Experiment Mind Reader von Anemia ================================================================================ Kapitel 2: INTERLUDE -------------------- Im ersten Moment glaubte Rena, das blaue Licht, welches in umfing, wäre Bestandteil einer neuen Traumepisode, doch so wie nach und nach sein Bewusstsein zurückkehrte, musste er feststellen, dass er wieder in der Realität angekommen war und sich somit in Yoshikis Labor befand. Noch etwas benommen blinzelte er und suchte mit den Augen nach dem anderen, welcher nach wie vor auf seinem Schreibtischstuhl saß, nur mit dem Unterschied, dass er geschäftig an seinem PC werkelte. Durch die wohlige Trägheit, die Rena umfing, beschlich ihn ein warmes Gefühl beim Anblick Yoshikis. Sein Lächeln mochte gequält wirken aufgrund seiner eingerosteten Gesichtszüge, aber es war dennoch eines von der echten Sorte. Schon immer hatte es ihn gewissermaßen fasziniert, Yoshiki in einem seiner beiden Elemente zu erleben. Wenn er mit großen Augen auf den Bildschirm starrte und hochkonzentriert wirkte, während seine so kundigen Finger flink wie Wiesel über die Tastatur huschten, bestätigte er Rena nur in seiner Behauptung, dass er ein absoluter Freak war. Ein Nerd sowie ein verrückter Wissenschaftler. Rena vermochte sich nur schwer an dem anderen sattzusehen. Besonders dann, wenn er nicht merkte, dass er ihn beobachtete, so wie im Augenblick. Noch immer spürte er die Nachwirkungen der Träume mehr als jene des injizierten Serums. Die Gefühle, welche Yoshikis Hirngespinste in ihm wachgerufen hatte, waren nach wie vor präsent, und vielleicht waren auch sie es, die die alte Vertrautheit zwischen ihnen wiederbelebte. Yoshiki war ihm nicht mehr nahe gewesen, als er hier eingetroffen war. Aber nun war er es wieder. Yoshiki bemerkte wenig später, dass er wach war. Aus seinen großen, runden Augen blickte er ihn über den Bildschirm hinweg an. Hätte Rena nicht gewusst, was für ein perverses Gedankengut in jenem genialen Kopf schlummerte, er hätte wohl vermutet, dass Yoshiki kein Wässerchen trüben könnte. So unschuldig wirkte sein Gesicht, so harmlos, insbesondere dann, wenn er nicht gestylt war und seine Brille trug. Aber Rena kannte das, was sich in seinem Hirn abspielte, besser als jemals zuvor. Jetzt, wo er dessen Gedanken hautnah miterlebt hatte. "Ah, du bist wach", stellte Yoshiki mit dem Anflug eines Lächelns fest und rückte sich seine Brille zurecht. Er löste sich von seinem PC und wandte sich Rena zu, dabei die Hände geduldig in seinem Schoß faltend, während er seinen Probanden erwartungsvoll anblinzelte. "Und? Hat sich die Reise für dich gelohnt?" Im Grunde wusste Rena selbst nicht, wie die Antwort auf diese Frage lautete. Sein Hirn war nach wie vor leicht benebelt, die Wirkung des Serums ließ nur langsam nach. Verflucht viele Eindrücke waren auf ihn niedergeprasselt, und wahrscheinlich würde es seine Zeit dauern, bis er sie allesamt eingeordnet hatte. Und vor allen Dingen verarbeitet. "Nun ja." Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und bemerkte erst jetzt, dass sie schweißnass war. Beunruhigt verzog er die Augenbrauen. Hoffentlich hatte sein Körper nicht allzu offensichtlich mitgefiebert, während sein Geist sich im Land der Träume aufgehalten hatte. Immerhin besaß er keine Erregung. Immerhin etwas. "Wie, 'nun ja'?" Yoshiki runzelte die Stirn, aber der Schalk blitzte nach wie vor in den Augen hinter seiner Brille auf. "Hast du denn nicht das Licht gefunden, nach dem du gesucht hast?" "Nicht direkt." Damit hatte er nun doch Yoshikis Erstaunen geweckt. Offenbar hatte er mit dieser Bekundung nicht gerechnet. "Und indirekt?" Rena hob die Schultern. Für lange Gespräche fehlte ihm schlichtweg die Energie. Selten hatte er sich derart ausgelaugt gefühlt. Als wäre er an seine mentalen Grenzen gestoßen. "Du bist auf jeden Fall nicht so abgebrüht, wie du immer zu sein glaubst", deutete er mit erschöpfter Stimme an