Die Legende vom Mädchen vom Mond der Illusionen ( LMMI ) von LennStar ================================================================================ Diese Zyklus-FF ist meine Version davon, wie die Geschichte nach dem Escaflowne-anime weitergeht. Ein Ende ist bis jetzt nicht in Sicht. Diese Geschichte ist eine erneut überarbeitete Version des ursprünglich auf www.escaflowne.de erschienen Textes. Da es meine erste literarische Erfahrung war, sind einige Dinge etwas ungeschliffen. Ich habe den Text an sich nicht geändert, sondern nur zum leichteren Lesen ein paar Absätze eingefügt und den ein oder anderen Rechtschreibfehler noch korrigiert. Irgendwie findet man jedes Mal noch mindestens einen. Ich werde später auch noch Charakterbeschreibungen einfügen, wenn die entsprechenden Personen auftauchen. Gegenwärtige Geschichten des Zyklus: "Der letzte Wächter" - LMMI 1 (Legende vom Mädchen vom Mond der Illusionen) "Wenn Götter hassen" - LMMI 2 "Prüfungen" - LMMI 3 Prüfungen poste ich gerade auf www.escaflowne.de sowie im dazu gehörigen Forum. (Wo es auch noch eine Menge anderes von mir gibt) Ich werde es zeitlich so einrichten, dass ich hier bei "Prüfungen" etwa zeitgleich mit dem Forum am Ende bin. Die nachfolgende Geschichte kommt dann, sobald ich sie fertig habe, im selben Tempo wie im Forum. Wenn ihr Fragen habt, die über einen Kommentar/ENS hinausgehen: LennStar@freenet.de Nachtrag: Auf Grund der Probleme mit den FF-Codes, nehm ich die raus. Und nun liebe Leser, taucht ein in die atemberaubende Geschichte Escaflownes, und der "Legende vom Mädchen vom Mond der Illusionen"... Der letzte Wächter Es war jetzt sechs Wochen her, seit Hitomi zur Erde zurückkehrte. Auch wenn sie sich nach außen hin nicht verändert hatte, ihr Verhalten war deutlich anders. Zum Ärger ihrer Freunde weigerte sie sich, für sie die Tarot-Karten zu legen. Außerdem wirkte sie oft sehr abwesend und seit sie zurück war trainierte sie jeden Tag das Laufen, um sich abzulenken. Das schlimmste war aber, dass Hitomi mit niemandem über ihre Erlebnisse sprechen konnte. Sie hatte zwar mit Amano und Yukari über ihre Erlebnisse geredet, schließlich waren die zwei dabei als Hitomi mit Van und Escaflowne verschwand (Die kurze Rückkehr zum Zeitpunkt ihres Laufs war nur durch ihren Anhänger, verbunden mit dem Wunsch wieder auf der Erde zu sein entstanden und löste sich in Nichts auf, als Van sie wieder zurückholte), aber sie wussten nicht was sie mit der Story anfangen sollten. Sie glaubten, dass Hitomis Verhalten mit ihrer Trennung von Van zu tun hatte (was sie aber nie erzählt hat), und dabei konnten sie ihr nun wirklich nicht helfen. (Yukari zu Amano:" Ist doch klar, sie hat sich in den schwarzhaarigen Typen verknallt. Deshalb ist sie auch so komisch: eindeutiger Fall von Liebeskrank!) Hitomi saß also mal wieder abends an ihrem Schreibtisch über den Hausaufgaben und schaute verträumt vor sich hin < Van,Allen,Milerna,Dryden ..... Merle ... ich wüschte ich könnte zurück nach Gaia, ich vermisse euch so!> als sie plötzlich das Gefühl hatte, jemand rufe nach ihr- jemand von Gaia < Drachenmädchen, deine Aufgabe ist noch nicht beendet. Gaia braucht deine Hilfe und auch du bist in Gefahr!> erschreckt fuhr sie hoch, doch die Stimme war so plötzlich verstummt wie sie erschienen war und ließ nichts zurück außer Verwirrung und Angst. < Was hat das zu bedeuten? Warum bin ich in Gefahr und wer war diese Stimme?> fragte sich Hitomi, denn das es nicht die Stimme eines ihrer Freunde war, dessen war sie sich sicher. < Oh Van, ich wüschte du wärest hier und könntest es mir erklären> Doch nicht mal das Bild von Van erschien, so wie es schon oft passiert war, seit sie wieder auf der Erde war... "Hitomi! Essen!" rief ihre Mutter von unten. Hitomi erschrak "Ich bin gleich da" rief sie. Nach dem Essen setzte sie sich wieder an ihre Hausaufgaben aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Sie musste immerzu an diese Stimme denken, die ihr gesagt hatte, dass Gaia ihre Hilfe braucht und dass sie in Gefahr war. Mit einem Seufzer zog sie ihren Schlafanzug an (Sie hatte ihn am dritten Tag ihrer Rückkehr eher zufällig gesehen und sofort gekauft. Auf der Vorderseite prangte nämlich ein Engel der gerade steil nach unten flog um ein Mädchen aufzufangen, dass von einer Klippe gestürzt war- eine Szene die ihr sehr bekannt vorkam) und legte sich ins Bett. Sie merkte nicht wie ihre schweren Gedanken überraschend schnell in die Welt der Träume abglitten... Unter ihr lag eine zerklüftete Berglandschaft mit steilen Felswänden und hohen Gipfeln. Sie flog neben einem großen, grüngeschuppten Drachen auf mehrere schneebedeckte Gipfel zu und ihre Schatten sprangen von einem Felsen zum anderen. < Wie herrlich es ist so zu fliegen! Das muss ein Traum sein.> Hitomi und der Drachen flogen zwischen zwei Gipfeln hindurch und plötzlich lag ein Tal vor ihnen, das Hitomi irgendwie bekannt vorkam. "Das Tal der Wunder, meine Heimat" hörte sie plötzlich eine tiefe Stimme in ihrem Kopf, die sie erschreckt als die Stimme erkannte, die heute Abend zu ihr gesprochen und sie vor einer Gefahr für sie und Gaia gewarnt hatte. "A... Aber wer und wo" stotterte sie, bis sie die Erkenntnis durchzuckte und sie durch ein rasches Drehen um ein Haar abgestürzt wäre. "Vorsicht" lachte die Stimme "du bist das Fliegen nicht gewöht. Bleib ruhig und entspannt, und es geht von ganz allein." "Bist du es, ich meine der Drache, oder..." fragte sie verwirrt "Ja ich bin es, Akoth, der letzte der großen Norddrachen, Wächter des Tales der Wunder." Antwortete der Drache nicht ohne Stolz. "Wächter des Tals der Wunder?" echote Hitomi und wunderte sich warum sie keine Angst hatte. "Der Wächter des Tals der Wunder." Bekräftigte der Drache noch einmal. "Und wenn kein Wunder geschieht auch der letzte." fügte er nach einer kurzen Pause traurig hinzu. "Wieso der letzte?" fragte Hitomi. "Das ist eine lange Geschichte." antwortete der Drache "Du bist hier um einen Teil der Geschichte zu erfahren, zumindest den der wichtig für dich ist. Schau nach unten!" forderte er Hitomi auf . Hitomi blickte nach unten und sah überrascht, dass sich das Tal verändert hatte. Statt einer öden Hochebene wo fast nichts außer Gras wuchs, lag eine prächtige kleine Stadt vor ihr, die sich eng an einen Fluss schmiegte. Auf einer Insel in der Mitte des Flusses lag ein merkwürdig dunkles, rundes Gebäude, das keine sichtbaren Öffnungen besaß. "Das ist das Torhaus" hörte sie die Stimme des Drachen in ihrem Kopf. "Aber wieso Torhaus?" wunderte sich Hitomi "Ich sehe nicht mal ein Fenster, geschweige denn ein Tor!" Sie hörte, nein spürte den Drachen lautlos lachen. "Der Name bezieht sich nicht auf das Äußere des Gebäudes sondern auf sein Inneres." Hitomi wurde rot und stotterte "Entschuldige, das- das wusste ich nicht, ich meine, wenn man es weis ist es klar, aber..." Wieder lachte der Drache "Schon gut, ich wollte nicht, dass du dir dumm vorkommst" "Aber ich muss zugeben, es tut gut mal mit jemandem zu reden der nicht so tut als ob er alles weiß. Da wir gerade beim Thema sind: Du brauchst nur zu denken, ich verstehe dich auch dann. Da wir Drachen keine Laute bilden können die die Menschen verstehen, verständigen wir uns telepathisch mit ihnen. Aber wenn es dir lieber ist zu reden dann tu das ruhig. Die meisten tun das. Wir landen jetzt neben dem Torhaus!" Hitomi war noch leicht verwirrt und fragte ihn "Die meisten? Wen meinst du?" Aber der Drache setzte schon zur Landung an. Hitomi wollte es ihm gleichtun, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie so etwas ja noch nie getan hatte. Leicht panisch rief sie dem Drachen zu "Ich weiß doch gar nicht, wie das geht!" Akoth lachte nur und meinte " Es ist ganz leicht! Einfach nur im richtigen Moment aufrichten und stehen bleiben." Mit steigender Angst rief sie " Und woher weiß ich wann der richtige Moment ist?" denn sie befand sich bereits im Sinkflug und sie wusste nicht, wie sie wieder auf einen horizontalen Flug kommen sollte (geschweige denn, zu landen) Aber der Drache lachte wieder einmal nur und meinte "Du hast doch gesehen wie Van es macht, also stell dir vor du wärst er und machs genauso. Außerdem kann dir nichts passieren, das ist schließlich nur ein Traum" Ganz und gar nicht überzeugt, weder von der Landemethode noch der letzten Aussage tat Hitomi trotzdem, was der Drache ihr gesagt hatte und stellte sich Van vor wie er landete dachte sie dabei nicht zum ersten Mal und ehe sie sichs versah war sie auch schon gelandet. Vor ihr stand der Drache und hinter ihm das Torhaus, das vom Boden aus zum Glück nur noch halb so düster und bedrohlich aussah wie aus der Luft. Sie hörte ein leises, kratzendes Geräusch wie von zwei Steinplatten, die übereinander schleifen und mit feierlicher Stimme verkündete der Drache "Und nun tritt ein Hitomi Kanzaki, Mädchen vom Mond der Illusionen, Hüterin des Drachensteines und nun bald Eingeweite in das größte Geheimnis des Drachengottvolkes." Derweil in Fanelia: "Hier rüber mit den Steinen!" "Nein,nein! Ihr müsst die Seile doppelt nehmen, sonst reißen sie!" Merle schaute sich mit großen Augen um "Meine Güte ist das hier ein Gedränge. HE! Pass doch auf!" Van schaute auf die wütende Merle hinab. "Pass lieber selber auf. Du springst durch die Gegend ohne Rücksicht zu nehmen." "Miau." Merle scharte mit ihrem Fuss auf dem Boden. "Ich wollte dich doch nur aufmuntern. Du bist schon den ganzen Tag so bedrückt. Was ist los?" "Ach Merle, ich weiß auch nicht genau was los ist. Ich glaube es liegt an diesem Traum heute Nacht." "Was für ein Traum?" Sie bogen in eine ruhigere Seitengasse ab. "Ich weiß es nicht mehr. Das ist es ja was mir so Sorgen macht. Ich kann mich an nichts erinnern. Ich habe nur das Gefühl, dass Gaia erneut in Gefahr ist" fügte er in Gedanken hinzu, hütete sich aber das Merle zu sagen. "Ach was. Du bist es nur gewöhnt zu kämpfen und jetzt wo Frieden ist wartest du darauf, dass jeden Moment ein Zaibacher Guymelef auftaucht und dich angreift." Van seufzte. "Wahrscheinlich hast du Recht. Wir sollten langsam zum Schloss zurück gehen, die Verhandlungen geht bald weiter." "Ach diese blöden Verhandlungen können mir gestohlen bleiben. Und was heißt hier überhaupt Schloss? Es ist immer noch ein Trümmerhaufen und AUA! VERDAMMT!" rief Merle, die über einen Stein gestolpert war. Van konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen "Du musst ja nicht mitkommen. Es wird sowieso noch eine Weile dauern bis eine Einigung erziehlt ist." "Warum eigentlich dieses ganze Hin und Her mit den Verträgen? Die Zaibacher sind besiegt. Wozu also eine Allianz? Noch dazu mit den Zaibachern zusammen. Das ist doch verrückt!" "Aber Merle. Es mag ja stimmen, dass die Bewohner von Zaibach keine Bedrohung mehr sind aber es gibt da auch noch die Rebellen. Erst gestern kam ein Bote aus Freid. Selbst dort treiben sie ihr Unwesen und versuchen das Zaibacher Reich wiederauferstehen zu lassen." "So etwas wie Kaiser Dornkirk darf es nie wieder geben!" fügte er mit einem grimmigen Gesichtsausdruck hinzu. Hitomi trat zögernd durch die Tür und der Drache stampfte hinter ihr her. Es dauerte eine Weile bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Als sie wieder etwas sehen konnte, blieb ihr vor Staunen der Mund offen stehen, denn sie sah ... nichts! "Aber...was soll das? Jetzt versteh ich gar nichts mehr! Wo soll denn hier ein Geheimnis sein? Oder ist das Geheimnis, dass es gar keins gibt?" Das Lachen das daraufhin folgte schien die Halle zum einstürzen zu bringen. Hitomi hielt sich die Ohren zu, aber da der Drache telepathisch zu ihr sprach, nützte das rein gar nichts. < Ich mag ja lustige Leute, aber müssen die immer so laut sein?> dachte sie, was das Gelächter nur steigerte, denn der Drache las ja ihre Gedanken. Schließlich rief sie verzweifelt "Hör endlich auf zu lachen, das hält ja kein normaler Mensch aus!" Prustend beruhigte sich der Drache. "Entschuldige, aber das war einfach zu komisch. In diesem Raum ist durchaus etwas, aber von da wo du bist kannst du es nicht erkennen. Geh ein paar Schritte nach vorne und du wirst es sehen." Hitomi tat was der Drache gesagt hatte und ging zur Mitte des Raumes. Plötzlich begann vor ihr der Boden zu leuchten. Direkt vor ihr entstand in der Mitte des Raumes ein ungefähr 3 Meter großes Muster das in wunderschönen Blau- und Grüntönen gehalten war. Doch das war noch nicht alles. Langsam begannen auch an den Wänden Muster wie aus Bernstein zu glühen. Hitomi staunte "Unglaublich! Und wunderschön. Was ist das?" fragte sie an den Drachen gewand. "Der Kreis in der Mitte markiert das Tor und an den Wänden ist die Geschichte von Atlantis niedergeschrieben, von den Anfängen über die Erschaffung von Gaia bis zum Untergang des Reiches der Träume." "Aber Van! Ich kann doch auch nichts dafür, ich bin doch nur der Bote." rief Allen Van nach, der wütend aus dem Raum stürmte und lief ihm nach. "Das weiß ich auch" sagte Van, blieb stehen und drehte sich zu Allen um. "Trotzdem bin ich wütend. Diese Forderung ist doch ein Witz. Wie soll ich anderen beim Wiederaufbau helfen, wenn Fanelia selbst noch in Trümmern liegt. Die Menschen leben meist immer noch in einfachen Zelten oder halbzerstörten Häusern und der Palast selbst ist bis auf diesen Flügel auch vollkommen zerstört. Es ist überhaupt ein Wunder, dass der Brand den die Zaibacher verursacht haben irgendetwas stehen gelassen hat." Allen legte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter und sah ihm in die Augen "Ich werde mit Dryden und Milerna reden bevor ich nach Delos zurückfliege. Schließlich sind auch sie um Hilfe gebeten worden. Vielleicht fällt ihnen etwas ein um deinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen." Van holte tief Luft, schaute kurz in die Ferne und sah Allen dann wieder an "Danke. Und entschuldige, dass ich dich so schlecht behandelt habe. Mir schwirren einfach zu viele Probleme durch den Kopf." < und seit Hitomi weg ist...> "Schon vergessen" riss ihn Allen aus seinen Gedanken. "Du sorgst dich um dein Volk. Das kann ich sehr gut verstehen." "Bleibst du noch hier oder fliegst du gleich weiter nach Asturia?" fragte Van den Ritter "Ich muss gleich wieder los. Wir haben nur angehalten um dir die Nachricht zu überbringen. Ich wollte nicht das ein normaler Bote sie dir überbringt." Allen grinste "Ich kann mich nämlich wehren wenn ein wütender König mir den Kopf abschlagen will, der Bote vielleicht nicht!" Van lachte "Dass du mal Witze machst! Es gibt also doch noch Wunder." Allen sagte verlegen "Naja, ich dachte es wäre gut für dich mal wieder zu lachen." "Danke Allen. Weißt du was, ich begleite dich noch zum Crusador, dann hab ich wenigstens für ein paar Minuten Ruhe." Als sie aus der vom großen Feuer immer noch geschwärzten Tür traten, entdeckte Allen dunkle Wolken am Horizont. "Da zieht ein Unwetter auf. Ich sollte mich beeilen, es ist kein Vergnügen durch einen Sturm zu fliegen." "Dann wird's wohl nichts aus unserem kleinen Spaziergang. Ich muss mich darum kümmern, dass alles gesichert wird, das wegfliegen kann. Grüß Milerna und Dryden von mir." Mit diesen Worten rannte Van los. Allen strich die Haare zur Seite, die ihm ein plötzlicher Wind ins Gesicht geblasen hatte. "Die Geschichte von Atlantis?" fragte Hitomi. "Ja. Diese Halle wurde vom Drachengottvolk gebaut." "Dem Volk dem Vans Mutter angehört hat?" fragte Hitomi und ging auf die Inschriften an den Wänden zu, die jetzt weniger grell leuchteten.Sie strich sanft mit ihrer Hand darüber. "Das Drachengottvolk hat das gebaut?" Der Drache schnaufte. "Ja und nein. Doch bevor ich dir antworte ... warum hast du keine Angst vor mir?" "Angst?" fragte sie verwirrt und drehte sich wieder zu Akoth um. "Alle Drachen die dir bis jetzt begegnet sind versuchten dich umzubringen. Trotzdem fürchtest du dich nicht, nicht mal in deinen Gedanken" Hitomi zögerte "Na ja. Es stimmt, dass die Drachen mich angegriffen haben, aber nur weil sie selbst von Menschen angegriffen wurden. Als ich mit Van nach Fanelia geflogen war um seinen Bruder Folken zu treffen, sind wir auch Drachen begegnet. Erst hat Van gegen sie gekämpft, aber als Folken ihn überzeugt hat das Schwert wegzulegen und nicht mehr an Kampf zu denken, haben die Drachen auch aufgehört ihn anzugreifen. Wenn die Drachen also nicht aggressiv sind, warum sollte ich mich vor dir fürchten? Außerdem spüre ich, dass du nichts Böses in dir hast." Akoth kam näher, beugte sich zu ihr runter und schaute ihr tief in die Augen, sein Maul nur wenige Zentimeter von Hitomis Nasenspitze entfernt. Sie fühlte sich mulmig dabei. Sie hatte keine Angst, es war eher die Nähe dieses imposanten Wesens, die ihr zu schaffen machte. Schließlich trat der Drache wieder einen Schritt zurück und richtete sich auf. "Du bist wirklich ein erstaunliches Mädchen. Jetzt kann ich verstehen warum er so beeindruckt von dir war." "Wen meinst du?" fragte Hitomi "Später. Jetzt beantworte ich dir erst deine Frage." "Meine Frage?" "Nach den Erbauern des Torhauses!" "Ach so, das hatte ich ganz vergessen. Aber hattest du nicht gesagt, dass es das Drachengottvolk war?" "Das ist nur teilweise richtig. Was weißt du über die Herkunft des Drachengottvolkes?" "Ihre Herkunft? Nun äh... Dornkirk hat gesagt, dass das Volk von Atlantis eine Welt schaffen wollte, auf der jeder glücklich ist. So entstand Gaia. Und dann ließen sie sich Flügel wachsen und wurden zum Drachengottvolk." Der Drache ließ ein zustimmendes Schnaufen hören. "Das ist richtig. Allerdings hat er dir etwas wichtiges nicht gesagt. Er wusste es warscheinlich selbst nicht. Bevor die Atlanter sich selbst vernichteten, weil sie glaubten das Schicksal bestimmen zu können, reisten sie zwischen Gaia und der Erde hin und her. Dazu benutzten sie Tore, die die Schicksalsmaschine für sie geschaffen hatte. Es gab insgesamt zwölf dieser Tore. Auf der Erde endeten sie alle bis auf eines auf einem großen Platz im Herzen von Atlantis, aber hier auf Gaia hatten sie verschiedene Endpunkte. An jedem dieser Endpunkte entstand ein solches Torhaus, gebaut von der Kraft der Atlantis- Maschine, jedes einzelne genauso wie das, in dem wir jetzt stehen. Kontrolliert wurden die Tore durch Anhänger, die die zwölf Wächter trugen. Diese Wächter entstammten einer Untergruppe des Drachengottvolks, es waren Wesen mit besonders großen mentalen Kräften. Diese waren nötig, um die Tore zu steuern. Als Atlantis zerstört wurde, wurden auch die elf Tore zerstört. Da niemand mehr eine Möglichkeit hatte, sie zu kontrollieren verbanden sich diese elf Tore zu einem einzigen. Ihre gesammelte Energie führte dazu, dass das eine vereinte Tor bis heute existiert." Hitomi war tief beieindruckt von der Geschichte des Drachen. Er hatte langsam und mit bewegter Stimme gesprochen und sie hatte das Gefühl selbst dabei gewesen zu sein. < Dieser riesige Drache ist der perfekte Geschichtenerzähler.> "Danke für das Kompliment." Hitomi erschrak, sie hatte ganz vergessen, dass der Drache ja ihre Gedanken lesen konnte! Auf einmal durchzuckte sie ein Gedanke, es war als ob ihr jetzt erst bewußt wurde, was sie bereits während der Erzählung des Drachen erkannt hatte. "Sag mal, diese Anhänger von denen du erzählt hast, die um die Tore zu kontrollieren ..." "Ich weiß was du fragen willst. Ja, es war einer dieser Anhänger, der dich nach Gaia gebracht hat. Der Stein wusste, dass du eines Tages eine entscheidende Rolle für Gaia spielen würdest. Und um zu dir zu gelangen hat er deine Großmutter damals nach Gaia gebracht, wo Ritter Allens Vater ihr den Anhänger gab." Hitomi wurde schwindelig und sie musste sich setzen. "Soll das heißen, dass Allens Vater seine Familie nur verlassen hat, damit er meiner Großmutter den Anhänger schenken konnte? Wenn das Allen erfährt! Er würde mir niemals verzeihen, dass wegen mir seine Familie zerbrochen ist!" "Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin mir sicher, er weiß dass du nichts dafür kannst. Außerdem kann der Anhänger niemandem seinen Willen aufzwingen. Er kann höchstens etwas beeinflussen, was sich eine Person wünscht, schließlich stammt seine Macht von der Maschine der Atlanter." "Trotzdem fühle ich mich irgendwie schuldig. Aber was ist eigentlich mit dem letzten Tor? Es wurde doch nicht zerstört, oder?" "Nein, aber ohne Atlantis hat es einen Großteil seiner Kraft verloren. Aber auch mit einem Bruchteil dieser Kraft ist sein Wächter noch sehr mächtig. Aber auch er kann nicht alles. Das ist der Grund warum du hier bist. Du sollst ihm helfen Gaia vor einer neuen Gefahr zu retten." Plötzlich hörte Hitomi einen großen Krach und der Drache und das Torhaus begannen sich vor ihren Augen in nichts aufzulösen. "Halt! Warte doch! Welche Gefahr meinst du?" Doch es hatte keinen Zweck. Sie hörte nur noch dieses wahnsinnig laute Geräusch, dass von überall her zu kommen schien. dachte Hitomi erschrocken, und fuhr in ihrem Bett hoch. Der Krach kam von ihrem Wecker, der sie wie jedem Schultag pünktlich halb sieben geweckt hatte. Hitomi atmete schwer und ihr Puls schien bei 180 zu sein, darum holte sie tief Luft. Auf einmal bekam sie eine Riesenwut, stand auf, griff nach dem Wecker, schleuderte ihn gegen die Wand und schrie "Verdammtes Mistding! Wie kannst du es wagen mich ausgerechnet jetzt zu wecken!" Wutschnaubend stand sie in ihrem Zimmer, und von unten hörte sie ihre Mutter rufen "Hitomi? Ist alles in Ordnung? Ist dir was passiert?" "Nein" antwortete sie "mir geht's gut, alles in Ordnung." < Aber mir geht's nicht gut, und es ist überhaupt nichts in Ordnung!> Mit diesem Gedanken hob sie den Wecker, schon viel ruhiger geworden, wieder auf. Schließlich konnte er nichts dafür, dass es Zeit zum Aufstehen war. < Der hält ganz schön was aus, nicht ein Kratzer, und funktionieren tut er auch noch> Sie stellte ihn wieder an seinen Platz, zog sich an und ging hinunter um zu frühstücken. Die ganze Zeit fragte sie sich, von was für einer Gefahr der Drache wohl gesprochen hatte. Während sie das dachte, lag der König von Fanelia in seinem Bett. Totmüde durch den Kampf gegen den Sturm hatte er sich auf das Bett geschmissen, aber statt sofort einzuschlafen warf er sich immer nur hin und her, getrieben von dem Gefühl einer drohenden Gefahr. Noch im Halbschlaf galten seine Gedanken dem Mädchen das er liebte, mehr liebte als alles andere, wie ihm in den letzten Wochen immer schmerzhafter klargeworden war, und noch im tiefsten Schlaf galten seine Träume nur einem einzigen Menschen. Der letzte Wächter Teil 2 "He Hitomi! Warte auf mich!" "Nanu, Yukari, seit wann bist du denn so früh schon unterwegs?" fragte Hitomi ihre Freundin, die über die Straße gerannt kam. "Ich hab ne tolle Nachricht. Dreimal darfst du raten was." sagte Yukari noch ganz außer Atem, die Hände auf den Knien abgestützt. "Das muss ja eine unglaubliche Nachricht sein, wenn du extra so früh aufstehst um sie mir zu sagen. Aber ich hab wirklich keine Ahnung was das sein könnte, also spann mich nicht länger auf die Folter und sag's mir!" Die Sonne dicht über dem Horizont blendete Hitomi und sie blinzelte. < Es ist ein wunderschöner Morgen> dachte sie < wirklich ideal zum laufen.> Die Luft war klar und es war noch relativ ruhig. Die Vögel zwitscherten und die Sonne spiegelte sich in den kleinen Pfützen, die der Nachtregen hinterlassen hatte. "Also gut. Wenn du unbedingt willst." Yukari grinste "Amano kommt heute nach Hause!" "WAS? AMANO? Aber ich dachte, der ist noch mindestens 3 Wochen in Europa!" rief die verblüffte Hitomi "Schrei doch nicht so! Du weckst ja die ganze Straße auf. Amano hat mich gestern spät abends angerufen als ich schon schlief, noch vom Flughafen aus. Es war eine sehr plötzliche Entscheidung. Wegen einer Überschwemmung sind zwei Wettkämpfe ausgefallen. Amano hat kurzerhand einen Flug gebucht um nach Hause zu kommen. Und das am letzten Tag vor den Ferien! Perfecktes Timing! Er wollte dich eigentlich auch noch anrufen, aber als ich ihm sagte, dass es bei uns nach Mitternacht ist wollte er dich nicht nicht wecken. Ich hab ihm versprochen, es dir so früh wie möglich zu sagen. Und da ich weiß, dass du immer sehr früh aufstehst, um zu trainieren dachte ich mir: Yukari, gleich morgen früh passt du Hitomi auf dem Schulweg ab." Yukari richtete sich überraschend wieder auf und ging in Richtung Schule, Hitomi mit einem Satz hinterher "He! Lass mich hier nicht einfach so stehen!" "Tja." Meinte Yukari. "Erwischt hab ich dich. Und da ich jetzt sowieso schon mal hier bin kannst du mir ja zeigen was du in dieser Herrgottsfrühe immer so machst. Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du die ganzen eineinhalb Stunden bis zum Unterrichtsbeginn trainierst?" Hitomi antwortete verlegen. "Doch, natürlich, was denn sonst?" Yukari, die ihre Freundin ganz genau kannte wurde wütend und stellte sich vor sie. "Sag mal, was denkst du dir eigentlich? Das soll ich dir glauben? Du warst noch nie eine gute Lügnerin!" "Yukari, ich..." wand sich Hitomi, aber Yukari ließ sie nicht ausreden. "Entweder du spuckst es jetzt aus, oder ich nerv dich den ganzen Tag, bis du es mir gesagt hast!" Mit einem Seufzer drehte sich Hitomi zur Seite und blickte auf das Meer, das zwischen zwei Häusern durchschien. < Wie schön es glitzert.> "Hitomi? Bist du noch da?" fragte Yukari leicht besorgt. Hitomi schreckte hoch. "Entschuldige. Ich war in Gedanken. Weißt du, ich liebe es, so früh unterwegs zu sein. Es ist alles so ruhig und friedlich, besonders auf dem Sportplatz. Die Leute können ohne Angst in ihren Häusern schlafen und niemand muss ans kämpfen denken." Hitomis Stimme war zum Schluss immer leiser geworden, aber Yukari hatte trotzdem alles verstanden. < Dieses Gaia hat sie wirklich stark verändert. Früher war sie immer so unbekümmert, und jetzt...> Schweigend gingen sie die Straße entlang zur Schule, beide in ihren Gedanken versunken. Doch sie waren nicht die einzigen, die sich Sorgen machten. Weit von ihnen entfernt in einem Tal in den Bergen Gaias: "Es wird immer schlimmer." sagte sie "Ich kann das Böse jetzt schon hier auf der Insel spüren." "Bist du dir wirklich sicher? Wir haben keine Anzeichen gefunden, weder in der Umgebung noch weiter weg." "Und was ist mit den Banditen? Du hast gesagt, es werden immer mehr." "Das stimmt schon, aber es gibt bis jetzt keine Anzeichen für eine reguläre Armee." Er schaute auf die Sterne, die am Himel funkelten. "Außerdem haben wir andere Probleme..." Er wurde von einer dritten, kindlichen Stimme unterbrochen. "Und was ist, wenn es nur ein Problem ist? Wenn das eine mit dem anderen zusammenhängt?" Er drehte sich zu der dritten Stimme um und meinte nachdenklich "Dann haben wir ein verdammt großes Problem." "Du hast Recht." Meinte Yukari "Es ist wirklich sehr schön hier. Das ist mir vorher nie aufgefallen, dabei gehe ich schon eine kleine Ewigkeit auf diese Schule." "Es ist auch nur so schön, solange keiner da ist." antwortete Hitomi, die ihre Sportsachen angezogen hatte. "Sobald die ersten Schüler auftauchen ist es mit der Ruhe vorbei. Darum höre ich auch immer nach einer Stunde auf. Tust du mir einen Gefallen?" "Was denn?" Hitomi drückte Yukari eine Stoppuhr in die Hand "Die Zeit stoppen natürlich, was denn sonst? 400 Meter! Ich bin gespannt, wieviel das Training gebracht hat." Yukari sah ihr zu, wie sie ein paar Erwärmungsübungen machte. "Seit wann läufst du denn auch längere Strecken?" "Erst seit ein paar Wochen"< genauer gesagt, seitdem ich auf Gaia immerzu weglaufen musste.> Während Hitomi sich warm machte, versank Yukari in ihren Gedanken. < Das letzte Mal hat Amano ihre Zeit mit dem Pendel gemessen und sie ist verschwunden. Ach Amano, Hitomi ist nicht die einzige mit Liebeskummer. Warum habe ich dir nie gesagt was ich für dich empfinde? Aber es geht nicht, deine Karriere ist wichtiger als alles andere. Wer weiß, ob er mich überhaupt mag.> "HE! YUKARI! Schläfst du im Stehen oder was?" Yukari zuckte zusammen "Entschuldige, ich hab über was nachgedacht. Bist du bereit?" "Na klar doch." "Dann also auf die Plätze, fertig, los!" Hitomi lief los. < Was für ein Start!> dachte Yukari < Und wie schnell sie ist! Sie fliegt geradezu über die Laufbahn> Hitomi war kurz vor dem Ziel. < Die letzten Meter. Schneller Hitomi!> "Und durch!" Yukari blickte auf die Stoppuhr und konnte es nicht fassen. < Das gibt's doch nicht. Unglaublich> Sie war so erstaunt, dass sie nicht merkte wie Hitomi vor sie getreten war. "Was... was ist ... los?" keuchte sie, auf eine kleine Mauer abgestützt. "War ich ... so schlecht?" "Schlecht?" Yukari hätte es beinahe umgehauen "Du machst wohl Witze! Du hast den Schulrekord um fast zwei Sekunden unterboten!" "Ist nicht wahr! Du schwindelst!" "Hier, schau selbst auf die Uhr." Sie gab Hitomi die Stoppuhr. Diese war fassungslos. "Das glaub ich nicht, du musst dich verdrückt haben!" "Also, ich glaube ihr." hörten die beiden eine Stimme hinter sich, fuhren herum und sagten wie aus einem Mund: "Amano? AMANO!" Sie hatten nicht bemerkt wie Amano hinter ihnen die Treppe hinabgegangen war. Nun fiel ihm Yukari in die Arme "Amano, da bist du ja!" Yukari ließ ihn wieder los und nun umarmte er auch Hitomi "Ein großartiger Lauf. Du wirst mich eines Tages nochmal überholen." Hitomi wurde rot und trat einen Schritt zurück. "Erzähl nicht so einen Unsinn. Dazu bist du viel zu gut. Aber ich bin froh, dass du da bist. Yukari hat mir von deinem Anruf erzählt. Tut mir leid, dass die Wettkämpfe ausfallen." "Macht doch nichts, dafür kann ich jetzt die ganzen Ferien zu Hause mit euch verbringen." Yukari grinste "Na dann mach dich mal auf was gefasst. Du wirst garantiert von einer Party zur nächsten geschleppt werden: Seht her, das ist der berühmte Läufer Amano, der Star unserer Schule!" Die drei lachten und Amano meinte "Ganz so schlimm wird es hoffentlich nicht." "Abwarten!" sagte Yukari "Aber jetzt erzähl erst mal wie es dir in den letzten vier Wochen so ergangen ist." Die drei setzten sich und Amano begann zu erzählen. "Und du bist sicher, dass es Zaibacher sind?" fragte er den Boten "Ja, es gibt keinen Zweifel, es sei denn, sie vermieten neuerdings ihre Guymelefs." Er grinste. "Das glaube ich auch nicht." Sie fragte "Und was machen wir jetzt? Wenn es Zaibacher sind, dürfte ihr Ziel Fanelia und sein König sein. Wir müssen sie warnen!" Er nickte "Du hast recht, aber wie? Wir können ja schlecht hingehen und sagen: Hallo König, wir sind ein paar Freunde und wollten dich nur davor warnen, dass ein Haufen Zaibacher wahrscheinlich gerade dabei ist, einen Angriff auf dich vorzubereiten. Was meint ihr, was er dann wohl sagt? Davon abgesehen habe ich keine Lust stundenlang verhört und vielleicht noch eingesperrt zu werden." Der Bote tippte sein Glas an und ein dumpfer Ton erfüllte die Stille, die diesen Worten folgte. Schließlich sagte der Bote "Wie wäre es, wenn wir ihm die Nachricht anonym zustellen?" Er runzelte die Stirn "Wie meinst du das?" "Ganz einfach. Ich lege ein Blatt auf sein Bett auf dem steht: Hallo König, wir sind ein paar Freunde und wollten dich nur davor warnen, dass ein Haufen Zaibacher gerade dabei ist, einen Angriff vorzubereiten, und die Sache ist erledigt. Keine Fragen, kein Kerker und trotzdem eine Warnung. Außerdem dürfte das wegen des Überraschungseffektes wirksamer sein als ein persönlicher Besuch." Er blickte sie an "Klingt gut. Was hältst du davon?" Sie überlegte kurz und meinte dann "Mir fällt jedenfalls nichts besseres ein. Ich glaube, wir sollten es so machen." "Gut, dann ist es also beschlossen." Er wandte sich wieder dem Boten zu. "Du kümmerst dich um die Nachricht und wir bereiten alles andere vor. Viel Glück! Wir können's gebrauchen." "... Und dann hab ich beschlossen nach Hause zu fliegen" beendete Amano seine Erzählung. "Echt toll was du erreicht hast!" sagte Yukari und Hitomi stimmte zu "Du kannst wirklich stolz sein. Ich wünschte ich wäre auch so gut." "Na hör mal." wurde sie von ihrer Freundin unterbrochen. "Du hast gerade den Schulrekord unterboten! Mach dich nicht kleiner als du bist!" "Sie hat recht." Stimmte Amano zu. Er wollte noch mehr sagen, aber von hinten hörte er plötzlich seinen Namen "Amano? Bist du das wirklich?" Amano stand auf und drehte sich zu der Stimme um. "Hajiri, Tenko! Hallo ihr zwei! Ja ich bin's wirklich. Schön euch zu sehen!" "Das ist aber eine Überraschung." Hajiri blickte Yukari an "Oder ist es gar keine Überraschung? Das ist das erste Mal, dass wir Yukari so früh in der Schule sehen. Hitomi ist ja fast jeden Tag die erste, aber Yukari? Du würdest doch nie im Leben ohne Grund so früh aufstehen, oder?" Amano grinste "Du solltest Detektiv werden. Ich hab mich erst gestern entschieden, hierher zu fliegen. Ich hab zuerst Yukari angerufen, da sie die erste Telefonnummer auf meiner Liste war. Eigentlich wollte ich alle anrufen, aber als Yukari mich freundlich darauf aufmerksam machte, dass es hier Nacht war, hab ich mich entschlossen euch nicht auch noch aufzuwecken und euch heute früh zu überraschen." Yukari fing an zu kichern. "Freundlich darauf aufmerksam gemacht! So kann man's auch ausdrücken. Ich hab ihn angegrölt, was ihm einfällt das ganze Haus wach zu klingeln!" Alle mussten lachen. Dann sah Hajiri Amano nachdenklich an "Sag mal, seit wann ist denn Yukari's Nummer bei dir die erste? Ich dachte das bin ich!" Yukari blickte Amano überrascht an < Hat er mich etwa absichtlich als erste angerufen?> doch dieser lächelte nur nichtssagend und antwortete "Da hast du dich halt geirrt. Wahrscheinlich bist du bei mir nur abgerutscht weil du zu viele Fragen stellst." Wieder lachten alle. Plötzlich merkte Hitomi, die bis jetzt ohne ein Wort zu sagen dagestanden hatte, dass sie fror. "Huh, ist mir kalt. Sportsachen sind zum sitzen einfach zu kalt. Ich zieh mich um, es ist sowieso schon spät, der Unterricht fängt in 15 Minuten an." Yukari schaute überrascht auf die Schuluhr "Tatsächlich, ich hab gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergeht. Warte Hitomi, ich komme mit!" sagte sie und lief Hitomi hinterher "Und ihr wartet hier auf uns!" rief sie den Jungs noch zu. Amano verbrachte den Tag in seiner Klasse, was alle sehr freute, doch er dachte nicht an den Unterricht. Der Grund warum er wirklich nach Hause gekommen war ging ihm nicht aus dem Kopf. < Warum denke ich überhaupt noch darüber nach? Ich habe mich doch entschieden.> Als der Tag um war bat er die verwunderte Yukari, auf dem Sportplatz auf ihn zu warten. Er verabschiedete sich von seinen Freunden mit der Begründung noch etwas wichtiges erledigen zu müssen, und versprach auf die Party zu seinen Ehren zu kommen. < Yukari hatte Recht, sie wollen wirklich eine Party nach der anderen machen.> Hitomi wollte nach Hause gehen, doch als Yukari sie bat alleine zu gehen wurde sie neugierig. Als sie sah, dass Yukari zum Sportplatz ging folgte sie ihr. Yukari stand da und wartete anscheinend auf jemanden. Hitomi wollte sie schon fragen auf wen, da sah sie Amano, der ziemlich unsicher auf Yukari zuging. < Hat sie auf ihn gewartet? Anscheinend ja, sie steht auf. Was wird das denn?> Sie versteckte sich hinter einer Gebäudeecke. "Danke dass du auf mich gewartet hast." Yukari lächelte ihn an und strich sich das Haar aus dem Gesicht. "War doch selbstverständlich. Aber jetzt sag mir mal was du eigentlich willst" Amano holte tief Luft < Also los> "Yukari, ich muss dir etwas sagen. Es geht um ... um meine Reisen ins Ausland." Yukari war verwirrt < Muss er doch schon wieder weg oder was ist los. Er benimmt sich so eigenartig> "Yukari, was ich dir eigentlich sagen will ist ich ...< Na los!> Ich liebe dich!" Hitomi hätte vor Überraschung beinahe aufgeschriehen. Nur mit Mühe konnte sie sich unter Kontrolle halten. < Und das sagt er ihr einfach so, als ob es irgendetwas Belangloses wäre. Ich fass es nicht. Wie wohl Yukari reagiert? Sie ist ja schließlich auch in ihn verliebt> Yukari stand regungslos da und konnte es nicht fassen. Ihr Herz raste, genauso wie ihre Gedanken. < Yukari ich liebe dich! Hat er das wirklich gesagt oder träume ich nur? Warum sagt er mir das jetzt? Und weiß er überhaupt was das bedeutet? Er muss doch bald wieder weg, vielleicht für Monate!> Amano hatte sie die ganze Zeit beobachtet, und begann nun sich Sorgen zu machen. "Yukari? Alles in Ordnung? Ich wollte nicht..." "Schon gut. Es kommt nur sehr überraschend." Sie lächelte zaghaft. "Weißt du überhaupt was du da sagst? Ich meine deine Karriere und so..." Amano dachte traurig < Es wäre auch zu schön gewesen. Dabei hat sie Recht. Selbst wenn sie mich auch lieben würde, meine Karriere als Sportler verhindert jede Beziehung> Er unterbrach sie "Schon gut. Ich wollte dir nicht zu nahe zu nahe treten. Ich fand nur, dass du es wissen solltest." Damit drehte er sich langsam um. "Ja, danke dass du es mir gesagt hast" flüsterte Yukari und sah ihm traurig nach. Da hielt es Hitomi nicht mehr aus, trat aus ihrem Versteck, lief auf die beiden zu und schrie ihre Freundin an "Wo gibt's denn sowas! Bist du jetzt vollkommen durchgedreht oder was?" "Hitomi!" riefen Amano und Yukari gleichzeitig. "Hast du uns etwa belauscht?" "Ja, hab ich. Und du solltest mir dankbar sein! Dich muss man ja vor dir selbst beschützen! Lässt ihn einfach so gehen!" Yukari sah bestürzt auf ihre Freundin "Aber Hitomi..." Doch Hitomi war so in Fahrt, dass nichts und niemand sie hätte aufhalten können. "Nichts Hitomi! Es geht um dich! Warum sagst du ihm nicht, dass du ihn auch liebst? Was ist los mit dir? Willst du dein Leben lang unglücklich sein?" Amano starrte sie an "Ist das wahr?" Er fasste Yukari an den Schultern "Stimmt das was Hitomi gesagt hat? Antworte mir Yukari!" und sein Gesichtsausdruck war so verzweifelt, dass es Yukari nicht mehr aushielt und vor ihm zusammenbrach. "Ja es stimmt. Ich liebe dich schon lange. Ich habe mich nie getraut es dir zu sagen." Die Tränen liefen über ihr Gesicht. Amano kniete sich hin und umarmte sie. Nach einer Weile ließ ihr Schluchzen nach und sie stand wieder auf. Mit verzertem Lächeln wandte sie sich an Hitomi. "Danke. Du hast ja Recht. Es war dumm von mir." Hitomi umarmte sie und sagte "Wozu sind Freunde denn sonst da, wenn nicht um ihre Freunde vor Dummheiten zu beschützen?" < Ich weiß ja schließlich wie du dich fühlst. Mir geht es mit Van ja genauso. ---Van.--- > Sie spürte nicht mehr, wie sie zusammenbrach. Hitomi stand mitten in einem Gang mit hohen, steinernen Wänden. Von Ferne hörte sie Schlachtenlärm in der heißen, stickigen Luft. Um sie herum prasselten Flammen an allem was brennen konnte. Als sie einen Schritt auf eine Gangbiegung zu machen wollte, stolperte sie über etwas weiches und fiel hin. Sie drehte sich um, um nachzuschauen über was sie gestolpert war. "MERLE!" Sie beugte sich über den reglosen Körper des Katzenmädchens und fühlte etwas warmes, glitschiges unter ihren Fingern als sie ihn umdrehte. Sie starrte auf das Blut an ihren Fingern und ihr Blick fiel auf eine große, häßliche Wunde. "Nein. Nein! Das darf nicht sein! MERLE!" Ein Krachen in ihrem Rücken ließ sie herumfahren. Ein Körper war durch die Tür geflogen, mit Blut überströmt. Der Krieger stand schwankend wieder auf. "VAN!" "HITOMI! Was machst du hier?" fragte er verblüfft, dann verzerrte sich sein Gesicht und er schrie "Lauf weg! Lauf so schnell du kannst! Du musst sofort..." Ein Sirren erfüllte die Luft und Van schaute überrascht auf den Pfeil, der plötzlich in seiner Brust steckte. Er hob den Blick zu Hitomi, machte den Mund auf und ... stürzte zu Boden. "VAAAAAANN!" schrie Hitomi... und sah in die besorgten Augen ihrer Freunde, die sie ins Krankenzimmer gebracht hatten. "Hitomi! Beruhige dich! Es ist alles in Ordnung." "Amano? Yukari? Gott sei Dank!" Mit ängstlicher Stimme fragte Yukari "Was war überhaupt los? Du bist auf einmal zusammen gebrochen und als wir dich hierher gebracht haben hast du angefangen zu schreien und um dich zu schlagen und..." Yukari unterbrach sich und umarmte ihre Freundin, die bei Yukaris Worten angefangen hatte aus ganzem Herzen zu weinen. "Es war so schrecklich Yukari!" schluchzte sie nach einer Weile. "Ich habe Van gesehen und Merle, beide tot und alles hat gebrannt!" Wieder konnte Hitomi die Tränen nicht halten. .Amano meinte mit ruhiger Stimme "Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Es war nur ein schlechter Traum." "Ganz genau" stimmte Yukari schnell zu um ihre Freundin zu trösten. "Es ist gar nichts. Ich bin sicher den beiden geht es gut. Du hast einfach nur einen schrecklichen Traum gehabt." Aber Hitomi hatte ihre Worte gar nicht richtig gehört. Sie schaute aus dem Fenster auf die Bäume und die Sonne, die durch die Blätter funkelte. "Ein Traum. Nur ein Traum." Sagte sie mit leiser Stimme, doch auf einmal schrie Hitomi die beiden an und stieß Yukari von sich "Und was ist wenn es kein Traum war? Was ist, wenn es eine Vision war und sie wirklich bald sterben?" Tränen funkelten in ihren Augen und ihr Gesicht war von Schmerz und Angst gezeichnet. Yukari war noch nie so besorgt um ihre Freundin gewesen, nicht einmal als sie von der Lichtsäule verschluckt wurde und verschwand. Sie nahm Hitomis Hand und schaute ihr tief in die Augen. "Hitomi, du hast doch selbst gesagt, dass du keine Visionen mehr gehabt hast seit du wieder auf der Erde bist." Dankbar nahm Amano Yukaris Faden auf und fügte hinzu "Und davon mal abgesehen hast du doch gesagt, dass wieder Frieden auf Gaia herrscht." Hitomi nickte wiederwillig, doch dann fiel ihr die letzte Nacht wieder ein. "Aber was ist, wenn es eine neue Gefahr ist? Ich hatte heute Nacht so einen Traum..." Amano lächelte etwas gezwungen "Na siehst du. Da hast du die Erklärung." Als die beiden Mädchen ihn verwundert ansahen, fragte er Hitomi "Du hast diesen Traum den ganzen Tag noch im Kopf gehabt, stimmts?" und sie nickte. "Dann ist alles klar. Du hast dich bei deinem großartigen Lauf überanstrengt, aber das hat sich erst später gezeigt." Er lächelte "Ist mir auch schon passiert. Und als du zusammengebrochen bist hat dein hübsches Köpfchen aus diesem Traum irgendeine Spinnerei zusammen gebastelt. Und da es einem normalerweise nicht sehr gut geht, wenn man in Ohnmacht fällt, konnte dabei auch nichts gutes rauskommen." Yukari war erstaunt wie einfülsam Amano sein konnte. Er hatte anscheinend genau den Ton getroffen, der nötig war um Hitomi aufzumuntern. Sie hatte jedenfalls bei seinen letzten Worten schon wieder kurz gelächelt. Amano sah auf die Uhr und sagte "Tut mir wirklich leid, aber ich muss los. Ich habe meiner Mutter versprochen, zu Hause zu sein wenn die Verwandten kommen um mich zu bewundern. Ich würde zwar lieber hier bleiben, aber..." "Mach dir keine Sorgen Amano. Mir geht's wieder gut." sagte Hitomi und Yukari fügte hinzu "Außerdem bin ich ja auch noch da. Ich bringe sie nach Hause sobald sie wieder voll da ist." Amano nickte den beiden zu. "Dann erhohl dich mal schnell Hitomi. Wir sehen uns morgen auf der Party." "Ja, machs gut Amano!" sagte Hitomi leise als er schon fast aus dem Raum getreten war und blickte wieder aus dem Fenster. Yukari, die Amano nachgesehen hatte drehte sich zu Hitomi um, als sie diesen seltsamen Ton in ihrer Stimme hörte. Jedem anderen wäre es entgangen, aber Yukari kannte sie schon seit ihrer Kindheit. < Machs gut Amano!> dachte Hitomi < Vielleicht sehen wir uns nie wieder. Ich weiß, dass es kein Traum war. Van ist in Gefahr, und ich werde ihn warnen!> Sie merkte nicht, wie sich ihre Hände bei diesen Gedanken zur Faust ballten, und sich ihr Gesicht versteinerte. Als Yukari das sah, wurde ihr klar was Hitomi vorhatte. Sie sprang auf, rannte zur Tür und rief Hitomi zu "Ich hab vergessen ihm was zu sagen, wegen der Party morgen. Ich bin in einer Minute wieder da!" Sie riss die Tür auf, sprang regelrecht auf den Gang und schloss mit einem Ruck die Tür. "Warte Amano!" Dieser war stehen geblieben und sah Yukari besorgt an "Ist was mit Hitomi?" "Ja." Antwortete Yukari und "Nein." als Amano einen Schritt in Richtung Tür machte. "Es geht ihr gut nur... Ich glaube sie will wieder zurück." "Nach Gaia?" fragte Amano und Yukari nickte "Ja. Wir müssen sie aufhalten!" Amano schaute sie ein paar Sekunden nachdenklich an. Schließlich sagte er "Das können wir nicht." "Wie meinst du das? Natürlich können wir sie aufhalten" Amano schüttelte den Kopf "Nein, können wir nicht. Du hast mal gesagt sie liebt diesen Van. Du hattest Recht. Sie wird alles tun um ihm zu helfen, und nichts und niemand kann sie aufhalten. Ich weiß wovon ich rede." Mit diesen Worten strich er Yukari sanft mit den Fingerspitzen über die Wange. Yukari schoss das Blut in den Kopf und mit weinerlicher Stimme sagte sie "Aber ich will sie nicht verlieren. Sie soll nicht wieder verschwinden." Amano meinte mit betrübter Stimme "Wir können nichts daran ändern. Und glücklich wird sie ohne ihren Van nie. Das einzige was wir tun können ist, sie zu verabschieden und ihr alles Gute zu wünschen. Heute ist es zu spät, und sie ist noch zu schwach. Sie wird morgen früh versuchen nach Gaia zu kommen. Ich werde da sein um ihr Lebewohl zu sagen. Und du?" Yukari war zu traurig um zu antworten und nickte nur. Amano drehte sich um und ging, doch nach zwei Schritten hörte er Yukari's Stimme "Amano?" Er wollte sich umdrehen, doch mittten in der Bewegung spürte er einen sanften Kuss und Yukari sagte leise "Ich liebe dich. Bitte verlass mich nie!" Sprachlos sah er nur noch wie Yukari sich die Tränen aus dem Gesicht strich und durch die Tür in das Krankenzimmer lief. Scheinbar für Stunden hallte sein leises "Yukari!" durch die verlassenen Gänge. Mit schweren Gedanken ging er Richtung Ausgang, zu einer Familienfeier die der letzte Ort auf Erden war, an dem er jetzt sein wollte. ENDE KAPITEL 2 Da das mit den Unterstreichungen wider nicht richtig war, lass ich das jetzt weg. Ist die Überschrift eben nicht fett und unterstrichen. :( Der letzte Wächter Teil 3 Hitomi hatte die Nacht über kaum geschlafen. Sie sorgte sich viel zu sehr um Van. Am Morgen stand sie noch früher auf als sonst. Sie packte ihre Tasche, frühstückte und legte eine Nachricht auf ihren Schreibtisch, in der sie alles erklärte. Dann ging sie noch mal durch das Haus um sich alles einzuprägen. Leise schloss sie die Tür und lief ohne sich noch mal umzudrehen zur Schule. Die Tränen schimmerten in ihren Augen wie funkelnde Kristalle im Licht der aufgehenden Sonne. Der Bote schaute auf das unter ihm liegende Fanelia. < Wird nicht leicht werden. Die Wachen treten sich fast gegenseitig auf die Füße. Aber was tut man nicht alles um einem König die Augen zu öffnen> Er verschloss den schwarzen Umhang, der ihn vor allen Blicken verbergen sollte und machte sich auf in den Palast einzubrechen, um die Warnung zu überbringen. < Schon wieder ein Fehlalarm! Der fünfte seit wir wieder in Fanelia sind.> Van ging mit schnellen Schritten durch den Gang. < Merle und ihre Katzenohren! Überall hört sie Gespenster! Jedes Mal reißt sie mich aus dem Bett und nie ist irgendeine Spur von einem Eindringling zu sehen. Wie auch, hier wimmelts ja von Wachen und durch den Krieg misstrauisch gemachten Leuten> er seufzte < Und dann hab ich auch noch Hitomis Anhänger liegen lassen, dabei ist er das einzige was ich noch von ihr habe.> Der Bote kletterte vom Dach hinunter und durch das Fenster in Vans Zimmer. < Na also, war ja leichter als gedacht.> Er ging zu Vans Bett und legte die Nachricht gut sichtbar hin. Er wollte sich schon wieder auf den Rückweg machen, da fiel sein Blick auf etwas funkelndes, das auf dem Schreibtisch neben dem Fenster lag. Der Mond spiegelte sich darin und verstreute kleine Lichtpunkte im ganzen Raum. < Aber das ist doch... Wie zum Teufel kommt ein Torstein hierher? Das kann nicht sein!> Er griff danach und hielt es sich vor die Augen, um es sich genauer an zu schauen, da hörte er hinter sich einen Schrei. Van war vor seinem Zimmer angekommen. < Vielleicht mache ich ihr zu viele Vorwürfe. Sie hat mehr durchmachen müssen als die meisten, und dabei ist sie doch noch fast ein Kind> bei diesem Gedanken dachte er traurig an sich selbst < Und ich bin eigentlich auch noch viel zu jung um König zu sein. Ich wünschte Folken würde noch leben. Er war immer so ruhig, ganz anders als ich. Er wäre ein viel besserer König.> Van öffnete die Tür und sah eine schemenhafte Gestalt vor dem Fenster stehen, die gerade nach Hitomis Pendel griff. Van stand eine Sekunde starr vor Schreck < Dann war es doch kein Fehlalarm!> doch dann brandete eine unbändige Wut in ihm hoch. "LASS DEN ANHÄGER LOS!" schrie er die Gestalt an, zog sein Schwert und stürzte sich auf seinen Gegner, der erschrocken herumfuhr. Der Bote erschrak. < Verdammt, ich habe ihn nicht gehört! Ablenkung ist des Kriegers Tod!> Er drehte sich um und sah den jungen König auf sich zurennen, das Schwert zum Schlag halb erhoben. Van holte aus, der Bote sammelte seine Kraft... und sprang über den verblüfften Van hinweg, der von seinem Schwung zum Fenster getragen wurde und nun dabei war, das Gleichgewicht zu verlieren und aus dem Fenster zu fallen. < Das wird ein harter Sturz> dachte Van und versuchte sich festzuhalten, doch vergeblich. Er stürzte kopfüber durch das Fenster, sein Schwert vor ihm, das auf das Pflaster klirrte. Da spürte er einen Ruck und der Bote, der ihn festhielt, ächzte "Schnell isser ja, der König, aber viel im Kopf hatter nich. Dafür isser aber ganz schön schwer!" Dann wuchtete er den total verwirrten Van wieder in das Zimmer. Der junge König setzte sich recht schmerzhaft auf den Boden, während der Bote tief Luft holte. Dann blickte er Van an. "Mach das nicht noch mal mit mir. Ich bin schließlich auch nicht mehr der jüngste, und ich hasse graue Haare." Aus dem Gang vor Vans Tür hörte man die Wachen angerannt kommen, die von Vans fallendem Schwert alarmiert worden waren. "Ich glaube es wird Zeit für mich zu gehen." Mit diesen Worten holte der Bote einen Haken aus seinem Ärmel, stieg auf das Fensterbrett und hängte ihn in an das Seil, an dem er auf Vans Dach geklettert war. Endlich erwachte Van aus seiner Starre. "Wer bist du?" "Ein Freund" antwortete der Bote und schlitterte am Seil entlang nach unten. Van stand auf und sah ihn in einer dunklen Gasse zwischen zwei Ruinen verschwinden. "Majestät, ist alles in Ordnung? Seit ihr verletzt?" riefen die Wachen, die durch die Tür in Vans Zimmer liefen. "Mir geht es gut." "Was ist passiert?" Van hob Hitomis Anhänger auf, der neben ihm auf dem Boden lag und schaute ihn nachdenklich an. "Das wüsste ich auch gerne." Die Wachen sahen ihn an, als ob er den Verstand verloren hätte. "Majestät, ich verstehe nicht..." Van drehte sich zu den Wachen. "Geht wieder auf eure Posten. Und einer bringt mir bitte mein Schwert, es liegt unten vor dem Fenster" "Wie ihr befehlt." sagte die Wache und verließ das Zimmer. Vans Blick fiel auf einen Zettel, der auf seinem Bett lag. < Nanu, was ist das denn?> Die eine Seite des Blattes zierte ein unglaublich schönes Ornament, das zwei sehr lebendig wirkende Drachen zeigte, die ihre Flügel schützend um eine bläulich schimmernde Kugel hielten, die von Wolkenfetzen bedeckt war. < Ist das Gaia?> fragte sich Van und drehte den Zettel um. Auf der Rückseite war in schwungvoller, doch trotzdem sehr gut lesbarer Schrift eine Nachricht geschrieben: "König Van. Ich glaube, ihr und Fanelia seid in großer Gefahr. Einige Reste der Zaibacher Streitkräfte sammeln sich in den Wäldern von Tirun. Sie scheinen irgend etwas zu suchen. Ich weiß nicht was, aber was immer es ist, wenn sie es finden wird ein neuer Krieg ausbrechen, und Fanelia wird sicher ihr erstes Ziel sein. Ein Freund." Van sank auf das Bett und ein eisiger Schauer lief seinen Rücken hinunter. < Was bei allen Göttern hat das nur zu bedeuten?> grübelte er. Hitomi blickte auf die Laufbahn. < Jetzt ist es soweit. Van, ich werde dich retten! Das verspreche ich dir!> Sie wollte gerade dir Treppe hinuntergehen, da hörte sie eine Stimme hinter sich "Hitomi?" Erschrocken drehte sie sich um. "Yukari, was machst du hier? Und Amano? Du bist ja auch da! Aber was wollt ihr hier?" "Amano und ich wollten uns von dir verabschieden bevor du nach Gaia gehst." "Aber woher wisst ihr das? Ich habe es doch niemandem erzählt!" Yukari sah sie traurig lächelnd an "Hitomi. Ich kenne dich solange ich denken kann. Wir haben schon zusammen gespielt, da konnten wir nicht ein Wort sprechen. Du musst nichts sagen. Ich spüre es auch so." Yukari und Amano waren näher gekommen, und Hitomi fiel ihrer Freundin in die Arme. "Oh Yukari! Es tut mir so leid. Aber ich kann nicht bleiben." Sie löste sich von Yukari und sah ihr in die Augen. "Ich muss zurück nach Gaia oder es wird was Schlimmes passieren." "Schon gut." schluchzte Yukari "Jetzt fang ich doch noch an zu weinen, dabei habe ich mir geschworen es nicht zu tun." Sie lächelte gequält "Wenn du gehen musst, dann geh. Ich komme schon klar." Yukari trat einen Schritt zurück und Amano umarmte Hitomi kurz. "Ich wünsche dir alles Gute Hitomi. Und denk ab und zu mal an uns." "Das mache ich, versprochen." Die drei gingen schweigend zur Laufbahn hinunter. Yukari umarmte ihre Freundin noch einmal, dann ging Hitomi in Startposition. Sie atmete ein paar mal tief durch < Van, ich komme> und dann lief sie los. Ihre Schritte hämmerten auf die Laufbahn, doch sie hörte nur ihr Herz, das noch viel lauter schlug. Dann erfasste sie eine blau-weiße Lichtsäule und trug sie fort. Yukari lehnte sich weinend an Amano, der sie zärtlich umarmte. Sie schauten noch in den Himmel als die ersten Schüler kamen und sie verwundert anstarrten. Van saß gerade in einem kleinen Saal bei einer Besprechung mit seinen Beratern, da wurde ihm die Ankunft einer Abordnung aus Asturia angekündigt. "Führt sie herein!" befahl er dem Diener, doch eine Stimme sagte "Danke, aber wir kennen den Weg. Bemüht euch nicht." Van wunderte sich < Die Stimme kenne ich doch?> "Dryden, seid ihr das?" fragte er erstaunt. Seine Gäste kamen durch dir Tür "Tatsächlich! Und Millerna und Allen! Das ist aber eine Überraschung!" Er lief seinen Freunden entgegen "Majestät..." "Lass den Unsinn." sagte Dryden. "Wir sind Freunde. Außerdem sind wir nur inoffiziell hier." Van verstand den Wink und wandte sich an seine Berater "Lasst uns allein!" "Aber Majestät, die Aufbaupläne... " wandte einer der Berater ein, aber Van schnitt ihm das Wort ab. "Können warten. Wir müssen sowieso erst den ganzen Schutt wegräumen, bevor wir ans Aufbauen gehen können. Im Moment ist ein Drittel von Fanelia immer noch ein Trümmerhaufen. Geht!" setzte er streng hinzu. Die Berater verließen fluchtartig den Raum, und die Asturianische Delegation war krampfhaft bemüht die diplomatischen Beziehungen nicht durch einen Lachanfall noch zusätzlich zu belasten. "Setzt euch doch. Was kann ich für euch tun? Ihr seid doch nicht zu einem Familienausflug hier. Hat Allen euch von den Forderungen der Delosianer erzählt?" "Ja" antwortete Millerna "aber das ist nicht der einzige Grund warum wir hier sind. Es gibt aus verschiedenen Reichen Meldungen über Banditen oder Rebellen. Wir sind unterwegs um uns die Sache persönlich anzusehen. Asturia ist fast das einzige Land, das nicht fast völlig zerstört wurde. Das nehmen uns einige übel, und unsere Anwesenheit zerstreut hoffentlich die Gerüchte, dass wir froh darüber sind, dass die anderen Reiche angegriffen werden. Gab es in Fanelia Übergriffe von Banditen?" Van schüttelte den Kopf "Nein, bis jetzt nicht. Aber hier gibt es ja auch nicht mehr viel zu holen." Dryden sah Van mitleidig an und wollte etwas sagen, aber da begann Hitomis Anhänger zu glühen, den Van umhatte und das Leuchten hüllte den ganzen Raum in gleißendes Licht. < Ich brenne!> dachte Hitomi. Sie hatte das Gefühl ihr Körper stand in Flammen. Unerträgliche Schmerzen rasten durch ihre Nerven, von oben nach unten, wieder zurück und nochmal von vorn. Hitomi glaubte sie würde lebendig verbrannt, gevierteilt und in Säure getaucht. Ihre Augen schienen sich in ihren Kopf zu bohren und jeder einzelne ihrer Knochen schien sich die größte Mühe zu geben, Sieger im Wettbewerb "Wer bricht am häufigsten" zu werden. Schließlich hörte der Schmerz so plötzlich auf, wie er gekommen war. Sie sah noch, dass sie am Ufer eines Flusses oder eines Sees stand und ihre Gedanken waren seltsam klar. < Das kann nicht Fanelia sein. Wo bin ich bloß gelandet?> Dann brach sie zusammen, und lange Zeit war da nichts als endlos weite und unheimliche Schwärze. Allen, Millerna und Dryden standen reglos da. Das gleißende Licht blendete sie so stark, dass sie nicht einmal mehr Van sehen konnten. Nach ein paar Sekunden ließ das Licht nach, und sie sahen, wie Van zusammenbrach. "Millerna, hilf ihm!" rief Allen und eilte auf den stöhnenden und sich krümmenden Van zu. Millerna beugte sich über Van. "Er hat Krämpfe. am ganzen Körper. Wir müssen ihn in ein Bett legen, oder er schrammt sich den ganzen Körper auf dem harten Boden auf." Allen bückte sich. "Sein Zimmer ist direkt über diesem Raum. Ich werde ihn tragen. Könnt ihr nichts gegen die Krämpfe tun?" "Nein, ich habe nichts dabei. Dryden, hol einen Arzt und beeil dich!" Dryden nickte und lief los. Dabei fluchte er über seinen Mantel, der ihn behinderte. Allen lief mit Van auf den Armen die Treppe hoch zu Vans Zimmer. Nach dem Vorfall in der letzten Nacht standen dort zwei Wachen, die die drei erschrocken ansahen. Allen rief ihnen schon von weitem aus zu "Macht die Tür auf! Und lasst niemanden außer Dryden und dem Arzt herein!" Die Wachen kannten den Ritter des Himmels und befolgten seine Befehle ohne Fragen zu stellen. Allen legte Van auf sein Bett und wandte sich an Millerna, die wegen ihres Kleides nicht mit den schnellen Schritten des Ritters hatte mithalten können und jetzt erst den Raum betrat "Was jetzt?" Millerna schaute verzweifelt auf Van, der sich immer noch hin und her warf. "Ich weiß nicht. So etwas habe ich noch nie gesehen. Normalerweise werden so starke Krämpfe nur von Gift oder einem Schaden im Gehirn ausgelöst, aber das hier ist anders. Ich habe noch nie davon gehört, dass so etwas überhaupt möglich ist." Plötzlich schrie Van auf und lag dann still da. "Es hat aufgehört. Ist das ein gutes Zeichen oder ein schlechtes?" fragte Allen. Millerna fühlte den Puls und hob Vans Augenlieder an. "Sein Puls rast, ist aber stabil. Er ist bewusstlos, aber scheint sonst in Ordnung zu sein." Sie sah Allen halberleichtert, halb besorgt an und meinte "Im Moment besteht keine Gefahr für ihn, aber ich weiß nicht was passiert, falls die Krämpfe wieder anfangen." In dem Moment kam Dryden mit dem Arzt zur Tür herein. "Wir geht es ihm?" rief er aus. "Im Moment ganz gut." Antwortete Millerna und machte dem Arzt Platz, der sich über seinen König beugte. Mit verärgerter Stimme sagte er zu Dryden "Was soll das? Ich denke er hat Krämpfe?" Dryden antwortete verblüfft "Aber ja, er hat am ganzen Körper gezuckt wie verrückt." "Und wieso sind seine Muskeln ganz entspannt obwohl sie hart wie ein Brett sein müssten?" "Was?" rief die verwunderte Millerna aus "Das kann nicht sein!" und beugte sich über Van. "Er hat Recht. Vollkommen entspannt. Ich verstehe das nicht!" Da öffnet Van die Augen. "Was... was ist passiert? Da war auf einmal dieses Licht" er verzog das Gesicht. "Und dann diese Schmerzen!" "Wie geht es euch Majestät?" fragte der Arzt. "Gut." wunderte sich Van "mir geht's gut. Keine Schmerzen mehr. Ich fühle mich besser als vorher!" Alle im Raum sahen ihn verblüfft an. Van setzte sich ruckartig auf und stand sicher vor seinen Freunden, die an ihrem Verstand zu zweifeln begannen. "Bei allen Göttern!" rief Millerna "Ich dachte du würdest noch für Tage ans Bett gefesselt sein! Wie ist das nur möglich?" Van kam nicht zu einer Antwort, die er sowieso nicht hätte geben können. Merle kam auf allen vieren durch die Tür gerannt und sprang ihn an. "Oh Van, mein Van! Dir geht es gut!" Der überrumpelte König stolperte unter dem Aufprall und sagte "Ist ja gut Merle, es ist alles in Ordnung!" während ihm Merle das ganze Gesicht abschleckte. Dryden lächelte "Na, wenn er Merle aushält, dann muss es ihm wieder gut gehen." Merle hörte abrupt mit ihrer "Heilbehandlung" auf, ließ von ihrem Van ab und sah Dryden mit zusammen gekniffenen Augen an. "Was willst du damit sagen?" fragte sie in einem sehr eindeutigen Ton. "Oh, kümmere dich nicht um meine belanglosen Worte. Ich rede öfters Unsinn wenn der Tag lang ist." Van lächelte. Er wusste, dass Dryden sehr genau wusste was er gesagt hatte. Er hatte damit die Gruppe aus ihrem Schock gerissen. Allens nächste Worte bewiesen das. "Hast du eine Ahnung, wieso du diese Schmerzen hattest und warum der Anhänger so geleuchtet hat?" "Nein." Antwortete Van, aber dann stutze er < Diese Schmerzen. Das waren gar nicht meine. Sie kamen durch den Anhänger. Aber warum und vom wem?> Er erschrak < Doch nicht etwa von... Nein das kann nicht sein. Sie ist auf dem Mond der Illusionen. Niemals können solche Schmerzen von dort kommen. Für den, der die Schmerzen hat, müssen sie noch viel schlimmer gewesen sein.> Aber ein Rest Zweifel blieb, und Allen, der das erschrockene Gesicht Vans gesehen hatte fragte ihn sorgenvoll "Was ist los? Hast du wieder Schmerzen?" Merle hörte auf Dryden böse anzufunkeln und fuhr herum. "Van! Sag, dass es dir gut geht!" Van beruhigte sie "Mir geht es gut. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Aber jetzt geht bitte. Alle." "Was, aber warum?" fragte Allen, aber Millerna zog ihn und Dryden aus dem Raum. Der Arzt verbeugte sich "Falls ihr mich brauchen solltet, ich bin dort wo ich vorher war." Und ging den dreien hinterher. Merle blickte Van mit großen Augen an "Aber ich kann doch bleiben, oder?" "Nein Merle. Ich will allein sein. Ich muss nachdenken." Beleidigt sprang Merle auf. "Wenn du meinst! Aber glaub ja nicht, dass ich mir noch mal Sorgen um dich mache!" Mit diesen Worten lief sie hinaus und knallte die Tür hinter sich zu. Van musste ob dieser Lüge lächeln, doch dann dachte er wieder an den Anhänger. Er holte ihn unter seinem Hemd hervor und schaute ihn prüfend an < Was hat das nur zu bedeuten?> Hitomi öffnete die Augen. < Wo bin ich?> Dann überfiel sie die Erinnerung. < Diese Schmerzen! Was war das nur? Ich dachte ich müsste sterben.> Merkwürdig war, dass sie sich trotzdem wohl fühlte. Zwar kribbelte es noch am ganzen Körper, aber sonst ging es ihr gut. Sie sah sich um. Sie lag auf einem großen Bett in einem kleinen, etwa 3 mal 4 Meter großem Zimmer und die Sonne schien durch ein Fenster zur Rechten. An dem Fenster waren Vorhänge in einem wunderschönen, tiefblauen Ton, verziert mit Goldrändern und einem Bild, das aber nur bei zugezogenen Gardinen erkennbar war. Neben dem Bett stand ein kleiner Schrank, sonst war die Wand kahl. Trotzdem wirkte sie nicht abweisend, sondern eher beruhigend, so als ob das Mauerwerk ein Gefühl der Sicherheit ausstrahlen würde. Das Fenster warf einen Schatten ähnlich einem Gitter auf die Steinwand gegenüber ihrem Bett. Der Schatten fiel auf ein Bild auf dem ein Krieger in glänzender Rüstung abgebildet war, der sich auf sein Schwert stütze. Links führte eine Tür aus dem Zimmer. < Seltsam. Niemand hier, der mich hergebracht haben könnte. Ich bin doch an einem Ufer gelandet, oder?> Hitomi war sich nicht ganz sicher, ob das der Wahrheit entsprach. Ihre Erinnerung war noch getrübt. Langsam stand sie auf. Da sie noch etwas wackelig auf den Beinen war, hielt sie sich am Bett fest. Als sie sicher war den Weg zur Tür zu schaffen ging sie vorsichtig los. Sie öffnete die Tür und trat auf einen Gang, der zur Linken zu weiteren Räumen führte, bis er nach acht Türen, alle auf einer Seite, endete. Dem Abstand nach zu schließen führten diese Türen zu Zimmern, die genauso groß waren wie ihres. Rechts gab es nur eine Tür, dann machte der Gang einen Knick. Dafür gab es an der Stirnseite eine Tür. Die ganze gegenüberliegende Seite des Ganges entlang waren Fenster eingebaut, zwischen denen Flaggen mit merkwürdige Symbolen hingen. Hitomi hatte noch nie derartige Wappen gesehen und bewunderte die kräftigen Farben und herrlichen Motive. Auf der Gangseite mit den Türen hingen Wandteppiche, die anscheinend eine Geschichte erzählten, nur unterbrochen von den Türen. Leider konnte sie die Schriftzeichen nicht lesen, die am unteren Rand mit Goldfäden gestickt waren, aber sie kamen ihr irgendwie bekannt vor, so, als ob sie sie schon mal irgendwo gesehen hatte. Über den Schriftzügen erkannte sie Krieger, Drachen aber auch Szenen von arbeitenden Menschen. Doch dann fesselte etwas am Anfang des Wandbehanges ihre Aufmerksamkeit. Sie ging näher heran und erkannte staunend, dass die Weber Bilder des Drachengottvolkes in ihrem Werk verewigt hatten. Ihre Flügel waren in einem so strahlenden Weiß wie sie es noch nie bei einem Stoff gesehen hatte und die Federn waren so unglaublich detailliert dargestellt, dass Hitomi überzeugt war, jede einzelne zu sehen. Sie betrachtete den Stoff aus der Nähe. Sie konnte nicht einen einzigen Faden sehen, der Wandteppich schien aus einer einzigen langen und glatten Fläche zu bestehen. < Unglaublich. Wer ist bloß in der Lage so etwas herzustellen?> Da hörte sie ein Geräusch aus dem Raum am Ende des Ganges. Mit gemischten Gefühlen ging sie auf die Tür zu. Rechts erkannte sie eine offen stehende Tür, die ins Freie führte. Hitomi erwog kurz durch die Tür zu laufen und von diesem seltsamen Ort zu fliehen, aber dann sagte sie sich < Wenn die Leute hier mir etwas antun wollten, hätten sie das schon längst tun können.> Trotzdem zögerte sie, als sie vor der Tür stand, doch dann drückte sie entschlossen die Klinke nach unten und trat ein. Van schaute aus den Fenstern des Crusador. Die Sonne war gerade aufgegangen und ließ die Schnee bedeckten Gipfel funkeln. Er dachte daran, warum er jetzt hier war. Nachdem er mit seinen Grübeleien zu keinem Ergebnis gekommen war, hatte er die Nachricht des Einbrechers genommen und war nach unten gegangen um sie seinen Freunden zu zeigen, die sich jedoch auch keinen Reim darauf machen konnten. Da meldete eine Wache, dass sie eine merkwürdige Person gefangen hätten, die sich verdächtig benahm. "Das wird doch nicht der Kerl von heute Nacht sein?" mutmaßte Merle, die den anderen die Geschichte erzählt hatte, bevor Van kam. "Das glaube ich nicht." Antwortete dieser nun. "Dazu war er viel zu flink. Der ist längst außerhalb Fanelias." An die Wache gewandt fügte er hinzu "Führt diese Person hinein." Als diese verdächtige Person von zwei Wachen an den Armen gezogen den Raum betrat, herrschte sekundenlang verblüffte Stille. Merle war die erste, die ihre Stimme wiederfand. "Das gibt es doch nicht!" fauchte sie. "Der Kerl taucht doch wirklich überall auf! Und immer dann wenn man ihn am wenigsten gebrauchen kann -allerdings kann man ihn ja auch nie gebrauchen." Setzte sie mit einem verächtlichen Blick hinzu. Der Maulwurfsmann, denn um niemand anderes handelte es sich, versuchte sich von den Wachen zu befreien, die ihn jedoch unerbittlich festhielten. Schließlich bat er Van "Könntet ihr ihnen nicht befehlen mich los zu lassen? Ich bin doch nur gekommen um zu sehen ob es euch gut geht, nachdem ihr heute nacht angegriffen wurdet." Van befahl den Wachen den Maulwurfsmann loszulassen und zu gehen, was von Merle mit einem lauten "Großer Fehler!" kommentiert wurde. "Ich fühle mich geehrt, dass du dir solche Sorgen um mich machst. Aber warum warst du hier bevor du von dem Überfall gehört hast?" fragte Van. Der Maulwurfsmann öffnet den Mund um eine, natürlich gelogene, Antwort zu geben, da wurde er plötzlich ganz bleich. "Wo habt ihr das her?" brachte er schließlich mühsam hervor und zeigte auf die Nachricht, die mit dem Drachensymbol nach oben auf dem Tisch lag. "Das hat mein nächtlicher Besucher hinterlassen. Weißt du etwa etwas darüber?" fragte Van. Doch der Maulwurfsmann beantwortete die Frage nicht so wie Van es wollte. Statt dessen sagte er "Wenn die Nachricht von diesem Besucher heute Nacht ist, dann war es kein Attentäter. Sonst wäre der König nicht mehr am Leben." Van wurde wütend "Was soll das heißen?" doch Allen beruhigte ihn "Du hast doch selbst gesagt, dass er dich nicht umbringen wollte, oder?" Van dachte daran, wie leicht der Einbrecher ihm ausgewichen war, und dass er ihn vor einem Fenstersturz bewahrt hatte. "Du hast ja Recht, aber woher weiß er das?" Alle sahen den Maulwurfsmann an, der schluckte und schließlich sagte "Ich bin kein guter Redner. Es steht alles in diesem Buch." Damit holte er ein zerfleddertes, altes Buch aus seinem Rucksack und gab es Dryden. "Es ist in alt-asturianisch geschrieben, aber ihr dürftet das ja lesen können." Dryden sah ihn verwundert an "Ja, aber woher könnt ihr diese Schrift lesen?" "Das ist doch jetzt egal, jedenfalls steht alles was ich weiß in diesem Buch. Ich schenke es euch." Damit drehte sich der Maulwurfsmann um und wollte gehen, aber Van hielt ihn fest. "Du bleibst schön hier. Nachdem wir das Buch gelesen haben, haben wir sicher noch einige Fragen an dich. Pass auf ihn auf Merle." "Keine Sorge, ich werde ihn nicht aus den Augen lassen." Der Maulwurfmann resignierte und ergab sich in sein Schicksal. Wie sich heraus stellte enthielt das Buch nichts weiter als Legenden und Berichte Dritter, die von einer geheimnisvollen, uralten Geheimgesellschaft berichteten, genannt "Die leuchtenden Schatten" Allerdings hatte der Autor geschrieben, dass er ein altes Tagebuch gefunden hätte, das die Existenz dieser Geheimgesellschaft eindeutig bewies und das als Lage ihres Hauptsitzes eine kleine Insel in einem Hochtal in den Bergen bezeichnete. Alle außer Van waren sich einig, dass man diesen Legenden keinen Glauben schenken sollte. "Selbst wenn es mal so war, jetzt ist es Jahrhunderte oder gar Jahrtausende her, seit das Tagebuch geschrieben wurde" war die einhellige Meinung. Schließlich fragte Millerna Van, der die ganze Zeit auf den Tisch gestarrt hatte "Du sagst ja gar nichts. Was ist los?" Van fasste einen Entschluss. "Ganz egal von wem die Warnung kommt, wir sollten sie auf jeden Fall beachten." Er schaute Allen an "Wenn du Dryden, Millerna und die Abgesandten in Delos abgesetzt hast solltest du dich um diese angeblichen Zaibacher kümmern." "Das ist eine gute Idee Van. Millerna? Dryden?" Die beiden nickten "Dann machen wir es so." Van nickte ebenfalls "Und mich setzt du unterwegs ab" Alle staunten "Du willst doch nicht allen Ernstes zu dieser Insel?" fragte ihn Allen. "Doch." Antwortete Van, zögerte und setzte leise hinzu "Ich kann es euch nicht erklären, aber ich habe schon die ganze Zeit das Gefühl, dass ich unbedingt auf diese Insel muss." Allen musterte ihn "Na gut, wenn du unbedingt willst. Aber ich halte es für Zeitverschwendung." Da fiel ihm etwas auf "Wo ist eigentlich der Maulwurfsmann?" "Keine Ahnung" sagte Van verblüfft "Merle sollte doch auf ihn aufp..." er hielt inne. Merle lag zusammen gerollt in einer Ecke auf dem kalten Boden, hatte den Kopf auf die Arme gelegt und schlief, erschöpft von einer durchwachten Nacht und ihrer Sorge um Van. "Dass sie nicht friert..." meinte Dryden kopfschüttelnd. Millerna lächelte "Sie hat eben ein dickes Fell- im wahrsten Sinne des Wortes. Lassen wir sie schlafen. Wir haben noch eine Menge Vorbereitungen zu treffen." Die vier standen auf und verließen den Raum. Zurück blieb nur die selig schlafende Merle, deren Schwanz ab und zu über den Boden zuckte. Allen trat neben Van und sprach ihn an " Auf der Lichtung neben diesem Fluss werden wir Halt machen und dich absetzen. Du brauchst dann nur noch seinem Verlauf auf der linken Seite zu folgen, um zu der Insel zu kommen. Wenn wir näher fliegen würden sie uns entdecken, vorausgesetzt da lebt wirklich jemand. Und du willst wirklich ganz alleine dorthin?" Van nickte entschlossen. "Ja. Das ist eine ganz persönliche Angelegenheit zwischen mir und diesem mysteriösen Einbrecher. Kümmere du dich um die angeblichen Zaibacher. Dryden und Millerna können Delos mit ihrer Diplomatie auf den Geist gehen." "Du hältst nicht viel von Verhandlungen, oder?" "Nein. Ich bin ein Krieger, kein Krämer." Allen lachte leise. "Lass das bloß nicht Dryden hören!" Van schaute besorgt auf den Fluss, dessen blaues Band jetzt unter dem sich im Landeanflug befindlichen Crusador lag. "Leider ist der König von Delos auch ein Krieger. Dryden wird nicht viel ausrichten können." Allen schüttelte den Kopf "Ich glaube du unterschätzt unseren Krämer. Es ist nicht das erste Mal, dass er mit Kriegern oder Königen verhandelt." Ein leichter Stoss durchlief den Crusador, und der Steuermann meldete die erfolgreiche Landung. Allen legte Van die Hand auf die Schulter "Wenn ich dich nicht daran hindern kann, dann geh. Aber pass auf dich auf. Wir wissen nicht das geringste über diese "Leuchtenden Schatten" außer ein paar Legenden aus einem alten Buch. Wir haben keinen Beweis, dass wir ihnen wirklich trauen können. Und es würde mich wundern, wenn sie wirklich auf dieser Insel wären." Van sah Allen zuversichtlich an, auch wenn er die selben Zweifel wie der Ritter hatte "Ich werde ja sehen, was an den alten Legenden dran ist." Dann lief er in den Frachtraum, in dem sein Pferd untergebracht war. Dort traf er auf Millerna und Dryden, die gekommen waren, um ihm viel Glück zu wüschen. Er bedankte sich bei den beiden für ihre Hilfe und ihre guten Wünsche und ritt dann die Rampe des Crusadors nach unten. Ein Stück vom Crusador entfernt blickte er sich noch mal um und sah zu, wie Allens Flugschiff sich langsam entfernte. Mit einem Seufzer drehte er sich wieder um und ritt den Fluss entlang in eine ungewisse Zukunft. Der letzte Wächter Teil 4 Hitomi trat durch die Tür und starrte auf das Bild, das vor ihr lag. An einem langen Tisch saßen ein junger Mann und eine junge Frau, die sich um eine gläserne Karaffe mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit stritten. Bei ihrem Eintreten drehten sich die beiden zu ihr um und der Mann sagte grinsend "Ah, unsere Langschläferin ist erwacht. Setz dich. Du hast bestimmt Hunger." Er ließ die Karaffe überraschend los, so dass um ein Haar der halbe Inhalt auf die strahlend weiße Robe der Frau geschwappt wäre. Sie strich sich die kastanienbraunen Haare aus dem Gesicht, die ihr in Wellen bis zur Hüfte fielen und maßregelte ihren Freund. "Pass doch auf! Übrigens ist das nicht gerade eine nette Begrüßung!" sie drehte sich Hitomi zu und sagte "Bitte entschuldige diesen Rüpel. Mein Name ist Eliandra, und dieser Grobian da hört- zumindest manchmal- auf den Namen Taro. Das blöde ist, das er trotz seines Benehmens meistens recht hat. Du solltest wirklich etwas essen, du hast schließlich einen ganzen Tag durchgeschlafen." Durch die seltsame Begrüßung verwirrt setzte sich Hitomi, bevor ihr bewusst wurde, was sie gehört hatte "Ich habe einen ganzen Tag durchgeschlafen?" erschrocken stand sie wieder auf, doch der Mann drückte sie wieder auf ihren Stuhl. "Allerdings. Wir haben dich gestern bewusstlos am Strand gefunden. Aber keine Sorge, bis auf die Tatsache, dass du völlig erschöpft warst, als wir dich gefunden haben, geht es dir ausgezeichnet." Hitomi schaute ihn erleichtert an und dabei fiel ihr auf, das dieser Mann fast das selbe anhatte wie Van, und ihr fiel wieder ein warum sie hier war, und dass sie nicht wusste, wo hier überhaupt war. "Äh, Taro? Wo bin ich hier eigentlich?" Taro strich sich nachdenklich über die kurzen, blonden Haare und antwortete "Na ja, das hier ist eine kleine Insel in einem Gebirgssee der nördlichen Schneeberge. Wir nennen sie Talis Manor, aber der Name ist außerhalb dieser Insel unbekannt. Ich glaube nicht, dass sie irgendwo anders überhaupt einen Namen hat." Hitomi verzog das Gesicht "Also am Ende der Welt" < Aber zum Glück anscheinend auf Gaia> spontan fragte sie "Wie weit ist es von hier bis nach Fanelia?" Die Frau lachte "Du bist noch nicht mal richtig wach und willst schon wieder weg!" Errötend fügte Hitomi hinzu "Entschuldige, ich wollte euch nicht beleidigen, aber ich muss dringend dorthin." Taro goss etwas von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in ein Glas und stellte es vor Hitomi. "Dann muss ich dir leider mitteilen, dass wir keine Flugschiffe haben, und mit dem Pferd dauert es gut acht Tage durch die Schluchten der Berge und die dichten Wälder, selbst wenn man schnell reitet, und dazu bist du noch zu schwach." Enttäuscht griff Hitomi nach dem Glas und trank einen Schluck der nach Honig schmeckenden Flüssigkeit, als ihr einfiel dass sie etwas vergessen hatte. "Ich habe euch ja noch gar nicht gesagt wie ich heiße. Mein Name..." Mit einem leichten Grinsen unterbrach Taro sie und sagte etwas, das dazu führte, dass der total überraschten Hitomi das Glas aus der Hand rutschte und nur durch eine rasche Reaktion Eliandra's vor dem Umkippen bewahrt wurde "Wir wissen wer du bist. Hitomi Kanzaki, Mädchen vom Mond der Illusionen." Van war dem Fluss schon einige Stunden lang gefolgt, der dabei war, sich immer weiter in das Gestein der Berge zu schneiden. Der Weg wurde manchmal ziemlich schmal, aber er war immer noch gangbar. Doch als Van nun um die Ecke ritt, sah er etwas, das er schon eine ganze Weile gehört hatte, aber nicht wahrhaben wollte. Vor ihm lag ein Wasserfall, der sich so durch das Tal ergoss, dass er nicht vorbeikam. < Seltsam. Wenn wirklich jemand auf dieser Insel lebte, war das der einzige Zugang zu ihrem Tal von dieser Seite des Gebirges aus, wenn man nicht über Höhen gehen will, die nur in wenigen Monaten im Sommer passierbar waren. Es muss hier einen Durchgang geben, oder ich bin ganz umsonst hier.