Intermezzi von Luthien-Tasartir (OS-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 1: Nur ein Flügelschlag ------------------------------- Unwillen sprach aus den Augen Lillians, als sie den älteren Schüler mit Misstrauen musterte. Es war ein ausgesprochen ungewöhnlicher Blick, den man nicht bei der toleranten und weltoffenen Hufflepuff erwartet hätte. Doch noch unüblicher wirkte – zumindest auf sie – der Ausdruck ihres Gegenübers. Diesem schien ihre Reaktion nämlich geradezu zu gefallen. Sein selbstbewusster Blick lag mit schiefem, anzüglichem Grinsen auf ihr und sie konnte einfach nicht anders, als unwohl ihre Arme vor dem weißen Krankenhemd zu verschränken. Er kannte sie nicht, da war sie sich bis heute sicher gewesen, aber sie hatte ihre letzte – und einzige, intensivere – Begegnung nicht vergessen. Damals war sie gerade von einem ihrer Aufenthalte im Krankenflügel auf dem Weg zum Huffelpuff-Gemeinschaftsraum die Treppen hinuntergegangen, als sie ein leises Fiepen hörte... Aufmerksam geworden ging sie dem wimmernden Laut nach, bis sie, nur wenige Schritte entfernt, in einem Turmfenster eine kleine Eule entdeckte, die sich in sichtlicher Panik gegen das kalte Glas der durchsichtigen Falle drückte. Vor ihr stand – merklich zufrieden mit sich selbst, das wehrlose Tier in die Enge getrieben zu haben – ein blonder Schüler; vielleicht ein Jahr älter als sie. Bei genauerem Hinsehen erkannte sie ihn sogar als einen der Freunde ihrer Schwester. Unter normalen Umständen hätte sie also keinen Kontakt zu ihm versucht aufzubauen, um die Ältere nicht in Verlegenheit oder dergleichen zu bringen. Doch was sie gerade vor sich sah, ließ sie in ihrer Bewegung erstarren. Der Slytherin stach mit seinem Zauberstab immer wieder nach dem bereits verletzten Wesen. Ganz offensichtlich, um sich an den Schreien des Vogels zu erfreuen. Kleine verkohlte Stellen am Gefieder des Opfers zeugten bereits von Funkensprung des magischen Werkzeugs und unterstrichen die Gefahr, die von einer solchen Handhabung ausging. Mit zwei weiteren Schritten die Stufen hinab, hatte sie sich zwischen die beiden gestellt und vorsichtig das Tier aufgenommen. Dann erst drehte sie sich um und blitzte den ihr Fremden wütend an. „Wie kannst du so etwas bloß dem armen Tier antun?“, Lillian war entrüstet. Mehr noch, sie hatte Artikulationsprobleme. Noch nie hatte sie eine solche Wut in sich gespürt, dass sie ihr Gegenüber am liebsten an die Gurgel gegangen wäre… und noch nie hatte sie so sehr nach den richtigen Worten für eben diese Person suchen müssen. Zu sehr war sie daran gewöhnt, in diplomatischem und vernünftigem Tonfall Streitigkeiten entgegenzutreten, dass sie sich nicht einmal daran erinnern konnte, jemals ernsthaft die Stimme erhoben oder gar jemanden beleidigt zu haben. Doch nun stand jemand vor ihr, der sie so abgrundtief abstieß, dass sie ihre natürliche Neugierde über die Beweggründe und das Wesen des Menschen vergaß. Noch ehe er hatte antworten können, hatte sie sich mit einem hilflosen „Schuft!“ auf dem Absatz umgedreht und eilte – die Arme schützend um die Eule haltend – die Treppen hoch. Dass der Bestohlene ihr ein lachendes „Das Spielzeug wirst du mir ersetzen! Nächstes Jahr gehörst du dann mir!“ hinterherrief, bekam sie kaum mehr mit. Damals hatte ihre Aufmerksamkeit ganz dem verletzten Tier gegolten, heute ruhte sie auf ihrem Gast. Er kannte sie nicht… zumindest hatte er sie die folgenden Monate nie weiter beachtet. Was tat er also hier? Er kannte sie… „Was willst du?“, endlich hatte sie den Mund aufbekommen. Nichts von ihrer eigentlichen Sanftheit war mehr in ihren Worten zu hören und auch keine Schwäche sprach aus Blick oder Stimme. Letzteres war besonders bezeichnend. Schließlich hatte sie bis eben noch mit 39°C Fieber im Bett des Krankenflügels gelegen. Ihr Gegenüber grinste nur noch breiter, ehe er meinte: „Wieso? Ich hab doch gesagt, dass ich dieses Jahr mit dir auf den Ball gehe. Also hole ich dich jetzt ab. Achja und hier: Ein kleines Ballgeschenk.“ Lillian blickte den Slytherin fassungslos an. Hin und hergerissen zwischen vollkommener Befremdung, wie er darauf kam, dass sie mit ihm und vor allem in ihrem Zustand fortging und einfacher Sprachlosigkeit. Ein leicht geöffneter Mund und entgeisterte Augen entsprachen ihrer Gefühlsregung nach außen, als sie die klaren Iriden des Franzosen trafen. Stille breitete sich aus; nur unterbrochen von dem Rascheln von Federn, als sich die kleine Blaumeise aus der Hand Firous erhob und aus dem geöffneten Fenster flatterte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)