und lehnte seinen Hinterkopf gegen das Polster des Stuhls. "Obwohl du natürlich ganz eindeutig vollständig verdorben bist. Dein Licht mag diffus sein, aber ich habe es gesehen." Yoshikis Mundwinkel zuckten, ohne sich zu einem Lächeln auszubreiten. Fast sah es schmerzlich aus, wie er das Gesicht verzog, und vielleicht lag dies daran, dass er ahnte, welches Licht Rena aufglimmen gesehen hatte. Er selbst kannte seine Sehnsucht schließlich am besten, auch wenn er sie stets zu verbergen wusste. Aber nun kannte Rena sie genauso gut. Er konnte ihm nichts mehr vormachen. Nicht, nachdem sie dieselben Träume geträumt hatten. "Immerhin scheinst du keine Folgeschäden davongetragen zu haben", urteilte Yoshiki und rollte nun samt seinem Stuhl auf Rena zu, ein Stethoskop und ein Blutdruckmessgerät mit sich führend. "Lass mich nun deine Werte kontrollieren." "Keine Sorge, ich bin hart, das weißt du." Rena ließ Yoshiki nicht für eine Sekunde aus den Augen, während dieser ihm die Manschette um den Arm schlang und den Kopf des Stethoskops knapp darunter an seine Armbeuge schob. Nun sah er wieder so extrem jung aus, wie er konzentriert den Blick gesenkt hielt und Renas Werte studierte. Und Rena kam nicht umhin, sich durch diese kleine Untersuchung abermals angeregt zu fühlen. Er versuchte, sich dagegen zur Wehr zu setzen, aber er mochte es nach wie vor, wenn Yoshiki den Doktor spielte und seinen Körper und dessen Funktionen in Augenschein nahm. Und jetzt, wo er wusste, in welch schillernd schönen Farben Yoshikis Gedanken Rena malten, hätte vielleicht ein kleines Kommando genügt, um seinen Widerstand zu brechen. "Dein Herz rebelliert ganz schön", verkündete Yoshiki schließlich, als er die Manschette löste und sich die Ohroliven herauszog. "Ich kann nachvollziehen, dass das Ganze ziemlich aufwühlend für dich gewesen sein muss." Er tätschelte Renas Hand, die entspannt auf der Armstütze ruhte. "Ich weiß nicht genau, was du gesehen hast, aber wahrscheinlich überschreitet es selbst meine kühnsten vom Verstand gelenkten Vorstellungen. Das Unterbewusstsein tritt immer vollkommen unzensiert und unbeschönigend auf. Deshalb ist es mitunter gefährlich, darin herumzustochern." Rena warf ihren sich berührenden Händen einen Blick zu und musste unwillkürlich an Yoshikis letzten Traum denken. Jenen, in denen er pure Entzückung empfunden hatte. Jenen, in dem sie sich so nahe gewesen waren und es sich so realistisch angefühlt hatte. "Nichts davon hat mich wirklich überrascht", gab Rena zu, während er seine Hand endlich wegziehen wollte, es aber einfach nicht schaffte. "Jeder Traum hat deine Handschrift getragen. Ich habe dich wiedererkannt." Yoshiki blinzelte ihn an. "Und trotzdem rennst du nicht schreiend davon, sondern sitzt hier und lässt mich sogar an dich heran?" Nun schmunzelte er. "Obwohl du so gehofft hast, dass ich vielleicht doch kein so abnormales Schwein bin?" Gewissermaßen kam sich Rena in Anbetracht dieser Fragen hilflos vor, weshalb er nichts anderes tat, als mit den Schultern zu zucken. Natürlich rannte er nicht schreiend vor Yoshiki weg. An seinen Gefühlen für ihn hatte sich durch die geteilten Träume nichts geändert. Ganz im Gegenteil - alles, was vorher vorhanden gewesen war, hatte sich noch intensiviert. "Gut." Yoshiki nickte, anscheinend hatte er noch nicht einmal eine Antwort erwartet. "Dann ist es nun an der Zeit, dass du die Hosen runterlässt und deine ungeschönten Träume mit mir teilst." Diese Tatsache freute ihn ungemein, das hörte Rena ihm an und er sah es auch in seinen aufblitzenden Augen. Eilig richtete er eine neue Spritze an, welche dieses Mal für ihn selbst sein würde, während Rena beklemmende Empfindungen beschlichen. Wenn es wirklich stimmte und noch nicht einmal Yoshiki wirklich wusste, was sich in seinem eigenen Unterbewusstsein abspielte, was würde er dann in Renas Träumen entdecken? Ja, Rena glaubte wirklich fest daran, dass er nicht mehr