> Unsicherheit beschlich ihm, aber er wischte sie beiseite und befahl seinem Pferd sich umzudrehen, als er etwas sah, das seine Stimmung aufhellte. Direkt über seinem Kopf flog ein großer Vogel auf die Felswand an der linken Seite des Wasserfalls zu- und verschwand. < Dort muss es entweder einen Vorsprung geben, den man von hier unten nicht sieht, oder es gibt dort einen Weg. Wenn ja, muss er am Wasserfall vorbeiführen. Das ist mit Sicherheit der Weg, den diese "Leuchtenden Schatten" nehmen. Irgendwo hier muss ein Weg nach oben führen.> Er ritt ein Stück zurück und wollte gerade um eine Ecke biegen, als ihm etwas auffiel. Die Dornenbüsche, die hier in jeder Ecke wuchsen, die sie vor dem Wind schützte, der heftig durch das enge Tal pfiff, standen an einer Stelle besonders dicht. Sie verdeckten völlig die hinter ihnen liegende Felswand. Van stieg von seinem Pferd, ging näher heran und schaute sich die Sache genauer an. Der Großteil des Busches war abgestorben, was man aber nur erkennen konnte, wenn man vorsichtig daran zog. Er nahm sein Schwert und zerrte vorsichtig ein Stück des Busches auseinender, wodurch eine Höhle erkennbar wurde, die in einem Bogen steil nach oben führte, und an deren Ende Tageslicht schimmerte. < Das muss der Weg sein. Genial! Niemanden der zufällig hier entlang kommt, würde das auffallen, und die Dornenbüsche verhindern, dass sich jemand die Sache näher ansieht.> Er erweiterte den Durchgang und führte sein scheuendes Pferd vorsichtig durch die enge Gasse. Dann verschloss er die Mauer aus Dornenbüschen wieder, um niemandem auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen. Als er aus dem anderen Ende der Höhle trat, erkannte er, dass tatsächlich ein Weg hier oben war, der teils natürlich, teils aus dem Fels herausgehauen worden war. Ein paar Schritte weiter bemerkte er ein Loch, aus dem leises Piepen das Nest des Vogels verriet, der ihn auf diesen Weg aufmerksam gemacht hatte und anscheinend schon wieder unterwegs war, um Nahrung für seine Jungen zu holen. "Danke. Du hast mir sehr geholfen!" sagte er leise, und führte sein Pferd leise und vorsichtig an dem Nest vorbei, um die kleinen Vögel nicht zu erschrecken. Nach einigen hundert Metern erweiterte sich der Weg erneut, so dass er wieder reiten konnte. Nun war es nicht mehr weit, zwischen ihm und dem Tal mit dem See lag nur noch ein Höhenzug, den er überqueren musste, um Antwort auf seine Fragen zu erhalten. Sekundenlang erstarrte Hitomi, dann kehrte wieder Leben in sie zurück "Was? Aber, aber woher wisst ihr, wer ich bin?" Taro seufzte "Das ist eine lange Geschichte. Als du das erste Mal auf Gaia warst, war ich in Asturia einige..... Geschäfte erledigen. Da erfahre ich, dass Allen Shezar den jungen König von Fanelia mitgebracht hat, dessen Land angeblich von den Zaibachern angegriffen wurde. Da das unseren Informationen über die Pläne der Zaibacher entsprach, habe ich versucht, einige nähere Informationen zu erhalten." "Du hast gewusst, dass die Zaibacher Fanelia angreifen wollen? Warum habt ihr Van nicht gewarnt!" Hitomis Wut wandelte sich in Angst. "Oder seid ihr Verbündete der Zaibacher?" Jetzt war es Taro, der wütend war und mit der Faust auf den Tisch schlug "Nein! Mit den Zaibachern haben wir nichts zu tun!" So schnell wie seine Wut gekommen war, verflog sie wieder. "Bitte entschuldige, Hitomi. Aber ich bin nicht gerade gut auf die Zaibacher zu sprechen. Die Gründe kennst du ja selbst am besten." Hitomi nickte schwach, noch benommen von der heftigen Reaktion. "Aber woher kennst du mich nun?" Er schaute ihr einen Moment in die Augen und meinte tadelnd "Ist doch ganz leicht zu erraten. Als ich versucht habe, mehr über Van herauszufinden, hörte ich die Geschichte von einem jungen Mädchen, das behauptete vom Mond der Illusionen zu kommen. Die meisten Menschen hätten darüber nur gelacht, aber bei uns ist das etwas anderes" Er unterbrach sich und schaute Eliandra an, die leicht nickte und dann erklärend hinzufügte "Wir auf dieser Insel leben auf den ersten Blick ziemlich abgeschieden, aber das stimmt nicht. Eine unsere Hauptaufgaben ist die Aufzeichnung der Geschichte Gaias. In fast allen größeren Städten gibt es einen oder mehrere unserer Leute, die Geschichten, die sie hören aufschreiben und zu uns bringen. Dadurch haben wir verschiedene Berichte über ein und das selbe Ereignis aus verschiedenen Blickwinkeln. Wir versuchen die Wahrheit aus diesen Berichten herauszufiltern und diese dann aufzuschreiben. Wir haben Chroniken, die Tausende von Jahren zurück reichen. Deshalb wissen wir auch, das Gaia ein Planet ist, der von den Atlantern erschaffen wurde. Der Wandteppich im Flur erzählt die Geschichte unseres Ordens. Ich kann sie dir ja mal erzählen, wenn wir viel Zeit haben, es dauert nämlich Stunden, die Geschichte von Tausenden von Jahren zu erzählen." Eliandra beendete ihre Erklärung, und Taro fuhr fort "Also habe ich mir die Sache mal aus der Nähe angeschaut. Ich war mir nicht sicher, ob deine Behauptung stimmte, aber ich hatte Zeit. Ich bin dir also wie ein Schatten gefolgt, oder besser gesagt, ich habe es versucht. Es war nicht leicht dir zu folgen, vor allem, wenn du mit Van und Escaflowne auf und davon geflogen bist. Na ja, den Rest der Geschichte kennst du ja. Nachdem die Zaibacher besiegt waren, und du wieder auf deinen Planeten zurückgekehrt warst, ging ich hierher und schrieb die Geschichte auf. Ich bin vor ein paar Tagen erst fertig geworden. Und dann tauchst du plötzlich hier bei uns auf der Insel auf. Ich war mehr als nur ein bisschen überrascht." Hitomi schüttelte sich bei dem Gedanken < Das möchte ich nicht noch mal machen. Die Schmerzen waren grausam.> Laut sagte sie "Ich auch. Ich habe keine Ahnung wie das geschehen ist. Ich wollte eigentlich zu... nach Fanelia." verbesserte sie sich. Taro lächelte in sich hinein. "Ja, Fanelia ist sehr interessant, mit vielen netten Menschen. Aber du hast gefragt, warum ich sie nicht vor dem Angriff der Zaibacher gewarnt habe." Nach einem Nicken von Hitomi holte er tief Luft und meinte traurig "Erstens hatten wir keine Beweise, sondern nur Vermutungen. Zweitens hatten wir keine Ahnung, was ihr erstes Angriffsziel sein sollte. Und drittens" Er seufzte "drittens hätte uns niemand geglaubt. Wir sind eine Art Geheimbund. Wir treten nicht an die Öffentlichkeit, und deswegen sind wir auch keine angesehenen Personen, die so etwas behaupten können ohne ausgelacht zu werden." Stumm starrte Hitomi in die Luft, sah dann die zwei an und entschuldigte sich. "Es tut mir leid. Ich weiß ja, dass nicht mal Allen es geglaubt hätte, wenn Van nicht der König von Fanelia gewesen wäre." "Schon gut. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich habe mich selbst Hunderte Male gefragt, ob wir nicht etwas hätten tun können. Aber leider..." Eliandra stand ruckartig auf und sagte betont fröhlich "Genug Trübsal geblasen. Hitomi muss essen. Wir können ihr ja nach dem Frühstück unsere Insel zeigen. Dann können wir auch weitere Fragen beantworten." Vorläufig hatte Hitomi dem nichts entgegen zu setzten, denn während des Gesprächs hatte sich ihr Magen immer deutlicher bemerkbar gemacht, und nun hatte sie das Gefühl, dass sie vom Stuhl kippen würde, wenn sie nicht bald etwas essen würde. Staunend beobachteten Taro und Eliandra, wie die zierliche Hitomi genug in sich hineinstopfte, um sie beide mehr als satt zu machen. < Hoffentlich liegt das daran, dass sie einen Tag nichts gegessen hat. Wenn nicht, frisst sie uns noch die Haare vom Kopf.> waren wohl ihre Gedanken. Der Crusador flog über eine zerklüftete Gegend. Millerna betrat die Brücke, auf der bereits Allen und Dryden nebeneinander standen und mit dem selben besorgten Gesichtsausdruck aus dem Fenster schauten. "Wir müssten doch bald die Grenze erreicht haben, oder?" Allen drehte sich um "Wir müssten sie sogar schon überflogen haben Millerna. Aber in diesem Gelände hat man keine Anhaltspunkte." "Und außerdem würde es niemandem im Traum einfallen, hier irgendetwas wie einen Grenzposten zu bauen. Dieser Flecken Erde ist ein wahres Labyrinth. Ein Haufen unfruchtbaren, trockenen Bodens ohne Wasser und ohne irgendetwas, das man nutzen könnte! Für einen Händler ist dieses Land die Hölle auf Erden." "Dafür aber ein Paradies für Räuber." Fiel Gades ihm ins Wort. "Und ich glaube, das dort unten sind welche!" Alle drehten sich zu ihm um "WO?" Er hob den Arm und zeigte nach unten "Do..." "RUMMS!!!" machte es, und alle landeten auf dem Boden. "Alle Mann kampfbereit!" brüllte Allen. Panisch fragte Millerna "Was ist passiert?" und Gades antwortete an Stelle des an ihm vorbei rennenden Allen "Sie haben Seile nach uns geworfen, und die ziehen uns jetzt durch unsere Vorwärtsbewegung auf den Boden, wo sie uns dann angreifen werden." Millerna konnte tatsächlich spüren, wie sich der Crusador neigte und dem Boden entgegenstrebte. Mit dem Blick eines in die Enge getriebenen Tieres schaute sie aus dem Fenster. Drei Guymelefs bewegten sich mit dröhnenden Schritten auf sie zu. "Keine Sorge, der Kommandant wird diesen Hunden zeigen, was man in Asturia von Banditen hält." Millerna dachte an Allens Kampfkünste und war einigermaßen beruhigt. Er war gut genug, um es auch mit mehreren Gegnern aufnehmen zu können. Zischend öffnete sich die Luke von Sheherazade und mit einem Sprung stieg Allen ein. Noch während er seinen Guymelef aufrichtete, öffneten sich die Tore im Heck des Crusadors. Er führte seinen Guymelef an den Rand der Plattform und sah nach unten. Der Boden war nur noch zehn oder zwölf Meter entfernt. Mit einem Schrei sprang Allen hinunter, und der Aufprall hinterließ tiefe Abdrücke auf dem staubigen Boden. Als er sich umdrehte, sah er zwei der Guymelefs auf sich zu kommen, während der dritte sich zu dem Punkt bewegte, an dem der Crusador aufschlagen würde. Wegen den Erfahrungen mit den Zaibachern hatten sie überlegt, wie man einen Angriff aus der Luft abwehren konnte. Dabei war Gades eine großartige Idee gekommen, die sofort allgemeine Zustimmung gefunden hatte. Sie hatten einige der zerstörten Zaibacher Guymelefs genommen und die Flüssigmetallwaffen aus ihren Armen genommen und am Crusador befestigt, der jetzt Waffen an den Seiten und oberhalb der Brücke besaß. Die Umbauten waren nur minimal, und Gades war sich sicher, dass es kein Feind überleben würde, von oben anzugreifen. Dieser Feind kam zwar von unten, aber das dürfte kein Problem sein. Weiter kam Allen nicht mit seinen Überlegungen, denn der erste Guymelef war heran und schlug mit einem riesigen Schwert auf ihn ein. Allen blockte mit seinem Schwert ab, machte eine Drehbewegung, die ihn seitlich vor den Feind brachte und schlug ihn mit Sheherazades linken Arm so in die Seite, dass der Guymelef die Balance verlor und mit einem gewaltigen Krachen auf den Boden knallte. Allen stieß ihm das Schwert in den Torso, und in einer lauten Explosion zerbarst der erste Feind. In der Zwischenzeit war Nummer zwei herangekommen und holte aus. Mit einem Auflachen duckte Allen sich unter dem Schlag hinweg und teilte den Guymelef mit einem gewaltigen Schlag genau über den Beinen in zwei Hälften. Es war grotesk, dass die obere Hälfte des feindlichen Guymelefs herunterrutschte und sich mit einem Scheppern in ihre Einzelteile auflöste, während die Beine stehen blieben. Mit einem raschen Blick auf den Crusador versicherte sich Allen, dass der dritte Guymelef keine Gefahr mehr war. In dem Moment, in dem er ihn erblickte, sank er zu Boden und blieb regungslos liegen. Drei Metallspeere aus der Seite des Crusadors hatten ihn in der Mitte getroffen und außer Gefecht gesetzt. Die Fußtruppen, die in den Crusador eindringen sollten, flohen in heillosem Durcheinander. dachte sich Allen, als er ausstieg um die Guymelefs der Feinde zu untersuchen. Gades lachte in der Tat, aber nicht über den Erfolg seiner Idee, sondern über einen selbstbewussten Händler, der jetzt jedoch ein Bild des Elends war. Nachdem die feindlichen Guymelefs besiegt waren, war lauter Jubel ausgebrochen. Nur Dryden stand mit grünem Gesicht an der Wand, hielt sich die Hände vor den Mund und schien kurz vor dem Umkippen zu sein. "Was ist denn los, Dryden?" hatte Millerna ihn gefragt und seine Antwort hatte sich angehört wie "Iff haff fii fie Funge affefiffen!" Sie hatte ihn nur verständnislos angeschaut und er hatte geschluckt und seine Antwort, diesmal deutlicher, wiederholt. Die Mannschaft war mittlerweile auf ihn aufmerksam geworden, und was sie hörte ließ alle Gespräche verstummen. "Ich hab mir die Funge abgebiffen!" Es war leise genug um das Gras wachsen zu hören, das in der Felswüste unter dem Guymelef nicht wuchs. Ungläubig wiederholte Millerna die Worte Drydens, die sie nun gehört, aber noch nicht ganz verstanden hatte "die Zunge abgebissen..." Das war das Signal für die Mannschaft, die im Gefecht entstandene Spannung abzubauen. Das Gelächter dröhnte durch die Gänge, wurde verstärkt und erreichte als abgehacktes Brummen sogar Allen, der verwundert nach oben sah. Allen betrat die Brücke "Wo sind Millerna und Dryden." "Sie üben Zeichensprache!" rief ein Scherzkeks, und das tosende Gelächter ließ Allen an der Zurechnungsfähigkeit seiner Leute zweifeln. "Dryden hat eine Kriegsverletzung davongetragen." beichtete der grinsende Gades und machte eine Kunstpause "Er hat sich beim Sturz die Zunge abgebissen!" Allen starrte ihn ungläubig und wohl auch ein bisschen verzweifelt an, doch zum Glück hörte er hinter sich Millerna und konnte wieder aufatmen. "Nicht abgebissen, sondern nur draufgebissen, auch wenn es mächtig geblutet hat." "Millerna! Dann geht's ihm also gut!" Schwach lächelnd erwiderte sie "Gut kann man eigentlich nicht sagen, aber er wird keine bleibenden Schäden zurückbehalten. Aus seiner Rede wird nun allerdings nicht." Ein leises " Zum Glück!" ließ sie die Besatzung einen nach dem anderen anstarren, aber sie blickte nur in betont gelangweilte und teilnahmslose Gesichter. "Macht euch nur über ihn lustig. Mal sehen was ihr sagt, wenn euch so etwas passiert!" "Genug damit!" rief Allen mit lauter Stimme. "Wir müssen weiter. Ich habe einen Gefangenen gemacht, der jetzt im Frachtraum festsitzt. Ich werde ihn verhören gehen. Und ihr macht die Seile los, die uns immer noch festhalten. Und du" wandte er sich an Gades "schaust dir mal die Guymelefs an, und sagst mir dann, ob dir etwas auffällt." "Stimmt etwas nicht mit ihnen?" "Schau sie dir an. Ich will deine Meinung nicht beeinflussen." wich Allen aus und ging zum Frachtraum. Hitomi hatte sich den Bauch vollgestopft und Taro und Eliandra hatten angeboten, ihr die Insel zu zeigen und dabei ihre Fragen zu beantworten. Nach einem kleinen Rundgang durch die Siedlung kamen sie zu einem runden Bau mit hohen, bunten Fenstern wie bei einer Kathedrale. Auf der Insel gab es nur wenige Gebäude: das in dem Hitomi aufgewacht war, ein kleines Krankenhaus, ein riesiges Dojo und ein noch größeres Gemeinschaftshaus in dem alle wohnten und das so groß war, das es sogar vier Innenhöfe hatte. Aber dieser Bau war etwas anderes. Aus schwarzem Basalt erbaut, strahlte es eine Würde und Erhabenheit aus, die Hitomi tief beeindruckte. "Was ist das?" fragte sie und Taro antwortete mit einem gewissen Stolz in der Stimme "Das ist die Ratshalle. Dort werden die Beschlüsse in gemeinsamer Beratung gefasst. Natürlich nicht die, die das alltägliche Leben betreffen." Hitomi berührte sacht den schwarzen Stein "Der ist ja warm!" wunderte sie sich und Eliandra trat neben sie "Tatsächlich. Er ist schon wieder wärmer geworden." Hitomi schaute sie verständnislos an und ihre Verwirrung steigerte sich noch als Taro ebenfalls die Wand berührte und er sorgenvoll das Gesicht verzog. "Du hast Recht. Es wird wieder jeden Tag schlimmer." Entschuldigend erklärte er Hitomi "Die Steine, aus der die Ratshalle erbaut wurde haben eine besondere Eigenschaft. Wenn Gaia Gefahr droht, werden sie warm. Darum sind wir so besorgt. Wenn sie so schnell so warm werden, muss etwas Schreckliches bevorstehen. Das erinnert mich an etwas. Hitomi!" Sein Ton wurde plötzlich sehr ernst. "Hitomi, ich muss dich um etwas bitten. Ich habe einen Freund, der dich unbedingt kennen lernen sollte. Ich möchte dich bitten, heute noch mit mir aufzubrechen. Wir werden nicht lange brauchen. Er wohnt hier ganz in der Nähe, und wir können schon heute Abend wieder zurück sein." Er schaute sie so flehentlich an, dass sie schließlich zustimmte. "Also gut, wenn es so wichtig ist." Sie sagte es ihm nicht, und irgendwie wollte sie es auch selbst nicht wahrhaben, aber sie hatte bei Taros Worten das unbestimmte Gefühl gehabt, dass sie diesen Unbekannten unbedingt treffen musste. Sie hatte schmerzlich gelernt, auf ihre Gefühle zu vertrauen, trotzdem war sie sich nicht sicher, ob sie richtig handelte. Sie war wieder nach Gaia gekommen, da sie gespürt hatte, dass Van in Gefahr war, und statt so schnell wie möglich zu ihm zu kommen, stimmte sie einem Ausflug zu, der sie einen ganzen Tag kosten würde. Eliandra riss sie aus ihren Gedanken. "Am besten, du kümmerst dich schon mal um die Pferde. Ich werde Hitomi noch den Rest zeigen." "Gute Idee. Ich glaube, es ist am besten wenn wir nach dem Mittag losreiten. Es sind sowieso nur noch knapp zwei Stunden. Wir essen da wo du gefrühstückt hast." Sagte er zu Hitomi, drehte sich um und ging davon. Eliandra meinte "Am besten, ich zeige dir meinen Lieblingsplatz." Über einen schmalen, gepflasterten Weg durch eine Blumenbewachsene Wiese gingen sie auf eine hohe Hecke, die von alten Kastanien umgeben war, zu. Ein Tor in der Hecke ließ die beiden herein, und staunend sah sich Hitomi einem unglaublich vielfältigem Garten gegenüber. Auf einer Fläche von gut hundert mal hundert Metern wuchsen die verschiedensten Kräuter, Sträucher und Blumen. "In diesem Garten wachsen alle Pflanzen Gaias, die über bestimmte Eigenschaften verfügen. Viele heilen Krankheiten, andere wirken einfach nur beruhigend. Einige sind sehr giftig, darum darf hier auch eigentlich niemand rein. Aber solange du auf den Wegen bleibst, kann dir nichts passieren." "Ihr habt hier Giftpflanzen?" "Natürlich. Alles ist Gift- oder auch lebenswichtig. Es kommt nur auf die Dosis an. Das gefährlichste überhaupt ist Wasser." "Wasser?" Als ob sie ihre Gedanken gelesen hätte, sagte Eliandra "Nein, ich bin nicht verrückt. Aber überleg mal. Wenn du zuwenig Wasser hast, verdurstest du, bei zuviel Wasser ertrinkst du. Und Wasser ist so ziemlich das häufigste, auf das du trifft, von der Luft einmal abgesehen." Hitomi musste zugeben, dass sie auf eine verquere Weise sogar Recht hatte. Es waren bestimmt mehr Menschen verdurstet oder ertrunken, als an irgendeinem Gift gestorben waren. "Aber ich wollte dich nicht verwirren. Komm!" Sie zog Hitomi um eine Hecke, die ihnen bisher die Sicht versperrt hatte und Hitomi blieb von Staunen der Mund offen stehen. "Das, das ist wunderschön!" Auf einem kleinen Felsvorsprung stand etwa zehn Meter vom Wasser entfernt ein kleiner Pavillon mit zarten, verspielten Verziehrungen. Ein schmaler Weg führte rundherum, gesäumt von Blumen in den schillernsten Farben. Auf den Blumen im Schatten glitzerte noch der Tau der Nacht und der See erstreckte sich azurblau vor ihnen. Eliandra führte Hitomi in den Pavillon. Sie setzten sich beide auf die Bank und Eliandra fragte lächelnd "Na, habe ich dir zuviel versprochen?" "Nein, überhaupt nicht. Es ist unglaublich schön hier. Ich verstehe, warum das dein Lieblingsplatz ist." Dann fiel ihr etwas ein "Aber du sagtest doch, niemand darf hier rein? Wieso darfst du das, und warum steht dieser Pavillon hier?" "Ich darf hier rein, da ich eine Heilerin bin. Was meinst du, wer die ganzen Heilpflanzen braucht? Und der Pavillon- nun ja. Ich liebe diesen Platz, und da bin ich nicht die einzige. Wir Heilerinnen haben uns eines Tages entschlossen, das hier etwas stehen muss, wo man sich ausruhen und entspannen kann. Oft kommen auch die Kranken hierher. Wie gesagt, solange man auf den Wegen bleibt ist es ungefährlich. Ich habe mich falsch ausgedrückt. Es ist nicht verboten den Garten zu betreten, aber man soll aufpassen, keine der empfindlichen Pflanzen zu verletzen und vor allem die Heilerinnen und die Kranken, die sich hier erholen nicht zu stören." Sie bemerkte ein kleines Segelboot, das auf eine Bucht zustrebte, deren Öffnung gerade so zu erkennen war. "Da kommt uns wer besuchen. Komm mit, dann kann ich dir gleich den Hafen zeigen." Sie standen auf und gingen zur Bucht, in der der Hafen liegen musste, aber Hitomi fühlte einen Stich im Herzen, als sie den Garten verließ Aber dann dachte sie wieder an Van und sie fühlte deutlicher als jemals zuvor, dass etwas dabei war, diese Schönheit zu vernichten, und auf einmal fröstelte sie trotz der warmen Sonnenstrahlen, die durch das Laub der Bäume fielen. "Er hat sich selbst vergiftet? Bist du dir sicher Millerna?" Allens Gesicht verdunkelte sich. "Natürlich bin ich sicher. Die Zeichen sind deutlich. Ohne Zweifel Estardin. Ein schnell wirkendes Gift, das schon in geringen Dosen tödlich ist." Gades brummelte "Zum Teufel, das gefällt mir nicht. Nur Fanatiker bringen sich auf diese Art um." Millerna goss noch Öl ins Feuer "Das ist noch nicht alles. Estardin wird aus einer Pflanze gewonnen, die nur in den Bergen von Zaibach wächst. Und sie muss an Ort und Stelle verarbeitet werden. Es ist also ziemlich wahrscheinlich, dass dieser Mann aus Zaibach kommt, oder zumindest Kontakt zu ihnen hat. "Verdammt!" Allen schlug mit der Faust gegen die Wand. "Alles deutet auf Zaibacher hin. Und ich hatte gehofft, das wäre ein für alle Mal erledigt." Millerna schaute ihn verwundert an "Was meinst du mit alles?" Gades antwortete für ihn "Er meint die Guymelefs, richtig?" Allen nickte. "Du hast es also auch gesehen." "Ja, die Guymelefs der Angreifer sind keine zwei Monate alt. Keinerlei Abnutzung." "Und warum ist das so wichtig?" fragte Millerna, die den Männern nicht folgen konnte. Allen antwortete ihr "Ganz einfach. Von außen sieht man es nicht, aber wenn man sie sich genau anschaut, erkennt man, dass einige Teile nur von den Zaibachern stammen können. Daher auch ihre Beweglichkeit, über die ich mich schon gewundert hatte." Schweigen folgte diesen Worten, denn alle wussten nur zu gut, was das bedeuten konnte: einen weiteren Krieg. Als sie im Hafen ankamen, der nur aus einem langen Steg mit einem halben Dutzend kleiner und zwei großer Boote bestand, sahen sie Taro, der ebenfalls neugierig auf den Neuankömmling war. "Du erwartest niemanden, oder?" fragte er Eliandra, die den Kopf schüttelte. Gemeinsam warteten sie, bis die Person ausgestiegen war und auf sie zu kam. Hitomi hatte genug Zeit, sich die Person genau anzuschauen. Aus dem Boot, das gerade anlegte, als sie ankamen, stieg ein Mädchen, das etwas älter als Hitomi zu sein schien. Sie war ganz in schwarz gekleidet, von einigen weißen Verzierungen abgesehen und ihr langes Haar übertraf diese Schwärze noch um einiges. Im Gegensatz dazu wirkte ihr Gesicht fast blass. dachte sich Hitomi. Die schwarze Gestalt war inzwischen näher gekommen. Sie verbeugte sich vor Taro und Eliandra. " Flöte schickt mich, um euch diese Nachricht zu überbringen." Sie gab Taro einen versiegelten Brief und fügte hinzu "Außerdem soll ich auf eure Anweisungen warten." Eine Augenbraue Taros war während dieser Worte immer mehr nach oben gekrochen. Er und Eliandra hatten sich einen undefinierbaren Blick zugeworfen. "Anweisungen? Davon weiß ich nichts! Und außerdem: ein Brief? Von Flöte?" Eliandra seufzte und riss ihm den Brief aus der Hand "Statt lange zu grübeln wäre es wahrscheinlich am besten, wir lesen erst mal was sie will." Ihre Augen huschten über die Zeilen und mit einem "Tsss!" hob Taro wieder den Blick. "Das ist mal wieder typisch Flöte. Unverständliche Anweisungen und zum Schluss das bei ihr so ungeheuer geliebte "Mehr erfahrt ihr später von alleine!" Taro hatte inzwischen den Brief gelesen und rief "Hitomi, komm mal her!" Hitomi, die ein paar Schritte abseits gestanden hatte trat näher. "Thana, das ist Hitomi Kanzaki. Hitomi, Thana wird uns auf unserem Ausflug begleiten." "Ausflug?" Thana schien etwas verblüfft, kurz nach ihrer Ankunft gleich wieder auf die Reise geschickt zu werden, und Hitomi nicht weniger. "Ja, Flötes Anweisungen sind klar. Du sollst mit mir zu Akoth kommen, und ich soll bei ihm etwas abholen." Eliandra grinste ihn an "Dann kannst du ja gleich wieder zu den Ställen rennen. Ich muss mich um meinen Teil kümmern. Thana, du warst ja schon zwei Mal hier." "Drei Mal." "Oh, umso besser. Du wirst Hitomi noch die Quellen zeigen, die hat sie noch nicht gesehen. Und dann hilfst du Taro." Dieser war bereits unterwegs und schon einige Schritte entfernt. Jetzt drehte er sich noch mal um "Lass dir ruhig Zeit, es eilt nicht. Zeig erst alles Hitomi. Notfalls komme ich auch alleine zurecht." Thana verbeugte sich "Wie ihr wünscht." Nun ging auch Eliandra und Hitomi stand alleingelassen mit einem fremden Mädchen, das sie jetzt ziemlich aufdringlich musterte. "Du musst bei ihnen ja einen mächtigen Stein im Brett haben." Sagte sie unvermittelt und Hitomi spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss "Wie meinst du das?" "Sie behandeln dich, als ob du ihre Schwester wärst- was allerdings kein Grund ist, rot zu werden." Sie bedeutete Hitomi ihr zu folgen und ging auf ein kleines Waldstück zu. "Sag mal, was soll das denn? Und außerdem, ich finde nicht, dass sie mich so besonders behandeln." "Das beweist, dass du sie nicht kennst. Du bist das erste Mal hier auf der Insel, und zwei der Großen Drei schleichen um dich herum." "Große Drei? Was heißt das?" "Ganz einfach. Taro, Eliandra und Flöte bilden das Triumvirat. Das ist die Institution die hier bestimmt, außer, der Rat tritt zusammen, was allerdings nur selten passiert, da er nur die ganz wichtigen Dinge bestimmt. Alles andere würde zu lange dauern. Ansonsten bestimmen die Großen Drei. Darum sind sie auch immer ziemlich beschäftigt. Und ausgerechnet jetzt tanzen gleich zwei von ihnen um dich herum. Darum wundere ich mich." "Und was meinst du mit "ausgerechnet jetzt"?" Hitomi dachte an ihre Visionen und an ihren Traum von dem Drachen und ein Schaudern durchlief sie bis in die Fingerspitzen. Thana schaute ihr in die Augen "Tut mir leid, aber das darf ich dir nicht sagen. Frag Taro. Der redet gern, wenn er über etwas nachdenkt. Und auf unserem Ausflug wird er sicher eine Menge nachdenken müssen. Flöte hat jedenfalls etwas in der Richtung gesagt." Übertrieben genervt rief Hitomi "Flöte! Flöte, Flöte, Flöte! Wer zum Teufel ist das, und wie kommt sie überhaupt zu diesem Namen. Es ist doch eine Sie, oder?" Verblüfft starrte Thana sie wegen ihres Ausbruches an und dann fingen beide an zu lachen. "Du bist mir ja eine, Hitomi. Ja, Flöte ist eine Sie. Wie ich bereits sagte, ist sie ein Mitglied des Triumvirats. Mehr will ich dir aber nicht verraten. Wenn du sie kennen lernst, wirst du auch verstehen warum, man muss sie einfach erleben. Ihren Namen hat sie von ihrem Lieblingsinstrument, einer Blockflöte. Aber jetzt schau dir das an!" Sie hatten während des Gesprächs das Wäldchen erreicht und bogen nun um einen dichten Busch. Vor ihnen erstreckte sich ein kleiner, kristallklarer See vor einem großen Felsen. Der See war von den verschiedensten Baumarten umgeben, die ihre Schatten auf das vom Wind leicht bewegte Wasser warfen. "Das ist wunderschön, Thana." "Ja, das finde ich auch. Aus der Quelle, die diesen Teich speist, kommt auch das Trinkwasser der Insel. Und auf der anderen Seite des Felsens ist noch eine heiße Quelle zum Baden. Es ist ein wundervolles Gefühl, wenn man sich nach einem anstrengendem Tag dort entspannen kann. Allerdings muss man außen um den Wald herum um dort hin zu gelangen." Das wunderte Hitomi, denn sie hatte bereits einen schmalen, aber gut gepflegten Weg entdeckt, der von der Quelle fort rechts an dem Felsen vorbei führte. "Und wohin geht es da?" fragte sie und erschrak als sie Thanas Gesichtsausdruck sah. Doch ebenso plötzlich wie er gekommen war, verschwand der Grimm von Thanas Gesicht, aber ihre Fröhlichkeit war dahin geschmolzen wie Schnee in der Sommersonne. "Dort geht es zum Drachenaltar, aber ich gehe nie dort hin." Sie atmete tief durch und gab sich einen Ruck "Aber weil ich dich mag, werde ich es dir zeigen." In einem Aufblitzen sah sie Thana als kleines Mädchen, wie sie sich in den Schlaf weinte. Sie strauchelte und kehrte wieder in die Wirklichkeit zurück. Vor ihnen öffnete sich nun der Weg und ihr Blick fiel auf einen kleinen Altar in der Mitte der Lichtung, der von Schattenflecken besprenkelt war. "Das ist der Drachenaltar." Hörte sie Thana. "Er ist den Wächterdrachen gewidmet, die der Legende nach auf dieser Insel geboren wurden." Hitomi strich sanft über die Ornamente, die in den Stein gemeißelt waren und bestaunte die zwei kunstvoll gefertigten Drachen, die mit ihren Flügeln einen bronzenen Kelch zu beschützen schienen. Sie wollte gerade fragen, wer die Wächterdrachen waren, da wurde es schwarz vor ihren Augen. Die Flammen loderten wild auf. Dorfbewohner rannten in Panik durcheinander. Ein kleines Kind stürzte und fing an zu weinen. Der Geruch von verbranntem Holz lag in der Luft. Irgendwie hatte Hitomi das Gefühl, dass das Feuer nicht von einem Unfall herrührte, denn dazu war es zu großflächig. Aber es war auch kein Angreifer zu sehen, der das Feuer gelegt haben könnte. In ihren Ohren dröhnte das Schreien der Verletzten und Sterbenden. "Hitomi! Hitomi, wach auf, was ist denn los!" Sie konnte die Verzweiflung aus den Worten heraushören. Die Sonne blendete sie, und sie konnte den Schatten nicht erkennen, der sich über sie beugte, von einem Dach aus Blättern umrahmt. "Thana? Bist du das?" "Natürlich Hitomi! Was war los mit dir? Du bist auf einmal umgekippt und hast geschrieen." Hitomi stand ruckartig auf, musste sich aber bei Thana abstützen um nicht vor Schwindel umzufallen. "Es... es geht mir gut. Nur ein Schwächeanfall." Thana schaute sie zweifelnd an, drang aber nicht weiter in sie ein. "Wenn du meinst..." sagte sie tonlos "Aber wir sollten besser zurückgehen." Sie waren schon aus dem Wäldchen herausgetreten, als Hitomi wieder einfiel, was sie fragen wollte. "Thana, was sind die Wächterdrachen?" Eine Zehntelsekunde verhielt Thana mitten im Schritt, dann tat sie als ob nichts gewesen wäre, aber ihre Stimme klang seltsam gepresst. "Was weißt du über Atlantis?" fragte sie "Atlantis?" Hitomis Stimme klang so verwirrt, dass Thana seufzte "Natürlich, wie solltest du es wissen. Außerhalb dieser Insel wissen höchstens eine Handvoll Leute mehr darüber, für sie ist alles Legende. Aber es ist keine." Sie holte tief Luft "Ich will dich nicht mit den Details langweilen, das schaffen wir sowieso nicht mehr bis zum Mittag, und ich muss auch noch etwas erledigen. Jedenfalls war Atlantis ein Land mit hoch entwickelter Technik und Kultur. Seine Bewohner erschufen eine Maschine, mit deren Hilfe sie Gaia geschaffen haben, denn ihre Heimat war der Mond der Illusionen." Sie lächelte "Ich weiß, das du mir das nicht glauben wirst, aber lass mich weiter erzählen." Hitomi nickte ihr zu und dachte sich Bevor sie einen Entschluss fassen konnte, fuhr Thana fort "Sie erschufen zwölf Tore, die es ihnen ermöglichten, zwischen den Welten zu reisen. Wächter über diese Tore waren ausgewählte Wesen aus dem Volk des Drachengottes. Sie sind keine Legende. Genauso wie die Atlanter Gaia erschaffen haben, haben sie auch ihre Gestalt verändert und ließen sich Flügel wachsen. Die Auserwählten, die die Tore zwischen den Welten bewachten, hatten zu ihrer Unterstützung eine besondere Drachenrasse- die Wächterdrachen. Zusammen beschützten sie die Tore und diejenigen, die sie benutzten vor Gefahren, angefangen von wilden Tieren bis hin zu anderen, bösen Drachen. Aber die Atlanter wurden zu hochmütig. Sie glaubten das Schicksal bestimmen zu können. Das wurde ihnen zum Verhängnis. Atlantis ging unter und mit ihnen auch die Wächterdrachen, zumindest die meisten." Sie erreichten die Siedlung und Thana verabschiedete sich. "Ich muss noch was dringendes erledigen. Schau dich noch etwas um. In einer halben Stunde gibt es Essen, sei dann da." Sie rauschte um die Ecke und ließ eine nachdenkliche und etwas verwirrte Hitomi zurück. Auf einmal bemerkte sie Eliandra, die eiligen Schrittes einer Frau hinterherlief. Neugierig folgte Hitomi ihnen. Als sie das Haus betrat, erkannte sie wo sie war. Sie wollte wieder umdrehen, als sie die wütende Stimme Eliandras hörte. "Das werdet ihr nicht. Ihr bleibt hier liegen, und sie wird auch nicht erfahren, dass ihr hier seid!" Zögernd stand sie eine Sekunde da, dann siegte ihre Neugier. Sie ging auf das Zimmer zu, aus dem die Stimmen kamen und schaute vorsichtig durch den schmalen Spalt. Sie sah in das Zimmer und ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. In ihrem Schreck hatte sie der Tür einen leichten Stoß gegeben, und nun glitt sie langsam und lautlos auf. Eliandra saß auf einem Stuhl und drehte ihr den Rücken zu. Sie wollte gerade wieder etwas sagen, schloss jedoch den Mund wieder, als sie den Ausdruck auf den Gesichtern ihrer Patientinnen sah. Sie fuhr herum und erstarrte "Was machst du hier!" Aber niemand antwortete ihr. Schließlich brachte Hitomi flüsternd die Namen derer heraus, die da vor ihr in ihren Betten lagen. "Naria... Eria... ihr?" "Ich halte es immer noch für einen Fehler. Du tust ihr nur weh." Flöte schüttelte energisch den Kopf. "Wir haben keine andere Wahl. Wir brauchen sie. Und sie muss ihren Zorn überwinden." "Und du glaubst, dass das passiert? Und selbst wenn. Wenn ich mich recht erinnere, hast du gesagt, dass drei nötig sind" "Mach dir darüber keine Gedanken. Alles wird sich fügen. Der zweite ist schon unterwegs zu uns, auch wenn er es noch nicht weiß." "Du meinst Van, oder?" "Kennst du sonst noch jemandem aus dem Volk des Drachengottes?" "Nein. Darum mach ich mir ja Sorgen. Selbst wenn das mit dem zweien klappt, wo kriegst du die dritte Person her? Es gibt sonst niemanden mehr, der aus dem Volk des Drachengottes ist." "Aber in vielen fließt das Blut des ausgestorbenen Volkes. Alles wird sich fügen. Das Blut von Drachen, Mensch und Drachengottvolk wird sich mischen." "Und wie soll das geschehen, wenn mir die Frage gestattet ist?" "Fragen kannst du, soviel du willst. Die Antwort aber... Nun, zumindest einen Teil davon sollst du erfahren. Hol etwas zu schreiben. Du musst eine Nachricht für mich aufsetzen. Und danach sattle die Pferde. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns." "Hallo Hitomi! Schön, dich zu sehen." Narias Stimme klang sehr schwach. Und auch Erias Lachen war schwach, als sie Eliandra hinauswarf. "Es ist jetzt egal, wie sie hergekommen ist. Würdest du uns jetzt bitte allein lassen!" Mürrisch stand Eliandra auf und drängte sich an der immer noch erstarrten Hitomi vorbei. "Hör zu. Ich wollte nicht, dass du sie siehst. Sie sind noch sehr schwach. Reg sie nicht auf und überanstreng sie nicht. Falls ihnen irgendetwas wegen dir passiert, wirst du mich kennen lernen." Erschrocken wich Hitomi vor der griesgrämigen Heilerin zurück, aber Naria beruhigte sie. "Keine Angst, sie meint es nicht so. Sie könnte niemandem etwas antun. Sie macht sich nur Sorgen um uns." "Und zu Recht." Fügte ihre Schwester hinzu, als Naria sich von ihrem Hustenanfall erholt hatte. Endlich hatte Hitomi ihre Überraschung überwunden, konnte jedoch ein Zittern ihrer Stimme nicht verhindern. "Ich dachte ihr seid tot!" brach es aus ihr heraus. Naria nickte "Das haben wir auch gedacht. Aber setz dich doch erst mal hin. Du siehst ja fast so krank aus, wie wir sind. Mit weichen Knien nahm Hitomi auf dem Stuhl Platz, auf dem Eliandra gesessen hatte und Naria begann zu erzählen. "...Folken war also mit Erias Guymelef geflohen. Wir waren aber immer noch in der fliegenden Festung gefangen und zu schwach um etwas zu tun. Trotzdem gelang es uns irgendwie, in meinen Guymelef zu steigen. Dann ist die Festung explodiert und wir verloren das Bewusstsein. Aufgewacht sind wir erst wieder in diesem Zimmer hier. Jemand namens Taro hat uns in unserem Guymelef am Strand liegend gefunden. Allerdings ein ganzes Stück weg von der Festung. Wie wir dahingekommen sind- keine Ahnung. Taro soll uns auf die Insel hier gebracht haben. Wie er das geschafft hat, wollte er uns nicht sagen. Wir wissen nur, dass sie weit weg von Asturia liegen muss." Erschöpft sank Naria in ihre Kissen. "Ja. Taro hat mir gesagt, Fanelia liegt acht Tagesritte von hier." Da Naria die Kraft zum Weitererzählen fehlte, setzte Eria die Geschichte fort. "Wir sind erst vor drei, vier Wochen das erste Mal wieder aufgewacht. Die Einzelheiten sind jetzt unwichtig. Das Glücksblut, das unseren körperlichen Zerfall verursacht hat, wurde entfernt, auch wenn ich nicht verstanden habe wie. Auf jeden Fall hat es uns noch mehr geschwächt. Aber nach den Aussagen unserer energischen Heilerin sind wir auf dem Weg der Heilung- worüber sie sehr stolz zu sein scheint. Hitomi!" Eria sah ihr fest in die Augen und griff nach ihrer Hand. "Naria hat mir erzählt, wie du dich verhalten hast, als sie dich entführt hatte. Ich glaube, ich muss dir danken, auch wenn ich es nicht verstehe, warum du nicht geflohen bist, als du die Gelegenheit hattest. Nein, sag nichts. Der Schlaf kommt mich holen." Tatsächlich war ihre Stimme immer leiser geworden und nun fingen ihre Lider an zu flattern. "Hitomi, es tut uns leid, was wir dir und allen anderen angetan haben. Wir wollten alle nur eine bessere Zukunft, eine Zukunft in der niemandem passiert, was uns passiert..." Der Schlaf siegte und ihr Kopf fiel langsam zur Seite. Vorsichtig löste Hitomi Erias Griff um ihre Hand und deckte sie zu. Friedlich schliefen die beiden Schwestern, als Hitomi den Raum leise verließ. Nach dem Mittagessen waren Hitomi und Thana, geführt von Taro aufgebrochen um seinen unbekannten Freund zu besuchen. Hitomi hatte nach seinem Namen gefragt, aber Taro hatte nur gegrinst und den Kopf geschüttelt. "Den erfährst du schon noch. Lass mir die Überraschung." Thana hatte auf Hitomis fragenden Blick nur mit den Schultern gezuckt und sich offenbar mit ihrem Schicksal abgefunden. hatte Hitomi in sich hinein gegrummelt und dann geseufzt. Dieses 'bald' zog sich nun schon drei quälende Stunden hin. Hitomi hatte erst gedacht, das Reiten würde ihr Spaß machen, aber mittlerweile hatte sie ihre Meinung geändert. Die Pferde hatten sich nach der Überquerung des Sees nur noch den Berg hinaufgeschleppt, und ihr Gang über den steinigen Weg war Gift für jeden Rücken. Sie hatte sich schon fast entschieden, abzusteigen und lieber zu laufen, als Taro endlich das Zeichen zum Anhalten gab. "Wir binden die Pferde hier an." Er zeigte auf einen schmalen, für Hitomi nicht sehr vertrauenerweckenden Pfad, der sich eine steile Felswand hinaufwand. "Dort müssen wir lang." Nach ihrem Gesichtsausdruck schien Thana die selben Gedanken zu haben. Trotzdem tat sie, was Taro gesagt hatte und band ihr Pferd an einen Felsblock. Dann folgte sie Taro, der sein Pferd ebenfalls festgebunden hatte und schon dabei war, den Pfad hinaufzukraxeln. Mit einem Seufzen band Hitomi ihr Pferd ebenfalls an und folgte den beiden. Erstaunlich schnell hatten sie das andere Ende erreicht. Sie standen nun auf einem Plateau, das an einer Felswand endete und in der ein gewaltiges Loch klaffte. Thana blieb so plötzlich stehen, dass Hitomi gegen sie lief. "Was ist denn los?" fragte sie. Taro drehte sich um, mit einem Ausdruck im Gesicht, den Hitomi als Mitleid gemischt mit Trotz interpretierte. "Was soll das?" reif Thana mit schneidender Wut in der Stimme. "Das ist doch nicht etwa... Eine Stimme, die Hitomi seltsam bekannt vorkam, antwortete ihr, bevor Thana ihre Frage fertig gestellt hatte. "Doch, das ist mein Zuhause" Ein gewaltiger Schatten schob sich aus der Höhlenöffnung, begleitet von einem leichten Erzittern des felsigen Bodens. Trotzdem war nicht mehr als ein Tapsen zu hören. Langsam schob sich der Drache auf sie zu. Das Sonnenlicht spiegelte sich auf seinen grünen Schuppen und die Augen funkelten wie Smaragde. "Das ist mein alter Freund Akoth." Hallte Taros Stimme in Hitomis Kopf. Van war dem Pfad über viele kleine Erhebungen gefolgt, und nun lag ein magisch erscheinender See vor ihm, in dessen Mitte er die gesuchte Insel fand. Sie war teilweise mit Wald bedeckt, aber er konnte auch Felder entdecken und sogar ein Fischerboot, das in der Nähe des Inselufers im Wasser lag. Er ritt zu einem Gebüsch am Ufer und band sein Pferd dahinter fest. Im Sichtschutz der Uferpflanzen setzte er sich hin und beobachtete. Unentschlossen überlegte er noch über seine weitere Vorgehensweise, da bemerkte er ein Boot, das mit geblähten Segeln auf ihn zu steuerte. Er zog sich tiefer ins Gebüsch zurück. Der Kiel des Bootes kratzte über den spärlichen Sand des Ufers und einer der zwei Insassen stieg aus. Er stellte sich zwei Meter vom Wasser entfernt auf. Van lag nur 15 Meter von ihm entfernt im Gebüsch. Der Mann fing an zu sprechen. "Wir wissen, dass du hier bist. Nenne deinen Namen und deine Absicht!" Van starrte ihn verblüfft an. Das war nun nicht gerade der Empfang, den er erwartet hatte. Anscheinend wussten diese "leuchtenden Schatten" sehr genau, wenn jemand ihre Wege benutzte, er hatte jedenfalls keinen bemerkt, der ihn gesehen haben könnte. Der Mann wiederholte seine Aufforderung, immer noch in dem selben gleichgültigen Ton wie beim ersten Mal. Van war sich sicher, dass diese Gleichgültigkeit nicht sehr lange andauern würde. Er stand auf und kam vorsichtig aus seinem Versteck. "Ich bin Van Fanel, König von Fanelia! Ich bin gekommen um euren König zu sprechen! Führt mich zu ihm!" rief er mit soviel Nachdruck wie möglich in der Stimme, die Hand wie zufällig auf sein Schwert gelegt. Doch die zwei kümmerten sich nicht um seine hochtrabenden Worte. Sie drehten sich lediglich zu ihm um, und der Mann auf dem Strand holte eine Schriftrolle aus seinem Gürtel und las murmelnd "Fanel, Fanel... Fanel,Van. Da steht's ja. Nanu?" Er hob den Blick von seiner Schriftrolle, musterte Van aufmerksam von oben bis unten, sah noch einmal auf seine Schriftrolle und steckte sie dann schulterzuckend zurück in seinen Gürtel. "Tja, dann komm mal mit junger König. Hol dein Pferd. Du wirst bereits erwartet." Nun war die Reihe an Van, verblüfft zu sein "Erwartet?" echote er. "Wie kannst du es wagen, mich hierher zu bringen!" Schrie Thana aufgebracht dem unglücklich dreinblickenden Taro ins Gesicht. "Tut mir leid, aber Flöte hat es mir befohlen." Versuchte er sich zu rechtfertigen. Er wollte noch etwas hinzufügen, aber plötzlich kippte Thana langsam um. Mit einem Satz war er bei ihr und fing sie auf. Vor Schreck schrie Hitomi auf "Thana, was ist los, wach auf!" "Keine Sorge, sie ist nur ohnmächtig. Das gibt sich wieder." Mit deutlichem Ärger wandte er sich an Akoth "Was soll das? Flöte hat mir geschrieben, das sie heftig reagieren würde, aber das... Was ist zwischen euch vorgefallen, dass sie solche Angst vor dir hat." Mit einem Zischen wie eine alte Dampflok stieß der Drache die Luft aus seinen Nüstern. "Es dürfte wohl eher Hass sein. Unberechtigt, wie ich hinzufügen muss. Es ist eine alte Geschichte, in die ich verwickelt war, an der ich aber keine Schuld trage." Der Drache wollte offenbar nicht darüber sprechen. Grummelnd hob Taro die Bewusstlose hoch und trug sie wieder zurück. "Ich bringe sie zu den Pferden. Was auch immer der Grund war, warum Flöte sie hier haben wollte- es hat sich für heute erledigt. Aber ich komme noch darauf zurück." Sagte er in einem Ton, der nichts Gutes für die Angesprochene verhieß. Hitomi schaute ihnen noch etwas benommen hinterher, als der Drache sie ansprach und erschrocken zusammenzucken ließ. "Ich hätte nicht erwartet, dich so schnell hier zu sehen, Mädchen. Aber ich bin froh darüber." "Du, du bist der Drache aus meinem Traum, oder?" "Ja, ich freue mich, dass du dich noch an mich erinnerst." Hitomi erinnerte sich an ihren Traum. "Das ist nicht weiter schwer. Es war ein sehr..." sie holte tief Luft "...einprägsamer Traum. Oder eher eine Vision, ich meine, es war real und..." Der Drache ließ sein schon bekanntes Gelächter los "Nenne es ruhig einen Traum. Du hast schließlich geschlafen, und auf die Details kommt es nicht drauf an. Nur auf den Inhalt." Ein Gefühl der Unwirklichkeit überkam Hitomi, als sie sich daran erinnerte, wie Blätter, die der Wind durch die felsige Welt dieser Berge wirbelte. "Ja, der Inhalt. Du hast mir gesagt, Gaia sei in großer Gefahr." Sie schluckte Akoth blickte ihr tief in die Augen, und ein kribbelndes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus. "Du auch. Das ist richtig. Aber diese Gefahr ist klein im Vergleich zu der, die Fanelia, Asturia, Freid und all den anderen Ländern droht." Bei Akoths Antwort hatte sich Hitomi erschrocken, denn sie war sich sicher, dass sie das letzte nur Gedacht und nicht ausgesprochen hatte. Aber dann war ihr wieder eingefallen, was der Drache in ihrem Traum gesagt hatte. Da er keine menschliche Sprache sprechen konnte, hatte er es gelernt Gedanken zu lesen und in ihren Gedanken zu ihr zu sprechen. Dann war es also nicht nur in ihrem Traum so, sondern auch in Wirklichkeit. "Natürlich, was dachtest du denn." Verlegen fand Hitomi keine Antwort und setzte sich erst mal auf einen Felsen. Er war überraschend warm, die Sonne musste ihn den ganzen Tag über beschienen und erwärmt haben, obwohl es hier oben ziemlich kühl war. "Was ist nun diese Gefahr?" Der Drache kam einen Schritt näher und legte sich dann behutsam einige Meter vor ihr auf den Boden. "Das ist eine gute Frage. Genau weiß ich das auch nicht, aber ich weiß, dass du benötigt wirst um sie abzuwenden." Immer noch unsicher beschloss Hitomi, die Sache hinter sich zu bringen. Um den heißen Brei herum zu reden würde nichts bringen. "Wie meinst du das?" "Um dir das zu erklären, muss ich dir noch etwas erzählen. Das letzte Mal wurden wir ja unterbrochen. Was war das überhaupt für ein grässlicher Krach?" fragte er auf einmal. "Der Krach? Mein Wecker. Ich muss immer um diese Zeit aufstehen, um pünktlich in der Schule zu sein." Verwundert beobachtete Hitomi, wie sich Akoths Schuppen sträubten und sich der Drache mit sichtlichem Unbehagen schüttelte. "Ich wusste ja, dass es verrückte Menschen gibt- aber so was! Da sind wir Drachen wesentlich intelligenter. Wir schlafen solange wir wollen und lassen uns nicht von tollwütigen, Krach machenden Maschinen aus unserem wohl verdienten Schlaf reißen." Der gutmütige Spott in seiner Stimme reizte Hitomi zum Lachen, und sie fragte sich, ob das die Absicht des Drachens gewesen war. Ob Absicht oder nicht, jetzt begann jedenfalls der Drache zu erzählen und Hitomi wurde von seinen Worten gefesselt. "Ich habe dir ja bereits einiges über Atlantis und die Weltentore erzählt. Die Atlanter schufen diese Tore um zwischen ihrer Heimat, dem Mond der Illusionen, und der von ihnen geschaffenen neuen Welt, also Gaia, zu reisen. Um diese Tore zu beschützen hatte jedes Tor zwei Wächter- einen Drachen und eine Person aus dem Volk des Drachengottes, die über besondere geistige Kräfte verfügte. Heute existieren nur noch zwei Tore. Das eine Tor ist das, dessen Wächter ich bin. Und in gewisser Weise ist auch Flöte dessen Wächterin. Sie ist nicht vom Drachengottvolk, deshalb kann sie nicht alle Kräfte kontrollieren, aber das ist heute ja auch nicht mehr nötig. Atlantis wurde zerstört und niemand reist mehr zwischen den Welten hin und her, von dir einmal abgesehen." Fügte er mit einem Glucksen, zumindest schien es Hitomi so, sie hörte schließlich nur seine Gedanken, hinzu. "Aber das hat auch nichts mit uns zu tun. Wir müssen nur noch verhindern, dass die Kontrolle über unser Tor in die falschen Hände fällt. Auch wenn der Besitzer nur noch über einen Bruchteil der Kraft verfügen kann, die es zur Zeit von Atlantis hatte, ist die Kraft dennoch gewaltig. Erinnerst du dich noch, was ich über die elf Tore, die ihren Endpunkt in Atlantis hatten, gesagt habe?" Hitomi versuchte sich zu erinnern. "Hattest du nicht gesagt, sie hätten sich zu einen Tor verbunden und dieses Tor kann deswegen noch existieren, obwohl alle Endpunkte zerstört sind?" "Das ist richtig." "Und dieses Tor hat mich nach Gaia gebracht, um diese Welt zu retten." "Nun ja, etwas sehr kurz, aber richtig." Jetzt brach eine Frage aus Hitomi heraus, die sie sich tausende Male gestellt hatte, die in ihr gebrannt hatte, seit sie auf Gaia war. "Aber warum ich? Warum nicht irgendwer anders? Ich musste soviel Leid sehen, soviel Tod und Zerstörung!" Sie glaubte Mitleid in den Augen des schuppigen Wesens vor ihr zu sehen, auch wenn an diesem riesigen Gesicht vor ihr keine menschlichen Züge zu erkennen waren. "Ich weis es nicht, Kind. Ich weis nicht wie und warum das Tor dich ausgewählt hat. Aber ich bin sicher, dass es die richtige Wahl war. Niemand bekommt vom Schicksal eine Aufgabe gestellt, die er nicht meistern kann." Trotzig meinte Hitomi "Ich glaube nicht an das Schicksal. Ich glaube daran, dass jeder sein Schicksal selbst bestimmt!" "Vielleicht ist das ja der Grund, warum das Tor dich auserwählt hat." Irritiert schüttelte Hitomi den Kopf. "Wie meinst du das?" "Du hattest die Wahl. Man kann immer wählen. Du warst wieder auf dem Mond der Illusionen. Du hättest alles vergessen können, was du erlebt hast. Aber als Van kam, hast du dich für ihn und damit für Gaia entschieden. Du hast mit der Wärme in deinem Herzen das Schicksal geändert. Gaia hat überlebt, was den Atlantern den Untergang brachte. Dank dir. Und deswegen hat dich das Tor auch auserwählt, seine Hüterin zu sein." "Seine Hüterin?" "Natürlich. Glaubst du, du hättest das Tor benutzen können, ohne in Verbindung zu ihm zu stehen? Oh nein, es hat dich erwählt, Gaia zu retten. Und um seine Hüterin zu sein. Diejenige, die mit diesem Tor auf Leben und Tod verbunden ist. Dank dieses Tores hattest du Visionen, und das Tor hat dich und Van aus Fanelia gebracht, als die Zaibacher angriffen. Die Leben von dir, dem Tor und auch Van sind für immer miteinander verbunden." Sie saß eine Weile still da, und auch der Drache rührte sich nicht. Lediglich sein Schwanz zuckte gelegentlich. Eines dieser Zucken nahm Hitomi nun zum Anlass um ihn etwas zu fragen, von dem sie sicher war, dass er genau diese Frage erwartete und sie deshalb so erwartungsvoll anschaute. "Was meinst du damit, wenn du sagst, dass unsere Leben miteinander verbunden sind? Es klingt nach mehr als das, was du mir bis jetzt gesagt hast." Der Drache wiegte sein Haupt und antwortete zögerlich. "Es ist nicht nur, dass du auserwählt wurdest. Damit einher ging eine Verbindung die eure Leben eng miteinander verflochten hat." und Hitomi lief ein kalter Schauer über den Rücken als sie sich überlegte, dass er sie wohl auf etwas Unangenehmes vorbereiten wollte. "Mit anderen Worten: Wenn das Tor seine Kraft verliert und aufhört zu existieren, dann... werden du und Van sterben. Und wie es aussieht, liegt dieser Zeitpunkt nicht mehr weit in der Zukunft." Sterben. Tod. Hitomi war oft in Gefahr gewesen. Sie hatte mit Van gegen die Zaibacher gekämpft. Und diese hatten mehrmals versucht sie zu entführen. Sie wusste, was Gefahr war. Aber so etwas- ein Jahrtausende altes Tor, mit dessen Ende auch ihr Leben enden würde. Seltsamerweise stellte sie die Worte des Drachen nicht in Frage. Sie wusste einfach, dass es die Wahrheit war. Sie konnte es tief in ihrem Inneren spüren. Dann wurde ihr bewusst... "Aber wieso Van? Ich meine, dass mein Leben mit dem Tor verbunden ist, kann ich ja noch verstehen, aber Van?" Eisiger Schrecken durchfuhr sie und ihr Herz setzte für einen scheinbar ewigen Augenblick aus "Ist es, weil ich ihm meinen Anhänger gegeben habe?" fragte sie leise und schrie dann laut auf "Bin ich schuld?" Sie fiel nach vorn und ihre verkrampften Hände wollten sich in den harten Fels bohren. "Dummes Mädchen!" schrie es in ihren Gedanken so laut auf, dass sie wimmernd den Kopf in ihren zerschundenen Händen barg. Sie spürte nicht den Schmerz, der von einem abgebrochenen Fingernagel über ihre Nervenbahnen raste. Sie spürte nur den Schmerz, den diese Erkenntnis in ihr verursachte. "Dummes, dummes Mädchen." Hörte sie noch einmal und diese Worte holten sie aus ihrer Verzweiflung. "Dich trifft keine Schuld. Außerdem ist noch niemand von euch gestorben. Du hast das Schicksal eines ganzen Planeten geändert- was ist da das Schicksal von zwei Menschen." Der Spott in seiner Stimme riss sie wieder in die Gegenwart. "Aber warum wird Van auch sterben?" fragte sie verzweifelt. "Ich habe doch gesagt, noch ist niemand gestorben!" schimpfte Akoth wieder lauter "Und ich habe dich schließlich gerufen, weil ich das verhindern will." Leise fügte er hinzu "Ich erkläre dir später, wie ich dir helfen möchte. Aber was Van angeht: auch er wurde vom wilden Tor erwählt. Allerdings ist das etwas komplizierter." "Als Atlantis noch existierte, wurden die Wächter unter den fähigsten ihrer Art erwählt. Die Auserwählten erhielten zum Zeichen ihrer Würde und zur Kontrolle der Tore die Torsteine- kraftvolle Anhänger, Medaillons, Armreifen oder sogar Schwerter. Aber zum Kämpfen benutzten die menschlichen Wächter etwas anderes. Sie kämpften Seite an Seite in speziellen Guymelefs, die nur diejenigen kontrollieren konnten, die ihrem besonderen Geschlecht angehörten. Zum Zeichen der Verbundenheit zwischen den Wächtern und ihren Drachen wurden diese Guymelefs von den lebenden Herzen der Wächterdrachen angetrieben. Wir Wächterdrachen haben zwei Herzen. Eines entnahm der Partner des Drachen und setzte es als Energiestein in seinen Guymelef ein, nachdem er diesen Bund zwischen Drachen, Guymelef und sich selbst mit seinem Blut besiegelt hatte." In Hitomi stiegen Erinnerungen auf, auch schmerzhafte. Van, der sein Blut auf den Energiestein Escaflownes tropfen ließ. Van, der in einem versteinerten Escaflowne saß. Van, dessen Wunden durch die Schäden an seinem Guymelef verursacht wurden, und die nicht heilen wollten. "Escaflowne ist ein solcher Guymelef. Er ist einer von denen, die die Torwächter benutzt haben. Van hat sich mit seinem Blut mit ihm verbunden. Und deshalb ist er auch mit dem Tor verbunden, genau wie ich." Die Worte tropften leise und tonlose von ihren Lippen, wie das Blut, das den Pakt besiegelt hatte. Um Fanelia zu retten, hatte er diesen Bund mit Escaflowne geschlossen, und nun würde er dafür sterben. Langsam kippte sie um und lag regungslos auf dem kalten, harten Stein und kleine Kiesel, die sie nicht spürte, bohrten sich in ihre Rippen. Bunte Schlieren tanzten vor ihren Augen. Kräftige Hände hoben ihren Kopf "Trink das. Dann geht's dir besser." Nach ein paar Schluck musste sie Husten, aber es schien ihr tatsächlich geholfen zu haben. Die Farben hörten auf, durcheinander zu wirbeln, und jetzt erkannte sie auch, wer ihren bleischweren Kopf hielt. "Taro! Was ist passiert?" Vorsichtig setzte sie sich aufrecht hin, musste sich aber noch abstützen. "Du hast das Bewusstsein verloren. Warst wohl noch etwas geschwächt von deiner Reise hierher, und nachdem was mir Akoth erzählt hat, ist es kein Wunder, dass du aus den Latschen gekippt bist. Böse Sache. Aber wir kriegen das wieder hin, keine Sorge. Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger." Hitomi musste lachen, und bereute es sofort wieder, denn die Welt wurde wieder zu einem undurchsichtigen Brei. "Trink noch einen Schluck!" Diesmal schmeckte sie, was sie trank. Sie hatte gedacht, es wäre Medizin, aber es war nur klares, frisches Wasser. "Ich glaube, es ist besser, Taro bringt dich wieder zur Insel. Ich habe dir wohl etwas zuviel zugemutet." Hitomi wehrte schwach ab. "Nein. Du kannst nichts dafür. Es war einfach nur zu anstrengend. Außerdem hast du mir noch nicht gesagt..." "Das kann Taro machen. Ich habe ihm alles erzählt. Du solltest dich erst mal ausruhen." Hitomi nickte schwach "Wie lange war ich bewusstlos" ihr fiel ein, dass sie ja nicht die einzige war "und was ist mit Thana? Geht es ihr gut?" Taro schüttelte den Kopf, half ihr aber trotzdem aufzustehen "Kümmere dich erst mal um dich selbst." Meinte er tadelnd. "Thana geht es gut, auch wenn sie wahrscheinlich kein Wort mehr mit mir wechseln will." Sie setzten sich in Richtung Pfad in Bewegung, aber Akoth hielt sie noch mal an. "Hitomi, warte mal." Der Drache stapfte in seine Höhle zurück und kam nach kurzer Zeit wieder hinaus. In einer seiner Klauen hielt er vorsichtig etwas Goldglänzendes, das er Hitomi überreichte. "Ich glaube, du solltest das bekommen. Ich kann ja nichts damit anfangen." Es war ein flacher Armreif, allerdings zu groß für Hitomi. Aus dem flachen Untergrund war ein Drache herausgearbeitet, der sich um den ganzen Reif herum ringelte und sich in seinen eigenen Schwanz biss. In seinen Klauen hielt er einen grünen, schwach glänzenden Stein, der in Form eines Eies geschliffen war, rund und glatt. "Das ist einer der Torsteine. Er hat heute keine Funktion mehr und ist nur noch ein Schmuckstück. Aber da er zu einem der elf Atlantis-Tore gehörte, denke ich mir, dass es richtig ist, wenn du ihn erhältst." Hitomi bewunderte immer noch die feinen Strukturen des goldenen Drachens. "Danke. Es ist wunderschön. Aber sag mal, du hast mir doch erzählt, dass die elf Tore in Atlantis endeten und sich darum bei dessen Zerstörung verbunden haben. Aber wo endete denn das zwölfte Tor, das, dessen Wächter du bist?" "Dieses Tor endete auf einer großen Insel im Nord-Osten von Atlantis. Diese Insel war das Zentrum einer alten Religion, so alt, dass noch nicht mal die Atlanter ihre Herkunft kannten. Diese Religion hatte sich der Hilfe und der Liebe zu allen Geschöpfen verschrieben. Die Priesterinnen dieser Religion waren es, die die Wächterdrachen erschufen, denn sie wollten nicht, dass die Wunschmaschine der Atlanter die Tore kontrolliert. Sie hatten Angst vor der Macht dieser Maschine. Und die hatten sie ja zurecht. Ich bin natürlich nicht von ihnen erschaffen wurden. So alt werden selbst Wächterdrachen nicht." "Wir müssen langsam gehen." Sagte Taro, und Hitomi hatte den Endruck, das er sich bei diesem Thema unwohl fühlte. Trotzdem stimmte sie ihm zu und verabschiedete sich von dem imposanten Drachen, der ihr so viele schlechte Nachrichten gebracht hatte, den sie aber trotzdem in ihr Herz geschlossen hatte. Thana hatte die ganze Rückreise lang geschwiegen. Hitomi hatte mehrmals versucht sie anzusprechen, aber sie hatte, wenn überhaupt, nur einsilbig geantwortet. Schließlich hatte sie es resignierend aufgegeben und war still hinter ihr und dem ebenso schweigenden Taro hinterher geritten. Dieser hatte ihr versprochen, nach dem Abendessen die Ausführungen des Drachen fortzusetzen. Sie hatten gerade wieder in der kleinen Bucht angelegt, die der Insel als Hafen diente, als auch schon jemand zu Taro lief und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Er hob erst die Augenbrauen, dann runzelte er die Stirn und schaute überlegend auf Hitomi, die am Boot stehen geblieben war, um auf den Sonnenuntergang zu schauen. Thana hatte bereits die Pferde zu den Ställen gebracht. "Das mache ich doch gerne für meine Freunde." hatte sie mit beißendem Spott in der Stimme gesagt, auch auf Hitomi gezielt, deren freundschaftliches Verhältnis zu Akoth ihr sehr weh getan hatte. Nun kam Taro auf die nachdenkliche Hitomi zu und bat sie. "Ich habe einen unerwarteten Gast, der nicht zu uns gehört. Ich möchte, dass du im Kräutergarten wartest, bis ich ihn gesprochen habe. Es könnte sein, dass es besser ist, wenn er dich nicht sieht. Tust du das? Bis zum Abendbrot dauert es eh noch ein bisschen. Ich schicke dann jemanden, der dich abholt." Da Hitomi vorgehabt hatte, noch etwas spazieren zu gehen, stimmte sie sofort zu. Sie ging langsam zum Garten, während Taro zu seinem Haus eilte, um seinen Gast zu begrüßen. "Wie lange soll ich denn noch hier warten?" fragte Van gerade, als sich die Tür öffnete. Taros Mundwinkel zuckten als er antwortete "Tut mir leid, aber mit so hohen Besuch habe ich nicht gerechnet, jedenfalls jetzt noch nicht." Van drehte sich zu ihm um "Dann seit ihr derjenige, der mich hier erwartet hat." Stellte er fest. "Ja. Mein Name ist Taro. Ich habe mir gedacht, dass ihr früher oder später hier auftaucht, wenn ich euch auch nicht so früh erwartet habe. Aber was genau treibt euch denn auf unsere herrliche Insel, junger König?" wütend entgegnet Van "Das wisst ihr doch genau. Ihr habt mir eine Botschaft geschickt, in der ich vor einer Gefahr gewarnt wurde. Ich würde jetzt zu gern wissen, welche Gefahr das ist!" "Wo sind die Mädchen?" fragte Eliandra, bevor Taro antworten konnte. "Thana ist in ihrem Zimmer. Ich habe sie noch reingehen sehen. Die andere ist im Kräutergarten." Es war offensichtlich, dass er Hitomis Namen nicht erwähnen wollte, und Eliandra schaute ihn fragend an, sagte aber kein Wort. "Ist das der einzige Grund, der euch hertreibt, Hoheit?" fragte er lauernd, aber scheinbar gleichgültig. Etwas verwirrt bestätigte Van dies und Taro wollte ihm noch etwas sagen, als es an der Tür klopfte und jemand mit einer schriftlichen Nachricht hereinkam, die er Taro in die Hand drückte und dann abwartend stehen blieb. Taro überflog nur die ersten Zeilen und stöhnte dann leise auf. Er sagte nur "Flöte!" und von Eliandra ließ sich ein ähnliches Geräusch vernehmen. Dann wandte er sich an Van. "Es tut mir leid Hoheit, aber ich muss euch bitten uns kurz zu verlassen, damit wir diese Nachricht in aller Ruhe und ungestört diskutieren können. Am besten wäre es, ihr bringt das Mädchen, das im Garten wartet, hierher. Würdet ihr so nett sein?" Van war nicht gerade glücklich, dass er gewissermaßen rausgeworfen wurde, aber als König wusste er, dass so etwas nicht persönlich gemeint war. "Schon gut. Ich bin selbst König. Ich weiß, was sich gehört." Taros belustigter Gesichtsausdruck war seiner Stimmung nicht gerade förderlich, aber er hielt sich zurück. "Aber ich weiß nicht, wo sich dieser Garten befindet." "Kein Problem." Taro winkte ab und sprach den noch immer wartenden Boten an "Ihr bringt ihn zum Kräutergarten. Sagt dann dem Stallmeister, dass wir morgen früh" er hielt kurz inne "fünf Pferde brauchen, mit Proviant für eine Woche." Der Bote verneigte sich und öffnete dann die Tür. Van betrat den Kräutergarten und drehte sich noch einmal nach dem davon eilenden Boten um. Dann schaute er sich den Garten an. Im Schein der untergehenden Sonne erkannte er viele Pflanzen, die er kannte und noch viel mehr, die ihm völlig unbekannt waren. Er schlenderte durch den Garten und kam um eine Hecke. Vor ihm breitete sich das Panorama des Sees aus, davor ein kleiner Pavillon mit verspielten Schnitzereien. Undeutlich konnte er im Inneren den Kopf einer Gestalt erkennen, der über die Hecke , die um denn Pavillon gewachsen war, hinausragte. Das Mädchen saß da, offenbar in ihre Gedanken versunken und den Sonnenuntergang betrachtend. Er ging leise um die Hecke herum. Da er die Sonne im Rücken hatte, konnte ihn das Mädchen im Inneren nicht erkennen. Um sie nicht durch sein plötzliches Erscheinen zu erschrecken, sprach er sie an bevor er sich in den Eingang stellte. "Hallo. Mein Name ist Van. Ich soll dich zu Taro bring..." Er brach ab, als er das Mädchen erkannte. Sie sah genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte, nur dass das Licht der untergehenden Sonne ihr einen rötlichen Schimmer ins Gesicht setzte, der sie noch schöner werden ließ. Langsam stand sie auf und starrte ihn mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck an. Zitternd formten ihre Lippen seinen Namen. "Van. Van, bist du es wirklich?" "Hitomi..." Schluchzend warf sie sich in seine Arme und hätte ihn beinahe umgeworfen. "Van! Oh Van! Ich habe dich so vermisst!" "Ich dich auch!" flüsterte er leise und strich ihr sanft über ihr kurzes Haar. Es gab so vieles was er ihr sagen wollte, wie sehr er sie vermisst hatte und wie glücklich er sich jetzt fühlte. Aber sie standen nur schweigend da, aneinandergelehnt und glücklich in der Nähe des anderen. Mit der Zeit versank die Sonne in einem grandiosen Schauspiel hinter den Bergspitzen, aber obwohl Van als auch Hitomi, eng umschlungen dastanden und sie anschauten, sahen sie sie nicht wirklich. Sie lösten sich erst voneinander, nachdem die Sonne schon längst untergegangen war, und ein kalter Wind von den eisigen Gipfeln die zwei umwehte. Der letzte Wächter Teil 5 Hitomi öffnete die Augen. Kurz erschrak sie, doch dann fiel ihr wieder ein, wo sie war. Die Insel, Taro, Akoth... und Van. Van- war es nur ein Traum, oder war es Wirklichkeit? Nein, es war Wirklichkeit, musste einfach Wirklichkeit sein. Rasch zog Hitomi sich an. Die Sonne stand noch dicht über dem Horizont und warf ein unwirkliches Licht durch das Zimmer. Sie schloss die Tür und lief den Gang entlang. Erleichtert hörte sie Vans Stimme durch die Tür zum Esszimmer. Sie öffnete sie. "Guten Morgen. Ich habe einen riesigen Hunger. Ihr habt mir doch was übrig gelassen, oder?" Ihr Herz machte einen Sprung, als sie sah, wie Vans Gesicht strahlte, als er sie sah. "Keine Angst. Es ist genug da, um eine ganze Armee zu versorgen." Taro grinste Eliandra an "Nicht, wenn sie so viel isst, wie gestern." "Wo ist Thana?" fragte Hitomi "schläft sie noch?" Eliandra schüttelte betrübt den Kopf. "Nein, sie ist sehr früh aufgestanden. Sie hat kaum etwas gegessen, und ist dann gegangen." Bedrückt schwiegen sie eine Weile. "Was ist" fragte Taro "habt ihr euch entschieden?" Van zuckte mit den Schultern "Wir haben ja wohl keine Wahl, wenn das stimmt, was ihr gesagt habt. Wenn diese Flöte die einzige ist, die weiß, wie man das Tor und damit Hitomi und mich retten kann..." Van wünschte sich, dass es nicht so wäre. Er war die halbe Nacht wach gewesen und hatte gegrübelt, aber ohne Ergebnis. Sie mussten den Worten dieser seltsamen Leute trauen, oder es bestand die Gefahr, das er und Hitomi sterben würden. Und das würde er auf keinen Fall zulassen. Er hatte einmal geschworen, sie zu beschützen, und das würde er auch tun, komme, was da wolle. "Also abgemacht. In einer Stunde brechen wir auf." Taro und Eliandra erhoben sich und gingen, um letzte Anweisungen für ihre Vertreter zu hinterlassen. Als die Tür hinter ihnen zufiel, verschwand Hitomis fröhliche Miene, und Furcht spiegelte sich auf ihrem Gesicht. "Ich habe Angst Van. Ich weiß nicht, ob ich es aushalte. Immer wenn ich auf Gaia bin, gibt es nichts als Probleme. Es wäre besser gewesen, ich wäre nie hierher gekommen." "Nein, Hitomi." Platzte es aus Van heraus. "Das stimmt nicht. Du schaffst das schon. Wir schaffen es zusammen. Versprochen. Ich werde nicht zulassen, das dir was passiert." Hitomi schaute ihn schwankend an. Dann holte sie tief Luft und lächelte schwach. "Danke Van. Du hast Recht. Wir schaffen das schon." "Gut. Dann iss jetzt endlich etwas. Das wird ein anstrengender Ritt heute. Und die nächsten Tage werden wahrscheinlich nicht viel besser werden." Nach einer Weile kam Eliandra herein. "Wir können." Van und Hitomi standen auf und Van seufzte "Ich wünschte, ich könnte Allen Bescheid sagen. Er wird sich Sorgen machen, wenn ich so lange nichts von mir hören lasse." Eliandra sah ihn erstaunt an "Wenn das alle deine Probleme sind- das lässt sich erledigen. Du musst bloß sagen, wohin du eine Nachricht gebracht haben willst. Wir haben fast überall einen unserer Leute, und unsere Brieftauben sind die schnellsten von ganz Gaia. Natürlich darfst du niemandem schreiben, wer wir sind und wo wir leben, aber alles andere ist kein Problem." Nachdem Van eine Nachricht an Allen und eine an Merle geschrieben hatte, holten sie ihre Sachen und gingen los. Eliandra hatte ihm versichert, dass die Nachrichten schnellstmöglich überbracht werden würden. Van bot Hitomi an, ihre Tasche zu tragen, aber sie wiedersprach ihm energisch. "Du hältst mich wohl für einen Schwächling. Du hast selbst genug zu tragen. Auf meiner Welt tragen wir Mädchen unsere Sachen durchaus alleine." Dann lächelte sie und sagte leise "Trotzdem danke. Es tut gut, mal jemanden zu haben, der sich um einen kümmert, nicht nur weil man wichtig für Gaia ist." < Du bist wichtig für mich, Hitomi> dachte Van. "Da seid ihr ja endlich." Sagte Taro ungeduldig, als sie an den Ställen angekommen waren. Thana brachte gerade das letzte ihrer Pferde heraus. Sie warf einen Blick auf Van, schaute weg, drehte dann noch einmal den Kopf zu ihm und machte ein verwirrtes Gesicht, das sich aber sofort wieder versteinerte. "Dann können wir ja endlich los." Meinte sie und führte ihr Pferd in Richtung Hafen. Mit Bedauern in der Stimme sagte Taro "Thana hat sich immer noch nicht beruhigt." Hitomi blickte ihrer Freundin nach. Sie hatte sie vom ersten Moment an gemocht, aber seit sie Akoth gesehen hatte, war Thana wie verwandelt. In sich gekehrt, ständig verärgert und voller Hohn. Hitomi wusste nicht, was ihr solche Schmerzen bereitete, dass sie so reagierte, aber es tat ihr selbst weh, sie so zu sehen. "Vielleicht sollte ich einmal mit ihr reden." Meinte sie hoffnungsvoll, aber Taro winkte ab "Hoffnungslos. Solange wir nicht wissen, warum sie so wütend ist, nützt es gar nichts. Du machst es wahrscheinlich nur schlimmer. Flöte wird einiges erklären müssen, schließlich hat sie gesagt, dass ich Thana zu Akoth bringen soll." "Kommt endlich!" rief Eliandra, die Thana gefolgt war. "Sie fährt sonst mit unserem Boot ab- ohne uns." Es lag kein Spott in ihrer Stimme. Sie schien sicher zu sein, das Thana tatsächlich ohne sie losfahren würde, wenn sie sich zu lange Zeit ließen. Die Sonne stand schon ziemlich tief über den Bergen. Sie hatten eine kurze Rast zu Mittag eingelegt, aber nur wenig gegessen. "Heute Abend gibt es etwas warmes, aber jetzt ein Feuer zu machen, würde uns zu lange aufhalten." Hatte Eliandra versprochen. Hitomi hatte allerdings andere Sorgen. Das Reiten am Tag zuvor hatte ihr schon nicht sehr gefallen, aber jetzt tat ihr wirklich alles weh. Van hatte versucht sie abzulenken, indem er ihr erzählte, wie er die Spur der "leuchtenden Schatten" gefunden hatte. Als er den Namen gerade wieder einmal erwähnte, fragte er Taro, der hinter ihnen als letzter ritt, woher dieser Name kommt. "Naja, ich weiß es nicht genau. Wir selbst nennen uns Tihani, das kann man aber nicht wörtlich übersetzen. In einem Satz währe es ungefähr "Die, die Licht und Weisheit bringen." Klingt ein bisschen hochtrabend, ich weiß. Aber es gab unseren Orden schon, als Atlantis noch existierte. Wir waren von Anfang an die Chronisten des neu erschaffenen Gaia, und wir arbeiteten von Anfang an mit den Priesterinnen zusammen, die die Wächterdrachen erschufen. Ich glaube, Akoth hat dir die Geschichte erzählt, oder Hitomi?" "Ja, ein bisschen." "Viel mehr gibt es nicht zu erzählen, außer vielleicht, dass unsere Insel ursprünglich der Gaianische Tempel dieser Priesterinnen war- und es heute noch ist. Eliandra ist die Hohepriesterin. Und bevor ihr fragt- es gibt tatsächlich keine männlichen Priester. Es ist nicht ausgeschlossen, aber sehr selten. Warum das so ist" Er zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Aber es ist auch egal. Was den Namen "leuchtende Schatten" angeht, denke ich, dass er eine Kombination aus der Übersetzung von Tihani und unserer Eigenheit, alles im verdeckten zu tun, ist." Danach ritten sie eine Weile still vor sich hin, und Hitomi stöhnte in Gedanken, als sie daran dachte, das sie noch einige Tage Reitens vor sich hatte. Van riss sie aus ihren Gedanken, als er sich dicht zu ihr beugte und sie leise fragte "Sag mal Hitomi, fällt dir an Thana etwas merkwürdiges auf?" Hitomi hätte fast laut gelacht "Diese Menschen sind alle merkwürdig Van." Er schüttelte unmutig den Kopf "Das meine ich nicht. Es ist... so eine Art Gefühl. Ich habe das Gefühl, sie zu kennen, bin mir aber sicher, dass ich ihr noch nie begegnet bin." Nachdenklich schaute Hitomi zu Thana, die ein paar Meter vor ihnen ritt. "Vielleicht hast du sie ja doch schon mal gesehen, und weißt es nur nicht. Niemand merkt sich alle Leute, denen er auf der Straße begegnet." "Nein, das ist es nicht. Nicht einmal als Folken in der fliegenden Festung vor mir stand, habe ich so ein Gefühl gehabt. Ich weiß einfach nicht, wie ich es erklären soll." Er hörte ein leises Poltern und hob den Kopf. "Aufpassen!" Rief er und trieb sein Pferd nach vorn. Alle drehten sich überrascht um, doch dann hörten auch sie das Poltern. "Ein Steinschlag!" Von der steilen Felswand an ihrer linken Seite sprang einige Felsbrocken herab, und einer hielt genau auf Thana zu. Sie starrte ihn beinahe teilnahmslos an und rührte sich nicht vom Fleck. Mit einem riesigen Satz sprang Van von seinem Pferd und riss sie zu Boden. Dabei traf ihn der Felsbrocken in der Seite. Thana und Van prallten auf den Boden und der feine Felsstaub stob in einer Wolke grau glitzernder Teilchen auf. Die anderen Felsen hüpften ungefährlich zwischen den Pferden über den Weg. Als Van aufschlug, sprang auch Hitomi vom Pferd. "Van! Ist dir was passiert? Van!" sie kniete neben ihm nieder. Thana stöhnte und setzte sich mühsam hin. Erleichtert sah Hitomi, dass Van nicht schwer verletzt zu sein schien, auch wenn er nicht bei Bewusstsein war. "Fass ihn nicht an!" rief Eliandra "wenn er verletzt ist, darf er nicht bewegt werden." Sie kniete sich ebenfalls neben ihn und begann, ihn zu untersuchen. Thana starrte ihn an und stotterte "Er mich vom Pferd gestoßen. Der Felsen hätte mich sonst genau am Kopf getroffen." Taro mahnte sie "Du bewegst dich besser auch nicht." "Mir geht es gut!" keifte sie ihn an. Eliandra war unterdessen mit ihrer schnellen Untersuchung fertig "Van auch." Alle atmeten erleichtert auf. "Er wird bald wieder zu Bewusstsein kommen. Er hat sich lediglich eine Rippe angeknackst. Taro, hohl das Wasser!" "Hab ich schon. Hier." Er reichte Eliandra eine kleine Wasserflache. Vorsichtig nahm Eliandra sie aus ihrer ledernen Umhüllung, die das Glas der Flasche schützte. Verwundert erkannte Hitomi, dass es die selbe Flasche war, aus der Taro ihr vor Akoths Höhle Wasser eingeflößt hatte. Auch diesmal schien es nur Wasser zu sein, aber trotzdem hatte es die selbe belebende Wirkung auf Van wie damals bei ihr. Nach ein paar Schluck stöhnte Van und kam wieder zu Bewusstsein. "Der Stein..." Hitomi legte ihm die Hand auf den Mund "Es ist alles in Ordnung Van. Du bist der einzige, der etwas abbekommen hat." Eine kleine Träne stahl sich auf ihr Auge, und sie wischte sie verstohlen weg. Eliandra verpackte die Flasche wieder, und Taro half Van auf die Beine. Dabei entfuhr ihm ein Schmerzenslaut, und Taro meinte bedauernd "Es tut mir leid, aber hier können wir nicht rasten. Du wirst also eine Weile durchhalten müssen. Wir sind sowieso bald an dem Ort, wo wir heute übernachten wollten." Zusammen mit Hitomi half er Van auf sein Pferd. "Du siehst nicht aus, als ob du dein Pferd richtig führen kannst. Ruh dich aus, ich werde das übernehmen." "Nein!" rief Thana und überraschte damit alle. "Er ist nur wegen mir verletzt. Ich werde sein Pferd führen. Das ist das geringste, dass ich tun kann." Sie nahm die Zügel von ihrem und Vans Pferd. "Es ist ja nicht mehr weit, das halte ich schon durch." Taro zuckte mit den Schultern "Wie du meinst. Ich reite voran, Hitomi hinter mir, dann ihr zwei und am Ende Eliandra. Also los." Auf weitere Steinschläge achtend ritten sie den steilen Pfad hinab, bis sie kurz vor Sonnenuntergang in ein schmales Tal kamen. Ein kleines Stückchen Wald gab ihnen Deckung vor dem Wind, und in der Mitte des Wäldchens war eine Lichtung, an deren Rand ein überraschend breiter Bach floss, der sich in einem kleinen See staute. "Hier halten wir an. Es ist der beste Platz zum Übernachten, den es in diesen Bergen gibt, von der Insel natürlich einmal abgesehen." Sie richteten das Lager her, Thana schweigend, Eliandra voller Energie und Taro scheinbar über irgend etwas besorgt. Hitomi kümmerte sich nur um Van, der überrascht feststellte, das er zwar immer noch Schmerzen hatte, die Schwellung aber bereits zurück ging. Hitomi stöhnte "Meine Güte, bin ich satt. Das hat hervorragend geschmeckt, Thana." Die gelobte Köchin zuckte mit den Schultern "Alles bloß eine Frage der Übung. Wenn jetzt alle fertig sind, werde ich abwaschen gehen." Sie nahm das schmutzige Geschirr und stapfte zum Bach davon. "Verdammt!" rief Taro verärgert "Langsam geht sie mir damit auf den Geist." "Was zweifellos ihre Absicht ist." Fügte Eliandra hinzu. "Du hast wahrscheinlich Recht." Er blickte zu den ersten Sternen empor, die sich am dunkler werdenden Himmel abzuzeichnen begannen. "Ich hoffe, sie sind bald da." Hitomi wunderte sich "Bald da? Wer denn?" "Habe ich das nicht erwähnt?" Taro runzelte die Stirn. "Flöte natürlich. Ich habe doch gesagt, dass wir zu ihr unterwegs sind. Wir sind mit ihr und Keel hier verabredet. Sie sollten eigentlich schon da sein." "Und wer ist Keel?" Taro sah Eliandra an, und die zuckte mit den Schultern. Hitomi hatte irgendwie das Gefühl, als ob die beiden etwas vor ihr und Van verbargen. Die nächsten Worte Taros bestätigten das. "Wartet es einfach ab. Ich will eure Gesichter sehen, wenn sie kommen. Sie sind ein verdammt merkwürdiges Pärchen." Thana kam gerade mit dem Geschirr zurück, als ein leiser Ton von einer Flöte das Knacken des Lagerfeuers übertönte. Thana erstarrte, bevor sie rasch alles einpackte und Eliandra und Taro standen auf. "Wurde auch Zeit. Das sind sie." Aus Taros Stimme war eindeutig die Vorfreude auf etwas Lustiges herauszuhören, und Van dachte sich < Das müssen ja wirklich komische Gestalten sein, wenn er sich so auf unsere Verblüffung freut.