen öffnete um „mpf! Naom-mpf!“, zu sagen, nutzte sie diese Gelegenheit sofort aus und schob ihre Zunge in Treys Mund. Dieser musste seine ganze Willenskraft zusammennehmen, die junge Biologin nicht einfach mit voller Wucht von sich runter zu schubsen. Grob packte er sie an den den Oberarmen und schob sie zurück neben sich auf das Sofa. „Lass das, Naomi! Mein Sohn ist oben!“, fauchte er wütend. Die Wangen seiner Verehrerin glichen einer Tomate und ihre Augen waren bereits glasig vor Lust. „Dann...“, begann sie zu erwidern und kam den Lippen des Älteren erneut gefährlich nahe, „...lass uns doch in dein Schlafzimmer gehen...“, flüsterte sie nun in dessen Ohr und leckte einmal verführerisch über Treys Ohrmuschel. Dieser war völlig überrascht über diesen plötzlichen Verhaltenswechsel seiner Kollegin. Auf der Arbeit war sie immer so schüchtern und zurückhaltend gewesen, aber wahrscheinlich war das einfach ihre Masche. Viele Männer standen auf solche Frauen, bei denen sie ihren Beschützerinstinkt ausleben konnten, doch bei ihm hatte das nicht gezogen, also zeigte sie nun ihr wahres Gesicht. Zumindest war das die Einzig plausible Erklärung, die ihm einfiel. Doch jetzt wurde er so richtig sauer. Wieder packte er sie und schob sie grob von sich. „SCHNALLST DU ES WIRKLICH NICHT?! ICH WILL NICHTS VON DIR! ALSO LASS MICH ENDLICH IN RUHE!“; schrie er sie an, woraufhin sie merklich zusammenzuckte. „A-Aber Trey...W-Wieso denn nicht?...“, stotterte sie leise. „I-Ich...Ich mag dich...Sehr sogar...“, fügte sie hinzu, dabei wurde ihre Stimme immer brüchiger. Das ließ den Blauhaarigen seine Fassung wiedererlangen. „Es tut mir Leid, Naomi...Aber ich erwidere deine Gefühle nicht. Entschuldige, dass ich dich angeschrien habe...Ich habe immer so getan, als ob ich deine Annäherungsversuche nicht bemerken würde, weil ich dir nicht weh tun wollte. Ich dachte, dass du nach einer Weile einfach das Interesse an mir verlieren würdest...Ich fühle mich wirklich geschmeichelt, aber...Das wird nichts mit uns. Tut mir Leid.“ Endlich war es raus. Trey war erleichtert, auch wenn er sich einen anderen Ausgang dieser Situation gewünscht hätte. Naomi senkte ihren Kopf. Ein paar Tränen bildeten sich in ihren Augenwinkeln, doch sie schaffte es, diese weg zu blinzeln. „Warum?“, hauchte sie leise. Der Biologe seufzte. „Das spielt keine Rolle...“ „Doch! Ich habe dir meine Gefühle gestanden, wenn du mich schon abweist, habe ich wenigstens das Recht, den Grund zu erfahren“, entgegnete sie fordernd. Trey schaute zur Seite. Konnte sie es nicht einfach gut sein lassen? „Du...bist einfach nicht mein Typ“, antwortete er schließlich, ohne seine Kollegin anzusehen. Diese starrte ihren Schwarm eine Weile schweigend an, bevor die fragte: „Was hat sie, was ich nicht habe?“ Verdutzt blickte der Größere sie an. „Was?“, fragte er, sich augenscheinlich ertappt fühlend. Ein trauriges Lächeln schlich sich auf das Gesicht der Schwarzhaarigen, als sie antwortete: „Ich bin nicht dumm, Trey...Es gibt eine Andere, richtig? Dein Verhalten mir gegenüber schreit geradezu nach unerwiderter Liebe...Du kriegst sie einfach nicht aus deinem Kopf, deshalb kannst dich auf keine andere Frau einlassen, habe ich recht? Wer ist sie? Kennst du sie schon lange?“ Fassungslos starrte der allein erziehende Vater sein Gegenüber an. Obwohl er wusste, dass es unmöglich war, hatte er trotzdem gerade das Gefühl, dass Naomi seine Gedanken lesen konnte. Und so lächerlich es auch klang, hatte er in diesem Moment wirklich panische Angst, sie könnte auch den zweiten, den düsteren, den unaussprechlichen Teil seiner Gedanken, lesen. Noch immer traurig lächelnd, neigte sie ihren Kopf zur Seite. „Ich liege richtig, stimmt's?“ Nun war es Trey, der seinen Kopf soweit senkte, dass seine Augen nicht mehr zu sehen waren, bevor er leicht nickte. Auch Naomi nickte. „Ich weiß genau, wie du dich fühlst...Und ich habe wirklich gar keine Chance?“ Der Grauäugige schüttelte den Kopf. „Gar keine...Tut mir Leid“, flüsterte er traurig. „Weiß sie, wie du fühlst?“, fragte die Jüngere vorsichtig. Wieder schüttelte der Andere den Kopf. „Sie darf es auch nie erfahren...Es ist aussichtslos, meine Gefühle sind absolut einseitig“, erklärte er traurig. Trey so niedergeschlagen, sogar verzweifelt zu sehen, brach Naomi beinahe das Herz. „T-Trey...Es tut mir so Leid, es-“ „-Ist schon gut“, unterbrach er sie. „So lange sie glücklich ist, bin ich es auch“, flüsterte er mit dem wohl traurigsten Lächeln, das Naomi je gesehen hatte. Sofort schlang sie ihre Arme um den Blauhaarigen und drückte diesen fest. Es war keine anbaggernde Umarmung, es war eine freundschaftliche, tröstende Umarmung. Das spürte der Grauäugige genau, weshalb er sich auch nicht dagegen wehrte. Fürsorglich streichelte die Schwarzhaarige durch die blauen Strähnen. „Aber weißt du, Trey...Wenn es wirklich so aussichtslos ist, wie du glaubst...Dann darfst du ihr nicht den Rest deines Lebens hinterher trauern, irgendwann zerbrichst du daran...“ „Ich weiß...Ich schaffe das schon...“ Sie lösten ihre Umarmung wieder und die junge Wissenschaftlerin erhob sich von der Couch. „Ich habe dir genug Ärger gemacht...Ich werde jetzt nach Hause fahren. Aber wenn du mal reden willst, kannst du mich jederzeit anrufen. Keine überraschenden Küsse, versprochen“, sagte sie und zwinkerte ihrem Kollegen zu. Dieser lachte leicht und begleitete seinen Gast zur Tür. „Auch wenn es heute nicht optimal gelaufen ist, aber...sind wir noch Freunde?“, fragte Trey lächelnd. Naomi lächelte ebenfalls und antwortete fröhlich: „Natürlich.“ Der junge Professor war erleichtert. „Da bin ich aber froh...Es tut mir wirklich Leid, Naomi...Du bist eine tolle Frau und-“ „-Du musst dich nicht entschuldigen, Trey. Du hast nichts falsch gemacht. Alles ist gut“, unterbrach sie ihn. Der Andere nickte nur. „Wir sehen uns dann Montag.“ „Jap, bis dann...Und iss die Muffins, die heilen jeden Liebeskummer“, sagte sie noch zwinkernd. „Da bin ich sicher“, erwiderte er grinsend. 'Eine einseitige, aussichtslose Liebe?', dachte der Gelbäugige, welcher im dunklen Flur mit dem Rücken an die Wand lehnte. Er hatte das gesamte Gespräch mit angehört. Er wartete noch noch zwei Minuten, bevor er das Wohnzimmer betrat. Sein Adoptivvater saß auf der Couch und schien nachzudenken. „Ich haue jetzt ab“, sagte der Teenager, als ob er gerade erst herunter gekommen wäre. „Wo gehst du denn hin?“ „Ich treffe mich mit ein paar Freunden.“ „Okay, viel Spaß.“ „Danke, bis später.“ Schnell verließ der Siebzehnjährige das Haus und machte sich auf den Weg in die Stadt. Wer könnte nur diese Frau sein? Trey hatte in den letzten Jahren ein paar wenige Frauen gedatet, aber mit keiner eine feste Beziehung angefangen. War diese Unbekannte tatsächlich der Grund dafür? Ren war irritiert. Die Vorstellung, dass es da draußen eine Frau gab, der Treys Herz gehörte, gefiel dem Studenten überhaupt nicht. Vor allem, weil er seit geraumer Zeit, diese...seltsamen Gefühle hatte. Gefühle, die ein Junge nicht für seinen Vater empfinden sollte. Der Blauhaarige war zwar nicht sein leiblicher Vater, aber er hatte ihn adoptiert und großgezogen. Es begann vor ein paar Jahren, als er in die Pubertät kam, dass er irgendwie das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmte. Mit Trey und mit ihm, er konnte sich nicht erklären, was es war, doch es wurde immer stärker. Er hatte immer mehr das Bedürfnis, seinen Vater beim Vornamen zu nennen, er konnte sich selbst nicht erklären, wieso, doch „Papa“ fühlte sich irgendwie...falsch an. Nicht, dass Trey kein guter Vater war, ganz im Gegenteil. Er war der beste Vater, den man sich wünschen konnte. Er war liebevoll, witzig und immer für ihn da. Trey liebte ihn abgöttisch, das wusste Ren ganz genau. Und Ren liebte ihn... Nach ca. 20 Minuten war der Chinese an seinem Ziel angekommen. Der „Biker Club“ war eine Rockerkneipe in der Innenstadt von Tokio. Er trat ein und wurde sogleich von dem Inhaber begrüßt. „Da ist ja mein Lieblingsneffe! Schön, dass du dich mal wieder sehen lässt, mein Junge!“ „Hey Onkel Ryu“, begrüßte er den Biker lächelnd. „Juhuu Reen!“, hörte er sofort die Stimmen von Yoh und Manta, welche an ihrem Stammtisch in der Ecke unmittelbar neben der Bar saßen. „Hi Leute“, begrüßte der Gelbäugige sie ebenfalls und setzte sich zu ihnen. „Machst du mir ein Bier?“, fragte er den Barkeeper und zog seine Jacke aus. „Kommt sofort mein Lieber.“ „Na, wie läuft's Ren?“, fragte Yoh grinsend, augenscheinlich schon leicht angeduselt. „Alles in Ordnung, und bei euch?“ „Alles Tuttii“, antwortete der Brünette amüsiert und schlürfte genüsslich seinen Cocktail. Sowohl Ren, als auch Manta und Ryu zogen skeptisch eine Augenbraue hoch und schauten ihren Freund eindringlich an. Dieser seufzte einmal bevor er mit Tränen in den Augen zugab: „Ist ja gut...Anna räumt gerade mein Konto und mein Haus leer, aber sonst ist alles supii...“ Die übrigen nickten verstehend. Yoh war gerade mitten in der Scheidung von Anna. Von seiner Seite aus war es ohnehin von Anfang an eher eine Zwangsehe gewesen, wirklich geliebt hatte er sie nie, zumindest nicht auf die romantische Art. Manta war in den letzten 14 Jahren kaum gewachsen. Er hatte nach seinem Schulabschluss Informatik studiert und arbeitete als IT-Spezialist für eine große Telekommunikationsfirma. Für Ren waren die Männer so etwas wie seine Onkels, sie waren die besten Freunde seines Vaters und gehörten ohne Zweifel zur Familie. Der Teenager kam gerne hierher und verbrachte Zeit mit ihnen. Sie waren lustig und locker, aber er konnte auch gut mit ihnen reden, wenn ihm etwas auf dem Herzen lag. Über das Meiste zumindest... Die Drei Älteren bemerkten sofort, dass Ren Redebedarf hatte. Er wirkte so nachdenklich... „Was ist los, Ren? Hast du dich mit deinem Vater gestritten?“, fragte Yoh leicht besorgt. Erschrocken darüber, dass der Braunhaarige ihn wie immer sofort durchschaut hatte, guckte der Student verlegen zur Seite. „Nein, dass nicht...Aber...Kann ich euch was fragen?“ „Natürlich, alles, was du willst“, antworteten die Drei synchron. „Wer ist die Frau, die Tr-, also, die Papa nicht aus seinem Kopf bekommt?“ -Bei Trey- Der junge Professor ging in den Keller um eine Maschine Wäsche anzuschmeißen. Die Aktion mit Naomi vorhin hatte ihn ziemlich aufgewühlt. Hausarbeit half ihm immer ganz gut, den Kopf frei zu bekommen. Es hatte ihn wirklich erschreckt, wie schnell seine Kollegin ihn durchschaut hatte. Dabei tat er seit Jahren alles dafür, seine Gefühle vor allen anderen zu verstecken. Er feuerte alle dunklen Klamotten in die Wäschetrommel, gab Waschmittel und Weichspüler dazu, und schaltete sie an. Als er sich umdrehte und wieder hoch gehen wollte, sah er, dass er ein auf dem Boden liegendes Teil übersehen hatte. 'Mist...', ärgerte er sich gedanklich. Er hob den schwarzen Stoff auf und erkannte sogleich, dass es sich um ein schwarzes Muskelshirt von Ren handelte. Es war eins seiner Trainingsshirts, die er immer anzog, wenn er ins Fitnessstudio ging. Er wollte dem Drang, welcher ihn sofort wie eine Welle überkam, widerstehen, doch er schaffte es nicht. Er führte das Shirt zu seinem Gesicht und nahm einen tiefen Atemzug. Sofort durchzog ein wahrer Tsunami der Erregung seinen gesamten Körper. Dieser Duft. Dieser wunderschöne, unverwechselbare Duft. 'Ren...' Beinahe wie hypnotisiert stieg er die Treppe hinauf und lief geradewegs in sein Schlafzimmer, dabei durchgehend den süßen Duft seiner Begierde inhalierend. Sein Verstand schien sich bereits beim ersten Einatmen verabschiedet zu haben. Er legte sich auf sein Bett, nahm erneut einen tiefen Atemzug und begann, sanft über die sich bereits gebildete Beule in seinem Schritt zu streicheln. Er öffnete seine Jeans und ließ seine Hand hineingleiten. Vorsichtig umgriff er sein halb steifes Glied und fing an, dieses langsam zu massieren. Leise seufzte er immer wieder in Rens Shirt, während er sanft mit seinem Daumen die empfindliche Spitze seiner Eichel verwöhnte. Er drehte sich auf die Seite, zog schnell seine Hose ein Stück herunter, umgriff sein mittlerweile zu voller Größe geschwollenes Glied erneut und begann, dieses Mal etwas fester, dieses zu massieren. Er schloss seine Augen und hatte sofort dieses Bild vor sich. Das Selbe Bild, welches er immer sah, wenn er sich anfasste, genau wie in seinen Träumen. -Ahh! Trey! -Fühlt es sich gut an, Ren? -Ja! Fester! Die Hand des Blauhaarigen pumpte seinen erregten Penis immer schneller. Je deutlicher er den Gelbäugigen sah, unter ihm liegend, nackt, stöhnend, sich vor Lust windend, desto mehr Lusttropfen bildeten sich an seinem Glied. Sein Herzschlag beschleunigte sich immer mehr, jeder Atemzug saugte den begehrten Duft noch gieriger auf, als der Vorherige. -Trey! I-Ich..Ko-ahh! -I-Ich auch...ahh... „Ren...Ren...Ren...