der dumme, risikofreudige und sexuell pervertierte Junge war, zu dem Yoshiki ihn vor vielen Jahren gemacht hatte. Nie mehr hatte er sich nach irgendwelchen Schweinereien gesehnt, nie irgendetwas in seinem Leben vermisst, seit Yoshiki kein Teil mehr von diesem war. Aber eine leise Furcht schlummerte dennoch in ihm. Was, wenn sein Unterbewusstsein ein Verräter war und seine Fantasien noch immer dieselben wie früher? Er hatte Angst davor, sich Yoshiki derart zu offenbaren. Nicht, weil er ihm nicht traute und ihm seine geheimsten Gedanken zu intim gewesen wären, um ihn mit ihnen zu konfrontieren. Er hatte Angst, dass die Sehnsucht ihn insgeheim ebenso zerfraß wie Yoshiki. Aber immerhin würde Yoshiki die Reise durch seine Träume ganz allein unternehmen. Er selbst würde nicht erfahren, was der andere erblickte. Es sei denn, er erzählte es ihm. Detail für Detail... Doch wie er es auch drehte und wendete, es gab kein Zurück mehr für ihn. Yoshiki hatte sich ihm offenbart und nun galt dasselbe für ihn, so lautete der faire Deal. Er konnte von Glück reden, dass Yoshiki seinen Herzschlag nicht hören konnte, während er sich auf seinem Stuhl niederließ und sich darauf vorbereitete, sich die Spritze zu injizieren. Er ging ohne jede Hemmungen als Werk, so, als hätte er sich schon tausend Mal selbst etwas mittels einer Nadel verabreicht. Ob er sich Heroin spritzte? Rena wusste es nicht, und er wollte es auch gar nicht wissen. Er wusste nur, dass es wahrscheinlich viele Gedanken in Yoshikis Kopf gab, die es wert waren, betäubt zu werden. Er wischte sich mit einem antiseptischen Tuch über seine Armbeuge und beäugte anschließend genauso fachmännisch seine Spritze wie jene, die er Rena vorhin verabreicht hatte. "Ich kann es kaum erwarten, einzuschlafen und mich in deinem Hirn wiederzufinden", bekundete Yoshiki. "So nah wollte ich dir schon immer einmal sein. Die Verschmelzung zweier Geister ist noch einmal ein ganz anderes Kaliber als die Verschmelzung zweier Körper." Renas Magen schien sich in Anbetracht dieser Worte regelrecht zur Faust zu ballen. Er wusste nicht, was genau er empfand, ob es Mitleid war; er wusste nur, dass sie ihn berührten. An einer sehr empfindlichen Stelle, die tief in seiner Seele verborgen lag. "Na los, tus." Rena hatte keine Ahnung, woher er diese plötzliche Entschlossenheit nahm. Er rückte sich auf dem Stuhl zurecht und starrte an die stählerne Wand, ohne auch nur einmal zu blinzeln. "Bringen wir es hinter uns." Aus den Augenwinkeln sah er, wie Yoshiki sich neu mit seinem PC vernetzte. "Alles, was wir heute über den anderen herausfinden, bleibt unter uns", bekräftigte er noch einmal, und beinahe wünschte Rena sich, dass er noch einmal seine Hand auf die seine legen würde, denn dies hätte ihm vielleicht etwas von den mulmigen Gefühlen genommen, die ihn beschlichen und nicht mehr losließen. "Deine Geheimnisse sind bei mir sicher, Süßer. Ich werde sie hüten wie meine eigenen." Weil er ohnehin niemand hatte, dem gegenüber er sie ausplaudern konnte. Er hatte eine Frau, die er nie würde lieben können und die garantiert keinen blassen Schimmer davon hatte, wie es in Yoshiki selbst aussah. Er hatte seinen Computer, und Maschinen taugten für gewöhnlich nicht als Gesprächspartner. Dafür aber waren sie äußerst geduldig und verurteilten einen nicht. Nicht einmal dann, wenn man ihnen doch seine perfidesten Gedanken anvertraute. Noch immer wandte Rena seinen Blick nicht mehr von dem bläulich schimmernden Nichts ab. Nicht einmal, um hinüber zu Yoshiki zu schielen und herauszufinden, ob er bereits schlief, um Renas Träume zu empfangen. Wie lange würde eine solche Traumreise dauern? Minuten? Stunden? Er hatte Yoshiki nicht danach gefragt, und nun wagte er es nicht mehr, ihn anzusprechen. Schließlich war es äußerst wahrscheinlich, dass er sich bereits bei den Leichen in Renas Keller umschaute...   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)