> Die Flötenmelodie war immer lauter geworden. Da es schon fast ganz dunkel war, waren die Tiere verstummt. Die seltsam getragene Melodie schien eine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte aus längst vergangenen Zeiten. Die Melodie verstummte, und nur das leise Getrappel der Pferde war noch zu hören. Es knackte, und die Erwarteten betraten zwischen zwei Bäumen hindurch die Lichtung. Taro hatte nicht zuviel versprochen. Van und Hitomi brachten vor Staunen kein Wort heraus. Auf dem ersten Pferd, einem schneeweißen Schimmel ritt ein kleines Mädchen, eine Syrinx in der Hand und lächelte sie an. Ihr blondes Haar fiel ihr in einer langen Mähne um den ganzen Körper und auf ihrer Stirn glänzte im warmen Schein des Feuers ein kleiner Smaragd in einem filigranen Stirnreif. Ihr Alter war schwer zu schätzen, sie schien vielleicht sieben oder acht Jahre alt, aber beim Blick in ihre Augen hatte Hitomi das Gefühl, in die Augen einer alten, weisen Frau zu blicken. Hinter dem seltsamen Mädchens ritt ein griesgrämig dreinblickender Mann, in dessen schulterlangen, schwarzen Haaren bereits die ersten grauen Strähnen hervorlugten. Im Gegensatz zu seiner jungen Begleiterin war auf seiner Stirn kein Edelstein, sondern eine kleine Narbe, die ihm ein verwegenes Äußeres verliehen. Bei seinem Anblick stutzte Van. Der Mann kam ihm bekannt vor. Als sie anhielten wieherte sein Fuchs und schnaubte ungeduldig. Der Mann tätschelte den Hals seines Pferdes. "Schon gut, Dal. Ich steige ja schon ab." Er sprang vom Pferd und ging zu dem kleinen Mädchen. Sie steckte ihre Flöte in ihr Kleid und sprang in seine Arme. Der Mann stellte sie behutsam auf den Boden und band dann ihre beiden Pferde fest. In dieser Zeit musterte das Mädchen unverhohlen die noch immer verblüfften Hitomi und Van. Taro hatte sich an ihren Gesichtern anscheinend genug erheitert und sprach mit theatralischer Geste. "Darf ich vorstellen: Flöte und Keel. Ihr dürft aber nur zwei Mal raten, wer wer ist. Wir wollen es ja nicht zu einfach machen." Das Mädchen warf ihm einen bösen Blick zu "Wir sind nicht hier, um Witze zu reißen. Thana, komm her!" Thana verschränkte die Arme. "Warum sollte ich? Du bist nicht meine Mutter." Ein Schatten huschte über Flötes Gesicht "Du hast nichts verstanden. Wir werden später darüber reden." "Das glaube ich nicht. Da ihr jetzt da seid, kann ich ja beruhigt spazieren gehen." Sie drehte sich um und ging raschen Schrittes Richtung Seeufer. Flöte schaute ihr wütend nach, seufzte dann und wandte sich an Van. "Du bist also der König von Fanelia. Ich habe mir dich größer vorgestellt. Trotzdem herzlich willkommen. Und du musst Hitomi sein. Akoth hat mir erzählt, was vorgefallen ist. Ich hoffe, dir geht es wieder gut. Deine Reise hierher hat dich eine Menge Kraft gekostet. Das wilde Tor hat nicht mehr die Kraft, einen reibungslosen Transfer zu erreichen. Du hättest besser nicht zu ihm gehen sollen." Eliandra erwiderte "Sie war körperlich stark genug. Das heilige Wasser hat hervorragend gewirkt. Übrigens hat Van auch ein paar Schlucke bekommen. Vor ein paar Stunden hat ihn ein Felsen getroffen. Die Wunde dürfte im Verlauf des morgigen Tages verheilen." Flöte nickte "Du bist die Heilerin. Aber war das mit dem Wasser nötig?" < Was reden die denn hier von heiligem Wasser?> wunderte sich Hitomi. "Bei Hitomi auf jeden Fall, sonst würde sie heute noch bewusstlos im Bett liegen. Und Van- nun wir haben es eilig. Und wenn du das vorhast, was ich denke, brauchen die zwei sowieso eine Dosis." Taro fuhr zu ihr herum. "Hast du mir etwas zu sagen, Eli?" Eliandra schüttelte entschuldigend den Kopf. "Es ist nur eine Vermutung. Außerdem, wenn es stimmt, ist das eine Sache, die nur mich etwas angeht. Schließlich bin ich die Hohepriesterin, nicht du." Jetzt reichte es Van. Er hatte erst verwirrt, dann mit steigendem Ärger zugehört, und Hitomi erging es ganz ähnlich. "Das ist jetzt aber genug! Worüber redet ihr? Und was soll das Gerede von heiligem Wasser? Warum würde Hitomi ohne das Wasser noch Bewusstlos sein? Ich will endlich Antworten haben. Ihr redet die ganze Zeit, aber etwas erklären tut ihr nie. Ich bin hergekommen, um Antworten zu erhalten, und nicht weitere Rätsel. Und da wir gerade beim Thema sind: Ich glaube du bist derjenige, der in mein Zimmer eingebrochen ist!" Er zeigte anklagend auf Keel, die andere Hand zur Faust geballt, und anscheinend kurz davor, seine Forderungen mit dem Schwert zu unterstreichen. Hitomi legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter und er entspannte sich. Flöte schaute ihn an, als ob er ein seltenes Insekt wäre, das ein unerwartetes Verhalten gezeigt hatte. "Sieh an, der junge König hat Zähne! Schade, dass die Kleine sie ihm schon gezogen hat. Antworten erhältst du, wenn du sie benötigst." Diesmal war es Taro, der explodierte "Das reicht jetzt, Flöte. Wir sind dein flegelhaftes Benehmen gewöhnt, sie aber nicht." "Flegelhaft!" empörte sich Flöte "Ganz recht. Sie haben Antworten verdient. Und nicht nur sie. Ich würde auch ganz gerne erfahren, was genau du vorhast." Keel, der während des ganzen Disputs mit steinerner Miene im Hintergrund gestanden hatte, unterstützte Taro "Er hat Recht. Es ist Zeit für Antworten." Seine Aussage schien Flöte urplötzlich abzukühlen. "Na gut, wie du meinst. Aber erst esse ich was. Das ist eine zu lange Geschichte, um sie mit leerem Magen zu erzählen." Sie setzte sich an das prasselnde Feuer. Keel nahm neben ihr Platz. Beim Hinsetzten fiel ihm noch etwas ein. "Ach ja, Van, du hast Recht. Ich war derjenige, der bei dir eingestiegen ist. Allerdings wollte ich nur die Warnung bringen. Aber dann hat mich dann etwas abgelenkt." Van holte Hitomis Anhänger unter seinem Hemd hervor. "Das hier, richtig? Du hattest ihn in der Hand, als ich reinkam." Keel nickte "Ja, ich hatte nicht erwartet, einen Torstein dort zu finden." "Hitomi hat ihn mir geschenkt, bevor sie zum Mond der Illusionen zurückgekehrt ist." "Einen Torstein, verschenkt?" Sein geschocktes Gesicht reizte Hitomi "Ich wusste ja nicht, dass es einer war. Er war ganz einfach mein Glücksbringer. Und selbst wenn ich es gewusst hätte, warum hätte ich ihn nicht verschenken sollen?" Eliandra klatschte in die Hände "Nun ist es aber genug. Flöte, Keel, esst! Und wenn ihr fertig seid, kann Flöte uns und unseren Freunden..." Sie betonte das Wort Freunde so, dass klar wurde, was sie von Flötes Benehmen hielt "alles erzählen." Sie blickte das kleine Mädchen streng an. "Alles!" "Das wird aber eine lange Geschichte." murmelte Flöte, und duckte sich vor Eliandra, die drohend einen Teller hob. "Dann können wir ja anfangen. Also." Flöte holte tief Luft. "Wie Akoth Hitomi bereits erzählt hat, verband sich das wilde Tor, das aus der Vereinigung der elf atlantischen Tore entstand mit Hitomi, um sie nach Gaia zu holen. Wie sich gezeigt hat, war die Wahl richtig. Dornkirks Schicksalsmaschine nahm zwar die Arbeit auf, aber durch Hitomis starken Willen wurde die Vernichtung von Gaia verhindert. Aber das wilde Tor war schwach geworden, ohne Anker in dieser oder Hitomis Welt. Darum hat es freudig die Energie absorbiert, die der wieder aktivierte Guymelef Escaflowne, und damit auch Van, der den Blutbund beschlossen hat, ihm geboten hat. Dadurch sind Van und Escaflowne mit dem Tor verbunden. Zwischen Hitomi und dem Tor bestand ja bereits durch den Transport vom Mond der Illusionen hierher eine gewisse Verknüpfung, aber etwas anderes hat die eigentlich Verbindung geschaffen. Dieses etwas waren Hitomis Visionen. Schon zur Zeit von Atlantis hatten die Torwächter die Gabe der Voraussehung. Diese Gabe ist aber selten, und darum wurden auch nur bestimmte Wesen vom Drachengottvolk- das natürlich damals noch nicht so hieß, sie waren einfach nur eine Untergruppe der Atlanter- für die Aufgabe als Wächter auserwählt. Ich gehe davon aus, das du schon immer die Zukunft vorhersagen konntest, Hitomi, oder?" Hitomi schreckte hoch "Ja, aber es wahren nur... Ahnungen. Keine Visionen wie hier auf Gaia." Flöte nickte "Das kam durch das Tor. Nun, ich will euch nicht mit Einzelheiten langweilen. Jedenfalls hat das ohnehin schwache Tor viel Kraft verloren, als es Hitomi die Macht gegeben hat, Dornkirks Maschine zu überwinden. Nichts gegen dich, Hitomi, aber kein noch so starker Wille kann die Energie aufbringen, eine solch mächtige Maschine gegen die Wünsche so vieler zu besiegen." Hitomi atmete innerlich auf. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken gewesen, dass sie allein eine solche Macht zu besitzen schien. Ein Wusch von ihr, und Menschen konnten ins Unglück gestürzt werden, so wie es bei Milernas Hochzeit gewesen war. "Ach ja. Das interessiert dich vielleicht Van." Van schaute sie verwundert an. < Hält sie das vorher gesagte etwa nicht für interessant? Mir brummt jedenfalls der Kopf, auch wenn alle außer Hitomi eher gelangweilt schauen. Nein. Ich habe mich geirrt. Nicht gelangweilt, nachdenklich. Abwesend. Wer ist dieses Mädchen? Sie redet wie ein altgedienter General, ist aber nicht mal halb so alt wie ich!> "Dass du und all die anderen euch bekämpft habt, lag nicht an euch, jedenfalls nicht direkt. Eure Wünsche waren unvereinbar. Darum gab es für die Schicksalsmaschine nur einen Weg: Solange diejenigen mit Wünschen eliminieren, bis nur noch soviel Wünsche über waren, wie erfüllt werden konnten, ohne sich gegenseitig zu behindern. Das war auch der Grund für den Untergang von Atlantis. Am Anfang war es ein gemeinsamer Wunsch, auf den sich alle konzentriert haben- die Erschaffung einer neuen Welt, Gaia. Nachdem diese Welt erschaffen war, gingen die Wünsche immer mehr durcheinander. Mit der Zeit waren immer mehr Leute erforderlich, die Maschine zu kontrollieren. Und dann- BUMM!" Flöte freute sich diebisch über die erschrockenen Gesichter. "Atlantis ging in einer riesigen Explosion unter, die den ganzen Atlantischen Kontinent vernichtete. Nur wenige entkamen, die meisten von ihnen auf Gaia." Sie machte eine Pause. "Ich glaube, jetzt sollte Eliandra weiter erzählen. Ab jetzt ist es ihre Geschichte." Die Priesterin wand sich "Das ist eigentlich nichts, was wir überall erzählen." "Wir sind nicht überall. Und die zwei brauchen einige Details, um alles zu verstehen." Eliandra zögerte noch eine Sekunde, und atmete dann tief durch. "Also gut. Die meisten Überlebenden waren wie gesagt auf Gaia. Und der Großteil von ihnen waren die Priesterinnen meines Ordens. Damals schon lag der Sitz des Ordens auf Gaia auf derselben Insel, auf der er noch heute ist. Wir hatten die Wächterdrachen erschaffen um die Tore zu bewachen. Als Atlantis unterging nahmen wir die Wächter bei uns auf, und so entstanden die Tihani. Taro hat euch den Namen ja schon erklärt." "Darum lebt ihr also auf dieser abgelegenen Insel." Sagte Hitomi. Plötzlich fiel ein, was Thana über den kleinen Altar auf der Insel gesagt hatte. "Ich habe auf der Insel einen Altar gesehen. Thana nannte ihn Drachenaltar und dass der Name von den Wächterdrachen kommt, die auf dieser Insel erschaffen wurden." Eliandra nickte "Ja, das ist richtig. Er wurde gebaut, nachdem Atlantis untergegangen war. Die primitiven Menschen auf Gaia, die zusammen mit der Welt erschaffen wurden, oder von den wenig entwickelten Regionen außerhalb Atlantis hierher transportiert wurden, hielten die Wächterdrachen für ihre Retter. Schließlich wurden sie erschaffen, um die Gefahren des Tores zu kontrollieren. Das Atlantis unterging, Gaia aber nicht, sahen sie als Bestätigung dafür, das sie Erflog hatte, auch wenn die Wächter selbst anderer Meinung waren. Zum Dank bauten sie diesen Altar um die Drachen anzubeten." Eliandra zuckte mit den Schultern. "Wir hatten weder die Zeit noch den Willen, sie davon abzubringen. Und ich muss zugeben, dass diese Religion den Tihani nicht nur viele Vorteile brachte, sondern auch dringend notwendige Stabilität für diese angeschlagene Welt schuf. Es ist erstaunlich, wie sich Gläubige führen lassen. Das Thana davon wusste, wundert mich aber." Flöte verneinte "Das habe ich ihr gesagt. Das war unumgänglich. Wenn sie zu euch gekommen wäre, hätte sie es früher oder später erfahren, und sie hätte es mir übel genommen, wenn sie gemerkt hätte, dass ich es ihr verheimliche." Taro fragte "So wie bei Akoth?" "So ähnlich." Gab sie ihm Recht. "Allerdings hatte ich gedacht, dass sie erwachsener geworden wäre. Sie muss endlich begreifen, dass..." Hitomi stieg das Blut in den Kopf. Sie hatte gesehen, wie sehr Thana unter ihrer Begegnung mit Akoth gelitten hatte. Wütend rief sie dazwischen "Vielleicht solltest du mal begreifen, dass du ihr sehr weh getan hast. Ich weiß nicht, warum sie einen solchen Hass auf Akoth hat, aber er wird nicht verschwinden, indem du sie einfach vor ihn hinstellst. Du hast damit ihr Vertrauen missbraucht, denn du wusstest, dass es ihr weh tun würde." Streng versuchte Taro sie zum Schweigen zu bringen "Hitomi! Du hast nicht das Recht..." Mit den Fäusten in die Hüften gestemmt, baute sie sich auf. Selbst Van zuckte vor ihr zurück. So wütend hatte er sie nur gesehen, als er ihr gesagt hatte, dass er sie wegen ihrer Fähigkeiten brauchte. Er musste sie damals schwer getroffen haben. Er kam aber nicht dazu, den Gedanken weiter zu spinnen. "Jetzt rede ich! Ich habe alles Recht der Welt zu reden, wenn jemandem weh getan wird! Wenn du ihr Vertrauen zurück haben willst, dann wäre es besser, wenn du mit ihr sprichst. Ich weiß nicht, was zwischen den beiden vorgefallen ist, aber ich weiß, wie sich jemand fühlt, der einsam ist. Und im Moment fühlt sich Thana sehr verlassen, denn sonst würde sie nicht so schroff mit uns reden! Und falls es euch nicht aufgefallen ist, sie ist schon sehr lange weg. Ich bin mir sicher, sie heult sich irgendwo da draußen die Augen aus dem Kopf! Und deswegen werde ich jetzt zu ihr gehen, auch wenn sie glaubt, das ich sie wegen Akoth belogen habe. Aber wenn niemand mit ihr redet, wird es nie besser. Komm, Van!" Sie stapfte in die Richtung davon, in der Thana verschwunden war, und Van beeilte sich, ihr zu folgen. Eliandra war die erste, die das Schweigen brach "Du hast Recht, Taro. Sie ist wirklich ein außergewöhnliches Mädchen." "Oh ja!" stimmte ihr Taro aus vollem Herzen zu "Mir ist beinahe das Herz stehen geblieben. Man sollte sie wirklich nicht wütend machen." Flöte hatte Gedankenversunken dagestanden. "Bin ich wirklich so kaltherzig?" fragte sie niemanden bestimmtes. Unsicher schaute sie Eliandra an. "Ich glaube, wir sollten uns mal unterhalten, Hohepriesterin." "Wie du wünschst, Flöte." Hitomi war wütend fort gestürmt und Van hatte ihr nur mit Mühe folgen können. Zu ihrer beider Erleichterung fanden sie Thana am Ufer des Sees auf einem Felsbrocken sitzend. Da sie schräg von hinten kamen, hatte Thana sie noch nicht bemerkt. "Warte Hitomi." Sagte Van und hielt ihren Arm fest. "Was ist?" fragte sie noch immer sauer, beruhigte sich aber, als sie in seine ernsten Augen blickte. "Es ist besser, wenn ich mit ihr rede. Du hast selbst gerade gesagt, dass sie auch gegen dich etwas hat. Ich bin der einzige, mit dem sie vernünftig reden würde." Widerstrebend gab ihm Hitomi Recht. "Na gut. Aber bitte sei vorsichtig. Ich will nicht, dass sie dich auch noch als jemanden ansieht, der ihr weh tun möchte." Van wartete, bis Hitomi außer Sichtweite von Thana war, dann ging er zu ihr und setzte sich neben sie ins Gras und verschränkte die Arme um seine Knie. Thana war zusammen gezuckt, als sie ihn hörte, aber nach einem raschen Blick richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den See. "Du solltest dich nicht ins Gras setzten. Es ist kalt." "Das stört mich nicht." "Aber mich stört es. Lass mich allein." "Das werde ich nicht Thana. Es kann gefährlich sein, hier allein zu sein. Wilde Tiere könnten dich angreifen." "Hat Flöte dich geschickt?" überging sie seine offensichtliche Lüge. "Nein. Niemand hat mich geschickt." "Musst du mich jetzt auch noch anlügen? Reicht es nicht schon, dass Flöte es tut? 'Es ist nur zu deinem Besten!' Sie war meine Mutter, seit meine Eltern gestorben sind! Und dann lässt sie mich zu diesem Biest bringen!" Van war verwirrt. Entweder hatte er sich verhört, oder Thana fantasierte. Es stand vielleicht schlimmer um sie, als sie dachte. "Deine Eltern sind tot? Das tut mir leid. Aber Flöte kann schlecht deine Mutter ersetzt haben, sie ist ja noch ein Kind!" Thana sah ihn spöttisch an. "Du weißt es nicht? Ich dachte, sie wollte euch alles erzählen? Da siehst du mal wie sie lügt." "Woher weißt du das? Du warst doch schon weg, als sie eingewilligt hat, uns zu erzählen, was sie vorhat." Thana schüttelte den Kopf. "Nein, ich bin noch mal zurück gegangen, um etwas zu holen. Aber als ich gehört hatte, was sie vorhat, bin ich wieder umgekehrt. Sie hat nicht mal mir etwas erzählt, und euch... Entschuldige. Das war nicht persönlich gemeint. Ich meine bloß, ihr seid Fremde, und ich... ich habe mit ihr seid dem Tod meiner Eltern zusammen gelebt." "Was ist denn passiert? Wenn ich das fragen darf." Thanas Gesicht zuckte und Trauer, Hass und Verzweiflung huschten im Wechsel darüber. "Zwei Drachen haben gekämpft. Dabei haben sie das Dorf, in dem wir lebten verwüstet, auch einige Menschen sind gestorben. Die Dorfbewohner machten meine Eltern dafür verantwortlich. Sie haben sie umgebracht. Keel hat mich vor den Dörflern gerettet, und Flöte hat mich aufgezogen." Ihre nüchterne Schilderung verbarg nur schlecht das Grauen, das sie spürte. Van musste an seine eigenen Eltern denken, die so früh gestorben waren. "Ja, Flöte hat mich aufgezogen wie ihre Tochter. Denn sie ist kein Kind, auch wenn sie so aussieht. Sie ist viel älter als du, darum kennt auch niemand ihren richtigen Namen. Eliandra und Taro sind übrigens auch viel älter als es den Anschein hat. Das hängt mit der Insel zusammen, soviel weiß ich. Aber wie?" Sie lachte spöttisch "Wieder ein Geheimnis. Ich bin wirklich zu beneiden. Die vielleicht älteste Person Gaias adoptiert mich, und ich weiß gar nichts über sie." Jetzt glaubte Van, einen guten Ansatz zu haben. "Ich weiß auch nicht viel über sie. Aber eines mit Sicherheit: Sie liebt dich." Er wollte weiter reden, aber Thana unterbrach ihn wütend "Das habe ich auch gedacht. Aber das ist auch nur eine Lüge. Ich habe dir noch nicht alles erzählt. Einer der Drachen, die gekämpft haben, war Akoth. Der Drache, dessen Leben mit dem von Flöte verbunden ist. Das ist der wahre Grund, warum sie mich aufgezogen hat: Sie hatte einfach nur Schuldgefühle!" Enttäuschung und Wut sprachen aus ihrer Stimme, und Van konnte gut nachfühlen, wie sie sich fühlte. "Das stimmt nicht. Vielleicht war es am Anfang sogar so, aber jetzt ist es mehr als das. Glaub mir bitte. Bei mir war es genauso." Thana fragte ihn verblüfft "Wie meinst du das?" "Auch meine Eltern sind früh gestorben. Ein alter Freund meines Vaters hat mich aufgenommen. Am Anfang war es nur aus Verantwortung für mich. Aber mit der Zeit wurde er nicht nur mein Lehrer, sondern auch mein Freund. Er ist für mich bei der Verteidigung Fanelias gestorben." "Das tut mir leid. Du warst wirklich dabei, als Fanelia von den Zaibachern angegriffen wurde?" Van schaute sie verblüfft an "Natürlich. Ich bin schließlich der König." Thana war schockiert "Der König? Oh Gott! Van! Natürlich! Ich hätte nie gedacht, dass du der Van bist!" Van lachte "Ich sehe nicht gerade wie ein König aus, was? Das hat Hitomi wahrscheinlich auch gedacht, als sich alle vor mir verbeugt haben." "Dann wusste sie nicht, wer du warst, als sie dich kennen lernte? Seltsam." Van schüttelte den Kopf "Überhaupt nicht seltsam. Die Umstände unseres Treffens waren... seltsam. Hat sie dir nicht erzählt, wo sie herkommt?" "Nein. Und ehrlich gesagt ist mir das auch egal. Niemand sollte wegen seiner Herkunft beurteilt werden. Aber das sie sich mit diesem Drachen zusammen tut, hätte ich nicht gedacht. Ich habe sie für meine Freundin gehalten, auch wenn wir uns kaum kennen." "Sie hat sich nicht mit dem Drachen zusammen getan. Ich weiß nicht, was es mit Akoth auf sich hat. Aber ich vertraue Hitomis Urteil. Wenn sie meint, dass der Drache nicht böse ist, dann ist das so. Sie hat oft genug bewiesen, dass sie mit so etwas recht hat. Nicht zuletzt bei meinem Bruder." "Ich habe davon gehört. Er war der General der Zaibacher, oder?" "Ja. Er hat Fanelia vernichtet. Als ich erfuhr, dass er lebte, und dass er es war, wollte ich nichts anderes als ihn töten. Hitomi hat es verhindert. Und sie hatte Recht. Ich kann ihm nicht verzeihen, was er getan hat, dazu war es zu schrecklich. Aber ich kann ihn verstehen." Auf einmal wusste Van, was er zu sagen hatte, um Thana zu helfen. "Er hat nur das beste gewollt. Er wollte Gaia zu einer besseren Welt machen. Und er wollte verhindern, dass ich gegen einen Drachen kämpfen muss, weil es ihn fast das Leben gekostet hat. Er dachte, das richtige zu tun. Er tat es aus Liebe zu mir und den Menschen Gaias. Aber er hat sich geirrt. Er war verblendet von der Macht der Schicksalsmaschine. Zum Schluss hat er seinen Irrtum eingesehen. Nun ist er tot, und ich wünschte er würde leben. Thana. Auch Flöte hat alles aus Liebe zu dir getan. Sie kann sich geirrt haben, oder auch nicht. Das kann ich nicht beurteilen. Aber es tut ihr genauso weh, wie dir, auch wenn sie es nicht zugeben will. Soll erst einer von euch sterben, bis ihr einseht, dass sich einer von euch geirrt hat? Rede mit ihr. Ich bin sicher, ihr könnt euch wieder vertragen." Tränen schimmerten in Thanas Augen. Plötzlich warf sie sich schluchzend gegen ihn. "Van, du hast ja keine Ahnung. Ich kann nicht. Ich habe Angst. Angst, dass du nicht recht hast. Was ist, wenn sie mich auslacht? Ich liebe sie, auch nachdem sie mir das angetan hat. Ich will sie nicht verlieren." Unbeholfen versuchte Van sie zu trösten. Er hatte noch nie jemanden weinen sehen können. "Sie wird dich nicht auslachen Thana. Du gehst einfach zu ihr und du wirst sehen, ihr werdet euch wieder vertragen können. Es wird eine Zeit dauern, aber ich bin sicher, wenn du ihr verzeihen kannst, wird sie sich bemühen, dir nicht mehr weh zu tun. Jeder macht Fehler. Aber es bringt nichts, sie tot zu schweigen." "Aber ich habe Angst!" sagte sie ruhiger, aber immer noch schniefend. "Der Freund, der mich aufgezogen hat... sein Name war Vargas." Sprach Van leise und in seiner Erinnerung versunken. "Er war der beste Schwertkämpfer, den ich kenne. Und er war sehr weise. Ich habe immer versucht, ihn zu besiegen. Ich habe es nicht geschafft. Als ich aufgeben wollte, hat er sich ruhig zu mir gesetzt. Ich habe ihm gesagt, dass ich es nie schaffen werde, ihn zu besiegen. Er hat nur dagesessen, und mich angeschaut. Er konnte einen Blick haben, der Wasser zum Erstarren brachte. Dann hat er nur gesagt 'Wer kämpft, kann verlieren. Wer aufgibt, hat schon verloren.' und ist gegangen. Am nächsten Tag habe ich wieder mit ihm gekämpft." "Hast du gewonnen?" Van lachte "Natürlich nicht. Niemand hat ihn je besiegt, bis an den Tag, als Fanelia zerstört wurde. Und selbst dann war es die feige Tat eines unsichtbaren Guymelefs. Weißt du, ich hätte beinahe aufgegeben. Alles, was ich geliebt hatte war tot oder zerstört. Ich wollte nur noch Rache. Ohne Zweifel hätte ich mich blindlings in den Kampf gestürzt und wäre dabei gestorben. Aber es hat mich nicht gestört. Mit der Zeit wurde ich klarer im Kopf. Es gab nur zwei Dinge, die mich gerettet haben. Vargas und Hitomi. Ich hatte geschworen sie nach Hause zu bringen, und die Erinnerung an Vargas gab mir die Kraft dazu. Wenn Hitomi nicht vom Mond der Illusionen gekommen wäre, hätte ich aufgegeben. Aber sie hat mir Hoffnung gegeben. Sie hat diese Wirkung auf alle. In ihr ist eine solche Kraft..." Thana hatte sich überrascht von Van gelöst. "Hitomi kommt vom Mond der Illusionen?" Van wunderte sich "Ja. Hast du das nicht gewusst?" "Nein. Ich meine, ich habe gehört, dass ein Mädchen von dort dem König von Fanelia geholfen hat, die Zaibacher zu besiegen. Aber ich dachte, das wäre eine erfundene Geschichte." "Aber es ist keine." Thana musste auf einmal lachen "Und ich habe ihr die Geschichte vom Mädchen vom Mond der Illusionen auch noch erzählt. Ich sagte, das ich das für Unsinn halte. Kein Wunder, das sie mich nicht mehr leiden kann." "Du irrst dich. Sie hat dich sogar sehr gern. Eigentlich war es ihre Idee, hierher zu kommen. Aber ich dachte, du würdest ihr nicht zuhören." Thana beruhigte sich "Das hätte ich auch nicht. Ich habe mich wohl sehr in ihr geirrt. Und wenn ich mich bei ihr geirrt habe, habe ich das vielleicht auch mit Flöte. Du hast Recht. Wer aufgibt, hat schon verloren. Lass uns gehen. Ich will mit Flöte reden, bevor ich wieder den Mut verliere." Sie stand auf und klopfte sich den Staub von den Kleidern. Van tat es ihr nach, etwas erstaunt über ihren plötzlichen Wandel. Als sie den ersten Feuerschein durch das Unterholz sehen konnten, blieb sie noch einmal stehen. Der Großteil ihres Mutes schien sie bereits verlassen zu haben. "Van?" "Ja." "Versprichst du mir etwas?" "Was denn?" "Wenn ich aufgeben sollte, dann zwing mich dazu, mit ihr zu reden. Tust du das?" "Versprochen. Aber das wird nicht nötig sein. Du schaffst das von alleine. Du bist stark genug." Aus einem spontanen Impuls heraus umarmte er sie. "Viel Glück." Ebenso spontan gab Thana ihm einen kurzen Kuss "Danke." Dann stapfte sie entschlossen auf das Feuer zu, und die Äste knackten unter ihren Füßen. Van stand mit rotem Gesicht da und befühlte überrascht die Wange, auf die sie ihn geküsst hatte. Er bemerkte Hitomi nicht, die einige Meter weiter stand. Sie hatte sich, statt zurück zu gehen, an die beiden angeschlichen und sie belauscht. Sie hatte Angst gehabt, das es Van nicht gelingen würde, Thana aufzubauen. Aber anscheinend war ihm das hervorragend gelungen. Wirklich hervorragend. Am nächsten Morgen brachen sie früh auf. Den ganzen Tag über hingen graue Wolken am Himmel, und manchmal fielen ein paar Tropfen. Flöte hatte ihnen gesagt, dass sie um das Tor, und damit auch Hitomi und Van, zu retten, einige Dinge besorgen müssten. Sie wollte sich nicht über auslassen, welche Dinge das waren, denn sie hatte wichtigeres vor, wie sie sagte. Thana und Flöte führten ein langes Gespräch, das bis in den späten Nachmittag dauerte. Um sie nicht zu stören, ritten Taro und Keel voraus, die zwei in der Mitte und der Rest der Gruppe hinterher, zwischen den Gruppen genug Abstand, um ihr Gespräch vertraulich zu halten. Hitomi war den ganzen Tag merkwürdig still. Van fragte, was sie hätte, aber sie wich mit Kopfschmerzen aus. Da auch Van von den gestrigen Ereignissen ziemlich erschlagen war, machte er sich weiter keine Gedanken. In Wirklichkeit aber hatte Hitomi andere Gründe, nicht mit ihm zu reden. < Warum bin ich eigentlich eifersüchtig? Er hat sie doch nur getröstet. Außerdem gehört Van mir nicht, auch wenn ich das vielleicht gerne so hätte. Warum fühle ich mich nur so schlecht? Und schließlich freue ich mich ja, dass Thana anscheinend wieder auftaut. Ach verdammt! Blödes Gaia! Nie ist hier etwas einfach!> "Milerna! Dryden! Ich habe eine Nachricht von Van erhalten." Er stürmte in ihr Zimmer. Die beiden hatten sich gerade über einen der Berichte, die sie vom König von Delos erhalten hatten, gebeugt. "Es ist unglaublich! Hitomi ist wieder da!" "Wie bitte? Hitomi? Bist du dir sicher?" fragte Milerna aufgeregt. "Ja. Van hat wörtlich geschrieben: 'Ich habe die "leuchtenden Schatten" gefunden. Hitomi ist auch hier. Sie und ich sind in Gefahr, und Gaia auch. Ich werde noch eine Weile brauchen. Van. PS: Ich bin es wirklich und nicht verrückt. Das zweite kann ich nicht beweisen. Das erste: Denk an eine Brücke in Asturia.' "Eine Brücke? Wieso beweist die, dass es Van ist?" fragte Dryden nachdenklich. "Es ist eine Sache, die Van und ich geklärt haben, nachdem Hitomi nach Hause gegangen war." Sagte Allen mit einer Stimme, die deutlich machte, das er es nicht näher erklären würde. "Schade, dass er nicht mehr geschrieben hat, aber die Nachricht kam wohl mit einer Brieftaube, denn das Blatt ist sehr klein." "Wer hat es dir gegeben?" wollte Milerna wissen. "Niemand. Ich fand es auf meinem Bett. Hat wohl jemand dahingelegt. Wie bei Van damals." Dryden schüttelte den Kopf "Merkwürdige Methode." Am Abend schlugen sie ihr Lager in einer weitläufigen Höhle auf. Sie hatte sogar einen Riss in der Decke, durch die der Rauch ihres Feuers abziehen konnte. Hitomi war sehr froh darüber, denn der Wind pfiff ziemlich kalt in die Höhlenöffnung, und ohne Feuer wäre es wirklich zu kalt gewesen. Flöte und Thana hatten sich anscheinend vertragen, auch wenn sie noch eine vorsichtige Distanz wahrten. "Hat es euch geschmeckt?" fragte Taro, der diesmal Küchendienst hatte. "Ja, sehr gut." Antwortete Hitomi "Erstaunlich, dass ein Mann so gut kochen kann." Setzte sie ein bisschen gemein hinzu. "Gar nicht erstaunlich. Wenn ich nicht koche, macht das Eli. Das erklärt es." Eliandra schubste ihn spielerisch "Du Hund! Wie kannst du mir das antun! Du blamierst mich ja!" Aus dem allgemeinen Gelächter heraus, dem sich sogar Thana anschloss, fragte Van überraschend "Ihr benehmt euch wie kleine Kinder. Wie alt seid ihr eigentlich?" Noch immer lachend antwortete Eliandra "Hundertsechsun" brach dann ab und versuchte sich in einen Wutanfall zu retten. "Wie kannst du es wagen, eine Frau nach ihrem Alter zu fragen! Hast du denn gar keine Manieren!" Doch Van lehnte sich nur an die kalte Höhlenwand und grinste "Zu spät. Ich glaube, jetzt solltet ihr auch dieses Geheimnis lüften." Hitomi saß noch immer schockiert da und wollte ihren Ohren nicht trauen. <'Hundertsechsun' soll das heißen, sie ist über hundert? Das kann doch nicht sein!"> "Lass nur." Sagte Flöte "sie hätten es eh erfahren. Aber es würde mich interessieren, wie du darauf kommst, Van." "Zufall." "Nein, kein Zufall. Mir ist so etwas rausgerutscht." warf Thana in die Debatte. Flöte seufzte "Noch was, worüber wir reden müssen." Als sie die Angst in Thanas Gesicht sah, sagte sie beruhigend "Keine Sorge. Ich trage dir nichts nach, das habe ich dir doch versprochen. Aber ich glaube, es ist besser, wenn Eliandra die Sache mit dem Alter erklärt." "Also gut. Wie du meinst." Eliandra machte eine kurze Pause, um ihre Gedanken zu ordnen und begann dann. Hitomi und Van hörten ihr gespannt zu. Sie hatten das Gefühl, dem größten aller ihrer Geheimnisse auf der Spur zu sein. "Als Atlantis noch existierte, wurden die Menschen sehr alt. Sie hatten sich nicht nur Flügel gegeben, sondern auch ihre Körper so verändert, dass sie viel älter wurden, als es heute normal ist. Da die Tihani, also die Bewohner der Insel, direkt von den überlebenden Wächtern und den Priesterinnen abstammen, ist unsere Lebenserwartung etwa doppelt so hoch wie die aller anderen. Früher war dieser Effekt noch um ein Vielfaches stärker. Die ersten Wächter wurden über tausend Jahre alt." Hitomi lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Ein solches Alter war einfach unvorstellbar, und doch... Die Bilder wechselten in rascher Folge. Sie zeigten immer die selben. Es mussten die Wächter sein, denn sie flogen mit ihren Drachen. Sie sah, wie sich die Wächter kaum veränderten, während rings um sie herum die Menschen alt wurden und starben. "Hitomi! Alles in Ordnung?" Van hatte sie besorgt an den Schultern geschüttelt. "Ja. Mir geht es gut. Ich hatte eine Vision... Ich habe die Wächter gesehen, wie sie alt wurden... Aber es geht schon wieder." Sie schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben. "Wirklich erstaunlich. Soll ich weiter erzählen, oder willst du dich erst ausruhen?" fragte Eliandra besorgt. "Nein, erzähl weiter. Mir ist nur ein bisschen schwindlig." "Also gut. Wie gesagt, werden wir sehr alt, aber es gibt noch etwas, das diesen Effekt verstärkt. Es ist das Wasser unserer Insel. Die ersten Priesterinnen haben es geschaffen, um den Wächtern und ihren Drachen ein äußerst langes Leben zu geben. Dieses Wasser existiert noch heute. Es verlängert nicht nur das Leben, sondern hat auch starke heilende Kräfte." Die Erkenntnis durchfuhr Van und Hitomi wie ein Schock. "Das Wasser, das du mir und Van gegeben hast!" entfuhr es Hitomi, und Eliandra nickte. "Als du hier ankamst, warst du so schwach, dass du fast gestorben wärst. Ich habe dir etwas von dem heiligen Wasser gegeben, und Van auch, als er verletzt war." "Darum ist meine Verletzung so schnell geheilt. Sie ist jetzt schon so gut wie weg." "Ja, Van." Bestätigte Eliandra ihm. Ein Gedanke durchzuckte Hitomi "Werden wir dann auch so alt?" Sie war erschrocken, stellte aber fest, dass ihr der Gedanke gefiel. Ein plötzliches Verlangen durchfuhr sie. "Nein!" sagte Eliandra mit Nachdruck. "Dazu müsstest du es öfter trinken. Hitomi, Van, ich muss euch bitten genau in euch hinein zu hören. Spürt ihr das Verlangen, lange zu leben, vielleicht Jahrtausende?" Hitomi war geschockt < Jahrtausende!> Eine plötzliche Übelkeit stieg in ihr auf. Ihr Herz raste und das Blut schoss ihr in den Kopf. "Ja." Sagte Van scheinbar ruhig. "Ich habe das Gefühl, alles unternehmen zu müssen, damit das passiert." Hitomi nickte nur. Das war genau das, was sie auch fühlte. Eliandra sagte traurig. "Das Gefühl haben alle. Das ist der Grund, warum wir es geheim halten. Kannst du dir vorstellen, was passiert, wenn die ganze Welt davon erfährt?" Mit einer Gewissheit und Endgültigkeit, die Hitomi das Blut in den Adern gefrieren ließ, antwortete Van "Krieg. Erbarmungsloser Krieg. Bis jemand alle anderen vernichtet hat." Eliandra nickte traurig "Genau das. Und deswegen darf die Kenntnis darüber niemals die Insel verlassen." Sie lachte gezwungen, als sie das erschrockenen Gesicht von Hitomi sah. "Keine Sorge, wir halten euch nicht fest. Wir hätten euch kaum davon erzählt, wenn wir Angst hätten, ihr könntet es verraten." Die Erleichterung war Hitomi und Van deutlich anzusehen. "Aber ich bin noch nicht fertig. Das Wasser hat noch eine andere Wirkung. Es verändert die Struktur des Körpers und verlangsamt das Alter. Aber zugleich macht es uns unfruchtbar. Ihr seht, alles hat Vor- und Nachteile. Das ist auch der Grund, warum wir unsere Leute von außerhalb rekrutieren. Nur wer stark genug ist, dem Verlangen nach dem Wasser zu trotzen, darf es bekommen. Wir suchen unsere Anwärter sehr sorgfältig aus." Sie warf einen fragenden Blick auf Flöte. Diese seufzte, blickte Keel fragend an, der mit den Schultern zuckte 'deine Entscheidung' und entschied sich dann. "Das Wasser macht also unfruchtbar. Es gibt nur eine Ausnahme. Zwei Wächter der ersten Generation haben nur ein paar Monate nach der Katastrophe, die Atlantis zerstörte, eine Tochter gezeugt." Thana schnaufte vor Überraschung und schnappte nach Luft, als ihr die Ungeheuerlichkeit dieser Tatsache aufging. "Diese Tochter- das bist du, Flöte! Jetzt verstehe ich erst..." Sie schwieg und kaute auf ihrer Unterlippe herum, vollkommen überwältigt. Van und Hitomi ging es nicht viel besser. Van brachte mühsam eine Frage heraus, die eigentlich schon beantwortet war, aber unbedingt gestellt werden musste, um die Antwort begreifen zu können. "Dann bist du das älteste lebende Wesen ganz Gaias!?" "Ja, das bin ich. Das Wasser hat in einer Beziehung bei meinen Eltern nicht gewirkt- ich wurde geboren. Aber in anderer Hinsicht war es wirksamer als bei allen anderen. Seit meinem achten Lebensjahr habe ich mich nicht mehr verändert. Mein Körper ist der eines kleinen Kindes. Aber mein Geist... Nun, ich bin mehrere tausend Jahre alt. Ich habe keine Ahnung, wie man das nennen soll. Vielleicht göttlich?" fragte sie mit gutmütigem Spott. Van stand immer noch wach. Er hatte gebeten, die zweite Wache übernehmen zu können, von Mitternacht bis zum Aufgang des Rades. Er konnte sowieso nicht schlafen, und Hitomi erging es nicht anders. Während Flöte, Eliandra, und Taro sich einfach hingelegt und eingeschlafen waren, hatten Hitomi, Thana und Van dagesessen und waren ihren Gedanken nachgegangen. Sie hatten eine Menge zu verarbeiten. Keel hatte die erste Wache gehalten und ihnen dann ein Schlafmittel angeboten. Thana und Hitomi hatten dankbar zugestimmt. Die Wirkung hatte schnell eingesetzt. Am Anfang hatten sie sich noch herumgeworfen, anscheinend von Alpträumen gequält, hatten sich aber schnell beruhigt. "Es sind nicht nur einschläfernde, sondern auch beruhigende Kräuter darin. Das ist eine Sache, über die man wirklich erst mal schlafen muss. Und du willst wirklich nichts? Ich übernehme deine Wache gerne. Wenn ich mit Flöte allein unterwegs bin, wache ich oft die ganze Nacht." Van hatte nur müde den Kopf geschüttelt "Nein, danke. Ich würde gerne mit dem Nachdenken fertig sein, bevor ich schlafen gehe. Es ist eine schlechte Angewohnheit von mir, ich weiß." Keel lachte leise und stellte sich in den Höhleneingang. "Dann denke mal, junger König. Es gibt wahrlich viel zu überlegen, aber zerbrich dir den Kopf nicht zu sehr. Du wirst ihn noch brauchen." Um Mitternacht hatte sich Keel ebenfalls schlafen gelegt, und Van war mit seinen schweren Gedanken auf Wache geblieben. < Arme Hitomi.> dachte er und schaute zu der Gestalt hinüber, die sich unter ihrer Decke abzeichnete. Der Schein des kleinen Feuers warf ein flackerndes, rötliches Licht auf ihr Gesicht. < Ich habe gesehen, wie besorgt sie Thana angesehen hat. Dabei muss es für sie viel einfacher gewesen sein. Sie kannte Flöte ja schon lange. Aber Hitomi... Sie nimmt sich immer alles so sehr zu Herzen.> Er schaute liebevoll auf die Schlafende, die mit ruhigen Atemzügen und einem friedlichen Gesichtsausdruck dalag. < Sie wirkt so... zart...> "Sie sieht zerbrechlich aus, stimmts?" fragte Taros leise Stimme hinter ihm und Van fuhr erschrocken herum. "Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken." Er wies auf Hitomi "Wenn man sie so daliegen sieht, kann man kaum glauben, das sie es war, die Gaia durch ihren Willen gerettet hat. Sie wirkt so schwach und zerbrechlich, das es unmöglich scheint, dass in ihrem Körper ein solch starker Geist steckt." "Ja. Etwas ähnliches habe ich auch gerade gedacht" flüsterte Van. "Deine Wache ist vorbei. Leg dich hin. Hier." Er gab ihm die Flasche mit dem Schlafmittel. Nach kurzem Zögern griff Van danach. Schon nach kurzer Zeit war er eingeschlafen. In seinem Traum saß er zu Hause, mit seinen Eltern, Vargas und Hitomi. Der Morgen war klar. Die Sonne strahlte und der Himmel zeigte sich in seiner blauesten Farbe. Rasch brachen sie auf. "Wir sollten gegen Nachmittag da sein." Meinte Flöte, die aber immer noch nicht verraten hatte, von wo und was sie holen wollte. Hitomi ritt neben dem kleinen Mädchen und fragte sie neugierig "Was ist eigentlich dein richtiger Name?" Sinnend schaute Flöte in die Weite. "Eigentlich ist Flöte mein richtiger Name. Niemand außer mir kennt den Namen, den meine Eltern mir gaben. Weißt du, Hitomi, den Namen Flöte gab ich mir deswegen." Sie holte ihre Syrinx hervor und pfiff behutsam ein paar Töne. "Meine Mutter hat sie mir gegeben. Sie war die beste Spielerin, die es gab." Leise begann sie, eine einfühlsame, getragene Weise zu spielen. Überraschend fielen Thana und Eliandra ein, und sogar Keel schien leise zu singen. Nur Taro hielt sich zurück, schloss aber die Augen um zu lauschen. Dazu hatte er auch allen Grund. Thana hatte eine glockenhelle, verspielte Singstimme, und Eliandra sang tiefer mit mühsam unterdrückter Energie. Ihre Stimme schien stark genug, um Hunderte von Kilometern zu reichen. Keels tiefer Bass ergab einen angenehmen Kontrast dazu. Es schienen nicht drei, sondern ein ganzer Chor zu singen. Mit einem sanften Ausklang endete das Lied und Hitomi konnte ihre Begeisterung nicht mehr bremsen. "Das war wunderschön! Was für ein Lied war das?" Prosaisch antwortete Flöte "Dies war die Hymne von Atlantis. Der Stolz und der Willen des göttlichen Volkes liegen in seiner Melodie, und die Worte vibrieren von seiner Kraft." Traurig fügte sie hinzu "Stolz, Kraft und Willen der Atlanter haben ihnen den Untergang gebracht. Sie haben eine Welt vernichtet." Plötzlich leuchteten ihre Augen in einem alles verzehrenden Feuer. "Und ich werde nicht zulassen, das etwas, das von den Atlantern erschaffen wurde, auch nur ein Leben mehr kostet. Bei Dornkirk ist mir der Fehler unterlaufen, es für unmöglich zu halten, dass Atlantis nach all den Jahrtausenden noch Verderben über diese Welt bringen könnte. Noch einmal passiert mir das nicht." Sie wandte den Blick auf Van und Hitomi und aus ihr sprach unbeugsamer Wille. "Ich werde nicht zulassen, dass ihr für die Fehler der Atlanter, oder auch meine Fehler sterben müsst. Wir werden das Tor retten, und damit auch euch." Sie blickte entschuldigend zu Thana "Es tut mir leid, dass ich bei dir übertrieben habe, Kind. Ich habe viele Fehler in meinem langen Leben gemacht, aber dieser war einer der furchtbarsten. Ich verspreche dir, ich werde es wieder gut machen. Du warst immer wie eine Schwester für mich. Seit meine Eltern gestorben sind, habe ich niemanden mehr so geliebt. Es tut mir leid, was ich dir angetan habe." Die Tränen rannen ihr über die Wangen, und Thana ritt zu ihr, hielt ihre Hand und tröstete das kleine, uralte, weinende Mädchen. "Ich weiß, Flöte. Ich liebe dich auch. Und ich werde nie mehr wütend auf dich sein." Flöte wischte sich die Tränen aus den Augen. "Versprich nicht, was du nicht halten kannst. Du hattest recht, wütend zu sein. Ich habe mich falsch verhalten. Aber jetzt komm, lass uns fröhlich sein." Sie nahm ihre Syrinx und spielte ein lustiges Lied an, in das Thana sofort einfiel. "Irgend etwas erfahren?" Allen schloss die Tür und antwortete missmutig "Nein, niemand hat etwas Ungewöhnliches bemerkt. Dabei muss jemand in meinem Zimmer gewesen sein." Millerna seufzte und lehnte sich gegen das Fenster. "Aber irgend jemand muss die Nachricht doch gebracht haben. Das hier ist ein Palast! Da kann nicht einfach so jeder rein!" Dryden verneinte "Das ist leichter als du denkst. In einem Palast werden viele Diener benötigt. Finde einfach den Namen eines Dieners heraus, der krank ist, und sage du bist mit ihm verwandt und vertrittst ihn- fertig." "Wahrscheinlich hast du recht. Nanu?" Sie zog die Vorhänge zur Seite "Die Eule sitzt ja immer noch dort auf dem Pfeiler!" "Tatsächlich?" Dryden war in Gedanken versunken, aber Allen merkte auf "Auf einem Pfeiler, am hellen Tag? Du hast recht. Das ist wirklich ein merkwürdiges Verhalten für eine Eule." Als ob sie ihre Unterhaltung belauscht hätte, breitete die Eule ihre Flügel aus und flog in einem eleganten Bogen davon. "Jetzt ist sie weg." Meinte Millerna "Ich bin froh darüber. Sie wurde langsam unheimlich." Noch immer abwesend meinte Dryden "Vielleicht war sie es ja, die dir die Nachricht gebracht hat, Allen." Allen und Millerna verzogen das Gesicht ob dieses verrückten Gedankens. Ende Teil 5. Nach Hardware-Schwierigkeiten gleich noch der nächste Teil! Der letzte Wächter Teil 6 Schreiend liefen die Kinder an ihr vorbei. Eines stieß sie an, so dass sie fast die Stufen zum Markt heruntergefallen wäre. "Hey, ihr Gören! Was fällt euch ein! Könnt ihr nicht aufpassen? Ach verdammt." Mit einem Seufzen setzte Merle sich auf die Treppe und ließ ihren Blick über den Platz streifen. Es war früh am Morgen, und die Sonne lugte gerade durch einen kleinen Spalt in den Wolken. Ein kühler Wind wehte über Fanelia und brachte den erdigen Geruch des Waldes mit sich. >Wo bist du, mein Van?< dachte Merle und setzte sich traurig auf die Stufen. Sie waren einfach alle weggeflogen, ohne ihr etwas zu sagen. >Warum hat er das getan?< fragte sie sich und holte das Medaillon hervor, das Van vor ein paar Tagen gefunden hatte. Er war damals durch die Trümmer gestapft um seinen üblichen schweren Gedanken nachhängen zu können. Merle war ihm gefolgt. Sie wollte nicht, dass er traurig war. Es zerriss ihr das Herz, ihn so zu sehen, traurig, den Kopf gesenkt und den Trümmerteilen einen frustrierten Tritt gebend. >Es ist einfach zuviel für ihn. Nie gönnt er sich eine Pause.< Dann hatte auf einmal etwas sein Interesse geweckt. Er hatte sich gebückt und etwas Verdrecktes aufgehoben. Er hatte es betrachtet, und dann war er plötzlich in Tränen ausgebrochen. Merle hatte nicht glauben können, was sie sah. Selbst sie hatte ihren Van nur ganz selten weinen gesehen. Schon als kleines Kind hatte er seine Gefühle versteckt, zumindest solange er nicht mit seiner Familie und nur ihr zusammen war. Merle zählte sich selbst dazu, schließlich war sie außer Vargas die einzige, die noch geblieben war, nachdem Vans Mutter auf der Suche nach ihrem verschundenen Sohn ebenfalls verschwunden war. Van hatte sie aufgenommen, ein kleines Katzenmädchen, das versucht hatte, in seinem Palast etwas zu stehlen. Merle war zu Van gegangen um ihn zu trösten. Er hatte nicht gehört, wie sie gekommen war, und war unter ihrer Berührung zusammengefahren. Dann hatte er sich zu Merles Überraschung an ihr festgeklammert und hemmungslos geheult. Der Grund wurde ihr klar, als sie sah, was er aufgehoben hatte. Das Medaillon war verschmutzt, und das Silber angelaufen, aber das Bild in seinem Inneren war noch sauber. Nun konnte sie seine Tränen verstehen. Das Medaillon musste einmal jemandem aus dem Palast gehört haben, vielleicht einem Berater von Vans Vater. Es zeigte die königliche Familie- Van mit seinem Bruder und seinen Eltern, glücklich zusammen. Bei dem Angriff der Zaibacher war Van nichts geblieben, nicht das kleinste Erinnerungsstück. Und nun fand er das hier in den Trümmern. Es war wirklich kein Wunder, dass es ihn so hart getroffen hatte. Van hatte Merle das Medaillon gegeben. Er hielt es anscheinend nicht aus, es selbst zu behalten, aber wollte es auch nicht wegwerfen. Sie konnte gut nachempfinden, was er fühlte. Sie hatte es mühsam geputzt und nun glitzerte das Silber wieder in der Morgensonne. Sie merkte, wie sich jemand über sie beugte. "Hübsch. Zeig mal her." Sagte dieser jemand und entriss ihr das Medaillon. Zornbebend fuhr Merle herum und riss die Augen auf. Vor ihr stand doch tatsächlich ein Katzenjunge! Dabei hatte sie gedacht, dass sie die letzte ihres Volkes war. Sein Fell war leicht heller als ihres und die Streifen ergaben ein etwas anderes Muster und er schien etwa so alt wie sie zu sein. Er hielt das Medaillon hoch in das Licht und betrachtete es eingehend. Dann grinste er Merle an. "Wirklich hübsch. Danke." Mit einem Satz sprang er die Treppen hinunter und lief auf allen vieren davon. Endlich erwachte Merle aus ihrer Starre. "He! Moment mal. Bleib stehen, du Dieb!" Sie rannte hinter ihm her. "Du sollst stehen bleiben!" Doch der Katzenjunge lachte nur und streckte ihr über die Schulter die Zunge raus. "Fang mich doch, lahme Ente!" Lachend sprang er über einen Korb mit Äpfeln, den Merle prompt umstieß. "He, Kommt sofort zurück! Ihr seid wohl verrückt!" rief die erboste Marktfrau ihnen hinterher, aber selbst wenn Merle es mitbekommen hätte, wäre es ihr egal gewesen. Dieses Drecksstück von einem Dieb hatte das Medaillon gestohlen, das ihr Van ihr gegeben hatte, und er würde teuer dafür bezahlen müssen! Der Dieb rannte zwischen zwei überladenen Marktständen hindurch und rannte in eine kleine Gasse. Sie sah gerade noch, wie er um eine Ecke bog. Die Jagd ging weiter, Merle ihm immer dicht auf den Fersen, doch ohne ihn einzuholen. Langsam kamen sie in den Teil Fanelias, der noch immer in Ruinen lag. >Ich werde noch verrückt. Der Kerl ist schnell wie ein Wiesel.< Dann stand sie plötzlich allein auf einer Kreuzung. Erschrocken schaute sie sich um, voll Panik bei dem Gedanken, ihn verloren zu haben. Dann stahl sich ein sardonisches Grinsen auf ihr Gesicht. Sie hatte die Spitze seines Schwanzes in den Ruinen links von ihr gesehen. Vorsichtig schlich sie heran, trat durch die leere Tür und blickte suchend umher. "Hier oben!" Sie sprang herum und starrte auf diesen Kerl, der da mit einem breiten Grinsen auf sie herabsah. "Du bist ziemlich schnell. Ich musste mich direkt anstrengen. Hier, fang!" Er warf ihr etwas zu, und Merle starrte verblüfft auf das Medaillon in ihren Händen. Mit einem eleganten Sprung landete der Junge vor ihr und meinte bedauernd "Tut mir leid, dass ich dich so durch die Straßen gehetzt habe, aber ich musste dich allein erwischen" "Häh?" Jetzt verstand Merle gar nichts mehr. Er hielt ihr ein kleines Stück Papier hin. "Die Nachricht ist für dich. Von einem gewissen Van. Sagt dir Name etwas?" fragte er scheinheilig. "Ich kann die Botschaft aber auch wegschmeißen, wenn du sie nicht haben willst." Mit einem Aufschrei riss sie ihm den Papierfetzen aus der Hand, blickte ihn dann aber misstrauisch an. "Woher soll ich wissen, dass sie wirklich von Van ist? Du machst dich doch bloß lustig über mich!" Mit gespielter Entrüstung, in der aber auch ein Hach Ernsthaftigkeit lag, beteuerte er "Soweit ich weiß, ist sie tatsächlich von ihm. Ich habe sie mit einer Brieftaube erhalten. Aber die Absender lügen nicht, und irren tun sich nur sehr selten. Wie dem auch sei, ich habe meine Aufgabe erfüllt. Mach damit, was du willst." Er drehte um und rannte auf allen vieren davon, Merle blickte ihm unschlüssig hinterher. Unschlüssig setzte sie sich auf einen Haufen bröckelnder Ziegelsteine und schaute auf den Zettel in ihrer Hand. Dann öffnete sie ihn zögerlich. >Das ist Vans Handschrift! Bin ich froh, dass Vargas mich gezwungen hat, mit ihm lesen zu lernen.< Hallo Merle! Es tut mir leid, dass wir einfach so verschwunden sind, aber du hast so fest geschlafen, dass wir dich nicht wecken wollten. Ich habe die gefunden, die ich gesucht habe, aber das hat mehr Fragen aufgeworfen, als es gelöst hat. Ich werde jemanden treffen, der sie mir vielleicht beantworten kann. Ich weiß nicht, wann ich dir wieder eine Nachricht schreiben kann, es kann also sein, dass du eine Weile auf weitere Nachrichten warten musst. Es ist übrigens etwas unglaubliches passiert. Hitomi ist hier. Ich konnte es kaum glauben, dass sie ausgerechnet hier ist. Jedenfalls hatte sie die Vision einer Gefahr. Wir werden versuchen sie zu lösen. Mach dir keine Sorgen. Wir schaffen das schon. Dein Van "WIR! WIR schaffen das schon! Das ist doch nicht auszuhalten! Diese verdammte Hitomi, immer muss sie sich einmischen!" schrie Merle und tobte herum. Sie wirbelte soviel Staub auf, dass sie keine Luft mehr bekam und sich niesend auf den Boden hocken musste. Aus der Entfernung wunderte sich der Katzenjunge über ihre heftige Reaktion und schlich dann von dannen. "Wir sind bald da." Sagte Flöte, und Hitomi schreckte aus ihren Gedanken. Sie hatte schon eine ganze Weile verwundert die Eule angeblickt, die vor einigen Stunden angeflogen und auf Keels Schulter gelandet war. Niemand war verwundert gewesen. "Wir sind Partner." Hatte er lediglich zur Erklärung gesagt, ohne näher darauf einzugehen. Die Eule hatte die ganze Zeit dagesessen und geschlafen, und Keel schien sie nicht mal richtig wahrzunehmen. Trotzdem hatte Hitomi bei ihr irgendwie ein merkwürdiges Gefühl. "Halt!" Die Anspannung in Flötes Stimme machte ihre Gruppe ziemlich munter. "Da ist jemand vor uns." "Kannst du feststellen, wer und wie viele?" fragte Keel alarmiert und rückte sein Schwert zurecht. Das kleine Mädchen schloss die Augen und Hitomi hatte das Gefühl, als ob ihr Geist sie verlassen hätte, so steif saß sie da. Dann entspannte sie sich wieder. "Das sieht nicht gut aus. Es sind ungefähr ein Dutzend- und sie suchen anscheinend nach dem selben wie wir. "Das ist unmöglich!" rief Eliandra erschrocken. Außer dir und mir weiß doch keiner, wohin wir wollen." "Anscheinend doch. Sie suchen jedenfalls nach einer Höhle." "Das kannst du von hier aus feststellen?" fragte Van verwundert. "Natürlich." "Wie?" Flöte lächelte ihn schalkhaft an "Dazu bist du noch zu jung. Nein, im Ernst, ich kann es nicht erklären. Es geht einfach." Bevor das Gespräch zu sehr ausarten konnte, fragte der praktische Keel "Was machen wir jetzt?" Flöte zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Sie müssen weg." Eliandra ließ einen tiefen Seufzer vernehmen. "Mit anderen Worten: Wir kämpfen." "Sieht so aus, aber erst werden wir ein bisschen spionieren. Keel, das ist dein Fachgebiet." Keel lachte das erste fröhliche Lachen, das Hitomi von ihm gehört hatte. "Wi de Lady wünscht. Der olle Keel wird's schon maachen." Er machte die Andeutung einer Verbeugung und scheuchte die Eule mit einer Handbewegung von seiner Schulter. "Wach auf, Dari. Es gibt Arbeit." Die Eule flog empört über diese rüde Behandlung ein paar Runden um seinen Kopf und setzte sich dann wieder auf seine Schulter. >Die Eule hat ja auch einen Namen, genau wie sein Pferd. Dieser Keel ist wirklich seltsam. Irgendwie..... irgenwie glaube ich, das er mehr ist, als es den Anschein hat. Die Eule scheint ihn wirklich zu verstehen. Meinte er das mit Partner?< Flöte hatte die Umgebung gemustert und sagte im Befehlston "Dort vorne ist ein gutes Versteck. Die Büsche werden unsere Pferde verdecken, und weiter vorn gibt es Felsen, hinter denen wir uns verstecken können. Sie sind in der Schlucht dahinter, darum können wir sie noch nicht sehen. Wir werden uns dort einrichten, während Keel seiner Aufgabe nachgeht." Nachdem sie die Pferde versteckt hatten, postierten sie sich bei der Gruppe Felsen, die ihnen hervorragenden Sichtschutz boten. Sie konnten einen Großteil der engen Schlucht einsehen, von unten aber nur durch Zufall entdeckt werden. Während die Felswände links und rechts von ihnen steil aufstiegen, war ein paar hundert Meter vor ihnen ein senkrechter Abhang. "Die Höhle, zu der wir wollen, liegt fast direkt unter uns. Aber die Kerle können noch lange suchen, sie werden den Eingang nie entdecken. Sie stehen wahrscheinlich direkt davor und wissen es nicht." Flöte blickte höchst zufrieden auf die Männer, die sich gerade zu einer Pause um ihr Feuer versammelt hatten. "Ah, da ist Keel." Hitomi konnte nichts sehen, und sie fragte flüsternd "Wo?" Ebenso leise antwortete Flöte "Dort, neben dem Busch." Nach kurzer Zeit sah sie ihn. "Aber werden sie ihn nicht sehen, wenn er so nah ist?" Diesmal antwortete Van ihr "Nein, vor ihm ist eine kleine Erhebung im Boden. Solange niemand von ihnen näher kommt, ist er völlig sicher, und kann sie belauschen." Nach einer Weile sahen sie, wie Keel vorsichtig von den Männern wegkroch. Doch er schaffte es nicht mehr rechtzeitig. Die Männer hatten offenbar ihre Pause beendet und undeutlich hörten sie die Befehle von einem von ihnen, der den Rest zur Arbeit antrieb. Van griff nach seinem Schwert und wollte aufspringen, aber Taro hielt ihn fest. "Was soll das? Willst du uns verraten?" "Aber sie werden ihn entdecken!" Taro schüttelte missbilligend den Kopf. "Unsinn. Warte es ab." Wie um seine Worte zu bestätigen, flog plötzlich Keels Eule auf die Männer zu, und griff einen von ihnen an. Dieser versuchte sich zu wehren, und schlug verzweifelt nach dem Vogel, hieb aber jedes Mal daneben. Seine Kameraden sahen ihm lachend dabei zu, und Keel gelangte ungesehen aus ihrer Reichweite. Dari brach ihren Angriff ab, und flog in einem weiten Bogen davon. Sie traf gleichzeitig mit Keel ein, der ihr lobend mit einem Finger durch ihr Gefieder fuhr, was ihr anscheinend sehr gefiel. "Also, erzähl mal." Fragte Taro ungeduldig. "Hätte schlimmer sein können." Meinte er. "Sie sind zwar bewaffnet, aber anscheinend allesamt unerfahren. Und es sind Zaibacher, elf. Anscheinend gehören sie einer Art Rebellengruppe an, die ihren Ursprung in einer geheimen Festung der Zaibacher hat, die den Krieg unerkannt überstanden hat. Jedenfalls ist einer von ihnen überzeugt, dass es hier eine Höhle mit einer Geheimwaffe geben soll. Er hat wohl mal bei Dornkirk gearbeitet, und nach seinem Tod in seinen Aufzeichnungen etwas gefunden." "Dann ist es das, was wir holen, eine Waffe?" fragte Hitomi überrascht und verärgert. Flöte verneinte "Das, was wir brauchen, kann zwar als Waffe eingesetzt werden, hätte ihnen aber nichts genützt. Nein, ich sage nichts darüber" kam sie der nächsten Frage voraus "Die Überraschung möchte ich mir nicht verderben." Sie zogen sich zu ihren Pferden zurück, nur Keel blieb auf Beobachtungsposten. "Was meint ihr" fragte Taro "Wie gehen wir vor?" Eliandra antwortete "Es hat keinen Zweck, am Tag anzugreifen, warten wir bis zur Nacht." Sie waren dabei, einen Plan auszuarbeiten, als Keel angestürzt kam. "Sie haben anscheinend etwas gefunden. Sie wollen einen Felsen zur Seite schieben, aber ich kann nicht sehen, welchen, es muss direkt unter meinem Posten sein. Flöte fing an zu fluchen und Hitomi staunte über ihren Wortschatz. Nachdem sie sich beruhigt hatte, sagte sie mit grimmigem Gesicht "Das darf nicht passieren. Sie lösen sonst eine Falle aus und die Höhle stürzt ein. Dann brauchen wir Wochen, um alles weg zu räumen." "Tja, dann bleibt wohl nur der Frontalangriff." Taro zog sein Schwert und betrachtete es prüfend. "Nein." Sagte Flöte "ich habe einen besseren Vorschlag." "Dann lass ihn mal hören." Forderte Eliandra sie auf "Ich hasse es, wenn ich diesen Hitzkopf zusammen flicken muss." Sagte sie mit einer Geste auf Taro. "Er ist ein unglaublich undankbarer Patient." "Und du eine unglaublich grobe Heilerin." "Genug." Ermahnte Flöte die beiden. "Hört zu. Als ich die Anwesenheit der Männer gespürt habe, habe ich Akoth Bescheid gegeben. Er ist gleich hier. Er wird einen Ablenkungsangriff starten." Thana, die die ganze Zeit ruhig gewesen war keuchte, und Hitomi sah, wie sich ihre Hände verkrampften. "Du musst nicht zusehen, Thana. Du brauchst auch nicht kämpfen. Die Männer schaffen das allein, wenn Akoth ihnen hilft." Eliandra atmete hörbar auf "Da bin ich aber froh. Ich hatte schon gedacht, ich muss auch kämpfen." Taro legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter "Schon gut, wir schaffen das." Geistesabwesend lehnte sich Eliandra an ihn, und Hitomi fragte sich zum ersten Mal, ob zwischen den beiden mehr war, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Sie waren, bis auf Thana, die bei den Pferden geblieben war, wieder zu ihren Felsen geklettert. Erst hatte Hitomi bei ihr bleiben wollen, aber dann hatte sie den Gedanken nicht ausgehalten, nicht zu wissen, was passierte, vor allem, was mit Van passierte. "Sie scheinen noch alle da zu sein." Sagte Keel nach einer raschen Zählung. "Gut, dann bringt euch jetzt in Stellung." Sagte Flöte "Ich gebe Akoth Bescheid, er ist in fünf Minuten da." Sie schloss die Augen und übersandte ihm ihre Botschaft. "Wie machst du das?" fragte Hitomi sie leise, als sie die Augen wieder öffnete "Weiß ich nicht. Es geht einfach. Ich denke an ihn, sage, was ich ihm sagen will, und das wars." Sie schaute nach unten, und nickte zufrieden. "Da sind sie. Dann ist ja alles bereit." Es war ein schneller Kampf. Akoth rauschte heran, und griff zwei der Männer an, die er gegen einen Felsen schleuderte, und sie außer Gefecht setzte. Hitomi drehte sich um, und auch Eliandra und Flöte schauten weg. Die restlichen Männer versuchten, sich dem Drachen entgegen zu stellen, aber in diesem Moment brachen Keel, Taro und Van aus den Büschen und fegten über sie hinweg. Eine Minute später war es vorüber. Zu ihrem Glück hatten die Männer eingesehen, dass sie keine Chance hatten, und sich ergeben, so dass niemand getötet wurde. Sie wurden gefangen genommen und gefesselt, und Akoth flog auf eine Felsnadel in der Nähe. Auch er kämpfte nicht gerne. Sowie der Kampf vorbei war, rannte Eliandra nach unten, Hitomi und Flöte folgten ihr. Als die beiden ankamen, beugte sich Eliandra schon über einen der verletzten Zaibacher, doch plötzlich fragte sie mit gefährlicher Ruhe. "Keel, wie viele hast du gezählt?" "Elf." "Hier sind aber nur zehn." "Verdammt! Sucht ihn!" rief Taro, über seine Unachtsamkeit schimpfend. Alle blickten sich suchend um, aber es war Thana, die ihn entdeckte. Sie kam gerade den felsigen Weg herunter, als sie ihn nur zwanzig Meter von sich entfernt entdeckte. Sie schrie auf, und alle fuhren zu ihr herum. "Es ist der Anführer." rief Keel. "Typisch." Der Zaibacher drehte sich um, sein Gesicht eine Grimasse der Wut. Er holte ein Messer und warf es mit der Kraft der Wut auf die am nächsten stehende Person. Das Messer flog in einem leichten Bogen auf Thana zu, und Hitomi konnte deutlich sehen, wie sich ihre Augen vor Schreck weiteten. Die Zeit schien immer langsamer zu werden, ein Augenblick wurde zu einem ganzen Jahr, und das Messer flog nun wie durch zähflüssigen Sirup. Thanas ohnehin blasses Gesicht wurde weiß wie Schnee, und Angst schrie in Hitomi auf >Nein! Bitte nicht!< Dann schlich sich ein Schatten in ihr Blickfeld, irrsinnig schnell in dieser nun fast erstarrten Welt, und mit einem hässlichen Geräusch fuhr das Messer in Akoths Hals. "Neeeiiiiiiiiinnnnn!" gellte Flötes Schrei in ihren Ohren, ob er noch Thana galt, oder schon dem Drachen, konnte sie nicht feststellen. Dann stolperte sie plötzlich vorwärts, und die Zeit lief wieder normal. Thana klappte zusammen und fing an zu weinen, Hitomi stolperte zu ihr, Flöte rief "Akoth!" und Taro und Van rannten hinter dem Zaibacher her. Eliandra ließ keinen Laut von sich hören und lief an Keel vorbei auf den verwundeten Drachen zu, der einen Bogen geflogen war, und jetzt eine Bruchlandung hinlegte. Er plumpste auf den Boden, überschlug sich um ein Haar, und blieb dann röchelnd liegen. Das Messer steckte in seinem Hals und violettes Blut floss aus dieser Wunde. Flöte umarmte seinen Kopf und streichelte seine Nase mit ihren kleinen Händen, während Eliandra sich die Wunde ansah. "Er wird es überstehen." Meinte sie schließlich. "Aber er hat verdammtes Glück gehabt. Hätte das Messer nur ein paar Zentimeter tiefer getroffen, hätte es die Halsschlagader durchtrennt." Bei diesen Worten wand sich Thana aus Hitomis Umarmung, die versucht hatte, sie zu beruhigen. Eine seltsame Entschlossenheit stand in ihren Augen, und eine Frage schimmerte dahinter. Langsam, als ob sie gegen einen Sturm lief, ging sie zu Akoth und stellte sich vor ihm hin. Der Drache sah sie mit einem fragenden Blick an, und mühsam brachte sie ihre Frage heraus. "Warum?" "Warum hast du mich gerettet?" Dann schrie sie plötzlich und die Worte sprudelten aus ihr heraus. "War es wegen meinen Eltern? Meinst du, das macht es wieder gut? Oder" fügte sie gehässig hinzu "Oder hast du nicht daran gedacht, wen du rettest." Sie starrte ihm in die Augen, und langsam wankte ihr Blick vor der Ruhe in den Drachenaugen. "Nein." Sprach schließlich seine Stimme in ihren Köpfen. "Ich habe nicht daran gedacht, wer du bist. Ich habe einfach nur jemanden beschützt, dessen Zeit noch nicht abgelaufen war." Thana stand noch eine Weile zitternd da, und der Kampf in ihrem Inneren tobte. Schließlich konnte sie nicht mehr stehen und fiel vor dem Drachen auf die Knie. Sie sah ihn an, und langsam hob sie einen Arm. Ihre Hand bebte, als sie sich dem Drachen näherte, und schließlich legte sie ihre Fingerspitzen auf seine Nüstern. All ihre Wut und ihr Hass schienen durch diese Berührung davon zu fließen, und ein Schatten, der seit Tagen auf ihr gelegen hatte, löste sich in Nichts auf. Flöte nahm Thanas Hand behutsam und sah ihr in die Augen. Langsam nickte Thana und umarmte das kleine Mädchen. "Sie haben ihn." Sagte Keel plötzlich und zeigte auf Taro und Van, die den Zaibacher vor sich her trieben. Flöte stand auf und ging ihnen entgegen, eine tödliche Ruhe ausstrahlend. Der Zaibacher funkelte sie nur böse an. Taro stieß ihn zu Boden, und fragte ihn nach seinem Namen. "Aus mir bekommt ihr nichts heraus!" rief er und spuckte ihn an. Taro wischte sich unbeeindruckt die Spucke vom Gesicht und meinte fast mitleidig "Du solltest besser auf unsere Fragen antworten. Weißt du, wenn du uns nicht von Nutzen bist, überlassen wir dich Flöte. Du hast gerade versucht ihre beste Freundin zu ermorden. Sie wird ziemlich wütend sein." Sagte er und zeigte auf sie. "Na und?" Der Mann lachte hämisch "Ein kleines Mädchen! Soll sie mich kitzeln, oder was?" Taro schüttelte den Kopf "Ts, ts. Ein Verrückter." Eliandra seufzte überlaut und holte demonstrativ ihr Verbandszeug wieder hervor, das sie gerade erst weggepackt hatte, und Flöte ging langsam auf den Gefangenen zu. >Nanu? Was war das?< wunderte sich Hitomi >Nein, das habe ich mir nur eingebildet.< Doch dann sah sie wieder das Flackern in dem Smaragd in Flötes Stirnreif. Erst war es kaum zu sehen, doch dann wurde es heller und heller. Schließlich strahlte das Licht in einem eisigen, hellblauen Ton und Flöte hob langsam ihre Hände, die jetzt auch zu leuchten begannen. Der Zaibacher sah sie an und Hitomi konnte geradezu sehen, wie die Angst in ihm hochstieg. Flöte trat einen Schritt auf ihn zu, der Mann versuchte aufzustehen, aber Taro hielt ihn am Boden. "Ein kleines Mädchen, ja? Wollen doch mal sehen, was ich so alles kann." Ihr Tonfall triefte vor Sadismus und dem Zaibacher fielen fast die Augen aus, als kleine Blitze zwischen ihren Fingern hin und her zu springen begannen. >Das können sie doch nicht machen! Das hat selbst er nicht verdient, was immer sie auch mit ihm anstellen will. Wie kann sie bloß so grausam sein?