“ Trey stöhnte immer lauter, seine Hand bewegte sich schneller und schneller. -Ren...Ich liebe dich... -Ich liebe dich auch, Trey... „Ahh! Ren! Ich liebe dich!“, stöhnte der Grauäugige laut, als er sich in seine Hand und über das Bettlaken ergoss. Schwer atmend und mit knallroten Wangen lag er da. Doch unmittelbar nach der Extase, folgte ein dunkles Tief der Scham, der Verzweiflung, des Ekels. Er ekelte sich vor sich selbst. So war es immer, wenn das hier tat. Und in den letzten Jahren war es immer häufiger geworden. Schwerer und schwerer fiel es ihm, seine Gefühle zu unterdrücken. Als Ren noch klein war, war alles in Ordnung, doch je älter er wurde, desto mehr kamen seine alten Gefühle für den Chinesen zurück. Mittlerweile sah er wieder genauso aus, wie damals... Das letzte Bild, das der Dreißigjährige jedes Mal vor Augen hatte, kurz bevor er kam, war, wie Ren ihn nach dem Sex so liebevoll anlächelte und sagte: -Ich liebe dich auch, Trey Direkt danach sah er auch immer das Gleiche Bild: Ren mit vier Jahren, als er das erste Mal ein Glühwürmchen im Wald erblickt hatte, und ihn fröhlich anlächelte. „Guck mal, Papa!“ Eine Träne lief über die Wange des Blauhaarigen, als er, mit einem bitteren Lächeln auf dem Gesicht, hauchte: „Solange du glücklich bist, bin ich es auch...“ -Bei Ren- Alle Drei sahen den Gelbäugigen schockiert an. Keiner wusste, was er sagen sollte. „W-Was meinst du?“, stammelte Manta unsicher. „Ihr wisst also genau, von wem ich rede“, stellte Ren mit ernster Miene fest. „Wer ist sie?“ „Wissen wir nicht...Ich glaube nicht, dass dein Vater momentan jemanden hat...“, antwortete Yoh. „Er ist auch nicht mit ihr zusammen, aber er liebt sie...Er muss sie schon lange kennen. Ihr seid schon ewig mit ihm befreundet, ihr müsst wissen, wer sie ist.“ „Worum geht es hier wirklich, Ren?“, fragte Yoh nach und hoffte inständig, so vom Thema ablenken zu können. Wieder schaute der Student nachdenklich zur Seite. „Stimmt etwas nicht bei euch, Ren?“, fragte Ryu besorgt und setzte sich neben seinen Neffen an den Tisch. „Es ist nur...“ Ren sprach nicht weiter. „Es ist nur was? Du kannst uns alles erzählen, Ren. Wir sagen es auch nicht deinem Vater, wenn du das nicht willst. Du kannst uns vertrauen“, versicherte Yoh mit einem typischen, warmen Lächeln auf den Lippen. Der Chinese schluckte einmal, bevor er begann zu erklären: „Es ist nur...Wisst ihr...Ich habe in letzter Zeit irgendwie ein komisches Gefühl bei...Papa.“ „Was denn für ein Gefühl?“, fragte Manta nach. „Das ist es ja, ich weiß es auch nicht wirklich...Ich kann es nicht richtig erklären, aber...Es fühlt sich irgendwie so an, als ob da etwas nicht richtig ist, zwischen uns...“ „Was sollte denn nicht richtig zwischen euch beiden sein?“, hakte Ryu nach. „Ich weiß nicht, es ist so als, sollten wir nicht...Vater und Sohn sein...Versteht ihr, was ich meine?“, fragte der Teenager und blickte die Anderen an. Welche ihn wiederum alle schockiert anstarrten, bevor sie den Blick von dem jungen Chinesen abwandten. Niemand sagte etwas. Ren seufzte. „Natürlich versteht ihr es nicht...Ich verstehe es ja nicht einmal selbst...“, murmelte er, mehr zu sich selbst, als zu den Anderen. 'Doch, wir verstehen genau, was du meinst...' Kurz danach hatte Ren die Bar wieder verlassen. Er war nicht mehr in Stimmung. Die Drei Männer blieben ratlos zurück. „Das ist gar nicht gut...“, sagte Yoh leise. Manta und Ryu nickten zustimmend. Zwanzig Minuten später schloss Ren die Haustür auf. Sein Vater würde sich sicher wundern, dass er schon wieder zurück war. Er hängte seine Jacke auf und ging durch das, zu seiner Überraschung leere, Wohnzimmer. Das Licht schaltete er nicht an, für den kurzen Weg war das nicht notwendig. Als er den Flur betrat sah er sofort, dass im Schlafzimmer Licht brannte. Die Tür war einen Spalt geöffnet. Und er vernahm leise Geräusche aus dem Zimmer, konnte diese jedoch nicht sofort zuordnen. Vorsichtig schob er seinen Kopf durch den Türspalt und erblickte den Blauhaarigen, welcher in gebückter Haltung am Fußende des Bettes saß. Er schien etwas in der Hand zu halten. „Papa?“ Der Größere erschrak und richtete seinen Blick schockiert zur Tür seines Schlafzimmers. Augenblicklich erkannte der Gelbäugige die nassen Wangen und geröteten Augen seines Adoptivvaters. Er rannte zu ihm. „Ren?! Was machst du denn schon hier?! Nicht! Komm nicht her!“, rief er schockiert und versuchte das, was er in seiner Hand hielt, vor dem Kleineren zu verstecken. „Was ist los mit dir? Wieso weinst du denn? Und was hast du da?“, rief der Jüngere zurück und hatte dem Grauäugigen mit einer geschickten Handbewegung das Foto aus der Hand gerissen. Er vernahm noch ein laut gebrülltes „NICHT!“, bevor er sich das, offensichtlich bereits ziemlich alte, Foto ansah. Und er erstarrte. Auf diesem Bild konnte er Trey sehen. Im Teenageralter. Genau wie Yoh, Manta, Ryu, Anna, Lyserg und Joco. Sie alle mussten, mit Ausnahme von Ryu, um die 15, 16 Jahre alt gewesen sein. Dieses Bild wurde in einem Café oder einer Bar aufgenommen. Doch was ihn so erstarren ließ, war, dass da auf dem Bild, neben dem jugendlichen Trey, noch ein weiterer Junge saß. Ein Junge, der exakt, aber wirklich EXAKT so aussah, wie er selbst. Er war im selben Alter, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger, als er es jetzt war. Mit tausend Fragezeichen im Gesicht drehte er sich zu seinem Ziehvater, welcher ihn nur, kreidebleich im Gesicht, beide Hände vor den Mund geschlagen, mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen, ansah. „Wer ist dieser Junge?“ Tbc. Kapitel 3: Die halbe Wahrheit ----------------------------- Füreinander bestimmt? Teil 3: Die halbe Wahrheit „Wer ist dieser Junge?“ Treys Herz raste. Die Zeit schien still zu stehen. Fassungslos starrte er seinen Ziehsohn an, welcher ihn wiederum nur fragend anblickte. Was sollte er ihm nur antworten? Dieses war das einzige Foto, welches er von der Zeit, bevor Ren verzaubert worden war, behalten hatte. Er hatte es einfach nicht übers Herz bringen können, es wegzuschmeißen. Wenigstens eine kleine Erinnerung hatte er aus der gemeinsamen Zeit mit seinem Freund behalten wollen. Die ganzen Jahre über, hatte er das Foto in seinem Schlafzimmer gut versteckt, damit Ren es niemals zu Gesicht bekommen würde. Doch nun hatte er es gesehen. Was sollte er jetzt tun? Ren die Wahrheit sagen? Nein, das konnte er doch nicht machen. Sollte er sich schnell eine weitere Lüge ausdenken? Aber welche? Was gäbe es denn für eine plausible Erklärung dafür, dass der Junge auf dem Foto im selben Alter war, wie er selbst, und trotzdem exakt so aussah, wie Ren heute? Treys Gefühle fuhren Achterbahn. Wie gerne würde er dem Chinesen die Wahrheit sagen. Dass das da auf dem Foto er selbst war, dass sie ein glückliches Paar gewesen waren, dass er ihn geliebt hatte, dass er ihn immer noch liebte...Würden Rens Erinnerungen, an sein „altes Leben“ vielleicht sogar zurückkehren, wenn er ihm die Geschichte erzählen würde? Würden vielleicht sogar die alten Gefühle des Gelbäugigen für ihn zurückkehren, so wie es bei ihm selbst auch war? Würden sie dann wieder zusammenkommen? Könnten sie wieder ein glückliches Paar werden? Könnte alles wieder so werden, wie damals, wenn er ihm jetzt die Wahrheit erzählen würde? „D-Das...Der Junge...a-auf dem Foto...“, begann der Blauhaarige zu stammeln. „Ich höre?“ „Er...also, er...“ „WER IST DAS?!“ „Das..ist...d-dein leiblicher Vater...“, brachte er schließlich heraus und blickte schuldbewusst auf den Boden. Er konnte Ren jetzt nicht ansehen. Dieser starrte ihn nur völlig verdutzt an. Hatte er gerade richtig gehört? „Er...ist mein Vater?“, fragte er verwirrt. Trey schluckte einmal, bevor er leicht nickte. „Du hast doch gesagt, dass du mich aus dem Waisenhaus adoptiert hast, kurz nachdem meine leiblichen Eltern bei einem Autounfall gestorben sind...Und jetzt sagst du mir, dass dieser Typ hier mein biologischer Vater sein soll?“ Der skeptische Unterton war deutlich in Rens Stimme zu hören. „Ja, weißt du...Er war...unser Freund...Aber er ist...im Kampf gegen Zeki...gestorben, und...ich habe beschlossen, dich aufzunehmen, und...ich dachte, es wäre besser, dir die Geschichte mit dem Waisenhaus zu erzählen, und...es tut mir Leid, dass ich dich angeloge-“ „SCHWACHSINN!“, schrie Ren dazwischen. Trey zuckte erschrocken zusammen. „Du lügst mich an! Wenn er mein Vater wäre, und er euer Freund war, hättest du ihn mir nie verheimlicht! Also, sag mir gefälligst die Wahrheit!“, brüllte der Chinese wütend. „D-Das ist die Wahrheit, Ren...“ Seine Verzweiflung war dem Biologen deutlich anzusehen. „LÜGNER!“, schrie der Teenager und rannte aus dem Zimmer. „REN! WARTE!“, schrie Trey und rannte hinterher. Sofort hörte er, wie die Haustür lauthals ins Schloss fiel. Er sprintete regelrecht zur Tür, riss sie auf und sprang hinaus. Hastig sah er sich um. Doch seinen Adoptivsohn erblickte er nirgends. Er war schon über alle Berge. „REN! KOMM ZURÜCK! BITTE!“, rief er so laut er konnte, doch die einzige Antwort, die er erhielt, war ein leises Echo seiner Worte. „VERDAMMTE SCHEIßE!“, schrie er und schlug einmal heftig mit der Faust gegen die steinerne Hauswand, bevor er schnell wieder hinein rannte. Er schnappte sich sein Handy, welches auf dem Wohnzimmertisch lag, wählte mit zittrigen Händen eine Nummer und horchte dem endlos wirkenden Tuten, bevor sein Anruf endlich entgegen genommen wurde. „Guten Abend, Professor! Wie geht’s d-“ „Yoh! Hör zu, etwas Schreckliches ist passiert!“, brüllte der Blauhaarige ungehalten ins Telefon. „Oh mein Gott! Was ist denn los? Ist etwas mit Ren?! Ist er verletzt?!“, fragte der Brünette und war sofort besorgt, dass Ren auf dem Heimweg etwas zugestoßen sein könnte. „JA! Also nein...Er...Er ist nicht verletzt...Aber er hat...Oh Gott, Yoh, was soll ich nur tun?!“, stammelte er hysterisch. „Ich verstehe kein Wort, Trey...Beruhige dich erst mal, mein Freund...Und dann erzähl mir, was passiert ist“, antwortete Yoh mit ruhiger Stimme. Der junge Professor atmete einmal tief durch, bevor er begann, zu erklären: „Ren...Er hat das Foto gesehen...“ „Welches Foto?“, fragte Yoh nach. „Unser Gruppenfoto, in Doby Village, aus dem Café...Kurz nach dem wir Zeki besiegt haben...“ Der Braunhaarige stockte einen Moment. Er wusste genau, welches Foto Trey meinte. „Oh nein...darauf ist er selbst auch...“, flüsterte er, mehr zu sich selbst, als zu seinem Gesprächspartner. „Das ist es ja...Er hat mich gefragt, wer dieser Junge ist...“ „Und was hast du ihm gesagt?“, wollte Yoh wissen. „Ich...Ich wusste nicht, was antworten soll, da habe ich gesagt, dass der Junge sein leiblicher Vater war und er bei dem Kampf gegen Zeki gestorben ist...Aber er hat mir nicht geglaubt, und dann ist er weggerannt...“, erzählte Trey, dabei wurde seine Stimme immer brüchiger. „Ich verstehe...“ Der Brünette war sich nicht sicher, ob er Trey von dem Gespräch mit Ren erzählen sollte. „Hör zu, Yoh...Ich glaube, dass Ren auf dem Weg zu dir oder zu Ryu ist...Wenn er kommt, dann-“ „Manta und ich sind bei Ryu im Club, Ren vor vorhin schon hier“, unterbrach Yoh seinen Freund. „Warte mal kurz.“ Nervös an seinem Daumennagel kauend, wartete der Blauhaarige, bis der andere sich, nach ca. einer Minute, wieder zu Wort meldete: „Okay, wir sind gerade in Ryus Küche, die beiden hören mit.“ „Okay...Also Ren war heute bei euch in der Kneipe?“ „Ja genau, er ist etwa vor einer halben Stunde wieder gegangen, er war nicht lange hier“, antwortete der Biker. „Sag mal, Trey, ist heute, bevor Ren hier her kam, etwas vorgefallen?“, fragte Manta, ebenfalls mit besorgtem Unterton. „Was meinst du?“, fragte der Angesprochene verwirrt. „Naja, Ren hat uns plötzlich gefragt, wer...“, Manta sprach nicht weiter. „Was denn?! Was hat er euch gefragt?!“, rief der Dreißigjährige gereizt. „Nun, er hat uns gefragt, wer die Frau sei, die du nicht aus deinem Kopf bekommst“, antwortete Yoh schließlich. Einen Moment lang herrschte völlige Stille. 'Ach du Scheiße...', dachte Trey schockiert. 'Er muss das Gespräch mit Naomi mitbekommen haben...' Dem Blauhaarigen wurde übel. Wie viel von der Aktion mit seiner Kollegin hatte Ren mit angehört? „U-Und...was habt ihr ihm geantwortet?“, fragte er panisch. „Wir wussten auch nicht, was wir sagen sollen, deshalb sind wir seiner Frage ausgewichen...“, antwortete Ryu. „Aber wie ist er denn darauf gekommen?“, fragte der Biker. 'Fuck!' „Das ist jetzt nicht wichtig...Hauptsache ihr habt ihm nichts erzählt...“ „Natürlich nicht“, erwiderte Yoh. „Aber...weißt du, Trey...Ren hat uns noch etwas gesagt...“, druckste der Brünette unsicher. „Und was?“, wollte der Biologe wissen. Die drei am anderen Ende der Leitung seufzten einmal kollektiv, bevor Ryu antwortete: „Der Junge spürt, dass etwas nicht stimmt, Trey. Er hat uns gesagt, dass sich eure Vater-Sohn-Beziehung...Naja, irgendwie falsch anfühlt...“ Jegliche Farbe fiel Trey aus dem Gesicht. Schlagartig wurde ihm noch übler. Er war so entsetzt, dass er nichts erwidern konnte. „Trey...“, erklang die ruhige Stimme Yohs nach einigen Sekunden der Stille. „Ren scheint sich, zumindest unterbewusst, an sein früheres Leben zu erinnern...Er hat auch so schon das Gefühl, dass irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugeht...Und wenn er jetzt auch noch das Foto gesehen hat...Ich fürchte fast...“ Der Brünette sprach nicht weiter. „Was?“, flüsterte der Blauhaarige. Wieder seufzte Yoh. „Ich fürchte, dass wir es vielleicht nicht mehr lange vor ihm verheimlichen können...Wenn er schon das Gefühl hat, dass hier etwas falsch läuft, besteht zumindest die Möglichkeit, dass er sich bald tatsächlich an alles erinnert...Verstehst du, was ich meine?“ Trey nahm einen tiefen Atemzug. „Glaubst du wirklich, dass er sich an sein früheres Leben erinnern könnte?“ „Ich weiß es auch nicht, Trey...Aber komplett ausschließen können wir nicht, oder?“ „A-Aber dann...Dann würde er sich auch an seine schreckliche Kindheit bei den Taos erinnern, an all die Schmerzen, und das Leid das er ertragen musste...“, hauchte der Grauäugige verzweifelt. Ein paar Tränen bildeten sich in seinen Augen. „Das will ich nicht...“ Ren saß nun auf einer Bank im Park, nicht weit von zu Hause entfernt. Er hielt das Foto in den Händen und betrachtete es. Bason hatte er in dessen Totentafel geschickt, denn auch sein Schutzgeist erzählte ihm nicht die Wahrheit. Nachdenklich ließ der Student seinen Zeigefinger über die Gesichter auf dem Bild streifen. 'Was ist nur hier los? Dieser Junge...Wer ist er nur? Er sieht ganz genau so aus wie ich, aber er ist garantiert nicht mein leiblicher Vater...Aber wer könnte er sonst sein? Wenn er mein älterer Bruder oder so wäre, wieso habe ich ihn dann nie kennengelernt? Selbst wenn er tatsächlich gestorben ist, hätten Trey und die Anderen keinen Grund gehabt, ihn vor mit zu verheimlichen. Trey muss dieses Foto die ganzen Jahre über vor mir versteckt haben, und er war total schockiert und ängstlich, als ich es gefunden und nach dem Jungen gefragt habe...Und dann lügt er mir auch noch so dreist ins Gesicht...Nein, wenn das hier mein Vater, oder ein anderer Verwandter von mir wäre, hätte er sich niemals so viel Mühe gegeben, dieses Bild vor mir zu verstecken...' Stück für Stück glitt Rens Blick über das Bild. Aufmerksam betrachtete er jedes Detail, was er sah. Sowohl von dem Ort, als auch von den Personen auf dem Foto. 'Es ist seltsam...Trey, Yoh und auch die anderen, sind viel jünger und sehen zum Teil ganz anders aus, als ich sie kenne...Auch dieses Café, oder Bar, oder was auch immer das für ein Laden ist, habe ich noch nie gesehen, und trotzdem...Der Ort, die Gesichter, die Kleidung, die sie tragen...Irgendwie kommt mir das alles so...vertraut vor...Aber wie kann das sein? Ach verdammt, ich verstehe gar nichts mehr! Ach...ruhig, denk nach...Trey will mir nicht die Wahrheit sagen, soviel steht fest...Vielleicht sollte ich noch mal zu Yoh, Ryu und Manta gehen, und sie fragen? Sie waren ja auch dabei, als das Foto gemacht wurde, sie wissen, wer der Junge ist...Aber Trey kann sich denken, dass ich zu ihnen gehen würde...Bestimmt hat er sie bereits angerufen und vorgewarnt, dass ich unterwegs zu ihnen bin. Sie würden mir also die gleiche Lüge erzählen, damit komme ich nicht weiter...' Noch immer starrte er das Foto in seinen Händen eindringlich an. Und nach einer Weile intensiven Nachdenkens, kam ihm eine Idee. 'Vermutlich wird es nicht klappen, aber einen Versuch ist es wert...Ich muss die Wahrheit erfahren...Ich muss es einfach wissen...' Der Teenager holte sein Handy aus seiner Jackentasche, suchte in seinen Kontakten einen Namen und klickte einmal auf den Touchscreen, um einen Videoanruf zu tätigen. Dieser wurde nach wenigen Sekunden angenommen, und nach ein paar Sekunden wurde das verpixelte Bild auch scharf. „Hey Ren mein Junge! Wie schön, dass du anrufst! Wie geht’s dir denn? Ist dein Vater auch bei dir?“, wurde er sogleich glücklich begrüßt. „Hi Joco. Das kannst du dir sparen, ich weiß Bescheid“, entgegnete Ren mit ernster Mimik. Der Amerikaner schaute ihn verdutzt an. „Huh? Wovon redest du?“, fragte er verwundert. Der Gelbäugige hielt das Foto, welches er nach wie vor in seiner Hand hielt, genau vor sein Smartphone, sodass Joco es sehen konnte. „Davon rede ich...Ich weiß Bescheid.“ Der dunkelhäutige Schamane brachte sein Gesicht etwas näher an den Bildschirm, um besser erkennen zu können, was Ren vor die Kamera hielt. Und als ihm nach wenigen Sekunden bewusst wurde, was er da sah, weiteten sich seine Augen deutlich. „D-Du weißt es? Kannst du dich etwa an alles erinnern?“, fragte er geschockt. 'Was?! An alles erinnern? Ob ICH mich erinnern kann?! Aber das kann doch nur bedeuten...Okay, bleib ruhig, lass dir nichts anmerken...' „Nein, ich kann mich nicht wirklich erinnern, ich habe dieses Foto zufällig gefunden und dann hat Trey es mir erzählt...Er ist ziemlich aufgewühlt, er wollte eigentlich um jeden Preis verhindern, dass ich es jemals erfahre...“, erzählte der Chinese gespielt nachdenklich. 'Jetzt komm schon, Joco! Du bist doch sonst auch immer die größte Labertasche...Also spuck's endlich aus!', dachte er aufgebracht. „Ja, das kann ich mir vorstellen...Du bist sicher auch ziemlich durcheinander, aber du darfst uns das nicht übel nehmen...Nachdem dieses komische Ding dich wieder in ein Kind verwandelt hat...“ 'WAS?! Mich wieder in ein Kind...?! Also...ist es wahr...Dieser Junge auf dem Foto...Dann bin das tatsächlich ICH?...' Es fiel Ren schwer, sich seinen Schockzustand nicht anmerken zu lassen. Zum Glück konnte Joco durch das Handy nicht sehen, wie sehr seine Hände zitterten. „Wir haben wochenlang nach diesen seltsamen Kobold gesucht, damit er den Zauber rückgängig macht und dich wieder zurück verwandelt, aber wir konnten nicht mal die kleinste Spur finden. Es war echt hart für uns alle, und besonders für Trey...Aber er wollte nur das Beste für dich, Ren. Als er beschlossen hat, dich aufzunehmen und großzuziehen, wollte er dir eine schönere und glücklichere Kindheit bieten, als die, die du vorher hattest...“, erklärte Joco mit einem traurigen Lächeln auf dem Gesicht. 'Ein Kobold hat mich...In ein Kind verwandelt? Also bin ich in Wahrheit genauso alt wie Trey, Joco und die anderen?...' „Hör mal, Ren...Tut mir Leid, ich würde wirklich gern noch ein bisschen länger quatschen, aber ich muss jetzt arbeiten, ich bin heute der einzige in der Bar...Wenn meine Schicht zu Ende ist rufe ich dich wieder an, in Ordnung?“ „Ähm...Ja sicher, kein Problem. Bis dann, Joco.“ „Ja bis später dann!“ „Ach und Ren?“ „Hmm?“ „Irgendwie bin echt froh, dass du es jetzt weißt...Es fiel uns allen immer schwer, dein früheres Leben vor dir geheimzuhalten...Du bist doch nicht allzu böse auf uns, oder?“ Ren schwieg ein paar Sekunden, bevor er antwortete: „Wir hören uns dann später...Bis dann.“ Damit legte er auf. Er konnte dem Drang, sein Smartphone einfach gegen den nächsten Baum zu feuern, geradeso widerstehen. Nun war es also amtlich. Der Junge auf dem Foto war er selbst. Und irgendein seltsamer Kobold, wie Joco sagte, hatte ihn damals mit einem Zauber wieder in ein Kind verwandelt. Und dann hatte Trey ihn aufgenommen und als Vater großgezogen. Er und alle anderen, wirklich ALLE, haben ihn sein ganzes Leben lang angelogen. Der Teenager kochte vor Wut. 'Wieso? Wieso habt ihr das getan?! Warum habt ihr mir nicht einfach von Anfang an die Wahrheit gesagt? Stattdessen spielt ihr mir jeden Tag ein Schauspiel vor? Ich wusste doch, dass hier irgendetwas nicht stimmt...Ich bin nicht Treys Sohn, ich bin eigentlich genauso alt wie er...Damals waren wir offensichtlich Freunde...Was haben wir alles zusammen erlebt? War ich beim Kampf gegen Zeki auch dabei? Wie haben wir uns kennengelernt? Wo komme ich in Wahrheit her? Wer ist meine richtige Familie? Wieso haben sie mich nicht einfach wieder zu meinen leiblichen Eltern gegeben, wenn sie den Zauber nicht rückgängig mache konnten? Wieso hat ausgerechnet Trey mich aufgenommen? Und für alle anderen war das total okay? Sie haben einfach so eingewilligt, mich mein ganzes Leben lang anzulügen? Wenn ich dieses Foto nicht gesehen hätte, hätte ich dann überhaupt jemals die Wahrheit erfahren?...' Diese und tausend weitere Fragen schossen durch Rens Kopf. Er war verwirrt, wütend, enttäuscht, traurig...Einfach alles gleichzeitig. Was sollte er jetzt tun? Er wollte nicht nach Hause. Er wollte Trey nicht sehen. Er wollte niemanden von der Clique sehen. Sie waren allesamt Lügner. Erneut wählte er eine Nummer mit seinem Handy. „Hi Ren!“, wurde sein Anruf fröhlich entgegengenommen. „Hey Miki, bist du zu Hause?“ „Ja bin ich, ich wollte heute Abend einen Filme-Marathon machen. Willst du vorbeikommen?“ „Ja, ich würde gerne vorbeikommen...“ „Klasse! Dann pennst du aber auch hier, oder?“ „Ähm, ja, genau das wollte ich dich gerade fra-“ „Super! Bringst du noch ein bisschen Bier mit? Ich bestelle 'ne Pizza für uns...Wann bist du denn hier?“ „Hör mal, Miki...“ „Hmm? Was ist denn los? Du wirkst so ernst...Ist etwas passiert?“ „...Ja...Hör mal, kann ich vielleicht...ein bisschen länger bei dir bleiben? Ein paar Tage nur...Ich...kann im Moment nicht nach Hause...“ „Huh?! Ähm, ja, natürlich kannst du bei mir bleiben! Was ist denn los? Hast du dich mit deinem Vater gestri-“ „-ER IST NICHT MEIN VATER!“ „E-Eh...Okay...komm einfach her, dann reden wir...“ „Entschuldige, ich wollte dich nicht anschreien...Ich bin so in einer halben Stunde da.“ „Alles klar, bis gleich.“ „Ja, bis gleich...“ Ren legte auf. Sofort wählte er erneut eine Nummer. Augenblicklich wurde abgenommen. „Ren! Gott sei Dank! Wo bist du? Komm bitte nach Ha-“ „-Was war das für ein Kobold, der mich wieder in ein Kind verwandelt hat?“, unterbrach der Gelbäugige energisch. Stille. „Was?“, flüsterte der Blauhaarige entsetzt. „Ich weiß es, Trey. Der Junge auf dem Foto bin ich. Also, was war das für ein Ding, das mich verzaubert hat?“, fragte er wütend. „W-Woher...“ „Spielt keine Rolle, beantworte meine Frage!“ „I-Ich...Ich weiß es...nicht...Ren, bitte, komm nach Hause und lass uns re-“ „-Damit du mir noch mehr Lügen erzählst?! Nein, ich komme nicht nach Hause!“ „A-Aber wo willst du denn hin?“, fragte Trey ängstlich. „Das geht dich nichts an. Und du brauchst auch gar nicht nach mir zu suchen, klar? Lass mich einfach in Ruhe, ich muss nachdenken...“ „U-Und wann kommst du wieder nach Hause?“, fragte der Biologe mit zittriger Stimme. „Weiß ich noch nicht.“ Damit legte Ren auf und schaltete sein Handy aus. Tbc. Kapitel 4: Ersatz ----------------- Füreinander bestimmt? Teil 4: Ersatz Fassungslos stand Trey einfach nur da und lauschte dem schnellen Tuten seines Handys, bevor er regelrecht auf die Wohnzimmercouch sackte. Mit zittrigen Händen rief er auf Rens Handy an und betete, dass dieser abnehmen würde. Doch seine Gebete blieben unbeachtet. „Der gewünschte Gesprächspartner ist zur Zeit nicht erreichbar...The number you have called is currently-“ Er legte auf. Was sollte er jetzt nur tun? Woher hatte Ren von den Zauber erfahren? Wo war er jetzt? Wann würde er wieder nach Hause kommen? Und wenn es soweit war, was sollte er ihm dann sagen? Wie viel wusste Ren? Wusste er auch, dass er und Trey damals ein Paar gewesen waren? Der Blauhaarige wählte erneut eine Nummer. Dieses mal wurde umgehend abgehoben. „Trey?! Gibt es was neues?!“, fragte Yoh hastig am anderen Ende der Leitung. „Ich...habe gerade mit ihm telefoniert...er weiß von dem Zauber...“, antwortete Trey mit leiser Stimme. „Wie hat er davon erfahren?!“, rief Ryu schockiert ins Telefon. „Ich weiß es nicht...Er hat mich nach dem Kobold gefragt, der ihn wieder in ein Kind verwandelt hat, und-“ „-Warte mal!“, unterbrach Manta. „Er weiß von dem Kobold? Hat er auch etwas darüber gesagt, dass ihr beide damals zusammen wart?“ „Ähm, nein, hat er nicht...wieso?