< dachte sich Hitomi, und machte Anstalten, Flöte zu hindern, aber Keel, der unbemerkt hinter sie getreten war, hielt sie fest und flüsterte ihr zu "Keine Sorge, das ist nur Show. Wir foltern niemanden, jedenfalls nicht wirklich. Angst ist viel effektiver. Taros Bedauern und dass Eliandra ihre Heilsachen wieder herausholt, die Blitze- das gehört alles dazu, wie bei einem Theaterstück." Das Stück erreichte nun seinen Höhepunkt. Die Blitze umwaberten Flöte nun wie in einem Tornado, und der Zaibacher wand sich schreiend in den starken Armen Taros. Dieser hatte Van mit einer Geste zurück gehalten, und ihm anscheinend schon gesagt, dass es nur Angstmache war, trotzdem stand Van äußerst unruhig da. "Nein, nein! Sagt ihr, sie soll aufhören! Ich sage alles! Bitte!" Flöte ließ die Arme sinken und das Gewitter um sie herum ließ nach. Schließlich stand sie da, ein kleines Mädchen, bei dem man nichts Ungewöhnliches vermutet hätte. "Schaff ihn hier weg, Taro. Ich will nichts mit ihm zu tun haben." Taro riss den wimmernden Gefangenen hoch. "Du hast sie gehört. Und wenn du mir nicht alles sagst, was ich hören will..." Er ließ den Satz unvollendet und ging mit dem stolpernden Zaibacher weg. "Gute Show." Eliandra packte wieder alles ein und sagte zu Akoth "Was aber nichts an der Tatsache ändert, das unser Messerfänger hier so schnell nicht mehr fliegen kann. Die Wunde würde aufgehen." "Macht nichts." Flöte rief Van und Keel heran. "Was ist?" "Van, du wirst einen Brief an deinen Freund schreiben. Wir brauchen ein Luftschiff." Sie deutete auf Akoth "Er kann nicht mehr fliegen." Van schaute ungläubig auf Akoth "Allen wird etwas dagegen haben, einen Drachen an Bord zu nehmen." "Das ist dein Problem. Ich habe keine Lust, zu warten, bis die Wunde verheilt ist. Die Gefangenen müssen auch weggebracht werden. Und unsere andere Fracht möchte ich auch nicht gerade auf den Pferden transportieren. Ich kann dir eine Wegbeschreibung geben." Keel schaute sie fragend an "Unsere andere Fracht?" "Ja. Ruf Dari." Doch die Eule kam schon angeflogen und setzte sich auf Keels Schulter, die Augen fragend auf Flöte gerichtet. "Oh! Du hast voraus gedacht." "Spotte nicht so. Es gibt ja schließlich sonst keine Postboten hier." "Dari wird den Brief überbringen." Erklärte Eliandra Van und drückte ihm das Schreibzeug in die Hand. "Aber sie spielt ungern den Boten, also halte dich kurz. Je leichter, desto höher stehst du in ihrer Gunst- oder besser gesagt- desto weniger tief." Van zog sich an eine abgelegene Stelle zurück und Hitomi folgte ihm. "Der Kampf scheint ihnen gar nichts ausgemacht zu haben. Sie albern schon wieder herum, und das nach dem mit dem Zaibacher" "Nein, Hitomi." Sagte Van und breitete das Papier auf einem Felsen aus. Hitomi half ihm und hielt es fest. "Du irrst dich. Das Herumalbern- damit verdecken sie nur ihre Angst und den Schrecken. Das ist bei allen Soldaten so. Ich kenne es. Wer jeden Tag den Tod fürchten muss, muss damit auf seine Art fertig werden. Sie verspotten den Tod und das Leben. Andere erwähnen den Tod nicht. Bei jedem ist es anders. Wer es nicht schafft, damit fertig zu werden, wird verrückt. So einfach ist das." Hitomi dachte an die rüde Begrüßung, die sie erhalten hatte, als sie das erste Mal in Allens Crusador aufgewacht war. Die Besatzung hatte über sie und Allen gespottet, dass ihr das Blut in den Kopf gestiegen war. "Ich glaube, du hast recht. Aber du hast nicht gespottet. Niemals. Was hat dir geholfen?" Van blickte sie an, sein Blick aber ging durch sie durch. "Rache. Ich wollte Rache. Für Vargas, Fanelia..." Plötzlich sah er sie an, und unter seinem starren Blick zuckte Hitomi zurück. "Ich wollte einfach nur Rache." Plötzlich wurde sein Blick weich, fast verträumt und er lächelte "Aber dann hat mir jemand gesagt, das Rache nur weiteren Tod bringt. Ich habe es lange nicht verstanden, Hitomi. Ich dachte, du würdest einfach nicht verstehen, wie ich mich fühlte, alle tot... Aber du hattest Recht. Krieg bringt nur neuen Krieg." Er schaute zu den Gefangenen, die fest verschnürt dasaßen. "Ich hoffe, wir können diesmal den Krieg verhindern." Hitomi schaute ihn überrascht an. >Er hat sich sehr verändert. Es macht mich traurig, ihn so besorgt zu sehen.< "Bist du fertig? Dann gebe ich dir jetzt die Wegbeschreibung." Schreckte Flöte die beiden auf. "Ja ich bin fertig." Nach der Anweisung des kleinen Mädchens beschrieb er Allen den Weg. Hitomi ging zu Thana, die noch immer vor Akoth saß und ihn anstarrte. "Thana?" Rief Taro. Sie schaute hoch "Der Zaibacher möchte nur mit dir reden." Unschlüssig stand sie auf. "Vielleicht möchte er sich bei dir entschuldigen?" mutmaßte Hitomi. Thana lachte gezwungen. "Das glaube ich nicht. Aber ich finde es nie heraus, wenn ich nicht hingehe, oder?" Sie stand auf und ging an der verblüfften Hitomi vorbei, die ihr überrascht nachsah. Neugierig geworden folgte sie ihr. Auch Van, der die Botschaft fertig geschrieben und Keel gegeben hatte, kam neugierig näher. "Also, was willst du?" fragte Thana mit gezwungener Ruhe. "Mich entschuldigen. Ich hätte das Messer nicht auf dich werfen sollen." Er blickte sie bittend an, aber etwas stimmte nicht. "Pass auf, Thana!" wollte Hitomi sagen, aber es war bereits zu spät. Keel hatte Dali die Botschaft umgebunden, und nun flog die Eule davon, nur einen Meter über ihren Köpfen. Die kurze Ablenkung ausnutzend, sprang der Zaibacher hoch, Hitomi hörte ein Ratschen, etwas blitzte auf, und schon hielt der Zaibacher ein verstecktes Messer an Thanas Kehle. Taro und Van zogen ihre Schwerter. "Wenn du sie nicht sofort loslässt, ist das dein Tod!" drohte Taro und kam einen Schritt näher. Der Zaibacher zog sich zurück, das Messer an Thanas Hals. Schritt für Schritt näherten sie sich dem Abgrund. "Kommt mir nicht zu nahe, oder sie stirbt!" "Du stirbst, wenn du sie nicht sofort loslässt!" antwortete Taro. "Nein, er stirbt auch so!" erklang Flötes Stimme direkt neben Hitomi. Sie schaute geschockt auf das kleine Mädchen, das merkwürdig unbeeindruckt den Zaibacher anblickte. Flöte wechselte einen Blick mit Thana. Die beiden nickten sich zu, und Hitomi hatte das Gefühl, dass sie etwas Bedeutsames verpasst hätte. Dann bekräftigte Flöte ihr Urteil noch einmal. "Du bist tot, was immer auch passiert. Jetzt geht es nur noch um die Art deines Todes." Wieder flammte der Stein an ihrer Stirn auf, und der Zaibacher wich noch weiter zurück. Mit einem leisen Poltern lösten sich ein paar Steine, als er am Rand des Abgrunds war. "Wie du meinst." Seine Stimme klang hämisch, und beginnender Wahnsinn glitzerte in seinen Augen. "Dann sterbe ich, aber nicht allein!" Er trat einen Schritt zurück und riss Thana mit in den Abgrund. "Thana!" >Das kann doch nicht sein! Sie kann doch nicht sterben!< Hitomi rannte zum Abgrund. Bevor sie da war, sprang bereits Van hinunter, um Thana zu retten. Hitomi schaute nach unten. Durch ihren Schwung wäre sie fast selbst hinabgefallen, doch Taro hielt sie fest. "Willst du auch noch hinterher springen, oder was?" Fragte er sie wütend und riss dann die Augen auf. "Das gibt's doch nicht!" Auch Hitomi konnte nicht fassen, was sie sah. Im Fallen hatte sich Thana befreien können und nun flog sie mit großen, weißen Flügeln neben Van, der sie vollkommen überrascht umkreiste. Der Zaibacher hatte im Fallen geschrieen. Nun schlug er an die Felswand, die im unteren Teil des Tals nicht mehr senkrecht war, sondern in steilem Winkel einen V-förmigen Einschnitt bildete. Er schlug, einmal, zweimal, dreimal auf, jedes Mal schrie er vor Schmerz, und schließlich schlug er lautlos unten auf. Hitomi wandte sich von dem grausigen Schauspiel ab und versuchte, den Brechreiz zu unterdrücken. Taro lachte grausam, "Darum hast du ihn also in den Abgrund getrieben, Flöte! Du wolltest, dass er springt!" "Nein, ich wollte nur, dass er Thana freilässt. Das erschien mir der beste Weg. Ich habe ja gesagt, es geht nur um die Art seines Todes. Er hat sich für die schmerzhafte Art entschieden, und ich kann nicht sagen, dass ich das sonderlich bedauere. Ich habe ihm eine Chance gegeben, die hat er nicht genutzt." "Du bist grausam!" warf Hitomi, der immer noch schwindlig war, dem kleinen Mädchen vor. "Mag sein." Antwortete sie "Aber wir müssen eine Welt retten. Wenn es nur um dich und Van ginge, würde ich euch die Art überlassen, in der wir vorgehen. Aber es geht hier um Gaia, und ich werde nichts aufs Spiel setzten, weil ein paar Fanatiker unbedingt einen neuen Krieg wollen. Wer sich in den Weg stellt, wird zur Seite geräumt. Auf welche Art, entscheidet dieser jemand selbst durch seine Taten." In diesem Moment flogen Van und Thana wieder aus der Schlucht, und landeten vor ihnen. Ihre Flügel verschwanden und sie beide blickten sich an, als ob sie sich zum ersten Mal sehen. "Du bist auch vom Drachengottvolk!" brach es zeitgleich aus den beiden heraus. Thana fragte Flöte gekrängt "Warum hast du mir nichts gesagt? Du wusstest doch davon, oder?" Flöte schaute sie verwirrt an "Thana Liebes, ich habe gedacht, du wüsstest es. Ehrlich gesagt, bist du die einzige von uns allen hier, die es nicht weiß." Überrascht bemerkte Hitomi, dass Thana rot wurde "Dann liegt es wohl an mir, oder?" "Allerdings. Du weißt doch, dass er der König von Fanelia ist, oder?" "Ja, auch wenn ich zugeben muss, dass zuerst nicht gedacht habe, dass er dieser Van ist." "Welches war die erst Prophezeiung, die du lernen musstest?" "Die von Escaflowne... Oh! Ich bin wirklich dumm." Das sonst blasse Mädchen wurde nun knallrot. "Schön, das du es einsiehst. Habe ich nicht immer gesagt, jede Prophezeiung hat ihren wahren Kern? Du wusstest, Escaflowne kann nur von jemandem aus dem Drachengottvolk gesteuert werden. Van konnte ihn steuern. Der Rest ist Erstklässler-Logik." Plötzlich rastete etwas in Hitomi ein. Etwas, vorüber sie lange gerätselt hatte wurde nun glasklar und sie rief es ohne Nachzudenken. "Deshalb hast du gesagt, Akoth wäre am Tod deiner Eltern schuld, obwohl die Dorfbewohner sie getötet haben! Sie wussten, dass deine Eltern vom Drachengottvolk sind, und haben sie deswegen getötet, als das Dorf von Drachen verwüstet wurde." Ihr wurde bewusst, was sie gesagt hatte, und verlegen entschuldigte sie sich. "Tut mir leid, ich wollte dir nicht..." Aber Thana wischte ihre Entschuldigung mit einer Handbewegung zur Seite "Ist schon gut. Du hast Recht. Aber ich würde lieber nicht darüber reden." Etwas anderes fiel Hitomi ein. >Darum hat Van das Gefühl gehabt, sie zu kennen. Sie kommt aus seinem Volk. Sie sind die letzten beiden. Die letzten...< Sie warf einen Blick auf Van, der Thana immer noch völlig überwältigt anstarrte. Thana grinste ihn an "Bin ich so schön, dass du deine Augen nicht von mir nehmen kannst?" fragte sie belustigt und ganz entgegen der Art, die sie bis jetzt gezeigt hatte. Van zuckte zusammen und brachte kein Wort heraus. Schließlich lachten beide, und alle fielen in ihr Gelächter ein. Nur Hitomi war still. Bitterkeit stieg in ihr auf >Dann ist wohl klar, wie das endet. Die letzten beiden. Wie konnte ich auch nur auf die Idee kommen, dass Van und ich vielleicht...< "Ich glaube, es wird Zeit, uns zu sagen, warum wir hier sind." Sagte Keel mit einem auffordernden Blick an Flöte und riss Hitomi aus ihren Gedanken. "Du hast recht, es wird Zeit. Wir werden eine Weile brauchen. Kommt mit!" forderte Flöte sie auf, und führte sie an das Ende des schmalen Tals. Der Felsen vor ihnen bildete einen Überhang, der sich über einen Felsen wölbte, der doppelt so groß wie Hitomi war. "Das ist der Eingang zu der Höhle, in der das ist, was wir suchen." "Hinter diesem Felsen?" fragte Van bestürzt "Wie sollen wir den denn zur Seite schieben?" "Gar nicht. Das mache ich." Flöte schaute ihn belustigt an. "Ich habe ihn dorthin gerollt, also muss ich ihn auch wieder wegschaffen." "Du? Wie denn?" "So." meinte Flöte, trat an den Felsen und schloss die Augen. Der Stein in ihrem Stirnreif glühte auf, und ihr Gesichtchen verzog sich vor Anstrengung. Das Licht wurde so grell, dass sie die Augen fast schließen mussten und nur noch durch einen schmalen Schlitz sehen konnten. Dann knirschte es, und der tonnenschwere Fels rollte scheinbar mühelos zur Seite, und gab einen Höhleneingang frei. "Ich bin beeindruckt." Meinte Taro trocken. "Dann wollen wir uns das Ganze mal anschauen." "Nein!" sagte Flöte entschlossen, und Taros Augenbrauen wanderten fast bis zum Haaransatz. "Was soll das heißen, nein?" "Das heißt, dass nur ich, Thana, Van und Hitomi reingehen werden. Der Rest bleibt draußen." "Dann ist Hitomi die dritte?" fragte Keel zweifelnd "Das soll gehen?" Flöte nickte "Sie schafft es." Hitomi hatte ihre Überraschung überwunden und fragte "Wozu bin ich die dritte? Und wieso soll ich es nicht schaffen?" Doch Flöte schüttelte den Kopf. "Ich erkläre es euch dreien drinnen. Es ist einfacher, wenn man davor steht. Kommt!" forderte sie ihre Auserwählten auf und betrat die Höhle. Zögernd folgten sie ihr, während die anderen sich auf das Warten einrichteten. Nach ein paar Schritten griff Flöte in eine unscheinbare Ritze in der Höhlenwand, und holte eine Fackel samt Feuerstein heraus. Sie zündete sie an und legte den Feuerstein wieder weg. "Es ist nicht sehr weit." An einigen Stellen verzweigte sich die Höhle, aber Flöte führte sie ohne zu Zögern mal in diese, mal in jene Richtung. Tatsächlich kamen sie schon zwei Minuten später in einen größeren Raum. Flöte entzündete die Fackeln, die in den Wänden steckten. Während dessen betrachteten ihre Schützlinge erstaunt was sie im heller werdenden Licht sahen. Der Raum war anscheinend natürlich entstanden, wies aber an einigen Stellen Spuren von Bearbeitung auf. In der Mitte befand eine Art Podest, etwa einen Meter hoch, mit drei merkwürdigen Vertiefungen. Das erstaunlichste aber war die Tür dahinter. Aus Bronze mit eisernen Verzierungen stand sie scheinbar unverrückbar da. "Was ist hinter dieser Tür?" Fragte Thana. "Das was wir suchen. Stellt euch im Halbkreis um den Altar." Wies Flöte die drei an. "Wir müssen die Tür erst öffnen." >Also kein Podest, sondern ein Altar, aber was soll das?< wunderte sich Hitomi. Trotzdem tat sie, was Flöte gesagt hatte, Thana links von ihr, und Van rechts, den Blick zur Tür. Flöte stellte sich auf die andere Seite. "Diese Vertiefungen sind für die Torsteine gedacht. Sie sind der Schlüssel für diese Tür. Van, leg deinen in die Vertiefung." Kommandierte sie. Van sah Hitomi zögernd an, schließlich war es ja eigentlich ihr Anhänger. Dann legte er ihn vorsichtig auf den Alter. Der Stein passte genau in die Vertiefung vor ihm und der Anhänger leuchtete kurz auf. "Das Herz des Kämpfers." Sagte Flöte feierlich, und Hitomi hatte das Gefühl, das sie eine religiöse Zeremonie abhielt. "Thana." sagte Flöte, und nahm den Stirnreif ab, den sie trug. "Mein Torstein wird dein Schlüssel sein." Thana legte verwirrt Flötes Reif in die Vertiefung vor ihr. Auch er leuchtete auf und Flöte sagte "Das verborgene Licht." Dann wandte sie sich an Hitomi "Auch du brauchst einen Torstein als Schlüssel." Van schaute auf den Altar. "Aber ihrer liegt doch schon hier." "Nein, das ist deiner. Wir brauchen einen anderen." "Aber sie hat keinen. Und du auch nicht mehr, oder?" Bevor Flöte antworten konnte, fiel Hitomi etwas ein. "Doch, ich habe einen. Akoth hat ihn mir gegeben. Er ist in meiner Tasche. Ich hole ihn." Sie wollte sich schon umdrehen, aber Flöte hielt sie auf. "Nicht nötig." Sie holte den Armreif heraus, den Hitomi von Akoth erhalten hatte. "Ich war so frei, ihn mir mal kurz auszuleihen." Sie lachte "Was meinst du, wie geschockt ich war, als Akoth mir sagte, dass er den Torstein weggegeben hat. Aber als er sagte, dass du es warst, habe ich es als Bestätigung meiner Entscheidung angesehen, dich als die dritte zu nehmen. Es kann nämlich nicht jeder die Kräfte kontrollieren. Die Wächter haben dies alles erschaffen, aber es gibt keine Wächter mehr. Das Drachengottvolk kommt ihnen am nächsten. Deshalb Thana und Van. Fehlt noch einer. Sie sind die letzten ihres Volkes, da bin ich mir ziemlich sicher. Wer soll also der dritte sein? Hitomi wurde vom wilden Tor erwählt, außerdem fließt auch in ihr das Blut des Drachengottvolkes." "In mir?" fragte sie überrascht. "Ja, aber das ist nichts besonderes. Wahrscheinlich hat jeder auf dem Mond der Illusionen irgendwann einen Atlanter als Vorfahren, sie sind schließlich nicht alle gestorben. Die Überleben haben sich mit den einfachen Menschen der anderen Kontinente vermischt. Das führte aber dazu, dass ihr Blut irgendwann so vermischt war, dass die Eigenschaften der Atlanter verschwanden. Sie verloren zum Beispiel ihre Flügel." >Aber vorher konnten sie fliegen. Ist das der Grund dafür, dass es überall auf der Welt Legenden von geflügelten Wesen gibt?< "In Hitomi ist dieses Blut aber überraschend stark. Das wird auch einer der Gründe sein, wieso das Tor sie ausgewählt hat." Flöte gab Hitomi den dritten Torstein. "Leg ihn hinein." Hitomi atmete tief ein, und tat dann, was Flöte gesagt hatte. Auch ihr Torstein glühte kurz auf. "Die vergessene Kraft." Erklang Flötes Stimme. Des Glühen ihres Torsteines erlosch, doch dann leuchteten alle drei hell auf. "Der Krieger, das Licht, und die Kraft sind vereint." Rief Flöte laut, die Arme erhoben und nach oben schauend. "Die Gegenwart bittet die Vergangenheit, ihre Schätze freizugeben, auf dass die Zukunft gerettet wird." Das Licht der Torsteine wurde immer heller, ihr Gleißen schmerzte in den Augen, und dann hatte Hitomi das Gefühl, durch Raum und Zeit geschleudert zu werden. Dunkelheit umgab sie und endlose Stille. >Wo bin ich?< "Van? Thana? Flöte? Wo seid ihr?" Stille. Das einzige Geräusch, das sie hörte, war das Schlagen ihres Herzens. Dann, langsam, als ob es sich nicht traute, erschien vor ihr ein Licht. Sie starrte es an, es wurde heller und heller. Sie spürte einen Sog, der sie unaufhaltsam darauf zu zerrte. Plötzlich sprang das Licht näher und hüllte sie ein. Vor Schreck schrie Hitomi auf- und spürte festen Boden unter ihren Händen. Ungläubig betrachtete Hitomi den Rasen unter ihren Fingern, dann stand sie zögernd auf. Ihr stockte der Atem, als sie sah wo sie war. "Hitomi!" Sie drehte sich um. Neben ihr stand Van gerade auf, und hinter ihm lag Thana, die jetzt anfing, sich zu bewegen. "Van, Thana! Seid ihr in Ordnung." "Ich glaube schon." Sagte Van und half Thana hoch, die noch unsicher stehen blieb. Dann riss sie die Augen auf. "Wo sind wir?" fragte sie, und Hitomi antwortete "In Atlantis." Über ihnen wölbte sich der riesige Baum, und in der Stadt unter ihnen liefen oder flogen die Leute kreuz und quer, jeder schien irgendein Ziel zu haben, und es gab anscheinend niemanden, der sich für die überraschenden Besucher interessierte. Doch das war ein Irrtum. "Willkommen in Atlantis." Sagte eine Frauenstimme hinter ihnen, die Hitomi bekannt vorkam. Sie drehte sich zu der Stimme um und sah zwei Frauen, die gerade die lange Treppe heraufkamen, und nun die Ebene vor ihnen betraten. >Aber das ist doch Varie, Vans Mutter!< Und zur Bestätigung rief auch jemand vollkommen geschockt "Mutter!" Doch dann merkte Hitomi, dass es gar nicht Van war, der gerufen hatte. Er stand genauso verwundert da wie Hitomi, und schaute auf Thana, die die Frau neben seiner Mutter anstarrte. Tränen rannen aus ihren Augen, und dann lief sie los. "Nicht Thana!" sagte die Frau noch, und machte eine abwehrende Geste, doch Thana lief weiter- und durch ihre Mutter hindurch. "Ach Kind." Sagte sie traurig. "Ich bin doch tot. Wie also könntest du mich berühren? Das hier ist nur ein Traum, eine Vision. Nichts hier ist wirklich real, auch wenn es reale Auswirkungen hat." "Du verwirrst sie nur." Tadelte Varie ihre Begleiterin. "Wir haben nicht viel Zeit, und sie sollten einen klaren Kopf behalten." Die Frau nickte ergeben und traurig gab sie Varie Recht. "Es tut mir leid, Thana, aber wir werden keine Zeit für uns haben, so sehr ich mir das auch wünsche." Varie blickte jetzt Van an, und um ihre Mundwinkel spielte ein geheimnisvolles Lächeln. "Van, darf ich dir Karillia vorstellen, meine Schwester." "Schwester?" Van war bleich wie Kreide. "Du hast mir nie gesagt, dass du eine Schw... Moment mal." Karillia lachte mit silberheller Stimme, die klarmachte, woher Thana ihre Stimme hatte. "ja, ich bin die Schwester deiner Mutter, und das bedeutet, ich bin deine Tante. Und meine Tochter ist deine Cousine." Van und Thana blickten sich mal wieder vollkommen überrascht an. Schließlich lachte Thana "Darum hatte ich das Gefühl, dich zu kennen." "Du auch?" "Ja. Seit ich dich zum ersten mal sah." "Zum zweiten Mal." Sagte ihre Mutter. "Ihr seid euch schon einmal begegnet. Allerdings warst du da kaum ein Jahr alt, und Varie lag noch von der Geburt geschwächt im Bett." Van fragte seine Mutter "Warum hast du mir nie etwas erzählt?" Varie schaute traurig über die weißen, in der Sonne blitzenden Häuser von Atlanis. "Das durfte ich nicht. Der Prophezeiung nach, würde jemand aus dem Drachengottvolk Gaia retten- zusammen mit dem Mädchen vom Mond der Illusionen" sie lächelte Hitomi an "der verlassenen Heimat des Drachengottvolkes. Wenn ihr voneinander gewusst hättet, hättet ihr euch gegenseitig in Gefahr gebracht." Karillia wurde unruhig "Wir müssen los." Varie nickte "Der Weg ist ziemlich lang. Wir werden fliegen." Sanft lächelte sie Hitomi an. "Das hier ist ein Traum. Hier kannst auch du fliegen. Stell dir einfach vor, du hättest Flügel. Es ist eigentlich ganz leicht." >Eigentlich ganz leicht. Wenn man damit geboren wird!< dachte sich Hitomi, tat aber, was Varie gesagt hatte. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich. Plötzlich spürte sie Van, Thana, Varie und Karillia, spürte all die anderen, und auf einmal ging es wie von selbst. Ein Ruck, und es war geschehen. "Na also, ich wusste, dass du es schaffst." "Es war ganz leicht." wunderte sich Hitomi. "Habe ich dir doch gesagt." Varie reichte ihr die Hand "Komm. Folge mir." Sie zog Hitomi zum Rand des Plateaus. Hitomi musste schluckte, als sie nach unten sah. Der Boden schien unendlich weit entfernt zu sein, und wenn sie aufschlug... Plötzlich spürte sie, wie jemand nach ihren Händen fasste. "Und los." Sagte Van, und er und Thana, jeder eine Hand Hitomis haltend, ließen sich in die Tiefe fallen. Erschrocken schrie Hitomi auf, doch dann spürte sie einen Ruck und flog. "Tut uns leid." Sagte Van "aber du hättest sonst noch ewig so gestanden." "Und deshalb musstet ihr mir einen solchen Schreck einjagen?" Thana lachte vergnügt "Schreck hin oder her- ist es nicht ein herrliches Gefühl?" Das war es in der Tat. Sie konnte den Wind spüren, die leiseste Strömung, und der Boden huschte unter ihr hin. "Kommt!" rief Varie ihnen zu, die mit ihrer Schwester über ihnen flog. "Wir haben noch einiges vor. Fliegt uns einfach nach." Sie flogen über weiße Häuser, breite Straßen, schmale Gassen, Kanäle und kunstvolle Brücken. Dann landeten sie vor einem seltsamen Gebäude, mit drei Toren. "Gute Landung." Lobte Thana Hitomi. "Aber was sollen wir hier, Mutter?" Karillia deutete auf die Tore "Ihr müsst dort hindurch gehen. Es ist eine letzte Prüfung. Mehr kann ich euch nicht sagen. Ich weiß nicht, worin die Prüfung besteht. Ihr werdet selbst entscheiden, was eure Prüfung sein wird." Hitomi fragte überrascht, und an die Schule denkend "Wir selbst? Aber das ist doch keine Prüfung mehr. Da wählt man doch nur, was man kann." "Nein." Meinte Varie "Ihr könnt nicht bewusst auswählen. Euer Unterbewusstsein wird die Prüfung auswählen. Nur eine Sache: es sind immer Prüfungen, die Antworten aus euch selbst heraus erfordern. Die Lösung ist tief in euch, und die Prüfung besteht darin, sie zu finden, mehr über euch selbst heraus zu finden. Bleibt euch selbst gegenüber ehrlich, dann kann nichts passieren. Und jetzt geht. Van, mein Sohn." Er hob die Hände, als ob er sie umarmen wollte, stoppte dann aber, als er an Thanas Versuch dachte. Varie legte behutsam ihre Hände in die seinen, Millimeter voneinander entfernt. "Van, vergiss nicht, du bist jetzt der König von Fanelia. Dein Volk braucht dich. Deine alte Familie ist tot, aber du hast eine neue. Es gibt viele Menschen, die dir vertrauen, und denen du vertrauen kannst. Schöpfe Kraft aus ihnen und gib ihnen Kraft. Eurem vereinten Willen kann nichts wiederstehen." Dann drehte sie sich zu Hitomi "Auch dein Weg ist noch nicht zu Ende. Viel liegt noch vor dir. Ich wünsche dir viel Glück. Und pass gut auf meinen kleinen Jungen auf." Sagte sie lächelnd. "Äh, ja. Ist gut." Stammelte Hitomi. Auch Karillia hatte ihrer Tochter noch etwas zu sagen. "Thana, es tut mir leid, dass wir dich verlassen haben." "Aber dafür könnt ihr doch nichts!" "Nein, aber es tut uns trotzdem leid. Vater und ich hätten gerne noch mehr Zeit mit dir verbracht, aber das Schicksal hat es anders gewollt. Wir werden uns wahrscheinlich nie mehr sehen, auch nicht so wie hier. Jetzt geh, und vergiss niemals, dass wir dich lieben." Sie drehte sich um, damit Thana ihre Mutter nicht mit Tränen in den Augen in Erinnerung behielt, und die drei gingen bedrückt durch die Tore, hinter denen eine unbekannte Prüfung auf sie wartete, die sie sich selbst stellen würden. Die Tür fiel ins Schloss, und Hitomi stand vor einer Treppe, die nach unten in das nur spärlich von Fackeln beleuchtete Dunkle führte. Sie atmete tief durch und stieg die Stufen hinab. Der Gang schien endlos zu sein. Die Gemauerten Wände reichten, soweit Van sehen konnte. Er erinnerte sich, dass die Zeit drängte, und begann den Gang entlang zu laufen. Thana schaute sich verwundert um. Der Fels war an den Wänden grau, und die Decke war überall dort geschwärzt, wo kleine Lampen an den Holzbalken hingen. Irgendwie sah es wie eine Miene aus. Der Weg gabelte sich in zwei Richtungen, und schwach konnte sie im rechten Gang eine weitere Gabelung erkennen. Mit der Hoffnung, dass es dort nicht so sein würde, wählte sie den linken Weg. Nach vielen hunderten Stufen, hinauf und hinab, endete die Treppe endlich vor einer Tür. Erschöpft lehnte sich Hitomi dagegen, doch sie gab keinen Zentimeter nach. Ohne große Hoffnung rief sie "Ich bin hier, um meine Prüfung abzulegen. Öffnet die Tür!" Zu ihrer Überraschung begann die Tür sich tatsächlich zu bewegen. Knirschend bewegte sie sich ein Stück, blieb stehen, ruckte noch einmal und blieb dann endgültig wie sie war. Hitomi quetschte sich durch den engen Spalt, und stand in einer kleinen Halle. Mit lautem Sirren blieben die Pfeile in der Wand stecken. Van sprang zurück und riss sein Schwert heraus. Vorsichtig ging er weiter, auf weitere Fallen achtend. >Hoffentlich passiert den anderen nichts.< sorgte er sich. Das Wasser tropfte unaufhörlich von der Decke. Der Weg hatte sich unzählige Male gegabelt. Es schien Stunden her zu sein, seit sie dieses Labyrinth betreten hatte. Sie hatte versucht, ihren Durst zu stillen, indem sie von dem tropfenden Wasser trank, aber schon beim ersten Versuch hatte sie angeekelt aufgegeben. Das Wasser war salzig und schmeckte nach Verwesung. Plötzlich stockte ihr Schritt. Sie war um eine Ecke getreten, und vor ihr schimmerte nun ein helleres Licht, als sie es jemals hier unten gesehen hatte. Sie lief auf das Licht zu, bog um eine weitere Ecke, und stand in einer unglaublichen Höhle. Die Wände waren aus purem Kristall- wahrscheinlich Salz, entschied sie bei der Erinnerung an das Wasser. Hunderte von Gängen mündeten auf verschiedenen Ebenen in dieser Höhle und ihr schräg unten gegenüber war eine Tür aus Eisen und mit Gold und Silber beschlagen. >Was für eine merkwürdige Höhle. Und diese vielen Gänge- führt jede Abzweigung hierhin? Aber wozu? Was soll das alles?< Sie stieg die Stufen hinab, die zum Boden der Höhle hielten und blieb vor der Tür stehen. Sie schien viel zu massiv, um sie allein zu bewegen. >Wie zum Teufel soll ich sie öffnen?< fragte sie sich. "Vielleicht kann ich dir helfen?" antwortete eine spöttische Stimme. Der Raum war nicht sehr groß, etwas größer als das Klassenzimmer in ihrer Schule, die Wände aus behauenen Felssteinen. In der Mitte war ein flaches Wasserbecken, an dessen Rändern eineinhalb Meter große Säulen mit Feuerschalen obenauf standen. Auf der anderen Seite eine unscheinbare Holztür, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. "Willkommen Mädchen. Bist du bereit für deine Prüfung?" Hitomi sah sich überrascht um, konnte den Sprecher aber nicht sehen. Er schien nicht in diesem Raum zu sein. "Wo bist du, und wer bist du?" fragte sie in den leeren Raum. "Ich bin du." Sagte die Stimme pompös, und Hitomi hatte das Bild Vargas vor sich, der Van zum König ausrief. "Mehr oder weniger." Fügte die Stimme nach einer kleinen Pause frozzelnd hinzu. "Was soll das heißen?" fragte Hitomi und ging im Raum herum, um festzustellen, woher die Stimme kam. "Ich bin ein Teil deines Unterbewusstseins. Ich bin derjenige, der dich durch deine Prüfung leiten wird." "Und kann ich dir trauen?" fragte Hitomi misstrauisch. Die Stimme schien von nirgendwo her zu kommen, fand sie. "Wenn du dir selbst trauen kannst..." antwortete ihr die Stimme achselzuckend. "Worin besteht die Prüfung?" "Das weiß ich nicht. Das musst du selbst herausfinden. Das gehört zur Prüfung dazu." Hitomi entschied, dass sie die Stimme nicht leiden konnte. Wenn das ihr Unterbewusstsein war- na dann gute Nacht. "Bist du bereit, dein Leben zu riskieren und die Prüfung zu beginnen?" "Mein Leben?" fragte Hitomi überrascht. "Wenn die Prüfung erst einmal angefangen hat, ist sie erst beendet, wenn die Aufgabe gelöst ist- oder der Prüfling tot. Ein Entkommen ist unmöglich." "Tolle Aussichten." Hämisches Gelächter antwortete ihr "In der Tat. Nun, bist du bereit?" "Ich habe ja wohl keine andere Wahl. Ich sterbe, wenn ich nicht das finde, von dem Flöte meint, dass es mich rettet." "Und du glaubst ihr?" Hitomi zögerte "Ja. Ich habe keinen Grund es nicht zu tun. Sie ist seltsam, gefühlskalt, aber nicht wirklich böse." "Das weißt du?" "Ja, das tue ich!" sagte sie entschieden. "Und jetzt lass diese verdammte Prüfung endlich beginnen!" Brüllendes Lachen erfüllte den Raum. "Wie du willst. Mögen die Spiele beginnen!" Ein schauderhaftes Kratzen ließ Hitomi herumfahren. Die Tür, durch die sie sich mühsam herein gezwängt hatte, war verschwunden. "Ich sagte doch, es gibt keinen Weg zurück, wenn die Prüfung begonnen hat." "Und wie geht es weiter?" fragte Hitomi ärgerlich. Schweigen antwortete ihr. "He, ich habe dich was gefragt." Unsicher sagte die Stimme "Ich weiß es nicht." "Was soll das heißen 'Du weißt es nicht'?" "Ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht. Eigentlich hätte etwas passieren müssen." Hitomi wusste nicht, was sie sagen sollte. Das sollte ihr Führer sein? Das war ja lachhaft! Aber nach Lachen war ihr nicht zu Mute. "Vielleicht sollten wir ganz am Anfang anfangen. Warum bist du hier?" "Weil mein Leben mit einem Tor verbunden ist, das zerstört wird und ich sterbe, wenn ich diese Prüfung nicht bestehe. Reicht das als Antwort?" Nach kurzem Zögern antwortete die Stimme "Anscheinend nicht. Gibt es weitere Gründe?" "Nun, Wenn das Tor aufhört zu existieren, sterbe nicht nur ich, sondern auch Van. Und Gaia wird auch schwer getroffen. Naturkatastrophen, oder so ähnlich. Ich habe das mit dem Ungleichgewicht nicht ganz verstanden." Die Stimme überlegte kurz. "Ich glaube, wir kommen der Sache näher. Es hat etwas damit zu tun, was du gerade gesagt hast." "Aber was? Ich verstehe das nicht." "Vielleicht kann ich dir helfen?" sagte eine andere Stimme. Hitomi fuhr herum "Van!" Langsam kam er näher, doch etwas an ihm machte Hitomi Angst. "Alles in Ordnung, Van?" Er lachte schrill. "Alles in Ordnung? Natürlich." Er grinste und schrie sie dann an "Nichts ist in Ordnung!" Er zog sein Schwert und kam auf sie zu. Ängstlich wich Hitomi zurück. "Van, was ist los mit dir?" "Mit mir? Gar nichts. Mit dir!" Er hob sein Schwert, und ließ es auf sie hinab sausen. Hitomi sprang zur Seite, und das Schwert zerfetzte den Stoff an ihrem rechten Arm. "Van, was tust du? Ich bin es!" "Ich weiß wer du bist!" Wieder schlug er zu, wieder wich sie aus. "Du bist diejenige, die nach Gaia gekommen ist, um alles zu zerstören. Als du da warst, kamen die Zaibacher, und jetzt werde ich wegen dir und diesem blöden Tor sterben. Aber dein Tod wird schneller kommen." Er hatte sie an die Wand gedrängt. Sie duckte sich unter seinem Schlag, und sprang an ihm vorbei. Ein paar Haare segelten zu Boden. "Van, du bist verrückt." Tränen stiegen ihr in die Augen. "Du würdest so was nie sagen." "Ach ja? Kennst du mich so gut?" Er kam auf sie zu, Hitomi wich zurück spürte, dass ihre Füße nass wurden, als sie in das Wasser trat. "Ja, ich kenne dich. Vielleicht nur ein paar Wochen, aber ich weiß, dass du das nicht bist." "Und woher?" "Weil, weil............. weil ich dich liebe!" schrie sie schluchzend heraus, etwas laut aussprechend, wozu sie bisher nicht in der Lage gewesen war. "Pah, Liebe! Du weißt doch gar nicht, was das ist." Er sprang ins Wasser. Hitomi tat noch einen Schritt, stolperte an der Kante des Wasserbeckens und landete unsanft. Van stampfte auf sie zu, und dabei fiel ihr etwas auf. Sie wischte sich die Tränen weg und starrte auf Vans Füße. Er lief durch das Wasser, aber seine Bewegungen hinterließen keine Spuren. Statt beiseite zu strömen, beruhigte sich das Wasser, das Hitomi aufgewirbelt hatte. "Du bestimmst deine Prüfung!" hallte die Stimme in ihr, und Hitomi wusste nicht, ob sie tatsächlich gesprochen hatte, oder es Einbildung war. Egal. Hitomi stand auf und sah Van an. "Du bist nicht Van." Sagte sie entschlossen. "Du bist nicht einmal real. Du bist nur Einbildung." "Dumm von dir, wenn du das wirklich glaubst. Hitomi lächelte zuversichtlich, fast herablassend. "Das hier ist meine Prüfung. Ich habe sie bestimmt." Mit einem Mal war es völlig klar. "Nichts hier kann mir gefährlich werden, außer ich lasse es selbst zu. Komm her, du kannst mir nichts tun. Du hast die Gestalt Vans, und ich weiß, das er mir nie etwas antun würde." Die Figur lachte "Wenn du meinst...." Er holte aus, das Schwert sauste durch die Luft- und durch sie hindurch. Die Illusion Vans starrte sie überrascht an, dann löste sie sich in einem Wirbel von Farben auf, die rasch verschwanden. "Die Prüfung ist beendet. Du hast bestanden." Sagte die Stimme feierlich. Ein Klicken, und die hölzerne Tür öffnete sich knarrend. Hitomi ging langsam auf den Ausgang zu. Ihr Herz raste immer noch, und das verschwindende Adrenalin ließ sie erschöpft und völlig ermattet zurück. "Eine Frage noch." Bat die Stimme "Was ist? Ich habe bestanden, oder?" "Ja, aber wie?" Müde lächelte Hitomi "Ich denke, du bist ein Teil von mir?" "Das war eine Lüge, zumindest eine halbe. Ich bin eine Vorstellung von dir, wie du dir jemanden vorstellst, der dich prüft. Eine Vorstellung übrigens, die keine Vorstellung davon hat, wie du nun eigentlich die Prüfung bestanden hast." Hitomi lehnte sich an den Türrahmen. "Eigentlich war es ganz einfach. Ich habe mich selbst erkannt." "Dich selbst erkannt?" fragte die Stimme, doch Hitomi schloss die Tür, und die Stimme verstummte. Endlich stand er vor einer Tür. Vorsichtig öffnete Van sie. Vor ihm war ein langer Gang mit dicken Säulen. Behutsam schlich er hinein und den Gang entlang. Am anderen Ende fand er wiederum eine Tür. Ein Schild mit kaum noch zu erkennbaren Schriftzeichen war an ihr angebracht. Mühsam entziffere Van die Zeichen im flackernden Fackellicht. 'Suchender, hinter dieser Tür liegt, was du dir erwüschst. Aber vergiss nicht: Nur wer sich selbst besiegt, kann jedem Gegner wiederstehen.' "Was soll das denn bedeuten?" fragte sich Van. "Das bedeutet, das du sterben wirst, Eindringling." Van fuhr herum und sah sich einem Dutzend grimmiger Krieger gegenüber, die ihn ansahen wie der Jäger sein Wild. "Ich will nicht kämpfen. Ich bin hier um eine Prüfung zu bestehen." Die Männer grölten vor Vergnügen. "Wir sind deine Prüfung. Und nun bereite dich darauf vor, zu sterben!" Der Anführer griff an, und Van konnte seinen Schlag nur mühsam abfangen. Es entspann sich ein wilder Kampf mit Finten, Sprüngen und überraschenden Ausfällen. Mal war Van im Vorteil, mal sein Gegner. Bei einer kurzen Kampfpause bemerkte der Mann "Es ist schwer, so allein zu kämpfen, oder?" "Ich bin gut genug, um es mit euch allen aufzunehmen!" rief Van wütend, und griff erneut an. Schließlich gelang es ihm mit einer komplizierten Schlagfolge, seinen Gegner so am Schwertarm zu verletzen, das er nicht mehr weiterkämpfen konnte. Fluchend zog der sich zurück, und zwei seiner Männer nahmen seine Stelle ein. "Das ist ziemlich unfair." Keuchte Van. "Mag sein, aber Krieg ist niemals fair, Van Fanel. Haben dich das die Zaibacher nicht gelehrt?" Van wunderte sich, woher sie wussten, wer er war, doch dann blieb ihm keine Zeit. Er nutzte die Deckung der Säulen aus, und tötete einen seiner Gegner, als dieser stolperte, allerdings brachte ihm das eine brennende Wunde auf der Brust ein. Mit dem anderen hatte er nicht soviel Glück. Dieser Mann stand seinem ersten Gegner in nichts nach. Dann machte er einen Fehler, und Van konnte ihn erledigen. Nach Atem ringend, aus mehreren Wunden blutend, und total erschöpft, kamen nun drei Gegner auf ihn zu. >Verdammt! Es muss einen Weg geben! Ich muss etwas übersehen haben, meine Mutter würde mich nie in den sicheren Tod schicken.< Er wich vor den Männern zurück, aber der Rest von ihnen versperrte ihm den Weg. >Und wenn ich diese drei besiegen sollte, werden sich vier auf mich stürzen, und danach fünf. Dabei ist sehr unwahrscheinlich, dass ich diese drei überlebe.< Dann fiel ihm plötzlich ein, wie er als kleines Kind mit seinem Bruder gekämpft hatte. Es war eine seiner ersten Fechtstunden gewesen, er war ungestüm auf Folken losgegangen, das für ihn viel zu große Holzschwert mit beiden Händen umklammernd. Folken hatte seines gar nicht benutzt. Er war zwischen den Bäumen hin und her gesprungen, und hatte jedes Mal gelacht, wenn Vans Schläge die Borke von einem der Bäume gerissen hatten. "Du sollst mich treffen, kleiner Bruder, nicht die Bäume." "Aber sie stehen immer im Weg!" hatte er dem Weinen nahe gesagt, und Folken hatte auf seine manchmal unausstehliche Art seine Verwunderung zur Schau gestellt. "Aber die Bäume können sich nicht bewegen, du schon. Wie können sie dir im Weg sein?" Van hatte ihn wütend angestarrt "Du stellst dich doch immer hinter sie." "Ja, das tue ich. Die Bäume sind meine Freunde. Sie haben nicht die Kraft, dir zu schaden, aber sie können mich beschützen. Welche Kraft hätte ich, wenn sie sich bewegen könnten? Welche Kraft hätte ich, wenn ich sie bitten könnte, dich zu fangen, kleiner Bruder? Du bist ein Sturkopf, und willst alles alleine machen. Aber du kannst allein noch so stark sein, und deine Gegner noch so schwach, wenn du allein gegen viele stehst, wirst du verlieren." Sein Bruder war damals jünger gewesen als er heute, doch er besaß schon diese Art von Weisheit, die jedes seiner Worte tonnenschwer machen konnte. Van zuckte zurück, und spürte den Luftzug des Schwertes in seinem Gesicht. "Schläfst du?" fragte eine der Gestalten hämisch und schlug erneut zu. >Ich bin nicht halb so weise wie er. Was hätte Folken in so einer Situation getan?< fragte er sich, verwundert, dass er so dachte. Es war das erste Mal seit langer Zeit. >Wie hätte er diese Prüfung gelöst?< Dann erinnerte er sich wieder an die Worte seiner Mutter, es war als ob sie neben ihm stünde "Van, vergiss nicht, du bist jetzt der König von Fanelia. Dein Volk braucht dich. Deine alte Familie ist tot, aber du hast eine neue. Es gibt viele Menschen, die dir vertrauen, und denen du vertrauen kannst. Schöpfe Kraft aus ihnen und gib ihnen Kraft. Eurem vereinten Willen kann nichts wiederstehen." Ja, es stimmte, er hatte eine Aufgabe, und er hatte auch jemandem, der ihm helfen würde. >Wie war das? Wir entscheiden selbst über unsere Prüfung? Wenn das so ist, dann wollen wir die Bedingungen mal verändern.< Er schloss die Augen, und konzentrierte sich, wie es Hitomi es ihm damals in Freid gezeigt hatte. Doch diesmal nicht, um Merle zu finden, sondern um seine Freunde zu rufen. Er spürte eine ungeheure Kraft, die in ihm aufbrandete, und er konnte spüren, wie sich etwas veränderte. Er öffnete die Augen, und sah sich nicht mehr allein einer Überzahl gegenüber. Vor ihm standen Folken, Vargas, Allen, und einige andere Krieger, die bei der Schlacht um Fanelia gefallen waren. Sie griffen an. Kein Wort kam über ihre Lippen, kein Laut ertönte bei ihren Bewegungen, und die Schwerter ihrer Gegner glitten durch sie hindurch wie durch Nebel. Nach wenigen Sekunden lagen alle Gegner tot am Boden. Die Geister formierten sich zu einer Reihe und hoben grüßend das Schwert. "Danke." Sagte Van leise, gegen eine Säule gestützt. Dann verschwanden sie in einem Rauchwirbel, und mit ihnen alle, die am Boden lagen. Kein Tropfen Blut, kein Echo eines Schreies kündete von dem wilden Kampf, der hier eben noch geherrscht hatte. Nur Vans Wunden blieben zurück. Er nahm sie als Warnung, diese Lektion nicht zu vergessen. Mühsam humpelte er zu der Tür, die sich wie von Geisterhand bewegt vor ihm öffnete. 'Nur wer sich selbst besiegt, kann jedem Gegner wiederstehen.' "Jetzt verstehe ich. Nur wer sich auch auf andere verlassen kann, kann ein Volk regieren. Das ist es, was ich nie verstanden habe. Ich wollte immer alles allein machen, mit dem Kopf durch die Wand. Danke Folken. Endlich habe ich dich verstanden." "Vielleicht kann ich dir helfen?" Thana erschrak und drehte sich um. In einem der Gänge lag eine massige, dunkle Gestalt. "Wer bist du?" fragte sie "Was denn, du erkennst mich nicht? Wie seltsam." >Diese Stimme- sie ist nur in meinem Kopf, aber...< "Akoth? Bist du das?" "Natürlich, wer denn sonst?" Die Gestalt sprang herunter und landete dröhnend auf dem Boden der Höhle. "Aber du warst doch verletzt!?" Das Lachen des Drachen dröhnte in ihrem Kopf. "Das hier ist nicht die Wirklichkeit. Hier bin ich nicht verletzt. Aber trotzdem hat alles hier Auswirkungen auf die Realität. Wenn ich hier sterbe, sterbe ich auch dort. Und wenn du hier stirbst, wird Flöte sehr, sehr traurig sein." Seine Stimme hatte zuletzt einen bedrohlichen Klang angenommen, und Thana hatte das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. "Wie kommst du hier rein?" fragte sie misstrauisch. "Die Gänge sind doch viel zu eng für dich. An einigen Stellen konnte ich nicht einmal aufrecht gehen." "Es gibt einen anderen Eingang. Und da wir gerade beim Thema sind- die Tür hinter dir führt hier heraus. Wenn du sie öffnen kannst, hast du die Prüfung bestanden. Das Problem ist, dass sie viel zu schwer für dich ist." "Hilfst du mir?" "Alles zu seiner Zeit. Schau mal in den Gang da." Thana kletterte die steile Treppe hinauf. Als sie oben war, sah sie vor sich am Boden ein reich verziertes Schwert liegen, mit Goldverzierung und einem Rubin am Griff. "Bring das Schwert her." Thana kam vorsichtig wieder hinab. "Und was jetzt?" "Dieses Schwert gehörte einem Ritter, der mich unbedingt töten wollte. Ich habe versucht mit ihm zu reden. Aber er wollte nicht hören. Ich musste ihn töten. Hasst du mich deswegen?" "Nein." Antwortete Thana, ohne darüber nachzudenken. "Du hattest keine andere Wahl." Der Drache nickte, und ein gefährliches Glitzern leuchtete in seinen schwarzen Augen auf. "Aber bei dem Dorf, in dem du geboren bist, ist das selbe passiert. Ich wollte nicht kämpfen, hatte aber keine andere Wahl. Du hasst mich wegen dem Tod deiner Eltern, dabei war ich es noch nicht einmal, der sie getötet hat, sondern die Dörfler." Thana schüttelte abwehrend den Kopf "Ich hasse dich nicht. Nicht mehr." "Lügnerin!" schrie Akoth "Du hasst mich sehr wohl. Du wirst es nie vergessen, und du wirst mir nie verzeihen. Niemand kann den Tod seiner Eltern verzeihen. Nach außen gibst du das vor, vielleicht glaubst du das sogar selbst, aber in deinem Inneren hasst du mich." Thana wand sich. "Das stimmt nicht. Ich habe dich gehasst, für eine lange Zeit, aber das ist vorbei." "Das ist Unsinn, und das weißt du." Er schnappte nach ihr und sie sprang zurück. "Was soll das?" "Ist das so schwer zu verstehen? Deine Eltern sind tot, und du wirst sie jetzt wiedersehen." Mit einem Ruck wuchtete Akoth seine riesige Masse auf, und starrte drohend auf sie hinab. "Ich habe noch nicht alle getötet, die ich töten sollte." "Was soll das heißen?" Thana starrte voller Angst auf den geschuppten Körper des Drachen. "Dass mir befohlen wurde, für den Tod deiner Eltern zu sorgen." Eiskalt lief es Thana den Rücken hinunter. "Das ist nicht wahr!" rief sie verzweifelt. "Flöte würde niemals" "Wer redet denn von Flöte?" unterbrach Akoth sie mit ätzendem Spott. "Sie hat nichts davon gewusst. Sie ist doch nur ein Spielzeug für mich." "NEIN!" Thana riss das Schwert hoch und ließ es voller Wut auf Akoth niedersausen. Das Schwert traf ihn an der Schnauze, und mit einem Knacken brach die Panzerplatte. Akoth zuckte zurück, und kreischend riss sich das Schwert frei, wobei es Thana um ein Haar aus der Hand gerissen wurde. Ein kleiner Tropfen Blut fiel zu Boden und hinterließ einen hässlichen Fleck auf dem Steinboden. "Dafür wirst du büßen!" Fauchte Akoth "Dein Tod wird qualvoller sein, als der deiner Eltern." Er öffnete das Maul, und der Feuerschwall versengte Thana das lange, schwarze Haar, das der Bewegung ihres Kopfes nicht schnell genug folgte. Sie stand wieder auf, und schlug mit aller Kraft zu. Akoth, geblendet von seinem eigenen Feuer, sah sie zu spät, und Thana durchbohrte ihm den linken Flügel. Sein Schmerzensschrei stachelte sie nur noch mehr an. Halb wahnsinnig schlug sie immer wieder auf ihn ein, und Akoth, durch die Schmerzen in seinen Bewegungen behindert, konnte ihren Schläge immer weniger ausweichen. Dann ertönte ein grauenvoller Schrei, Akoth fiel zu Boden, und blieb dann zuckend liegen. Thana stand neben ihm, das Schwert wog schwer in ihrer Hand, der Schweiß lief ihr von der Hitze des Kampfes und des Drachenfeuers in Strömen hinunter, und ihre Haare und ihre Sachen waren halb verbrannt. Sie richtete die Spitze des Schwertes auf seinen Hals, zu der selben Stelle, an der das Messer gesteckt hatte, das der Zaibacher nach ihr geworfen, und das Akoth aufgefangen hatte. "Na los! Stich zu! Das willst du doch!" Thana zögerte "Aber warum?" fragte sie "Warum? Du hast mich doch gerettet! Wenn du mich töten wolltest, hättest du dich nur nicht einzumischen brauchen." Röchelnd antwortete der Drache "Aber so vertraut mir Flöte noch mehr. Ich wusste, dass du herkommen würdest. Hier kann sie uns nicht beobachten. Wenn du nicht zurück gekommen wärst, hätte sie sich an mich geklammert. Sie hätte mir vollkommen vertraut, und ich hätte sie benutzt, um die Tihani auszulöschen." Die müde Stimme wurde lauter, von Hass gestärkt. "Sie sind schuld, dass die Wächterdrachen erschaffen wurden. Aber was ist das für ein Leben? Versklavt von unseren "Partnern", gejagt von allen anderen. Dein Volk ist Schuld an meinem Schicksal. Ich werde euch alle töten. Jetzt, da auch Van in meiner Nähe ist, kann ich auch ihn auslöschen. Und wenn du und Van tot sind, gibt es niemanden mehr, der mich aufhalten könnte." "Das werde ich nicht zulassen!" rief Thana, holte aus, und stach von Angst und Verzweiflung getrieben zu. Das Schwert glitt leicht in seinen Hals, Akoth schrie auf, aber sein Schrei erstickte in einem Röcheln. Das Blut schoss aus seiner Wunde, und sein Kopf schlug auf den Boden. Der riesige Körper schüttelte sich im Todeskampf, dann erstarben seine Bewegungen, und in der Höhle herrschte Stille. Thana schaute ungläubig auf das Schwert, dass sie immer noch in ihren Händen hielt. Zitternd lösten sich ihre Finger, und sie sank weinend zu Boden. Doch dann sprang sie auf, und schrie in das Nichts. "Was soll das? Ist das eure Prüfung? Soll ich zeigen, dass auch ich töten kann? Antwortet mir! Ich weiß, dass das nicht Akoth war, also hört auf mit diesem grausamen Spiel!" Die Wände schienen vor ihren Vorwürfen zurück zu zucken. Eine Weile war nur eine lastende Stille in der Höhle, das einzige Geräusch war Thanas Atem. Dann flimmerte Akoths Körper auf und verschwand. "Woher weißt du, dass es nicht Akoth war?" Thana fuhr herum "Flöte!" Dann schüttelte sie den Kopf "Nein, du bist nicht Flöte." "Nein, bin ich nicht. Beantwortest du meine Frage?" Die Gestalt Flötes sah sie bittend an "Akoth hätte niemals so etwas getan." "Aber du kennst ihn doch gar nicht. Das einzige, was du über ihn weißt, ist, dass er der Schuldige an dem Tod deiner Eltern war." "Nicht der Schuldige. Nur der Verursacher. Es war nicht seine Absicht. Das habe ich nie verstehen wollen." "Trotzdem sind deine Eltern tot." Thana antwortete nicht. "Woher willst du wissen, dass er nicht so gehandelt hätte?" "Weil Flöte ihm vertraut. Und niemand kann Flöte über Jahre etwas vorspielen. Außerdem, wenn das, was er gesagt hat, tatsächlich sein Plan gewesen wäre, hätte er mich trotzdem nicht gerettet. Flöte hat ihm schon vorher bedingungslos vertraut. Er hätte sich unnötig in Gefahr gebracht. Und er ist nicht böse. Flöte hat es mir immer wieder gesagt, aber ich wollte nicht auf sie hören." Das kleine Mädchen sah sie eine Weile schweigend an und ging dann Richtung Tür. "Komm!" forderte sie Thana auf. An der Tür angekommen hob sie ihre Hand, und die Tür öffnete sich, ohne dass sie sie berührt hätte. "Das ist der Ausgang. Geh!" "Dann habe ich die Prüfung bestanden?" fragte Thana "Ich weiß nicht." Das Mädchen sah sie unsicher an "Ich kann dir deine Frage nicht beantworten. Du hast dir deine Prüfung ausgesucht. Nur du kannst beurteilen, ob du sie bestanden hast." "Aber habe ich das?" fragte sich Thana "Ich habe eher das Gefühl, versagt zu haben." "Vielleicht heißt versagt zu haben in diesem Fall, dass du bestanden hast. Vergiss nicht, das, was hier passiert ist, hat nur Auswirkungen auf dich. Deine Aufgabe war es, dich selbst zu finden. Und manchmal kann man das nur, wenn man versagt." Thana schluckte "Was passiert, wenn ich die Prüfung nicht bestanden habe, und trotzdem durch diese Tür gehe?" "Dann stirbst du." Sagte das Mädchen mit einem Ton, der keinen Zweifel ließ. Thana schaute zweifelnd auf das Dunkel, das hinter der Tür wallte. "Aber wenn ich hier bleibe, finde ich es nie heraus, oder?" "Nein." "Dann bleibt mir wohl keine Wahl." Sie machte einen Schritt nach vorne, blieb noch einmal stehen und drehte sich um. "Weißt du, als ich ihm das Schwert in den Hals bohrte, habe ich mich besser gefühlt als jemals zuvor. Aber dann... dann hatte ich Mitleid. Ich hatte Mitleid mit ihm, weil er so voller Hass war, geblendet von falschen Vorstellungen." Sie drehte sich wieder um und trat entschlossen durch die Tür. Leise fügte sie hinzu "Genau wie bei mir." Die Tür fiel ins Schloss. Das Mädchen mit der Gestalt Flötes lächelte zufrieden. "Ich glaube, du hast bestanden. Viel Glück!" Dann verschwand sie, und mir ihr die Höhle aus Salzkristall, die eiserne Tür und der Irrgarten aus Gängen, den Thanas Seele als Spiegelbild ihrer selbst erschaffen hatte. Stöhnend richtete Hitomi sich auf. "Was?" Ihr Blick fiel auf Flöte, die sich über Thana gebeugt hatte. Flöte warf ihr einen schnellen Blick zu und fragte "Bist du in Ordnung?" "Ja." "Gut." Jetzt sah Hitomi, dass Thanas Sachen und ihr Haar total versengt waren. "Was ist mit ihr?" rief sie erschrocken, aber Vans Stimme neben ihr beruhigte sie "Es geht ihr gut. Es ist anscheinend nicht so schlimm." Der gepresste Ton in seiner Stimme jagte Hitomi Angst ein. "Van, was ist... Oh Gott! Du bist verletzt!" Sie wollte aufstehen, aber die plötzliche Bewegung jagte gleißende Blitze durch ihren Kopf. Stöhnend setzte sie sich wieder hin. "Halb so wild, aber du solltest dich lieber nicht bewegen. Das ist kein angenehmes Gefühl." "Das kannst du laut sagen." In diesem Moment rief Flöte aufatmend "Sie kommt zu sich!" Tatsächlich schlug Thana die Augen auf, sah Flöte und setzte sich ruckartig hin, was zur Folge hatte, dass sie bewusstlos umkippte. Doch bevor sich jemand Sorgen machen konnte, war sie wieder da, und diesmal war sie vorsichtiger. Sie öffnete die Augen, blinzelte und fragte dann "Flöte! Bist du es wirklich?" "Natürlich, wer denn sonst?" "Schon gut. Ich hatte nur Angst, dass du... Ach vergiss es." Sie schlief ein, und Flöte fragte besorgt "Was ist denn passiert? Ihr fallt einfach um, dann passiert eine Zeit lang gar nichts, und dann fängt Hitomi an zu schreien, du kriegst auf einmal Wunden, und Thanas Haare und Sachen fangen an, sich aufzulösen." Van druckste herum, sah schließlich Hitomi an, die auch nichts sagen wollte, und meinte dann "Ich weiß nicht, was den anderen passiert ist, aber wenn es so ähnlich war, wie bei mir, möchte bestimmt keiner von uns darüber reden, jedenfalls nicht so schnell." Hitomi nickte schwach ihre Zustimmung, und Flöte gab auf. "Wie ihr meint. Ich werde die anderen holen, ihr seht nämlich sehr geschafft aus, und sie können euch helfen." "Nein!" sagte Hitomi entschieden. "Ich bleibe nicht länger in dieser Höhle." "Und ich auch nicht. Hol dir das, was du holen wolltest, und dann raus hier. Oder hat es nicht geklappt?" Die Ruhe mit der Van diese Frage stellte, bezeugte, dass er am Ende seiner Kraft war. "Es hat geklappt." Sagte Flöte "aber ich kann die Eier nicht tragen." "EIER?" Van und Hitomi starrten verblüfft auf das kleine Mädchen. Flöte grinste "Keine normalen. Dracheneier. Eier von Wächterdrachen, um genau zu sein. Sie werden dem wilden Tor wieder Kraft geben, und euch retten." Van stöhnte und schaute belämmert drein "Eier! Ich glaube es nicht!" "Kommt mit. Ihr werdet jeder eins tragen, und ich stütze Thana, dann kommen wir auch ohne die anderen raus." Sie ging zum Tor, öffnete es mühelos, und Hitomi und Van erkannten tatsächlich nichts als zwei riesige Eier dahinter. >Und deswegen der ganze Wirbel.< "Komm Van. Holen wir sie, und dann nichts wie raus hier." "Da seid ihr ja endlich! Das hat ja Stunden gedauert!" Taro nahm Flöte die orientierungslose Thana ab. "Eliandra! Komm her! Es gibt Arbeit für dich. Was zum..." Er starrte auf Hitomi und Van, die, jeder eines der riesigen Eier in den Armen, erschöpft aus der Höhle schwankten. "Kleine Wächterdrachen." Erklärte Flöte. Eliandra warf nur einen Blick darauf, und meinte trocken "Also doch. Dann ist es also keine Legende." "Du hast davon gewusst?" fragte Taro überrascht, und zeigte auf die Eier, die gerade vorsichtig auf den Boden gelegt wurden. Akoth schien ebenso überrascht "Woher denn? Nicht mal mir hat Flöte etwas davon gesagt." "Tut mir leid, alter Freund. Aber ich wollte nicht, dass du dir falsche Hoffnungen machst. Ich weiß doch , wie allein du dich fühlst. Aber ich war nicht sicher, ob sie tatsächlich da waren. Ich wusste auch nicht viel mehr, als die Legende, die Eliandra erwähnt hat." "Du warst schon immer gut für Überraschungen." Unterbrach Keel das Gespräch. "Aber jetzt bin ich mal dran." Er zeigte auf einen Punkt zwischen zwei Gipfeln "Da kommt was geflogen, und ich würde sagen, es ist dieser Ritter." "Allen?" Van schaute angestrengt in die Richtung. "Ich kann nichts genaues erkennen." Keel brummelte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart "Was ist denn? Siehst du schon wieder Probleme?" fragte Flöte ärgerlich, die ihren Freund anscheinend sehr gut einschätzen konnte, denn er nickte bestätigend. "Sie wissen nichts von uns. Wenn sie ihre Freunde in diesem Zustand sehen, von einem Drachen mal ganz zu schweigen..." "Oh." Flöte runzelte die Stirn "Warum hast du das nicht eher gesagt?" warf sie ihm vor "Weil ich dachte, dass Van ihnen entgegenfliegt und sie beruhigt. Aber in seinem Zustand..." "Ich schaffe das schon." Eliandra schnaubte ärgerlich "Und mitten in der Luft fangen deine Wunden wieder an zu bluten, und außerdem bist du so schwach, dass du kraftlos abstürzen würdest." "Ich habe wohl keine andere Wahl." Hitomi blickte besorgt von Van auf den fernen Punkt, und wieder zurück. Was Keel gesagt hatte stimmte, aber Van war wirklich nicht in der Lage zu fliegen. "Kannst du ihn nicht so verbinden, dass ihm nichts passieren kann? Und was ist mit diesem heiligen Wasser?" fragte sie die Heilerin. Eliandra schaute Van nachdenklich an "Das Wasser ist kein Allheilmittel. Er hat zu wenig Kraft, damit es wirken könnte." "Eigentlich muss er ja nur durchhalten, bis das Flugschiff hier ist." Warf Taro ein. Eliandra schaute ihn verwirrt an, dann verdunkelte sich ihr Gesicht "Du weißt, dass ich das nicht gern mache." "Wie Van schon sagte: er hat keine andere Wahl." Eliandra seufzte "Also gut." Sie holte ihre Sachen, und Taro erklärte "Sie wird Van ein Mittel geben, das ihn für ungefähr zwei Stunden stärken wird. Aber jeder Körper hat nur begrenzte Reserven. Das Mittel setzt die Kräfte frei, die der Körper zum Leben benötigt. Wenn man genug Zeit und Ruhe hat, sich davon zu erholen, ist es gefahrlos, aber wenn man das nicht hat... Nun, wie gesagt, nutzt es die Lebenskraft." "Wie auch immer ihr euch entscheidet..." sagte Akoth in das Schweigen "... ihr solltet euch beeilen. Sie schlüpfen bald, vielleicht sogar schon heute." Flöte wurde weiß wie eine Kalkwand. "Was sagst du da? Aber das ist viel zu früh!" Akoth schnaubte, und machte sich über sie lustig "Sie haben Jahrtausende gewartet. Meinst du nicht, dass ihre Eile verständlich ist?" Flöte klappte den Mund wieder zu und sagte drängend "Van, sie müssen vor dem Schlüpfen auf der Insel sein. Wir haben keine Wahl! Du musst dich beeilen!" "Kommandant! Da vorne fliegt etwas!" Allen starrte durch das Fenster. "Das ist Van!" Erstaunen und Erleichterung klang in seiner Stimme. "Öffne die Heckklappe!" rief er Gades zu, dann rannte er von der Brücke. Er kam gerade rechtzeitig, um Van landen zu sehen. >Was ist ihm denn geschehen?< fragte er sich, als er Vans Verbände sah. "Ist alles in Ordnung mit dir? Du scheinst ziemlich schwer verletzt zu sein." Van winkte ab. "Ich habe keine Zeit. Ich erkläre es dir später. Wir müssen so schnell wie möglich landen." Er rannte zur Brücke, Allen hinterher. Langsam schob sich der Crusador an den Rand der Schlucht. Die Heckklappe schlug auf dem Boden auf, und die Anker wurden in die senkrechte Wand geschossen. Van führte Allen zu der wartenden Gruppe. Ein kleines Mädchen, eine junge Frau, zwei Männer, einer davon mit einer Narbe im Gesicht- und Hitomi. Van bemerkte Allens Unbehagen, als er den Drachen sah. "Keine Sorge, er ist friedlich." Beruhigte er ihn. Allen ging auf die seltsame Gruppe zu, und stand dann vor Hitomi. Er kniete vor ihr nieder und gab ihr einen Handkuss. >Sie sieht ziemlich geschafft und müde aus.< Verlegen wand sich Hitomi unter dem neugierigen Blick der Anwesenden. "Schön, dich wiederzusehen Hitomi." "Ich freue mich auch." Taro fing plötzlich an zu grinsen "Ein alter Charmeur, will mir scheinen. Pass auf Eli, er stiehlt dir sonst noch dein Herz." Eliandra warf ihm einen hochmütigen Blick zu "Du bist doch nur neidisch, weil du das nicht kannst." Allen blickte verwundert auf das seltsame Paar. "Mach dir nichts draus. Sie sind so komisch." Sprach Akoths Stimme in ihren Köpfen, und Allen zuckte zusammen. "Wer?" "Der Drache." erklärte Hitomi. Er heißt Akoth." Allen stand stocksteif da und musterte den Drachen, der so anders war als alle Drachen, von denen er gehört hatte. Energisch trat jetzt Flöte vor Allen hin und fragte ihn "Du bist der Kommandant des Luftschiffes?" Allen blinzelte. "Ja." "Dann würde ich vorschlagen, wir fangen an. Wir haben nicht viel Zeit. Komm mit." Sie drehte sich um, und ging zu Akoth, ohne sich zu vergewissern, ob Allen ihr folgte. Dieser blickte Van fragend an, erstaunt darüber, dass ihn ein kleines Mädchen herum kommandierte. Van nickte ihm beruhigend zu. Während dessen schoss Flöte weitere Befehle ab. "Keel, Taro, ihr holt die Pferde und nehmt die Eier mit. Eliandra, du kommst mit uns. Van, Hitomi, ihr geht schon an Bord. Legt euch hin, ihr seid total erschöpft." Sie stand nun vor Akoth, der den vorsichtig näher tretenden Allen neugierig anschaute. Trotz Vans Versicherung war ihm nicht wohl in seiner Haut "Hör zu. Allen, richtig? Dieser Drache ist mein bester Freund. Du wirst uns alle dorthin bringen, wo ich es sage. Wenn du oder deine Männer versuchen Akoth etwas anzutun, kriegen sie es mit mir zu tun. Du kannst dein Grinsen ruhig zeigen." Allen stammelte ertappt "Ich wollte nicht, ich meine..." "Es ist egal, was du wolltest. Wichtig ist nur, was du tust. Ach ja, da wir gerade beim Thema sind- der Ort, an den wir wollen ist streng geheim. Wenn auch nur einer von euch ein Wort darüber verliert, wird er das bereuen." Flötes herrischer Ton machte Allen wütend. "Ich lasse mich nicht bedrohen." "Das war auch keine Drohung, sondern ein Versprechen." Erwiderte Flöte freundlich. "Aber ich bin sicher, es wird nichts derartiges geschehen. Eliandra und ich bringen Akoth an Bord. Und du trägst Thana." Allen wunderte sich "Thana?" Flöte deutete auf eine Stelle hinter Akoth, und Allen ging mit einigem Abstand am Kopf des Drachens vorbei. Als er das schlafende Mädchen sah, stockte ihm der Atem. >Ihre Haare sind ja total verbrannt. Und ihre Sachen sind auch angekohlt. Was ist denn hier passiert?< Flöte sah Allen finster an "Sie ist sehr erschöpft und Eliandra hat ihr ein Schlafmittel gegeben. Hörst du mir überhaupt zu?" Allen zuckte zusammen "Ja. Aber was ist mit ihr passiert?" "Lange Geschichte. Und jetzt trag sie zu deinem Flugschiff. Und behandle sie gut. Sie ist wie eine Schwester für mich." Bei Flötes Ton lief Allen ein eisiger Schauer den Rücken herunter. Schnell tat er, was Flöte ihm aufgetragen hatte, und trug die überraschend leichte Thana vorsichtig zum Crusador. "Kommandant, das gefällt mir nicht." Flüsterte Gades und machte eine Kopfbewegung auf Flöte, die auf der Brücke stand, und dem Crusador den Weg wies. "Van und Hitomi haben gesagt, wir sollen tun, was sie sagt." "Ja, aber die zwei schlafen. Und nicht nur von sich aus. Diese Eliandra hat ihnen ein Schlafmittel gegeben." Nach einer stürmischen Begrüßung von Milerna, und einer eher kühlen von Dryden hatte Eliandra darauf bestanden, dass sich die zwei sofort schlafen legten. "Mit ihrem Wissen. Ich glaube, du siehst Gespenster. Diese Menschen sind merkwürdig, aber ich glaube nicht, dass sie uns schaden wollen." "Jetzt nach links!" kommandierte Flöte, und Gades lenkte resignierend den Crusador durch ein enges Tal. "Aber wir werden die Augen aufhalten, Gades. Sicher ist sicher." Gades nickte erleichtert. Neugierig schaute Allen sich um. Diese Insel war anders, als er es erwartet hatte. Es sah fast aus, wie irgendein Dorf irgendwo in Asturia, trotzdem herrschte eine ganz andere Atmosphäre. Nach Aussage Taros war der Crusador das erste Luftschiff, dem erlaubt wurde, hier zu landen, und das auch nur wegen der besonderen Umstände. Trotzdem blieben die Menschen ruhig und taten, was Flöte ihnen befahl, was Allen noch mehr verwunderte. Sie hatte nach einer kurzen Diskussion mit Eliandra und Taro auch verboten, dass außer ihm noch jemand der Neuankömmlinge die Insel betrat. Die beiden hatten auch die Dracheneier weggebracht. Als sie angekommen waren, war es später Nachmittag, aber jetzt war die Sonne schon fast untergegangen. Taro hatte Allen, Van, Hitomi und Thana von Crusador abgeholt, und nun gingen sie an den Ort, an dem die kleinen Drachen schlüpfen sollten. "Wir dachten, dass der alte Drachenaltar der richtige Ort ist." Er fragte Hitomi und Van "Habt ihr ihm inzwischen erklärt, warum wir das machen?" "Ein bisschen. Wir haben ja die ganze Zeit geschlafen." "Gut. Also hört zu. Wenn ich Flöte richtig verstanden habe, wird das wilde Tor durch die Lebensenergie der Wächterdrachen gestärkt. Dazu ist es aber nötig, dass sie sich mit jemandem verbinden. Früher waren das die Auserwählten des Drachengottvolkes. Das ist heute nicht mehr möglich. Van ist mit Escaflowne verbunden, und fällt weg." Geflissentlich erwähnte er Thana nicht, denn ihr Geheimnis sollte nur sie selbst preisgeben, und nur wenn sie das wollte. An ihre Adresse gerichtet fügte er aber hinzu "Die Drachen suchen sich ihre Partner selber. Das können nur Personen sein, die keine Angst oder Wut auf sie haben. Ich würde mich ja auch nicht an jemanden binden, der mich nicht leiden kann." "Und wie suchen sie sich ihre Partner aus?" fragte Hitomi, und Taro zuckte die Schultern "Ich weiß es nicht. Flöte meinte, dass die Auserwählten es genau spüren würden. Aber nicht einmal sie wusste, wie das funktioniert." Allen fragte nur scheinbar nebenbei "Sie weiß erstaunlich viel für ein kleines Mädchen." Taro lächelte nichtssagend und antwortete "Ja, sie ist ein erstaunliches kleines Mädchen." Allen wurde rot, als er merkte, dass sein plumper Versuch fehlgeschlagen war. Er war sich sicher, dass zumindest Hitomi eine Erklärung wusste, aber sowohl sie als auch Van hatten ihm erklärt, nichts zu wissen. Allen war sich nicht sicher, ob Van die Wahrheit sagte, aber Hitomi war eine miserable Lügnerin. Er erinnerte sich an die Warnung in dem Buch, dass Van hierher geführt hatte. "Wer oder was auch immer die 'Leuchtenden Schatten' sind, die Begegnung mit ihnen ist gefährlich. Alle, die mit ihnen in Berührung kamen, verschwanden und tauchten, wenn überhaupt, erst Jahre später auf, oder sie kamen seltsam verändert zurück, wortkarg und ohne Erklärung für ihr Verhalten." Der flackernde Schein der Fackeln fiel auf müde Gesichter. Es war schon eine ganze Zeit nach Mitternacht, aber es war noch immer nichts passiert. Van und Hitomi hatten schweigend dagesessen, neben ihnen Thana, die nicht ganz da zu sein schien. Auf eine besorgte Frage Allens hatte sie nur den Kopf geschüttelt und gesagt, dass sie über etwas nachdenken müsse. Allen war besorgt, denn das hatten auch Hitomi und Van gesagt. Diese Leute hier schienen wirklich eine seltsamen Veränderung hervorzurufen, und sie gefiel Allen nicht. Er betrachtete die Leute ringsherum. Die ganze Insel hatte sich um die Eier versammelt und wartete, aber bisher vergebens. Dann endlich ruckte Akoths Kopf, und der Drache mit dem riesigen Verband um den Hals meldete "Es ist soweit. Ich kann es spüren. Sie wollen raus, und sie rufen." "Rufen? Ihre Partner?" fragte Flöte "Ja." Das Mädchen richtete ihre Stimme auf die Versammlung. "Wer glaubt, von ihnen erwählt worden zu sein, tritt bitte vor." Aber niemand reagierte. Flöte blickte unwillig in die Runde, doch dann wurde sie abgelenkt. Mit lautem Knacken platzten die Schalen der Eier, und zwei schon ziemlich große Köpfe blickten in den Sternenhimmel. Innerhalb weniger Minuten hatten sich die beiden Babydrachen befreit und lagen still da. "Sie rufen immer noch." Sagte Akoth und langsam schob sich Angst in seine Stimme. Dann, plötzlich, begannen die zwei unbeholfen in eine Richtung zu tapsen. Die Menschen, die in dieser Richtung saßen, verneinten allesamt, etwas zu spüren. "Dann werden wir sieben." Meinte Taro. "Geht zur Seite. Die Hälfte, der sie folgen, geht wieder zurück und teilt sich dann erneut auf. So können wir den Kreis wenigstens einschränken." Doch zu aller Verwunderung tapsten die kleinen Drachen weiter, obwohl niemand mehr vor ihnen stand. "Es sind doch alle hier, oder?" fragte Flöte Eliandra." "Ja, bis auf das Baby und die drei, die schwer krank sind." Wie um ihre Worte zu bestätigen, tauchten auf einmal zwei schlanke, geschmeidige Schatten zwischen den Bäumen auf. Allen und Van rissen die Augen auf, als die zwei aus dem Schatten in das flackernde Licht der Fackeln raten. "Das darf doch nicht wahr sein! Sie sind doch tot!" rief Allen und zog sein Schwert, aber Hitomi stoppte ihn. "Steck das Schwert weg, Allen. Sie sind nicht unsere Feinde." "Aber..." Allen schaute verblüfft auf Hitomi, die die Fäuste in die Hüften gestemmt vor ihm stand. "Ich sagte, steck das Schwert weg." Allen wusste, wann er verloren hatte. Hitomi zeigte selten Entschlossenheit, aber wenn sie diesen Ausdruck in den Augen hatte... "Seid ihr wahnsinnig?" schrie nun Eliandra, die ihren Schock endlich überwunden hatte. "Ihr bringt euch um! Ihr könnt nicht einmal allein aufstehen, und jetzt lauft ihr hier herum!" Eria fragte abwesend "Aber wenn sie uns rufen?" und Naria unterstützte sie "Außerdem fühlen wir uns nicht schwach. Im Gegenteil. Seit sie uns rufen, fühlen wir uns stärker als jemals zuvor." Plötzlich fing Flöte hemmungslos an zu lachen. "Was ist denn mit dir los?" Fragte Keel. "Das ist der größte Witz des Jahrhunderts." japste sie. "Verstehst du nicht? Zwei fast ausgestorbene Rassen- Katzenmenschen und Wächterdrachen- verbinden sich mit dem, was aus den zerstörten Toren der Atlanter übrig ist, um jemanden aus dem fast ausgestorbenen Drachengottvolk zu retten- Van. Ganz nebenbei retten sie damit auch jemandem vom Planeten der Atlanter, und das was die Atlanter erschaffen haben- Gaia. Denn wenn das wilde Tor aufhören würde zu existieren, würde es hier ganz schön ungemütlich- Erdebeben, Flutwellen, Dürren, was weiß ich. Drei fast ausgelöschte Rassen retten diejenigen, die sie vernichten wollten, nämlich die Menschen, die Drachengottvolk, Katzenmenschen und Drachen nicht verstehen, und sie aus Angst auslöschen wollten. Diese Ironie ist nicht zu übertreffen! Wer immer das Universum erschaffen hatte, muss einen überwältigenden Humor haben." Keel brummte "Darauf muss man erst mal kommen. Eine verdammt merkwürdige Art von Humor. Aber das kann wirklich kein Zufall sein. Das gibt es einfach nicht." Dann fing auch er brüllend an zu lachen, und alle starrten den griesgrämigen, stillen Begleiter Flötes ungläubig an. "Van, ich habe eine Bitte an dich." Van war gerade unterwegs, um Hitomi zur Abreise zu holen, die immer noch bei Eria und Naria war, als Flöte ihn ansprach. "Was denn?" Die aufgehende Sonne blendete ihn, so dass er ihr Gesicht nicht erkennen konnte, aber Flöte klang merkwürdig traurig. "Ich möchte, dass du Thana mitnimmst. Sie hat mir gesagt, dass ihr verwandt seid." "Du hast es gewusst, oder?" "Nicht mit Sicherheit. Aber es gab nicht viele Möglichkeiten, wer sie sonst sein sollte. Ich möchte, dass du sie mitnimmst. Ihr habt euch bestimmt eine Menge zu sagen. Außerdem wird es Zeit, dass sie von hier wegkommt. Ich werde mir eine Aufgabe für sie ausdenken, aber das hat Zeit." "Sie kann gerne mit mir kommen. Aber das sind doch nicht alle Gründe, oder?" Flöte blieb stehen, schaute ihn an, grinste und meinte dann "Wie gut du mich schon kennst. Also darf sie?" "Wenn sie will." "Gut. Dann werde ich ihr Bescheid sagen. Ich glaube nicht, dass sie etwas dagegen hat." Der Crusador flog über die tief zerklüfteten Täler, meist im Schatten der mit Schnee bedeckten Berge. Van stand auf der kleinen Plattform über der Brücke und starrte voraus. Seine Gedanken wirbelten genauso wie seine schwarzen Haare, mit denen der eisige Wind sein Spiel trieb. Quietschend öffnete sich die Luke, und eine überraschte Stimme rief seinen Namen. "Van! Was machst du hier?" "Das selbe könnte ich dich fragen, Hitomi." "Ich wollte allein sein. Ich muss nachdenken." Van lächelte, und in diesem Moment verließ der Crusador den Schatten des Gebirges. Das goldene Licht der Sonne verjagte Hitomis Gänsehaut. "Es ist schön in der Sonne, aber der Wind ist eisig." "Ja........ Hitomi?" "Was?" schreckte sie hoch. "Jetzt, wo anscheinend alles vorbei ist, wirst du wieder zurück gehen, oder?" Hitomi blickte Van an, dann die Berge, und suchte dann die Erde, die neben dem Mond schwach am Himmel zu erkennen war. "Ich weiß nicht. Ich sollte meiner Familie wirklich sagen, dass es mir gut geht. Aber ich habe irgendwie das Gefühl, dass das nicht das Ende war." "Du auch?" fragte Van überrascht. "Merkwürdig. Ich dachte, es wäre nur eine Einbildung von mir." Er stützte sich auf das Geländer, und machte eine alles umfassende Geste. "Ich verstehe die Welt nicht mehr, Hitomi. Erst die Geschichte mit den Zaibachern, und jetzt das. Gaia ist nicht mehr die selbe Welt, die sie früher einmal war. Alles scheint sich zu überstürzen, als ob etwas unglaublich Bedeutsames auf uns zu kommt. Dabei waren die letzten Monate ja nicht gerade Ereignislos. Die Zaibacher, mein Bruder, du. Dann diese Sache mit dem Tor." Hitomi lachte und fragte neckend "Das ist deine Welt. Wenn du sie nicht verstehst, was soll ich denn dann erst sagen?" Van musste lachen, und schaute Hitomi dann ernst in die Augen, in denen ihre verborgene Kraft glitzerte. "Da hast du Recht. Aber ich mache mir Sorgen um die Zukunft." "Ich eigentlich nicht. Solange wir unser bestes geben, gibt es immer Hoffnung." "Hast du das in einer Vision gesehen?" "Nein, das brauche ich nicht. Flöte hat Recht. Wer immer dieses Universum erschaffen hat, hat Humor. Und niemand mit Humor kann etwas schaffen, in dem es nicht immer eine Hoffnung gibt." Van schaute sie unschlüssig an. "Hitomi, manchmal benimmst du dich wirklich eigenartig." "Und darüber regst du dich auf?" fragte sie gespielt hochmütig. "Es heißt doch, dass kein Mann eine Frau verstehen kann. Warum soll das ausgerechnet bei dir anders sein? Du verstehst ja nicht mal deine eigene Welt." "Hitomi, du bist unmöglich." "Ich weiß." Epilog Taro seufzte, legte den Federkiel weg, schüttelte seine Hand aus und stöhnte erleichtert. "Na, endlich fertig?" fragte Flöte spöttisch und spielte ein paar Töne. "Du hast gut reden, du musst ja keine Berichte schreiben." Das Mädchen grinste "Selbst Schuld. Hättest ja auch meinen Posten haben können!" "So verrückt bin ich nun auch wieder nicht! Ich halte mich lieber an die Gegenwart. Die Zukunft kommt schon von alleine, auch ohne Dutzende verschiedener Prophezeiungen." Vorsichtig prüfte er, ob die Tinte trocken war. Zufrieden schloss er das Buch, das erst zu einem Drittel gefüllt war, und stand auf. "Wie viele hast du eigentlich über das hier gehabt?" "Über Hitomi? Oh, das sind eine ganze Menge. Aber du wirst noch eine Weile warten müssen. Bis sich alles erfüllt hat- oder auch nicht- dauert es noch eine Weile. Es liegen noch viele Ereignisse vor diesem Mädchen." Wortlos nahm Taro das Buch, und öffnete den Geheimgang in seinem Zimmer. Er zündete die Kerze an, die an der Wand hing, und ging die steile Wendeltreppe hinunter, die zum größten Archiv führte, das diese Welt besaß. An der ersten Tür ging er achtlos vorbei. Das war Eliandras Reich, die Geschichte, die bereits geschehen war. Dort lagen alle abgeschlossenen Berichte über die Geschichte Gaias, zusammen mit den Prophezeiungen, die die Wächter mit der Gabe der Voraussehung jemals zu einem bereits geschehenen Ereignis gemacht hatten. Viele waren nicht eingetroffen, denn Prophezeiungen können immer nur eine mögliche Zukunft zeigen, und so änderten sie sich von Person zu Person und im Laufe der Zeit. Eine Etage tiefer lag sein Reich. Hier lagen all die Bücher, die noch nicht vollendet waren. Berichte von allen Tihani liefen bei ihm zusammen, wurden verglichen und schließlich zu einer detaillierten und in den allermeisten Fällen richtigen Geschichtsschreibung zusammengefügt. Wenn ein Buch gefüllt war, kam Flöte, und fügte die Prophezeiungen hinzu, die die jeweilige Sache betrafen und sich erfüllt hatten. Dann wanderten die Bücher zu Eliandra, die sie in ihren Raum trug, und eine Kopie für die Bibliothek im Ratsgebäude anfertigte. Dann wurde das Original eingeschlossen, um für alle Zeiten sicher zu sein, und Zeugnis abzulegen über die Ereignisse der vergangenen Jahrtausende. Taro legte seinen Band zurück an seinen Platz, und schloss die Tür. Kurz verweilte sein Blick auf einer anderen Tür, hinter der die Treppe weiterging, hinunter in Flötes Reich. Dort lagen alle Prophezeiungen über noch nicht Geschehenes oder über die Ereignisse der Gegenwart. Soweit er wusste, hatte außer Flöte noch niemand diesen Raum betreten. Das kleine, uralte Mädchen hatte dieses Archiv erschaffen, als die Wächter gestorben waren, und sie die einzige war, die sich noch an Atlantis erinnern konnte, das untergegangen war, als sie acht Jahre alt war. Taro hatte sich oft gefragt, ob das der Auslöser dafür war, dass sie nicht mehr alterte. Aber Flöte hatte diese Frage nie beantwortet, und wahrscheinlich wusste sie es selbst nicht. Auf jeden Fall kam sie in unregelmäßigen Abständen, um neue Schriften hinzu zu fügen, die von Visionen stammten, die sie selbst hatte, oder die von anderen stammten. Niemand außer ihr wusste, was in diesen Räumen lag. Taro hatte schon oft den Verdacht gehabt, dass dort mehr war, als bei ihm und Eliandra zusammen. Das machte ihm Mut, denn das bedeutete, dass die Geschichte noch lange weiterging, und Gaia noch lange existieren konnte, auch wenn die Macht, die diese Welt erschaffen hatte, schon längst Vergangenheit war. Er stieg die Treppe wieder hinauf, löschte die Kerze und überzeugte sich, dass der Geheimgang nicht zu sehen war. Dann fragte er Flöte "Und was machen wir jetzt?" Das kleine Mädchen zuckte mit den Schultern und meinte gönnerhaft "Abwarten. Abwarten und Milch trinken." Taro verzog das Gesicht. Im Gegensatz zu Flöte hasste er Milch wie die Pest. "Abwarten. Und auf was?" "Auf etwas, das bald geschehen müsste." "Ich wünschte, du würdest einmal in deinem Leben nicht in Rätseln sprechen, und etwas genaues sagen." "Das kann ich nicht, das weißt du doch. Die Zeit ist ein Fluss, und schon der kleinste Stein kann eine Lawine auslösen, die ihn in ein anderes Bett zwingt." Sie kniff die Augen zusammen und sagte dann verschwörerisch "Aber eine Aussage kann ich treffen, die mit Sicherheit zutrifft." "Und die wäre?" fragte Taro hoffend "Dass du keine sichere Auskunft von mir kriegen kannst." Wenn Götter hassen Prolog Und die Götter blickten voller Zorn auf die herab, die die heiligen Gesetzte nicht achteten. Der Herrscher verlor das Mandat des Himmels, und er und alle die ihm folgten, ob Soldat, Schmied oder Kurtisane wurden von einem gleißenden Licht erfasst und hinauf zu den Göttern getragen, um dort zehntausend mal zehntausend Jahre für ihre Sünden zu büßen. Konfuzius: Gespräche mit seinen Schülern; verloren gegangene Fragmente Hitomi lief durch die leeren Gänge des Crusador. Jetzt, da die Landung in Pallas kurz bevor stand, waren alle Mannschaftsmitglieder auf ihrem Posten. Dann verhielt sie mitten im Schritt. Die Tür zu Thanas Kabine war nicht richtig geschlossen, doch die Stimme die sie hörte, war nicht ihre. "Und Thana, hast du schon eine Idee was du machst?" fragte Van. "Nein, überhaupt keine. Aber du als König wirst doch sicher etwas für mich finden." Van lachte. Kurz kämpfte Hitomi mit sich, dann gewann ihre Neugier. Sie trat noch einen Schritt an die Tür. "Das könnte ich sicherlich, aber du bist mein Gast, Thana. Niemals würde ich dir etwas befehlen. Außerdem- du bist meine Cousine. Du gehörst also zur königlichen Familie. Ich kann dich doch nicht in die Küche stecken." "Van! Also wirklich! Was kann ich denn dafür, dass ich mit dir verwandt bin. Außerdem wissen wir das auch erst seit vorgestern. Ich habe schon oft gekocht, wenn auch nur für Flöte und mich. Bloß, weil ich auf einmal mit dir verwandt bin, habe ich mich nicht verändert." "Doch, das hast du. Wenn ich daran denke, wie du warst, als ich dich das erste Mal sah..." "Das ist nicht fair." Unterbrach sie ihn. "Nein, wahrscheinlich nicht. Aber es ist die Wahrheit." Er schwieg und auch Thana sagte nichts mehr dazu. Vor der Tür erinnerte Hitomi sich, wie sie Thana kennen gelernt hatte. Sie war wegen der Warnung eines Drachen nach Gaia zurück gekehrt. Als sie ankam, fand sie sich auf einer Insel voller merkwürdiger Leute wieder. Dort hatte sie auch Thana getroffen. Von Anfang an hatte sie ein seltsames Gefühl bei ihr gehabt. Nach außen wirkte sie fröhlich, fast spöttisch, doch dann kamen Augenblicke, in denen Thana deutlich eine andere Seite von sich zeigte, eine verborgene, schmerzvolle Seite. Wie groß war der Schock für Hitomi gewesen, als sie feststellen musste, dass der Drache Akoth, der sie gewarnt hatte, derjenige war, der das Verschulden am Tod von Thanas Eltern trug. Auch wenn die Geschehnisse damals traurig waren, und den Drachen keine wirkliche Schuld traf, war Thana voller Hass auf ihn, und dieser Hass übertrug sich auch auf alle, die mit dem Drachen zu tun hatten. Dass Flöte, das kleine, fast unsterbliche Mädchen, das Thana adoptiert hatte, auch noch in enger Verbindung zu diesem Drachen stand, hatte die Sache noch verkompliziert. Hitomi hatte nie verstanden, wie Thana überhaupt damit zurecht gekommen war, aber sie zu fragen, würde sie sich niemals trauen. Dann war der Moment gekommen, in dem eines der großen Geheimnisse gelüftet worden war. In einer gemeinsamen Vision von ihr, Van und Thana hatte sich gezeigt, dass Thanas und Vans Mütter Schwestern gewesen waren. Diese Erkenntnis hatte nicht nur Van und Thana durcheinander gebracht, sondern auch Hitomi. Van und Thana waren die letzten ihres Volkes, die letzten vom Volk des Drachengottes. Nicht zuletzt war da auch noch die Tatsache mit den Toren, die einst die Verbindung zwischen Gaia und Atlantis gewesen waren. Ihr Leben und das von Van waren untrennbar mit diesen Toren verbunden. Durch die Babydrachen, die sie gefunden hatten, erhielt das letzte, das wilde Tor, genug Energie um weiter zu existieren, und damit auch um ihr Leben zu retten. Und die neuen Partner dieser Drachen waren ausgerechnet Eria und Nariya, die beiden Kriegerinnen des Glücks, die früher einmal gegen Van gekämpft hatten. Verwirrung und unglaubliche Verwicklungen an jeder Ecke. Hitomi schreckte aus ihren Gedanken. Was hatte Thana gerade gesagt? "Warum nicht." Antwortete Van auf ihre Frage. "Es kann ja nicht mehr lange dauern. Lass uns gehen. Hitomi ist sicher schon längst auf der Brücke." Erschrocken rannte Hitomi los. Bevor sie die Brücke des Crusadors betrat, holte sie ein paar Mal tief Luft, um ihren Puls zu beruhigen. Dann setzte sie ein fröhliches Gesicht auf und betrat entschlossen die Brücke. "Ah, Hitomi. Wir sind bald da. Wenn du dich auf die Zehenspitzen stellst, kannst du vielleicht sogar schon die ersten Häuser sehen." Begrüßte sie Allen. Sie gab ihm das Lächeln zurück. "Danke, aber da warte ich lieber noch ein paar Sekunden. Wir können ja nicht alle so groß sein wie du." Trotzdem stellte sie sich neben ihn vor die großen Fenster, die dem Kommandanten des Luftschiffes einen fantastischen Rundblick erlaubten. "Du irrst dich, Allen. Ich kann auch so schon etwas sehen." In der Tat tauchten die ersten Kanäle der Hafenstadt hinter der Steilküste vor ihnen auf. Und in diesem Moment erreichten auch Van und Thana die Brücke. "Na also, dann sind ja fast alle da. Gerade rechtzeitig." Thanas Augen leuchteten auf, und schnell lief sie zum Fenster. "Wirklich? Van hat mir schon viel von Pallas erzählt. Ich habe noch nie eine Stadt mit Kanälen gesehen. Das Meer allerdings auch noch nicht." Ihre kindliche Freude entlockte Gades ein herzhaftes Lachen. "Dann hast du ja ganz schön was vor dir. Glaub mir, es gibt keine schönere Stadt als unser Pallas, die Perle des Meeres." Langsam breitete sich die Stadt vor ihnen aus. Das Meer glitzerte azurblau mit weißen Kronen, und in den Kanälen fuhren kleine Schiffe. Möwen kreisten überall, und einige von ihnen kamen jetzt sogar auf sie zu, als ob sie den Crusador in seiner Heimat begrüßen wollten. "Es muss schön sein, über die Stadt zu fliegen, sagte Thana so leise zu Van, dass Hitomi es kaum verstand. Ihr fiel ein, dass ja niemand außer ihnen beiden hier wusste, wer sie war. Van hatte lediglich erklärt, dass Thana ihn nach Fanelia begleiten würde. "Ja, sehr schön." Antwortete er "aber leider können wir das nicht. Die Leute haben immer noch Angst vor uns. Auch wenn einige von mir wissen, ich bin ein Held. Außerdem glauben sie, dass ich der letzte und damit keine Gefahr bin. Wenn nun noch jemand vom Drachengottvolk auftaucht..." Er seufzte, und Thana legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. "Alles in Ordnung Hitomi?" "Wie?" Sie zuckte zusammen, und sah Allen an, der sie nachdenklich musterte "Du hast ausgesehen, als ob du dir um etwas Sorgen machst." "Es ist nichts." Beeilte sie sich zu sagen. "ich habe mich nur an einige Dinge erinnert." Allen nickte verständnisvoll "Du hast nicht gerade die schönsten Erinnerungen an Pallas." Seltsamer Weise schaute er dabei nicht nach unten, zur Stadt hin, sondern über ihre Schulter hinweg, zu Van und Thana. In diesem Moment fragte Gades verwundert "Was ist denn das für ein seltsames Schiff?" "Welches meinst du?" "Das dort unten, Kommandant. Das mit dem eigenartigen Rumpf." Alle Augen fuhren seinen ausgestreckten Arm entlang. Allens Augen weiteten sich "Aber das ist doch unmöglich!" "Wisst ihr, was das für ein Schiff ist, Kommandant?" fragte Gades überrascht über die Reaktion. "Ich habe mal eine Abbildung davon gesehen, aber das war nur ein religiöser Mythos. Soweit ich weiß, hat noch niemand der heute lebt ein solches Schiff gesehen." "Es sieht aus wie eine Dschunke." Hörte Hitomi sich selbst sagen. "Eine was?" Allen war noch verblüffter als zuvor. "Eine Dschunke. Ein altes, chinesisches Schiff. Allerdings ist das hier größer als alle, die ich jemals gesehen habe." Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie, als sie das Schiff betrachtete. Vielleicht war es nur die Vertrautheit, zusammen mit der riesigen Größe. "Du kennst solche Schiffe?" fragte Van. "Vom Mond der Illusionen?" Hitomi nickte, und Van schaute überlegend hinab. "Und das Bild, das du gesehen hast war sehr alt, Allen?" "Uralt." Bekräftigte er "Mindestens tausend Jahre, vielleicht das doppelte oder dreifache." Van nickte, und in seinen Augen flackerte Misstrauen auf. "Hol mal lieber Dryden und Millerna her. Ich finde das sehr merkwürdig. Eventuell wissen die beiden mehr." "Wir sind schon da. Was ist los?" Millerna kam, gefolgt von Dryden auf die Brücke, und ihre Verwirrung über die Aufregung war ihr deutlich anzusehen. Van sah auf, die Frage in seinem Blick. "Habt ihr ein solches Schiff schon mal gesehen?" "Was für ein Schiff?" Die zwei traten näher. Auf Millernas Gesicht zeigte sich Überraschung, dann schüttelte sie den Kopf. "Nein, noch nie. An so etwas seltsames hätte ich mich erinnert." Dryden wollte auch erst den Kopf schütteln, runzelte aber die Stirn. "Ich bin mir sicher, ein solches Schiff noch nie gesehen zu haben, aber ich glaube, ich habe schon mal etwas darüber gelesen. Es muss ein sehr alter Text gewesen sein. Wenn ich mich doch nur erinnern könnte..." "Sicher kann uns jemand im Palast etwas darüber sagen." Hoffte Millerna, und Dryden fügte hinzu "Und wenn nicht, können wir ja einfach die Besatzung fragen." Hitomi stöhnte innerlich auf. >Was für ein Optimismus. Seine Ruhe möchte haben.< Kapitel 1 - Die Entführung Tot. Langsam stand er auf. Sein Vater war tot. Es gab keinerlei äußere Anzeichen, und er wusste, ein Gift würde man nicht nachweisen können. Trotzdem war ihm ganz genau klar, wer ihn getötet hatte. Und der Zeitpunkt wahr mehr als ungünstig. >Hoffentlich kommt sie rechtzeitig zurück. Und hoffentlich hatte der alte Mann mit der Prophezeiung recht. Denn wenn sie uns nicht helfen kann...< Hitomi stand auf der Balustrade des Palastes. Die Sonne stand schon ziemlich dicht über dem Horizont. In einer Stunde würde es dunkel sein. Die Leute von dem seltsamen Schiff sahen tatsächlich wie Chinesen aus. Sie dachte belustigt an die Gesichter, die ihre Freunde gezogen hatten, als sie die Chinesen sahen. Sie hatten sich über das ungewohnte Aussehen der Seemänner gewundert. Wenn sie da an Merle dachte... Plötzlich horchte sie auf. Dem Geräuschpegel nach zu urteilen, waren die Verhandlungen um die Handelsverträge beendet- zumindest für heute. "Du willst in die Stadt? Soll ich mitkommen?" hörte sie Vans Fragen. "Nein!" Thana. Sie hatte unbedingt an den Verhandlungen teilnehmen wollen .Sie hatte von Millerna ein Kleid bekommen, dass ihrem hochgewachsenen, schlanken Körper sehr gut zur Geltung brachte und ausnahmsweise mal nicht in schwarz gehalten war. "Das ist etwas, das ich allein machen muss." "Darf man auch fragen, was dieses etwas ist?" Seine Stimme klang belustigt, und ihre nicht weniger. "Fragen kannst du soviel du willst. Antworten sind etwas anderes. Aber im Ernst. Ich will Flöte nur sagen, was heute passiert ist. Das interessiert sie bestimmt. Vor der Abreise hat sie mir noch gesagt, wo in Pallas einer der Tihani ist. Aber das ist natürlich geheim. Also bleib schön hier!" Van lachte "Na gut, wie du meinst. Wenn du dich verläufst ist das ja kein Problem. Der Palast ist von überall gut zu sehen. Und pass auf, es wird bald dunkel." Da Thana etwas größer als er war, küsste sie ihn auf die Stirn, und rannte dann lachend davon. "Danke, dass du so besorgt um mich bist!" Hitomi stand stocksteif da. Sie hatte ihn geküsst. Wieder. Zwar nur auf die Stirn, aber... Und dabei kannten sie sich erst ein paar Tage! Sie starrte hinunter auf die Stadt. Dann stand plötzlich jemand hinter ihr. "Hitomi, hier bist du!" >Van! Was mache ich jetzt?< Sie drehte sich nicht um. "Ich wollte gerade in die Stadt." Sagte sie ziemlich barsch. "Ein bisschen spazieren gehen. Bis nachher!" sagte sie uns lief, ohne ihn anzusehen an ihm vorbei. Van schaute ihr verwundert hinterher. >Was hat sie denn? Ist sie wütend auf mich? Aber warum?< "Probleme mit Hitomi?" Allens Stimme klang neutral, aber es schwang etwas wie Besorgnis in ihr. "Ich weiß nicht, wovon du redest." Allen stütze seine Hände auf das Geländer, und sagte ohne ihn anzublicken. "Ich dachte, das hätten wir hinter uns, Van. Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich nicht mehr zwischen euch drängen werde. Ganz egal was ich für sie- oder sie für mich- empfindet, du bist derjenige, den sie liebt. Mehr als alles andere." Van wand sich. Er hatte noch nie über seine Gefühle reden können, seit Folken und seine Mutter damals verschwunden waren. Nicht einmal mit Merle. Und nun legte Allen sie hier Stück für Stück vor ihn hin. Als ob er Gedanken lesen könnte. Als ob er das tatsächlich könnte, fuhr er fort. "Man muss keine Gedanken lesen können, um das heraus zu finden. Man muss euch beide nur ansehen. Ihr kreist umeinander wie, wie... ich finde nicht mal etwas zum Vergleichen. Wie Magnete, die sich gegenseitig anziehen, aber immer, wenn sie sich zu nahe kommen, die Polarität wechseln und sich abstoßen." Ärger stieg in Van auf, und er ballte die Faust. "Du klingst schon fast wie Dryden. Na denn, großer Wissenschaftler, sag mir, was mit ihr los ist!" Van sah, wie Allen getroffen zusammen zuckte, aber das war ihm im Moment völlig egal. "Wenn du unbedingt willst. Nun, ich würde sagen, sie ist eifersüchtig." "Eifersüchtig?" Van machte so ein perplexes Gesicht, dass Allen unwillkürlich lachen musste. "Natürlich, was denn sonst. Du kümmerst dich ja nur noch um diese Thana." "Thana? Aber sie ist meine Cousine." Jetzt war Allen genauso verwirrt wie Van. "Deine Cousine?" Van wurde es siedend heiß und schnell trat an Allen heran. "Ja, aber sag es nicht weiter." Sagte er leise. "Das ist ein Geheimnis. Eigentlich sollte es niemand wissen." "Ich werde es keinem sagen, versprochen. Weiß Hitomi es?" "Natürlich, sie war dabei." Allen kam ein Gedanke. "Wenn sie deine Cousine ist- ist sie dann auch vom Drachengottvolk? Ich meine, kann sie fliegen und so?" Van nickte "Ja, und sie hat Hitomi und mich fast zu Tode erschreckt, als in die Schlucht gesprungen ist." Allen wusste zwar nicht, wovon er gerade redete, aber das war im Moment auch egal. "Dann ist es doch kein Wunder, dass sie eifersüchtig ist. Du und Thana sind die letzten eures Volkes. Gäbe es eine bessere Verbindung, um es wieder zu beleben?" "Aber das ist doch Unsinn. Sie ist immerhin meine Cousine, schon vergessen?" "Das war bei königlichen Familien noch nie ein Hinderungsgrund, und das weiß Hitomi bestimmt auch. Es geht ja nur um die Dynastie, um die Macht, und um Bündnisse, die die Heiraten schaffen. Selbst Millerna und Dryden sind irgendwie um ein paar Ecken verwandt, und trotzdem wurden sie verlobt, noch bevor Millerna sprechen konnte." "Es ist doch trotzdem unlogisch." Allen lachte ein hässliches, schmerzhaftes Lachen. "Seit wann ist Liebe logisch?" >Sonst würde ich mich nicht immer in Frauen verlieben, die ich nicht haben kann. Marlene. Millerna. Hitomi. Hitomi, ich will, dass du glücklich wirst.< "Und wie ich schon sagte, fühlt sie sich vernachlässigt. Sie hat dich Wochenlang nicht gesehen, und du kümmerst dich nicht um sie." >Wochenlang. Mir kommt es vor wie eine Ewigkeit.< "Und was soll ich deiner Meinung nach tun, Allen?" fragte Van, immer noch nicht überzeugt und riss ihn aus seinen trüben Gedanken. "Das soll ausgerechnet ich dir sagen?" antwortete Allen "Da bin ich wirklich der falsche. Geh zu ihr, und hör auf das, was dein Herz dir sagt. Zeig ihr, was sie dir bedeutet, das ist alles, was ich dir raten kann." Er drehte sich um, und ging raschen Schrittes davon, um Van Zeit zu geben, über das Gesagte nachzudenken. Sie sah zu, wie die Kinder in gespieltem Schrecken davonrannten, die "Zaibacher" hinter ihnen her. Der Krieg war erst wenige Wochen vorbei, doch sie begannen schon seine Schrecklichkeit zu vergessen. Hitomi wünschte sich, dass sie das auch könnte. Aber im Gegensatz zu ihr, hatten die Kinder nie im Mittelpunkt gestanden. Seit sie auf Gaia war, schien sich alles immer nur um sie zu drehen. >Warum ich?< fragte sie sich wohl zum hundertsten Male >Warum ausgerechnet ich? Was habe ich getan, dass ich immer solche schrecklichen Dinge erleben muss? Auserwählt! Dass ich nicht lache! Ich war von Anfang an nichts anderes als jemand, der herumgestoßen und benutzt wurde. Immer auf der Flucht. Und ich hatte wirklich gedacht, ich bedeute Van etwas. Ich habe zu Hause gesessen, und nur an ihn gedacht. Und dann bin ich wieder hier, und was passiert? Er und seine Cousine! Pah! Schon war es aus mit mir. Dabei habe ich sie gern. Ach verdammt! Warum muss immer alles schief laufen.< Sie blieb stehen und schaute sich um. Ohne es zu merken, hatten ihre Schritte sie zum Hafen gelenkt, und nun stand sie vor dem fremden Schiff. >Auch sie sind weit von zu Hause weg. Sie haben es geschafft, durch die angeblich unüberwindlichen Winde und Strömungen zu kommen, die verhindern, dass ein Schiff von hier nach Westen kommt, oder umgekehrt. Sie haben erreicht, was sie wollten, und ich? Ich habe Gaia gerettet? Zum Teufel mit diesem verdammten Planeten! Er hat mir nur Unglück gebracht! Nichts als Tod und Schmerzen!" Sie hatte sich auf eine Kiste gesetzt, und nun trübte sich ihre Sicht. Sie versuchte, die Tränen zu unterdrücken, aber das machte es nur noch schlimmer. Dann merkte sie, wie ein Schatten auf sie fiel. Erschrocken stand sie auf, und blinzelte zu dem kleinen Mann, der vor ihr stand. "Aber, aber, wer wird denn an einem so schönen Tag weinen." Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, und erkannte, dass er einer Schiffsleute war. Sie hatte ihn heute im Palast gesehen, wenn sie sich nicht irrte. Seine nächsten Worte bestätigten das. "Ich habe dich heute schon einmal gesehen, vor den Verhandlungen. Du bist Hitomi, oder?" Sie nickte, und überlegte, was er von ihr wollte. "Vielleicht kann ich dich ja aufmuntern. Warum kommst du nicht auf mein Schiff, und wir unterhalten uns ein bisschen." "Ich habe mit den Verhandlungen nichts zu tun. Wendet euch an jemand anderen. Prinzessin Millerna... oder König Van." Sagte sie bitter. Doch der Mann winkte ab. "Darum geht es nicht. Aber können wir das nicht unter bequemeren Umständen klären?" Irgendwie wirkte sein Lächeln falsch. "Nein, danke. Es ist spät, ich gehe lieber wieder zurück. Ihr könnt morgen im Palast nach mir fragen, wenn ihr wollt." >Wenn ich da noch da bin. Schließlich hält mich hier ja nichts mehr. Aber kann ich ohne meinen Anhänger überhaupt zur Erde zurück? Die Schmerzen der Herreise möchte ich auf keinen Fall wieder haben. Aber Van hat ihn. Ich habe ihm den Anhänger geschenkt, weil er das wichtigste war, dass ich besaß. Wie dumm ich doch war!< "Bitte, es ist wichtig, dass du mitkommst." Jetzt war Hitomi überzeugt, dass da etwas nicht stimmen konnte. "Ich sagte nein. Auf Wiedersehen." Sie drehte sich um, und sah sich zwei stämmigen Männern gegenüber, die sie aufdringlich musterten. "Lasst mich vorbei!" sagte sie, und Panik schlich sich in ihre Stimme. Es konnte doch nicht schon wieder losgehen! "Es tut mir leid, aber das geht nicht. Du wirst mich jetzt auf mein Schiff begleiten." Hitomi versuchte mit einem Aufschrei an den Männern vorbei zu kommen, doch sie hielten sie unerbittlich fest. >Das kann nicht sein! Warum immer ich!> Sie versuchte um Hilfe zu schreien, aber die Männer hielten ihr ein Stück Tuch vor Mund und Nase, dass sie am Rufen hinderte, und außerdem steig ein beißender Geruch davon auf. >Sie wollen mich betäuben!< erkannte sie voller Schrecken >Verdammt Van, immer fuchtelst du mit deinem Schwert herum! Und wenn ich dich wirklich mal brauche, bist du nicht da! Hilf mir!> dann schwanden ihr die Sinne. Er blieb stehen. >Das war doch Hitomi! Oder nicht?> Er schaute sich um, um die Quelle des Rufes zu finden. Niemand um ihn herum schien die Angst bemerkt zu haben, die in ihrem Ruf steckte. Oder hatte er es sich nur eingebildet? Dann fiel sein Blick auf das Schiff der Fremden, und er wunderte sich. >Sie setzten die Segel? Aber sie wollten doch noch gar nicht weg. Und die Verhandlungen sind auch noch nicht...< Seine Gedanken stockten, als er die Gestalt sah, die gerade von zwei Männern unter Deck getragen wurde. Obwohl die Entfernung eigentlich viel zu groß war, um Einzelheiten zu erkennen, wusste er sofort, wer das war. SIE würde er immer erkennen, nicht nur, weil sie die einzige war, die solche Sachen trug. Er konnte spüren, dass der Ruf nach Hilfe von dieser Gestalt kam. Deshalb hatte ihn auch sonst niemand gehört. Aber er hatte immer gewusst, wenn sie in Gefahr war. Mit einem lauten Schrei riss er sein Schwert aus der Scheide, und flog dem Schiff hinterher, dass sich gerade von der Hafenmole löste. Die Arbeiter, die die Schiffe be- und entladeten, sahen ihn erschocken an, als er dicht über ihren Köpfen entlang rauschte. "Der König von Fanelia!" hörte er noch ihre Rufe, aber das war ihm im Augenblick herzlich egal. Thana kam schmunzelnd aus dem kleinen Laden. Dieser Schuster war wirklich eine Wucht. Sein trockener Humor hatte sie mehr als einmal zum Lachen gebracht, während er ihre Nachricht aufschrieb, und dann mit einer Taube losschickte. Flöte würde die Nachricht bald erreichen, die Taube würden noch vor Sonnenuntergang des nächsten Tages ankommen, hatte ihr Besitzer stolz erklärt. Thana fragte sich, was sie wohl von den fremden Seefahrern halten würde. Noch in Gedanken, blieb sie auf einmal stehen. Eine ganze Menge Menschen hatte sich auf einer der größeren Brücken versammelt, die überall in der Stadt die Kanäle überspannten. Die Menschen zeigten zum Hafen, und riefen sich gegenseitig bestätigten immer wieder zu, dass sie das selbe gesehen hatten. Thana war schon immer sensibel für Stimmungen gewesen, und diese hier gefiel ihr ganz und gar nicht. Es war eine höchst unangenehme Mischung aus Überraschung, Angst und Schaulust, wie sie bei Unfällen üblich war. "Was ist hier los?" fragte sie laut eine mollige Frau, die etwas abseits stand. Sie hatte Mühe, das Geschnatter der anderen Leute zu übertönen. "Das Schiff, der König, ein Kampf..." Ärgerlich starrte sie auf das Schiff, auf das die Frau zeigte. Zu ihrer Überraschung war es das Schiff der Fremden. Sie kniff die Augen zusammen. Auf einmal hatte sie ein ganz ungutes Gefühl. Etwas lief entschieden in die falsche Richtung. Heftig rüttelte sie die Frau. "Was ist los?" fragte sie noch einmal. Die Frau schaute sie ängstlich an, und diesmal war ihr Bericht etwas deutlicher. "Der König von Fanelia" "Van?" "Ja, er ist... er hat dieses Schiff angegriffen. Ein paar, ein paar Leute wollen gesehen haben, wie ein Mädchen entführt wurde, und..." Thana ließ die Frau so plötzlich los, dass sie mit einem Aufschrei auf dem Boden landete. >Hitomi. Das muss Hitomi gewesen sein. Niemand sonst könnte ihn dazu bringen, so etwas dummes zu tun.< Ihr entfuhr ein Fluch, den sie einmal von Keel gehört hatte, und die Frau schaute sie entsetzt an. Doch das Fluchen hatte geholfen, ihre Gedanken zu klären. Sie stieg auf das Brückengeländer und breitete die Arme aus. "Kind, was machst du?" rief die Frau ihr zu. >Wenn du etwas tun musst, dann tue es, ganz egal, was die Konsequenzen sind.< Sie schluckte noch einmal, dann holte sie tief Luft. >Was sein muss, muss sein.< Mit einem lauten Ratsch! zerriss ihr Kleid, und ihre weißen Flügel wurden von der untergehenden Sonne in blutiges Licht getaucht. Mit entsetzten Schreien wichen die Leute vor ihr zurück. "Das Drachengottvolk! Sie sind wieder da! Es gibt wieder Krieg!" und ähnliches schrieen die Abergläubischen unter ihnen. Mit einem entschlossenem Sprung erhob sie sich in die Luft, und flog schnurstracks zum Palast. "Mit dem Luftschiff können wir sie einholen. Wenn es doch nicht schon so spät wäre! Bis der Crusador in der Luft ist, wird es fast dunkel sein, und wenn wir sie dann nicht schnell finden, entkommen sie uns!" Das Meer war groß, und ein einzelnes Schiff auf einem Ozean zu finden, war praktisch unmöglich, wenn man seine Route nicht kannte. >Und die haben sie uns ja verschwiegen.< "Und Dryden, was werdet ihr jetzt machen?" Millerna wandte ihm den Rücken zu, und sprach scheinbar in die leere Luft. Er zögerte, doch dann antwortete er ihr "Wahrscheinlich werde ich mich mit der neuen Flotte auf machen, um andere Handelsgebiete zu erschließen. Wenn diese Leute aus dem Westen neue Waren bringen, und Asturia der einzige Umschlagplatz bleibt, verspricht das enormen Gewinn." Millerna seufzte. Er machte es ihr nicht gerade leicht. "Denkt ihr wieder mal nur ans Geld." Sagte sie traurig. Mit ehrlicher Miene widersprach Dryden ihr. "Nein, aber ich bin nun einmal Händler." "Nicht nur. Habt ihr vergessen, dass ihr der König von Asturia seid?" "Nicht wirklich. Ich verstehe sowieso nicht, warum Eries nicht regiert. Ohne euch beleidigen zu wollen, aber sie ist besser dafür geeignet. Und König bin ich bloß, weil ich mit euch verheiratet bin. Wie ihr euch sicher erinnert, ist die Zeremonie nicht korrekt beendet worden. Außerdem habe ich euch den Ring zurück gegeben. Ich sagte euch, dass ich euch nicht verdient habe." "Und habe ich es verdient, allein gelassen zu werden? Wie soll ich Asturia regieren?" Behutsam und tröstend legte er die Hände auf ihre Schultern, und sie spürte deutlich seine Gegenwart hinter ihrem Rücken. "Ihr schafft das schon. Ich habe vollstes Vertrauen zu euch." Auf einmal wütend, drehte sie sich um. "So ist das. Ihr vertraut mir. Und lasst mich allein." "Aber Millerna..." "Still!" Sie ging zum Fenster, schaute hinauf in den Himmel und genauso schnell, wie sie gekommen war, verflog ihre Wut. Mit den Fingerspitzen fuhr sie über Drydens Spiegelbild im Fenster. "Ach Dryden. Ich will ehrlich sein. Als wir uns wiedersahen, war ich nicht glücklich darüber. Ihr seid ein Spötter, eingebildet, dickköpfig und lasst nur eure eigene Meinung gelten." "Nicht sehr schmeichelhaft, aber wahrscheinlich wahr." Millerna sah ihr Spiegelbild im Fenster lächeln. "Aber ihr seid auch ehrlich. Und nicht nur ein- sondern auch gebildet. Und wenn ihr wollt, könnt ihr sogar erstaunlich einfühlsam sein." "Worauf wollt ihr hinaus?" Millerna holte den Ring heraus, den Dryden ihr gegeben hatte und drehte sich zu ihm um. "Ihr sagtet, dass ihr den Ring erst tragen wollt, wenn ich ihn euch gebe. Nun, hier ist er." Dryden starrte auf das kleine Stück Silber, dass in ihrer zarten Hand lag. "Ich habe euch nicht gemocht Dryden. Manchmal habe ich sogar gehasst. Aber das ist vorbei. Ich weiß nicht, ob ich euch lieben kann, aber eines weiß ich. Das Volk braucht einen König. Ich brauche ihn. Und ich kenne keinen, der besser geeignet ist." Dryden legte seine Hände auf ihre, und hielt sie fest. Fest sah er in ihre Augen, als ob er ihre Gedanken auf ihrem Gesicht lesen wollte. "Und wenn ich nicht zustimme, werdet ihr mit jemand anderem verheiratet. Jemand der vielleicht schlimmer ist als ich." Flammende Röte ergoss sich über Millernas Gesicht. Mühsam versuchte sie das ganze in einen Scherz zu verwandeln, aber sein Blick blieb ernst. "Ich hätte es nicht so ausgedrückt." Gab sie schließlich halb zu. "Aber ich kann nicht sagen, dass ihr völlig falsch liegt. Euch kenne ich, jeden anderen nicht." Sein plötzliches Lachen ließ sie zusammen zucken. "Aber wenigstens seid ihr ehrlich. Hört zu." Schlagartig war er wieder ernst. "Als wir uns wiedersahen, fand ich, dass das kleine Kind, das ich kannte, zu einem großen Mädchen geworden war. Einem wunderschönen Mädchen, wie ich betonen möchte. Aber euer Geist war immer noch, wie soll ich sagen, halt der eines Mädchens. Ich hätte keine Skrupel gehabt, bei diesem Mädchen auf die Vereinbarung zwischen unseren Vätern zu bestehen. Aber dieses Mädchen hat sich verändert. Aus dem hochnäsigen Fräulein wurde eine verantwortungsbewusste junge Frau. Und diese Frau hätte ich nie zu etwas gezwungen, hätte es auch gar nicht gekonnt. Wenn ihr mich aus freien Stücken und ohne Unbehagen zum Mann nehmen wollt, dann kann ich auch euer König sein." "Und wie wollt ihr..." fragte Millerna, verstummte aber, denn Dryden hatte sich zu ihr herabgebeugt. Langsam erholte sie sich von ihrem Schock, und erwiderte seinen Kuss. Es war ganz anders, als sie gedacht hatte. Kein Verlangen wie bei Allen. Aber es war auch nicht schlechter, einfach anders. Statt Verlangen spürte sie Vertrauen, Kraft >Dryden?< und Sicherheit, und das verwunderte sie doch. "Nun, was meinst du?" fragte er, als er sich von ihr löste. "Zumindest kein Unbehagen." "Und das überrascht dich?" "Ein bisschen schon. Du hast mich ja regelrecht überfallen." Sie lächelte ihn an, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen, aber er achtete gar nicht auf sie. Er schaute aus dem Fenster, und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Millerna fuhr herum, doch noch bevor sie sich ganz herum gedreht hatte, zersplitterten die Scheiben mit einem Ohren betäubenden Getöse, und etwas schweres prallte gegen sie und stieß sie und Dryden um. Thana hatte den Palast schon fast erreicht, als ihr der verhängnisvolle Fehler auffiel. Die Soldaten, die Wache standen, konnten sie nicht richtig sehen. Sie kam vom Hafen, und hatte die Sonne im Rücken. Sie sahen deutlich, wie sich etwas gegen den Himmel abzeichnete, konnten aber nicht erkennen, was es war. Und selbst wenn sie es konnten- die wenigsten hatten gesehen, mit wem sie hergekommen war. Sie mussten sie für eine Fremde halten. Ein fremdes, geflügeltes Wesen, das in halsbrecherischer Geschwindigkeit direkt auf den Palast zuflog. Tatsächlich konnte sie die Alarmrufe hören. Sie musste schnell jemanden finden, den sie kannte, sonst würde jeder Rettungsversuch zu spät kommen, von der Gefahr für sie einmal ganz abgesehen. >Da! Millerna und Dryden!< erleichtert änderte sie den Kurs auf die zwei zu. In diesem Moment zischte ein Speer an ihr vorbei. Er hatte sie nicht wirklich getroffen, doch er war so dicht an ihrem Flügeln vorbei gerauscht, dass sie die Kontrolle verlor. Der Speer war nicht einmal ein besonders großer, aber er war von einer Balliste abgefeuert wurden, was ihm eine so große Geschwindigkeit verlieh, dass die entstehenden Luftwirbel allein ausreichten, sie vom Himmel zu holen. Zu ihrem Entsetzten musste sie feststellen, dass sie sich noch in einem anderen Punkt geirrt hatte. Bei dem Fenster, hinter dem Dryden und Millerna standen, waren nur die äußeren Flügel geöffnet. Die inneren waren noch geschlossen. In ihrer Hektik hatte sie das übersehen, und nun raste sie ohne Möglichkeit, den Kurs noch zu ändern, auf die beiden zu. Mit einem lauten Schrei krachte Thana in das Fenster, und schlug mit den Glassplittern zusammen gegen sie. Brutal schafften sie ihn unter Deck und ketteten ihn fest. Wütend zerrte er an den Ketten, doch sie rührten sich keinen Millimeter. Schließlich schlugen sie ihm auf den Kopf, um ihn ruhig zu stellen. Glitzernde Sterne funkelten vor seinen Augen, als er das Bewusstsein verlor. "Thana, aber was... Millerna, bist du in Ordnung?" Unter einigen Mühen entwirrten sie ihre Glieder. "Ja, mir geht es gut. Aber was ist passiert?" Mit einem kurzen Blick vergewisserte sie sich, dass Dryden nichts schlimmes abbekommen hatte, und schaute dann auf die andere Gestalt. >Thana? Mit Flügeln? Oh, Ohhhhhh!< "Wir müssen ihr helfen. Sie hat die ganzen Glassplitter abbekommen. "Sie ist hier herein geflogen! Durch das Fenster! Wieso hat sie das gemacht?" "Hast du nicht gehört? Hilf mir, sie umzudrehen, aber vorsichtig." "Ich habe dich schon gehört, aber hast du eine Idee, was sie bewogen haben könnte, hier so herein zu platzen? Schließlich wusste keiner von uns, dass sie vom Drachengottvolk ist. Und bestimmt nicht, weil sie vergessen hat, es uns zu sagen." Millerna runzelte die Stirn, fuhr aber mit ihrer Untersuchung fort. "Ich glaube, ich verstehe, was du meinst. Aber im Moment ist sie bewusstlos, und Spekulationen helfen uns auch nicht." In diesem Moment stürmten die Wachen ins Zimmer, und blieben verständnislos stehen. Als sie Millerna besorgt über dem "Angreifer" gebeugt sahen. "Holt endlich mal einer meine Arzttasche!" fuhr Millerna die Wachen an, und einer der Männer beeilte sich, ihrem Befehl nachzukommen. "Was ist mit dem Angreifer. Der Angreiferin." Verbesserte sich der Anführer der Gruppe. "Dummköpfe!" schimpfte Dryden "Das ist eine Freundin von König Van! Bloß weil sie Flügel hat, ist sie noch lange kein Feind, oder soll euch König Van das mal genauer erklären." Der Wachmann schluckte, und sah im Geist nicht nur, wie sich alle seine Beförderungen in Luft auflösten. "Nein, tut mir leid." "Ruhe!" sagte Millerna, und beugte sich über Thana, die bei Vans Namen aufgewacht war. "Van... er ist hinter Hitomi her, sie... sie wurde entführt." "Entführt? Von wem? Rede Thana!" Dryden schaute erschrocken auf Millerna, die Thana auf einmal fest umklammerte "Millerna, du tust ihr ja weh!" Erschrocken lockerte Millerna ihren Griff, fragte aber noch einmal "Von wem, Thana" "Von den Leuten vom Schiff..." Sie verlor erneut das Bewusstsein "Welches Schiff meint sie?" "Das der Fremden" antwortete Dryden, der hinaus getreten war. "Es ist nicht mehr im Hafen." Mit einem erschrockenen Aufschrei reagierte Van auf das eiskalte Wasser, das ihm ins Gesicht platschte und ihn brutal in die Realität zurück holte. Wütend schüttelte er sich das Wasser aus Haar und Augen, und musste dabei feststellen, dass er immer noch gefesselt war. "Der Kapitän erzählte mir, dass ihr der König eines dieser Länder hier seid?" Die Frage wurde von einer weiblichen Stimme gestellt, und Van blinzelte, um etwas zu erkennen. Sie saß auf der Treppe zum Deck, und die untergehende Sonne verpasste ihr eine leuchtend rote Aura. "Und wenn ja?" Sie kicherte. "Dann würde dich das noch wertvoller machen, Van. Wir hatten schon gedacht, dass alle Geflügelten vor zwei, drei Jahrhunderten ausgelöscht wurden. Der Kaiser wird hoch erfreut sein, wenn ich dich zu ihm bringe." "Sklavenjäger!" fluchte Van, doch die Heftigkeit ihres Wiederspruchs erstaunte ihn. "Was fällt dir ein! Ich bin eine Prinzessin des Reichs der tausend Sonnen! Wie kannst du es wagen, mich mit diesem Abschaum zu vergleichen!" Das Mädchen sprang auf und lief wutschnaubend davon. >Na, toll.< dachte Van sich. >Das wird mir jetzt sehr helfen. Wenn ich bloß wüsste, was mit Hitomi ist.< "Entführt?" In Allens Stimme schwang ein Hauch von Panik. "Ja, der Crusador muss sofort starten, bevor die Sonne untergeht, und wir nichts mehr sehen können. Wenn wir erst morgen mit der Suche beginnen, könnten sie schon sonst wo sein." Allen schluckte, und Millerna, die gerade ihren Arztkoffer auspackte wurde mulmig, als sie sein Gesicht sah. "Allen?" Der Ton in ihrer Stimme war eindeutig. "Ich fürchte, der Crusador wird nicht starten können." "Wie bitte?" Selten hatte Allen die Prinzessin so blass gesehen. "Einer der Motoren lief etwas unzuverlässig. Im Moment müsste er in seine Einzelteile zerlegt sein. Bis er wieder zusammen gebaut ist- selbst ohne Reparatur- vergehen Stunden, und einbauen müssen wir ihn auch noch. Selbst wenn wir die Nacht durcharbeiten- was nicht zu empfehlen ist, ohne Tageslicht kann man zu leicht etwas übersehen- kommen wir nicht vor morgen Nachmittag in die Luft." "Könnt ihr nicht ohne diesen Motor starten?" fragte Dryden. "Natürlich, wenn wir nutzlos Kreise über Pallas drehen sollen." Er hatte die Worte nicht mal richtig ausgesprochen, da taten sie ihm schon leid. Er konnte Dryden nicht leiden, aber eine solche Antwort hatte er nicht verdient. Er machte sich schließlich auch nur Sorgen. "Entschuldigt, Dryden, aber ich..." Dryden winkte ab. "Vergesst es. Ich verstehe euch. Aber gibt es keine andere Möglichkeit? Ein anderes Luftschiff?" "Ich fürchte nein. Es sind nur zwei weitere hier, beides Händler. Die Besatzung ist garantiert irgendwo in der Stadt verteilt, und meine Leute können ohne Übung kein anderes Luftschiff fliegen. Jedes einzelne unterscheidet sich von den anderen." Dryden nickte "Und dazu kommt, dass Handelsschiffe nicht stark genug sind, um gegen die Winde auf dem Meer zu bestehen. Vielleicht nicht einmal der Crusador, obwohl er von allen Luftschiffen, die ich kenne, dafür am besten geeignet wäre." Millerna fragte verwirrt "Aber die Fremden haben es doch auch geschafft!" "Ja, mit einem Wasserschiff. Ein paar Meter über der Wasserfläche ist der Wind manchmal schon doppelt so stark." "Verstehe. Dann können wir nichts tun?" Allen verneinte "Im Moment nicht. Und wie geht es ihr?" fragte er mit einem Blick auf Thana, die in ein Bett gebracht worden war. "Das werden wir sehen, wenn wir die Glassplitter entfernt haben." Sie winkte dem wartenden Arzt herein. "Und jetzt verlasst bitte den Raum, und sorgt dafür, dass uns niemand stört." Schweigend verließen die zwei ungleichen Männer das Zimmer. Es war schon dunkel, als Van die Schritte hörte. Seltsamer Weise wusste er sofort, wer es war. "Prinzessin." Sprach er in das dunkel, bevor er den Kopf hob. Sie sah in mit einem merkwürdigen, neugierigen Blick an. "Woher wusstet ihr, dass ich es bin?" Er zuckte mit den Schultern, bereute es aber, da die Fesseln dabei schmerzhaft an seiner Hand rieben. "Vielleicht an euren herrschaftlichen Schritten." Weder zuckte Wut über ihr Gesicht. Er schien sie ja erfolgreich beleidigen zu können. >Verdammt, warum tue ich das?< "Ihr solltet eure Zunge lieber im Zaum halten. Ihr lebt bloß, weil ihr eventuell wertvoll für mich seid. Wir haben euch schließlich nicht eingeladen." "Aber Hitomi, oder? Wo ist sie? Wenn ihr etwas passiert ist..." "Keine Sorge. Dem Mädchen geht es gut. Sie schläft. Und das wird noch eine ganze Weile andauern." "Betäubt?" Sie nickte und stellte ein Tablett mit Essen vor ihn hin. "Ihr solltet etwas essen. In den nächsten Tagen habt ihr wahrscheinlich weder Gelegenheit noch Appetit dazu." "Ihr vergesst wohl, dass ich gefesselt bin. Und was meint ihr damit, dass ich keine Gelegenheit haben werde." Ein düsteres Grinsen auf ihrem Gesicht ließ ihn seine Frage bedauern. "Ihr habt wohl vergessen, wie die Winde hier sind, oder? Glaubt mir, wenn wir erst einmal im Sturm sind, werdet ihr froh sein, wenn ihr nichts mehr im Magen habt. Aber bis dahin solltet ihr lieber Kraft tanken." Van hob seine Arme und schaute bedeutungsvoll auf die Ketten an seinen Handgelenken. Die Prinzessin seufzte "Hört zu. Ich habe keine Lust euch dauernd bewachen zu lassen. Ihr seid doch ein intelligenter Kerl. Ihr seid unbewaffnet, und auf diesen Schiff wimmelt es von Elite-Kriegern. Mit anderen Worten, ihr keine Chance, uns zu besiegen." >Womit sie leider recht hat.< "Ihr könntet natürlich wegfliegen, aber es ist Nacht, und ich kann euch versichern, wir haben den Kurs gewechselt. Es ist also höchst unwahrscheinlich, dass ihr Land erreicht. Eher geratet ihr in die Sturmzone, und das wäre euer Ende. Mit Sternen, an denen ihr euch orientieren könnet, steht es nämlich schlecht." >Hmm. Das kann ich zwar nicht nachprüfen, aber selbst wenn- ich war noch nie ein guter Sterngucker. Wer weiß, ob mir das überhaupt nützen würde.< "Warum benehmen wir uns also nicht wie zivilisierte Menschen. Ihr verzichtet auf solche unsinnigen Aktionen, und ich mache euch los." Van überlegte einen Moment. >Eigentlich hat sie ja recht. Widerstand bringt mir nichts, und vielleicht gefährde ich Hitomi.> "Also gut, einverstanden. Unter einer Bedingung." "Ihr stellt mir Bedingungen?" Sie schien kurz davor zu sein, laut zu lachen. Das Spiel schien ihr riesige Freude zu machen. >Sie spricht wohl immer aus, was sie denkt. Und ihre Gefühle scheint sie auch nicht unter Kontrolle zu haben.< "Ich will Hitomi sehen. Ich will mich vergewissern, dass es ihr gut geht." Die Prinzessin kniff die Augenbrauen zusammen, und kaute auf ihrer Unterlippe, was sie wie ein kleines Mädchen erschienen ließ. "Das wird dem Kapitän nicht gefallen, aber abgemacht. Aber jetzt esst erst einmal." Sie holte einen Schlüssel aus ihrem Kleid hervor und öffnete seine Fesseln. Dann setzte sie sich auf die Treppe, und beobachtete Van beim Essen. Da sie ihn unverwandt anblickte, starrte er auch sie an. Ihre etwas ungewohnte Gesichtsform verlieh ihr einen exotischen Glanz. Ihre Dunkelbraunen Augen schienen eine ganze Menge zu verbergen. Das seidig- schwarze Haar fiel ihr in langen Strähnen nach unten. Sie hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Thana, musste Van feststellen, aber sie sah auch irgendwie ganz anders aus. Im Gegensatz zu Thana hatte sie kein blasses Gesicht, und auch wenn sie in seinem Alter zu sein schien, also jünger als Thana, war ihr Körper doch weiter entwickelt, und das Kleid, das sie an hatte, brachte ihre Rundungen voll zur Geltung, während Thana diesbezüglich immer noch ein bisschen wie ein kleines Mädchen wirkte. Nachdem er fertig war, stand er auf und sprach mit stählerner Stimme. "So, und jetzt ist Hitomi dran. Ihr werdet euer Versprechen doch halten, oder?" Wieder grinste ihn die Prinzessin auf diese unbehagliche Weise an, als ob er ihre Beute wäre. "Sie scheint euch ja sehr viel zu bedeuten." "Sie hat mir das Leben gerettet." Gab er ihr eine alles und eigentlich nichts erklärende Antwort. Irgendwie schien sie davon enttäuscht zu sein. "Eine Ehrenschuld also? Na dann, kommt mit." Sie führte ihn an Deck, wo ihn ein scharfer Wind erwartete. "Wir sind schon ziemlich dicht an der Sturmzone." Erklärte sie ihm. Auf der anderen Seite des Schiffes erwartete sie ein mürrisch dreinblickender Mann, der sich ihnen in den Weg stellte. "Wieso ist er ungefesselt?" fragte er. "Das ist meine Sache, Kapitän. Ich versichere euch, er wird weder einen Fluchtversuch unternehmen, noch euch Ärger machen." "Das reicht mir nicht. In bin für die Sicherheit der 'Stolz des Kaiserreichs' verantwortlich, und ich sage, er bleibt gefesselt." "Wollt ihr mein Wort in Frage stellen?" fragte die Prinzessin mit einem gefährlichen Unterton und hob ihre rechte Hand zu ihrer Brust. Van hatte keine Ahnung, was diese Geste bedeutete, aber die Wirkung war eindeutig. Der Kapitän erbleichte, fiel auf die Knie und versicherte, dass das nicht seine Absicht war. "Auf keinen Fall, Hoheit. Ich wollte bloß auf die Gefahr hinweisen. Diese Barbaren..." "haben manchmal auch Ehre. Und jetzt kümmert euch um das Schiff, für das ihr ja verantwortlich seid." Verbeugt entfernte sich der Kapitän rückwärts, und die Prinzessin wandte sich wieder an Van. "Kommt. Es ist ziemlich kalt hier draußen. Ich will mich nicht erkälten." Van lief ein kalter Schauer über den Rücken. Dieses Mädchen schwankte in seinen Gefühlen wie ein Pendel. Und es war augenscheinend ein Fehler, sie zu verärgern. Vielleicht ein tödlicher Fehler. Die Prinzessin öffnete die Tür. Erleichtert sah er Hitomi in einem großen Bett liegen. Der Raum war verschwenderisch ausgestattet und gehörte offenbar einer Frau. "Das ist meine Kabine." Bestätigte die Prinzessin seine Vermutung. "Ihr könnt euch also sicher sein, dass ihr nichts fehlen wird. Sie ging in den Nebenraum und Van hörte sie herum klimpern. Er ging zu Hitomis Bett und fühlte ihren Puls. Langsam, sanft und gleichmäßig. Sie schien tatsächlich nur zu schlafen, aber als er sie schüttelte, gab sie keinen Ton von sich. "Ich sagte doch, sie ist betäubt und wird so schnell nicht wieder aufwachen." Erschrocken registrierte Van, dass er schon einige Minuten dagesessen und Hitomi betrachtet haben musste, denn die Prinzessin kam mit einer dampfenden Kanne herein. Der Duft von Tee breitete sich in Windeseile im ganzen Raum aus. "Kommt und setzt euch." Er tat, wie ihm geheißen. "Ich möchte euch ein paar Fragen stellen." "Erwartet aber keine Antworten darauf." Sie goss mit einem Kopfschütteln den Tee in die mit blauen Verzierungen geschmückten Porzellantassen. Sowohl die Tassen als auch der Tee schienen absolute Luxusartikel zu sein. >Aber bei einer Prinzessin kann man das wohl erwarten. Es sind ja nicht alle Länder so arm wie Fanelia.< "Ich erwarte auch nicht, dass ihr mir alles erzählt. Das soll kein Verhör, sondern ein Gespräch werden. Ich möchte einfach nur mehr von euch wissen. Ich habe schließlich keine Ahnung von eurem Land- oder euren Nachbarländern. Und ich denke, umgekehrt gilt das gleiche." "Da habt ihr Recht." Er drehte sich noch einmal zu Hitomi um, und griff dann nach der Tasse. Obwohl der Tee heiß war, ließ die Tasse nur eine angenehme Wärme an seine Hand kommen. Er nahm vorsichtig einen kleinen Schluck, und prüfte den Geschmack im Mund. "Habt ihr Angst, ich könnte ihn vergiftet haben?" fragte sie lächelnd. Dabei nippte auch sie nur an ihrer Tasse. "Nein, aber einen solchen Tee habe ich noch nie getrunken. Die, die ich kenne sind dagegen nur... Abwaschwasser." Sie strahlte regelrecht auf. Van wunderte sich, dass sie sein Kompliment so ernst nahm, aber er musste sich eingestehen, dass es nur ein klein wenig übertrieben war. "Ich freue mich, dass er euch so gut schmeckt. Das ist nämlich meine eigene Sorte, von mir persönlich gezüchtet und angebaut- zumindest, wenn ich Gelegenheit dazu habe. Aber wir haben auch andere Sorten, die in größeren Stil angepflanzt werden. Meint ihr, das wäre ein gutes Handelsgut?" "Ich bin kein Händler. Aber die Entführung von zwei Menschen ist nicht gerade geeignet, Vertrauen zu schaffen." "Oh, bitte Van. Wir wollen hier nicht darüber sprechen. Ihr werdet die Gründe noch erfahren, mit ihr zusammen." Mit einem Blick wies sie auf Hitomi. "Gut, wie ihr meint. Aber da ihr gerade meinen Namen nennt- ich kenne den euren noch nicht?" "Habe ich tatsächlich vergessen mich vorzustellen? Wie Gedankenlos von mir!" Irgendwie konnte Van ihr das Bedauern nicht abkaufen. "Mein Name ist Mai Ling. Aber meine Freunde nennen mich Mai." Sagte sie mit gewinnendem Lächeln. "Also dann, Mai Ling" absichtlich betonte er das Ling "Was haben wir von euch zu erwarten?" Ihr Ton machte deutlich, das seine absichtliche Beleidigung wohl verstanden worden wahr. Kurz antwortete sie "Von mir nicht sehr viel. Der T'ang hat die Befehle gegeben, und ich führe sie aus." "Der T'ang?" "Ein Titel. Ihr würdet es Kaiser nennen. Ich sollte vielleicht noch betonen, dass er mir nicht befohlen hat, euch mit zu bringen." Van überlegte. >Sie hat alle Trümpfe in der Hand. Ich kann nicht einmal den Spieß umdrehen und sie als Geisel nehmen, obwohl sie hier wehrlos vor mir sitzt. Ich kann nicht gleichzeitig auf sie und Hitomi aufpassen.< "Dann möchte ich um Verzeihung bitten, wenn ich euch Umstände mache." Ihr Lächeln war wieder strahlend. >Kriegserklärung zurück gezogen.< dachte Van erleichtert. In diesem Moment klopfte es leise an der Tür. "Herein!" rief Mai Ling befehlend, ganz die Adlige, die sie war. "Hoheit, es ist soweit." Meldete ihr ein Mann, der Kleidung nach offenbar ein Offizier. "Ich komme." Der Mann verließ den Raum, ohne die Tür zu schließen, und Mai Ling erhob sich. "Leider muss ich euch bitten, wieder unter Deck zu gehen." Sie zögerte einen Moment, und sagte dann mit erstaunlich ehrlichem Bedauern "Leider kann ich euch die Fesseln nicht ersparen." Sie trat auf den Gang und befahl der Wache "Bring den König wieder zurück. Aber höflich. Und holt etwas, das die Schmerzen der Fesseln lindert. Er wird es brauchen. Van sah seine geröteten Handgelenke an. Er hatte nicht bemerkt, dass sie einen Blick darauf geworfen hatte. Aber sie hatte recht, schon nach den paar Stunden, die er gefesselt gewesen war, brannten seine Gelenke höllisch. >Vor diesem Mädchen muss ich mich in Acht nehmen. Sie ist weitaus gefährlicher, als es den Eindruck macht. Und sie weiß es.< "Es hat keinen Sinn, Kommandant. Wir finden sie niemals. Wenn wir noch weiter nach Westen fliegen, erfassen uns die Stürme." >Verdammt, zwei Tage, und nicht eine Spur.< Sie hatten mit dem Crusador nach einer riskanten Reparatur schon Mittag am Tag nach Hitomis Entführung aufsteigen können, aber sie hatten keine Spur gefunden. Und heute auch wieder nicht. Zu ihrer Verärgerung war eine unüberschaubare Nebelbank aufgetaucht, obwohl gar nicht die Jahreszeit dafür war. Sie hatte sich kurz sogar bis nach Pallas erstreckt. "Also gut, wir kehren um. Morgen früh machen wir weiter." Keiner der Männer wiedersprach, obwohl sie alle wussten, wie aussichtslos das im Grunde war. Aber niemals würden sie ihre Freunde im Stich lassen. Unter gar keinen Umständen. Sie würden sie finden, und wenn sie dafür durch diese verdammte Sturmzone fliegen mussten. "Nichts?" fragte Millerna, als der Crusador gelandet und Allen ausgestiegen war. Eigentlich war es mehr eine Feststellung, als eine Frage, denn der Ausdruck auf seinem Gesicht war eindeutig. Aber sie musste es hören. "Nein, nicht. Nicht die geringste Spur. Wie geht es Thana?" "Einigermaßen. Sie war den ganzen Tag bei Bewusstsein, aber sie hat eine Menge Blut verloren. Die Schnitte waren ziemlich tief." Allen nickte nachdenklich. Da schrie einer der Arbeiter panisch "Ein Drache! Ein Drache! Bringt euch in Sicherheit!" Alle starrten den Rufer erschrocken an, und richteten ihren Blick dann an die Stelle des Himmels, auf die sein Arm zeigte. >Verdammt, das gibt es doch nicht!< Allen wollte seinen Augen nicht trauen. >Solange ich lebe, ist kein Drache über der Stadt gesehen worden. Geht denn jetzt wirklich alles schief?< Er wollte schon den Befehl geben, den Crusador zu öffnen, damit er dem Drachen- sollte er angreifen- mit Scheherazade entgegen treten konnte, da fiel ihm etwas auf. >Der Drache hat ja etwas um den Hals! Und sitzt da nicht jem...< "Nicht feuern!" Rief er den Soldaten zu, die gerade eine Balliste auf den Drachen richteten. "Lasst ihn in Ruhe." Die Soldaten schauten ihn an, als ob er verrückt geworden wäre, aber dann fiel auch Millerna in sein Rufen ein, denn auch sie hatte erkannt, dass es kein gewöhnlicher Drache war. Das schuppige Untier flog noch eine Runde, und setzte dann zur Landung an. Direkt vor Allen und Millerna setzte er auf. "Wo ist Thana? Wie geht es ihr?" schrie Flöte die beiden an, als sie von ihrem Reittier sprang. "Sie ist im Palast. Es geht ihr relativ gut." Antwortete Millerna, und Flöte drehte um, wohl um mit Akoth dorthin zu fliegen. "Du kannst doch nicht mit dem Drachen da hin! Die Wachen würden euch angreifen." Flöte hielt inne und drehte sich zu ihnen um. Der Schmerz in ihren Augen verschlug Millerna beinahe die Worte. "Du kannst mit mir in der Kutsche fahren." Sagte sie lahm. Flöte nickte, ging aber trotzdem noch mal zu Akoth, strich ihm zärtlich über die Augenwülste, und rannte dann zu Millerna und Allen, die schon in die Kutsche einstiegen. "Flöte, woher weißt du..." setzte Allen an, aber das kleine Mädchen winkte ab "Ich bin immer gut informiert. Ihr braucht mir nichts zu erklären. Keine Spur von Hitomi und Van?" Allen schüttelte traurig den Kopf, unfähig, es schon wieder zu sagen. "Verdammt, es ist zu früh." Flüsterte Flöte und schaute angestrengt auf den Boden der Kutsche, als ob sie dort eine Antwort finden könnte. "Viel zu früh!" Allen und Millerna sahen sich an. Sie hatten keine Ahnung, wovon Flöte sprach, aber sie zu fragen hatte keinen Zweck, jedenfalls nicht, solange sie sich nicht von Thanas Zustand überzeugt hatte. "Ich komme mit!" "Aber Thana, Liebes. Du bist noch zu geschwächt." "Du kannst mich ja tragen." Thana und Flöte standen sich unversöhnlich gegenüber. Das heißt, Thana lag im Bett, und Flöte neben ihr. "Die Reise ist nicht Gefahrlos. Wer weiß, was uns passiert. Wenn wir in einen Kampf kommen, können wir niemanden gebrauchen, der vor Schwäche kaum stehen kann." Allen blickte zu Millerna, die seinen genervten Blick mit einem Lächeln zurück gab. "Sie wird nicht aufgeben." Formte sie lautlos mit ihren Lippen. Allen nickte. Das würde Thana nicht. Wenn Millerna schon der Meinung war, obwohl sie nicht wusste, dass Thana Vans Cousine war, dann war die Sache klar. "Ich werde auf sie aufpassen." Sagte er deswegen. "Ich schwöre euch, ihr wird nichts passieren." Das Ergebnis war ein böses Starren von Flöte, und ein dankbares Lächeln des geschwächten Mädchens. "Es ist trotzdem zu riskant. Ich werde nicht zulassen, dass ihr etwas passiert, dazu liebe ich sie zu sehr." "Siehst du, und deswegen muss ich mit." Flöte schaute sie verständnislos an. "Du und jetzt auch Van- ihr seid meine Familie. Ich werde nicht zulassen, dass ihr weit weg von mir in Gefahr seid, und hier gemütlich rumsitzen. Dafür liebe ich euch zu sehr." Ein leises Lachen begleitete ihren letzten Satz. Flöte fluchte leise. "Das hast du von Taro, gib es zu. Der verdreht auch immer meine Sätze gegen mich." "Nun ja, es ist sehr hilfreich. Danke." "Ich habe doch noch gar nicht zugestimmt!" Thana gab ihrer Adoptivmutter einen Kuss, und ließ ihr somit keine Chance mehr. "Doch hast du. Du hast verloren, also gib es endlich zu." Mit gespielter Verzweiflung sprang Flöte vom Bett und baute sich vor Allen auf. "Vergesst nicht, was ihr versprochen habt. Wenn ihr etwas passiert, werdet ihr wünschen weit, weit weg von mir zu sein." "Ihr habt mein Wort." Entgegnete Allen mit einer Verbeugung, und sah Flöte belustigt nach, als sie den Raum verließ. "Sag mal Allen, was meinte sie damit, dass Van zu ihrer Familie gehört?" Allen schluckte. Er hatte gehofft, sie hätte es überhört. "Er ist mein Cousin." Antwortete Thana. Millerna wurde rot, und Thana lachte "Ich bin vielleicht geschwächt, aber nicht taub. Eigentlich wollte ich ja, dass es niemand erfährt, aber nachdem mich die halbe Stadt hat fliegen sehen, ist es wahrscheinlich sogar besser. Als Verwandte eines Helden haben die Leute sicher weniger Angst vor mir. Und ihr könnt eine plausible Erklärung abgeben, wie jemand vom verfluchten Volk in eurem Palast sein kann." "Ihr seid nicht verflucht." Beeilte Allen sich zu sagen. "Danke, Herr Ritter. Kommt doch mal her." Sagte sie und winkte ihn zu sich. Gehorsam ging Allen zu ihr. "Da ihr geschworen habt, mich zu beschützen, tut das, indem ihr mich davor bewahrt, umzufallen. Helft mir hoch!" Ihr befehlender Ton wurde vom Schalk in ihren Augen als Lüge enttarnt. Mit Allens Hilfe stand sie langsam auf. Sie stütze sich auf ihn und atmete tief durch. "Na also, geht doch. Dann los, Herr Ritter. Ich will an Bord des Crusador sein, bevor er losfliegt. Ich traue Flöte das zu. Sie ist eine schlechte Verliererin." Millerna unterdrückte mühsam ein der Situation nicht angepasstes Kichern. "Keine Sorge, ohne mich fliegen sie nicht. Aber nennt mich um Himmels Willen nicht immer Herr Ritter. Allen genügt." "Allen. Na gut. Also danke, Allen." "Wofür?" "Dass ihr mir mit Flöte geholfen habt." "Ach das. Es war sowieso klar, wie das endet. Ihr seid noch sturer als Van. Ich wollte bloß keine Zeit vergeuden." Ende des ersten Kapitels von "Wenn Götter hassen"; LMMI 2-1. Tataaa! Wieder ein neuer Teil! Kapitel 2 - Die Stadt der tausend Sonnen Brütend saß Merle über den Aufbauplänen. Seit Van weg war, blieb alles an ihr hängen. Warum hatte sie sich bloß darauf eingelassen? Aber wenn niemand ein Auge auf sie hatte, wurden die Leute leichtsinnig. Steine für die Häuser, die von allen gebaut wurden, verschwanden, um bei privaten Bauten wieder aufzutauchen. Oder die Leute blieben einfach der ihnen zugewiesenen Aufgabe fern. "Ich baue erst mein eigenes Haus! Dann kann ich für andere bauen." Kapierten sie denn nicht, dass es auf diese Weise doppelt so lange dauerte? Wenn jeder jede Arbeit allein machte, brauchte er zusätzlich Zeit für die Wege, die anfielen. In der Zeit in der er Steine holte oder Mörtel mischte, ruhte der Bau. Wenn mehrere zugleich arbeiteten, konnten einige die Steine holen, andere mischten den Mörtel, und ein paar bauten. Ein einzelnes Haus war so nur eine Frage von Tagen. Einer allein brauchte Monate. Monate, in denen keiner von ihnen ein festes Dach über dem Kopf hatte. Wenn sie zusammen hielten, konnten die Häuser nach und nach gebaut werden, und solange der Aufbau dauerte, konnten auch mehrere Familien unter einem Dach wohnen. Zu mehr als zum Essen oder Schlafen kamen sie für eine ganze Weile sowieso nicht. Essen! Merle raufte sich das Fell. Daran hatte sie ja noch gar nicht gedacht. Das Getreide ging aus. Millerna hatte zwar versprochen, für Hilfe zu sorgen, und hatte, bevor sie mit ihrem Van abgehauen war, einen Boten nach Asturia geschickt, aber die Zeit wurde knapp. Die Vorräte reichten bei dem Verbrauch, der durch die schwere Arbeit entstand gerade noch eine Woche. Und bis jetzt war noch nichts gekommen, nicht einmal eine Antwort. "Hast du Kopfschmerzen?" fragte da plötzlich eine Stimme hinter ihr. Merle fuhr so erschrocken herum, dass ihr Stuhl polternd umkippte. Sie war doch allein im Raum! Und die Tür hatte sich nicht geöffnet! Wie konnte dann... Im Fenster hockte eine Gestalt, die ihr noch sehr gut bekannt war. "Du! Du Dieb! Du wagst es, hierher zu kommen?" "Ich habe mir halt Sorgen dich gemacht." Sagte der Katzenjunge und sprang vom Fenstersims. "Sorgen?" echote Merle. "Na klar doch. Du bist doch jetzt ganz allein. Armes, kleines Mädchen..." "Ich bin kein kleines Mädchen! Ich bin genau so alt wie du!" schrie sie ihn an. Wie konnte dieser Kerl es wagen... "Falsch. Du bist ein Jahr jünger als ich. Aber wenn du mal aufhören könntest, auf mir herum zu hacken- ich muss dir leider mitteilen, dass du ein Problem hast." "Ja, dich" fauchte sie ihn an, stemmte die Arme in die Hüften, und funkelte ihn mit bitterbösem Blick an. "Hey, ich bin bloß der Bote. Beruhige dich." "Für dich immer noch Hoheit- zumindest solange Van nicht da ist." "Hoheit, ja?" Für einen Augenblick schien der Junge zu überlegen, ob er verschwinden sollte. Merle betete, dass er es tun würde, aber zu ihrer Enttäuschung entschied er sich anders. "Na dann, Hoheit." Er betonte das Wort so, dass es wie eine Beleidigung klang. "Ihr solltet euch vielleicht um den Diebstahl kümmern. "Diebstahl?" "Ja, hört ihr sie denn nicht, Hoheit?" Merle hatte keine Zeit, sich über seine Verspottung ihres Titels aufzuregen, denn in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen, und einer wütenden Menge voran stürmte eine der Wachen herein. "Me... äh Hoheit." Merle blickte ihn wütend an. Die Wache schluckte. "Was ist?" fragte sie, schon ruhiger. Er hatte ihren Zorn nicht verdient. Er war einer der wenigen, die den Angriff der Zaibacher überlebt hatten, wenn auch mit einem halb verbranntem Gesicht, das ihm ein schauderhaftes Aussehen verlieh. Ihm hätte sie jederzeit erlaubt, das Hoheit wegzulassen. Sie legte eh keinen Wert auf den Titel der Regentin. "Da sind ein Haufen wütender Leute, die ein Urteil über einen Diebstahl haben wollen." Merle drehte sich um. Keine Spur von dem Katzenjungen. "Bring sie in den Thronsaal. Lass sie fünf Minuten warten, und ruf mich dann." Der Mann nickte, und schloss die Tür hinter sich. Merle stellte den Stuhl wieder hin, und ließ sich drauf fallen. "Wo bist du, mein Van? Ich brauche dich." Es war dunkel hier. Hitomi starrte auf die kalte, nasse Steinwand vor ihr. Wie kam sie hierher? Sie konnte sich nicht erinnern. Sie war betäubt und entführt worden. Vage konnte sie sich noch an die Laufplanke erinnern, auf der sie zum Schiff der Fremden getragen worden war, aber dann hatte sie endgültig das Bewusstsein verloren. Und hier war sie wieder aufgewacht. Aber war sie das wirklich? Das war jedenfalls kein Schiff. Es war aber auch kein Keller, dazu war es zu groß. Sie versuchte nach oben zu schauen, aber sie konnte den Kopf nicht bewegen. Eigentlich hätte sie Angst haben müssen, aber sie hatte keine. Sie hatte überhaupt keine Gefühle stellte sie fest. Weder verbittert, erschrocken oder sonst wie beeindruckt. Es war einfach eine Tatsache. Sie konnte sich nicht bewegen, regte sich aber nicht darüber auf. Sie wusste nicht, wo sie war, und es war ihr egal. Keine Gefühle, keine Bewegung. Sie spürte nicht mal den Boden, auf dem sie saß. Wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre, hätte sie jetzt wahrscheinlich vor Angst gewimmert. Aber da sie nichts empfand, ließ es sie kalt. Dann hörte sie Schritte hinter sich. Langsam, fast tapsend. Als ob sich der Verursacher in absoluter Dunkelheit bewegte. Dabei war es einigermaßen hell, wie am Abend, wenn die Sonne schon eine Weile untergegangen war, ihr Licht aber noch an der Wolkendecke reflektiert wurde. Entschieden zu dunkel, um das Kleingedruckte eines Vertrages lesen zu können, für die Überschrift einer Zeitung reichte es aber gerade noch aus. Hitomi fühlte fast so etwas wie Verwunderung über die Tatsache, dass sie bei diesem, in dieser Situation völlig abwegigen Vergleich nicht lachen musste. Die Schritte waren näher gekommen. Wer immer es war musste jetzt ganz dicht hinter ihr stehen. Der Schock war überwältigend. Bei der Berührung seiner Hand überfluteten sie alle Empfindungen, die bis zu diesem Augenblick nicht gespürt hatte. Die Kälte des Steins unter ihr. Die Feuchtigkeit der Luft, die ihre Kleider schon beinahe durchnässt hatte. Die Angst, und die Ungewissheit. Die Wärme seiner Hand auf ihrer Schulter. Und ein grauenvoller Gestank, der ihren Magen zum rebellieren brachte. "Ich liebe dich." Flüsterte seine Stimme, aber sie war Bedeutungslos im Vergleich zu diesem unerträglichen Gestank. Schreiend fuhr sie hoch. Durch ihre Tränen konnte sie undeutlich das Gesicht einer Frau ausmachen, die sich mit einer Hand die Nase zu hielt, und das Kunststück fertig brachte, mit ihrer anderen Hand die Phiole darin zu verschließen. Hitomi wischte sich die Tränen aus den Augen, aber vergeblich. Der Gestank klebte immer noch in ihrer Nase, auf ihrer Zunge, und wahrscheinlich an ihrem ganzen Körper. "Keine Sorge." Sagte die Frau und an ihrer Stimme konnte Hitomi ausmachen, dass sie jünger sein musste, als sie zuerst gedacht hatte. "Der Geruch verflüchtigt sich sehr schnell. In ein paar Sekunden merkst du nichts mehr." Tatsächlich ließ der Gestank jetzt schnell nach, und damit auch die Tränen, die er ihr in die Augen trieb. "Wer bist du?" fragte sie noch etwas außer Atem. "Mein Name ist Mai Ling." Sie sprach weder freundlich, noch unfreundlich, eher geschäftsmäßig, und tatsächlich schien sie es eilig zu haben. "Wenn du aufstehen kannst, dann komm." Doch Hitomi hatte erst einmal nicht vor aufzustehen. Ihr ganzer Körper kribbelte fürchterlich, am schlimmsten aber ihre Beine. Sie sah sich um. Der Raum war prachtvoll eingerichtet, und so, wie Mai Ling darin herumwühlte, war es offensichtlich ihrer. "Du bist wahrscheinlich nicht unfreiwillig hier, oder?" fragte sie. Etwas wie ein Grinsen zeichnete sich auf Mai Lings Gesicht ab. "Doch schon, aber nicht so wie du es meinst. Geht es dir gut?" "Nein." Antwortete Hitomi knapp, aber als sie das besorgte Gesicht ihrer 'Gastgeberin' sah, fügte sie hinzu. "Alles an meinem Körper kribbelt. Und es wird immer schlimmer." In der Tat waren ihre Glieder schon fast taub, so sehr kribbelte es. "Eingeschlafen. Kein Wunder. Hier, trink das." Mai reichte ihr eine Tasse, die sie schon vorbereitet hatte. Behutsam trank Hitomi das Gebräu, auch wenn ihr Magen lautstark Protest anmeldete. Er hatte sich noch immer nicht von diesem Gestank erholt. Erstaunt stellte sie fest, dass das Kribbeln schon nach einer Minute fast vorbei war. "Du wirst bald alles erfahren, auch warum wir dich entführt haben. Und ich möchte dir versichern, dass ich es lieber gehabt hätte, wenn du freiwillig mitgekommen wärst, aber die Zeit wird knapp." "Und deswegen musstet ihr mich entführen." Mai seufzte und öffnete die Tür "Ich will mir das nicht länger anhören. Du kannst jetzt entweder freiwillig mitkommen, oder ich rufe jemanden, der dich mitschleift." Das Geschrei war selbst durch die geschlossenen Türen deutlich zu hören. >Manchmal wünschte ich, meine Ohren wären nicht so empfindlich. Oder Menschen hätten meine Ohren. Dann würden sie nicht so schreien.< Die Tür wurde geöffnet, und sie betrat den Thronsaal- oder was dazu diente, bis das Schloss wieder stand. Im Grunde war es nur ein sehr großer Raum, dessen Steinwände die Verwüstung überstanden hatten. Nur das Dach hatte neu gedeckt werden müssen, genau wie im Rest dieses einst abgelegenen Flügels. Die Menschen waren so mit Streiten beschäftigt, dass sie sie gar nicht bemerkten. >Wenigstens etwas. Ein guter Auftritt ist die halbe Miete< dachte sich Merle und schlich auf den Thron. Sie setzte sich hin, und... wäre beinahe wieder aufgesprungen. In der Menge entdeckte sie den Katzenjungen, der ihr bis vor wenigen Minuten so auf den Geist gegangen war. >Verflucht, ich hatte gehofft, er wäre abgehauen. Aber das war wohl naiv. Dazu freut er sich viel zu sehr an meiner Hilflosigkeit.< Als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, grinste er ihr zu. Auf einmal packte kalte Wut Merle. Sie stand auf und schrie in den Raum "Das reicht jetzt! Ich habe mehr als genug zu tun, als dass ich hier meine Zeit verplempern könnte. Haltet endlich euren Mund, oder ich lasse euch einsperren!" >Wenn ich bloß wüsste wo...< Aber es hatte gewirkt. Die Leute fuhren erschrocken herum, als sie ihre Stimme hörten, und hielten mitten im Wort an. Es war so still, dass Merle den Atem der Anwesenden hören konnte, sowie das Klirren der Kettenhemden der Wachen. "Na bitte. Geht doch. Ankläger und Angeklagter mögen vortreten." Zwei Männer lösten sich aus der Menge. Der eine war augenscheinlich ein reicher Händler, der andere ein ärmlich gekleideter und schmutziger Mann mit schwieligen Händen. Dieser sprach zuerst. "Hoheit, ich bin ein armer Bauer. Aber ich hatte das Glück, dass mein Hof im Krieg nicht verwüstet wurde, da er sehr abseits gelegen ist. Ich bin wie gesagt arm, und kann mein Getreide deswegen nicht verschenken." Er sah ängstlich zu Merle, die nickte und ihm so bedeutete, weiter zu reden. >Hier sind alle arm, und keiner hat etwas zu verschenken. Wer etwas hatte, hat es im Krieg verloren.< "Aber auch ich wollte meinen Teil beitragen. Dieser Mann" er zeigte auf den Händler, und Wut verzerrte sein Gesicht. Lauter als zuvor sprach er weiter. "Dieser Mann hat mir angeboten, mein Getreide für die Hälfte zu kaufen. Im Gegenzug wollte er es an die verteilen, die Fanelia aufbauen. Ich bin wie gesagt ein armer Mann, und habe nicht viel gespart. Wir brauchen eigentlich mehr als die Hälfte, um unsere Ausgaben zu decken, aber ich habe zugestimmt. Mit dem, was wir gespart haben, kommen wir auch so ein Jahr aus." Merle musste ein freundliches Lächeln unterdrücken. Sie freute sich über die Selbstlosigkeit des Bauern, aber sie war die Richterin, und musste neutral bleiben. "Aber dann musste ich erfahren, dass er das Getreide, statt es wie versprochen zu verteilen, teuer verkauft, für das fünffache von dem, was er mir gegeben hat." "Das ist mein gutes Recht." Unterbrach ihn der Händler. "Ich bin Händler. Ich kann kaufen und verkaufen, was und zu welchem Preis ich will." Merle schaute über die Menge hinweg den Rechtsgelehrten an, den Van vor einem Monat aus Asturia hatte kommen lassen. Dieser nickte ihr zu. "Und davon abgesehen, habe ich niemals versprochen, sein Getreide zu verschenken. Ich habe gesagt, ich werde es verteilen. Und das tue ich, indem ich es verkaufe." Der Händler und der Bauer begannen wieder zu streiten, und Merle winkte den Rechtsgelehrten zu sich. "Es tut mir leid, eure Hoheit, aber wir können nichts machen. Dieser Mann schlägt aus dem Elend der Leute Kapital, aber er verstößt gegen kein Gesetz. Und nach den Worten der beiden können wir ihn noch nicht einmal des Täuschungsversuchs anklagen. Der Bauer hat selbst gesagt, dass der Händler das Wort verteilen benutzte, nicht verschenken." Innerlich fluchend stand Merle auf, und schaute auf die Menge herab. Sie stritten sich immer noch. Und mitten drin dieser Katzenjunge. Der Bauer holte gerade einen Geldbeutel hervor, und hielt ihm den Händler vors Gesicht. Dieser schlug ihn zur Seite, und in diesem Moment veränderte sich etwas im Gesicht des Jungen. Merle wurde aufmerksam. Der Junge blickte konzentriert auf den Beutel, und schüttelte den Kopf, als ob er lausche. Wieder wurde der Geldbeutel durchgeschüttelt, und diesmal nickte der Katzenjunge überzeugt. Er kam auf sie zu. Die Wache an Merles Seite, der selbe, halb verbrannte Mann, der ihr die Nachricht von den Streitenden gebracht hatte, trat vor sie, und hielt ihn mit seiner Lanze auf Abstand. "Mit dem Geld stimmt etwas nicht." Sagte er und Merle runzelte verwirrt die Stirn. Was um alles in der Welt sollte das denn bedeuten? Aber grundlos würde er sie in einer solchen Situation nicht ansprechen. Hoffte sie. Wenn er nur eine Show abzog, dann würde sie ihn... "Was meinst du damit, mit dem Geld stimmt etwas nicht?" Er blickte auf die Lanze, die auf seinen Hals gerichtet war, und Merle gab der Wache einen Wink und der Mann trat zur Seite. "Es ist Falschgeld." Sagte er leise, aber Merle schrie überrascht auf. "Falschgeld?" Der Junge rollte mit den Augen, denn nun hatte es jeder gehört. Alle im Raum starrten sie an. >Sch....< "Was meinst du mit Falschgeld? Du weist doch, was dir blüht, wenn du eine falsche Beschuldigung aussprichst." "Sieh äh, seht es euch selbst an Hoheit." Das Hoheit klang sogar fast aufrichtig. "Oder besser hört es euch an." Er ging zu dem Bauern und deutete auf den Geldbeutel. "Das ist doch das Gold, dass ihr von diesem Händler für euer Getreide erhalten habt." Der Bauer nickte, aber der Händler widersprach. "Das kann man doch unmöglich wissen. Er kann es schon längst ausgegeben haben, und das sind ganz andere Münzen." "Und warum ist das so wichtig für euch?" fragte der Junge freundlich. Der Händler druckste ein wenig herum. "Es ist nicht wichtig. Ich wollte es bloß gesagt haben. Wir wollen doch bei der Wahrheit bleiben, oder?" "Ja, das wollen wir." Merle war sehr wohl das Zögern in der Stimme des Händlers aufgefallen. "Wenn ich etwas sagen darf..." Ein Händler, den Merle kannte, drängte sich nach vorne. "Ich war dabei, als er das Geld von diesem Mann erhielt. Ich habe ihn gleich danach angesprochen, wir kennen uns nämlich schon lange. Wir waren die ganze Zeit zusammen. Es sind noch immer die selben Münzen, das schwöre ich." "Ausgezeichnet. Würdet ihr mir wohl bitte ein paar Münzen geben?" fragte der Katzenjunge jetzt den Bauern. Dieser schaute Merle fragend an, und sie nickte. Der Bauer gab ihm die Goldstücke, und Merle stellte sich dicht neben ihm. 