“, fragte Trey etwas perplex. Auch Yoh und Ryu schauten ihren kleinen Freund fragend an. „Worauf willst du hinaus, Kleiner?“, wollte Ryu wissen. „Na ganz einfach...wenn er nur von dem Kobold weiß, dann können wir schon mal ausschließen, dass er sich an alles erinnert...Irgendjemand muss ihm also von dem Kobold erzählt haben, richtig?“, erklärte der Informatiker mit erhobenem Zeigefinger. Bei den drei anderen machte es sofort Klick. „Natürlich! Es gibt außer uns nur eine Handvoll anderer Leute, die damals dabei waren und von dem Kobold wissen...Einer von ihnen muss es ihm also erzählt haben!“ Sofort begann Ryu damit, seine Finger abzuzählen: „Also, abgesehen von uns waren da noch Lyserg, Run, Joco, Faust, Anna, Tami und Pilika.“ „Ren würde sich sicher an denjenigen wenden, von dem er glaubt, dass er aus ihm am leichtesten Informationen heraus bekommt“, warf Trey ein. Und prompt wussten alle Bescheid. „Joco...“ Ren war an seinem Ziel angekommen. Ohne anzuklingeln öffnete er die Haustür und betrat das zwei-Zimmer-Apartment. Er wusste, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Das war sie nie, wenn Miki wusste, dass Ren vorbeikam. Beim Eintreten hörte der Gelbäugige Rascheln und Klirren aus der Küche. Er betrat diese un erblickte sogleich den Hausherren, welcher gerade eine Einkaufstasche auspackte. Einen Moment lang betrachtete er den Anderen, der ihn offenbar noch nicht bemerkt hatte , bevor er sagte: „Hi Miki.“ Der Angesprochene drehte sich zur Tür und lächelte seinen Gast an. „Hi Ren!“, begrüßte er ihn fröhlich, ging auf diesen zu und umarmte ihn. Wie immer drückte er dem Chinesen dabei einen sanften Kuss auf die Wange. „Ich habe noch schnell ein paar Sachen eingekauft...Lass uns doch ins Wohnzimmer gehen“, sagte er lächelnd, schnappte sich zwei Flaschen Bier und ging voraus. Ren nickte nur und folgte seinem Kommilitonen in den Nebenraum. Miki war ein Jahr älter als Ren und studierte Kunst an der Universität Tokio. Er erfüllte wirklich so ziemlich jedes Klischee, das es über Künstler so gab: Er war ein wahrer Freigeist, tat immer nur das, worauf er gerade Lust hatte, fühlte sich nichts und niemandem gegenüber verpflichtet, hatte einen sehr exzentrischen Style und war in vielerlei Hinsicht extrem eigen. Im Großen und Ganzen konnte man sagen, dass er das genaue Gegenteil von Ren war. Und man sollte meinen, dass sich die beiden aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit nicht besonders gut verstanden, doch das Gegenteil war der Fall. Sie hatten sich vor einem halben Jahr auf einer Unifete kennengelernt und sich sofort angefreundet. Ren hatte Miki sogar als erstes angesprochen, obwohl er eigentlich überhaupt nicht der Typ dafür war. Doch das hatte einen Grund: Mikis Aussehen. Der Künstler war etwa einen Kopf größer, als er selbst, hatte dunkelgraue Augen und...blaue Haare. Genau wie Trey, stammte Miki aus dem Norden, und das sah man ihm auch an. Als Ren den Kunststudenten auf der Party erblickte, sein himmelblaues, zerzaustes Haar, musste er ihn einfach ansprechen. Im ersten Moment war dem Gelbäugigen tatsächlich nicht bewusst, was er an Miki so anziehend fand, doch er hatte es schnell verstanden. Denn noch in der selben Nacht waren die beiden im Bett gelandet... „Also, erzählst du mir, was passiert ist?“, fragte Miki mit ruhiger Stimme. Ren trank ein paar große Schlücke von seinem Bier und atmete einmal tief durch. „Du weit ja, dass ich ein Schamane bin...“ Der Blauschopf nickte. Er selbst war zwar kein Schamane,aber ähnlich wie Manta war auch Miki mittlerweile in der Lage, Geister zu sehen. Weil er, im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen, an Geister glaubte und mehr oder weniger durch Zufall mitbekommen hatte, dass Ren ein Schamane war, konnte er Bason seit dem auch sehen. Appropos... „Stimmt, jetzt wo du es sagst...wo ist Bason eigentlich? Sonst ist er doch immer bei dir...“ „Ist er auch...Ich habe ihn in seine Totentafe geschickt“ antwortete Ren mit einem verärgerten Unterton. Miki kannte den aufbrausenden Chinesen mittlerweile gut und wusste genau, wie er mit diesem umgehen musste, wenn er sauer war. „Verstehe...also erzähl, was ist vorgefallen?“, fragte er mit einem sanften Lächeln auf dem Gesicht. Ren zog daraufhin ein Stück Papier aus seiner Jackentasche und hielt es dem Größeren entgegen. Dieser entfaltete es und schaute es sich an. Ren konnte beobachten, wie sich von Sekunde zu Sekunde mehr Verwirrung im Gesicht seines Freundes spiegelte. „Dieser Typ da rechts auf dem Bild sieht ja genauso aus wie du!“, rief Miki und schaute mehrmals nacheinander den Gelbäugigen, und dann wieder das Foto an. „Ihr seht euch nicht einfach nur ähnlich, ihr seht wirklich EXAKT gleich aus! So was habe ich ja noch nie gesehen!“, rief der Künstler fasziniert und verwirrt zugleich. „Wer ist denn dieser Junge?“, fragte er neugierig. „Das bin ich“, antwortete Ren beinahe monoton, doch seine Hände ballten sich zu Fäusten. Perplex schaute Miki seinen Sitznachbarn an. „Hä? Das sollst DU sein? Aber Ren, das kann doch gar nicht sein...Dein Vater ist auch auf dem Bild, und er ist höchstens-“ „-ER IST NICHT MEIN VATER! GENAU DAS IST DER PUNKT!“, schrie Ren wütend dazwischen. Der Blauhaarige zuckte kurz zusammen. Er verstand rein gar nichts. „Also, dass er nicht dein leiblicher Vater ist, weißt du doch...“, sagte er verwirrt. „Darum geht es nicht! Der Junge auf dem Foto bin ICH! Ich wurde von irgendeinem Kobold, oder was auch immer, wieder in ein Kind verwandelt, ich bin eigentlich genauso alt wie Trey!“ Miki starrte Ren mit großen Augen an. Hatte er gerade richtig gehört? So etwas war doch gar nicht möglich, oder? „Und...wie kommst du darauf?“ Ren tippte mit seinem Zeigefinger auf den jugendlichen Joco. „Er hat es mir erzählt. Ich wollte wissen, wer dieser Junge ist, also habe ich ihn angerufen und ausgetrickst...Er sagte, dass ich damals von irgendeinem Kobold verzaubert, und wieder in ein Kind zurück verwandelt wurde. Sie haben es nicht geschafft, den Zauber rückgängig zu machen, also hat Trey mich aufgenommen. Und alle anderen, die du auf dem Bild siehst, haben einfach mitgespielt und mich die ganze Zeit angelogen...“ knurrte der Chinese. Er senkte seinen Blick und flüsterte, mehr zu sich selbst, als zu dem Anderen: „Mein ganzes Leben...ist eine einzige Lüge...“ Miki konnte nicht fassen, was er da hörte. Kobolde? Verjüngungszauber? Das klang mehr nach einer Fantasy Geschichte, als nach etwas, das tatsächlich passiert sein konnte. Andererseits war sein Freund, der gerade neben ihm saß, ein Schamane, der immer einen Schutzgeist dabei hatte. Es wäre äußerst inkonsequent DAS zu wissen, und gleichzeitig die Existenz von anderen übernatürlichen Wesen völlig auszuschließen... Schweigend betrachtete er Ren eine Weile. Diese war seine Verwirrung und sein Gefühlschaos deutlich anzusehen. „Ich glaube dir, Ren...“, sagte er schließlich mit ruhiger Stimme und zog den Gelbäugigen in seine Arme. Dieser erwiderte die Umarmung und schlang seine Arme ebenfalls um den Oberkörper des Künstlers. Behutsam streichelte Miki durch Rens Haar und über dessen Rücken. „Ich kann verstehen, dass du erst mal nicht nach Hause willst...Du kannst so lange hier bleiben, wie du möchtest, Ren. Ich habe dich gern bei mir...“ Damit gab er dem Chinesen ein paar sanfte Küsse auf Schläfe und Wange, griff Rens Kinn und zog dessen Gesicht ein Stück nach oben. Kurz sah er in die traurigen, gelben Katzenaugen, bevor er die Lippen des Kleineren zärtlich mit den Seinen umschloss. Doch bevor Miki seine Zunge in den Mund des Anderen schieben konnte, zog dieser seinen Kopf etwas zurück und unterbrach den Kuss. „Findest du wirklich, dass das der richtige Zeitpunkt ist, um mich zu küssen?“ Der Kunststudent musste grinsen, als er antwortete: „Aber natürlich...Ich bin ein guter Freund und lenke dich von deinem Kummer ab.“ Mit diesen Worten drückte er seine Lippen erneut auf Rens, dieses Mal küsste er ihn aber sehr viel fordernder und schob seine Zunge sofort in die Mundhöhle des Chinesen. Ren protestierte nicht, er ließ sich in den Kuss fallen, schloss seine Augen und genoss diesen in vollen Zügen. Miki war wirklich ein sehr talentierter Küsser. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte Ren ihm sowieso nicht lange widerstehen können... Nach einer ganzen Weile lösten die beiden Studenten sich voneinander. Bei beiden hatte sich ein Rotschimmer auf die Wangen gelegt. Glasige, gelbe Augen blickten in ebenso glasige, graue. „Und? Habe ich es geschafft, dich abzulenken?“, fragte Miki leicht grinsend. Ren brachte sein Gesicht an das linke Ohr des Künstlers und flüsterte hinein: „Du glaubst, mich mit einem mickrigen Kuss ablenken du können? Da musst du dich schon ein bisschen mehr anstrengen...“ Damit biss er einmal leicht in die Ohrmuschel hinein, woraufhin Miki erregt aufkeuchte. „Wie könnte ich einer solchen Herausforderung widerstehen...“, raunte er in Rens Ohr, hob ihn auf seine Arme und trug ihn geradewegs ins Schlafzimmer. Dort angekommen warf er den Chinesen auf das Bett, zog sein T-Shirt über seinen Kopf und krabbelte über diesen. Erneut verwickelte er Ren in einen leidenschaftlichen Kuss, während er seine Hände unter dessen Shirt führte und einmal sanft über die Brustwarzen strich. Dies ließ den Gelbäugigen genüsslich in den Kuss seufzen. Ren schlang seine Arme um die Schultern des Größeren, legte seinen Fuß auf dessen unteren Rücken und drückte Mikis Hüfte nach unten, bis dessen Schritt auf seinen eigenen traf. Beide konnten deutlich das erregte Glied des jeweils anderen spüren, was sie immer wieder leise in den Kuss hinein stöhnen ließ. Mit ein paar geschickten Handbewegungen hatte der Künstler den unter ihm liegenden sowohl von dessen Shirt, als auch von dessen Hose und Boxershorts befreit. Der Chinese tat es ihm gleich, setzte sich auf, öffnete die viel zu eng gewordene Hose Mikis und zog sie samt Unterhose in dessen Kniekehlen. Der Blauhaarige schüttelte den überflüssigen Stoff ab, beugte sich wieder über Ren und begann, sich an dessen Hals hinab zu küssen. Er wusste ganz genau, dass dieser es liebte, an seinem Hals verwöhnt zu werden. Mikis Lippen setzten ihren Weg fort. Zärtlich umkreiste er einmal die erregten Brustwarzen mit seiner Zunge, wobei er zwischendurch Zeige- und Mittelfinger seiner eigenen Hand ableckte. Er führte seine Hand zwischen Rens Beine und fing an, sanft dessen Muskelring zu massieren, bevor er den ersten Finger vorsichtig hindurch schob. Der Chinese keuchte erregt auf und legte seine in die himmelblauen Nackenhaare seines Freundes. Nachdem dieser ihn genügend vorbereitet hatte, griff er in die Schublade des Nachtschranks, zog ein Kondom heraus, riss die Verpackung auf, zog es über sein vorfreudiges Glied und positionierte dieses an Rens Eingang. Der Kunststudent legte sich auf ihn und flüsterte in dessen Ohr: „Entspann dich jetzt...“ Damit drang er in den Gelbäugigen ein, wobei beide aufstöhnten. Ren kniff ein wenig die Augen zusammen. Die ersten Stöße brannten etwas, doch der Schmerz verschwand schnell wieder. Der Rhythmus wurde schneller. Beide Teenager stöhnten und keuchten ungehemmt in das Ohr des jeweils anderen, was sie wiederum noch mehr antrieb. Ren schlang seine Arme um Miki und drückte diesen fest an sich. Er vergrub sein Gesicht in der Halsbeuge des Künstlers und drückte immer wieder kleine Küsse auf die schweißnasse Haut. Er öffnete seine Augen einen Spalt und betrachtete mit verträumtem Blick die blauen Strähnen, die seine Nase kitzelten. 'Trey...Trey...Trey...!' Mit einem heiseren Stöhnen ergoss Ren sich über seinen Bauch. Dabei zogen sich all seine Muskeln zusammen, was auch Miki endgültig zum Höhepunkt brachte. Eine Weile lagen die beiden schwer atmend da und genossen die Nachwellen ihres Orgasmus', bevor der Blauhaarige sich aus Ren herauszog und sich neben diesen auf die Matratze rollte. Er legte sich auf die Seite, zog den Kleineren an seine Brust und begann damit, zärtlich durch dessen, von Schweiß feuchtes, Haar zu streicheln. Ren schloss seine Augen und genoss die sanften Berührungen. „Weißt du, Ren...Warum ziehst du nicht einfach hier ein? Das Apartment ist groß genug für uns beide...“, sagte Miki und man konnte seiner Stimme entnehmen, dass ein Lächelnd auf seinen Lippen lag, als er diese Worte sprach. 'Nicht das schon wieder...', dachte der Chinese nur. Es war nicht das erste, nicht einmal das zweite Mal, dass er dieses Angebot bekam. Miki hatte Ren schon seit langem immer wieder klar gemacht, dass er gerne mehr als nur Sexfreunde wäre. Er würde gerne eine ernsthafte, feste Beziehung mit ihm eingehen. Doch Ren hatte ihn jedes Mal abgewiesen, auch, wenn es ihm schwer gefallen war. Er schätzte Miki als guten Freund sehr, und er mochte ihn auch sehr. Doch der Gelbäugige war sich absolut darüber bewusst, dass Miki als LOVER für ihn nicht mehr war, als ein Ersatz. Ein Ersatz für den einzigen Mann auf der Welt, den er wirklich wollte, aber niemals haben konnte... Ren schämte sich innerlich dafür, seinen Freund so auszunutzen, der Künstler hatte etwas besseres Verdient...Doch Ren schaffte es einfach nicht, die Sache mit Miki komplett zu beenden. „Du gibst aber auch nicht auf, was?“, flüsterte er nur müde gegen die Brust des Anderen. Dieser kicherte nur leicht und gab dem Jüngeren einen sanften Kuss auf die Stirn, bevor beide eng umschlungen einschliefen... Tbc. Kapitel 5: Die ganze Wahrheit ----------------------------- Füreinander bestimmt? Kapitel 5: Die ganze Wahrheit Genau eine Woche war vergangen, seit Ren von zu Hause abgehauen war und sich bei seinem (Sex-) Freund Miki einquartiert hatte. Er war die ganze Woche nicht zur Uni gegangen. Zu groß war das Risiko gewesen, Trey über den Weg zu laufen. Auch, wenn sich die Fakultät für Biologie am anderen Ende des Campus befand, war Ren sicher, dass sein Adoptivvater jede freie Minute dafür genutzt hatte, um nach ihm zu suchen. Doch er wollte ihn nicht sehen. Er konnte nicht. Er hätte es nicht einmal ertragen, die Stimme des Blauhaarigen zu hören. Deshalb hatte er sein Handy auch fast die ganze Woche ausgeschaltet gelassen. Ren hatte es nur zwischendurch kurz eingeschaltet, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Neben einigen Nachrichten, in denen sich Yoh, Ryu, Manta, Joco und einige seiner Freunde und Kommilitonen nach seinem Wohl erkundigt hatten, dominierten die unzähligen Nachrichten und Anrufe von Trey auf seinem Display. Jedes Mal, wenn Ren auch nur den Namen seines Adoptivvaters auf seinem Handy las, beschleunigte sich sein Puls, und gleichzeitig zog sich seine Brust schmerzhaft zusammen. Jedes Mal nahm er sich vor, die vielen Nachrichten einfach ungelesen zu löschen. Er las sie auch nicht, das konnte er einfach nicht. Dafür war er viel zu verletzt und durcheinander. Jedoch schaffte er es auch nicht, die Nachrichten zu löschen. Denn auch, wenn Wut, Trauer und Verwirrung die meiste Zeit überwogen, so war da auch noch ein ganz anderes Gefühl in Ren: Sehnsucht. Der Chinese sehnte sich nach Trey. Er vermisste ihn. Er vermisste seinen Adoptivvater vermutlich genauso sehr, wie dieser ihn vermisste. Ren war sich darüber bewusst, dass sie beide litten. Doch nicht ER war Schuld an ihrer Misere. Sondern Trey. Und Yoh, Ryu, Manta, Joco...sie alle waren Schuld, denn sie hatten ihn sein ganzes Leben lang belogen. Jedoch war die Tatsache, dass Trey ihn belogen hatte, das Schlimmste an der ganzen Sache. Ausgerechnet Trey. Der Mensch, dem er am meisten vertraute, zu dem er am meisten aufsah, den er bewunderte...den er liebte. Es war eine verbotene Liebe, eine einseitige Liebe, die niemals erwidert werden würde. Doch es war Liebe. Wie oft hatte Ren diese Liebe verflucht? Wie oft hatte er versucht, sich ihr zu widersetzen? Sie zu unterdrücken, sie daran zu hindern, sich aus den dunkelsten Tiefen seines Herzens weiter und weiter auszubreiten? Wie oft hatte er versucht, sich dagegen zu wehren, dass sie ihn Tag für Tag mehr und mehr in Besitz nahm? Er hatte es versucht. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde der letzten Jahre hatte er es versucht. Er hatte es so sehr versucht... Die Sonne war bereits untergegangen, als Ren vor die Haustür trat. Seinen Schlüssel hielt er bereits seit einigen Minuten in der Hand. Die Vorhänge der Fenster waren zwar geschlossen, doch es war trotzdem zu erkennen, dass im Wohnzimmer gedimmtes Licht brannte. Trey war also zu Hause. Alles andere hätte den Chinesen auch überrascht. Die kühle Brise, die durch sein Haar wehte, verursachte eine leichte Gänsehaut in seinem Nacken. Ren starrte die geschlossene Haustür an, dann blickte er auf seinen Schlüssel. Als er Mikis Wohnung verließ, um sich auf den Weg hierher zu machen, hatte er sich bereit gefühlt für dieses Gespräch. Nachdem er die vergangene Woche beinahe ununterbrochen nachgedacht und viele Stunden mit Miki geredet hatte, glaubte er, seine Gedanken einigermaßen geordnet zu haben, und nun bereit zu sein, die Wahrheit zu erfahren. Doch jetzt, wo er tatsächlich hier stand, in dem Wissen, dass Trey sich hinter dieser Tür befand, zögerte er. War er vielleicht doch noch nicht bereit? Er starrte den Haustürschlüssel in seiner Hand erneut an. Er brauchte ihn nur in das Schloss zu stecken und die Tür zu öffnen, dann würde er die Wahrheit erfahren können. Doch irgendetwas in seinem Inneren schien ihn davon abhalten zu wollen. Brauchte er vielleicht doch noch etwas mehr Zeit? Er schloss für einen Moment seine Augen, bevor er sich von der Tür abwandte und ein paar leise Schritte in Richtung Straße tat. Als er jedoch gerade nach der Klinke des kleinen Tors griff, welches den Vorgarten vom Bürgersteig trennte, drehte er sich plötzlich um und lief schnellen Schrittes zurück zur Haustür. Nein, er durfte nicht mehr weglaufen. Er musste sich seiner Vergangenheit stellen. Ohne auch nur einen einzigen Gedanken des Zweifels zuzulassen, schob er den Schlüssel in das Türschloss hinein. Noch bevor er ihn ganz herumgedreht hatte, hörte er laut polternde Schritte im Hausinneren, die innerhalb von einer Sekunde wieder verstummten. In der selben Sekunde wurde die Haustür mit einem kräftigen Ruck aufgerissen. Durch den Schwung wurde Ren einen Schritt nach vorn gezogen. „Ren! Du bist es wirklich!“, rief Trey laut, die aufgerissene Haustür in der Hand haltend. Als er das Geräusch gehört hatte, wie der Schlüssel in das Türschloss gesteckt wurde, war er regelrecht von seinem Sessel aufgesprungen und zur Tür gerannt. Ehrlich gesagt war das heute nicht das erste Mal gewesen, dass er das getan hatte, doch die letzten Male war es immer falscher Alarm gewesen. Beim kleinsten Geräusch, das der Dreißigjährige von draußen wahrgenommen hatte, war er sofort nach draußen gesprintet, in der Hoffnung, dass Ren endlich nach Hause gekommen war. Und mit jedem Mal, bei dem er feststellen musste, dass der Gelbäugige doch nicht da war, musste er sich zusammenreißen, nicht in seinem Vorgarten in Tränen auszubrechen. Doch dieses Mal war Ren endlich da. Sofort breitete Trey seine Arme aus und machte einen Schritt auf Ren zu. „Ren! Ich bin so froh, dass du-“ Doch Ren wich zurück und deutete mit seiner rechten Hand, dass der Andere ihm nicht zu nahe kommen sollte, wodurch Trey schockiert inne hielt. Mit strenger Mimik blickte der Chinese seinen Adoptivvater an, was diesen innerlich erschaudern ließ. Unsicher stammelte Trey: „R-Ren...I-Ich-“ „-Können wir reden?“, unterbrach Ren mit einer ruhigen, und zugleich kalten Stimme. Trey zuckte einmal leicht zusammen, bevor er nickte und zur Seite trat, damit Ren eintreten konnte. Dieser ging schweigend durch den Hausflur in das Wohnzimmer, wo er sich auf der Couch niederließ und seine Jacke auszog. „Soll...Soll ich uns einen Kaffee oder einen Tee machen?“, fragte Trey vorsichtig. Er war im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen geblieben, fast als ob er sich nicht trauen würde, den Raum zu betreten, indem Ren saß. „Kaffee bitte“, antwortete Ren ohne seinen Ziehvater anzusehen. „Okay...“, flüsterte Trey beinahe und verschwand umgehend in der Küche, um eine Kanne Kaffee aufzusetzen. Mit starrem Blick sah er dabei zu, wie die braune Flüssigkeit langsam in die Glaskanne hineinfloss. Es war, als schaute er einer Sanduhr zu, die die letzten Minuten anzeigte, in denen er sich noch sammeln konnte. So sehr er sich diesen Moment, in dem Ren endlich wieder nach Hause kam und sie reden konnten, herbeigesehnt hatte, genauso sehr fürchtete er ihn auch. Der Kaffee tropfte in die bereits halb gefüllte Kanne. Tropfen für Tropfen, wie ein Countdown, bevor er Ren die Wahrheit sagen würde, über dessen „wahre“ Identität und darüber, was damals in Doby Village passiert war. Das leise Grummeln der Kaffeemaschine nahm Ren nur beiläufig wahr. Er saß auf der Couch, die Beine elegant übereinander geschlagen, und ließ seinen Blick langsam von links nach rechts über die ihm gegenüberliegende Wohnzimmerwand gleiten. Ca. 30 Fotos hingen an der hellblau tapezierten Wand, entweder gerahmt, oder zu kleinen Fotocollagen zusammengestellt. Die meisten zeigten ihn selbst und Trey, auf einigen Bildern von Geburtstags- und Silvesterfeiern waren auch Yoh, Ryu, Manta, Joco, Pilika, Run, Anna und Lyserk zu sehen. Obwohl er die Fotos alle schon tausende Male gesehen hatte, hatte ihr Anblick heute einen besonders bitteren Beigeschmack. Auf allen Fotos lächelten die Beteiligten fröhlich in die Kamera. Alle erwachsen, nur der Chinese war auf jedem Bild das einzige Kind. Ren betrachtete die vielen Bilder von sich und Trey, auf den meisten hielt der Blauhaarige ihn entweder auf dem Arm, oder er saß auf dessen Schoß. Sie sahen aus wie ganz normale „Vater-und-Sohn-Fotos“. Doch das waren sie nicht. Rens Augenbrauen zogen sich zusammen. 'Alles Lüge...' Mit der linken Hand griff er in die Tasche seiner Jacke, welche er neben sich über die Armlehne des Sofas gelegt hatte, und zog das vergilbte Foto heraus, das er Trey vor einer Woche abgenommen hatte. Auch dieses Bild hatte er sich in der vergangen Woche sicher tausende Male angeschaut. So oft und so intensiv, dass er mittlerweile jede einzelne Holzfaser auf dem Foto kannte. Dieses Bild war so anders im Vergleich zu denen, die an der Wand hingen. Auf diesem Foto waren er und Trey im gleichen Alter, beide Jugendliche. Er war nicht auf dessen Arm oder saß auf dessen Schoß. Sie saßen Seite an Seite, nicht wie Vater und Sohn, oder Onkel und Neffe, sondern wie Kameraden, wie Freunde. Wie zwei...Ebenbürtige. Ja. Dieses Bild zeigte sie: Die Wahrheit. So müsste es eigentlich sein. Das fühlte sich richtig an... Als Ren aus der Küche das Klirren von Keramik hörte, legte er das Foto auf den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Mit zögerlichen Schritten trat Trey an den Couchtisch heran, stellte zwei Tassen ab und füllte sie mit Kaffee. Mehr brauchten sie nicht, beide tranken ihren Kaffee schwarz. Als er das Foto auf dem Tisch erblickte zuckte er kurz zusammen, bevor er seinen Blick schnell zu Boden richtete. Der junge Professor griff die gefüllten Tassen und hielt eine von ihnen in Rens Richtung. Sein Blick blieb abgewandt, seine Hände zitterten leicht. Der Gelbäugige nahm die Tasse entgegen und bedankte sich, Trey setzte sich auf den Sessel, der schräg gegenüber von der Couch stand. Ren musterte seinen Adoptivvater aus den Augenwinkeln, während er seine Tasse an seine Lippen setzte und ein paar mal auf die heiße Flüssigkeit pustete. Trey sah mitgenommen aus. Er war viel blasser als sonst, hatte dunkle Augenringe, seine Wangen waren leicht eingefallen, und er hatte eindeutig Gewicht verloren. Gegessen und geschlafen hatte er in der vergangenen Woche vermutlich kaum. Seine Körperhaltung war gekrümmt und sein Blick gesenkt. Er wirkte beinahe wie ein reumütiger Hund. Einerseits tat es Ren in der Seele weh, seinen Ziehvater so zu sehen, aber andererseits hatte er es auch verdient. Seine Nervosität war dem Blauhaarigen deutlich anzusehen. Ren wirkte äußerlich sehr ruhig, doch innerlich war er ebenfalls sehr aufgeregt. Er beobachtete, dass Trey seine Lippen immer wieder leicht öffnete, als ob er zum Reden ansetzte, sie dann aber sofort wieder schloss. Er schien einfach nicht zu wissen, wie er das Gespräch beginnen sollte. Ren nahm ihm diese Bürde ab: „Kann ich mich darauf verlassen, dass du mir die Wahrheit sagst?“, fragte er mit emotionslos wirkender Stimme und trank einen Schluck von seinem Kaffee. Trey nickte. „Ja...Natürlich...“, antwortete er kleinlaut, sein Blick war nach wie vor gesenkt. „Wie ist mein richtiger Name?“, stellte Ren seine erste Frage ohne Umschweife. Trey schluckte einmal, bevor er, mit einigermaßen fester Stimme, antwortete: „Ren Tao.“ Reflexartig blickte der Gelbäugige den Anderen an. Völlig perplex wiederholte er: „Tao?!...Wie...Run?!“ Der Dreißigjährige nickte. „Run ist deine ältere Schwester. Als wir dich kennenlernten...warst du unser Feind...