'Mach ja keine Dummheiten!' Sollte das heißen. Mit weit ausholender Geste ließ der Junge einige der Münzen fallen. "Und?" fragte er sie, aber Merle konnte nur verständnislos den Kopf schütteln. Was sollte das? "Erinnere dich, wie Gold klingt." Forderte er sie auf, das Hoheit vergessend, und ließ den Rest der Münzen fallen. Die Menschen um sie herum blickten nur ratlos in die Luft, aber diesmal hatte sie sehr wohl etwas gehört. Sie wusste nicht, was es war, aber irgend etwas an den Goldstücken klang entsetzlich falsch. "Nun?" "Ich bin mir nicht sicher..." antwortet sie zögerlich. "Mädchen!" flüsterte er so leise, dass nur sie ihn hören konnte. "Von wegen sensibel!" Er sprach die Wache an, die neben ihm und Merle stand. "Habt ihr ein Goldstück?" Der Mann nickte verblüfft und gab es ihm. "So, dann vergleichen wir mal." Er hob zwei der am Boden liegenden Münzen hoch. Eine von ihnen ließ er zuerst fallen, dann die Münze der Wache, dann wieder eine des Bauern. Die Menschen hatten immer noch nichts gehört, aber für Merle war der Unterschied deutlich genug. "Es ist tatsächlich Faschgeld! Es klingt viel zu hart für Gold!" "Ich protestiere!" schrie der Händler "Da war überhaupt kein Unterschied! Ihr könnt mich nicht so einfach..." "Ruhe!" schrie Merle "Ihr seid überführt. Wenn ihr darauf besteht, unschuldig zu sein, lasse ich die Münzen untersuchen. Aber ich bin mir sicher, dass nichts anderes dabei heraus kommt. Ihr könntet uns eine Menge unnützer Arbeit ersparen, wenn ihr gleich gesteht." Der Händler sah ein, dass er verloren hatte. "Also gut. Ich gebe es zu, es ist Falschgeld. Und ich habe es machen lassen." Merle ging befriedigt zu ihrem Thron zurück und verkündete von dort das Urteil. "Ihr habt euch nicht nur am Elend anderer bereichert- was in der Form, in der ihr es gemacht habt leider gegen kein Gesetz verstößt- sondern habt auch noch diesem armen Mann Falschgeld andrehen wollen. Aufgrund der Notsituation, in der sich Fanelia befindet, erhaltet ihr dafür folgende Strafe: Das Getreide, das ihr mit diesem Falschgeld gekauft habt, wird wie gewollt an die Hungernden verteilt. Das übernimmt das Schloss. Des weiteren erhält der Bauer aus eurem Vermögen das Vierfache der Summe des Falschgeldes. Natürlich mit echtem Gold. Außerdem konfisziert die Krone das zehnfache der Summe, und verwendet es für den Wiederaufbau." Die Leute gaben durch Nicken ihr Einverständnis zu ihrem Urteil bekannt, aber sie war noch nicht fertig. "Zusätzlich zu diesen finanziellen Strafen werdet ihr zu folgendem verurteilt: Um die Mühe harter Arbeit in Zukunft richtig zu würdigen, werdet ihr für die Dauer des Wiederaufbaus die Latrinen des westlichen Zeltlagers reinigen." Sie hatte Mühe, durch das Gelächter und den Beifall der Anwesenden hindurch gehört zu werden. "Falls ihr versuchen solltet, euch eurer Strafe zu entziehen, werdet ihr wegen Hochverrats hingerichtet." >Das nur zur Warnung an alle, die meinen, andere Leute ausnutzen zu können.< "Ihr habt einen Tag, die geforderten Summen bereit zu stellen, und jemanden zu finden, der eure Geschäfte in Zukunft regelt. Das Urteil ist gesprochen." Unter lautem, schadenfrohem Gelächter wurde der sich heftig wehrende Verurteilte von zwei Wachen mit heftig zuckenden Gesichtern rückwärts aus dem Raum getragen, gefolgt von der jubelnden Meute. Merle schaute zu dem Katzenjungen, der mitten im Raum stehen geblieben war. "Nicht schlecht, Süße." Grinste er sie an. "Nenn mich nicht Süße, du..." Dann seufzte sie laut und gab auf. "Wie heißt du eigentlich?" fragte sie ihn. "Ich? Och... Blinx. Mein Name ist Blinx." Hitomi trottete an Deck, ganz in Gedanken versunken. Ja, so würde er eher klingen...< "Van?" Sie hob den Kopf. Auf der anderen Seite des Schiffes stand er, mit großen, eisernen Kugeln an den Beinen, die ihm kaum erlaubten, zu gehen. "Hitomi, geht es dir gut?" Sie antwortete nicht, sondern sah ihn nur verblüfft an. Dann fragte sie "Van! Wie kommst du hierher?" "Ich wollte dir helfen. Ich habe gesehen, wie sie dich entführt haben, und..." "Und bist hinter mir her, allein gegen ein ganzes Schiff, statt Hilfe zu holen." "Aber Hitomi..." wollte er sich überrascht verteidigen, aber Hitomi schimpfte weiter. "Du bist ein Dummkopf. Hättest du Allen benachrichtigt, hätte er mich mit dem Crusador verfolgen können. Aber nein, du musst ja wieder einmal einen Alleingang machen." Tief getroffen riss Van die Augen auf. So dankte sie es ihm, dass er sein Leben riskiert hatte! "Danke für den Hinweis! Wenn du mal wieder" er betonte das wieder, und freute sich, dass sie zusammen zuckte "mal wieder entführt wirst, werde ich daran denken, und gemütlich zu Hause bleiben, während Allen dich rettet!" Wütend stapfte er die Laufplanke hinunter, vorbei an seinem verwirrten Aufpasser, der ihn bis eben noch heftig zerren musste, und nun kaum hinterher kam. "Bitte, ganz wie du willst. Es ändert ja nichts." Schrie Hitomi ihm hinterher. Mai hinter ihr schluckte. >Was zum Teufel ist hier los? Die Energie, die von den beiden ausgeht- und besonders von ihr- ist enorm, aber irgend etwas stimmt nicht. Und es sind nicht nur die beiden.< Sie sah sich im Hafen um. Äußerlich war nichts zu sehen, aber die Stimmung war anders als sonst, düsterer. Die Luft, die sonst in einer konstanten Brise vom Meer her wehte, lag wie Blei über den Docks. Selbst die Möwen schienen sich heftiger um die Beute zu streiten als sonst. Sie griff nach dem Anhänger unter ihrem Kleid. Doch im Gegensatz zu sonst beruhigte sie der warme Stein nicht. Es wurde eher noch schlimmer. Entsetzten stieg in ihr auf. >Es kann doch nicht zu spät sein? Haben wir versagt, Bruder? Oh, ihr Götter, bitte lasst es noch nicht passiert sein. Das wäre das Ende.< "Blinx?" Sie waren in ihr Zimmer zurück gekehrt, und Merle konnte die Frage nicht mehr unterdrücken. "Wie im Namen aller Götter bist du zu diesem Namen gekommen?" Er hatte sich auf die Fensterbank gesetzt und grinste. Schon wieder. Er schien nichts anderes zu machen, wenn er mit ihr allein war. "Ein kleines Mädchen hat ihn mir gegeben. Ein nettes Mädchen." So wie er es sagte war klar, dass er Merle nicht für ein solches hielt. "Sie muss dich ja gehasst haben, bei einem solchen Namen. Was ich übrigens gut verstehen kann." "Nein. Sie hasst mich nicht. Sie hat nur eine Schwäche für ausgefallene Namen." Etwas an seiner Stimme veranlasste Merle, die Sache besser nicht weiter zu verfolgen. "Warum wolltest du, dass ich mit dir komme? Hast du Angst alleine?" "Lass den Quatsch. Ich wollte dir danken. Du hast mir heute sehr geholfen- auch wenn du der frechste Kerl bist, der mir jemals begegnet ist." "Ach das." Blinx zuckte mit den Schultern. "Das war doch nichts besonderes. Er war ein Dreckskerl. Und ich muss zugeben, dein Urteil- Hut ab. Ich hätte es kaum besser machen können." "Angeber!" entgegnete Merle, aber sie fühlte trotzdem, wie sie sich freute. "Und dann wollte ich dich noch etwas fragen." Schon wieder dieses freche Grinsen! "Woher hast du Vans Nachricht gehabt." "Vans Nachricht?" Er schien ehrlich verwirrt. "Ach die! Hatte ich ganz vergessen. Die kam nicht von mir. Ich war bloß der Laufbursche. Bin ja nicht mal in der richtigen Ausbildung." "Ausbildung?" Wovon redete dieser Kerl? "Vergiss es. Ist es dir denn so wichtig, woher die Nachricht kam?" Merle ärgerte sein Ton. "Ist es euch denn so wichtig, Hoheit? heißt das." "Schon wieder auf Hoheitstrip? Oder willst du es mir einfach nur nicht sagen? Wenn ja, ich kann damit leben." Merle zögerte. Dass er sie nicht mit Hoheit anredete, wie es sich gehörte, scherte sie in Wirklichkeit einen feuchten Kehricht. Titel machten nur hochnäsig. Aber sollte sie ausgerechnet ihm sagen, wie sehr sie ihren Van vermisste? "Ich wollte nur wissen, ob du vielleicht eine weitere Nachricht hast. Keiner weiß, wo er ist, und die Leute machen sich allmählich Sorgen." Vor allem sie selbst, aber das würde sie ihm niemals verraten. Dann bemerkte sie sein Überraschtes Gesicht. "Was ist?" "Aber... er ist doch in Asturia, weißt du das nicht?" Merle wurde schwindelig "In Asturia?" sie musste sich auf den Stuhl setzen. "Ja, seit ein paar Tagen. Hast du das wirklich nicht gewusst?" "Nein, habe ich nicht." Ungläubig schaute sie ihn an. "niemand hier weiß es. Woher du? Und stimmt es wirklich?" Vielleicht nahm er sie ja nur auf den Arm. "Natürlich stimmt es. Ich würde eure Hoheit doch niemals anlügen." Obwohl er sie wie üblich verspottete, war Merle sicher, dass er die Wahrheit sagte. "Also gut komm mit." Er sprang von seinem Sitzplatz auf und sprang auf das Dach darunter. "Wohin?" rief sie ihm nach. "Du wolltest doch wissen, woher die Nachricht kam, oder? Dann komm, ich zeige es dir." Hastig sprang sie ihm hinterher, bevor er verschwinden konnte. "Bald ist es soweit! Dann wird meine Schmach endlich vergessen sein! Ich werde über Gaia herrschen, und niemals mehr wird es irgendwer wagen, sich gegen mich zu stellen!" Sein Gesicht verzog sich zu einer abscheulichen Grimasse, und seine vor Hass triefende Stimme brach sich tausendfach in den unterirdischen Gewölben unter dem Palast der tausend Sonnen, deren Helligkeit hier unten nur noch ein schwacher Schimmer war. Allen stand neben Gades, der das Steuer des Crusadors bediente und ab und zu einen scheuen Blick auf Flöte warf, die vor ihnen am Fenster stand. Sie bewunderte weder das brausende Meer, noch die zarten, weißen Wolken, die über ihnen entlang huschten. Huschten, denn sie waren kurz vor dem Rand der Sturmzone, und wie jedes Kind weiß, sind die Windgeschwindigkeiten in den oberen Schichten der Atmosphäre noch viel beeindruckender, als sie es ohnehin schon in dieser wohl für Luftschiffe gefährlichsten Gegend Gaias waren. Da Thana nun doch mit ihnen kam, hatte Flöte sie in eine Kabine gesteckt, und Akoth befohlen, wieder zurück zu fliegen, um sich um die Babydrachen zu kümmern. "Sie brauchen ihren Onkel." Hatte sie gemeint. Nun stand sie mit geschlossenen Augen auf der Brücke. "Sie macht mir Angst, Kommandant." Flüsterte Gades, und Allen musste unwillkürlich lächeln. Das war dem ersten Satz, den er über das Mädchen geäußert hatte, sehr ähnlich. Bloß war von "das gefällt mir nicht" bis zu "sie macht mir Angst" ein gewaltiger Sprung. "Ohne Grund. Sie tut fast das selbe wie Hitomi." "Ja, aber Hitomi musste sich anstrengen, und dieses kleine Mädchen macht das im Schlaf. Verdammt, ich habe einfach Angst vor dem, was sie vielleicht noch verbirgt. Erst der Drache, dann das." 'Das' war Flöte, die dem Crusador den Weg wies. Sie stand einfach da, die Augen geschlossen, und wies dem Crusador den Weg. "Etwas nach rechts." "Aber das ist nicht geradeaus." Wagte Gades einzuwenden. "Das ist der Weg, den sie genommen haben. Wir müssen ihm folgen, oder wir verlieren sie. Außerdem muss ich mich in ihre Gedanken denken." Sie erklärte nicht warum. "Und Gades?" "Ja?" "Ich bin kein Monster, auch wenn ich manchmal den Anschein erwecke." Sie öffnete sich die Augen, drehte sich um und kam zu ihnen. "Ich habe lediglich Kräfte, die ihr nicht kennt- und die ihr auch nie haben werdet. Aber das heißt nicht, dass ich auf euch herab sehen würde." Sie lachte ein halb verzweifeltes Lachen. "Dafür sorgt schon Eliandra, die mich immer daran erinnert, nicht zu hochnäsig zu werden." Sie legte Gades eine Hand auf seinen Arm, lächelte ihn entwaffnend an, und Allen konnte sehen, wie er sich entspannte. >Wie macht sie das?< fragte er sich. "Auch wenn ich außergewöhnliche Kräfte habe, heißt das nicht, dass ihr weniger Wert seid. Jeder hat seinen Platz im Gewebe dieser Welt. Wenn ihr die euch zur Verfügung stehenden Kräfte, so gering sie euch auch erscheinen mögen, für das Gute einsetzt, seid ihr genauso bedeutend wie jeder andere auch, der das tut. Beschützt die, die schwächer sind als ihr. Das ist genau das, was ich auch tue." Damit drehte sie sich um, und ging wieder zu ihrer Position an den Fenstern. Eine ganze Weile starrte Gades vor sich hin, dann schüttelte er sich, als ob er aus einem Traum erwachen würde. "Was war das Kommandant? Hat sie mich hypnotisiert oder so etwas?" In seiner Stimme war immer noch Angst, aber ein Großteil davon war etwas anderem gewichen- Ehrfurcht? Allen konnte nur mit den Schultern zucken. "Keine Ahnung, was sie mit dir angestellt hat. Aber schaden wollte sie dir bestimmt nicht." Er klopfte ihm noch aufbauend auf die Schulter, und ging zu dem kleinen Mädchen. Er hockte sich hin, so dass er nur noch wenige Zentimeter größer war als sie. Er sah sie von der Seite an, und ein zucken in den Mundwinkeln verriet ihm, dass sie sich seiner Gegenwart sehr wohl bewusst war. "Wer seid ihr?" fragte er leise. Langsam öffnete Flöte ihre saphirblauen Augen, und noch langsamer wandte sie ihm den Kopf zu. Ihre Augen waren keine zwanzig Zentimeter voneinander entfernt. Allen schaute in die ihren und erstarrte. Die Welt schien still zu stehen. Er hatte das Gefühl, direkt in ihre Seele zu sehen, und was er sah waren Weisheit, Güte und Mitgefühl. Aber auch liebenswürdiger Spott, und die Verspieltheit eines kleinen Mädchens. Und er erkannte noch etwas. Er erkannte, dass diese Augen mehr gesehen hatten, als alle anderen. Jahrhunderte, Jahrtausende, vielleicht sogar die Ewigkeit schimmerten in ihnen, und dahinter, versteckt zwischen Sonnenauf- und Untergängen Einsamkeit und Trauer und Leid. "Ich bin ein kleines Mädchen." Hörte er ihre Stimme in seinem Kopf hallen, und war sich bewusst, dass sie ihm einen Teil ihres größten Geheimnisses hatte sehen lassen. "Ich bin ein kleines Mädchen, denn wäre ich das nicht, wäre die Angst der Menschen vor mir zu groß. So aber versuchen sie mich zu beschützen." Mit einem traurigen Lächeln entließ sie ihn aus ihrem Bann, drehte den Kopf wieder nach vorne, und schloss ihre Augen. Einen Schrei unterdrückend taumelte er zurück, und schaute Flöte entgeistert an. Minutenlang brachte er es nicht fertig, sich zu rühren. Er hatte Flöte gefragt, wer sie war, und sie hatte ihm einen kleinen Teil der Antwort gegeben. Er wünschte, sie hätte es nicht getan. Schwankend ging er zu seinem Platz neben Gades zurück. Niemand schien etwas Ungewöhnliches bemerkt zu haben. Niemand, außer ihm. Hitomi in der Kutsche machte sich schwere Vorwürfe >Warum habe ich ihn bloß so angeschrieen? Er wollte mir ja bloß helfen. Wieso bin ich so ausgerastet? Das sieht mir doch gar nicht ähnlich...< Auch Van rätselte über ihr- und sein- Verhalten herum. >Das kann doch nicht normal sein.< Er zerrte wieder einmal an den Ketten. Durch das Gehopse des Karrens waren wieder einmal die schweren Kugeln verrutscht, die ihn am Boden hielten. Die Eisenringe um seine Fußgelenke hatten seine Haut schon fast abgerieben, und jede Berührung brannte höllisch. >Ich sitze hier in Ketten, während Hitomi mit dieser Prinzessin in der Kutsche sitzt. Wahrscheinlich lacht sie über mich. Dabei bin ich hier der König, und sie nur ein unbedeutendes Mädchen vom Mond...< Erschrocken über die Richtung, in der seine Gedanken gingen, musste er sich festhalten. >Was zum Teufel habe ich da gerade gedacht?< fragte er sich Schreckensbleich >Was geht nur in mir vor? Passiert das auch mit Hitomi? War sie deswegen so wütend auf mich? Aber was ist das? Wenn es nur bei Hitomi wäre, könnte es mir ja egal sein...< Entschlossen wischte er diesen grässlichen Gedanken zur Seite. >Ich muss heraus finden, was los ist, oder ich sage vielleicht noch etwas, das sie mir nie verzeihen wird.< In diesem Moment wurde er von etwas unbeschreiblich Schönen abgelenkt. Seit dem Hafen war es immer nur Bergauf gegangen, aber nun hatten sie die Kuppe des Küstenhügels erreicht. Die Stadt der tausend Sonnen lag vor ihnen, und jetzt wusste Van auch, woher sie diesen Namen hatte. Die Stadt war umgeben von einer wohl zehn Meter dicken Mauer. Aber innerhalb der Stadt gab es noch eine weiter Mauer, die einen ganzen Bezirk abriegelten. Das war der Palast der tausend Sonnen, selbst eine kleine Stadt. Und der Name kam von den Dächern der Gebäude. Noch nie hatte Van etwas derartiges gesehen, oder sich auch nur vorstellen können. Statt mit Ziegeln waren die Dächer des Palastes mit Metallplatten gedeckt. Aber nicht mit irgendeinem Metall, sondern mit einem leicht rötlich gefärbten Gold. Der ganze Palastbereich schillerte und glänzte in allen Farben des Spektrums. Jedes einzelne Dach reflektierte die Sonnenstrahlen in einem leicht anderen Winkel. Ihr Glanz blendete jedes Auge, das länger darauf verblieb. Nur wer diese Stadt gesehen hatte wusste, was "von Schönheit geblendet" wirklich hieß. >Nanu?< Allen wunderte sich. War das nicht Millerna, die da durch die Gänge schrie? War sie nicht bei Dryden, der wegen der starken Windböen Luftkrank geworden war? Sie war es in der Tat, wie er jetzt feststellen konnte. Sie rief nach Thana. Sekunden später lief diese an ihm vorbei, nicht ohne ihm ein entschuldigendes Lächeln zu schenken. Wobei rennen nicht der richtige Ausdruck war- sie schien mehr zu schweben, wie Allen feststellte, dafür aber sehr zielstrebig. Gerade, als Millerna auf die Brücke kam, hatte sie Flöte erreicht. "Was fällt dir eigentlich ein Flöte? Sperrst mich ein, und machst dich dann allein an die anstrengende Arbeit." Allen wunderte sich über die Wut in ihrer Stimme. "Du könntest mir nicht helfen. Außerdem ist es nicht anstrengend." "So? Und warum schwitzt du dann so?" Allen horchte auf. Bei seinem... Erlebnis... eben war weder Anstrengung noch Schweiß an ihr zu sehen gewesen. Als er jetzt nach vorne ging, konnte er beides sehen. "Das liegt nicht daran. Es ist etwas anderes." "Und was?" fragte Thana nörgelnd. "Das weiß ich nicht. Das versuche ich ja heraus zu finden. Und du störst mich. Also bitte, geh." Flöte war ganz freundlich gewesen, und es war wirklich keine Zurechtweisung, aber Thana reagierte wie auf eine Beleidigung. "Ach, ich soll dich allein lassen, ja? Auf einmal bin ich wohl nicht mehr gut genug für dich, oder was?" Allen, der schon gedacht hatte, nichts könnte dieses Mädchen erschüttern, wurde zu seinem Leidwesen enttäuscht. "Was, was redest du da, Kind?" Aus Flötes Stimme war jeder Spott verschwunden, der sie sonst auszeichnete, und statt dessen glaubte Allen Angst zu erkennen. Und das machte wiederum ihm Angst. "Was soll ich denn schon reden? Du hast eigentlich recht. Bei dir nützt reden ja sowieso nichts!" Allen traute seinen Ohren nicht, das klang fast, als ob Thana sich gleich auf Flöte stürzen würde. Unbewusst trat er hinter sie, doch im letzten Moment unterließ er es, sie am Arm zu packen. Aber Flöte schien seine Bewegung durchaus bemerkt zu haben. "Du benimmst dich nicht normal, Thana. Das ist dir doch offensichtlich klar." Ihre Augenbrauen wanderten aufeinander zu, und würden sich bald berühren, so sehr versuchte sie sich auf etwas zu konzentrieren. "Die einzige, die sich nicht normal benimmt, bist du." Thana hatte die Arme in die Hüften gestemmt, und schaute überheblich hierhin und dorthin. Dann fiel ihr Blick auf das Messer, mit dem sich Gades gerade einen Apfel schälen wollte. Mit einem Laut, den man kaum noch als Schrei bezeichnen konnte, sprang sie danach, riss es an sich, und wollte sich dann auf Flöte stürzen. Alle standen vollkommen überrascht da, unfähig sich zu rühren und das Ungeheuerliche zu verhindern. Mit beiden Händen packte Thana das Messer, hob es hoch, bereit zum Schlag... in Flötes Augen blitzte plötzlich etwas wie Erkenntnis auf... und zögerte einen winzigen Augenblick. Dieses Zögern verhinderte die Katastrophe, denn in diesem Moment schrie Millerna auf, und ihr Schrei riss Allen aus seiner Starre. Mit einer raschen Bewegung entwand er Thana das Messer, das klirrend zu Boden fiel. "Haltet sie fest!" schrie Flöte und hob das Messer auf. Allen tat wie ihm geheißen. Mit aller Kraft mühte er sich, Thana fest zu halten, ohne sie zu verletzen. Das war gar nicht so einfach wie er feststellen musste, denn obwohl Thana eher zerbrechlich wirkte, wand sie sich mit erstaunlicher Kraft in seinen Armen. Und dass sie mit aller Kraft auf seine Zehen trat, machte es auch nicht einfacher. "Wenn ihr etwas tun könnt, dann macht es rasch, sonst muss ich ihr weh tun." Rief er Flöte zu, denn er hatte bemerkt, dass sie sich auf irgend etwas vorbereitete. In diesem Moment hob Flöte den Blick, den sie bisher auf das Messer gerichtet hatte. "Es gibt nur eine Möglichkeit, es heraus zu finden." Sagte sie geheimnisvoll, hob das Messer ein Stück... und schnitt sich tief in die eigene Hand. Thana schrie grauenvoll auf, und vor Überraschung ließ Allen sie los. Flöte ließ das Messer fallen. Thana starrte auf ihre Hand, auf der sich ein dicker, roter Streifen abzeichnete. Mit Schmerzverzerrtem Gesicht starrte sie auf ihre Hand, dann auf die von Flöte, und dann wieder auf ihre eigene. "Wie..." fragte sie, dann brach sie zusammen. "Wo führst du mich denn hin?" Sie waren schon einige Zeit durch die Straßen gerannt, und kamen langsam an den Rand der Stadt. "Wir sind schon da." Antwortete Blinx und stoppte vor einem relativ großen, allein stehenden Haus, das eines der wenigen war, die die Zerstörung überstanden hatten. "So, immer herein. Nach euch, eure Hoheit." Sagte er, öffnete die Tür und verbeugte sich artig vor ihr. >Er kann es einfach nicht lassen, sich über mich lustig zu machen!< ärgerte sich Merle, trat aber trotzdem ein. Innen war es angenehm kühl. Das war das erste, das ihr auffiel. Das zweite war ein alter Mann mit einem langen Bart, der sie überrascht ansah. "Merle?" "Ihr?" Blinx Blick wanderte verblüfft zwischen ihnen hin und her. "Ihr kennt euch?" "Was dachtest du denn?" antwortete der alte Mann. Er hatte Merle kennen gelernt, kurz nachdem Van sie sozusagen adoptiert hatte, und den König kannte er schon, seit er geboren wurde. Merle stand immer noch überrascht da, aber dann verwandelte sich ihre Überraschung in Freude. "Erzähler!" sie lief auf in zu, sprang ihn an, und schleckte ihm das Gesicht ab. "Aufhören!" protestierte der alte Mann, und Merle entließ ihn aus ihrer Folter. "Sagt bloß, ihr seid mit diesem Kerl befreundet!" fragte sie und zeigte anklagend auf Blinx, der ihr als Antwort die Zunge rausstreckte. "Ja, das bin ich. Aber sag mal, warum bist du hier? Ich dachte du bist Regentin, und hättest viel zu tun." Sie kuschelte sich seufzend in seinen Schoß und warf ihm einen ihrer berüchtigten 'Ich bin ein ganz liebes Kätzchen' -Blicke zu. "Viel ist gar kein Ausdruck." Sagte sie leise. "Ich frage mich, wie Van das überhaupt schaffen kann." Da fiel ihr ein, warum sie überhaupt hier war. "Der da hat gesagt, ihr wisst, wo mein Van ist?" Der Erzähler nickte. "In Asturia. Zumindest vor zwei Tagen. Aber warum fragst du, weißt du das denn nicht?" Sie schüttelte traurig den Kopf. "Nein, das letzte, was ich von ihm gehört habe war, dass er in Schwierigkeiten ist, und dass Hitomi wieder da ist. Du weißt doch, wen ich meine, oder?" "Ja." "Und diese Nachricht hat Blinx mir gebracht- nachdem er mir etwas gestohlen hat." Merle sah ihn finster an, er schaute genauso finster zurück. >Vielleicht ist das ja sein Lieblingsplatz?< vermutete Merle, und kuschelte sich noch näher an den alten Mann. "Ich habe es dir zurück gegeben." "Wenn Blinx sie dir gebracht hat, dann stimmt es auch. Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Da war mal eine Nachricht an dich." In diesem Augenblick hörte sie das Gegurre mehrerer Tauben. Der Erzähler hob den Kopf, und scheuchte Merle dann mit einer Handbewegung von sich hinunter. "Hört sich an, als ob eine neue Nachricht gekommen ist. Wenn du Glück hast, aus Asturia. Dann erfahren wir neues von deinem Van." Merle und Blinx folgten dem alten Mann die Treppe nach oben unter das Dach. Blinx warf ihr dabei Blicke zu, die deutlich machten, dass er sich verwünschte, sie hierher gebracht zu haben. Merle staunte, als sie die vielen Tauben sah. "Seit wann habt ihr die denn?" "Oh, das sind nicht meine. Aber der Besitzer war ein alter Bekannter von mir. Er ist beim Angriff der Zaibacher gestorben, zusammen mit seinem Schüler. Ich habe seine Stelle eingenommen, bis der Ersatz da ist. Und Blinx ist praktisch mein Schüler geworden, denn allein kann ich mich nicht um soviel Arbeit kümmern, dazu werde ich langsam zu alt." Mit sicherem Griff hatte er die Taube gepackt, die gerade angekommen war, und band die Kapsel mit der Nachricht von ihrem Bein. Dann vergewisserte er sich, dass es der Botin gut ging, und setzte sie in einen anderen Käfig. Sie gingen wieder hinunter und setzten sich an den Tisch. "Lies vor, Blinx. Ich muss mich zu sehr anstrengen." Er reichte dem Katzenjungen die Kapsel, der sie vorsichtig öffnete. "Aus Asturia?" fragte der Erzähler, als Blinx überrascht "Oha!" murmelte. "Nein, von der Zentrale." "Der Zentrale? Dann lass mal hören." Zentrale Ti-0 an Fan K-1 Befehl Flö(Tri) ; über Ta(Tri) Ankunft vorbereiten: 2Personen, männlich; Weiterreise Asturia Nachricht an: Register + Merle (Fanelia, Palast, gegenw. Regentin Fan) Inhalt: Van Slanzar de Fanel (König Fan) und Hitomi Kanzaki (S-Reg. MdI-463) von Unbekannten (Herkunft östl. des Sturmmeeres) entführt. [Flö(Tri) an Bord von] 'Crusador' hat Verfolgung aufgenommen. Erb. I. + G. Ta(Tri) "Häh? Entführt? Van von Hitomi? Was soll der Quatsch! Und diese blöden Abkürzungen!" Blinx lachte kurz, wurde dann aber sofort ernst. "Van ist entführt worden, aber nicht von, sondern mit Hitomi. Der Crusador- das ist doch das Luftschiff von diesem Ritter, oder?- hat die Verfolgung aufgenommen." Merle musste nach Luft schnappen. "Das darf doch nicht wahr sein! Diese Hitomi macht doch nur Probleme! In was hat sie meinen Van da wieder hineingezogen. Und was bedeutet das?" "Das bedeutet, dass einer unserer Leute mit an Bord ist." Antwortete ihr der Erzähler, bevor Blinx etwas sagen konnte. "Und bevor du fragst, ja, wir können der Nachricht trauen. Ich hätte dir gerne etwas anderes gesagt, aber das kann ich leider nicht. Tut mir leid." Merle saß noch eine Weile regungslos da, dann fing sie zu weinen. Tröstend nahm sie der Erzähler in seine Arme. "Es wird alles gut, du wirst sehen. Van ist stark genug, der wird mit allem fertig. Und seine Freunde folgen ihm ja." So versuchte er das Fellbündel auf seinem Schoß zu trösten, dass sich an ihn klammerte. "Wie geht es ihr?" Allens Besorgnis um Thana war ihm deutlich anzusehen. "Gut- den Umständen entsprechend. Und sie wird noch für eine Weile schlafen." Antwortete Flöte. "Aha, den Umständen entsprechend." Millernas Stimme war mehr als nur aufgewühlt. "Und was sind die Umstände?" Flöte versuchte zu lächeln, aber es wurde nur eine müde Andeutung. "Du hättest nicht helfen können." Kam sie Millernas nächster Frage zuvor. Nachdem Thana bewusstlos geworden war, hatte Flöte befohlen, sie in ihre Kabine zu bringen, und hatte dann alle anderen hinaus gescheucht. Sie hatten auf der Brücke gewartet und sich damit abgelenkt, den Crusador im Windschatten einer der Inseln fest zu machen. Die Inseln- das war eine Kette kleiner Vulkankegel, die sich aus dem Meer erhoben. Kurz bevor Thana furchgedreht war, hatte Flöte erklärt, das Schiff der Fremden wäre entlang dieser meist erloschenen Vulkane gereist. "Das, was sie hat ist nichts körperliches. Es betrifft den Geist." Gades murmelte etwas und Flöte fuhr herum. "Nein, sie ist nicht verrückt. Und wenn ihr irgendjemand so etwas erzählt, dann drehe ich demjenigen den Hals um." Gades wich ein paar Schritte zurück. Flötes Blick war mörderisch. Doch plötzlich entspannte sie sich. "Tut mir leid." Sagte sie entschuldigend zu Gades. "Ich mache mir Sorgen um sie, und das, was du gesagt hast... Sie ist nicht verrückt, aber es könnte sie dazu machen. Glaub mir, sie wird es sich selbst oft genug fragen." Die traurige Gewissheit in ihrer Stimme jagte ihnen einen kalten Schauer über den Rücken. "Und wenn ihr jemand sagt, sie wäre verrückt, könnte das genau dazu führen. Also bitte, seid vorsichtig mit dem, was ihr zu Thana sagt." Sie stellte sich wieder auf ihre gewohnte Position am Fenster. "Wir sollten starten." Meinte sie "Der Weg ist noch lang, und jede Sekunde zählt. Jetzt noch mehr als vorher." Allen begann ihre Anspielungen langsam zu hassen. Flöte schien nur in Rätseln zu sprechen. Auch Millerna wollte eine Antwort. "Du hast noch immer nicht gesagt, was sie nun hat." Flöte schüttelte nur den Kopf. Das machte Millerna nur noch wütender. "Du vergisst wohl, wo du bist. Das hier ist nicht dein Luftschiff. Du wirst mir jetzt auf der Stelle antworten, oder..." "Oder was?" Flöte hatte sich umgedreht, und schien nun ehrlich amüsiert, wenn auch auf eine beinahe sadistische Weise. "Willst du mich über Bord schmeißen? Ich bin die einzige, die euch durch diesen Sturm bringen kann. Wenn ihr Van und Hitomi wiedersehen wollt, müsst ihr mich schon so nehmen, wie ich bin." "Wir schaffen das auch ohne dich." Allen entschloss sich einzugreifen, bevor die Situation zu sehr außer Kontrolle geriet. "Millerna, bitte beruhig dich. Und ihr auch, Flöte. Streiten bringt uns gar nichts." "Verteidigst du sie?" fragte Millerna wütend. "Ich verteidige niemanden. Ihr habt beide Angst um sie, und das lässt euch Dinge sagen, die ihr gar nicht sagen wollt." Hoffte er zumindest. "Flöte hat recht, nur sie kann uns zu unseren Freunden bringen." Er sagte nicht, was er noch dachte. Nämlich, dass Flöte sich seit dem Vorfall mit Thana verändert hatte. War sie vorher immer spöttisch, fast gleichgültig gegenüber allem gewesen, was geschah, hatte sich das geändert. Ein unbarmherziger Zug hatte sich um ihren Mund gelegt, und ihr Lächeln wirkte nicht mehr wie das eines kleinen Mädchens, sondern wie das von jemandem, der gewillt war, sein Ziel um jeden Preis zu erreichen. Allen hatte etwas von ihr gesehen, etwas unglaublich mächtiges, und er war sich sicher, dass sie genau das tun würden, was Flöte wollte- egal ob sie es selbst wollten. Er konnte nur hoffen, dass sich ihre und Flötes Ziele deckten. Millerna jedenfalls schien immer noch auf einer Antwort zu bestehen. Sie und Flöte starrten sich eine Weile an, und dann, zur Überraschung aller, winkte Flöte entnervt ab. "Ach, was soll's. Ihr erfahrt es ja eh bald. Sie ist Empathin." Dann grinste sie schadenfroh über die Verständnislosigkeit in den Gesichtern von Allen und Millerna. 'Das habt ihr nun davon, ihr Schlaumeier!' Schien sie zu sagen, erklärte es ihnen aber dann. "Das heißt ganz einfach, dass sie die Gefühle anderer empfangen kann. Ich hätte nicht gedacht, dass es bei ihr noch ausbricht. Man kann das vorher nie wissen, aber normalerweise entfaltet sich die Gabe mit dem Beginn der Pubertät. Vielleicht hat ihr Hass auf Akoth ihre Fähigkeit blockiert. Wenn sie seine Gefühle gelesen hätte, hätte sie bemerkt, dass er nicht böse ist. Und da sie sich mit ihm versöhnt hat, ist die Blockade überflüssig geworden." Die letzten Sätze hatte sie mehr zu sich selbst gesprochen. "Wollt ihr damit sagen, sie weiß, was andere fühlen?" Allen bemerkte, dass Millerna genau wie er zwischen sie und du wechselte, wenn sie mit Flöte sprachen. Es schien etwas mit ihrer Persönlichkeit zu tun zu haben. Je nachdem, welche Facette Flöte zeigte, betrachtete man sie unwillkürlich anders, und sprach sie auch anders an. Entweder das kleine Mädchen oder das scheinbar alles wissende... Etwas, das sie noch war. Und sie sprach dann auch anders. "Nein, sie weiß nicht, was ihr fühlt. Jedenfalls nicht so, wie ihr es sagt. Sie fühlt die Gefühle anderer mit." Allen schauderte bei dem Gedanken. "Geht man da selbst nicht mit der Zeit unter? Falls..." "Ja, ich verstehe, was ihr meint. Die Persönlichkeit des Empathen wird von der seiner Mitmenschen überdeckt, und verschwindet schließlich völlig. Ja, das ist möglich, aber man kann sich dagegen abschirmen. Das Problem ist, dass bei Thana nicht genug Zeit war. Im Normalfall dauert es Jahre, bis das Talent voll entwickelt ist. Aber bei ihr hat sich die gesamte Entwicklung in einem Sprung vollzogen, und das hat sie überwältigt." "Kann sie geheilt werden?" Flöte seufzte "Ich sagte doch, es ist keine Krankheit. Es ist ein Talent." "Im Moment wohl eher ein Fluch!" "Millerna, bitte! Lasst mich doch fertig erklären. Ich habe ihr ein Mittel gegeben, das ihre Empfindlichkeit herabsetzt. Aber das ist nur ein Notbehelf, und auch nicht voll zuverlässig. Mit der Zeit werde ich ihr beibringen können, sich abzuschirmen. Ihr braucht euch wirklich keine unnützen Sorgen machen. Aber es wäre besser, sie in nächster Zeit möglichst nicht zu berühren, denn das verstärkt den Kontakt. Darum habe ich euch auch hinausgeschickt. Je weiter weg, desto besser für sie." "Aber was hat denn diesen..." Allen versuchte das richtige Wort zu finden "Ausbruch bei ihr verursacht.?" Flöte zögerte einen Moment, und zeigte dann durch das Fenster nach vorne, in Flugrichtung. "Das dort. Hass. Großer Hass. Und Rachegedanken." "Darum hat sie euch angegriffen!" plötzlich fiel es Allen wie Schuppen von den Augen. Das war die Erklärung für Thanas Verhalten, das so gar nicht zu ihr passte. Aber es bedeutete noch etwas anderes. Millerna kam ihm zuvor. "Dann seid ihr auch eine Empathin!" "Nein." Wehrte Flöte lachend ab, und erklärte der verwirrten Millerna "Ich bin nicht mehr und nicht weniger eine Empathin als ihr." "Ich? Aber ich kann keine..." "Doch. Aber nur so schwach, dass ihr es nur unter bestimmten Bedingungen spürt. Habt ihr nicht manchmal das Gefühl gehabt, jemand beobachtet euch, und wenn ihr euch umdreht stimmt das? Oder ihr habt das Gefühl, mit jemandem reden zu müssen, und dann trefft ihr diesen jemand, und der möchte euch unbedingt etwas erzählen?" Millerna nickte, widersprach aber zugleich. "Das sind Zufälle." "Zugegeben, das mag oft so sein, aber nicht immer. Ein anderes Beispiel. Allen. Ihr kennt doch sicher auch diese Situation: Ihr reitet friedlich durch den Wald, und auf einmal habt ihr das Gefühl, jemand trachtet euch nach dem Leben." Allen wusste, worauf sie hinaus wollte. "Und dann kommt tatsächlich ein Hinterhalt, und hätte mich das Gefühl nicht gewarnt, wäre ich tot. Oh ja, das kenne ich. Viele kennen das." "Das ist genau das, was ich sagte. Unter normalen Umständen, spürt ihr nichts von den Gefühlen anderer. Aber wenn jemand nur darauf lauert, euch zu töten, ist das bestimmt keine normale Situation- zumindest für die meisten." Millerna schien noch nicht überzeugt, aber war bereit, das ganze erst einmal auf sich beruhen zu lassen. Sie hatte ja auch erst nicht an Hitomis Visionen geglaubt, und das hier war im Vergleich dazu eher leicht zu glauben. "Gut, aber wieso spürt ihr dann etwas, das wir nicht spüren?" "Weil ich gelernt habe, auf so etwas zu achten. Und außerdem habe ich nach etwas ähnlichem gesucht. Aber wie, das würdet ihr nicht verstehen- selbst wenn ich es erklären könnte. Auf jeden Fall habe ich diesen Hass schon eine ganze Weile gespürt." "War es das, das euch so angestrengt hat?" hörte Allen sich selbst sagen. "Ja, denn dieser Hass ist schon hier zehnmal stärker, als die Spur, der wir folgen. Da das richtige heraus zu filtern, ist sehr anstrengend." Allen und auch Millerna schwiegen eine Weile. "Ehrlich gesagt, habe ich nicht viel verstanden." Sagte Millerna schließlich. "Und ich denke, Allen geht es nicht viel anders." Er nickte. "Aber eine Frage habe ich da noch. Wenn dieser Hass dort so stark ist, was verursacht ihn? Und sind wir in Gefahr? Wir fliegen ja direkt darauf zu." Flöte schaute nachdenklich aus dem Fenster. "In Gefahr nicht direkt, jetzt noch nicht. Es ist noch viel zu schwach, um jemanden von euch zu beeinflussen. Aber ja näher wir kommen, desto stärker wird er. Und was die Herkunft betrifft: ich weiß es nicht. Aber es kommt mir bekannt vor. Ich bin etwas ähnlichem schon einmal begegnet. Wenn ich nur wüsste, wann..." Allen wurde noch mulmiger als zuvor. Keiner der anderen hatte sich über ihre Wortwahl gewundert, aber er hatte sehr wohl gehört, was sie gesagt hatte. Nicht ob oder wo, sondern wann. Millerna verließ die Brücke, um nach Dryden zu sehen, und ihm zu erklären, was mit Thana war. Auch wenn sie dabei wahrscheinlich nicht sehr erfolgreich war. Sie hatte es ja selbst nicht richtig verstanden. Allen befahl, den Kurs wieder auf zu nehmen, und stellte sich dann hinter Flöte. Nachdenklich schaute er auf sie herab. Dann hörte er sie leise flüstern. "Schatten in der Dunkelheit, weder hör ich dich, noch seh ich dich. Doch ich kann dich spüren. Deine Existenz. Deinen Herzschlag. Deinen Hass. Ich verkrieche mich unter meiner Decke, und hoffe, dass du mich nicht findest. Doch du bist immer da, denn du bist in mir. Deine Existenz macht mir Angst. Meine Angst verleiht dir Kraft. Ich erschaffe dich, und ich ernähre dich, doch du frisst mich auf. Bin ich morgen dein Diener, oder bin ich jetzt schon du?" Schaudernd blickte Allen nach vorne auf das Sturmgepeitschte Meer, und ihm kamen die Worte einer alte Ballade in den Sinn: ...und am Horizont wogen die Wellen der Finsternis. "Hinsetzten!" Van tat, was der Mann ihm befahl. Nach der Fahrt durch die golden glitzernde Stadt waren er und Hitomi in den Palast der tausend Sonnen gebracht worden. Einen solchen Prunk hatte er noch nie gesehen. Die Gebäude aus schneeweißem Marmor, penibel gepflegte Gärten und Bäume, Gänge mit kostbaren Behängen. Dann waren sie getrennt worden. Hitomi hatte in all der Zeit kein einziges Wort gesagt, und nun saß er hier auf daunenweichen Kissen, und fragte sich, was jetzt geschehen würde. Eine andere Tür, als die, durch die er gebracht worden war, öffnete sich, und ein verschwenderisch gekleideter junger Mann trat ein. Die Haare kurz und akkurat geschnitten, die Kleider mit goldenen Ornamenten und Edelsteinen übersäht, wie Van sie noch nie gesehen hatte, stolzierte er mit hochnäsigem Blick auf ihn zu und setzte sich ihm gegenüber. "Ihr seid also der Geflügelte. Ich mir euch eindrucksvoller vorgestellt." "Mein Name ist Van. Und ihr könnt mir ja die Fesseln abnehmen, und mir ein Schwert geben. Mal sehen, wie eindrucksvoll ich dann bin." Sein Gegenüber verzog indigniert das Gesicht, und Van hätte diesen Ausdruck gern mit seiner Faust vertieft. "Wie barbarisch! Ich hoffe, eure Freundin ist nicht so... ungestüm." Van beschloss, nicht darauf einzugehen. "Was ist mit ihr?" "Ihr geht es gut, Van." Hörte er eine bekannte Stimme neben sich. "Wie oft muss ich dir das denn noch sagen? Und du Shin, reize ihn nicht so. Er hat es nicht verdient, und der Zeitpunkt ist auch nicht gerade günstig." Auf einmal fiel alles Stutzerhafte von seinem Gegenüber ab. Van traute seinen Augen nicht. Shin wirkte auf einmal eher wie ein General vor dem Kampf. Er schaute Mai besorgt an. "Du hast es auch gespürt?" Sie nickte besorgt "Das war nicht schwer, Brüderchen. Es ist sehr deutlich, wenn man weiß worauf man achten muss." Einen Moment sah sie Van nachdenklich an. "Was ist mit euch? Habt ihr auch etwas seltsames gespürt?" Van zögerte. Das hatte er tatsächlich. Einen unbändigen Hass, der ihn um ein Haar überwältigt hätte, jetzt aber fast verschwunden war, aus welchen Gründen auch immer. Aber sollte er es ihnen sagen? Sein Zögern war ihnen Antwort genug. "Hass? Das Gefühl, das dir jeder auf den Geist geht, auch, und vor allem die, die du magst?" "Ja." Van schauderte. "Vor allem auf die, die man mag." "Hitomi." Keine Frage, sondern eine Feststellung. Van antwortete nicht. "Wird es nicht langsam Zeit, mir zu sagen, was ihr von mir wollt?" Shin wollte abwinken, aber seine Schwester hielt ihn auf. "Sei nicht so voreilig. Vielleicht ist es kein Zufall, dass er hier ist. Du kennst die Geschichte nicht. Er und dieses Mädchen haben erstaunliches gemacht. Auch wenn man die Übertreibungen weglässt, haben die zwei fast allein jemanden sehr mächtiges besiegt. Er war das Schwert, und sie hat ihm angeblich die Zukunft voraus gesagt." "Stimmt das?" fragte Shin. "Und wenn es so wäre." "Solltest du mir das lieber sagen. Es könnte dir das Leben retten. Wir haben keine Verwendung für einen nutzlosen Störenfried." "Es stimmt, was Mai sagt, auch wenn unsere Rolle nicht so groß war, wie sie gesagt hat." "Bescheiden, was? Mai, meinst du, sie ist es?" Mai stöhnte resignierend auf. "Woher soll ich das wissen. Es spricht alles dafür, aber selbst wenn... Es heißt nur, sie werde der Schlüssel sein." Nun platzte Van der Kragen und wütend sprang er auf. "Was soll das heißen? Wozu ist Hitomi der Schlüssel? Ich will endlich wissen, was hier gespielt wird!" "Der Schlüssel um unseren Kontinent zu retten. Und wenn sie es nicht ist, wirst du hier mit uns sterben." Van sackte wieder in die Kissen zurück. >Nicht schon wieder. Warum muss sie immer in alles hinein gezogen werden? Sie ist doch nur ein ganz normales Mädchen!> In diesem Moment kam eine Dienerin, und flüsterte Mai etwas ins Ohr. "Es geht los Shin. Li will sie vor dem T'ang sehen." Die beiden standen auf. Shin folgte der Dienerin, und Mai machte Van ein Zeichen, ihm zu folgen. >Warum mache ich das? Ich könnte mich einfach auf sie stürzen, sie erwürgen und ihr dann den Schlüssel...< Er blieb erschrocken stehen. >Wieder dieser Hass! Was war das?< Er bemerkte, dass Mai ihn anstarrte. Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, ging sie weiter, ohne ein Wort zu sagen. >Hat sie gemerkt, was los war?< fragte er sich. Auf alle Fälle steckte mehr in ihr, als es den Anschein hatte, das hatte das Gespräch mit ihrem Bruder bewiesen. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto deutlicher spürte Van diesen Hass. Dann stand plötzlich Hitomi vor ihm. "Hitomi, geht es dir gut?" "Ja, danke für die Nachfrage! Hättest dich ja mal eher um mich kümmern können!" Van zuckte getroffen zusammen. Sie war immer noch so seltsam. Er sagte sich, dass sie es nicht so meinte, aber trotzdem blieb etwas zurück. Er erinnerte sich an Allens Worte "Sie hat dich Wochenlang nicht gesehen, und du kümmerst dich nicht um sie." Hatte er das wirklich nicht? War sie deshalb so? Hatte dieser Hass sie zwar beeinflusst wie ihn, aber hatte er sie nur das sagen lassen, was sie dachte? Und wie war es dann mit ihm? Er hatte Dinge gedacht, die... Die Tür vor der sie standen ging auf. Mai trat hindurch, und Van und Hitomi taten es ihr nach, unterstützt durch einen Stoss mit der Lanze der Wachen. Hitomi hielt betont Abstand zu ihm und sah nur verärgert aus, was Vans Angst nur steigerte. Sie war eigentlich ein schüchternes Mädchen, und dieser Raum, nein, dieser Saal war gebaut wurden um einzuschüchtern. Der Fußboden war aus einem ihm unbekannten, weißen Stein, der den Eindruck machte, gar nicht vorhanden zu sein. Es war, als ob man auf Luft liefe. Die Säulen bestanden aus polierter Jade, und die Behänge aus feinster Seide. Und an den Gewändern der versammelten Würdenträger und sogar an den Uniformen der Soldaten glitzerten alle Edelsteine der Welt. Nicht mal die Sippe Fassa, die reichsten Händler überhaupt und vermögender als jedes Königreich, hätten einen Prunk wie diesen auch nur in Ansätzen schaffen können. Dann sah Van den Mann. Mit unbewegtem Gesicht stand er da, und schaute sie an. Kein Muskel in seinem Gesicht bewegte sich, und doch wusste Van in diesem Augenblick, dass dieser Mann seinen Tod wünschte- und dass er keine Skrupel hatte. Die Aura des unglaublich Bösen, die diesen Mann umgab, ließ ihn zittern. Zu seiner Überraschung spürte er auf einmal, wie Hitomi sich an ihn drückte. Bevor er sich über ihre plötzliche Verhaltensänderung wundern konnte, sah er ihren Gesichtsausdruck und erschrak. Die helle Panik stand in ihren Zügen, und sie zitterte wie ein erschrecktes Rehkitz. "Wer ist das?" fragte sie in die Luft, aber es gab keinen Zweifel, wen sie meinte. "Das ist Li Tschai Tung, der oberste Minister des T'ang. Und euer größter Feind." Antwortete Mai leise, ohne die Lippen zu bewegen, und stellte sich dann vor sie. In diesem Augenblick trat ihr Bruder aus dem Hintergrund und alle verbeugten sich. "Los, macht schon!" zischte Mai, und auch sie verbeugten sich. "Er ist die Stimme des T'ang." Erklärte Mai. "Der T'ang selbst bleibt hinter den Vorhängen, unsichtbar und unhörbar für seine Untergebenen. Endlich verstand Van, warum der Ort, an dem er den Thron vermutet hätte, verhüllt war. Dann sprach Li Tschai Tung, der erste Minister. Er wandte sich an den Prinzen und seine sanfte Stimme stand in krassem Gegensatz zu seiner Ausstrahlung. "Chieh hsia, was haben diese Hung Mao in diesem Palast zu suchen?" "Sie sind Gäste des T'ang." Antwortete Shin als Stellvertreter für seinen Vater. "Warum hat der T'ang die Barbaren eingeladen? Was sollen sie hier?" "Der T'ang hält es nicht für angebracht, seine Pläne mit seinen Dienern zu diskutieren." Wie ein Hammerschlag traf die Flutwelle des Hasses gegen die Dämme in Vans Geist. Die Welt verschwamm vor seinen Augen, und er hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Zu allem Überfluss musste er auch noch Hitomi halten, die sich wimmernd an ihn klammerte. Als er wieder sehen konnte, hatte sich das Bild im Thronsaal geändert. Mehrere der Anwesenden waren ohnmächtig geworden oder auf die Knie gesunken, und hielten sich ihren Schmerzenden Kopf. Das Böse in diesem Raum war so greifbar, dass man es mit einem Messer hätte zerschneiden können. Hitomi klammerte sich immer noch an ihn, und war nicht mehr ganz bei Bewusstsein. Ihre Augen schauten blicklos ins Leere, und ihr Kopf pendelte ruckhaft hin und her. Van versuchte, sie so gut wie möglich festzuhalten. Er wusste nicht wieso, aber er war sich sicher, dass er darauf keine Rücksicht nehmen konnte. Wenn sie jetzt Schwäche zeigen würden, hätten sie verloren. Der selben Meinung schien auch Mai zu sein, die sich zwischen sie und den Minister gestellt hatte. "Ihr müsst durchhalten!" sagte sie mit gepresster Stimme. Sie hatte sich nach vorn gebeugt, als ob sie gegen einen Sturm ankämpfen würde. >Vielleicht tut sie das ja auch!< schoss es Van durch den Kopf. Er schaute sich um. Bisher schienen er und Hitomi anfälliger gegen die Hassgefühle gewesen zu sein, als alle anderen. Aber obwohl er und Hitomi schwer getroffen worden waren, waren sie noch bei Bewusstsein. Das konnte man von einer Reihe anderer Leute nicht behaupten. Immer noch sanken mehr und mehr Menschen auf die Knie, und die, die es bereits waren, verloren das Bewusstsein. Allerdings schienen einige auch vor Kraft zu platzen. Was das bedeutete, darüber wollte er lieber nicht nachdenken. Dann ließ der Sturm nach. Auf einmal war der Hass verschwunden, nur noch eine vage Andeutung wie ein Schatten blieb zurück. Und etwas anderes. Etwas heimtückisches. "Ich fordere die Probe im Labyrinth der tausend Wege!" Lis Stimme war ruhig, und doch war die reinste Niedertracht in ihr zu hören. Das Raunen im Saal verhieß nichts gutes. Auch Mai und Shin waren blass geworden. "Das wäre ein Verstoß gegen die Gastfreundschaft." Antwortete Shin, aber Van merkte, dass das bloß ein hilfloser Versuch war, ihn aufzuhalten. "Dann bittet der oberste Minister untertänigst um eine Unterredung mit dem T'ang, Chich Hsia." Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. Van sah die Angst und die Hilflosigkeit in den Augen Shins. Aber warum? Mai hatte doch gesagt, ihr Vater stehe auf ihrer Seite? "Das wird nicht nötig sein. Der T'ang hat vollstes Vertrauen zu seien Gästen. Es soll geschehen, wie du verlangst hast, oberster Minister. Morgen früh werden sie in das Labyrinth der tausend Wege gebracht werden." >Rückzug< dachte Van. >Oder eher Flucht. Was bedeutet das?< Mit einer Verbeugung- die er sicher nicht ernst meinte- entfernte sich Li und Mai bedeutete ihnen, es ihm nach zu machen. Mühsam zog Van die immer noch verwirrte Hitomi mit sich. Okay, da das ja nicht immer so klappt, wie man will, hoffe ich mal, dass es jetzt geht. Ist schon der 3. Versuch... Ach, bevor wer fragt: Die Prozente stimmen nicht, auch wenn ich die ändere. Das sind nur die Kapitel. Da noch eine ganze Menge folgen wird,(was ich gar nicht geschrieben habe), kann ich das eh nicht abschätzen. Und dranbleiben! Es kann nur besser werden- ich lerne jedes Mal. Kapitel 3 - Labyrinthe "Ich glaube, es wird Zeit, mir etwas zu erklären." Sagte Van, nachdem er sich vergewissert hatte, dass Hitomi eingeschlafen war. Mai hatte ihr ein Schlafmittel gegeben. Nun schlummerte sie tief und fest in einer Ecke von Mais Zimmer. Van und die beiden Geschwister hatten sich an einen kleinen Tisch gesetzt, und nun hatte er seine Forderung gestellt. Shin und Mai sahen sich in einer Art an, die klar machte, dass sie wussten was er meinte. "Es tut mir leid, aber..." begann Shin, wurde aber von Van unterbrochen. "Leid, es tut euch leid!" Er hielt seine Hände hoch. "Von diesen Fesseln habt ihr mich befreit, aber nicht von denen der Unwissenheit. Ihr sagt, ihr braucht Hitomi. Gut. Warum auch immer. Ich kann nicht sagen, dass ich euch mag, aber was immer dieser Li ist, er muss aufgehalten werden. Wenn ihr meint, nur Hitomi kann es, wird es langsam Zeit, mir zu sagen warum. Und was Li eigentlich ist. Und" kam er Shin zuvor, der den Mund schon auf hatte "was zum Teufel mit diesem Labyrinth ist, und was mit eurem Vater ist. Ich denke, er hat uns hierher geholt?" "Nicht dich. Nur das Mädchen." Sagte Shin bissig. "Er ist tot." Ihre Stimme war auf einmal von Trauer erfüllt "Mai!" sie winkte ab. "Unser Vater, der T'ang ist tot. Umgebracht von Li. Aber es gibt natürlich keinen Beweis dafür. Und wenn bekannt wird, das er tot ist, wird Li die Macht blutig an sich reißen. Er hat heute schon die Hälfte des Reiches auf seiner Seite. Wenn er an die Macht kommt, ist das der Untergang." "Aber Shin ist doch der Prinz, oder?" "Ja, aber das heißt nicht, dass ich automatisch der Nachfolger meines Vaters werde. Er wurde ermordet. Er hat das Mandat des Himmels verloren, und ob es von den Göttern an mich weiter gereicht wurde, bestimmen die Priester- die Li unter seiner Kontrolle hat. Er würde sich selbst zum neuen T'ang ernennen." Jetzt hatte Van verstanden. Er kannte etwas ähnliches aus Freid. Auch dort konnten die Priester den Herzog absetzten. "Also darf nicht bekannt werden, dass euer Vater tot ist. Und darum wollte Li auch, dass er mit dem T'ang "reden" darf." "Ja, und darum konnte ich auch nicht verhindern, dass du und das Mädchen in das Labyrinth geschickt werdet." "Und was ist das?" Shin und Mai zögerten. "Es nützt uns gar nichts, wenn ihr es mir nicht sagt. Ich weiß, dass es nicht sonderlich schön dort sein kann. Was ist es? Eine Folterkammer?" Mai lachte auf, aber es war ein grässliches Lachen. "Eine Folterkammer- ja, eigentlich schon." "Das Labyrinth der tausend Gänge ist ein Ort unter dem Palast, in den alle gebracht werden, die vom T'ang oder einem seiner Minister angeklagt werden, für deren Schuld es aber keinen Beweis gibt. Es ist eine Art Göttergericht. Soweit ich weiß, hat es bisher nur einer geschafft, es lebend zu durchqueren." "Und wer war das?" Diesmal antwortete Shin. "Jemand, der behauptete, die Stimmen der Götter zu hören. Sein Name war Wang Mu. Er behauptete, die Zukunft zu kennen, und deshalb kam er ins Labyrinth. Alle hielten ihn für tot, aber nach zwei Monaten kam er wieder hinaus, halb verhungert, aber lebendig- und mit einer ungeheuren Macht." "Das ist doch nur eine Legende, oder?" fragte Van. "Nein, ich habe ihn noch gekannt." Bei der Geburt meiner Schwester hat er ihr die Zukunft prophezeit. Nach seinen Worten, würde das 'Böse an sich' an ihrem sechzehnten Geburtstag über unser Reich kommen, und es gäbe nur einen Weg uns alle zu retten. Und ein ganz bestimmtes Mädchen wäre der Schlüssel dazu." "Und ihr meint, dieses Mädchen ist Hitomi?" Mai blickte sie unschlüssig an. "Ich weiß es nicht. Sag mir Van, woher kommt sie?" Vans zögerte eine Weile. Sollte er es ihnen sagen? Warum eigentlich nicht? Zu verlieren hatte er nichts. Und so wie sie gefragt hatte, erwartete sie vielleicht genau die Antwort, die er ihr geben konnte. "Sie kommt vom Mond der Illusionen." Shin konnte mit diesem Begriff nichts anfangen, aber Mai atmete deutlich hörbar auf. "Den Göttern sei Dank!" rief sie und erklärte ihrem Bruder "Das ist ihr Name für das Auge der Vergangenheit." "Dann ist sie es wirklich?" fragte er seine Schwester. "Ja, wenn der alte Mann recht hatte. Er hat nämlich prophezeit, dass das besagte Mädchen vom Ort unserer Vorfahren kommen würde." "Vom Ort eurer Vorfahren?" Van wunderte sich. Das war das erste mal, dass er jemanden traf, der seine Herkunft auf den Mond der Illusionen bezog, und es nicht für eine Legende hielt. Selbst Dryden hatte Atlantis für einen Mythos gehalten. Aber ihre nächsten Worte machten deutlich, dass sie nicht Atlantis meinten. "Unsere Vorfahren kommen vom Mond der Illusionen- oder dem Auge der Vergangenheit, wie wir es deswegen nennen.Vor dreitausend Jahren gab es eine Rebellion gegen den alten T'ang. Er verlor. Aber die Götter hatten ein Einsehen mit ihm, und trugen ihn seine Getreuen hierher, an diesem Ort. Shin und ich sind direkte Nachfahren dieses T'ang." >Eine dreitausend Jahre alte Dynastie! Und jetzt wird sie vielleicht untergehen. Unglaublich.< "Van." Er schaute Mai fragend an. "Hitomi ist die einzige, die uns retten kann. Aber wir können nichts für sie oder dich tun. Morgen werdet ihr in das Labyrinth gebracht. Wenn sie stirbt, stirbt auch unsere Hoffnung." Sie stand auf, und ging zu Hitomi, die von all dem nichts mitbekommen hatte. "Sie ist unsere einzige Hoffnung. Van, ich spüre, dass sie dir viel bedeutet. Und du ihr auch." Van reagierte nicht auf ihre Worte. Sie trafen genau das, was er befürchtete, nämlich, dass es nicht so war. "Bitte, beschütze sie. Beschützte sie mit deinem Leben, aber pass auch auf dich selbst auf. Im Thronsaal, als Li euch angegriffen hat- da habe ich es gesehen. Sie hat sich an dich geklammert. Sie hat bei dir Schutz gesucht. Und da ist es mir klar geworden. Li weiß Bescheid. Er weiß, dass sie das Mädchen ist, von dem die Prophezeiung spricht. Und dass er sich soviel Mühe macht, bedeutet, dass er sie fürchtet. Das lässt mich hoffen." "Er fürchtet sie?" "Ja. Ich habe euch beobachtet. Seid wir hier angekommen sind, hat sie sich benommen, als ob sie dich aus tiefsten Herzen hasst. Und du warst auch ein paar Mal nah dran. Li versucht euch auseinander zu bringen. Ich weiß nicht warum, aber er meint, dass nur ihr beide ihn besiegen könnt. Und seit dem Thronsaal weiß ich auch warum. Als Lis Druck auf Hitomi nachgelassen hat, weil er uns alle angegriffen hat, hat er die Kontrolle über sie verloren. Du warst es, der sie gehalten hat. Du hast ihr Kraft gegeben. Und das ist genau das, was Li befürchtet. Ich bitte dich, gib ihr die Kraft, uns zu retten. Wir können es nicht." Van schauderte. Er wusste nicht, ob Hitomi wirklich das konnte, was sie von ihr verlangten. Und noch weniger wusste er, wie er ihr helfen sollte. Aber eines war sicher. Er würde Hitomi beschützen, was auch immer geschah. Und er würde diesen Li aufhalten. Denn wenn er es nicht schaffte, würde Li sie beide umbringen. Mir einem Ruck stieß der Crusador an den Fels. "Verdammter Wind!" fluchte Gades über die Böen, meldete aber sofort darauf "Leinen fest, wir sind verankert!" "Gut!" Allen wandte sich an Flöte. "Und der Wind wird uns hier nichts anhaben können?" "Wind macht nichts, und der Sturm kommt hier nicht her. Ich werde jetzt Thana wecken gehen. Und ihr alle solltet das Gegenteil machen, und euch schlafen legen. Morgen Mittag ungefähr erreichen wir den westlichen Kontinent, und wer weiß, was uns dann erwartet." "Woher willst du wissen, dass der Kontinent dort ist?" "Weil sich das Schiff, das wir verfolgen dort seid heute früh liegt. Und weil von dort der Hass kommt. Kann sein, dass es kein Kontinent, sondern nur eine der vorgelagerten Inseln ist, aber wie auch immer, unser Ziel liegt dort. Entschuldigt mich." Mit ungestümen Schritten ging das kleine Mädchen an ihm vorbei. >Seit das mit Thana passiert ist, ist sie wie eine rachsüchtige und rücksichtlose Königin. Aber ich kann es ihr nicht verübeln.< "Gades, sorg dafür, dass die Männer morgen ausgeruht sind. Ich werde mir mal die Insel etwas genauer ansehen." "Das ist keine kluge Idee, Kommandant. Falls der Sturm doch einen Weg hinter diese Insel finget, werdet ihr davongetragen wie ein welkes Blatt." "Das passiert nicht. Sonst würden da draußen keine Büsche stehen- jedenfalls keine, die noch Blätter haben." Gades grummelte noch etwas, aber er kannte Allen lange genug, um zu wissen wann es sinnlos war, ihn umstimmen zu wollen. "Aber passt trotzdem auf, Kommandant!" "Das werde ich, Gades, versprochen." Nachdenklich ließ er seinen Blick über das tosende Meer streifen. Nur wenige Meter von der Insel entfernt übernahm der Sturm wieder die Kontrolle über die Elemente, und peitschte das Meer zu meterhohen Wellen. Selbst hier, geschützt durch einen Felsen im Rücken, der den Crusador verdeckte, riss der Wind ihm die Haare fast davon und trieb ihm winzig kleine Tröpfchen in das Gesicht. Mühsam ordnete er seine Haare so an, dass sie hinter seinem Kopf flatterten, denn er wollte einen freien Blick. Er wollte hinaus sehen auf das wütende Meer, über das das Schiff der Fremden seine Freunde gebracht hatte. >Hitomi, Van, ich werde euch finden und befreien. Das bin ich euch schuldig. Ihr habt nicht nur mein Leben und das vieler anderer gerettet. Ihr habt mir auch meine Schwester zurück gegeben. Ach, Serena. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurück drehen. Sie haben dir zehn Jahre deines Lebens genommen, und mir in gewissem Sinne auch. Ich hoffe für dich, dass du dich nie an diese Zeit erinnerst.< "Warum so traurig, Herr Ritter? Was bedrückt euch?" Allen schaute überrascht nach rechts. Dort stand Thana, und blickte ihn mit einem undefinierbarem Funkeln in den Augen an. "Thana! Ich hätte nicht erwartet, euch zu sehen, vor allem nicht hier." Ihre Antwort bestand nur aus einem Lächeln. "Darf ich mich neben euch setzten?" "Aber sicher" Er rutschte ein Stück zur Seite. "Und bitte, nennt mich Allen. Das habe ich euch schon einmal gesagt." "Das habt ihr." Auch Thana hatte Mühe, ihr langes, schwarzes Haar zu bändigen. "Aber die Situation hat sich geändert. Seid ihr sicher, dass ihr mich noch kennen wollt, nachdem was ich beinahe getan hätte?" "Das wart nicht ihr. Flöte hat es erklärt." "Hat sie?" Ihre heftige Reaktion überraschte ihn. "Hat sie euch gesagt, was ich in diesem Moment empfand? Hat sie euch von dem Hass erzählt, der in mir tobte? Das Vergnügen, als ich mir vorgestellt habe, wie sie verblutend da liegen würde? Habt ihr eine Vorstellung von dem, was ich jetzt fühle?" Sie saß eine ganze Weile stumm da, mit geballten Fäusten, und starrte auf das tosende Meer. Dann machte sie eine vage Geste hin zu den Wellen. "Gegen das, was in meinem innersten tobt, ist das hier nur ein laues Lüftchen. Ich... ich war eine Bestie. Ich sudelte mich in dem Verlangen nach Blut." Erschrocken griff Allen nach ihren Schultern, und zwang sie, ihn anzusehen. "Hört auf, solchen Unsinn zu reden. Das seid nicht ihr gewesen. Etwas hatte die Kontrolle über euch." Ihr hysterisches Lachen machte ihm Angst. "Oh ja, etwas hat die Kontrolle über mich gewonnen. Aber kam es wirklich von außen? Muss ich nicht selbst so sein, um einen solchen Hass fühlen zu können? Wisst ihr, das war nicht das erste Mal, oh nein, meine halbes Leben bestand aus Hass. Oh, wenn ihr wüsstet, wie oft ich davon geträumt habe, Akoth zu töten." >Und vor ein par Tagen in der Höhle habe ich es getan. Und es genossen.< "Einzig und allein Flöte hat mich davon abgehalten. Ich bin sicher, sie hat mich irgendwie beeinflusst. Ich habe zehn Jahre mit ihr zusammen gelebt, mit ihr, dessen bester Freund der Drache ist, der meine Eltern getötet hat. Ich habe mich nie darüber aufgeregt. Nicht einmal. Ich habe oft davon geträumt, ihn zu töten. Verdammt, ich habe es Flöte bestimmt ein paar hundert Mal angedroht. Ich habe mich nie auch nur auf den Weg gemacht. Und erzählt mir nicht, dass es so war, weil ich gewusst habe, dass ich nicht gewinnen konnte. Das ist Unsinn. Das hätte mich nicht davon abgehalten. Sie muss es irgendwie getan haben. Aber das ist heute sowieso egal, oder? Der Punkt ist, ich hätte es genossen, Flöte sterben zu sehen, wie ich es genossen habe, Akoth in meinen Träumen umzubringen. Der Hass ist in mir." Allen hatte sie die ganze Zeit nicht unterbrochen. Er wusste, das sie es hinaus lassen musste. Nun hielt er sie fest in seinen Armen, und versuchte sie zu trösten, während sie langsam zu weinen anfing, und ihre Tränen die Nässe auf seinen Gewändern noch vergrößerten. Erst viel später versiegten ihre Tränen, und ihr Körper hört auf zu zittern. Halt suchend hielt sie sich weiter an ihm fest. Dann hob sie ihren Kopf und schaute ihm in die Augen. "Was müsst ihr jetzt von mir denken?" fragte sie traurig. Mit der Andeutung eines Lachens antwortete er ihr "Nichts von dem, was ihr jetzt denkt. Ich halte euch weder für schwach, verrückt... oder auch von Hass erfüllt, Thana. Ich halte euch für jemanden, der endlich eine unnütze Last von sich abwerfen konnte. Jemanden, der genau wie alle anderen Zweifel an sich selbst hat." "Wollt ihr damit sagen, dass auch ihr an euch zweifelt?" fragte sie scherzhaft, verstummte aber, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. "Ja, auch ich zweifle manchmal an mir selbst. Jeder tut das." Thana sah ihn eine Weile schweigend an, und auch er sagte nichts mehr. Dann fragte sie "Wollt ihr mir davon erzählen?" Und ohne seine Antwort abzuwarten "Wisst ihr, ich kann es spüren. Trotz Flötes scheußlichen Trank kann ich immer noch die Gefühle um mich herum spüren. Darum habe ich den Crusador verlassen. Ich wollte allein sein, aber das bringt nichts. Ich komme nicht weit genug von ihnen weg. Und jetzt sitze ich hier, neben euch, berühre euch. Ich kann eure Gefühle fast so deutlich spüren, wie meine. Ihr habt Angst. Nicht nur wegen Hitomi und Van. Wegen ihnen am meisten, und das haben hier alle. Aber da ist noch etwas in euch." Während sie sprach, änderte sich ihre Miene von Neugier über Verwirrung bis zu so etwas wie Mitleid. Sie strich behutsam über seine Wange und schaute ihm tief in die Augen. "Tiefer. Älter. Ein Mensch, der euch bestimmt hat." Allen zögerte. Aber ihr Blick zwang ihn zu einer Antwort. "Serena. Meine Schwester. Wegen ihr bin ich Ritter geworden. Sie... sie verschwand vor zehn Jahren. Ich habe nie aufgegeben, nach ihr zu suchen. Und dann, dann musste ich feststellen, was die Hexer aus Zaibach ihr angetan hatten, meiner kleinen unschuldigen Schwester." Er stockte, wollte nicht weiter erzählen, schließlich wusste außer Eries, Millerna, Van und Hitomi niemand die ganze Geschichte, aber Thana hatte ihn in ihrem Bann, und so erzählte er ihr alles was er wusste. Von ihrem Verschwinden, seiner Suche, Dilandau, und schließlich von dem Moment, wo er feststellen musste, wer Dilandau war. Als er geendet hatte, merkte er, dass er nicht mehr Thana, sondern den Horizont anschaute, der sich weit von ihm entfernt über das Meer zog. Er hielt Thana immer noch in seinem Arm, aber diesmal war sie es, die ihm Kraft gab, nicht andersherum. "Eine traurige Geschichte, Allen. Vielleicht noch trauriger als meine. Wie viel Unrecht gibt es doch auf dieser Welt. Ich würde eure Schwester gerne einmal kennen lernen." "Wenn wir wieder zurück sind, versprochen. Aber jetzt lasst uns lieber zurück gehen. Es ist schon fast dunkel." "Ihr habt recht. Mir ist auch schon ganz kalt." Sie standen auf, und gingen zum Crusador zurück, Thana immer noch an ihn gelehnt. Sie verloren kein Wort mehr, aber das stille Einverständnis lag zwischen ihnen, mit niemanden über diese Stunde zu reden. Allen begleitete sie bis zu ihrer Kabine. Mit einer Verbeugung dankte sie ihm, und ging hinein. Ein paar Sekunden noch stand Allen da, dann begab auch er sich zu seinem Bett. Ein anstrengender Tag lag vor ihnen, und er wollte wenigstens versuchen zu schlafen. Keiner von den beiden hatte des kleine Mädchen bemerkt, das nun aus dem Schatten einer halb offenen Tür trat. Eine Weile stand sie nachdenklich da, dann schlich sich ein Lächeln auf Flötes Gesicht. Langsam ging sie von Kabine zu Kabine, strich behutsam über die Türen, wobei sie bei Thana und Allen ein wenig länger verweilte. Hinter den Türen sanken die Bewohner in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Das war das wenigste, das sie für sie tun konnte, dachte sich Flöte. Vielleicht würde es ihre letzte Nacht sein, und in der sollten sie nicht von Sorgen oder Albträumen wach gehalten werden. Merle blinzelte. Sie lag in ihrem Bett. Aber wie kam sie dahin? Sie konnte sich noch erinnern... Mit einem Schrei fuhr sie hoch. Van! Ihr armer Van. Verzweifelt fiel sie wieder in ihr Kissen zurück, das sie mit einem lauten "Poff!" empfing. Aber wie kam sie hierher? Der alte Mann hatte sie bestimmt nicht hergebracht. Hatte er jemanden aus dem Schloss gerufen? Wie peinlich. Eingeschlafen, oder auch bewusstlos durch die ganze Stadt getragen! Und dann als Regentin! Aber hätte man sie nicht einfach wecken können? Bis hierhin war sie mit ihren Überlegungen gekommen, als sich die Tür öffnete, und eine kleine Gestalt herein kam. "Oh, du bist wach? Prima, ich habe..." Weiter kam Blinx nicht. "Raus!" Schrie Merle, und zog die Decke über sich. "Wer hat dir erlaubt, in mein Zimmer zu kommen!" Blinx blinzelte überrascht. "Schlecht gelaunt wie? Na ja, dann kann ich das Frühstück ja wieder mitnehmen." "Frühstück?" Schon bei dem Wort lief Merle das Wasser im Mund zusammen. "Ja, Frühstück. Willst du es nun, oder soll ich es allein aufessen?" fragte er scheinheilig. "Untersteh dich! Gib es sofort her! Wer hat dir erlaubt, etwas aus der Küche zu klauen!" "Aus der Küche zu klauen!" rief er empört, musste dann aber kichern. "Zugegeben, gemerkt hat es keiner. Aber ihre Hoheit braucht ja wohl etwas zu essen. Soll ich dich füttern?" Merle kam gar nicht zu ihrer rüden Antwort. "Wenn du rummeckerst, geh ich wieder, und nehm das Essen mit." Merle verschluckte ihre Antwort, und musste dann erst mal nach Luft schnappen. Sie hatte wirklich Hunger, und sie fühlte sich zu erschöpft, um sich in die Küche zu quälen. "Also gut. Du darfst bleiben. Aber benimm dich. Und gib das Essen her." Blinx hob fragend eine Augenbraue. "Wie heißt das, eure Hoheit?" Merle wurde rot vor Wut, beherrschte sich aber. "Bitte." Brachte sie mühsam heraus. "Na also." Blinx stellte ihr grinsend das Tablett auf die Decke und beobachtete dann, wie sie das Essen in sich hinein stopfte. "Du kannst ruhig gehen. Ich kann wirklich allein essen." Er wiegte den Kopf hin und her, als ob er überlegte. "Tut mir leid." Sagte er dann "Aber das kann ich nicht. Ich soll bei dir bleiben, hat der alte Mann gesagt. Außerdem, nachdem ich dich durch die ganze Stadt geschleppt habe, hau ich doch jetzt nicht so einfach ab." Merle hustete Ohrenbetäubend, so sehr hatte sie sich verschluckt. "Du? Du hast mich getragen?" würgte sie hervor. "Ja, es sollte ja keiner merken, was mit dir los war. Die Leute blicken zu dir auf- zumindest die Kinder" fügte er nach einer Kunstpause hinzu. "Und nachdem du wegen psychs" er stolperte bei dem Wort "psychischer Erschöpfung, wie der Alte es nannte, weggetreten warst, wäre es nicht so gut gewesen, das allen zu zeigen. Der alte Mann ist wirklich schlau- und ein sehr guter Heiler. Er hat dir etwas eingeflößt, das dich die ganze Nacht hat schlafen lassen. Und ich hatte dann die Arbeit. Übrigens habe ich die ganze Nacht auf dich aufgepasst. Ich hätte eigentlich zumindest die Andeutung von Dank erwartet." Er sah ehrlich gekränkt aus. Merle wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Wenn es stimmte, was er sagte, hatte er wirklich eine ganze Menge Anstrengungen auf sich genommen. Andererseits war er so ein, so ein... "Danke." Er blinzelte überrascht. "Was war das?" "Danke!" fauchte sie Blinx an. "Aber glaube nicht, das du das noch oft von mir hören wirst. Warum hast du das eigentlich alles getan?" Er zuckte mit den Schultern, und antwortete etwas zu rasch, so als ob er die Antwort schon einige Male geübt hatte. "Der alte Erzähler hat es mir befohlen. Und es immer gut, mit dem König auf gutem Fuß zu stehen. Und wenn er zurück kommt, und ich bin sicher, dass das bald passiert, wird er mir sicher dankbar sein." In diesem Moment klopfte es an der Tür. Ihre Hoheit wurden von den Bediensteten geweckt. "Dann verschwinde ich mal. Wer weiß, was sonst noch für Gerüchte aufkommen, wenn bekannt wird, dass die Hoheit Herrenbesuch in ihrem Schlafgemach empfängt." Mit dem unverschämtesten Grinsen, das Merle jemals bei ihm gesehen hatte, sprang er aus dem Fenster und ließ sie sprachlos zurück. Blinx schlich sich aus dem Schloss, rannte noch eine Weile durch die Gassen und blieb dann schließlich an einer Ruine stehen. Überrascht erkannte er, dass es das selbe zerfallene Haus war, in dem er Merle das erste Mal getroffen hatte. >Ja, warum habe ich das eigentlich getan. Befohlen hat er mir nur, dich zum Schloss zu bringen. Warum bin ich die ganze Nacht bei dir geblieben. Aus Sorge? Ist es das, was diese Flöte gemeint hat? 'Du hast ein großes Herz, und ein großes Schicksal erwartet dich. Die Götter wachen über dich.' Die Tür öffnete sich mit einem schauderhaften Knarren. "Das soll das Labyrinth sein?" Vans Blick fiel auf einen Gang, der sich schon nach wenigen Metern in drei verwandelte. Das Licht des Morgens fiel durch einige wenige, kleine Öffnungen in der Decke, so dass es eher dunkel als hell war. Die Wände des Labyrinthes bestanden aus grob zusammen gefügten Steinen, die kaum bearbeitet waren. Mai nickte. "Ja. Der Anfang zumindest. Der Ausgang liegt am anderen Ende. Ihn müsst ihr erreichen." Sie schaute zu Hitomi, die teilnahmslos da stand. Dann beugte sie sich zu Van, und flüstere ihm ins Ohr. "Du musst auf sie acht geben. Sie wird unvorsichtig in alles hineintappen. Dort gibt es jede Menge Fallen." "Das hast du schon gesagt, und auch, dass ihr uns nicht helfen könnt." "Ja. Wenn ihr versucht zu fliehen, wird Li euch umbringen. Hör zu Van. Ich habe es noch nicht gesagt, weil ich mir nicht sicher bin, wie euch das helfen sollte. Aber es heißt, um durch das Labyrinth zu kommen, soll man nicht auf den Himmel achten, nicht auf die Erde, und nicht auf die Luft. Das Wasser zeigt dem Suchenden den Weg, und nur, wenn er alles im Gleichgewicht hält, kann er die rettende Brücke erreichen." "Was bedeutet das?" "Ich habe keine Ahnung. Niemand weiß es. Aber es ist alles, was ich habe. Viel Glück." Dann trat sie einen Schritt zurück zu ihrem Bruder, der ihnen wortlos zunickte. Dann wurden Hitomi und er in das Labyrinth gestoßen, und hinter ihnen fiel die Tür ins Schloss. Van konnte mehrere Riegel und Ketten hören, die die eiserne Tür für immer hinter ihm verschlossen. Tief atmete er die kalte und feuchte Luft ein. "Komm Hitomi. Wir haben einen langen Weg vor uns." Hitomi bedachte ihn lediglich mit einem abfälligen Schnaufen und ging los. Resigniert folgte Van ihr. >Das kann ja noch angenehm werden.