“ Trey erzählte Ren von seiner Kindheit bei den Taos, von ihren ersten Treffen, wie sie gegeneinander gekämpft hatten, wie er, Yoh, Ryu und Manta nach China gereist waren und ihn und Run aus der Gefangenschaft ihres Vaters befreit hatten, wie sie schließlich Freunde wurden. Natürlich nur eine Kurzversion, und die ganz üblen Details sparte er aus. Ren gab keinen einzigen Kommentar von sich, während Trey erzählte. Er starrte die meiste Zeit über in seine Tasse und hörte sich alles an. Dass er mal auf der Seite des „Bösen“ war, Trey hatte diese Worte nicht ausgesprochen, doch es war eindeutig, schockierte den Teenager zutiefst. Natürlich kannte er einige Geschichten über die Familie Tao, schließlich war sie bis vor einigen Jahren in der gesamten Schamanenwelt gefürchtet gewesen. Und er war ein Teil dieser Familie? Er hatte ebenfalls Leid über andere Menschen gebracht, bevor er sich mit Trey, Yoh und den anderen anfreundete? Hatte er vielleicht sogar einige der grausamen Verbrechen, die der Tao-Familie zugeschrieben wurden, selbst begangen? Er wollte seinem Adoptivvater viele Fragen dazu stellen, doch keine einzige kam ihm über die Lippen. Doch neben dem Schock über seine wahre Identität, wurde ihm auch etwas klar: Run. Ren hatte zu Run schon immer eine andere, eine engere Verbindung gespürt, als zu seinen anderen „Tanten“ Pilika und Anna. Nicht ganz so stark, aber ähnlich wie bei Trey, hatte er auch bei Run immer das Gefühl, dass ihr Verhältnis von Tante und Neffe nicht richtig war. Er konnte dieses Gefühl nie wirklich einordnen, doch jetzt wo Trey es sagte, verstand er: Schwester. Ja, das war es. Er empfand für Run, wie ein Bruder für seine Schwester empfand. Ja, das passte. Zu Schock und Verwirrung gesellte sich ein weiteres Gefühl: Erleichterung. Erleichterung darüber, dass er begann, seine chaotischen Gefühle zu verstehen. Doch das reichte nicht. Noch nicht einmal ansatzweise. Er brauchte mehr Klarheit. „Und wie ging es weiter?“, wollte er von seinem Ziehvater wissen. Dieser fuhr fort, indem er Ren von dem Turnier, ihrer Reise nach Doby Village und von Zeki erzählte. Natürlich auch nur eine Kurzfassung. Während seiner Erzählung schlich sich immer wieder ein leichtes Lächeln auf das Gesicht des Blauschopfes. Sie schienen gemeinsam wirklich viel erlebt zu haben, sowohl gute, als auch schlechte Dinge. Doch obwohl Trey ihm von seinem eigenen Leben erzählte, fühlte es sich für Ren so an, als hörte er die Lebensgeschichte eines völlig Fremden. Er hatte keinerlei Erinnerungen an irgendetwas von dem, was er da hörte. Es wirkte irgendwie...surreal. Schließlich schilderte der Biologe, wie Ren von dem koboldartigen Wesen verzaubert und wieder in ein Kind verwandelt wurde, wie sie wochenlang versuchten, den Zauber rückgängig zu machen, jedoch scheiterten. Treys Stimme wurde wieder leiser und er senkte seinen Kopf noch ein paar Zentimeter tiefer. Es war offensichtlich, dass er sich daran nicht so gern erinnerte, wie an die Zeit bevor Ren verzaubert worden war. Noch bevor der Chinese eine Frage stellen konnte, fragte Trey: „Darf ich dich auch etwas fragen?“ „Frag.“, kam es knapp von Ren. „Wo warst du die letzte Woche? Ich habe mir Sorgen gemacht...“ Der Blauhaarige hatte immer noch kein einziges Mal zu Ren aufgesehen, seit sie ihr Gespräch begonnen hatten. „Ich war bei einem Freund“, antwortete der Gelbäugige und trank einen Schluck aus seiner Tasse. „Bei Yuki? Oder bei-“ „-Nein“, unterbrach Ren. „Du kennst ihn nicht.“ „Ach so...Ist er ein Freund von der Uni? Du warst so aufgebracht, als du weggelaufen bist...Hat er sich um dich gekümmert?“ Tiefe Besorgnis klang in Treys leiser Stimme mit. Ren sah zu seinem Ziehvater hinüber. Dieser saß nach wie vor nach vorn gebeugt auf dem Sessel und starrte hinunter in seine Kaffeetasse, von der er bisher noch keinen einzigen Schluck getrunken hatte. Sicher war der Kaffee bereits kalt. Für einige Sekunden starrte der Chinese den Anderen schweigend an, bevor er sagte: „Ich schlafe mit ihm.“ Treys Herz setzte einen Schlag aus, bevor es von tausenden Messern gleichzeitig durchbohrt zu werden schien. Er zuckte zusammen und riss seine Augen weit auf. Sein Griff um die Tasse festigte sich, sein Atem stockte. Von außen hatte es ausgesehen, als hätten Rens Worte einen heftigen Stromschlag durch seinen Körper gejagt. Der Teenager war sich in dem Moment, in dem er den Satz ausgesprochen hatte, nicht sicher, warum er ihn überhaupt aussprach, doch nach dieser heftigen Schockreaktion, die er bei seinem Ziehvater ausgelöst hatte, wusste er, dass es richtig gewesen war, ihn auszusprechen. Er schwieg. Er beobachtete den Blauhaarigen ganz genau, und wartete geduldig ab, was dieser nun erwidern würde. Es dauerte einige Sekunden, bis Treys offensichtliche Schockstarre vorbei war. Er hob seine Mundwinkel und kicherte leise. Doch es war ein falsches, ein gespieltes Kichern. Das durchschaute Ren sofort. „A-Also...ist er...dein Freund?“, stammelte Trey nervös, als hätte er Angst davor, die Antwort zu hören. „Was wäre wenn?“, stellte Ren als Gegenfrage. Erneut zuckte der Dreißigjährige zusammen, was dem Gelbäugigen nicht verborgen blieb. 'Seltsam...', dachte der Teenager nur. „Dann...Dann solltest du ihn mal mitbringen, ich würde ihn...gerne kennenlernen...“, antwortete Trey, wieder mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen. „Du scheinst nicht überrascht zu sein, dass ich etwas mit einem anderen Kerl habe“, stellte Ren fest. Trey, der sich offenbar ertappt fühlte, erwiderte unsicher: „N-Nein...I-Ich weiß, dass du nicht...auf Mädchen stehst...“ Ren schwieg wieder eine Weile und starrte den Größeren an. Dieser spielte nervös mit seiner Kaffeetasse herum. Seine Hände zitterten leicht. Argwöhnisch betrachtete der Chinese den Anderen und dachte: 'Wenn er weiß, dass ich schwul bin, wieso ist er dann wegen Miki so schockiert? Hier ist doch was faul...' „Warum hast du mich aufgenommen?“, fragte der Teenager gerade heraus. Trey schien einen Moment lang verwirrt über die Frage zu sein, antwortete dann aber: „Naja, weil wir es nicht geschafft haben, dich zurück zu verwandeln, wir haben versucht-“ „-Nein, so meine ich das nicht“, unterbrach Ren. „Wieso hast ausgerechnet DU mich aufgenommen? Run hätte sich auch um mich kümmern können, oder Ryu, oder Yoh und Anna...Wie habt ihr das entschieden? War es dein Vorschlag, mich zu adoptieren? Oder habt ihr einfach Streichhölzer gezogen?“ Eine gewisse Bitterkeit lag in Rens Stimme. „Nein! ICH habe den Entschluss gefasst! Ich WOLLTE dich aufnehmen!“, antwortete Trey entgeistert. Zum ersten Mal klang seine Stimme laut und energisch. Seinen Blick erhob er aber nach wie vor nicht, seine Körperhaltung war immer noch genauso gekrümmt wie zuvor. „Und wieso?“, hakte der Gelbäugige nach. „Na...Na weil...du mein Freund warst...Und ich dich nicht zu den Taos zurückgeben wollte...“, antwortete Trey. Seine Stimme wurde wieder leiser und brüchiger. Rens Hände ballten sich zu Fäusten, bevor er seine geleerte Tasse mit so viel Wucht auf dem kleinen Couchtisch abstellte, dass der Aufprall von Keramik und Glas einen lauten, schrillen Knall verursachte. Der Blauhaarige zuckte so stark zusammen, dass ihm die Kaffeetasse aus den Händen rutschte und zwischen seinen Füßen zu Boden fiel. Die Tasse zerbrach zwar nicht, doch der kalte Kaffee bildete nun eine braune Lache auf dem Boden, die sich sekündlich weiter ausbreitete. „Du hast mir versichert, dass du mir die Wahrheit sagen würdest!“, knurrte Ren mit einer so tiefen, dunklen Stimme, dass sie Trey einen Schauer über den Rücken laufen ließ. „A-Aber...Ich sage dir die Wahrheit...“, versicherte der Biologe kleinlaut. „Aber nicht die GANZE Wahrheit! Du verheimlichst mir irgendetwas!“, brüllte Ren schon fast. Er wurde wütend. Er wusste ganz genau, dass sein Ziehvater etwas vor ihm verheimlichte. Und zwar etwas sehr Entscheidendes. Er spürte es einfach. Ein wichtiges Puzzleteil fehlte noch. „N-Nein...Tu ich...nicht...“ „OH DOCH!“, entgegnete Ren aufgebracht. Dass Trey versuchte, das Offensichtliche zu leugnen, machte ihn nur noch rasender. Er sprang regelrecht von der Couch auf, stellte sich vor den Blauhaarigen, und schrie auf diesen herab: „SAG MIR DIE WAHRHEIT!“ „D-das...tue ich...“ „WAS VERSCHWEIGST DU MIR?!“ „Gar nichts...“ Trey wurde immer verzweifelter und legte seine Hände an seine Schläfen. „SAG ES!“ „R-Ren...“ Er kniff seine Augen zusammen und kauerte sich noch etwas mehr zusammen, während der Gelbäugige wutentbrannt auf ihn herab brüllte. Aber er konnte ihm nicht sagen, was er hören wollte. „WAS VERHEIMLICHST DU MIR!?“ „Nichts...“ Er konnte es ihm nicht sagen... „DU LÜGST!“ „Nein...“ Er konnte es nicht sagen... „SAG MIR DIE VERDAMMTE WAHRHEIT!“ „Ren...bitte...“ Er konnte es nicht... „SAG ES!“ „WIR WAREN EIN PAAR!“, schoss es plötzlich aus Trey heraus. Er hielt dem Druck, den sein Ziehsohn auf ihn ausübte, nicht mehr stand. Doch noch in der selben Sekunde, in der er diesen Satz ausgesprochen hatte, realisierte er, was er getan hatte. Zum ersten Mal, seit sie ihr Gespräch begonnen hatten, sah der Dreißigjährige auf. Mit vor Schock weit aufgerissenen Augen blickte er in das völlig verdutzte Gesicht seines Adoptivsohns. Seine Brust zog sich so schmerzhaft zusammen, dass er kaum noch atmen konnte. Ren, der eine Sekunde zuvor noch vor Wut kochte, stand einfach nur schweigend da. Mit perplexer Mimik starrte er den Blauschopf an. Dieser schlug sich seine rechte Hand vor den Mund, als ob er die Worte, die gerade aus reiner Verzweiflung aus ihm herausgeplatzt waren, wieder einfangen und dahin zurück sperren wollte, wo sie hergekommen waren. Doch das war nicht möglich. Er hatte sie ausgesprochen, er konnte die Zeit nicht zurückdrehen oder seine Worte zurücknehmen. Einige Sekunden des Schweigens, die Trey allerdings wie eine halbe Ewigkeit vorkamen, vergingen, bevor Ren leise nachfragte: „Wir waren...ein...Paar?“ Sofort wandte Trey seinen Blick wieder ab. Er hätte es nicht ertragen, zu sehen, wie Ren angeekelt das Gesicht verzog, nachdem dieser sein Geständnis erst einmal realisiert hatte. Dass der Mann, der Ren adoptiert und großgezogen hatte, einmal auf DIESE Weise für ihn empfunden hatte, musste den Teenager völlig verstören. Trey hatte Angst. „Ist das wahr? Waren wir beide wirklich zusammen?“, fragte Ren in einer Tonlage, die ruhig, beinahe unbeteiligt klang. Der Biologe schluckte einmal, bevor er nickte. „Hast du mich geliebt?“, fragte der Gelbäugige weiter. Trey nickte erneut. „Ja...“ Für einen kurzen Moment schloss er seine Augen und atmete einmal tief durch, bevor er leise, aber deutlich hörbar, sagte: „Als mir nach wochenlanger Suche klar wurde, dass wir es wohl nicht schaffen würden, den Zauber rückgängig zu machen, habe ich sehr intensiv nachgedacht. Ich konnte dich einfach nicht zurück zu den Taos geben, nachdem sie dir so viel Leid angetan hatten. Ich habe mir immer selbst eingeredet, dass es mir nur darum ging, dir eine friedlichere und glücklichere Kindheit zu ermöglichen, so, wie du es verdient hattest...Aber das war nur die halbe Wahrheit. So selbstlos bin ich nicht. In Wirklichkeit bin ich sogar sehr egoistisch...Es tut mir Leid, dass ich dich angelogen habe, aber ich wollte dich einfach nicht hergeben; nicht zu den Taos, und auch zu niemandem sonst. Ich wollte dich bei mir haben, ich wollte dich an meiner Seite haben, ich wollte mein Leben mit dir teilen...Wenn schon nicht als Paar, dann wenigstens als Familie...“ Ren schwieg. Er hatte das Foto vom Tisch genommen und betrachtete es, während er sich Treys Worte anhörte. Dieser fuhr fort: „Hör zu, Ren...Der Tag, an dem du verzaubert wurdest, war der Tag, an dem ich die Liebe meines Lebens verlor...“ Ren fühlte, wie sein Herz höher schlug. Eine angenehme Wärme durchströmte seinen Körper. „Aber dafür habe ich einen wundervollen Sohn bekommen...“ Mit einem Schlag wich die Wärme einer Eiseskälte. Ein schmerzhafter Stich durchfuhr die Brust des Teenagers. Er zuckte kaum merklich zusammen. Zum zweiten Mal seit Beginn ihres Gesprächs sah Trey zu dem Anderen auf. Ein trauriges Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er sagte: „Aber wir können nun mal nicht alles im Leben haben, nicht wahr?“ Einige Sekunden lang starrte Ren schweigend in die grauen Augen des Anderen. Dieser hielt dem bohrenden Blick der funkelnden, gold-gelben Augen nur mit Mühe stand. Der Chinese drehte sich zur Seite und legte das Foto zurück auf den Couchtisch, als er mit ernster Stimme sagte: „Ich habe eine Frage an dich, und ich erwarte, dass du mir EHRLICH antwortest.“ Augenblicklich stieg wieder Nervosität in dem Blauhaarigen auf. Er nickte. Doch das reichte Ren nicht. „Schwöre mir, dass du mir eine ehrliche Antwort gibst“, forderte er nachdrücklich. Trey versuchte vergeblich, den riesigen Kloß, der in seinem Hals steckte, herunter zu schlucken. „I-Ich schwöre es...“ Ren nickte leicht, griff sein T-Shirt, zog es über seinen Kopf und ließ es achtlos zu Boden fallen. Der junge Professor war verwirrt. „Ren?! W-Was machst du denn?!“ Der Angesprochene antwortete nicht. Er öffnete seinen Gürtel und seine Jeans und zog sie samt Boxershorts aus. Sofort blickte Trey verlegen zur Seite. „Ren! Was soll das?! Zieh dich wieder an!“, forderte er hektisch. Doch Ren dachte gar nicht daran. Er hob einen Fuß nach dem anderen hoch und zog seine Socken ab. Splitternackt stand er nun vor dem Dreißigjährigen, der seinen Oberkörper zur Seite gedreht hatte und die Augen zusammenkniff. „Sieh mich an“, forderte der Teenager in einem ruhigen, aber energischen Ton. „L-Lass den Quatsch, Ren...Zieh dich wieder an, bitte!“, entgegnete Trey beinahe verzweifelt. Rens Stimme erhob sich, als er wiederholte: „Sieh mich an, Trey.“ Der Blauschopf zuckte zusammen. „R-Ren...b-bitte-“ „-SIEH.MICH.AN!“ Trey biss sich auf die Unterlippe, während er seinen Blick zögerlich nach vorn richtete. Er schaffte es nicht, sich davon abzuhalten, den nackten Körper, den er so sehr begehrte, den Körper seines Ziehsohns, für den Bruchteil einer Sekunde zu betrachten, bevor er sich zwang, Ren in die Augen zu sehen. Mit strenger Mimik starrte dieser den Anderen an. „Und nun meine Frage...“ Die Frage, die Ren nun stellen würde, würde die alles Entscheidende sein. Treys Antwort würde darüber entscheiden, ob es eine Lösung für ihre verquere Situation geben, oder ob sich ihre Wege hier und heute, für immer trennen würden... Ren sprach dies nicht aus, doch das musste er auch nicht. Trey wusste es. Er spürte es. Er zitterte. Sein Herz raste. Er hatte geschworen, ehrlich zu antworten. Quälend lang kam es ihm vor, bis Ren seine Lippen öffnete und seine Frage stellte: „Sind deine Gefühle für mich...nur noch rein väterlicher Natur?“ Stille erfüllte den Raum. Die Uhren schienen still zu stehen. Langsam senkte sich Treys Kopf, bis seine Augen nicht mehr zu sehen waren. Eine einzelne Träne rann über seine Wange, als er leise hauchte: „Nein...“ In der nächsten Sekunde schlug Trey die Hände vor sein Gesicht und begann, bitterlich zu weinen. Es war vorbei. Welcher Junge könnte mit einem Vater zusammenleben, der solche Gefühle für ihn hegte? „Es tut mir so Leid, Ren...“, schluchzte Trey schwer. Ein wahrer Wasserfall aus Tränen lief seine Wangen hinab. Er wollte sich nicht einmal vorstellen, wie verstört und angewidert Ren jetzt sein musste. Der Blauschopf ekelte sich vor sich selbst. Er schämte sich so sehr. „Es tut mir so Leid...“ Es verging eine ganze Weile, in der der Raum ausschließlich vom lauten Schluchzen und Schnaufen des Dreißigjährigen erfüllt war, bis Ren mit einer beinahe emotionsloser Stimme sagte: „Dir ist klar, dass wir nicht einfach so weiter machen können, wie bisher, oder?“ Trey fühlte, wie sein Herz in tausend Teile zerschmetterte. Er sank von dem Sessel herab und fiel vor Ren auf die Knie. „Bitte, Ren...bitte hass' mich nicht!“, flehte er, legte seine Arme um den Teenager und presste sein von Tränen getränktes Gesicht an dessen nackten Bauch. Am ganzen Leib zitternd und doch mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, umklammerte Trey den Anderen, krallte sich an ihm fest, als ob sein Leben davon abhing. Und irgendwie tat es das auch. „Ren...Bitte, geh' nicht! Ich kann nicht leben ohne dich! Du BIST mein Leben...“ Trey schluchzte und wimmerte herzzerreißend. „Bitte...Verlass mich nicht...“ Ren fühlte, wie die warmen Tränen des Blauhaarigen seinen Bauch hinab liefen. Er hob seinen linken Arm, legte seine Hand auf den blauen Schopf und streichelte sanft durch die dicken Strähnen. Daraufhin wurde das Schluchzen nur noch lauter und Treys klammernde Umarmung wurde noch fester, als sie ohnehin schon war. Interpretierte der Biologe dies als Geste des Abschieds? Vermutlich. Rens Blick war nach oben gerichtet. Mit einem verträumten Lächeln auf dem Gesicht starrte er an die weiße Zimmerdecke, während er immer wieder zärtlich durch das blaue Haar streichelte. Er war so erleichtert. Trey hatte immer noch Gefühle für ihn. Nicht wie ein Vater für seinen Sohn, sondern wie ein Mann für seinen Liebhaber. Er sah ihn nicht als Sohn, genauso wenig, wie Ren IHN als Vater sah. Am liebsten hätte Ren den Anderen nach dessen Antwort sofort in die Arme geschlossen, doch er hatte sich zurückgehalten. Er wollte ihn zappeln lassen. Das war die Strafe dafür, dass er ihn sein Leben lang angelogen hatte. Dass sich Trey gerade so verzweifelt an ihm festkrallte, dass er solche Angst hatte, ihn zu verlieren, machte Ren glücklich. 'Geschieht dir recht, du Idiot...', dachte er und musste sich fast Mühe geben, ein Kichern zu unterdrücken. Er legte Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand unter das tropfende Kinn des Blauhaarigen und wollte es hochziehen, was dieser allerdings nicht zuließ. Trey presste sein Gesicht nur noch fester gegen den Bauch des Teenagers und krallte seine Arme noch enger um diesen. Rens Oberkörper schmerzte bereits wegen der viel zu festen Umklammerung, doch das war nicht schlimm. Im Gegenteil. Es war ein guter Schmerz. Ren ging langsam in die Hocke, sodass Trey sein verweintes Gesicht gezwungenermaßen von ihm lösen musste. Seine Arme löste er jedoch um keinen einzigen Millimeter. Der Chinese legte seine Hände an die nassen Wangen des Größeren und zwang diesen, ihm in die Augen zu sehen. Trey hatte mit jedem möglichen Gesichtsausdruck gerechnet, doch nicht mit dem sanften, liebevollen Lächeln, das sich aus Rens Gesicht abzeichnete. „Richtige Antwort...“, flüsterte dieser und ehe der Blauschopf realisierte, was der Jüngere ihm gerade gesagt hatte, spürte er, wie seine Lippen von denen Rens umschlossen wurden. Vor Schock hatte Trey aufgehört zu weinen. Mit weit aufgerissenen Augen zog er seinen Kopf ein Stück zurück. „R-Ren...W-Was-“ Doch er wurde unterbrochen, denn sofort drückte Ren seine Lippen erneut auf seine eigenen, dieses Mal fester und energischer. Ohne zu fackeln schob der Gelbäugige seine Zunge in die Mundhöhle des Anderen, drückte seinen Körper näher an diesen und legte seine Arme eng um dessen Schultern. Trey konnte es kaum glauben. Ren küsste ihn. Er küsste ihn genauso, wie er es vor 14 Jahren tat. Dieser süße Geschmack, dieser herbe, einzigartige Duft, diese weiche, seidige Haut...All das löste ein wahres Feuerwerk der Gefühle ihn ihm aus. So sehr hatte er seinen Freund vermisst. So sehr hatte er sich nach ihm gesehnt. Doch er war nicht mehr sein Freund. Er war doch sein Sohn. Er hatte ihn doch adoptiert und großgezogen. Das hier müsste sich doch eigentlich falsch anfühlen. Doch das tat es nicht. Es fühlte sich so richtig an. Jahrelang hatte Trey versucht, seine Gefühle zu unterdrücken, sie in den Tiefen seines Herzens einzusperren, sie nicht mehr zuzulassen. Er wollte seinen Freund Ren vergessen, und nur noch seinen Sohn Ren sehen. Doch er hatte versagt. Er konnte nicht mehr. Mit beiden Händen griff er sanft den Kopf des Chinesen, zog ihn ein kleines Stück von seinen Lippen und sah tief in die wunderschönen, goldenen Katzenaugen, in die er sich vor langer Zeit auf den ersten Blick verliebt hatte. „Ich liebe dich so sehr, Ren...“, hauchte er leise, während sich erneut Tränen in seinen Augenwinkeln sammelten. Ren lächelte. Das waren die Worte, nach denen er sich gesehnt hatte. „Ich liebe dich auch, Trey...“ Damit umschloss er die Lippen des Blauschopfes erneut. Sie verfielen in einen innigen, leidenschaftlichen Kuss. Doch das reichte Ren nicht. Er verlagerte sein Gewicht nach vorn und zwang den knienden so, sich auf den Boden zu setzen. Treys Rücken lehnte an dem Sessel, seine Hose wurde nass und klebrig, da er sich genau in die Kaffeepfütze gesetzt hatte, die sich auf dem Boden ausgebreitet hatte. Doch das kümmerte ihn nicht. Hastig zog Ren das T-Shirt des Blauhaarigen über dessen Kopf, setzte sich breitbeinig auf dessen Oberschenkel und öffnete ungeduldig Gürtel und Hose des Anderen. Trey wehrte sich nicht dagegen, im Gegenteil. Er wollte es genauso sehr, wie Ren. Eine beachtliche Beule hatte sich in seinem Schritt gebildet, und auch das Glied des Gelbäugigen war längst einsatzbereit. Ren befreite den zu voller Größe geschwollenen Penis Treys aus der viel zu engen Hose, was diesen erregt zusammenzucken ließ. Der Teenager sammelte etwas Speichel in seinem Mund, spuckte ihn in seine rechte Hand und befeuchtete damit die Männlichkeit des Blauschopfes, bevor er seine Hüften anhob und sich über dieser positionierte. Erschrocken fragte Trey: „Warte! Willst du nicht erst-“ „-Nein“, unterbrach Ren. Er wollte kein Vorspiel. Er konnte nicht warten. Er wollte Trey in sich spüren, sich mit ihm verbinden, eins mit ihm werden...Viel zu lange, hatte er hierauf warten müssen. „Es ist okay, wenn es wehtut...“ Treys besorgten Blick ignorierend ließ sich Ren in einer schnellen Bewegung hinab und nahm mit einem einzigen Ruck die gesamte Länge seines Partners in sich auf. Dieser zog scharf die Luft ein, und auch Ren biss die Zähne zusammen. Der brennende Schmerz war nicht gerade gering, doch das war okay. Auch dieser war ein guter Schmerz, denn er zeigte dem Teenager, dass er endlich das hatte, was mehr als alles andere haben wollte... Ohne zu zögern begann Ren damit, seine Hüften anzuheben und sich immer wieder schnell und hart auf das steife Glied sinken zu lassen. Der Raum war erfüllt von erregtem Seufzen, Stöhnen und dem Duft von Lustschweiß. Mit glasigen, halb geöffneten Augen betrachtete Trey Ren. Dieser hatte die Augen geschlossen, ein roter Schimmer lag auf seinen blassen Wangen, sein Mund war einen Spalt geöffnet und verwöhnte die Ohren des Blauhaarigen sekündlich mit den schönsten Klängen, von denen er gedacht hatte, dass er nie wieder in den Genuss kommen würde, sie hören zu dürfen. Allein davon hätte er schon kommen können. Treys Blick senkte sich ein wenig und blieb an der Brust seines geliebten Freundes hängen. Verträumt streckte er seinen Arm aus, legte seine flache Hand auf ihr ab und streichelte zärtlich über die athletischen Brustmuskeln des Studenten. Die Haut war feucht von Schweiß, sie war blass, zart und seidig, und...makellos. Kein Muttermal, keine einzige Unreinheit, keine Narbe. Geistesabwesend zeichnete Trey mit seinen Fingern die riesige Narbe nach, die sich früher auf dieser wunderschönen Brust erstreckt hatte. Was genau er dabei fühlte, hätte Trey nicht sagen können, wenn man ihn danach gefragt hätte. Allerdings konnte er auch nicht näher darüber nachdenken, da Ren den Rhythmus plötzlich stark beschleunigte. Sein Stöhnen wurde lauter und unregelmäßiger. Der Größere fühlte, dass Ren kurz vorm Orgasmus war, und ihm selbst ging es genauso. Er legte seine Hand um das zuckende Glied des Chinesen und pumpte es schnell, was diesen nur wenige Sekunden später zum Höhepunkt brachte. Mit einem lauten Stöhnen ergoss er sich in Treys Hand. All seine Muskeln zogen sich zusammen, wodurch die heiße Ende noch um einiges enger wurde. Dies brachte auch den Blauschopf endgültig zum Orgasmus. Ebenfalls mit einem lauten, kehligen Stöhnen ergoss er sich in Ren. Erschöpft sackte dieser leicht zusammen, beide atmeten schwer und unregelmäßig. Erneut umschlossen sie gegenseitig ihre Lippen, mussten den Kuss jedoch schnell beenden, da sie beide Luft brauchten. Zufrieden ließ Ren sich auf den muskulösen Oberkörper des Dreißigjährigen hinab und verteilte ein paar zarte Küsse auf dessen Schlüsselbein, bevor er seinen Kopf auf der starken Schulter ablegte. Sanft streichelte Trey Rücken und Nacken des Gelbäugigen. Eine ganze Weile saßen sie so da, genossen die Nähe und die Wärme des jeweils Anderen und wünschten sich insgeheim, dass dieser Moment niemals enden würde. Ren schloss die Augen und lauschte dem schnellen Herzschlag Treys, der sich langsam wieder normalisierte. Als er heute Mikis Apartment verlassen hatte, um sich auf den Weg hier zu machen, hätte er es nicht für möglich gehalten, dass es ihm so leicht fallen würde, Trey zu verzeihen. Allerdings hätte er niemals gedacht, dass ihr Gespräch SO enden würde. Er war so glücklich. Auch wenn er es nach wie vor für falsch hielt, dass der Blauschopf ihn die ganzen Jahre über angelogen hatte. Es wäre viel besser gewesen, wenn er von Anfang an mit offenen Karten gespielt und Ren die Wahrheit erzählt hätte, fand der Teenager jedenfalls. Aber vielleicht war er auch einfach noch zu jung. Vielleicht würde er ja eines Tages verstehen, wieso Trey damals diese Entscheidung getroffen hatte... „Wir sollten wegziehen“, schlug Ren leise vor. „Ja“, bestätigte Trey sofort. Für sie beide stand fest, wie es nun mit ihnen weitergehen würde. Doch ihr Umfeld kannte sie als Vater und Sohn. Hier konnten sie nicht bleiben. Ihre Freunde würden es sicher verstehen, doch wie sollten sie all den anderen, die ihre Geschichte nicht kannten, erklären, dass sie nun ein Liebespaar waren? Und eine geheime Beziehung kam für sie nicht in Frage. Eine Lüge hatten sie viel zu lange gelebt. Trey dachte nach. Zuerst waren er und Ren bittere Feinde, und haben sich ineinander verliebt. Dann waren sie Vater und Sohn, und haben sich trotzdem ineinander verliebt. Schon verrückt, oder? „Ren?