< "Pass auf Fallen auf!" sagte er noch, bevor er hinter ihr her lief. "Das kannst du nicht tun, Mai. Das ist viel zu gefährlich!" Er hielt sie fest an den Schultern gepackt, aber sie entwand sich dem Griff ihres Bruders. "Und für sie nicht Shin? Sie haben keine Ahnung, was sie erwartet." "Du auch nicht. Ich brauche dich hier, nicht dort unten. Wenn sie die ist, die uns retten wird, schafft sie das auch alleine." Mai schüttelte verzweifelt den Kopf. "Shin, Prophezeiungen erfüllen sich nicht von selbst. Man muss etwas tun. Es heißt, sie ist der Schlüssel für unsere Rettung. Das bedeutet nicht, das sie es auch ist, die uns retten kann- kann und nicht wird. Hier oben können wir nichts mehr tun. Aber da unten kann ich vielleicht noch etwas verändern. Li wird sich nicht darauf verlassen, dass das Labyrinth seine Arbeit erledigt. Er wird nachhelfen. Ich muss einfach da hinunter." Resignierend umarmte Shin seine Schwester. Er hatte gewusst, dass er sie nicht umstimmen konnte, von Anfang an. Aber er hatte es wenigstens versuchen müssen. "Viel Glück, Schwester. Ich warte auf dich. Und komm ja nicht zu spät zum Essen." Mai lachte und gab ihm einen Kuss "Ganz sicher nicht, großer Bruder." Dann kroch sie in das enge Loch, das es ihr ermöglichen würde, Hitomi und Van zu folgen. Hinab in das dunkle Labyrinth, in dem der Tod auf jeden wartete, der verurteilt wurde, es zu betreten. Monoton setzte Van einen Schritt vor den anderen. Er wusste nicht, wie lange sie schon in den endlosen, dunklen und feuchten Gängen herumirrten. Seinem Gefühl nach Tage, aber den wenigen Sonnenstrahlen nach konnte es noch nicht einmal Mittag sein. Auf alle Fälle war das Labyrinth riesig, viel größer, als er es sich in seinen schlimmsten Albträumen vorgestellt hatte. Aus der Ferne drangen immer wieder Geräusche zu ihnen, die bewiesen, dass sie sich bewegten. Einmal die Geräusche von Stallungen. Dann Waffengeklirr. Einmal sogar die Geräusche einer Küche, zusammen mit Essensduft. Die Ritzen in der Decke, die ein eine Andeutung von Licht hineinließen, schienen direkt auf dem Palastgelände zu enden. Er konnte nur hoffen, dass sie nicht im Kreis gingen. Er hatte keine Möglichkeit, den Weg zu markieren, außer er ließ sich bei jeder Kreuzung eine halbe Stunde Zeit um mit einem Stein die Wände zu ritzen. Er hatte am Anfang viele solcher Markierungen gesehen. Aber seit einiger Zeit waren auch die letzten verschwunden. Entweder hatten ihre Vorgänger aufgegeben, oder waren niemals so weit gekommen. Er hoffte, das es nur das erste war, denn die zweite Möglichkeit bedeutete Gefahr. Er hatte die Warnung vor Fallen nicht vergessen, aber bisher waren sie auf keine gestoßen. Vielleicht sollten sie in Sicherheit gewiegt werden, und die Fallen kamen erst später. Oder sie waren einfach noch nicht weit genug. Wenn die Opfer verhungerten, bevor sie zu den Fallen kamen, musste man sich um keins von beiden kümmern. Das brachte ihn wieder zu seinem vorigen Problem zurück: Den Weg. Er war mehrmals vor Hitomi gegangen, um sie zu schützen. Denn sie achtete auf gar nichts. Manchmal hatte er das Gefühl, dass sie gegen die Wand laufen würde, wenn sie in eine Sackgasse kamen. Aber das war bis jetzt nicht passiert. Dafür hatte Hitomi jedes Mal einen anderen Weg genommen als er, wenn er vor ihr herlief. Beim ersten Mal hatte er es nicht bemerkt, und sie nur durch Glück wieder gefunden. Nach dem vierten Mal hatte er es aufgegeben, und war hinter ihr her getrottet. Mehrmals hatte er versucht sie anzusprechen, aber die Reaktion bestand im besten Fall in einem ärgerlichen "Lass mich in Ruhe!" Zu seinem Schrecken war er auch nicht besser. Nachdem sie ihm zum wiederholten Mal nicht geantwortet hatte, hatte er erst im letzten Moment bemerkt, dass er einen Stein aufgehoben hatte, und dabei war, ihn ihr auf den Kopf zu schlagen. Erschrocken und am ganzen Körper zitternd hatte er ihn fallen lassen- und Hitomi hatte bei diesem Gepolter nicht einmal den Kopf gedreht. Das war fast noch erschreckender. Sie schien wie in Trance zu sein. Wieder einmal näherten sie sich einer der Kreuzungen. Die gab es etwa alle hundert Meter, aber niemals konnte man von einer zur anderen Blicken. Erstens war es zu dunkel, obwohl sich seine Augen schon daran gewöhnt hatten, und das einfallende Licht als grell betrachteten, zweitens war immer mindestens eine Biegung dazwischen. Nun gingen sie wieder auf eine dieser Kreuzungen zu, aber diesmal war es anders. Das merkten sie aber erst, als Hitomis Fuß auf einen Stein trat, der nach unten sackte. Eine halbe Sekunde später sauste ein ohrenbetäubendes, metallisches Zischen auf sie zu. Zitternd blieb die Axt nach einem Halbkreis in der Luft stehen. Van stand stocksteif, und musste einen Brechreiz unterdrücken. Die Axt war nur Millimeter über Hitomis Kopf entlang gezischt. Im fahlen Licht konnte er sehen, wie eine Strähne ihres Haares zu Boden segelte. Hätte er dort gestanden, hätte ihm jetzt ein Teil seines Schädels gefehlt. Hitomi aber strich sich nur stirnrunzelnd über die Stelle, an der ihr einige Haare fehlten, und ging weiter. "Hitomi! Bist du verrückt? Da können noch mehr Fallen..." Dieser Gedanke rettete ihn wahrscheinlich. Denn in diesem Moment fiel ihm auf, dass die Axt eigentlich zu hoch war. Die Leute in diesem Land waren meist kleiner als er, und diese hätte die Axt nie erwischt. Im letzten Moment, das Bein schon erhoben, hielt er inne. Die Steinplatte unter ihm hatte auffällig breite Ritzen. Er nahm einen Stein und legte ihn auf die Platte, wobei er sich auf den Boden legte. Dann noch einen. Zisch! Etwa einen Meter über dem Boden. Das würde jeden erwischen, der kein Kind ist. Hitomi, schon ein ganzes Stück weiter, drehte sich um und rief ärgerlich "Musst du immer rumspielen? Komm endlich!" Van seufzte vernehmlich. Vorsichtig ging er ihr hinterher. Sie schien keinem System zu folgen, hielt aber auch nie an. Es war, als ob sie den Weg genau kannte. Van hoffte, dass es nicht nur Einbildung war, und ihre Fähigkeit, das Verborgene zu sehen auch wirklich funktionierte. Noch mehr solcher Fallen, und sie würden früher oder später genau wie ihre Vorgänger enden- verschwunden im Labyrinth. Kurz nach ihnen kam eine verhüllte Gestalt den Weg entlang. Sie war ihnen bereits eine Weile gefolgt. Nun beobachtete die Gestalt, wie sich die Fallen wieder aufluden. Das Wasser des Flusses, das zu diesem Zweck umgeleitet wurde, hielt das vielfältige System der Fallen in Gang. Sobald die Falle ausgelöst war, füllte ein Rinnsal einen Behälter, der mit der Falle verbunden war. Sobald er voll war, wurde das kritische Gewicht überschritten, und die Falle- in diesem Fall die Axt- glitt wieder in ihre Ausgangsstellung. Aber der Behälter hatte ein Loch. Wenn jemand auf den Schalter trat, löste sich eine Halterung, die bei dem vorigen Geschehen eingerastet war. Der inzwischen leere Behälter war kein ausreichendes Gegengewicht mehr, und die Falle schlug zu. Doch bevor das passieren konnte, beschloss die Gestalt, diese Falle ein für alle Mal unbrauchbar zu machen. Sie hob die Hand, konzentrierte sich, und ein blass-blaues Leuchten wurde unter ihrem Umhang auf ihrer Brust sichtbar. Mit einem Kreischen verbog sich der Mechanismus hinter der Wand, und verklemmte sich. Zufrieden setzte die Gestalt ihren Weg fort, und verfolgte weiterhin Van und Hitomi. Van schwitzte erbärmlich. Aber das lag nicht an der Hitze. Es war kalt hier unten. Nass und kalt. Er schwitzte aus Angst. In der letzten Stunde waren sie mehreren Fallen nur knapp entkommen. Weitere Äxte, Falltüren und andere böse Überraschungen. Doch diesmal war es anders. Etwas stimmte nicht. Die ganze Zeit war es fast dunkel gewesen, nur eine Lichtöffnung alle paar Meter. >Warum eigentlich?< hatte er sich schon oft gefragt, aber keine Antwort gefunden. Ohne Licht wären sie schon längst tot. Vielleicht war es ein sadistischer Zug der Erbauer- Licht bedeutete Hoffnung. Und am Ende würde sich diese Hoffnung als vergebens erweisen. Er wünschte, er hätte sich anders entschieden. Dieses Labyrinth war schlimmer, als er es sich gedacht hatte. Vielleicht hätte er doch einen Fluchtversuch wagen sollen. Er starrte weiter auf das Unbegreifliche vor ihnen. Hunderte Lichtstrahlen fielen kreuz und quer über den Gang. Ein Beweis, dass die Lichtflut absichtlich erschaffen worden war. Eine Menge Spiegel mussten hinter den Wänden stecken. Aber was sollte das? Selbst Hitomi war stehen geblieben, das erste Mal seit sie das Labyrinth betreten hatten, ließ man mal die Momente weg, in denen sie sich einer Falle gegenüber gesehen hatten. Auch sie schien nicht zu verstehen, was das bedeuten sollte. Eventuell war sie aber auch nur geblendet, denn auf einmal ging sie doch weiter. Van folgte ihr in einem Schritt Abstand. Nichts passierte, als sie den beleuchteten Bereich betraten, aber das hatte nichts zu bedeuten. Die Überraschungen würden erst kommen, wenn sie sich sicher fühlten. Oder eher, wenn die Erbauer genau dieses Denken erwarteten. Krampfhaft überlegte Van, was der Zweck dieser Anlage war. Er wusste, es war in seinem Kopf. Er konnte es spüren. Irgend etwas in ihm wusste die Antwort. Im gehen schloss er die Augen, und konzentrierte sich, wie Hitomi es ihm beigebracht hatte. Aber diesmal versuchte er nicht etwas um sich herum, sondern etwas in ihm zu finden. Und da war es! Eine Pflanze, die Schreckbusch genannt wurde. Ihre Blüten waren geöffnet schutzlos den Pflanzenfressern preisgegeben. An allen anderen Stellen saßen Dornen, aber nicht bei den riesigen Blüten. Um sich zu schützen, hatte der Busch eine merkwürdige Methode entwickelt: seine Blüten waren Lichtempfindlich. Wenn es langsam dunkel wurde, zogen sich die Stängel mit den Blüten langsam zusammen. Aber wenn am Tag plötzlich ein Schatten die Blüte verdeckte, zum Beispiel der eines Pflanzenfressers, erfolgte diese Bewegung unglaublich rasch, und mit enormer Kraft. Er hatte Kinder gesehen, die sich einen Spaß daraus machten, Reisende zu beschießen, indem sie kleine Steine an diese Pflanze banden, und dann im richtigen Moment vor sie traten. Eine richtig konstruierte Schleuder konnte einen kleinen Kiesel durchaus bis zu dreißig Meter weit schleudern. Der überraschte Reisende sah nur noch eine Schar kleiner Kinder, die wegrannten. War er so dumm, sie zu verfolgen, geriet er meist in einen weiteren, bereits vorbereiteten Steinhagel. Es gab nicht nur ein Kind, das sich oder sein Ziel schwer verletzt hatte. Im letzten Moment sah er das Loch in der Wand, und riss Hitomi zu Boden. Dabei durchbrach sie den Lichtstrahl, der in das Loch fiel. Ein lautes Dröhnen ertönte, und mehrere Pfeile zischten von einer Gangseite zur anderen. >Wahrscheinlich ein Gewicht, das am Stängel befestigt ist. Bei einer langsamen Bewegung passiert nichts, aber bei einer Ruckhaften Reaktion wird das Gewicht herumgeschleudert, und trifft den Auslöser der Falle. Was für ein heimtückischer Mechanismus!< Van hatte keine Zeit, sich über seine in dieser Situation doch sehr merkwürdigen Gedanken zu wundern. Hitomi stieß ihn von sich, stand auf und schrie ihn an "Fass mich nicht noch einmal an!" "Aber ich habe dir das Leben gerettet." Meinte Van verwirrt. "Du hast mich zu Boden geworfen, du ungehobelter Klotz! Wenn du das noch einmal machst, bringe ich dich um!" Vor Zorn bebend stapfte sie davon. Van schluckte. Sie hatte es ernst gemeint. Er war froh, dass er im Moment kaum Wut verspürte. Wenn er in diesem Moment auch so geladen gewesen wäre, hätte er sich nicht zurückhalten können. Er hätte sie umgebracht. >Oh ihr Götter, helft uns!< flehte er hilflos >Oder es nimmt noch ein schlimmes Ende.< "Dort ist die Küste, Kommandant." "Gut, dann werde ich die anderen holen." "Nicht nötig. Wir sind schon da." Allen drehte sich um. Millerna, Dryden und Thana kamen gerade auf die Brücke. "Sind wir schon entdeckt worden, Allen?" Fragte Dryden. Statt ihm antwortete Flöte "Ja und nein. Die Fischer da unten werden uns schon gesehen haben. Aber es sieht nicht danach aus, als ob irgendein Alarm ausgelöst worden ist. Sie werden nicht vermuten, dass wir hier fremd sind. Auch für sie muss die Sturmbarriere unüberwindlich sein. Vielleicht glauben sie auch, dass auf der anderen Seite nichts existiert. Und wo nichts ist, von da kann auch nichts kommen." Thana trat neben sie "Es ist aber nicht sehr klug, sich darauf zu verlassen. Wir sollten vorsichtig sein." "Oh, das bin. Ich habe alles im Auge. 'Hoffe das beste, vermute das wahrscheinliche, aber bereite dich immer auf das schlimmste vor.' wie Keel so gerne sagt." Sie wollte noch etwas sagen, aber auf einmal veränderte sich etwas an ihrem Blick. Er wurde starr, und richtete sich in Flugrichtung, etwas nach rechts. "Was hat sie?" fragte Millerna, aber Thana bedeutete ihr, still zu sein. Eine ganze Weile war kein Laut zu hören. Dann kehrte das Leben in Flötes Blick zurück, und mit ihm große Angst. Flöte wurde so bleich, wie selbst Thana es noch nie gesehen hatte. Erschrocken wich sie einen Schritt zurück, und starrte das kleine Mädchen an, als ob sie sie zum ersten Mal sähe. Dann drehte Flöte sich um, und eine tödliche Entschlossenheit lag in ihren Augen. "Allen! Die Besatzung soll sich zum Kampf bereit machen. Wir werden bald auf zwei Kriegsluftschiffe treffen. Ich hoffe, es wird nicht zum Kampf kommen, aber die Zeit ist sehr kurz." Kurz wozu sagte sie nicht, und ließ auch niemandem Zeit danach zu fragen. "Gades, ändere den Kurs im siebzehn Grad nach backbord. Bindet alles an, das nicht fest verankert ist. Alle kleinen Gegenstände in Truhen, Schränke und wo auch immer, wo man sie sicher verschließen kann. Wir werden ordentlich durchgeschüttelt werden." Sie überprüfte den neuen Kurs durch einen raschen Blick aus dem Fenster. Sie hielten nun genau auf einen fernen Berg zu. "Gut, der Kurs ist in Ordnung. Richtung und Geschwindigkeit unbedingt halten, Gades. Dryden, Millerna, in eure Kabinen. Dort ist es sicherer. Thana, komm mit. Ich muss dir etwas erklären. Ich komme wieder, sobald der Feind da ist." Damit rauschte sie von der Brücke, und Thana beeilte sich, ihr zu folgen. Im hinaus rennen warf sie Allen noch einen verwirrten Blick zu, der in etwa sagen sollte "Tut mir leid, aber ich weiß auch nicht, was auf einmal los ist." Die beiden waren schon einige Sekunden verschwunden, als Allen endlich seinen Schock überwand. "Also Leute, ihr habt sie gehört. Ich habe zwar keine Ahnung, was los ist, aber sie hat uns durch den Sturm gebracht. Sie wird wissen, was zu tun ist." >Hoffe ich.< Da hatten sie die Bescherung! Van schaute nach unten. Der Abgrund war so tief, dass noch nicht einmal der Stein, den er geworfen hatte, zu hören gewesen war, als er auf dem Grund aufschlug. Wenn er aufgeschlagen war. Ein zwanzig Meter breiter Riss in der Welt, und wahrscheinlich immer noch unter dem Palastbezirk. "Durchgeschnitten!" fluchte Hitomi, warf das Seilende der Hängebrücke auf den Boden, und trampelte wütend darauf herum. Van hatte nichts anderes erwartet. Es passte einfach zu diesem verfluchten Labyrinth. Nach der ungeheuren Helligkeit und der Lichtfalle waren sie wie er befürchtet hatte in absolute Dunkelheit geraten. Schwarze, bedrückende Dunkelheit, aus der seine Fantasie immer wieder die fürchterlichsten Monster wachsen ließ. Die Dunkelheit war der natürliche Verbündete der Angst. Und beide waren hier stark. Er war Hitomis Schritten gefolgt. Lange waren sie umhergetapst, und mehr als einmal hatte er gedacht, dass sie im Kreis gingen, aber Hitomi hatte wie auch immer den Weg gefunden, obwohl sie immer noch unter Hochspannung stand, und mehr darauf achtete, dass er ihr nicht zu nahe kam als darauf, wo der Weg weiter ging. Etwas war ihm noch aufgefallen. Seit es dunkel geworden war, hatte er beständig das leise Plätschern von Wasser gehört. Das hatte ihn an Mais Worte erinnert ' Das Wasser zeigt dem Suchenden den Weg'. Vielleicht war das damit gemeint. Er konnte nur hoffen. Dann hatte er rechts von sich etwas bemerkt. Ein Lichtstrahl, der erste seit einer halben Stunde, mehrere hundert Meter weit entfernt auf einen Abgrund gerichtet, der sich in direkter Linie zu ihnen befand. Van war sich sicher, dass der Lichtstrahl wenige Sekunden zuvor nicht zu sehen gewesen war. Das bedeutete, bis eben war dort eine Wand. Und diese hatte die Sicht auf die Schlucht versperrt, die, wie er jetzt sehen konnte, direkt auf sie zu verlief... "Bleib stehen, Hitomi." "Wieso sollte ich?" fragte sie und sprang provozierend nach vorn. Van sprang ebenfalls. Mit einem gewaltigen Satz flog er auf Hitomi zu, riss sie zu Boden, und spürte wie seine linke Hand schmerzhaft über den rauen Fels schlitterte, und dann spürte er... nichts mehr. Unter seiner Hand war nichts als Luft. Bevor er sich von seine Schreck erholen konnte, stieß Hitomi ihn von sich. "Ich habe dich gewarnt!" schrie sie im Aufstehen, und trat dann nach seinem Gesicht. Van spürte es mehr, als dass er es sah, denn die Dunkelheit war noch immer fast vollkommen. Er wich ihrem Tritt aus und sprang auf. Langsam zog er sich zurück, wobei er sich zu merken versuchte, wo er war. "Hitomi, beruhige dich. Vor dir war ein Abgrund. Ich wollte nicht, dass du hineinfällst. Aber du hast ja nicht auf meine Warnung gehört, und so hatte ich keine andere Wahl." "Jetzt bin ich wohl noch schuld, oder was?" Mit diesen Worten bestätigte sie Vans Vermutung, dass man nicht mehr logisch mit ihr reden konnte. Sie würde sich alles zurecht biegen, so dass er Schuld war. Aber damit hatte er sowieso nicht gerechnet. Er hatte nur geredet, um eine Antwort von ihr zu erhalten, die ihm ihre Position verraten würde. Das hatte sie getan, und noch mehr. Die Verzerrung in ihrer Stimme kam eindeutig durch eine bestimmte Bewegung. Er duckte sich unter ihrem weit ausholenden Schlag, und ging weiter rückwärts, um Hitomi so weit wie möglich von diesem Abgrund weg zu locken. Jäh stieß er mit dem Rücken gegen die Wand, und eisiger Schrecken durchfuhr ihn. Hatte er sich verschätzt? Dann fand seine tastende Hand die Kante, die den Weg markiert hatte, durch den sie gekommen waren. Er wollte um die Ecke huschen, da traf ihn ein mörderischer Tritt in den Bauch. Keuchend sackte er zu Boden. Wieder trat Hitomi nach ihm, doch diesmal wich er aus, und brachte sie mit einem raschen Griff zu Fall. Sie hatte seinen Reflexen nichts entgegen zu setzten, und Augenblicke später hatte er sie von hinten umklammert. Mit aller Kraft zog er sie vom Abgrund weg. Hitomi wehrte sich mit aller Kraft. "Hör auf, Hitomi. Du tust dir nur weh. Beruhige dich." Doch sie hörte nicht auf ihn. Kreischend warf sie sich hin und her, versuchte dann ihn zu beißen, warf sich auf den Boden, so dass Van hinterher fiel, aber er ließ sie nicht los. Dann auf einmal wurde sie ruhig. "Lass mich los Van. Bitte." sagte sie flehend, und er war so überrascht, dass er für einen Moment seinen Griff lockerte. Aber sie reagierte nicht darauf. "Bitte lass mich los. Es tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Ich würde dir doch nie etwas tun." "Und das soll ich dir glauben, nach dem, was gerade passiert ist?" Dann spürte er, dass sie tatsächlich anfing zu weinen. "Bitte! Ich verspreche dir, ich werde dich nicht mehr angreifen!" flehte sie ihn an, und Van spürte eine Träne auf seinem Arm. "Ich bitte dich, vertrau mir Van. Ich will doch auch nicht, dass dir etwas passiert." >Vertrau mir Van. Vertrau mir Van.< hallte es in seinem Kopf. Er vertraute ihr. Trotz allem, was sie in den letzten Stunden gesagt oder getan hatte vertraute er ihr. Aber nicht diesem etwas, das sie immer wieder zu kontrollieren schien, diesem Hass, der auch ihn beinahe dazu gebracht hatte, ihr etwas anzutun. Aber wie hatte sie einmal gesagt? 'Einmal muss jemand mit dem Vertrauen anfangen.' Er holte tief Luft. "Versprich mir, dich nicht mehr aufzuregen!" "Das werde ich. Versprochen." Langsam ließ er sie los, bereit, auf einen Angriff zu reagieren. Aber sie standen auf, ohne das etwas passierte. Van hörte, wie sie sich den Dreck von den Sachen klopfte >Dabei kann sie ihn nicht mal sehen. Mädchen.< schoss es ihm merkwürdiger Weise durch den Kopf. >Auf was für Gedanken man in einer solchen Situation doch kommt!?< Hitomi kam einen Schritt auf ihn zu, und stand jetzt ganz dicht vor ihm. "Es tut mir leid Van. Es tut mir wirklich leid, dass..." sie machte eine kleine Pause, und noch bevor sie weiter sprach wusste Van, dass es vergebens gewesen war. Noch bevor sie mit verändertem Tonfall ihren Satz beendete, spürte er die Veränderung in der Luft, wie eine unsichtbare Schwingung. "...ich dich so enttäuschen muss!" schrie sie, und im selben Moment rammte sie ihm ihr Knie in den Magen. Stöhnend fiel er zu Boden, und diesmal trat Hitomi ihn in dir Rippen. "Du hast doch nicht ernsthaft erwartet, das ich mache, was du willst?" "Nein, habe ich nicht." Presste er zwischen den Zähnen hinaus, und zu seinem Erschrecken stieg die Wut in ihm an. Wie einen Tsunami fühlte er sie kommen. Erst zogen sich sämtlich Gefühle und auch die Schmerzen zurück, nur um mit brutaler Gewalt tausendfach verstärkt wieder hervor zu brechen. "Das wirst du mir büßen, verräterisches Miststück!" rief er, holte sie mit einem Tritt von den Füßen, warf sich auf sie, und fing an, sie zu erwürgen. "Alles was du getan hast, wirst du jetzt büßen! Du bist Schuld daran, dass Vargas tot ist, Fanelia verwüstet und mein Bruder zum Verräter geworden ist. Du hast tausendfachen Tod über diese Welt gebracht. Das wird nicht noch einmal passieren. Du kannst es ja in der nächsten Welt probieren, in der Hölle!" Er drückte noch fester auf ihre Kehle, während Hitomi versuchte, ihm die Augen auszustechen. Doch bevor es dazu kam, hüllte ein gleißendes, blau-weißes Licht die beiden ein. Als es erlosch, lagen sie bewusstlos auf dem kalten Steinboden. Kurz darauf kam die vermummte Gestalt zu ihnen und beugte sich über sie. Dann nahm sie die beiden, setzte sie an die Wand, und bestrich ihre Wunden mit einer Salbe, die sie aus ihrem Umhang hervor holte. Anschließend legte sie jeweils eine Hand auf die Stirn der beiden. Wieder breitete sich ein blaues Leuchten von ihrer Brust über ihre Hände zu den beiden reglosen Körpern aus. Mit einem erschöpften Stöhnen sackte die Gestalt zusammen. Minutenlang war nichts zu bemerken außer dem leisen Atmen der drei Personen. Doch plötzlich bewegte Van sich, und die Gestalt sprang erschrocken auf. Bevor Van richtig wach werden konnte, rannte sie weg. Noch war nicht der Zeitpunkt gekommen, sich zu offenbaren. Van blinzelte. Was war passiert? Er konnte sich noch erinnern, dass er mit Hitomi... Schreiend fuhr er auf. Hitomi lag neben ihm, und zu seiner Erleichterung fing auch sie gerade an, sich zu rühren. Deutlich hörte er das Rascheln ihrer Kleider in der Finsternis. Aber er hatte noch etwas anderes gehört, als er aufgewacht war. Er war sich sicher, hastige Schritte vernommen zu haben, als er zu Bewusstsein kam. In diesem Moment wurde er sich des seltsamen Gefühls auf einigen Stellen seiner Haut bewusst. Er berührte die vielen Abschürfungen und Verletzungen, die er sich hier unten zugezogen hatte, und stellte zu seiner Überraschung fest, dass fast alle von einer fettigen, aber herrlich kühlenden Salbe bedeckt waren. Jemand hatte ihn verarztet und war dann weggelaufen, aus welchem Grund auch immer. Und er stellte noch etwas fest. Es hatte sich etwas geändert, und nicht nur bei ihm. "Van? Was... was ist passiert?" Das war das erste Mal seit Stunden, dass Hitomi ihn ansprach. Und dann spürte er ihre suchende Hand auf seinem Fuß. "Van? Bist du das? Was ist los, warum ist es so dunkel? Ich kann mich nicht erinnern... Oh Gott! Nein!" Die letzten Worte flüsterte sie nur, doch dann stürzte sie sich geradezu auf ihn. "Van! Bist du in Ordnung? Habe ich dir" "Alles in Ordnung. Mir geht's gut." Antwortete er, bevor Hitomi in Panik fallen konnte. "Und dir?" "Ja, alles in Ordnung. Es tut mir leid Van, ich wollte dir nicht..." "Ich auch nicht. Und jetzt hör bitte auf, ja? Du gehst mir auf die Nerven mit deinem Gewinsel." Er stieß sie von sich, nur um erschrocken sitzen zu bleiben. Auch Hitomi rührte sich nicht. Kalte Furcht schien nach seinem Herzen zu greifen, und ihr ging es anscheinend nicht anders.. "Es geht wieder los" flüsterte sie schließlich. "Wir sollten machen, dass wir weiterkommen Hitomi." "Du hast Recht. Je schneller, desto besser." Sie standen auf, und versuchten den Weg wiederzufinden. "Van, ich wollte dir wirklich nicht..." "Ich sagte doch, es ist gut. Spar dir das Reden. Es lenkt bloß ab. Konzentrier dich aufs Vorwärtskommen, und darauf, nicht wieder durchzudrehen." "Du bist doch selber..." Ihre wütende Stimme stockte "...ist gut." schloss sie schließlich lahm. "Und denk an den Abgrund." Bemerkte Van noch. Allen schaute besorgt aus die zwei riesigen Luftschiffe, die auf sie zukamen. Sie waren ohne Zweifel auf Abfangkurs zum Crusador und- sie hatten keine Chance. Jedenfalls nicht bei einem Kampf. Schon einer der Giganten- fast so groß wie eine fliegende Festung der Zaibacher- war eindeutig zu viel für sie. Er konnte nur hoffen, dass das, was Flöte vorhatte funktionierte, was immer es auch war. Und wenn es funktionierte, dass sie nicht betroffen waren. Flötes Warnung hallte ihm noch immer in den Ohren. 'Wir werden ordentlich durchgeschüttelt werden' Mochte der Himmel wissen, was dieses Mädchen darunter verstand! In diesem Moment betrat dieses Mädchen die Brücke. Ihr Stirnrunzeln beruhigte Allen nicht gerade. "Die sind zu schnell." Sagte sie nörgelnd, ohne jemanden anzusprechen. "Gades, werde etwas langsamer, aber nur ein bisschen." Sie schaute nach rechts aus dem Fenster und ihr Gesicht hellte sich auf. Allen schaute ebenfalls in die Richtung, sah aber nur eine schwere, dunkle Wolkenschicht, die wuchs, noch während er sie ansah. "Flöte, kannst du mir mal sagen, was wir jetzt machen sollen? Ich sehe nichts, das uns helfen könnte." "Doch, das siehst du. Du erkennst es bloß nicht als solches." Allen schaute noch einmal aus dem Fenster. Immer noch nichts als diese dunkle, nun schon fast schwarze Gewitterwolke, die sich ihnen rasend schnell näherte. Wenn diese Wolke sie erwischte, bevor sie am Boden waren..." Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren hatte er das Gefühl luftkrank zu sein. "Durchgeschüttelt? Sag nicht, dass das stimmt, was ich vermute." "Wenn du das vermutest, was ich denke, das du es vermutest..." Halt suchend klammerte sich Allen an eine der Stützstreben. "Das hält der Crusador niemals aus." "Doch, wird er. Vertrau mir. Ich weiß was ich tue. Der Tornado wird uns den Weg öffnen. "Der Tornado?" Als sie es aussprach, wurde es noch schlimmer. Doch sie verzog hämisch lächelnd das Gesicht. "Du hast Recht, wohl eher die Wasserhose. Wir werden laut Plan auf sie treffen, wenn der Sturm die Grenze zwischen Meer und Land passiert." "Wie hast du das gemacht, ich meine..." Allen machte eine unbestimmte Geste auf das Meer hinaus. Sie wurde ernst. "Das ist keineswegs so leicht, wie es jetzt vielleicht den Anschein hat. Man kann eine solche Veränderung in der Natur nicht mir einem Fingerschnipsen herbei führen. Man kann es entweder über einen langen Zeitraum mit relativ wenig Kraft, oder in einem kurzen Zeitraum mit sehr viel Kraft machen." "Und das hier ist eine sehr schnelle Veränderung." Sagte Allen, aber zu seiner Überraschung widersprach Flöte ihm. "Nein. Hast du mir nicht zugehört? Nicht einmal ich bin in der Lage, einen solchen Sturm innerhalb von ein paar Minuten zu formen. Du musst bedenken, dass er ja auch noch eine gewisse Zeit gebraucht hat hierher zu kommen." Sie überlegte eine Weile, ob sie es ihm sagen sollte. "Dieser Sturm wurde nicht von mir erschaffen. Jemand anderes war es. Jemand, der den selben Gegner hat wie wir. Er hat ihn schon vor Wochen vorbereitet. Wir haben ihn nur umgelenkt. Und das war schwer genug. Er hat mit mir Kontakt aufgenommen, und wir haben uns geeinigt, zusammen zu arbeiten." "Aber wann?" "Unmittelbar, bevor ich befohlen habe, alles fest zu zurren." "Aber du warst doch die ganze Zeit hier! Wie..." "Allen! Hör auf. Du würdest es nicht verstehen. Und wir haben in der Tat keine Zeit mehr. Bereitet euch auf den Sturm vor. Ich werde uns so gut wie möglich schützen, aber auch ich kann die Natur nicht aufhalten, wenn sie einmal losgelassen ist. Niemand kann das. Auch nicht die Götter." Weit von ihnen allen entfernt saß Merle nachdenklich am Schreibtisch des Königs, auf dem sich Anträge, Beschwerden und Berichte stapelten. Aber ihre Gedanken waren nicht bei dem Papier. Papier ist geduldig. Ein sich sehnendes Herz nicht. Schweigend saß sie da, und die Fragen schleppten sich durch ihre Gedanken wie durch zähen Brei. Ihre Finger spielten mit dem Medaillon mit der Königsfamilie, das Van in den Trümmern gefunden, und ihr geschenkt hatte. >Van, wo bist du? Was ist passiert? Warum muss immer dir alles Schlimme passieren. Hitomi! Warum? Warum passieren all diese Dinge seit du hier bist? Das Drachengottvolk soll verflucht sein! Wohl eher dein Volk. Oder doch Van. Wenn du hier bist, ist er in Gefahr, aber wenn du weg bist... Weißt du, wie traurig er war? Er hat es niemandem gesagt, nicht einmal mir, aber ich kenne ihn. Ohne dich war er nicht einmal mehr ein Mensch, sondern nur noch eine leere Hülle. Leer und ohne Antrieb. Er war noch der König, stark und voller Zuversicht- aber es war nicht mehr Van. Ach Hitomi, ich weiß, dass ich ihn an dich verloren habe. Aber warum kann er nicht einfach mit dir glücklich sein? Das ist es doch, was ich will. Dass er glücklich ist. Warum müssen immer diese Dinge geschehen? Warum ist die Welt so ungerecht? Schaudernd standen sie vor dem Abgrund. Das fahle Licht versank in diesem Spalt. Ohne auf irgend etwas zu treffen. Nur Dunkelheit war dort unten, eine alles verschlingende, niemals endende Nacht. "Also dann los. Hitomi?" Er sah sie an, und merkte, dass sie zögerte. >Es geht schon wieder los.> Doch dann ging ein Ruck durch sie, und Hitomi klammerte sich an ihn. Rauschend kamen seine Flügel zum Vorschein. Doch statt weiß wirkten sie hier unten nur grau. Van schloss Hitomi fest in seine Arme und sprang entschlossen ab. Hitomi schrie auf, als sie nach unten sackten, doch dann hatte Van ihrer beider Gewicht aufgefangen, und seine Flügel trugen sie sanft über den Abgrund. Sie waren schon fast auf der anderen Seite, als plötzlich ein helles Sirren ertönte. Van stieß einen schmerzvollen Schrei aus, und begann zu torkeln. Ein Pfeil hatte seinen rechten Flügel durchbohrt, und er verlor die Kontrolle über seine Muskeln. Hitomi fing vor Schreck an, mit den Beinen zu strampeln, und das war das aus. Ohne die Möglichkeit, das Gleichgewicht zu halten, sackten sie durch. Panisch griff Hitomi nach etwas zum Festhalten. Tatsächlich gelang es ihr, eine Vorsprung in der ansonsten glatten Felswand zu umklammern. Noch ohne etwas verstanden zu haben, griff sie nach Van, und erwischte seinen Fuß. Der heftige Ruck, und das Gewicht Vans ließ sie um ein Haar ihren Halt verlieren. Stöhnend versuchte sie sich mit aller Kraft festzuhalten. Es zeriss ihr beinahe die Muskeln. "Na, was haben wir denn da?" Der Besitzer der höhnischen Stimme beugte sich über den Abgrund. "Einen Geflügelten mit gestutzten Flügeln, und ein Mädchen, das mich besiegen soll. Wahrlich eine beeindruckende Gefahr. Mich wundert es nur, dass ihr es bis hierher geschafft habt. Ihr habt wirklich einen Orden verdient. Nur zu schade, dass er posthum verliehen werden wird." Sein sadistisches Gelächter hallte durch die dunklen Gänge, und erreichte auch das Ohr der verhüllten Gestalt. >Li! Die beiden sind in Gefahr. Verdammt. Und wenn ich ihnen helfe... Ach, zum Teufel damit. Tot nützen sie mir auch nichts.< "Das wirst du mir büßen, Li!" schrie Van, und fasste nach seinem blutenden Flügel. >Durch die Schmerzen kann ich sie nicht verschwinden lassen! Und mit ihnen kann ich unmöglich an Hitomi hochklettern, dazu behindert mich der verletzte Flügel zu sehr.< "Das bezweifle ich. Du vergisst wohl die Lage, in der du steckst. Deine Freundin sieht nicht so aus, als ob sie noch lange durch halten könnte." Van erschrak. Er hatte recht. Ihr Arm fing schon an zu zittern. Lange würde sie sich nicht festhalten können. Sie war einfach zu geschwächt. Nur allein hätte sie vielleicht eine Chance. "Lass los, Hitomi!" "Spinnst du?" presste sie zwischen den Zähnen hindurch. "Du kannst nicht mehr fliegen!" "Doch, das kann ich. Glaub mir." Einen Augenblick lang sah sie ihn an, und er sah ihren Willen in ihren Augen flackern, genau so, wie auch ihre Kraft nachließ. Aber dann mischte sich Trotz hinein. "Ich lasse dich nicht los Van! Wir haben schon schlimmeres überstanden. Hörst du Li? Du kannst nicht gewinnen! Wir geben niemals auf!" schrie sie den obersten Minister an, dessen Gesicht sich vor Wut verzerrte. "So ist das also! Aber du irrst dich, du wirst ihn loslassen. Dafür werde ich schon sorgen." Eine ungeheure Welle der Wut flutete über Van und Hitomi, so gewaltig, dass sie aufschrieen. Van starrte Hitomi geifernd an. Er hasste sie! Er hasste sie wie niemals jemanden zuvor. Nicht mal seinen Bruder hatte er so sehr gehasst, als er erfuhr, dass es Folken gewesen war, der Fanelia zerstört hatte. Niemals zuvor hatte er jemanden so sehr gehasst, und er wusste, er würde auch niemals wieder jemanden so sehr hassen können. Mit aller Kraft versuchte er, an ihr hoch zu klettern, um sie dann zu töten. Der Schmerz des Hasses überfiel Hitomi und ließ sie schreien. Warum hielt sie dieses zappelnde Bündel Ekel eigentlich fest? Es musste einen Grund haben, einen sehr wichtigen, aber welchen? Welcher Grund sollte ausreichen, DAS zu rechtfertigen? Jede Faser ihres Körpers schrie danach, ihren Griff zu lockern, aber irgend etwas in ihrem Inneren hielt sie zurück. "Nein!" schrie sie. Erbebend richtete sie ihre vor Hass flammenden Augen auf Li. "Nein! Du wirst mich nicht noch einmal beherrschen!" Mit aller Kraft, die sie hatte, richtete sie ihre Wut, ihren Hass, ihren Ekel, alle Gefühle, die sie durchströmten zurück auf denjenigen, der sie verursachte. "Niemals! Hörst du?! Du hast keine Macht über mich!" Keuchend taumelte Li einen Schritt zurück. Noch nie war es passiert, dass jemand seiner Kraft wiederstanden hatte. Und er würde nicht zulassen, dass dieses Mädchen ihn besiegte! Wild kreischend richtete er alle seine Kraft auf diejenige, die es wagte, sich ihm zu wiedersetzten. Eine nie gekannte Intensität des Hasses breitete sich in ihm aus, pulsierte von den Zehenspitzen bis in die Haare, brach sich in seinen innersten Organen, und brandete zurück. Die pure Gewalt der Emotion brach durch alle Barrieren in Hitomis Geist, und verursachte einen ungeheuren körperlichen Schmerz. Wie glühendes Eisen raste der Schmerz durch ihre Nerven, und gepeinigt lösten sich ihre Finger von ihrem Halt. Halb besinnungslos stürzte sie in die Tiefe, Van hinterher, der das Bewusstsein schon verloren hatte. Der Felsen glitt an ihr vorbei. Sie wusste, dass sie fiel, aber statt hinab zu sausen, vollzog sich alles in gespenstischer Langsamkeit. Jede Rille, jeder noch so kleine Zacken in der Felswand forderte ihren Blick. Tagelang beobachtete sie, wie die Welt unendlich langsam an ihr vorüber zog. Dann bemerkte sie, dass etwas nicht stimmte. Irgendetwas an ihrer Bewegung war nicht in Ordnung. Für viele Stunden konzentrierte sie sich auf nichts anderes. Dann hatte sie die Lösung. Sie drehte sich! Sie überschlug sich während des Falls. Dabei bemerkte sie, dass sie nicht nur ihre Gedanken war. Sie hatte auch einen... Körper? War das das Wort dafür? Tage vergingen, in denen sie jede Einzelheit ihres Körpers mit ihrem Geist studierte, vielleicht sogar eine Woche. Dunkel war ihr, als ob das eine neue Erfahrung für sie wäre. Aber warum hatte sie es noch nie getan? Oder hatte sie es nur vergessen? Auf jeden Fall gab es eine Menge interessanter Dinge und Vorgänge an und in ihrem Körper. Sie hatte viel vergessen, dessen war sie sich sicher. Sie hatte schon viel wiedergefunden. Aber langsam wurde es langweilig. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte die Mauern um ihre Erinnerungen nicht einreißen. Irgend etwas war verborgen, das sehr wichtig für sie war. Aber was? Dann erweckte etwas neues ihre Aufmerksamkeit. Sie hatte in letzter Zeit nicht mehr so auf ihre Umgebung geachtet, deshalb fiel es ihr zuerst nicht auf. Es war sicher schon mehrere Stunden, vielleicht sogar einen Tag her, seit dieses etwas in ihrem Gesichtsfeld aufgetaucht war. Allerdings konnte sie nicht erkennen, was es war. Es war schwarz, wie alles hier, aber dieses Schwarz war anders. Lebendiger. Und es war nicht ein schwarzes Ding. Dieses etwas bestand aus vielen tausend winziger Teile. Haare! Die Erkenntnis machte sie für mehrere Stunden sprachlos. Haare! Sie hatte auch welche, aber diese hatten eine andere Farbe. Daran konnte sie sich deutlich erinnern. Es war faszinierend, was für Dinge es doch gab. Sie wollte mehr herausfinden, aber es gab da ein Problem. Sie drehte sich zu langsam. Dann erinnerte sie sich an etwas, das sie herausgefunden hatte. Sie sah mit ihren Augen. Wie, war ihr nicht ganz klar, es schien unvorstellbar kompliziert zu sein. Aber das war im Moment nicht wichtig. Wichtig war, dass sich ihre Augen in ihrem Kopf befanden- und dass sie diesen bewegen konnte. Mit aller Konzentration und Anstrengung, derer sie fähig war, versuchte sie, ihren Kopf in Richtung der Haare zu drehen. Sie spürte, wie ihre Muskeln nach einiger Zeit reagierten. Aber es geschah so langsam! Sie versuchte sich abzulenken, indem sie die einzelnen Haare zählte, die sie sah. Eine Weile kam sie damit ganz gut zurecht, doch dann verwirrte sie die steigende Anzahl und die Bewegung. Da sich ihr Kopf nun merklich bewegte, kam fast jede Sekunde ein neues Haar hinzu. Resignierend gab sie es auf, ihre Anzahl zählen zu wollen. Statt dessen schloss sie die Augen, und versuchte sich vorzustellen, was sie zu sehen bekommen würde. Der Sturm war grauenhaft gewesen. Der Crusador war wie von einer Riesenfaust gepackt und durch die Gegend geschleudert worden. Niemand an Bord hatte sich auf den Beinen halten können. Im Grunde war es ein Wunder, dass die Maschinen sich nicht aus den Verankerungen gerissen und alles an Bord zermalmt hatten. Aber er wollte sich nicht beschweren. Die anderen beiden Luftschiffe waren in der Luft regelrecht zerfetzt worden. Viel konnte von ihnen nicht mehr an einem Stück sein. "Alles in Ordnung Allen?" Der Ritter öffnete die Augen. Flötes Gesicht war direkt über ihm. Über ihm? Er musste wohl das Bewusstsein verloren haben, denn er konnte sich nicht erinnern, wie er auf den Boden kam. "Das war schlimmer, als ich dachte. Tut mir leid. Du hast dir den Kopf angeschlagen, aber du warst nicht lange bewusstlos. Und auch nicht der einzige." Beantwortete Flöte seine unausgesprochene Frage. Mühsam stand er auf. Die Brücke hatte die Achterbahnfahrt einigermaßen unbeschadet überstanden, und die Besatzung auch. Zumindest waren alle wach, auch wen sich einige verwundet hatten. In diesem Moment hörte er Millernas Stimme. "Ich hoffe, das passiert nicht noch einmal. Diesmal hatten wir Glück, es wurde niemand schwer verletzt. Aber das nächste Mal..." Sie schüttelte vielsagend den Kopf. "Es wird kein nächstes Mal geben." Bemerkte Flöte, die schon wieder am Fenster stand. "Das war der einzige Orkan, den wir zur Verfügung hatten." "Gott sei Dank!" murmelte Gades, der sich gerade am Steuer hochzog. "Noch so eine Rüttelpartie, und mir fallen die Zähne aus dem Mund. Vom Crusador ganz zu schweigen. Ich glaub, ich lass mich pensionieren. Ich werde langsam zu alt für so was." Niemand war fit genug, mehr als ein Grinsen aufzubringen. Nur Flöte lachte, und ging auf ihn zu. "Du wirst Ritter Allen noch lange zur Verfügung stehen." Sie legte eine Hand auf Gades Stirn, und urplötzlich ging es ihm besser. Seine Figur straffte sich, und auf einmal strahlte er eine unglaubliche Vitalität aus. "Wie, wie hast du das gemacht?" fragte er verblüfft "Mir geht es auf einmal blendend." Aber Flöte winkte ab. "Dir geht es nicht besser, es fühlt sich bloß so an." Sie musterte ihn kritisch "Und anscheinend habe ich etwas übertrieben. Na egal. Siehst du den alten Tempel dort?" Gades kniff die Augen zusammen. Das Land unter ihnen war eine total verwüstete Einöde aus umgestürzten und entwurzelten Bäumen, Sträuchern und aufgewirbelter Erde. "Meinst du die Ruine da?" "Ja. Lande dort. Wir werden dort jemanden treffen." "Dort unten hat niemand überlebt. Sieh dir doch die Oberfläche an." "Die Oberfläche, richtig." Ihr Grinsen war nur unverschämt zu nennen. "Aber jeder Tempel hat einen großen Keller. Glaub mir. Ich weiß, wovon ich spreche. Lande einfach." Gades zuckte resigniert mit den Schultern. "Wie du meinst. Alles was du willst." "Ich komme mit!" "Thana! Nein, das geht nicht. Das ist eine Angelegenheit unter uns." Allen fragte sich, wen sie meinte, und auch Gades und Millerna verstanden nichts. Thana schien im Gegenteil zu ihnen aber ganz genau zu wissen, wovon Flöte sprach. "Ich würde sagen, dass es eine Angelegenheit ist, die uns alle betrifft. Sie hat uns schließlich um ein Haar vom Himmel geholt. Außerdem..." Was immer Thana sagen wollte, sie vergaß es, als der Schmerz durch sie pulsierte. Stöhnend und ihren Kopf umklammernd sank Thana auf die Knie. Auch Flöte schrie auf, torkelte und fiel gegen Allen, der sie auffing. Doch so rasch wie er gekommen war, verschwand der Schmerz. Thana war immer noch auf ihren Knien, aber ihr Gesicht war nicht mehr schmerzverzerrt, sondern trug den Ausdruck maßlosen Schreckens und noch größerer Angst. Flöte löste sich aus Allens Armen, und das war das Zeichen für alle anderen, ihren Schreck zu überwinden. Millerna ging zu Thana und half ihr hoch. "Alles in Ordnung mit dir?" "Geht schon. Aber ich denke, nun werde ich doch mitkommen, oder?" Sie und Flöte starrten sich eine Weile gegenseitig an, und ein wilder Kampf schien zu toben. Schließlich nickte Flöte. "Ich kann es dir sowieso nicht ausreden." Viele Stunden waren vergangen, seit sie die Augen geschlossen hatte. Ihre Fantasie hatte die tollsten Dinge aus diesen wenigen Strähnen Haar gemacht. Nun war es an der Zeit, ihre Vermutungen zu überprüfen. Sie öffnete die Augen, was wegen ihrer Aufregung nur zehn Minuten dauerte. Was sie sah überraschte sie. Der Körper vor ihr war ganz anders, als sie gedacht hatte. Leider konnte sie ihn nicht ganz sehen. Aber dafür schien auch er sich bewegt zu haben, denn sie konnte nicht mehr feststellen, welche Haare sie gesehen hatte. Ihre Erinnerung stimmte nicht mehr mit dem Bild vor ihm überein. Aber das war egal, denn was sie sah, brachte ihre Nervenbahnen zum Vibrieren. Sie konnte sein Gesicht von schräg vorne sehen, und dieses Bild ließ etwas in ihr klingeln. Sie kannte dieses Gesicht, diese Augen, die jetzt blicklos waren, und die Art, wie ihm die Haare in das Gesicht fielen. Sie kannte diesen Jungen, und dieses ihn-kennen war mit vielfältigen Emotionen verbunden. Überraschung, Schreck, Verwirrung, Mitleid und vieles mehr. Sie brauchte lange, um allen diesen Gefühlen einen einigermaßen passenden Namen zu geben. Aber zwei Gefühle stachen aus allen anderen heraus. Das eine war unglaublich stark, brutal alles verzehrend und verbrennend, heiß wie eine Nova und gleichzeitig kälter als die unendlichen Weiten des Alls. Der Name des Gefühls war Hass, aber kein Wort, egal in welcher Sprache konnte benennen, was sie empfand. Kein Laut konnte die unglaubliche Intensität auch nur annähernd beschreiben, die sie empfand. Und ihre Angst vor diesem Gefühl. Das andere Gefühl war genauso stark, brannte genauso heiß, und es war genauso verzehrend. Aber vor diesem Gefühl empfand sie keine Angst. Im Gegenteil. Auch hier konnte kein Wort beschreiben, was sie fühlte, und trotzdem störte sie das nichts. Es war ein Eintauchen in einen unendlichen Ozean, schimmernd blau. Es war unbeschreiblich und doch kristallklar wie das Wasser eines Bergsees. Sein Feuer verzehrte sie, aber gab ihr gleichzeitig mehr zurück, als es ihr nahm. Für dieses Gefühl gab es viele Wörter, in jeder Sprache. Jedes Wort beschrieb eine andere Art, eine andere Intensität: Zuneigung, Verlangen, Begehren. Anbeten, anhimmeln, verehren. Wärme, Abhängigkeit, Liebe. Keines der Worte kam der Realität nahe. Mit diesem Gefühl kam auch der Schmerz. Lange überlegte sie, warum. Bilder huschten durch ihren Kopf, ohne Bedeutung. Nur eines verband sie. Sie sah sich in diesen Jungen hineinrennen. Sie und er auf einer gewaltigen Maschine, von Feuer umgeben. Sie sah ihn niedergekniet, mit einer Krone auf dem Kopf. Sah ihn beschützend vor sich stehen. Sah ihn von Schmerzen gepeinigt und von Blut überströmt. Sah ihn mit weißen Flügeln, wie er nach ihrer Hand griff. Dann jemanden, den dieser Junge- plötzlich fiel ihr sein Name ein, Van- den Van Bruder nannte. Und jemand mit langen, blonden Haaren. Er griff nach ihr, und seine Lippen berührten die ihren. Dieses Bild überlagert von diesem Van, einen unbeschreiblich traurigen, getroffenen Ausdruck in seinen Augen, der sie zum Weinen brachte. "Vaaaaannnnn!" sie wollte schreien, aber ihre Lippen waren zu langsam für ihre Gedanken. Plötzlich hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf, eine weibliche Stimme, von der sie wusste, dass sie mit Van zu tun hatte "Hitomi! Glaube an deine Kraft! Du kannst euch retten!" Hitomi? War das ihr Name? "Hitomi! Erinnere dich! Erinnere dich an das Volk von Atlantis, erinnere dich wer du bist und wer Van ist." Varié! Seine Mutter! "Ich bitte dich, erinnere dich und rette das Leben meines Kindes!" Auf einmal war alles wieder da. Ihre ganze Erinnerung kehrte mir einem Schlag zurück, und ließ sie um ein Haar das Bewusstsein verlieren. Sie war Hitomi Kanzaki, das Mädchen vom Mond der Illusionen. Nach Gaia gebracht, um diese Welt vor dem Schicksal von Atlantis zu bewahren. Hitomi, die die schreckliche Zukunft sehen konnte. Hitomi, die bald tot sein würde. Genauso wie Van. "Nein!" schrie sie. Sie hatte es endgültig satt, dass sie immer nur Unglück und Tod brachte. Wenn sie jetzt sterben sollte, war es ihr egal. Aber sie würde nicht zulassen, dass noch jemand wegen ihr sterben musste, vor allem nicht Van. Der Anhänger um Vans Hals glühte auf, hüllte sie beide in ein irisierendes, weißes Leuchten. Unglaublicher Schmerz breitete sich auf Hitomis Rücken aus. Langsam, quälend langsam riss ihre Haut auf. Unter ihren Sachen wölbte sich etwas, und dann zerfetzten strahlend weiße, noch immer leuchtende Flügel ihre Kleidung. Sie stürzte hinter Van her, in der Umkehrung der Szene, die sie gerade vor ihren Augen gehabt hatte. Als sie ihn erreichte, packte sie seine Hand, zog ihn zu sich, und hielt seinen Körper fest umschlungen. Ihre Flügel holten weit aus, und Kreise ziehend flog sie aufwärts. In dem Augenblick, in dem sie oben anlangte und aufsetzte, brach sie zusammen. Sie konnte noch feststellen, dass Li verschwunden war, dann wurde es schwarz vor ihren Augen. Und es geht weiter... Kapitel 4 - Götter unter sich Der Crusador war neben den Überresten des alten Tempels gelandet. Flöte und Thana waren ausgestiegen. Allen hatte sich dagegen ausgesprochen, die beiden allein hinaus gehen zu lassen, aber wie Flöte ihm spöttisch gesagt hatte, brauchte sie keine Hilfe. Außerdem wäre niemand in der Nähe, der ihnen gefährlich werden könnte, das würde sie spüren. Schließlich hatte Allen sich damit abfinden müssen, und so standen beide nun vor den Ruinen. Alte Mauern aus Sandstein und Säulen aus Granit bildeten ein verwirrendes Labyrinth. Schließlich kamen sie zum innersten Heiligtum, ein Schrein, den man noch die einstige Pracht ansah. "Wir werden hier warten, Thana. Setzt dich irgendwo hin. Und wenn sie kommt, sag bitte nichts, bis du angesprochen wirst." Gehorsam setzte Thana sich auf einen Mauerrest, und Flöte tat es ihr nach. "Warum hast du es mir nie gesagt, Flöte? Weißt du, ich kann es immer noch nicht ganz glauben. Aber der Beweis war wirklich überzeugend. Ich habe Jahrelang mit einer Göttin zusammen gelebt, und es nicht gemerkt." Flöte atmete tief ein. "So sollte es auch sein. Weißt du Thana, das ist etwas, das ich noch nie jemandem gesagt habe. Abgesehen von der jeweiligen Hohepriesterin natürlich. Es ist nicht gut, erkannt zu werden. Ich habe oft überlegt, ob ich es dir sage. Du bist wirklich meine Tochter, ganz egal, was ich bin- oder auch du. Es tut mir leid, dass ich dir nichts gesagt habe, aber ich hatte Angst. Angst, dich zu verlieren, wenn du gewusst hättest, wer ich bin." "Weiß Keel es?" Das kleine Mädchen überlegte einen Augenblick. "Ich denke ja. Ich habe es ihm nie gesagt, aber es gibt nichts, das ich vor ihm verheimlichen könnte. Er weiß vielleicht nicht genau, wer ich bin, aber über das was dürfte er keine großen Zweifel haben." Antwortete Flöte etwas rätselhaft. "Und kennst du die, die wir hier treffen wollen von früher?" "Ja, das tut sie." Thana drehte überrascht den Kopf zu der Stimme. Sie hatte nichts bemerkt, trotzdem stand auf einmal eine alte, gebeugte Frau vor ihr. "Das tut sie, mein Kind." Flöte stand auf, und verbeugte sich vor der alten Frau. "Ich freue mich, dich zu sehen, Schwester." Sagte Flöte zu ihr. "Sei auch du gegrüßt, jüngste der Götter. Ich hatte nicht gedacht, dich noch einmal wieder zu sehen. Als das Land der Erschaffer unterging, dachten wir, du seiest mit ihnen in den ewigen Kreislauf gegangen." "Es wäre beinahe so gekommen. Aber dann fand ich dieses Mädchen. Ihr Geist war verwirrt, ihr Körper krank und ihre Eltern verzweifelt. Ich habe mich ihnen offenbart, und sie haben der Verbindung zugestimmt." Die alte Frau nickte, und Neugier glomm in ihren Augen auf. "Dann ist der Körper menschlich, aber der Geist bist du?" "Ja, und nein. Der Körper stammt von ihr, aber in mir ist auch ein Teil ihres Geistes. Sie hat mich gelehrt, die Welt auf eine andere Weise zu sehen- der einer Verrückten." "Auch Verrückte leben in dieser Welt. Nur ihre Wahrnehmung ist anders." Es war keine Frage und kein Vorwurf, nur eine Feststellung. "Du hast dich also voll mit ihr verbunden. Aber wie kommt es, das der Körper immer noch so ist, wie vor zehn Millennien? Selbst wir können das Altern nicht vollständig anhalten. Sie dir diesen Körper an. Kaum fünfhundert Jahre alt, und er hat schon das Ende seiner Spanne erreicht. Und es wird auch mein letzter sein. Niemand mehr verehrt die alten Götter. Wenn dieser Körper gestorben ist, wird mein Geist frei sein, und ich werde nur noch in den Pflanzen und Tieren, in den Steinen und im Wasser existieren. Wie hast du es geschafft?" "Es gibt hier eine Insel, auf der eine magische Quelle existiert. Einige der Erschaffer, die meinem Volk damals zugetan waren, haben sie erschaffen. Sie gab meinen Geschöpfen ein langes Leben, aber machte sie unfruchtbar. So entstand ein Volk von Wächtern, das nicht durch die Geburt korrumpiert werden konnte, wie es schon so häufig passiert war. Nur einmal wurde ein Kind geboren. Das Wasser hatte ihren Geist verwirrt, und ihren Körper krank gemacht, aber auch fast unvergänglich." Die alte Frau nickte verstehend, und setzte sich mühsam auf einen der herumliegenden Steine. "So ist das. Deshalb hast du dich so oft hier aufgehalten. Kompliment, niemand hat etwas gewusst. Armes Mädchen. Du hast ihrer Existenz Leben gegeben, und ihr dafür ihren Körper genommen." Die Frau runzelte die Stirn, und schien in sich hinein zu horchen. "Fei Lang möchte mit dir sprechen, Schwester." Plötzlich änderte sich ihre Haltung, und damit auch ihr Verhalten. Die Änderung kam so überraschend, dass Thana aufkeuchte, als plötzlich eine ganz andere Person zu sprechen schien. "Du bist also diejenige, die verschwand, als der alte Kontinent unterging?" fragte Fei Lang Flöte "Ja, das bin ich." "Ich freue mich, dich kennen zu lernen. Sie hat mir viel von dir erzählt." Es bestand kein Zweifel daran, wen sie meinte. "Ich hoffe, nur gutes." "Ehrlich gesagt nicht nur. Aber Götter sind oft eifersüchtig. Womit wir beim Thema wären." Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust. "Sie ist schwach, sehr schwach. Der Sturm hat ihr alle Kräfte geraubt, und nun ist sie zu schwach, sich noch einen Körper zu suchen. Vielleicht, wenn sie mehr Zeit hätte, aber so... Mein Leben wird bald zu Ende sein. Ich bereue nichts. Bevor sie zu mir kam, konnte ich weder sehen noch hören. Sie gab mir die Möglichkeit, die Schönheiten dieser Welt zu sehen. Und ich hatte ein längeres Leben als alle anderen, die ich kenne. Der Abschied war nicht leicht, aber ich würde es wieder tun. Wenn ihr Geist in den ewigen Kreislauf zurückkehrt, werde ich bei ihr bleiben. Vielleicht werden wir auf den Regentropfen reisen, und ich werde einmal sehen, wo du lebst. Aber zuvor müssen wir noch etwas erledigen." Ihr Blick wanderte nach Süden, dorthin, wo der Hass seinen Ursprung hatte. "Irgendetwas dort widersetzt sich Li. Aber er ist viel stärker, als wir gedacht hatten. Seine Kraft ist um ein vielfaches stärker als damals. Eventuell kann dir die unerwartete Macht dort helfen. Sie kann es nicht mehr. Ich würde die Reise dahin nicht mehr überstehen. Versprich mir, alles zu tun, um ihn aufzuhalten." "Das tue ich, Fei Lang. Versprochen. Das Opfer meiner Schwester wird nicht umsonst sein." Fei Lang stand auf, und verabschiedete sich. Doch auf einmal brach Thana ihr Schweigen. "Fei Lang?" Sie drehte sich um, Überraschung auf ihren Zügen. Aber es war nicht mehr Fei Lang. "Was willst du von ihr, Kind? Ihre Zeit ist abgelaufen. Lass sie ruhen. Sie muss ihren Tod nicht unbedingt spüren." "Wenn sie stirbt, sterbt ihr auch, oder?" "Man könnte es wohl so nennen. Die Macht, die uns Götter bildet, verbindet sich bei ihrem Ende wieder mit der Welt, die sie umgibt." "Und wenn du noch einen Körper hättest?" "Dann könnte ich weiter existieren. Aber niemand hier glaubt noch an mich, oder wäre gar bereit, sich mit mir zu verbinden." "Ich würde es." "Thana, hör auf mit dem Unsinn, damit scherzt man nicht." Rief Flöte ärgerlich. "Außerdem bist du Empathin. Nach ein, zwei Jahren würdest du verrückt werden." "Es ist kein Scherz. Ich kenne dich Flöte. Du glaubst nicht, dass du gewinnen kannst." Flöte schwieg eine Sekunde. "Es gibt immer eine Möglichkeit." Sagte sie lahm, aber beide wussten, dass Thana Recht hatte. "Ich habe Li, oder was immer er auch ist, gespürt. Wenn er gewinnt, ist das das Ende. Aber wenn ich sie in mich aufnehme, seid ihr vielleicht stark genug, ihn zu besiegen. Und danach kann sie immer noch gehen. Oder sie bleibt in mir, bis wir jemanden gefunden haben." "Das werde ich nicht zulassen, Thana. Das ist zu gefährlich für dich." "Das ist doch wohl ihre Entscheidung." Fuhr ihr die alte Frau dazwischen, und zu Thana gewandt "Ich hätte dich nie darum gebeten. Aber du hast Recht, es vergrößert unsere Chancen. Falls es gefährlich für dich werden sollte, werde ich wieder gehen, versprochen. Und jetzt, bist du bereit?" Thana nickte, unfähig, etwas zu sagen. "Gut. Ach ja, mein Name ist Sakúraa." Dann merkte Thana, wie etwas uraltes, gewaltiges in ihren Geist fuhr, und für Minuten war sie sich nicht ihrer selbst bewusst. Sie legten Fei Lang auf den Altar. Ihr Körper begann bereits zu zerfallen. Vier Jahrhunderte holten nach, was eine Göttin verhindert hatte. Morgen schon würden ihre Knochen zu Staub zerfallen sein, und mit dem Wind davon getragen werden, hinaus in die weite Welt. Stöhnend öffnete sie die Augen. Sie lag mit dem Gesicht nach unten. Ihr Rücken brannte wie Feuer, und ihre Arme waren eindeutig überdehnt. >Dabei bin ich doch Läuferin! Wie kann das sein? Es müssten doch die Beine sein.< "Hitomi! Hitomi! Bist du wach?" Sie schlug schwach nach dem Gesicht, dass sich undeutlich vor ihr abzeichnete. Welcher Idiot schrie sie so an? Dann klärte sie ihre Sicht, und erschrocken wollte sie sich aufsetzen, aber der Schmerz vereitelte ihr Vorhaben. "Van, was... ooohhhhh, mein Rücken!" "Hitomi, geht es dir gut?" "Blöde Frage, oder was meinst du, warum ich hier so stöhne?" Im ersten Moment erschrak Van, aber dann erfasste er den Ton, mit dem sie ihre Frage gestellt hatte. Nörgelnd, aber nicht gehässig. "Hitomi!" freudig umarmte er sie, ließ sie aber sofort wieder los als sie aufschrie. "Au! Bist du wahnsinnig! Mein Rücken! Oh, wie das brennt." Sie fasste nach hinten, aber Van hielt ihre Hände fest. "Tu das besser nicht!" "Wieso?" "Es ist nicht gut, eine Wunde zu berühren." "Eine Wunde? Mein ganzer Rücken fühlt sich an, als ob jemand einen Eimer Säure darauf ausgekippt und ordentlich verrieben hätte!" "Eigentlich sind es auch zwei Wunden. Kein Fetzen Haut mehr. Eine links und eine rechts, enorm groß. Deine Sachen sind auch kaputt, aber es sieht aus, als ob sie zerrissen worden wären. " Eine links, und eine rechts. Zerrissen. Hitomi wurde es siedend heiß. Auf einmal fiel ihr wieder ein, woher diese Wunden stammten, was passiert war. Da war Li, dann der Sturz, diese scheinbare Ewigkeit, die sie gefallen war. Und dann Varié's Stimme. Der Schmerz und dann... und dann ihre Flügel. >Was hat das zu bedeuten?< fragte sie sich. "Was hast du gesagt?" Hitomi erschrak. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie laut gedacht hatte. "Nichts, nichts. Ich habe bloß überlegt." "Weißt du, was passiert ist? Ich war besinnungslos. Ich kann mich nur noch an diesen unbeschreiblichen Hass erinnern, und dann wurde ich bewusstlos." "Nein, ich habe keine Ahnung, was geschehen ist." Antwortete Hitomi. >Warum habe ich das gesagt? Es ist doch nichts passiert, außer, dass mir Flügel gewachsen sind. So etwas ist für Van doch nichts neues. Aber ich habe ihn ohne zu zögern belogen. Das erste Mal, dass ich ihn mit voller Absicht belogen habe. Warum?< "Kannst du aufstehen?" "Wie? Ach so. Ja, ich glaube schon." Sie rappelte sich trotz des immensen Schmerzes auf, und wunderte sich, dass er ihr nicht half. Bis sie ihn ansah. Sein Gesicht war eingefallen, die Augen blutunterlaufen. "Mein Gott, Van! Du siehst schrecklich aus." "Du auch. Aber es tut nicht mal sehr weh. Komm. Wir müssen Li erwischen, bevor er seine Kräfte sammeln kann." >Noch so einen Angriff überleben wir nicht.< Er sprach diesen Gedanken nicht aus, aber das war auch nicht nötig. Hitomi konnte ihn von seinem Gesicht ablesen, nicht zuletzt deswegen, weil sie das gleiche gedacht hatte. >Komisch. Es tut tatsächlich kaum weh, jedenfalls bedeutend weniger, als ich dachte. Wahrscheinlich haben wir uns schon an die Schmerzen gewöhnt, und fühlen sie kaum noch.< Sie hatte schon von so etwas gehört, aber nie geglaubt, dass es so sein könnte. Andererseits hatte sie auch noch nie so viele und so große Schmerzen gehabt. >Jetzt verstehe ich auch, warum man bei der Folter alles gesteht. Ich hätte alles getan, damit die Schmerzen aufhören. Selbst wenn ich Van hätte umbringen müssen.< Sie erinnerte sich daran, dass sie das tatsächlich vorgehabt hatte, und wäre beinahe zusammen gebrochen. Trotzdem empfand sie fast nichts dabei. >Anscheinend ist nicht nur körperlich eine bestimmte Schwelle überschritten.< Dann hörte sie auf zu denken, und folgte nur noch Van, der eine Treppe gefunden hatte, und dieser nach oben folgte. Grübelnd stand die Gestalt am Abgrund. >Hier ungefähr müsste es gewesen sein. Diese ungeheure Energie des Hasses... und dann dieses Licht. War sie das? Wenn ja, dann muss sie die Auserwählte sein. Aber wie komme ich nun hinüber?< Die Gestalt schaute noch einmal auf die gegenüber liegende Seite. >Da bleibt mir wohl keine Wahl, ich muss es versuchen. Aber in meiner Verfassung über eine solche Strecke...< Ärgerlich riss sie sich zusammen. Warum sich Gedanken machen über etwas, das man nicht ändern konnte? Wenn es etwas gibt, dass du tun musst, dann mach es, und halte dich nicht mit unnützen Gedanken auf. Mit unsicheren Händen holte sie ihren Anhänger unter der Kutte hervor. Sie atmete noch einmal tief durch, dann schlossen sich ihre Finger fest um den blauen Stein an der Goldkette. Erst passierte gar nichts. Dann begann es zwischen ihren Fingern zu flackern. Bläuliches Licht breitete sich von dem Stein in ihren Händen aus, hüllte sie ein, wurde stärker, fast fühlbar- und dann lösten sich ihre Füße von dem Boden, auf dem sie bis eben gestanden hatte. Langsam schwebte sie über den unendlichen Abgrund. Dann, kurz vor Erreichen des rettenden Ufers, wurde ihr Flug unruhig. Schweiß trat auf die Stirn der Gestalt, das Licht wurde unstet. Mit letzter Kraft warf sie sich nach vorne, erwischte die Kante und zog sich hoch. Dort blieb sie Minutenlang liegen, schwer atmend und der Bewusstlosigkeit nahe. "Gut. Landet da unten." Kommandierte Flöte. "Aber da sind Soldaten." Wandte Gades ein. "Egal. Die werden uns nichts tun. Lande da unten!" Wiederholte Flöte noch einmal. Eisige Kälte und absolute Sicherheit begleiteten ihre Worte. Dann drehte sie sich zu Thana um. "Bereit?" Thana nickte. Sie wusste, die Frage galt weniger ihr als ihrem "Gast", von dem sie niemanden erzählt hatten. Und dieser Gast war bereit. "Tut mir wirklich leid, dass ich deinen Körper benutzen muss. Aber so kann ich meine Kräfte viel besser einsetzen- zumindest die, die mir noch verblieben sind." Wisperte es in ihrem Kopf. Thana sparte sich die Antwort und folgte Flöte, die mit energischen Schritten zum Ausstieg ging. Hinter ihnen blieben Allen, Millerna, Dryden, Gades und der Rest der Mannschaft zurück, die ihnen unbehaglich nachschauten. Flöte hatte ihnen verboten, sie zu begleiten. "Helfen könnt ihr uns nicht." Hatte sie gesagt. "Und wenn wir uns um euch Gedanken machen müssen, stört das nur unsere Konzentration- von der wir jedes Quäntchen brauchen." So gingen Flöte und Thana mit ihrem Gast also allein in die Höhle des Löwen. Nach schier endlosen Treppenstufen- so schien es ihnen zumindest- befanden sie sich nun in einem merkwürdigen, schwach beleuchteten Gang. Das Licht kam allein von einer einzigen Öllampe und zwei Paaren von kleinen, runden Öffnungen in einer Wand. Plötzlich hörten sie lautes Gepolter von der anderen Seite der Wand. Eine große, schwere Tür wurde aufgestoßen, und Waffengeklirr drang zu ihnen. Sie hörten die gurgelnden Schrie zweier sterbender Männer, und dann eine Stimme, die ihnen bekannt vorkam. "Li! Du bist erledigt! Endlich wirst du für den Tod meines Vaters büßen!" >Der Prinz!< schoss es Van durch den Kopf, und er konnte in Hitomis blassem Gesicht sehen, dass auch sie die Stimme erkannt hatte. "Sieh an, der junge Prinz!" Li's Stimme klang herablassend, aber deutlich klang Schwäche darin. "Ich glaube, du bist ein bisschen voreilig. Ich glaube eher, du wirst deinem Vater folgen!" Grauenvolles Lachen drang durch die Wand, während Van und Hitomi verzweifelt, aber völlig erschöpft nach einem Ausgang suchten. Sie hatten keine Ahnung, wie sie in ihrem Zustand eine Hilfe sein sollten, aber untätig herumzustehen war das letzte, was sie tun wollten. Auf einmal schien Hitomi etwas gefunden zu haben. "Van! Komm her und hilf mir!" In diesem Augenblick hörten sie grässliche Schreie aus einem halben Dutzend Kehlen, und bald darauf Stille. Hitomi sah Van mit schreckgeweiteten Augen an. Er wusste genau, was sie dachte >Wir sind zu spät!< Aber er war nicht bereit, so schnell aufzugeben. Er rüttelte mit aller Kraft an der versteckten Tür, und endlich, endlich öffnete sie sich. Van fiel beinahe hindurch, so schnell geschah es, und so erschöpft, wie er war. Seine Augen weiteten sich, als er den Thronsaal erkannte. Bei dem Gepolter drehte sich Li zu ihnen um. Sein Gesichtsausdruck wandelte sich erst in Überraschung, und dann in- Angst? Diesen Augenblick nutzte Shin, der vor Li am Boden lag, um nach seinem heruntergefallenem Schwert zu greifen. Mit einem heiseren Schrei wollte er es ihm in den Bauch stoßen, doch das einzige Ergebnis war ein gleißender Blitz, und das Schwert schmolz. Shin schrie qualvoll auf, als das geschmolzene Eisen seiner Klinge über seine Hand lief. Der Schrei erstarb und er fiel besinnungslos zu Boden. Li warf ihm noch einen Hasserfüllten Blick zu, dann wandte er sich wieder an Van und Hitomi, die nicht glauben wollte, was sie gesehen hatten. "Ihr werdet noch qualvoller sterben. Du!" Er zeigte auf Hitomi und seine Stimme klang wie die dunkelsten Töne aus der tiefsten aller Höllen. "Du wirst den Tag bereuen, an dem du geboren wurdest. Niemals zuvor hat ein Mensch es geschafft, mich zu verletzten. Dafür wirst du büßen." "Du warst schon immer zu schnell mit deinen Urteilen, Kowartok!" Li fuhr wie von der Tarantel gestochen herum und seine Gestalt schien dabei zu verschwimmen, als ob die Luft um ihn herum durch eine große Hitze in Wallung geraten wäre. "Llanwellyn! Das ist unmöglich! Wie hast du mich entdeckt?" Verwirrt sah Van, wie zwei Personen, die er seit kurzem kannte, durch die Tür kamen, die Shin mit seinen Männern aufgebrochen hatte. "Oh, das habe ich nicht." Antwortete Flöte. "Aber als die zwei da entführt wurden, bin ich ihnen gefolgt. Und dann habe ich dich gespürt. Ich habe lange überlegt, woher ich diese Schwingungen kenne. Aber dann ist es mir eingefallen. Es ist lange her, Kowartok. Ich hatte gehofft, die Verbannung damals hätte dich zur Vernunft gebracht. Aber ich sehe, es ist noch viel schlimmer als damals." "Pah! Verbannung! Ihr habt mich weggeschleudert von meinen Anhängern, weil ihr Angst hattet! Die Macht missbraucht! Wozu ist denn Macht da, wenn nicht, um sie zu gebrauchen?" "Genau, um sie zu ge- nicht Missbrauchen. Wir sollen den Menschen helfen, nicht ihre Seelen in Besitz nehmen, um uns selbst zu stärken." Mittlerweile war Thana zu Hitomi und Van getreten. "Wovon reden die?" fragte Van seine Cousine. "Keine Zeit. Hitomi, warst du das vorhin? Diese riesige Energiemenge?" Verwirrt sah Hitomi sie an, nickte dann aber. "Ich glaube schon. Aber ich kann mich nicht mehr an alles erinnern. Und Van war bewusstlos." "Kannst du das noch mal machen?" "Auf keinen Fall!" sagte Van heftig. "Das hält sie nicht durch." "Außerdem wüsste ich nicht wie." Thana nickte und auf einmal veränderte sich ihre Stimme. "Dann müssen wir es allein machen." Sie sah sich um. "Schafft diesen Mann da hinaus, der lebt noch." Sie zeigte auf Shin. "Der Rest ist tot." "Aber Thana..." "Keine Widerrede, Hitomi. Du hast genug getan. Ohne dich hätten wir keine Chance gehabt. Und jetzt geht! Alle beide!" Sie schauten Thana überrascht an, einen solchen befehlenden Ton waren sie höchstens von Flöte gewohnt, aber nicht von ihr. "Hört ihr schlecht? Los!" Van schluckte, und zog die sich sträubende Hitomi mit sich. Mit Thana war eine Veränderung vorgegangen. Er wusste nicht welche, und er konnte nicht sagen, dass sie ihm gefiel. Aber in einem hatte sie Recht. Sie hatten genug getan. Sie waren viel zu erschöpft, um wirklich von Hilfe sein zu können. Er fragte sich bloß, wo Allen war. Thana und Flöte waren bestimmt mit dem Crusador gekommen, aber von dem Ritter des Himmels war weit und breit weder etwas zu hören noch zu sehen. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Hoffentlich war ihm nichts passiert. Flöte und Li- oder Kowartok wie sie ihn genannt hatte- waren in der Zwischenzeit umeinander gekreist, und so standen sie nun ein Stück weit entfernt von dem bewusstlosen Shin. Und sie hatten sich verändert. Van konnte nicht erkennen, was genau es war, aber sie schienen irgendwie ihre Gestalt verändert zu haben, ohne dass er irgendeine genaue Veränderung hätte benennen können. Er kniete neben Shin nieder, und versuchte ihn aufzuheben. Aber er war wohl schwächer, als er gedacht hatte. "Hilf mir, Hitomi! Hitomi?!" Sie fuhr zusammen. "Entschuldige. Was... ach ja." Gemeinsam hoben sie ihn hoch. Hitomi stöhnte dabei vor Schmerz, sagte aber kein Wort. >Stimmt ja, sie ist ja schwer verletzt. Aber allein schaffe ich es unmöglich...< Seine Gedanken stockten, als er sah, was Thana machte. Sie hatte sich hinter Li geschlichen, und die Hände erhoben, als ob sie ihn erwürgen wollte. Um ein Haar hätte Van den leblosen Körper in seinen Armen fallen gelassen. Was tat sie da? Und in diesem Moment geschah es. Irgendwie hatte Li etwas bemerkt. Er drehte sich um, so schnell, dass Van der Bewegung nicht folgen konnte, und erwischte Thana mit der Faust. Sie flog in hohem Bogen bis zur Wand, rutschte an ihr herunter und blieb regungslos liegen. Van ließ Shin fallen. Hitomi stöhnte auf, als die ganze Last plötzlich auf ihrem geschundenen Rücken lag, und auch ihr Griff löste sich. Shin polterte zu Boden, aber keiner von den beiden achtete darauf, denn was sich vor ihren Augen abspielte, war zu unbegreiflich, als dass sie die Augen hätten abwenden können. In Bruchteilen einer Sekunde war Flöte nach vorn geschnellt. Ihr Sprung brachte sie mit rasender Geschwindigkeit näher an Li, der ihr wegen des Schlages nach Thana den Rücken zukehrte. Im Sprung veränderte sie sich. Sie wurde größer, die Gestalt des Mädchens änderte sich, wurde rundlicher, und dann prallte eine drei Meter große, junge Frau in der Blüte ihrer Jahre auf Shin. Weder Van noch Hitomi konnten erkennen, was dann passierte, denn ein unglaublich greller Blitz gleißenden Lichts blendete sie. Als sie blinzelnd wieder die ersten Umrisse erkennen konnten, keuchten sie auf. Nur wenige Meter von ihnen entfernt kämpften zwei titanische Gestalten miteinander. Flöte war mittlerweile fast fünf Meter hoch, aber die andere Gestalt überragte sie noch um mehrere Köpfe, und stieß beinahe an die Decke der Halle. Ihr grässlich missgestalteter Körper wogte auf und nieder. Überall unter seiner mit schwarzen Beulen übersäten Haut schien etwas lebendiges herauszuwollen. >Das Schlechte quillt aus ihm heraus.< schoss es Van durch den Kopf. Neben ihm sank Hitomi zu Boden, und ein würgendes Geräusch sagte ihm, was mit ihr geschah. Er versuchte, den Blick von diesem Kampf der, der... >ja was eigentlich?< abzuwenden, aber er konnte es nicht. Niemals zuvor hatte er etwas so grauenvolles gesehen, etwas so Abgrundtief böses. Niemals hätte er geglaubt, dass es so etwas überhaupt geben konnte. Das Ungeheuer, das einmal Li gewesen war, brüllte auf, und Van erschrak. Das war das erste Geräusch, das er von diesem Kampf gehört hatte. Selbst die gleißenden Blitze, die jetzt in allen Farben zwischen ihnen hin und her sprangen- selbst in schwarz, so unglaublich das auch klingt- bewegten sich in völliger Lautlosigkeit. Und Flöte schien zu verlieren. Als ob das noch nicht genug gewesen wäre, fing Thana auf einmal an zu zucken, und etwas nebliges, aber ungeheuerlich kraftvolles kam aus ihr hinaus. Van konnte es spüren. Es war anders, als die Kraft von Flöte und zum Glück ähnelte sie nicht im geringsten der des Monsters, aber trotzdem hatten sie eine Gemeinsamkeit- eine Kraft, die über alles ging, das er sich vorstellen konnte. Die neblige Gestalt verformte sich, wurde fester, obwohl sie immer noch mehr Dunst als Materie war, und nahm eine menschenähnliche Form an. Van sah immer noch die Gestalt Thanas, die hinter dem Wesen lag, das aus ihr herausgekommen war. Neben ihm fiel Hitomi auf den Boden, und wand sich in irren Zuckungen. Sie musste viel stärker spüren, was er nur am Rande mitbekam. Van bückte sich, und zog sie und dann Shin mit plötzlicher Kraft weg von ihrem Erbrochenen, weg von diesen Gestalten. Dann nahm er Hitomi in seine Arme, und versuchte sie irgendwie zu trösten, auch wenn das Grauen, das er selbst verspürte größer war als jemals zuvor. Die Erde bebte, als sich auch das dritte Wesen in den Kampf einmischte. Der Hauptteil des Kampfes schien nicht auf dieser Ebene der Existenz stattzufinden, aber schon das bisschen, das in diese Dimension durchdrang, schien das Gefüge des Raumes um sie herum zu sprengen. Die Wände knirschten und Putz, Goldplättchen und Splitter roter Farbe sprangen von ihnen ab. Und immer noch war kaum mehr zu hören, als das Wimmern Hitomis, die Erschütterung des Gebäudes und sein eigener schneller, angsterfüllter Atem. Wieder ruckte die Erde, als sich die drei Giganten zu einer letzten Anstrengung aufrafften. Die erste Säule stürzte ein, und plötzlich erschlaffte Hitomi in seinen Armen. Dann schien es vorbei zu sein. Das kleine Mädchen Flöte lag vor einer halb menschlichen, halb dämonischen Gestalt, neben ihr pulsierte die Nebelgestalt, formlos und geschlagen. Die unbeschreibbar grässliche Gestalt über den beiden beugte sich über den formlosen Klumpen Nebel. "Du hast mich zum letzten Mal behindert, Sakúraa. Aber bevor ich mir etwas für dich einfallen lasse, erledige ich erst mal diese menschlichen Störenfriede." Der finstere Blick seiner Augenlosen Stirn richtete sich auf Van, Hitomi und Shin. Van wollte wegrennen, sich verstecken, sich in sein Schwert stürzen, was auch immer. Er hätte alles getan um diesem Wesen zu entkommen. Aber Entkommen gab es nicht in seinem Wortschatz. Nicht mehr. Dieses Wort hatte seine Bedeutung in dem Moment verloren, als das Wesen beschlossen hatte, ihn zu vernichten. Langsam und qualvoll. Sehr qualvoll. Und sehr langsam. "Nein!" Der Schrei hallte durch den zerstörten Saal, und die pure Existenz des Widerspruches ließ das Böse noch einmal innehalten. "Nein? Neeeiiinnn?" In diesen Worten lag genug bösartige Belustigung, dass es für ein ganzes Leben gereicht hätte- für einen Menschen. Aber dieses Wesen war alles andere als ein Mensch. "Du meinst wohl, ich soll mit dir anfangen, kleines Mädchen?" Van starrte ungläubig auf die vermummte Gestalt, die aus dem selben Geheimgang wie er und Hitomi gekommen waren. Wie lange war es her? Es schienen Tage zu sein, vielleicht sogar Monate. Aber etwas an der Gestalt kam ihm bekannt vor- richtig, er hatte sie flüchtig gesehen, nachdem er im Labyrinth bewusstlos gewesen war. Die Gestalt hatte sie verarztet, und war dann verschwunden. "Ich werde nicht zulassen, dass du meinem Bruder etwas tust, du grässliches Wesen!" Ein schauderhaftes Lachen erklang, und das Blut in Vans Adern wurde endgültig zu Eis. >Ihr Bruder? Was für ein Bruder?< fragte sich Van verwirrt. Dann schlug die Gestalt die Kapuze zurück, die bisher ihr Gesicht verdeckt hatte. >Mai Ling! Deshalb ihr Bruder! Shin!< "Und wie willst du mich daran hindern? Willst du mich anfauchen wie eine Wildkatze? Das gefällt mir. Vielleicht lasse ich dich am Leben... vorerst. Du könntest mir eine Menge Spaß bereiten." Mai schluckte bei dem bloßen Gedanken, aber dann griff sie entschlossen unter ihre Kutte. "Ich werde dich aufhalten. Damit." Eine goldene Kette mit einem blau funkelnden Edelstein daran kam zum Vorschein, und in einer Form, die Van sehr bekannt vorkam. Wieder lachte das Monster, auch wenn es eine Spur vorsichtiger geworden war. "Ein Torstein! Sieh an. Diese Steine haben in der Tat große Kraft. Aber das wird dir nichts nützen. Falls du es noch nicht gemerkt hast, es gibt bereits zwei davon in diesem Raum. Und ich existiere immer noch." "Mag sein, aber ich kann dich trotzdem aufhalten. 'Wenn der Wunsch stark genug ist'" begann sie zu zitieren "'und der Träger gewillt, seine Existenz in die Hände der Götter zu legen, ist er in der Lage, alles wahr werden zu lassen.' Das hat der alte Mann gesagt, und ich zweifle nicht an seinen Worten. Ich werde dich aufhalten, auch wenn es mich das Leben kostet." Sie hielt den Stein mit beiden Händen vor sich, schloss die Augen, und gab die Kraft ihres Lebens in den Stein und in ihren Wunsch. Blaues Licht breitete sich aus, überlagerte alles andere, und ein harmonisches Klingen erfüllte die Herzen aller. Ungebändigte Energie umströmte Van und alle anderen in diesem Raum. Dann verlor auch Van das Bewusstsein. Das Zufallen der Tür brachte ihn wieder in die Welt der Lebenden. Er riss die Augen auf, und sah in Allens Gesicht, der sich vor einer Sekunde weggedreht hatte. "Du kommst genau richtig, Millerna. Er wird gerade wach." "Allen! Wo bin ich? Was ist passiert?" Er wollte sich hinsetzen, aber Millerna drückte ihn wieder auf das Bett zurück. "Alles in Ordnung, Van. Du bist auf dem Crusador. Aber was passiert ist, kann ich dir nicht sagen." Allen seufzte "Als der Palast einzustürzen begann, sind wir hingerannt. Wir haben dich, Hitomi, Flöte, Thana und zwei Fremde gefunden, alle bewusstlos. So schnell, wie wir konnten, haben wir euch auf den Crusador gebracht. Wir sind ein Stück weggeflogen, und dann hier gelandet. Bis jetzt hat uns noch niemand angegriffen. Die Stadt, in der ihr wart, ist allerdings ein einziger Trümmerhaufen. Und bevor du fragst, es geht allen gut. Bis auf dich sind nur noch Hitomi und die Fremde bewusstlos." "Mai Ling. Das ist ihr Name." "Ich weiß." Unterbrach ihn Allen. "Ihr Bruder hat uns alles erzählt, wer sie sind, und dass sie euch entführt haben. Sie sind vorläufig unsere Gäste. Zum Weglaufen sind sie sowieso zu schwach. Was mit ihnen geschehen soll, können wir später noch besprechen." Millerna hatte ihre flüchtige Untersuchung beendet. "Dir scheint es ja soweit ganz gut zu gehen. Nebenbei gesagt, ist Allen nicht auf dem neusten Stand. Sowohl die Fremde als auch Hitomi sind wach geworden. Wenn Allen dich stützt, können wir hinüber gehen, sie liegen beide nebenan- mit Flöte und Thana. Ich dachte mir, das ist besser, falls doch etwas ist. Dann bin ich immer gleich da, und brauche nicht erst in einen anderen Raum zu laufen. Dieser Shin ist auch schon drüben." "Dann los. Aber Allen braucht mich nicht stützen." "Wenn du meinst..." antwortete Millerna lächelnd. Zum Glück sagten weder sie noch Allen etwas, als er Van auffangen musste, weil seine Beine unter ihm nachgaben. Als Van den Raum betrat, immer noch von Allen gestützt, erschrak er. Sie saßen alle um einen großen Tisch herum. Blasse Gesichter mit Blutunterlaufenen Augen schauten ihn an, und die Körper der Anwesenden wirkten geschwächt und ausgemergelt, als ob sie tagelang gehungert hätten. >Sehe ich auch so schrecklich aus?