“ „Hm?“ „Glaubst du, wir sind füreinander bestimmt?“ Ren öffnete langsam die Augen, stützte sich auf und lächelte Trey ins Gesicht. Er verstand genau, was der Blauhaarige mit dieser Frage meinte. Sein Lächeln verzog sich zu einem leichten Grinsen, als er einmal mit den Schultern zuckte und antwortete: „Wer weiß...?“ Beide kicherten leise, bevor Trey sich nach vorn beugte und erneut die Lippen des Teenagers in Besitz nahm. Dieser erwiderte den Kuss nur zu gern. Ein leidenschaftlicher Zungenkuss entflammte. Doch bevor Trey sich endgültig in dem heißen Kuss verlieren konnte, hörte er plötzlich ein Kichern. Er riss die Augen auf. Er kannte dieses Kichern. Er hätte es unter tausenden wieder erkannt. Er wollte sich von Ren losreißen und sich umsehen, doch es ging nicht. Er konnte sich nicht bewegen. Er war wie gelähmt. Ren schien nichts zu bemerken. Umschlossen von einem warmen, immer greller werdenden Licht küssten die beiden sich einfach weiter, als wäre die Zeit stehengeblieben. Trey musste die Augen schließen, zu sehr blendete das Licht. Plötzlich sah er trotz seiner zusammengekniffenen Augen, dass die Umgebung wieder dunkler wurde. Es wurde kälter und stickiger. „SHH!“ Trey und Ren rissen gleichzeitig die Augen auf und lösten erschrocken ihren Kuss. „Mist, sie haben uns gesehen!“ 'W-Was...? Was ist-' Völlig perplex starrte Trey Ren an. Er sah jünger aus. Sie waren nicht mehr in ihrem Haus. Der Chinese war rot wie eine Tomate und blickte verschämt zur Seite. „Sorry Jungs, wir wollten euch echt nicht stören...Tja, ich würde sagen, ich habe gewonnen! Ich habe doch gesagt, dass aus den beiden ein Paar wird!“ Hektisch blickte der Blauhaarige sich um. Steinerne Wände. Sie waren in dem Haus, in dem sie während der zweiten Runde des Schamanen-Turniers in Doby Village gewohnt hatten. Ren saß auf der hölzernen Kommode des Schlafzimmers. Er trug seine Hose und Schuhe, nur sein Oberkörper war unbekleidet. Trey stand zwischen seinen Beinen. Er sah zum Fenster, an dem ihre Freunde in einer Reihe standen und breit grinsend zu den beiden hineinschauten. Sie waren alle so jung. Diese Situation... „Ich bin wie immer tief beeindruckt von deiner ausgezeichneten Menschenkenntnis, Meister Yoh!“ 'D-Das...Das kann nicht sein...' Trey sah an sich herab. Er trug seinen Kampfanzug. Er war kleiner und schmaler als noch vor einigen Sekunden. „Und ich habe dich für verrückt erklärt, als du das gesagt hast...Das hätte ich wirklich nicht gedacht...“ „Ja...Ich meine, dass Trey auf Ren steht, war ja klar, aber das er Ren tatsächlich rumbekommt, hätte ich auch nicht für möglich gehalten...“ „W-Was...Was ist hier los?!“, fragte Trey verwirrt. „Die viel wichtigere Frage ist doch: Wieso treibt ihr zwei es auf der Kommode, wenn direkt neben euch ein gemütliches Bett steht?!“ „Wir haben uns gewundert, dass du nach Ren auch direkt abgehauen bist...Da haben wir uns Sorgen gemacht und wollten nur sehen, ob alles okay ist...“ Als der Blauschopf seinen Blick wieder auf Ren richtete, fiel endlich der Groschen: 'Die Narbe...' Die Narbe auf Rens Brust, die Narbe, an der ER schuld war...Sie war wieder da. Es war die Nacht nach dem Sieg über Zeki und seine Gefolgschaft. Die Nacht, in der er Ren seine Liebe gestanden hatte. Der Kuss, aus dem sie gerade gerissen wurden, war ihr allererster gewesen. Trey streckte seinen Arm aus und zog mit seinen Fingern die Narbe auf Rens Brust nach. Er musste wissen, ob sie wirklich da war, oder ob er nur träumte. Sie war da. Er spürte deutlich das raue Narbengewebe unter seinen Fingern. „Wir sind wieder zurück...“, flüsterte er, mehr zu sich selbst, als zu Ren. Dieser realisierte ohnehin nicht, was gerade geschah; er sah aus, all würde er vor Scham jeden Moment ohnmächtig werden. Trey konnte seine Tränen kaum zurückhalten. Hier saß tatsächlich Ren vor ihm. Der fünfzehnjährige Ren, bevor er verzaubert worden war. Ohne sich darum zu scheren, dass seine Freunde am Fenster standen und zusahen, schloss er den Chinesen in seine Arme und drückte so fest zu, dass der Kleinere kaum noch atmen konnte. „Ren...Ich bin so froh...“, flüsterte er in dessen Ohr, was in dessen Gesicht nur noch mehr Schamröte verursachte. Das kollektive „Aw...wie niedlich!“, seiner Freunde bekam der Sechzehnjährige kaum mit. „Das ist so ergreifend!“, rief Ryu mit Tränen der Rührung in den Augen. „Ich denke, wir sollten Romeo und Romeo jetzt nicht länger stören...“, sagte Manta, was die Übrigen durch ein Nicken bestätigten. „Ich wette eine Silbermünze, dass einer von beiden noch heute Nacht zur Julia gemacht wird, haha!“, hörte man Joco noch beim weggehen lachen, woraufhin Yoh grinsend erwiderte: „Wollen wir darauf wetten, WER von beiden die Julia sein wird?“ „Es macht doch keinen Spaß auf etwas zu wetten, dass so offensichtlich ist, Yoh...“, kommentierte Lyserk lächelnd. „Hm, auch wieder wahr...“ Die Stimmen der Jungs wurden immer leiser, bis sie schließlich nicht mehr zu hören waren. Ren hatte nun tatsächlich beinahe das Bewusstsein verloren, er wäre am liebsten im Erdboden versunken. Trey dagegen hatte gar nicht zugehört. Er klammerte sich immer noch so fest an Ren, als ob er befürchtete, jemand könnte ihn aus seinen Armen reißen wollen. „Hihi...“ Der Blauhaarige riss die Augen auf. Da war es wieder: Das Kichern! Es kam von draußen. Sofort sprang er zum Fenster und schaute hinaus. Und da sah er es: Das koboldartige Wesen mit den kleinen Flügelchen, es schwebte direkt vor dem Fenster in der Luft und blickte Trey direkt in die Augen. Es wirkte nicht böse oder bedrohlich, eher im Gegenteil. Ein strahlendes Lächeln war auf dem kleinen Gesicht zu sehen. Es schien glücklich zu sein. Obwohl das kleine Kerlchen nicht mit Trey sprach, wusste dieser aus irgendwelchen Gründen, dass das Flügelwesen ihnen nichts tun würde. Für einige Sekunden starrte er in die großen, runden Augen, bevor er leise fragte: „Wieso hast du das getan?“ Doch anstatt zu antworten, hielt es seine kleinen Hände vor seinen Mund, kicherte herzhaft, und verschwand wieder. Es war einfach fort. Es war wie aus dem Nichts gekommen, und genauso auch wieder gegangen. Niemand hat dieses kleine, magische Wesen jemals wieder gesehen... Ende. Epilog: Epilog -------------- Füreinander bestimmt? Epilog -14 Jahre später- 'Endlich zu Hause...', dachte Trey erleichtert, als er den Schlüssel in die Tür des kleinen Hauses mit Garten am Rande der Innenstadt steckte. Es war kurz nach 17 Uhr und er war wirklich mehr als bereit für das Wochenende, zumal er heute schon um halb acht Uhr morgens in seinem neuen Büro mit Sekt abgefüllt worden war... Er betrat den Flur, wo ihm sofort mehrere köstliche Düfte in die Nase zogen. Der Blauhaarige hatte eigentlich ein leeres Haus erwartet. Aber hier wurde doch eindeutig etwas gekocht! Vorfreudig joggte Trey in die Küche, wo ihm umgehend das Wasser im Munde zusammenlief. Einerseits, weil er auf dem Tisch hervorragend aussehendes Essen sowie eine Flasche seines Lieblingsweins entdeckte, andererseits, weil er Ren an ebendiesem Tisch sitzen sah. „Willkommen zu Hause“, begrüßte der Gelbäugige ihn und trank einen Schluck aus seiner, augenscheinlich mit schwarzem Kaffee gefüllten, Tasse. Ein breites Grinsen zierte Treys Gesicht, als er dem Chinesen freudestrahlend einen Kuss auf den Mund gab. „Ich dachte, du schläfst heute im Penthouse, weil du noch so viel zu tun hast...“, erinnerte Trey sich an ihr Gespräch von heute Morgen. „Ja, das sagte ich...“, erwiderte Ren nur mit einem alles sagenden Grinsen auf den Lippen. „Verstehe“, sagte der Blauhaarige, ebenfalls grinsend. „Und dieses Festmahl hast du gezaubert, weil du einfach Lust hattest, zu kochen?“ Der Gelbäugige schüttelte den Kopf und deutete auf den Küchentresen, auf dem ein großes, rot verpacktes Geschenk stand. Fragend blickte Trey erst zu dem Geschenk, dann zurück zu Ren. „Ist das für mich?“ Der Angesprochene zog eine Augenbraue hoch und entgegnete sarkastisch: „Nein, ich hab's für MICH gekauft und es eingepackt, um es spannender zu machen...“ Trey lachte, bevor er zum Tresen rüber ging. „Ich bin so gespannt, was da drin ist!“, sagte er neugierig und riss das Geschenkpapier regelrecht in Fetzen. Ren schmunzelte amüsiert. Genauso hatte Trey seine Geschenke schon immer ausgepackt. 'Wie ein kleines Kind...' „Wow! Das gibt’s ja nicht!“, rief der Blauhaarige begeistert, als er das nagelneue Mikroskop erblickte, dass sich unter dem roten Papier verbarg. Ren erhob sich von seinem Stuhl und kam zu dem Anderen. „Das ist ja das allerneueste Modell! Aber das soll doch erst in ein paar Wochen auf den Markt kommen!“, wunderte dieser sich. Ren grinste frech. „Stimmt...Aber wenn der erfolgreichste Wirtschaftsanwalt in eine Firma kommt und dem Geschäftsführer auflistet, wofür er ihn alles verklagen könnte, wird dieser sehr kooperativ...“ „Haha! Du bist einfach der Größte, Ren!“, lachte Trey, fiel dem Chinesen in die Arme und küsste ihn. „Glückwunsch zu deiner Professur“, sagte dieser, was das Herz des Blauschopfes höher schlagen ließ. „Vielen Dank...“ Nachdem die beiden gegessen hatten forderte der gerade ernannte Juniorprofessor noch einen Nachttisch. Der Gelbäugige stand daraufhin auf, stellte sich vor den Biologen und knöpfte langsam und verführerisch sein Hemd auf, bevor er es elegant an Armen hinabgleiten und zu Boden fallen ließ. Erregt leckte Trey sich über die Lippen, während sein Freund immer mehr von dessen großem, athletischen Körper, freilegte. Ren hatte mit 18 Jahren noch mal einen ordentlichen Wachstumsschub bekommen, wodurch er sogar ein paar Zentimeter größer geworden war, als Trey. Seine Gesichtszüge waren in den letzten 14 Jahren um einiges maskuliner geworden, und trotzdem hatten sie noch einen hauchzarten, femininen Touch. Trey stand auf und legte seine flache Hand auf die muskulöse Brust seines Freundes. Wie eigentlich jedes Mal, wenn er das tat, zog er mit seinen Fingern die Narbe nach, die Ren beim Kampf gegen Zekis Männer davongetragen hatte. Manchmal kam es dem 29jährigen so vor, als ob der Blauhaarige sich mit seinen Fingern vergewissern wollte, ob die Narbe echt war... Sie war echt. Sie war in den vergangenen Jahren ein bisschen schmaler geworden, trotzdem erstreckte sie sich über den halben Oberkörper des Chinesen. Trey war der Einzige, der sich an die 14 Jahre, in denen Ren sein Ziehsohn war, erinnern konnte. Für die Anderen war all das niemals passiert. Er hatte nie herausgefunden, was für das kichernde, geflügelte Geschöpf gewesen war, geschweige denn, warum es das alles getan hatte. Vielleicht war es nur aus Langeweile? Vielleicht wollte es spielen?! Er wusste es nicht, und er würde es vermutlich auch niemals erfahren... Wie so oft betrachtete Trey die riesige Narbe, deren Existenz er vor vielen Jahren verursacht hatte. Und wie so oft breitete sich ein leichtes, kaum sichtbares Lächeln auf seinen Lippen aus. Er war froh, dass die Narbe da war... „Ren?“ „Hm?“ „Glaubst du, wir sind füreinander bestimmt?“ Ren zog skeptisch eine Augenbraue hoch, seufzte dann aber einmal. Hin und wieder bekam Trey mal einen, wie er es gern nannte, „Romantiker-Anfall“, so etwas kannte er schon. An dem fragenden Blick des Blauhaarigen konnte er aber erkennen, dass sein Freund eine Antwort auf diese Frage haben wollte. „Ich glaube, du hast dich in mich verknallt, und mich dann irgendwie rumgekriegt...“ Für etwa zwei Sekunden starrte Trey Ren verdutzt an, bevor er in einen herzhaften Lachanfall verfiel. Auch Ren lachte. Sie legten ihre Arme umeinander und küssten sich innig. Nachdem sie ihren leidenschaftlichen Kuss gelöst hatten, fragte der Chinese: „Hast du dir eigentlich schon ein Bild für unsere Hochzeitseinladungen ausgesucht?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)