< fragte er sich. Sein Blick suchte den Hitomis, doch sie schaute weg. Sie schien fast Angst vor ihm zu haben. Dann sah er Shins Hand. Sie war wieder vollkommen in Ordnung. Aber war zu verwirrt von allem, um von sich aus zu fragen. Stattdessen redete Flöte ihn an. "Schön, dass du auch wach bist, Van." Er konnte sie kaum verstehen, so schwach war ihre Stimme. Sie wartete, bis er auf dem letzten freien Stuhl Platz genommen hatte, und sprach dann zu Allen. "Wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich dich und Millerna bitten, den Raum zu verlassen. Es geht nicht darum, euch etwas zu verheimlichen." Sagte sie schnell. "Mir ist es ehrlich gesagt sogar ziemlich egal, was sie euch nachher erzählen, aber es gibt eine Menge Fragen, die wir erst einmal unter uns zu beantworten haben. Fragen, die das betreffen, was im Palast geschehen ist." Allen und Millerna zögerten einen Augenblick, gingen dann aber, als niemand der anderen Flöte widersprach. "Also." Sagte das kleine Mädchen, als sie den Raum verlassen hatten. "Ihr habt sicher eine Menge Fragen." "Die haben wir." Sagte Van, und redete schnell weiter, bevor sie etwas erwidern konnte. "Was bist du wirklich? Was war dieses Ungeheuer, und was kam da aus Thana heraus. Was ist überhaupt" ein Hustenanfall schüttelte ihn, und Flöte sagte begütigend, und mit einem Abklatsch ihres sonstigen spöttischen Lächelns "Hetz nicht so. Ich werde alle Fragen beantworten, deren Antwort ich selbst kenne. Aber alles der Reihe nach. Fangen wir mit deinen ersten drei Fragen an. Sie gehören nämlich zusammen." Sie trank einen Schluck aus dem Glas vor ihr, das mit einer klaren, roten Flüssigkeit gefüllt war. Van wunderte sich einen Augenblick lang, dass sie in ihrer Verfassung Wein trank. "Nun, was ich dir über mich erzählt habe, entspricht durchaus der Wahrheit, aber es ist nicht die ganze." Van lehnte sich zurück. Wer hätte das auch gedacht- von ihr, die mehr Geheimnisse zu verbergen schien, als alle Spione dieser Welt. "Wo fange ich an? Am besten am Anfang. Schon seit Anbeginn der Zeit beten die Menschen zu den verschiedensten Göttern. In welcher Form sie an diese Götter glauben, sei dahin gestellt. Aber diese Gebete haben eine tatsächliche Auswirkung auf die Welt. Schon immer gab es Geister- ich meine keine Gespenster, sondern Geistwesen, die halb in dieser Welt existieren, halb in einer anderen. Zuerst beteten die Menschen diese Geister an, die sich ihnen meist in Tiergestalt offenbarten. Entweder, um ihr Wohlwollen und ihre Hilfe zu erringen, oder um ihren Zorn von ihnen abzulenken. Mit der Zeit veränderten die vielen Gebete und Opfer die... Form dieser Wesen. Sie wurden stärker, denn auch Gebete sind Kraft- Kraft, die von den Menschen zu diesen Geistern übertragen wurde. Als die Menschen begannen, Städte zu bauen, veränderte sich das. Städte bedeuten mehr Menschen, die mehr Kraft bringen. Aus den Geistern, die am Anfang relativ schwach, und oft auf einen Ort beschränkt waren, wurden richtige Götter, mit großen Kräften, und frei, in der Welt umher zu streifen. Ich will hier nicht weiter darauf eingehen, aber genau wie die Menschen waren auch die Götter verschieden. Auch sie bekriegten sich, und schickten dabei ihre Anhänger gegeneinander. Mit der Zeit wurde ein Stadtstaat stärker als alle anderen. Die Götter dieser Stadt setzten nicht auf den Krieg. Ihre Stadt hatte die wenigen anderen auf ihrer Insel bereits vor langer Zeit unterworfen, und nun gab es keine Gefahr mehr für sie, denn jeder Angreifer hätte über das weite Meer kommen müssen, und wäre schon früh genug entdeckt worden, um ihn abzuwehren. So entstand einer der ersten Staaten, und Kultur, Wissenschaft und Ethik entwickelten sich in einem Tempo, wie es bisher noch nie geschehen war. Und mit dieser Entwicklung wurden auch ihre Götter anders. Sie beschlossen, sich weniger direkt in die Belange der Menschen einzumischen. Sie sollten ihren eigenen Weg gehen. Vielleicht war das der entscheidende Fehler, wer weiß. Jedenfalls, dieser Staat hieß genau wie seine Hauptstadt- Atlantis." Van sog zischend die Luft ein, und auch in Hitomis Augen schimmerte die Erkenntnis. "Nun, ihr alle kennt die Geschichte. Auch Shin und Mai, wenn auch ein klein wenig anders. Aber das ist im Moment nicht wichtig. Der Punkt ist, dass eines Tages etwas geschaffen wurde, das die Götter in Schrecken versetzte. Die Wissenschaftler von Atlantis hatten eine Maschine entwickelt, mit der sie Götter ersetzen wollten. "Warum zu den Göttern beten, wenn man sich nicht sicher sein kann, dass die Gebete auch erhört werden? Unsere Maschine erfüllt eure Wünsche, sobald ihr sie aussprecht!" Das waren ihre Worte, und diese Worte säten Angst und Schrecken in die Herzen derer, die noch wahrhaft glaubten. Denn sie wussten, dass es Wünsche gab, die nicht erfüllt werden sollten. Nun ja, das Endergebnis kennt ihr ja alle. Diese Welt hier, Gaia, wurde erschaffen als ein neues Paradies. Und mit ihr auch neue Götter. Als beschlossen wurde, diese Welt zu erschaffen, vereinten eine Gruppe ihre Gedanken, und schuf einige neue Götter, die die Aufgabe haben sollten, Unheil, das von verschiedenen, sich widersprechenden Wünschen ausging, zu verhindern. Das ist, wie ihr wisst, nicht gelungen. Ich bin eine dieser Götter und Göttinnen, die damals erschaffen wurden. Genauer gesagt, bin ich sogar die jüngste. Ich denke nicht gern an diese Zeit zurück. Was ihr wissen solltet ist, dass ich zum Zeitpunkt des Untergangs von Atlantis eine der wenigen war, die auf Gaia war. Ich irrte lange herum, fast Kraftlos, denn meine Anhänger waren umgekommen. Dann traf ich auf ein paar Überlebende- die Torwächter mit ihren Drachen. Und einige Priesterinnen, die einer meiner Schwestern gedient hatten, und die auch mich gut kannten. Meine Schwester war tot- umgekommen bei dem Versuch, die Schicksalsmaschine zu stoppen. Ich wurde die neue Göttin dieser Priesterinnen, aber es waren zu wenige, um mich in meiner ganzen Macht zu erhalten. Ich wäre mit der Zeit wieder auf das Niveau der Tiergeister gefallen. Dann traf ich jemanden, der die Geschichte verändern sollte: ein kleines Mädchen, das blind, taub, halb gelähmt und geistig verwirrt war. Bei jeder Bewegung, selbst beim Essen hatte es große Schmerzen. Seine Eltern, zwei Torwächter, waren verzweifelt. Sie konnten nicht ertragen, ihre Tochter zu sehen, für die die Beschreibung "dahin vegetieren" noch zu lebendig war. Sie hatten gerade beschlossen, sie von ihrem Leiden zu erlösen, als ich sie traf. Ich machte ihnen ein Angebot. Ich würde den Körper des Mädchens nehmen. Ich würde ihre Behinderungen heilen können. Der Geist des Mädchens würde sich mit meinem vereinen, und gemeinsam würden wir den wenigen Überlebenden helfen können. Die Eltern stimmten zu, und auch das Mädchen, soweit es in der Lage war, zu begreifen, was geschehen würde. So wurde ich zu der, die ihr hier vor euch seht. Flöte, die Kindgöttin. Flöte, da die Mutter des kleinen Mädchens die beste Flötenspielerin war, die es jemals gab. Das ist meine Geschichte." Eine ganze Weile sagte niemand etwas, dann sprach sie weiter. "Das Wesen, gegen das wir gekämpft haben, Kowartok -oder Li- war auch ein Gott. Ein böser Gott. Zu der Zeit, als Gaia erschaffen wurde, wollte er diesen Planeten in Besitz nehmen. Dieser Plan wurde vereitelt, und er wurde auf den glühenden Kontinent des Südens verbannt, dorthin, wo nur Nichtmenschliche Wesen hausen. Aber statt seine Taten zu bereuen, versklavte er die dortigen Kreaturen, und führte sie gegen die Länder des Nordens. Das war ungefähr 800 Jahre nach dem Untergang von Atlantis. Damals konnte ich ihn mit Hilfe der Tihani und dem Drachengottvolk aufhalten, aber es ist keine ruhmvolle Geschichte. Schreckliche Dinge sind damals geschehen. Seit diesem Zeitpunkt agieren die Tihani nur noch im Untergrund, und ein Teil des Unglücksmythos des Drachengottvolkes geht auf diesen Krieg zurück. Ich hatte damals geglaubt, Kowartok sei ein für alle Mal geschlagen und seiner Kraft beraubt, aber das war ja ein Irrtum." "Kann er wieder kommen?" fragte Hitomi, und die Angst in ihrer Stimme sprach für alle. "Ich glaube nicht. Seine Existenz wurde diesmal endgültig ausgelöscht, anders als damals. Aber..." Sie zögerte "Nichts ist endgültig. Vielleicht gibt es da draußen noch welche, die ihn anbeten. Und das könnte ihn zurückbringen- wenn auch anders, als der Kowartok den wir kennen. Es wäre ein neuer Gott, und seine Kraft, seine Fähigkeiten und sein Verhalten hängt von denen ab, die ihn erschaffen. Und er ist nicht der einzige. Es gibt viele böse Geister. Vielleicht treffen wir bald auf einen neuen Gegner. Die Zukunft ist ständig im Fluss, und je weiter man vorangeht, desto unsicherer wird, was man erkennen kann." Das war nicht die Antwort, die sie sich erwünscht hatten. Aber es hatte auch niemand wirklich damit gerechnet, dass die Schwierigkeiten vorbei sein würden. Gaia war eine harte Welt, und der Kampf würde niemals enden. "Und was war mit dem Wesen, dass aus Thana herausgekommen ist?" fragte Van. "Auch ein Gott?" Flöte wollte antworten, aber Thana kam ihr zuvor. "Ja, war es. Ich muss noch sagen, dass ich von all dem bis heute früh keine Ahnung hatte. Aber du hast Recht, Van. Das war auch eine Göttin. Sie hat uns geholfen, Kowartok zu besiegen. Ich habe sie heute früh in mich aufgenommen, damit sie uns im Kampf beistehen kann. Aber sie ist nicht mehr in mir." Sie sah Flöte fragend an, die ausweichend antwortete. "Ich denke, ich weiß, wo sie steckt. Aber das geht nur sie und ihren Wirt etwas an." "Ich weiß, wo sie ist." Sagte da auf einmal Mai. "In mir. Bis zu diesem Augenblick wusste ich nicht, was mir an mir so seltsam vorkam, aber jetzt weiß ich es." Alle starrten sie überrascht an, nur Flöte nickte. "Ja, das denke ich auch. Aber im Moment ist sie nicht in der Lage, mit uns zu kommunizieren. Siehst du, du hast deine ganze Kraft verbraucht, um Kowartuk zu erledigen. Nicht ich war es, oder Sakúraa- so lautet ihr Name- die ihn besiegt haben, sondern du. Wir, und Hitomi vor uns, konnten ihn nur schwächen, vernichtet hast du ihn." "Ich?" Mai sah sie zweifelnd an, musste ihr dann aber glauben. Warum sollte sie lügen? "Aber es hieß doch in der Weissagung, in Mädchen vom Mond der Illusionen würde der Schlüssel zu unserer Rettung sein." Flöte lachte lautstark auf, und prustete "Das war sie doch. Ohne Hitomi wäre schließlich niemand von uns hier. Und wenn auch nur einer von uns gefehlt hätte, hätten wir verloren. Weißt du, man sollte die Worte einer Prophezeiung niemals auf die Goldwaage legen. Sonst findet man noch heraus, dass sie nicht mal aus Silber sind. Aber was Sakúraa angeht. Sie hat sich in deinen Körper begeben, um dich zu retten, Mai. Da du deine ganze Kraft verbraucht hast, hättest du sterben müssen. Allerdings bleibt darum erst einmal keine Kraft mehr für sie übrig. In ein paar Tagen wird sie sich bei dir bemerkbar machen. Dann könnt ihr entscheiden, ob sie bei dir bleiben soll. Du wirst zu nichts gezwungen, das kann ich dir versprechen. Und wenn du sie nicht haben willst, wird sie aus dir verschwinden, sobald ihr beide euch genügend erholt habt. Dann wird sie in den Kreislauf des Lebens zurückkehren, und ihre Kräfte als Göttin verlieren. Vielleicht wird sie als Schutzgeist weiter über dieses Land wachen, wer weiß. Sie hat sich die Ruhe verdient." "Ein ungerechtes Ende für jemanden, der mein Leben gerettet hat." Flöte zuckte mit den Schultern. "Es gibt viele Möglichkeiten. Klärt das unter euch. Ich mische mich da nicht ein, das gehört sich nicht. Aber etwas anderes- was passiert mit den Menschen dieser Stadt? Die Gebäude sind zerstört, und viele haben ihr Leben verloren. Sie brauchen einen starken Anführer." Sie sah Shin an, und der zuckte mit den Schultern. "Ich bin dazu ausgebildet worden, die Nachfolge meines Vaters anzutreten, auch wenn ich kein Interesse an der Macht habe. Zu viel Ärger." Van lachte "Das stimmt. Aber irgendwer muss es tun. Und ich denke, jemand, der kein Interesse an der Macht hat, ist am besten zum Herrschen geeignet. Denn dann kümmert er sich um sein Volk." Shin sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Stimmt ja, ich habe vergessen, dass du ja auch ein König bist. Na wenn du meinst." "Und außerdem." Sagte Van "hast du jemanden, der sehr fähig ist, an deiner Seite." Er schaute Mai an, die rot wurde. "Nein, das geht nicht. Ich bin eine Frau, und..." "Unsinn." Unterbrach ihr Bruder sie. "Er hat recht, du bist ideal. Und wer sagt, dass wir es an die große Glocke hängen müssen. Bisher haben wir das auch nicht getan. Du hast immer behauptet, in meinem Auftrag zu handeln, und das hat ganz gut funktioniert. Warum sollte sich das ändern? Davon abgesehen haben wir ganz andere Probleme. Die Menschen müssen ihre Stadt wieder aufbauen." >Das kenne ich.< dachte sich Van. >Leicht wird es nicht werden. Schon in Fanelia ist es schwer genug, und diese Stadt ist dreimal so groß< Widerstrebend nickte Mai, aber dann schien ihr noch etwas einzufallen. Sie holte ihren blauen Torstein heraus, und legte ihn auf den Tisch. "Kann es sein, dass damit etwas nicht stimmt? Ich kann nicht sagen was, aber er fühlt sich so... anders an." Flöte griff danach, sah ihn sich kurz an, und warf ihn dann mit einer abfälligen Bewegung wieder auf den Tisch. "Ausgebrannt. Kein Wunder. Du hast ihm einfach zuviel Energie zugeführt. Er wird nie wieder richtig funktionieren. Kann sein, dass er mit der Zeit einige der Fähigkeiten zurück erhält, aber du wirst ihn nicht nutzen können. Er war auf dich eingestimmt, und du hast alle Bahnen zerstört, die du benutzen kannst. Andere können vielleicht andere Bahnen nutzen, die noch in dem Stein sind, und die du nie berührt hast, aber du wirst ihn nicht mal zum Leuchten bringen können." Mai griff nach dem Stein, und hielt ihn hoch. "Schade, er hätte uns beim Wiederaufbau sehr von Nutzen sein können." In diesem Moment schien Hitomi etwas einzufallen. "Und wenn sie einen anderen Torstein hätte?" Flöte schaute sie überrascht an. "Den könnte sie nutzen- nach einer gewissen Zeit. Aber meinen" sie deutete auf ihren Stirnreif "kann sie nicht haben. Davon abgesehen, dass ich ihn gern behalten würde, wäre sie eine alte Greisin, bis sich der Stein auf sie abgestimmt hätte, so lange wie ich ihn trage. Und deinen hast du erstens Van geschenkt, und zweitens ist auch er ungeeignet. Er ist auf dich abgestimmt, und das bleibt. So lange du lebst, würdet ihr beide mächtige Schmerzen kriegen, wenn sie ihn zu mehr als zum bloßen Leuchten einsetzen würde. Ihr seid schließlich keine Götter, die ihre Bindung zum Torstein mal eben so durchschneiden können. Das kann kein Mensch." Aber Hitomi schüttelte den Kopf. "Ich habe auch nicht diese Torsteine gemeint. Mein Gepäck ist doch noch an Bord, oder?" Alle schauten sie verwundert an, doch dann schlug sich Flöte auf die Stirn. "Oh ich Dummkopf. Natürlich. Wir haben ja noch einen. Und er ist sogar ungeeicht. Ich hatte ihn mal jemandem angeboten, aber dieser jemand hat abgelehnt. Ich hol ihn schnell." Damit sprang sie auf, und rannte aus dem Raum. Kurz darauf kam sie wieder. "Hier!" Sie warf Mai einen Armreif zu. "Den kannst du schon in ein paar Tagen benutzen, wenn auch noch nicht mit voller Kraft. Ich werde dir zeigen, wie du damit umgehen musst, jeder Stein ist nämlich etwas anders." "Du willst hier bleiben?" rief Thana erschrocken. Flöte nickte, trat zu ihr, und legte die Hände auf die ihren. "Ich werde hier dringender gebraucht. Außerdem kann ich dann vielleicht Mai und Sakúraa helfen, falls sie sich entschließen sollte, eine Verbindung mit meiner Schwester einzugehen. Normalerweise wird man Jahre lang darauf vorbereitet, aber dazu ist keine Zeit mehr. Sag Eliandra und Taro, dass sie eine Weile ohne mich auskommen müssen." "Und ich?" Sie war dem Weinen nahe. "Ach, Thana. Du musste deine eigenen Wege gehen. Irgendwann kommt der Zeitpunkt für jedes Kind, sich von seiner Mutter zu lösen. Du warst doch einverstanden, mit Van mit zu gehen." "Aber da konnte ich immer zurück kommen, wann ich wollte, aber wenn du hier bleibst..." Da fiel ihr etwas ein. "Außerdem kommen wir ohne dich doch gar nicht von hier weg. Wer bringt uns denn durch die Sturmzone?" Flöte lächelte, aber es war kein spöttisches Lächeln, sondern eher ein trauriges. "Das schafft ihr alleine. Durch den Wirbelsturm, den Sakúraa und ich ausgelöst haben, ist die Kraft der Sturmzone vermindert. Für ein paar Tage kommt der Crusador auch ohne meine Hilfe durch." Van stand auf. "Ich glaube, wir sollten gehen." Thana wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. "das braucht ihr nicht." "Doch. Wir alle müssen uns unter vier Augen aussprechen." Er nickte zu Mai und Shin, die ihm stumm zustimmten, aber seine Augen wanderten zu Hitomi, die seinem Blick wieder auswich und aufstand. "Hitomi, warte mal." Sagte Mai, als sie den Raum verlassen wollte. Sie warf Hitomi den blauen Torstein zu. "Ich glaube, den sollte ich dir geben. Shin hat schon bewiesen, dass er mit diesen Steinen nichts anfangen kann. Und da du uns so sehr geholfen hast..." Hitomi schüttelte den Kopf, und wollte ihr den Stein zurück geben. "Das kann ich nicht annehmen." "Du musst. Ich lasse nicht zu, das du ihn wieder weggibst. Behalte ihn doch zumindest als Zeichen der Dankbarkeit und Freundschaft." Hitomi zögerte noch eine Weile, nickte dann Wortlos, und ging weg, gefolgt von Mai und ihrem Bruder. Als Van den Raum verlassen wollte, sprach ihn Thana noch einmal an. "Van? Rede mit ihr." Er wusste, wen sie meinte, aber er scheute sich. "Es liegt nicht an dir. Sie zweifelt an sich, und sie braucht dich jetzt." >So, sie zweifelt an sich? Und was mache ich? Ich etwa nicht? Ich hätte sie beinahe umgebracht. Wie sollte ich es ihr verübeln, wenn sie nichts mehr mit mir zu tun haben will?< Als ob sie seine Gedanken gelesen hätte, sprach Thana weiter. "Ich weiß, dass auch du an dir und deinen Gefühlen zweifelst. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber so geht es nicht. Ihr wollt den anderen nicht verletzten, aber gerade dadurch, dass ihr versucht Abstand zu halten, tut ihr genau das. Rede mit ihr." Sie wollte noch etwas sagen, schloss dann aber den Mund. Es hatte keinen Sinn. Es lag nicht mehr bei ihr. 'Ihr kreist umeinander wie Magnete, die sich gegenseitig anziehen, aber immer, wenn sie sich zu nahe kommen, die Polarität wechseln und sich abstoßen.' Gingen ihm Allens Wort durch den Kopf, als er den Raum verließ. Nachdem die Tür sich geschlossen hatte fragte Flöte. "War das Empathie? Brauchst du schon wieder eine Dosis?" Thana lachte, und umarmte das kleine Mädchen. "Nein, nicht nötig. Um das herauszufinden, muss man keine Gefühle lesen können. Man braucht dazu nur Augen und ein Herz" "Hitomi?" Van schloss die Tür zu ihrer Kabine. Sie war ihm den ganzen Tag über ausgewichen, genau wie gestern. Nun hielt er es nicht mehr aus. Und anscheinend war er gerade noch rechtzeitig gekommen, denn sie war dabei, ihre Sachen zu packen. "Bitte geh, Van." Sagte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen. "Das werde ich nicht. Warum weichst du mir aus, Hitomi?" Sie hörte auf, Sachen in ihre Tasche zu packen und schloss den Reißverschluss.. "Das tue ich nicht." "Doch, das machst du. Warum Hitomi? Was habe ich dir getan?" "Nichts. Es geht nicht darum, was du getan hast, sondern was ich getan habe. Was ich gesehen habe. Und was ich gefühlt habe." Mit einem Mal war es mit ihrer Beherrschung vorbei. Sie drehte sich um, und Tränen glitzerten in ihren Augen. "Verdammt Van, warum muss ich immer in Kämpfe verwickelt werden? Warum muss ich immer diejenige sein, die das Schreckliche sehen muss? Warum muss ich es immer sein, die diese verdammte Welt retten soll? Kann das zur Abwechslung nicht mal wer anders tun?" schrie sie ihn an. "Ich habe es so was von satt, diese ständigen Kämpfe, Katastrophen, Tod. Ich bin doch auch nur ein Mensch. Und dann soll ich noch gegen Götter kämpfen? Sollen sie es doch unter sich ausmachen, und wenn diese ganze Welt draufgeht, was soll's? Ich gehöre nicht hierher. Ich werde nach Hause gehen, und alles das hier vergessen. Nie mehr kämpfen, kein Blut, und die größte Gefahr wird sein, von einem Auto überfahren zu werden." Ihre Beine gaben unter ihr nach, und sie sank zu Boden. "Ich halte das einfach nicht aus Van." Er ging auf sie zu, um sie zu trösten, in den Arm zu nehmen, irgendwas. "Nein! Komm mir nicht näher!" Sie sprang hoch und wich zurück, bis sie gegen die Wand stieß. "Bleib weg von mir! Ich will nicht, dass dir auch noch etwas passiert. Ich bringe allen immer nur Unglück." "Das ist doch Unsinn. Und selbst wenn, das sagen die Leute auch vom Drachengottvolk. Soviel Unglück wie ich mir selbst bringen müsste, kriegst du nie zu Stande." Er hatte gehofft, mit diesem Scherz ihre Spannung zu lösen, aber Hitomi lachte nur hysterisch. "Das sagst du doch nur. In Wahrheit hasst du mich doch." Dann schrie sie plötzlich wieder "Verdammt, ich habe versucht, dich umzubringen, hast du das schon vergessen?" "Nein, habe ich nicht. Aber das ist mir egal. Ich habe selbst versucht, dich umzubringen. Verstehst du denn nicht Hitomi? Ich weiß genau, was du fühlst, aber dadurch, dass du dir die Schuld an allem gibst, wirst du es nicht ungeschehen machen. Keiner von uns ist verantwortlich für das, was geschehen ist. Wir waren besessen. Ich mache dir keinen Vorwurf, und du solltest es auch nicht machen." Hitomi schüttelte nur weinerlich den Kopf, und plötzlich fing auch Van an zu schreien. "Hast du überhaupt eine Ahnung, wie ich mich gefühlt habe? Aber das interessiert dich ja überhaupt nicht. Du bist noch genauso selbstmitleidig wie damals. "Ich möchte nach Hause, ich möchte nach Hause." Dass ich habe zusehen müssen, wie meine Heimatstadt verbrannt ist, hat dich einen Dreck interessiert. Das einzige woran du denken konntest war, warum DIR so etwas schlimmes passieren konnte. Du warst egoistischer als Merle, und du hast dich kein Stück geändert! Du kannst einem wirklich leid tun!" Hitomi hatte mit offenem Mund und aufgerissenen Augen seiner Tirade zugehört. Nun stand sie ungläubig da, während Van sie mit kalten Augen ansah. "Wie... Wie kannst... WIE KANNST DU ES WAGEN, SO MIT MIR ZU REDEN!" Mit aller Kraft verpasste sie ihm eine Ohrfeige, die so heftig war, dass Vans Unterlippe aufplatzte. Er sah sie weiterhin nur an, während das Blut in einem dünnen Faden an seinem Mundwinkel herunterlief. Hitomis Hand war in der Luft erstarrt, und sie schaute nun ungläubig auf das, was sie angerichtet hatte. "Oh, mein Gott." Flüsterte sie "Van! Ich, ich wollte nicht..." Dann brach sie zusammen, und weinte hemmungslos. Nach einer Weile wischte sich Van das Blut aus dem Gesicht, kniete sich vor sie hin, und nahm sie in seine Arme. Willenlos ließ sie alles geschehen, während ihr Körper von Weinkrämpfen geschüttelt wurde. Van hielt sie einfach nur fest und sagte kein Wort. Nach einer ganzen Weile ließ ihr Schluchzen nach, und sie löste sich aus seinen Armen. "Ich halte es einfach nicht aus, Van." Sagte sie leise, und sah ihm in die Augen. Sie erkannte nur Mitgefühl, Verständnis und Liebe darin. "Ich kann dich verstehen Hitomi." Antwortete er ihr ebenso leise. "Wenn du gehen musst, dann geh. Ich werde dich nicht aufhalten. Aber vergiss nicht, hier gibt es nicht nur Leid für dich. Hier gibt es auch Menschen, die dich mögen, und es gibt auch jemanden, der dich braucht. Nicht wegen deiner Fähigkeiten" sagte er in Anspielung auf etwas, für das er sich heute noch einen Dummkopf schalt "sondern weil sein Leben ohne dich einsam ist. Einsam, leer und sinnlos. Ich liebe dich Hitomi." Dann gab er ihr einen langen, zärtlichen Kuss. Als sie sich voneinander lösten, war nicht nur ihr Gesicht feucht. Langsam stand sie auf, und ohne ihn noch einmal anzusehen, nahm sie ihre Tasche, stellte sich hin, und schloss die Augen. In einem gleißenden, blau-weißem Licht verschwand sie, als ob sie niemals da gewesen wäre. Nur ihre letzten Worte hingen noch immer in Vans Ohren. "Ich liebe dich auch, Van. Bitte verzeih mir." Ende Kapitel 4, Geschichte 2. Geschichte 3 folgt bald! Geschichte 3 des LMMI-Zyklus. Viel Spaß! Und mir viele Kommentare! Und nun öffnen sich die Tore der Fantasie erneut, um euch, liebe Leser, in die Welt Gaias zu führen, eine Welt der Legenden und Mythen, bewohnt von seltsamen Wesen und Schauplatz noch seltsamerer Ereignisse. Möge die Geschichte von mutigen Kriegern, schönen Frauen und unglaublichen Abenteuern ihren Lauf nehmen, wie sie in tausenden wiedersprüchlichen Prophezeiungen niedergeschrieben wurde... :D Prüfungen Prolog "Hitomi!" "Van! Ich bin so froh, dich zu sehen." Sein Gesicht strahlte, und er breitete die Arme aus, um sie zu empfangen. Sie war nur noch ein paar Meter von ihm entfernt, da passierte es. Blut, so rot wie Wein im Licht der untergehenden Sonne, war auf einmal überall auf seinem Körper, schoss aus tausenden von Wunden und begann den steinernen Boden zu bedecken wie Millionen winziger, böse funkelnder Rubine. Seine Augen weiteten sich, und er schaute auf das Schwert, das in seinem Körper steckte. Es war Vans Schwert. Und Hitomi hatte ihn damit getötet. "Vaaaaaannnnn!" Schreiend fuhr Hitomi nach oben. Sekundenlang wusste sie nicht, wo sie war. Dann begann ihre Angst abzuflauen, und sie erkannte ihre Umgebung. >Gott sei Dank, es war nur ein Traum.< Noch immer zitternd stand sie auf und schob die Vorhänge zur Seite. Am Himmel stand der Mond, hell erleuchtet vom Licht der Sonne, die in diesem Moment die andere Seite der Erde beschien. Und eine andere, ferne Welt... "Alles in Ordnung Hitomi? Du hast geschrieen, und..." Hitomi war erschrocken zusammen gezuckt. Doch jetzt drehte sie sich um und sagte fast fröhlich, "Ja, Kenji. Alles in Ordnung. Nur ein Albtraum. Geh wieder schlafen." "Na wenn du meinst. Ich hoffe bloß, meine Schwester schreit nicht noch mal so, dass ich fast aus dem Bett falle." Er drehte sich um, schloss die Tür wieder, und Hitomi konnte ihn draußen noch leise mit ihrer Mutter reden hören. Dann erlosch der Streifen Licht unter der Tür, und es war wieder still im Haus. Aber in Hitomis Ohren gellte noch immer ihr entsetzter Schrei. >Was, wenn es kein Traum war? Es war so real. Aber was kann es bedeuten?< Sie schaute auf die Wecker. Kurz vor halb fünf. Sie nahm in Gedanken versunken den blauen Anhänger, der daneben lag, und betrachtete ihn nachdenklich. Er war das Abschiedsgeschenk Mai Lings, so, wie sie den ihren Van gegeben hatte. Entschlossen zog Hitomi sich an. Sie würde sowieso nicht mehr einschlafen können. Also konnte sie auch spazieren gehen. Vielleicht würde die frische, kühle Morgenluft ihre Ängste vertreiben. Aber tief in ihrem Inneren wusste Hitomi, dass es nicht geschehen würde. *** Das leise Brummen der Motoren weckte Van. Am Geräusch erkannte er, dass der Crusador zum Landen ansetzte. In diesem Moment klopfte es an der Tür, und Van hörte die Stimme Tios. "Wir sind da." "Ich komme!" Er ging auf die Brücke, wo er bereits von Allen und Thana erwartet wurde. "Hallo, Van! Fanelia ist wirklich schön. Die Berge, die Wälder..." Van lächelte. "Ja, es ist ein wunderschönes Land. Wild, aber wunderschön. Warte noch ein paar Monate, dann wird hier alles bunt. Die Gebirgseichen sind besonders schön. Imposante, alte Bäume voller bunter Farben. Du musst nur aufpassen, auf keinen Erddrachen zu stoßen. Die scheinen eine Vorliebe für Gebirgseichen zu haben." "Ach ja? Warum?" "Das weiß niemand..." Er verstummte, denn jetzt flog der Crusador über den Berghang, der Fanelia an mehreren Seiten umgab. "Hier hat sich in den paar Tagen ja eine ganze Menge verändert", meinte Allen, und Van musste ihm zustimmen. "Ja, ich bin selbst erstaunt. Anscheinend kommt Merle besser zurecht, als ich dachte." "Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, ausgerechnet sie zu deiner Stellvertreterin zu machen?" "Ich hatte kaum eine andere Wahl. Hätte ich wen anders genommen, wäre das als Bevorzugung aufgefasst worden, und alle hätten gegen denjenigen intrigiert." Er seufzte. Ein schweres, resignierendes Seufzen. "Bei Merle denken sie wenigstens, dass sie machen können, was sie wollen, und tun zumindest etwas- wenn auch nicht immer richtig. Ich verstehe nicht, wie ihnen irgendeine Position wichtiger sein kann, als die Menschen. Vargas hatte sie unter Kontrolle. Sie hatten Angst vor ihm. Vor mir anscheinend nicht." "Und warum suchst du dir nicht jemand anderen?" fragte Thana. "Es gibt niemanden. Die, die sich wirklich um das Volk kümmern würden, versuchen doch, zumindest erst ihrer Familie zu helfen. Ich kann sie nicht zu einer mit Verantwortung überladenen Position zwingen, die ihnen nichts als Ärger und schlaflose Nächte bringt." Die Diskussion wäre wahrscheinlich noch lange weiter gegangen, hätte Allen nicht in dem Augenblick etwas seltsames entdeckt. "Sieh einmal Van! Dort unten sind lauter Luftschiffe. Hast du eine Ahnung, warum die hier sind?" Van schaute stirnrunzelnd auf die Versammlung der unterschiedlichsten Typen von Luftschiffen. "Nein. Merkwürdig! Es scheint von jedem Land eines da zu sein." "Du hast Recht. Da ist sogar eins mit dem Wappen von Asturia. Was hat das nur zu bedeuten?" "Ich schlage vor, wir landen und fragen sie", meinte Thana. "Unter Umständen sagen es sie uns ja." Allen musste lachen. "Ja, das wäre möglich. Los Gades, du hast die junge Dame gehört. Bring uns runter." "Zu Befehl!" schmetterte dieser salutierend, und dann leise, aber so, dass es alle hören konnten, "Kommandantin!" Unter grölendem Gelächter senkte sich der Crusador neben die anderen Luftschiffe. Wenn sie gewusst hätten, was sie erwartete, wären sie nicht so fröhlich gewesen. Kapitel 1 "Hitomi! Hitomi! Fräulein Kanzaki, ich rede mit ihnen!" Hitomi erschrak, als sie plötzlich das Gesicht ihrer Lehrerin vor sich sah. "Wenn mein Unterricht so langweilig für dich ist, dass du nicht mal hörst, wenn man dich anspricht, kannst du auch genauso gut draußen träumen!" schrie sie wütend und deutete zur Tür. Hitomi stand ohne ein Wort auf, und ging nach draußen. Als sie die Tür schloss, bemerkte sie nicht den verwirrten Blick ihrer Lehrerin, die ihr besorgt nachsah. >Jetzt habe ich es mir auch noch mit meiner Lieblingslehrerin verscherzt<, dachte Hitomi traurig, als sie sich an die Wand lehnte. Es war schon das zweite Mal, dass sie heute hinaus geschickt wurde, weil sie so unaufmerksam war. Aber ihr ging einfach nicht der Traum von letzter Nacht aus dem Kopf. Wie jedes Mal, wenn sie daran dachte, fühlte sie den Kloß in ihrem Hals, der sich einfach nicht hinunterschlucken ließ. >Was hat das nur zu bedeuten?< fragte sie sich wohl zum tausendsten Mal. >Ist Van in Gefahr? Oder ich? Stimmt wieder etwas nicht mit Gaia? Und warum habe ich ihn erstochen?< Sie würde Van niemals etwas antun können, aber vielleicht brachte sie ihn durch irgend etwas in Gefahr, und... Bunte Wirbel erfassten sie. Rote Schleier tanzten vor ihren Augen. Bilder tauchten auf. Van, wie er sie anlächelte. Escaflowne, im Kampf mit einem Guymelef. Eine dämonische Fratze, und dazu ein so böses Gelächter, dass ihr das Blut in den Adern gefror. Es war Vans Stimme. Dann kam Allen. Er schien sie vor irgendetwas warnen zu wollen, dann durchbohrte ihn ein aus dem Nichts auftauchendes Schwert. Das königliche Schwert von Fanelia. "Allen! Nein!" Wieder diese Wirbel. Sie stand auf einem Hügel. Unter ihr eine brennende Stadt. Noch einmal wurde sie davon getragen. Vor ihr stand Van. Und auch wieder nicht Van. Es war sein Körper, aber sein Gesicht war verzerrt, und als sie ihn ansah, hatte sie ein so unglaubliches Gefühl von Falschheit... Van, oder was auch immer, schaute sie an, und ein eisiger Schreck durchfuhr sie angesichts solcher Boshaftigkeit in seinem Blick. Dann grinste dieses Wesen. "Ah, Hitomi. Wie schön, dass du noch gekommen bist." Seine Worte klangen sanft und zärtlich, aber sein Grinsen strafte seine Worte Lügen. "Dann muss ich mir nicht die Mühe machen, zu dir zu kommen, um dich zu töten." Mit einem irren Lachen stieß er ihr das Schwert in den Bauch. Ungläubig schaute Hitomi nach unten auf den kalten Stahl, der sich in ihre Eingeweide gebohrt hatte. Sie konnte es nicht glauben, aber in dem Moment, als er zugestochen hatte, hatte sie gefühlt, dass es wirklich Van war, der da vor ihr stand, und nun sein Schwert wieder aus ihr herauszog. Zumindest zu einem Teil war er es. Sie betrachtete teilnahmslos die Klinge, auf der sich ihr Blut mit dem vieler anderer Unschuldiger mischte. "Van" hauchte sie, dann wurde die Umgebung undeutlich, und sie schlug auf den Boden. Das erste, was sie bemerkte, war ein verschwommenes Gesicht, dass sich über sie beugte. "Sie kommt wieder zu sich!" Hitomi runzelte die Stirn, und sofort zuckte ein heftiger Schmerz durch ihren Kopf. "Hitomi? Hitomi, kannst du mich hören?" >Diese Stimme...< "Yukari? Yukari, bist du das?" fragte sie schwach. Dann klärte sich ihre Sicht plötzlich. "Yukari! Was ist... Oh Gott." Sie schwieg, während die Erinnerung kam. Zum Glück sprach in diesem Augenblick eine andere Stimme, sonst wäre sie wohl erneut bewusstlos geworden. "Ich habe keine Ahnung, wie sie sich eine solche Wunde zugezogen haben könnte. Ich habe nichts spitzes oder scharfes gesehen. Sie hat einfach nur dagelegen, und geschrieen. Es hat fast wie eine Sprache geklungen, aber ich habe kein Wort verstanden." >Wunde? Was für eine Wunde?< fragte sich Hitomi verwirrt, dann bemerkte sie den Schmerz. Überrascht hob sie den Kopf, aber ließ ihn sofort wieder sinken. Trotzdem hatte sie gesehen, was passiert war. Genau dort, wo diese Van-Kreatur sie erstochen hatte, klaffte ein blutiger Riss in ihrer Haut, den eine Frau in einem weißen Kittel gerade nähte. "Du hattest Glück, dass Doktor Yuo gerade da war, Hitomi", sagte Yukari, und nun sah Hitomi auch die Tränen auf ihrem Gesicht, die noch immer nicht getrocknet waren. "Ich hatte schon gedacht du stirbst, als ich dich da liegen sah, nachdem Frau Nakamura geschrieen hatte, und du voller Blut warst. Ich frage mich, wie es überall auf deinen Körper kommt, wo du doch deine Wunde gar nicht angefasst hast. Und trotzdem hattest du soviel Blut an deinen Händen." Hitomi hob ihre Hände und sah sie verwundert an, während Yukari noch immer völlig aufgelöst weiterplapperte. Deutlich waren die Spuren zu sehen, die das Tuch hinterlassen hatte, mit dem man ihr den größten Teil des Blutes abgewischt hatte, aber das Rot war trotzdem deutlich zu sehen. "So, fertig." Die Ärztin gab der Schulschwester die Nadel, und machte sich daran, Hitomi einen Verband zu verpassen. Mit der gespielten Fröhlichkeit, die so vielen Ärzten zu eigen war, redete sie auf Hitomi ein. "Es ist wirklich ein Wunder, dass du dich nicht schlimmer verletzt hast. Ich hätte geschworen, dass etwas, dass eine solch tiefe Wunde verursacht auch wesentlich mehr Schaden anrichtet. Aber es ist gar nicht so schlimm, wie es aussieht." Beinahe hätte Hitomi hysterisch gelacht. Wenn man ein Schwert in den Bauch bekam, dann war es wirklich ein Wunder, wenn man mit kaum mehr als einer Schramme davonkam. "Wird es wieder richtig verheilen?" fragte Yukari. Die Ärztin wiegte den Kopf hin und her. "Nun ja, es wird wohl eine kleine Narbe zurück bleiben, die erst in ein paar Jahren verschwindet. Je weniger sie sich in den nächsten Tagen bewegt, desto besser kann es heilen. Also, Bettruhe für eine Woche. Dann sehe ich es mir noch mal an. Ich glaube, wir können dich nach Hause fahren. Es ist nicht nötig, dich ins Krankenhaus zu bringen, vorausgesetzt, du tust, was ich dir gesagt habe, und bleibst liegen", sagte sie streng zu Hitomi, die nur nicken konnte. "Ich werde sie nach Hause fahren", erklärte Frau Nakamura. "Sie wohnt gleich im Haus neben meinem, und ich weiß, dass ihre Mutter zu Hause ist." "Gut. Bitte geben sie mir ihre Adresse, damit ich mich in einer Woche dann auch hinfinde." Die beiden Frauen gingen nach draußen, und auch die Schulschwester verließ das Krankenzimmer. "Hitomi?" fragte Yukari leise. "Was ist passiert?" Eine Weile schwieg Hitomi. Dann antwortete sie genauso leise: "Ich weiß es nicht Yukari. Nicht genau." "Es war wieder eine dieser Visionen, oder? Und du hast dauern nach diesem Jungen geschrieen, nach Van." Hitomi schwieg. Was hätte sie auch noch sagen sollen. Dann kam Frau Nakamura wieder hinein. "Kannst du aufstehen?" fragte sie. "Ich glaube schon." Gestützt von Yukari und ihrer Lehrerin, ging sie zum Auto. "Wieso darf ich nicht mitfahren?" fragte Yukari wütend. "Weil du nicht verletzt bist." "Aber ich bin ihre beste Freundin." "Das ist egal. Los, geh wieder zurück. Du hast nur noch zwei Stunden, dann kannst du Hitomi besuchen." Frau Nakamura schloss die Autotür, und fuhr los. Nach einer Weile fragte sie: "Was ist bloß los mit dir, Hitomi? Ich kenne dich, seit du ein kleines Kind warst. Als du geboren wurdest, war ich etwa so alt wie du jetzt. Ich habe dich in meinen Armen gehalten. Ich kann mich noch erinnern, wie du, als du kaum laufen konntest, auf einmal verschwunden warst. Deine Mutter hat die ganze Straße in Aufregung versetzt. Und dann habe ich dich gefunden. Bei uns im Garten. Du hast eine Eidechse verfolgt, und warst ganz gefesselt von ihr. Ich glaube sogar, das war der Moment, in dem ich beschloss, Lehrerin zu werden." Sie schwieg eine Weile, in ihren Erinnerungen versunken, und Hitomi störte sie nicht. Sie wollte jetzt nicht reden. Vor allem nicht, mit Frau Nakamura. Sie mochte sie sehr, und es würde ihr wehtun, nichts sagen zu können. "Du warst schon immer ein aufgewecktes Kind, und wenn ich ehrlich sein soll, warst du mir schon immer etwas unheimlich. Ich weiß noch, ich habe einmal einen Ring gesucht, und du hast sofort gewusst wo er war. Obwohl du unmöglich wissen konntest, wo ich ihn hätte verlieren können." Hitomi schaute aus dem Fenster. An die Eidechse konnte sie sich nicht mehr erinnern, aber an den Ohrring. Sie war damals fünf oder sechs Jahre alt. Als sie Frau Nakamura etwas suchen sah, hatte sie sofort gewusst, was es war, und wo der Ohrring lag- er war unter einen Stein in ihrem Garten gekullert. "Und das ist nicht das einzige Beispiel. Aber so habe ich dich noch nie erlebt. Du bist immer mit deinen Gedanken woanders, und wenn ich dich anschaue... Hitomi. Ich habe Angst um dich. Was ist los?" Es tat Hitomi in der Seele weh, ihre Lehrerin so reden zu hören. Sie wollte nicht mit ihr darüber reden. Sie wollte nicht sagen, dass sie Angst hatte. Ganz unbeschreibliche Angst um Van. Irgendetwas würde passieren, das wusste sie genau. Das heute Nacht hätte sie vielleicht noch als Traum abtun können, aber nicht das, was ihr in der Schule passiert war. Träume verletzten niemanden. Und sie überschütteten einen auch nicht mit Blut. Da Hitomi nicht antwortete, fuhr ihre Lehrerin schweigend weiter. Schließlich hielten sie vor Hitomis Haus. "Hitomi, ich komme heute Abend vorbei. Ich möchte mit deinen Eltern sprechen." Frau Nakamura hatte mit Widerstand gerechnet, aber zu ihrer Überraschung nickte Hitomi nur, und stieg aus. Nachdem sie gesehen hatte, dass sich die Tür zu Hitomis Haus öffnete, fuhr sie los. >Vielleicht wäre es besser gewesen, jetzt sofort mit ihrer Mutter zu reden<, überlegte sie. >Aber was soll ich ihr sagen? Dass sich ihre Tochter auf unerklärliche Weise verletzt hat? Dass sie seit ihrem Fehlen vor zwei Monaten so seltsam geworden war? Und dass es seit ihrer Krankheit vorige Woche noch schlimmer war? Oder war sie vielleicht gar nicht krank gewesen? Hatte sie gefehlt, weil sie so seltsam war?< Schaudernd beschloss sie, mit Yukari zu reden. Sie und Hitomi waren seit dem Kindergarten unzertrennlich. Vielleicht konnte sie ihr erklären, was mit Hitomi los war. *** Thana ging hinter Van die Rampe hinunter. Hier am Boden sah man nicht mehr so deutlich wie aus der Luft, dass Fanelia erst vor kurzem zerstört worden war. Der Landeplatz war von allen Trümmern geräumt, und an den Rändern wuchs schon wieder kniehohes Gras, zusammen mit den ersten zaghaften Versuchen von Büschen und Bäumen, ihr altes Territorium zurück zu erobern. Es war, als ob die Natur mit aller Kraft versuchte, die ihr beigebrachten Narben zu überdecken und noch schöner als zuvor wieder zu erblühen. "Euer Majestät!" Die Soldaten, die sie abholten, schienen sich nicht wohl zu fühlen. Sie schauten fast ängstlich auf ihren König, der keine Ahnung hatte, warum. "Was ist los? Warum sind all die Luftschiffe hier?" "Es wurde von den anderen Königreichen ein Beschluss gefasst, und sie sind hier, um euch darüber zu informieren. Fast alle Reiche haben einen Abgesandten geschickt." "Und was ist das für ein Beschluss?" Der Soldat wand sich. "Ich glaube, das sagen sie euch besser selbst." "Na, das kann ja was werden." hörte Thana Dryden hinter sich, und musste ihm im Stillen Recht geben. Van schaute den Soldaten eine Weile eindringlich an, und beschloss dann, nicht weiter zu fragen. Er würde früh genug erfahren, was der Grund dafür war, dass seine Soldaten lieber nicht in der Nähe waren, wenn er erfuhr, was diese Versammlung zu bedeuten hatte. Trotz der Medizin, die ihre empathische Fähigkeit unterdrückte, konnte Thana deutlich die Erleichterung der Soldaten spüren, als Van sie wegschickte. *** Hitomis Finger strichen zitternd über die Tarot-Karten, die auf ihrer Bettdecke lagen. Sollte sie es tun, oder nicht? Sie hatte sich eigentlich geschworen, nie mehr die Karten zu benutzen, nachdem sie so viele entsetzliche Dinge mit ihnen vorausgesagt hatte. Aber die Angst fraß sie auf. Sie musste einfach wissen, was ihre Visionen zu bedeuten hatten. Und wie es Van ging. Van. Er hatte es ihr gesagt. Bevor sie geflohen war, geflohen vor all dem, was auf Gaia immer passierte. Er hatte ihr gesagt, dass er sie liebte. Hitomi war noch nie so glücklich wie in diesem Augenblick. Und zugleich so traurig wie noch nie. Wie hatte sie einfach gehen können? Sie liebte ihn doch auch! Aber sie konnte es nicht ertragen, weiter bei ihm zu sein. Sie hatte schließlich versucht, ihn zu töten! Und es war egal, ob sie es selbst war, oder ob etwas Fremdes sie kontrolliert hatte. Sie hatte es getan, und dass würde sie sich nie verzeihen. Nach weiteren Sekunden des Zweifelns packte Hitomi entschlossen den Kartenstapel. Gemischt hatte sie ihn schon. Und nun die Frage: Gab es eine Chance für sie und Van? Schnell legte sie die fünf Karten im Kreuz aus. Die erste Karte: Bejahung. L' Amore - die Liebenden. Liebe, aber auch Konflikt zwischen zwei Kräften mit der Notwendigkeit der Entscheidung. Die zweite Karte: Verneinung. La Luna - der Mond. Gefahr, weil etwas anders erscheint, als es ist. Die dritte Karte: Widerstreit. La Torre - der Turm. Eine heftige Auseinandersetzung. Plötzliche Veränderungen und die Wirkung von übergeordneten Mächten. Die vierte Karte: die Lösung. Die Königin der Vögel. Eine verbitterte Frau, voller Emotionen. Egoistisch und anmaßend. Trennung oder Enttäuschung. Die letzte Karte, die fünfte. Synthese, das Ergebnis. Il Monde - die Welt. Erreichen des wichtigsten Zieles. Freiheit und Veränderungen, auch durch Reisen und Ortswechsel. Die Liebenden, der Mond, der Turm, die Königin der Schwerter und die Welt. Was hatte das zu bedeuten? Sie hatte noch nie ein solches Blatt gesehen. Die Liebenden- das konnten nur Van und sie sein. Aber was sollte der Mond da? Sollte Van... nein, wie konnte sie auch nur auf diesen Gedanken kommen. Vielleicht wird er durch irgendetwas getäuscht? Aber was? Der Turm deutete auf eine große Macht hin. Eisiges Grauen durchzog sie. Sollte etwa wieder das selbe passieren, wie das, was vor kurzem erst passiert war? Götter, die sich bekriegten? Das konnte einfach nicht sein! Flöte hatte doch gesagt, es wäre vorbei. Und dann die vierte Karte. Die Königin der Schwerter. Wie sollte eine verbitterte Frau Hitomi helfen können? Was konnte das nur... Schwärze. Ein Universum voll Schwärze. Dann ein Aufblitzen. Van! Und wieder Schwarz. Dann Bilder in rasender Folge, so schnell, dass sie kaum erkennen konnte, was vor ihrem inneren Auge erschien. Thana! Eine unbekannte Frau/ ein unbekanntes Mädchen. Zu schnell weg, um das erkennen zu können. Merle und ein... Katzenjunge??? Eine Höhle. Ein junges Mädchen, das sie auslachte. Ein meditierender, alter Krieger, das Gesicht zernarbt. Und ein sterbender Van, im Augenblick seines Todes ihren Namen auf den Lippen. Hitomi keuchte. Es waren noch viel mehr Bilder gewesen, aber sie hatte nicht mal die Hälfte erkennen können. Geschweige denn verstehen. Das einzige Konkrete, das zurückblieb, waren die Schmerzen unter ihrem Verband. Sie musste sich so gekrümmt haben, dass die Wunde wieder blutete. Eine lange Zeit lag sie still, während der Schmerz langsam zu einem dumpfen Pochen abebbte. Und in dem Maß, wie ihre Schmerzen verklangen, erkannte sie, dass es nur einen Weg gab, herauszufinden, was die Karten ihr sagen wollten. Sie musste tun, wovor ihr so sehr graute. Sie musste zurück. Zurück nach Gaia. Zurück in die Welt, die Himmel und Hölle zugleich war. *** Frau Nakamura ging gedankenverloren durch die engen Gassen der Altstadt zum Meer. An der Promenade wehte zum Glück jene kühle Brise, nach der sie sich an diesem schwülen Abend so sehr sehnte. Sie lächelte, als sie an den Paaren vorbeikam, die hier aneinandergelehnt saßen, und nichts weiter brauchten als sich selbst. >Glückliche Kinder<, dachte sie. >Sie wissen noch nicht, was einmal auf sie zu kommt. Verantwortung für andere.< Dieser Gedanke brachte sie wieder auf den Grund für ihre Ruhelosigkeit - Hitomi. Als sie sie gerade besucht hatte, war sie noch seltsamer gewesen als sonst in letzter Zeit - nicht, dass sie nicht von Anfang an etwas seltsam gewesen war. Aber es war nie diese... Angst und diese Trauer in ihrem Blick gewesen. Im Gegenteil, sie war das fröhlichste und unbekümmertste Mädchen der ganzen Schule gewesen. Frau Nakamura stutze. Die Stimmen kannte sie doch? Sie sah zu der Bank vor ihr. Tatsächlich, es waren Yukari und Amano, die sich dort leise unterhielten. Aber nicht über sich selbst, wie die anderen Pärchen hier. "Nein, Amano. Du irrst dich. Da ist noch etwas anderes. Ich kann dir auch nicht sagen, was, aber ich habe es in ihren Augen gesehen. Wenn ich bloß wüsste, was." Sie zögerte. Sie wollte die beiden nicht stören, aber andererseits, vielleicht konnte Yukari mit dem Brief ... Die Entscheidung wurde ihr abgenommen. Yukari hatte anscheinend bemerkt, dass jemand sie anstarrte, und hatte sich herumgedreht. Nun sprang sie auf. "Frau Nakamura! Was machen sie denn... äh..." Frau Nakamura musste trotz der ernsten Situation lachen. "Ich darf wohl nicht die Aussicht bewundern, hmm?" fragte sie mit einem Blick auf Amano, der nun ebenfalls aufgestanden war, und sich höflich verbeugte. "Nein, nein, natürlich dürfen sie. Ich..." stotterte Yukari mit rotem Gesicht. "Ich war bei Hitomi", beschloss Frau Nakamura, die Sache schnell hinter sich zu bringen. Yukari erschrak. "Ist was..." "Nein, keine Angst. Es ist nichts. Jedenfalls nicht was du denkst." "Wie meinen sie das?" fragte Yukari verwirrt. "Sie hat mir einen Brief für dich gegeben, ich soll ihn dir morgen in der Schule geben." "Aber warum das denn, wir besuchen sie morgen doch wieder", wunderte sich nun auch Amano. "Das ist es, was mich verwirrt. Hier." Sie reichte Yukari den Brief, die ihn öffnete und im schwachen Licht mühsam entzifferte. Frau Nakamura hatte lange überlegt, ob sie ihn lesen sollte, aber es widerstrebte ihr, das Vertrauen von Hitomi zu missbrauchen. Ganz abgesehen davon, dass es fatale Auswirkungen haben konnte, wenn Hitomi, die im Moment höchst labil war, davon erfuhr. Aber als Yukari schneeweiß wurde, bereute sie diese Entscheidung. Wortlos wurde der Brief an Amano weitergegeben, der ihn äußerlich ruhig las. Dann bekam auch er sichtbar Angst. In diesem Moment lief Yukari los, und rief ihm zu. "Komm, Amano. Wir müssen vor ihr da sein und sie aufhalten!" Er stürzte los, doch Frau Nakamura hielt ihn fest. "Was ist los?" rief sie so laut, dass sich einige der verstreuten Paare zu ihnen umdrehten. Wortlos drückte Amano ihr den Brief in die Hand, und um ihn nicht fallen zu lassen, musste sie ihn loslassen. Das nutzte Amano aus, und lief hinter Yukari her. Im Brief standen nur drei kurze Sätze: "Er braucht mich. Ich muss wieder zurück. Bitte entschuldige, Yukari." Frau Nakamura sah den beiden hinterher. Sie hatte keine Ahnung, wo sie hinrannten. Und sie hatte nicht die geringste Chance, sie einzuholen. Amano war der beste Läufer der Schule, aber selbst er hatte Schwierigkeiten, zu Yukari aufzuschließen. Sie rannte, als sei der Teufel persönlich hinter ihr her. Was sollte sie also tun? *** "Sie ist nicht mehr da." "Was soll das heißen? Ist sie rausgegangen?" "Nein, einfach weg. Vor einer halben Stunde war sie noch auf ihrem Zimmer, jetzt ist sie weg." Frau Nakamura schaute entsetzt und verwirrt auf ihr Gegenüber. Hitomis Mutter schien nicht sonderlich aufgeregt zu sein. Eher resigniert. Als ob sie es aufgegeben hätte, eine Erklärung für Hitomis Verhalten zu finden. "Dann müssen wir sie suchen. Vielleicht ist sie bloß spazieren gegangen, aber das ist gefährlich mit ihrer Verletzung." "Sie ist nicht spazieren gegangen." Hitomis Bruder kam die Treppe herunter. "Woher weißt du das, Kenji?" "Sie hat ihre Tasche mitgenommen - und ihre Tarot-Karten", sagte er traurig. Hitomis Mutter atmete tief ein, und wandte sich an ihre alte Bekannte. "Geh nach Hause. Du kannst nichts mehr tun." Frau Nakamura traute ihren Ohren nicht. "Was soll das heißen? Hör zu, wir kennen uns seit Jahrzehnten. Meine Schwester ist mit dir in eine Klasse gegangen. Als unsere Eltern gestorben sind, warst du es, die es uns ermöglicht hat, weiter zu machen. Warum vertraust du mir nicht mehr?" "Das hat mit Vertrauen nichts zu tun. Aber wir können Hitomi nicht aufhalten." "Wobei aufhalten? Will sie sich umbringen?" Ein schmerzvolles Lächeln huschte über das Gesicht von Hitomis Mutter. "Nein, das nicht. Aber du würdest es nicht glauben, wenn ich dir erzähle, was der Grund für ihr Verschwinden ist. Du kannst nichts machen, niemand von uns kann das. Ich habe gewusst, dass es so kommen würde, sie ist schließlich meine Tochter. Was immer auch passiert..." Sie brach ab, und schüttelte den Kopf. "Geh nach Hause, und leg dich ins Bett. Sie will sich nicht umbringen, ganz sicher nicht. Im Moment will sie nichts mehr als leben." Frau Nakamura fror plötzlich, trotz der schwülen Hitze. Sie wusste ganz genau, dass der Satz hier noch nicht zu Ende war. Es fehlte noch etwas wie "aber es kann durchaus sein, dass ihr dieser Wunsch nicht erfüllt wird." *** >Tief durchatmen<, ermutigte Hitomi sich. >Es kann gar nichts passieren. Du hast wieder einen Torstein, das Tor ist auch wieder fast in Ordnung, und bei der Rückkehr zur Erde ist auch nichts passiert, außer ein bisschen Schwindel. Also, warum sollte jetzt etwas passieren? Also dann. Auf die Plätze, fertig, l...< "Warte Hitomi!" Hitomi starrte vollkommen überrascht auf ihre beste Freundin, die mit Amano im Schlepptau angerannt kam. "Tu... es... nicht... Hitomi!" japste sie, auf den Knien abgestützt und mit knallrotem Kopf. Amano ging es nicht besser. Trotz seiner antrainierten Ausdauer keuchte er, und sein T-Shirt zerriss fast, wenn er einatmete. "Woher wisst ihr, dass ich hier bin und was ich vorhabe?" Da Yukari noch immer krampfhaft versuchte, wieder zu Atem zu kommen, antwortete Amano. "Wir sind Frau... Nakamura begegnet. Sie hat uns... deinen Brief gegeben." Hitomi stand da, und konnte es nicht fassen. Das konnte nicht sein. Sie hatte ihn extra nicht zu Hause liegen gelassen, wo er gefunden werden konnte. Sie hatte vermeiden wollen, dass genau das geschah, das nun passiert war. Sie wollte sich nicht von ihrer Freundin verabschieden müssen. Sie war sich nicht sicher, ob sie dazu in der Lage war, wenn Yukari vor ihr stehen würde. Deshalb hatte sie sich auch von zu Hause fortgeschlichen. Sie konnte sich nicht von ihren Eltern und von Kenji verabschieden, ohne in ihrem Entschluss wankend zu werden. "Ich muss gehen!" sagte sie deshalb entschlossen, und leise fügte sie hinzu: "Ich hatte wieder eine Vision. Ich weiß nicht, was sie bedeutet, aber ich werde gebraucht." >Van braucht mich.< Yukari schaute in die traurigen Augen ihrer Freundin, und es war, als ob sie ihre Gedanken lesen könnte. Sie sah Hitomis Angst, ihre Zweifel, aber auch ihre Entschlossenheit. Und ihren Schmerz. Manchmal passierte es, dass man das Gefühl hatte, das Universum würde einem seinen Willen mitteilen - zusammen mit einer Bitte. Dies war einer dieser Momente. "Na gut, Hitomi. Wie du willst." "Wie?" Hitomi war nicht weniger erstaunt als Amano. Dieser rasche Gesinnungswechsel Yukaris war zwar typisch für sie, aber eben noch war sie so entschlossen gewesen, Hitomi aufzuhalten, dass es im ersten Moment keiner der beiden glauben konnte. "Du sollst gehen. Ich sehe doch, dass ich dich nicht aufhalten kann." Yukari umarmte Hitomi und wünschte ihr viel Glück. Dann verabschiedete sich auch Amano von ihr, bevor die zwei ein Stück zur Seite gingen, um Hitomi nicht zu stören. Diese konzentrierte sich erneut. >Dieses Mal ist es viel einfacher.< Sie drehte sich zu ihren Freunden um, wischte sich die Tränen aus den Augen und lächelte sie dankbar an. Dann schaute sie wieder entschlossen nach vorne. Raketengleich schoss sie nach vorne, die rechte Hand um den blauen Anhänger Mai Lings geschlossen, und mit der linken ihre Tasche festhaltend. Das rote Licht der untergehenden Sonne umgab sie in einer magischen Aureole, und ihre Schuhe wirbelten den Staub auf, der sich bei dem starken Wind am Morgen auf die Laufbahn verirrt hatte. Deutlich fühlte Hitomi jede Berührung ihrer Füße mit dem Boden, wie sich ihr Rock an ihre Beine presste, das Stechen der Wunde, und das wilde Schlagen ihres Herzens. Sie schrie auf, als die Säule aus purem, gleißendem Licht auf sie herniederfuhr und sie erfasste. "Viel Glück, Hitomi!" hörte sie Amanos Stimme hinter sich. "Willst du ihr gar kein Glück wünschen?" fragte er Yukari, die still neben ihm stand. Sie zögerte eine Weile, und schaute ihn dann mit einem merkwürdigen, um Verzeihung bittenden Blick an. "Es tut mir leid, Amano. Aber ich muss es tun." "Was musst du..." fragte er vollkommen verwirrt, da verschloss sie seinen Mund mit einem heißen Kuss. "Bitte verzeih mir." Dann rannte sie so schnell sie konnte auf Hitomi zu, die schon einen Meter über dem Boden schwebte. Hitomi schaute nach oben, dorthin, wo Gaia jetzt sein musste. Sie hatte Angst vor dem, was sie dort erwarten würde, aber noch größer war ihre Angst vor, was vielleicht geschehen konnte, wenn sie nicht dort sein würde. Plötzlich gab es einen heftigen Ruck, und etwas Schweres hing an ihren Füßen. Sie schaute nach unten, und hätte beinahe die Sporttasche auf Yukaris Kopf fallen lassen. "Yukari! Was machst du da! Lass los!" "Nein, das mache ich nicht. Ich lasse dich nicht noch einmal alleine da hin. Hast du vergessen, was wir uns mal geschworen haben? Das immer eine auf die andere aufpasst? Ich werde nicht noch mal versagen!" "Aber Yukari!" "Nichts aber! Außerdem kann ich jetzt sowieso nicht mehr loslassen. Oder willst du, dass nur noch ein Fettfleck von mir zurück bleibt, wenn ich unten aufschlage?" Hitomi schaute nach unten. Amano stand unter ihnen, schon ein ganzes Stück entfernt. Yukari hatte Recht. Wenn sie jetzt losließ, würde von ihr nicht mehr viel übrig bleiben, wenn sie aufschlug. "Mach dir keine Sorgen!" rief Hitomi Amano zu, um ihn zu trösten. "Wir kommen heil wieder zurück! Ich lasse nicht zu, dass Yukari etwas passiert!" Sie hoffte nur, dass er es noch hören konnte. Und dass sie ihr Versprechen würde halten können. *** Ich weiß heute noch nicht, wie sie mich gefunden hat. Ich lief in absoluter, alles verhüllender Dunkelheit. Zerstörung war rings um mich herum, von einem Krieg, den niemand gewonnen hatte. Und dann stand sie vor mir! Ein kleines Mädchen, lange, blonde Haare, in einer weißen Toga. Kein Lichtstrahl fiel auf sie, und doch konnte ich sie so deutlich sehen, als wäre es heller Tag. Sie stand da, ein sanftes, alles umfassendes Lächeln, blickte zu mir herauf, und hielt mir ihre Hand hin. Ich war erstarrt, konnte mich nicht rühren, und doch, nach ein paar Sekunden, in denen mein Denken einfach aussetzte, ergriff ich zögernd ihre Hand, und ging mit ihr davon. Durch verbrannte Felder voller Leichen, die ebenfalls bis zur Unkenntlichkeit verbrannt und verstümmelt waren. Ich hatte mein Leben lang das Gefühl gehabt, etwas zu suchen. Was es war, habe ich bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst. Doch als sie vor mir stand, wusste ich es. Ich habe sie gesucht: Flöte - die Kindgöttin! Ich bin ihr wohl tagelang gefolgt. Ich weiß es nicht. Und ich habe auch keine Erklärung dafür, wie ich das geschafft habe. Als wir an ihrer kleinen Hütte ankamen, habe ich jedenfalls erst einmal eine ganze Woche durchgeschlafen. Glaube ich wenigstens. Meine Wunden waren zumindest geheilt, als ich wieder aufwachte. Ich will nicht sagen, dass wir ein Herz und eine Seele waren. Vor allem am Anfang machte ich ihr viele Vorwürfe, dass sie mein Volk nicht gerettet hat. Die Macht dazu hätte sie gehabt. "Ja", sagte sie, "die Macht hätte ich wohl gehabt - diesmal. Vielleicht auch das nächste Mal. Aber irgendwann wäre meine Kraft verbraucht gewesen, und dann wäre der Krieg noch schlimmer geworden. Davon ganz abgesehen, mischen sich die Götter nicht mehr in die Geschicke der Menschenvölker. Sie müssen lernen, ohne unsere Führung auszukommen." "Und wenn sie das nicht schaffen?" hatte ich wütend gefragt. "Dann werden sie untergehen", hatte sie mit soviel Schmerz in der Stimme gesagt, dass ich mich für meine Wut schämte. "Sie müssen lernen, mit ihren Mitmenschen zusammen zu leben. Wenn sie das nicht schaffen, werden sie sich gegenseitig vernichten. Das wäre um ein Haar schon mal passiert." Sie schaute mich lange an, und ich wusste, dass sie aus Erinnerung sprach. "Die Menschen hatten Wissenschaft und Technik hoch entwickelt. So hoch, dass die Götter überflüssig wurden. Aber auch wenn sie den Verstand hatten, eine solche Technik zu entwickeln - die Vernunft, um sie richtig zu beherrschen, hatten sie nicht. Das Ergebnis war die Beinahe-Zerstörung zweier Welten. Und die Überlebenden des Untergangs von Atlantis fielen zurück in die Barbarei. Lieber sehe ich zu, wie sie sich mit Schwertern töten, als dass sie diese ganze Welt zerstören. Wir alle haben eine zweite Chance bekommen. Eine dritte wird es nicht geben." Keel setzte sich ruckartig in seinem Bett auf. Er hatte lange nicht mehr an die Vergangenheit gedacht, und der letzte Traum an diese Ereignisse lag Jahre, vielleicht Jahrzehnte zurück. Dass er nun wieder davon träumte, hatte etwas zu bedeuten. Er wollte nicht behaupten, dass er Visionen hätte. Weder solche wie Flöte oder Hitomi, und auch nicht solche, eher Vorahnungen zu nennenden, die manche der sensitiven Tihani zuweilen hatten. Aber er hatte lange genug gelebt, um zu spüren, wenn sich etwas zusammenbraute. Und das hier fühlte sich nach einem äußerst heftigen Gewitter an. *** Hitomi öffnete blinzelnd die Augen, und musste sie gleich wieder schließen. Es war hell hier. Sehr hell. Die Sonne brannte auf sie herab, und Schweiß kroch ihr aus allen Poren. "Hitomi?" hörte sie eine schwache, schwankende Stimme neben sich. "Hitomi, bist du wach?" Sie erinnerte sich. Sie wollte nach Gaia, aber dann hatte sich jemand an sie gehängt. "Yukari? Alles in Ordnung mit dir?" Schweigen folgte, und Hitomi bekam schon Angst, doch da antwortete ihre Freundin. "Weißt du, abgesehen von diesen grässlichen Kopfschmerzen, der Tatsache, dass ich mich nicht bewegen kann, weil alle Muskeln wehtun, ich mir gleich einen Sonnenstich hole und ich keine Ahnung habe, wo ich bin - also davon abgesehen geht es mir ausgezeichnet." Lachkrämpfe schüttelten Hitomis Körper, sehr zu ihrem Verdruss, denn ihr ging es nicht anders als Yukari. Als sie sich wieder beruhigt hatte, antwortete sie "Ich glaube, wir haben keine andere Wahl, als aufzustehen. Vielleicht finden wir ein schattiges Plätzchen. Und wenn wir uns bewegen, geht der Muskelkater hoffentlich weg." "Du scheinst dich ja auszukennen. Verläuft die Reise jedes Mal so? Ich glaube, dann hat das keine Zukunft für den Tourismus." Hitomi sparte sich die Antwort. Erstens erwartete Yukari sowieso keine, und zweitens wollte sie nicht zugeben, dass bisher jede Reise anders war. Und diese hier war bei weitem nicht die schlimmste. Sie standen auf, blinzelten beide in die Gegend, und stellten fest, dass sie irgendwo im Nirgendwo gelandet waren. Auf der einen Seite Bäume, auf der anderen zackige Felsen, die sich wie ein überdimensionales Nagelbrett in den Himmel streckten. "Nun, ich denke, wir gehen zu den Felsen dort. Da ist Schatten, und mit etwas Glück können wir hinaufklettern, und sehen, wo wir sind." Hitomi hatte nicht viel Hoffnung, die Gegend wieder zu erkennen. Gaia war groß, und sie war nicht gerade oft dazu gekommen, die Landschaft zu bewundern. Sie gingen also zu den Felsen, in deren Schatten sie sich erst einmal wieder hinsetzten. Der Muskelkater war vom Laufen zwar schwächer geworden, aber noch lange nicht verschwunden. Und nach Hitomis durchaus reichhaltigen Erfahrungen auf diesem Gebiet würde das auch so bleiben. Plötzlich erstarrte Yukari, die Augen zum Himmel gewandt, und mit offenem Mund. "Was ist?" fragte Hitomi. "Die... Erde", stammelte Yukari. "Ich habe dir doch davon erzählt. Oder hast du mir nicht geglaubt." "Doch, das habe ich. Es ist nur... Es ist einfach etwas anderes, davon zu hören, oder es zu sehen." Hitomi schaute nach oben. Yukari hatte Recht. Es gab keine Worte, die diesen Anblick beschreiben konnten. Die Erde, blau mit weißen Wolkenfetzen, davor der dunkelweiße Mond (er wirkte auf Gaia irgendwie nie grau - jedenfalls nicht, wenn man grau als Farbe betrachtete). Es war einfach ein Bild, dass jeden beeindruckte, der nach oben schaute. Und ein Bild, das melancholisches Heimweh in den Herzen derer weckte, die auf dieser blauen Kugel geboren waren. Mit einem Ruck drehte Yukari sich um. "Lass uns nachschauen, ob wir hier irgendwo raufklettern können." "Ist gut." Gemeinsam schafften sie es, an einer nicht allzu steilen Felsnadel von etwa vier Metern Höhe hinauf zu klettern. Auf eine höhere hätten sie sich auch nicht getraut. Sie schauten sich um, sahen aber nichts als Wald, Wiesen und andere Felsadeln. "Und du weißt nicht, wo wir sind, oder Hitomi?" Hitomi seufzte. "Nein, ich glaube nicht. Die Berge dahinten kommen mir vage bekannt vor. Es könnten Berge in Fanelia sein, aber die Chance ist nicht sehr groß. Wenn ich eins von der Geographie Gaias weiß, dann ist es die Tatsache, dass es viele Berge und noch mehr Wälder gibt. Und ich war noch nie besonders gut darin, Berge auseinander zu halten." "Warum sind wir eigentlich nicht in deinem Fanelia gelandet? Ich denke, du kannst das steuern?" Hitomi zuckte hilflos mit den Schultern. "Ich müsste, ja. Aber bis jetzt hat es noch nie so richtig geklappt. Und außerdem hast du dich an mich gehängt, und meine Konzentration gestört." "Ach, jetzt soll ich wohl Schuld sein, dass wir hier in der Wildnis gelandet sind, oder was?" Hitomi hob abwehrend die Arme, und versuchte ihre Freundin zu beruhigen. "Nein, nicht doch Yukari. Ich mache dir doch keine Vorwürfe." Sie ließ die Hände sinken, und ein wässriges Glitzern trat in ihre Augen. "Du willst mir ja bloß helfen, und dafür bin ich dir wirklich dankbar." Man konnte Yukari nachsagen, was man wollte, aber sie war niemand, der seine Freunde weinen ließ. "He, fang bloß nicht an zu heulen, klar? Ich will jetzt endlich in dieses verdammte Fanelia. Und wenn du sagst, es geht in diese Richtung, dann geht es da lang." Sie machte sich auf, die Felsnadel wieder herunter zu klettern, und Hitomi stand überrascht da. Dann musste sie ein Lachen unterdrücken. Yukari hatte es in der Tat geschafft, ihr Zuversicht zu geben. Das hatte sie schon immer gekonnt. Eigentlich war sie immer die treibende Kraft hinter Hitomi gewesen. Hitomi wünschte sich nur, sie wäre weniger sprunghaft. Auf einmal schrie Yukari. Es war ein panischer Schrei, als ob sie etwas überrascht hätte. In der Art, wie man schreit, wenn mitten in einem nächtlichen Gewitter ein Blitz die Silhouette einer vermummten Gestalt direkt vor sich enthüllt, die Hände erhoben um zu erwürgen. "Yukari!" Sie schrie immer noch. Hitomi konnte nicht sehen, was ihr so Angst machte, denn sie war hinter einem Vorsprung der Felsnase gegangen. Plötzlich brach ihr Schrei ab. Hitomi sprang die letzten beiden Meter hinunter, verknackste sich dabei den Fuß und rannte alle Schmerzen, auch die von ihrer Bauchwunde ignorierend, um den Vorsprung herum. Sie sah eine hagere, Gestalt, die sich gerade zu Yukari hinunterbeugte, die das Bewusstsein verloren hatte. "Lass sie in Ruhe, oder du wirst es bereuen!" Sie staunte selbst darüber, wie fest ihre Stimme klang. Sie hätte sich fast selber geglaubt. Die Gestalt drehte sich um, und Hitomi erkannte ein von Fell bedecktes Gesicht mit sanften Zügen, das im Moment aber eher Sorge wiederspiegelte. Doch als das Wesen Hitomi erblickte, kroch ein Ausdruck ungläubigen Staunens in seine Augen. "Lady Hitomi? Ihr?" "Luum?" Hitomi blinzelte den Wolfsmensch überrascht an, dann spürte sie wie ihre Beine unter ihr nachgaben. Nachdem die Wirkung des Adrenalins verflogen war, kehrten ihre Schmerzen und eine ungeheure Erschöpfung zurück, und Hitomi fiel auf die Knie. "Luum, ich bin so froh..." Sie spürte nicht mehr, wie Körper umkippte und im Gras landete, das ihren Aufprall wie ein Kissen auffing. *** Das erste was sie spürte, war eine raue Decke auf ihrer frei liegenden Haut. Dann hörte sie das Prasseln eines Feuers, den Ruf einer Eule, und das Murmeln und Raunen gedämpfter Gespräche. Mühsam öffnete sie die Augen. Über ihr wölbte sich die Unterseite eines Zeltdaches, und der flackernde Schein des Lagerfeuers warf verwirrende Muster auf den groben Stoff. Es war augenscheinlich schon Nacht. Sie musste also ziemlich lange bewusstlos gewesen sein. "Ah, ihr seid wach." "Luum?" Hitomi setzte sich ruckartig auf, und wäre wieder zurück gefallen, wenn der Wolfsmensch sie nicht gestützt hätte. "Ihr solltet euch vorsichtiger bewegen, Lady Hitomi." "Luum, wo ist Yukari?" "Sie ist draußen, und holt gerade etwas zu essen. Sie ist nicht von eurer Seite gewichen, seit sie zu sich gekommen ist - wenn man von der ersten halben Stunde absieht, in der wir sie überzeugen mussten, dass wir keineswegs die Absicht haben, sie zum Abendessen zu verspeisen." Hitomi schaute ihn überlegend an. Sollte das gerade ein Scherz gewesen sein, um sie aufzumuntern? Aber Luums Gesicht zeigte nur den immer gleichen Ausdruck... zufriedenen Ernstes, den sie bei ihm gewohnt war. Und außerdem, wenn sie an Yukaris Geschrei dachte, war es unsinnig anzunehmen, Yukari wäre ihm um den Hals gefallen. Außer, um ihn zu erwürgen. Sie stand auf, und Luum führte sie vorsichtig aus dem Zelt. "Wir haben euren Fuß behandelt, und auch einen neuen Verband um eure Bauchwunde gebunden." Hitomi erschrak. Richtig, sie hatte sich den Fuß verknackst, als sie vom Felsen gesprungen war. Sie schaute nach unten, sah aber nur einen dünnen Verband um ihren Knöchel, der verhinderte, dass die Salbe darunter ihre Schuhe verschmierte. Sie spürte keinerlei Schmerzen mehr, dafür war ihr Fuß angenehm taub. Nicht, dass sie nichts mehr spürte, aber es war, als ob sie nicht auf festem Boden, sondern auf einer weichen Wolke lief. Yukari ließ sich gerade von einer Wolfsmenschenfrau eine Schüssel geben. Sie schien keine Angst mehr vor den ihr unbekannten Wesen zu haben, hielt aber eine gewisse scheue Distanz. Als sie sich auf einen Baumstamm setzten wollte, geriet Hitomi in ihr Blickfeld, und sie sprang sofort wieder auf. "Hitomi! Alles in Ordnung mit dir?" "Ja, mir geht es gut. Setzt dich nur wieder hin, und iss." "Ihr solltet auch etwas essen, Lady Hitomi." Luum drückte sie behutsam aber bestimmt auf den Baumstamm neben Yukari. Dankbar nahm sie die ihr dargebotene Schüssel entgegen, in der eine Suppe mit gekochten Fleischstückchen schimmerte. Luum setzte sich ein Stückchen von ihnen entfernt ins Gras, genauso wie seine Artgenossen. Sie wollten Yukari vermutlich Zeit geben, sich an ihre Anwesenheit zu gewöhnen. Wieder einmal spürte Hitomi die seltsame Zurückhaltung dieser Wesen, die von ihren tierische Verwandten nur die äußere Erscheinung geerbt hatten. "Was ist das eigentlich für Fleisch?" fragte Yukari mit halbvollem Mund. "Ich habe so etwas noch nie gegessen. Es ist so - weich", sagte sie in Ermangelung eines passenden Begriffes. "Eichhörnchenfleisch." Sagte einer der Wolfsmenschen, und Yukari erstarrte mit dem Löffel im Mund. Sie wurde schneeweiß, und stellte ihre Schüssel ab. "Äh, ich glaube, ich bin satt." Auch Hitomi starrte auf ihre Schüssel und den bereits halb erhobenen Löffel. In diesem Moment brach ein ohrenbetäubendes Gelächter aus, selbst Luum lachte, dass er sich den Bauch halten musste. Yukari schaute mindestens ebenso belämmert in die Gegend, wie Hitomi. "Keine Sorge", sagte Luum endlich, nachdem er sich etwas beruhigt hatte. "Das ist überhaupt kein Fleisch. Wir sind Vegetarier." Das überraschte nun auch Hitomi. Sie schaute zweifelnd auf ihre Schüssel. "Aber es sieht aus wie Fleisch." "Und es schmeckt auch so", fügte Yukari hinzu. "Aber es ist eine Pflanzenknolle. Früher hat mein Volk Fleisch gegessen, aber dann gelang es uns, Pflanzen zu züchten, die alle Nährstoffe besaßen, die wir aus dem Fleisch benötigten. Dass die Knolle aussieht und schmeckt wie Fleisch war zum großen Teil Zufall, wurde aber durchaus begrüßt. Es erleichterte die Umstellung. Warum seid ihr hier, Lady Hitomi? Ich meine hier, in diesem Wald. Es ist ein ganz schönes Stück Weg von hier bis Fanelia." "Wie weit?" "Ihr wisst nicht, wo ihr seid?" "Nein. Ich wollte eigentlich nach Fanelia. Aber irgendetwas hat nicht so geklappt, wie es sollte." Luum schaute sorgenvoll, und zum ersten Mal wirkte sein Gesicht nicht so zuversichtlich wie sonst. "Was wisst ihr über den König?" Sein Tonfall machte deutlich, dass er nichts alltägliches meinte. "Van? Äh, ich weiß nicht, was ihr meint." Luum seufzte. "Dann ist es wohl besser, euch zu sagen, dass etwas mit ihm nicht stimmt." Ein eisiger Sturm zog durch Hitomis Herz. Sie hatte gewusst, dass etwas nicht in Ordnung war. Aber dass Luum es wusste, und dass er es ihr so sagte, ließen ihre schlimmsten Befürchtungen neu aufflammen. "Was soll das heißen, Luum? Was ist mit ihm?" Der Wolfsmensch zögerte. "Ich habe auch nur Gerüchte gehört. Angeblich soll er sich verändert haben. Ich wollte es nicht glauben, bis vor zwei Tagen einer aus meinem Stamm zurückkehrte und berichtete, er solle mir vom König ausrichten, dass unsere Steuern erhöht werden. Ihr müsst wissen, dort wo wir leben, ist es sehr schwer, genügend Nahrung anzubauen. Und alles Geld, das wir haben, stammt einzig und allein von einigen Händlern, die uns als Führer und als Schutz vor gefährlichen Tieren anheuern. Alles andere, das wir nicht für unseren eigenen Bedarf produzieren, tauschen wir gegen andere Waren, wie Fisch, Gewürze und Metalle. Wir wären nie in der Lage, die Steuern zu bezahlen, die für die anderen Leute in Fanelia gelten. Das ist allen klar. Wir zahlen soviel, wie wir entbehren können, denn wir wissen, dass das Geld gebraucht wird. Vor allem jetzt, nachdem die Zaibacher alles zerstört hatten. Aber plötzlich sollen wir nicht nur die normalen Steuern zahlen, sondern auch das, was wir in den vergangenen Jahrzehnten angeblich unterschlagen haben. Das waren seine Worte. Unterschlagen. Ich habe den Brief bestimmt ein Dutzend Mal gelesen, aber ich kann es immer noch nicht glauben." Er holte tief Luft, und starrte weiter in das knisternde Feuer. "He, Moment mal!" rief Yukari da plötzlich, und Verwirrung spiegelte sich auf ihrem Gesicht. "Was ist?" fragte Hitomi. "Da kann etwas nicht hinhauen." Sie sah Luum misstrauisch an. "Der Typ mit der Nachricht kam also vor zwei Tagen." Luum nickte, unsicher, was das zu bedeuten hatte, und auch irritiert durch Yukaris Inquisitions-Blick. "Wie lange braucht man von Fanelia bis zu euch?" "Zu Fuß vier Tage." Bevor Yukari weiterfragen konnte, knallte Hitomis Schüssel samt Besteck auf den Boden. Auf ihrem Gesicht wechselten sich Überraschung, Unglaube und Wiederspruch ab. "Aber... aber das ist unmöglich. Vor vier Tagen waren wir noch... Ich meine, ich bin erst vor drei Tagen... und da waren wir noch über dem Meer. Er kann gar nicht so schnell wieder hier gewesen sein." Eine Pause entstand, in der man nichts hörte als das Prasseln des Feuers, das Knacken des Unterholzes im Wald, wenn ein großes Tier auf einen vertrockneten, morschen Ast trat, und den eigenen Atem. "Ein Doppelgänger?" mutmaßte Yukari, aber der Zweifel war ihrer Stimme deutlich anzuhören. "Nein!" Wiedersprach ihr Luum auch sofort. "Er kam mit dem Crusador, der zwei Tage in Fanelia blieb. Es dürfte unmöglich sein, die Besatzung eines ganzen Luftschiffes zu ersetzten. Und Morphe können es auch nicht sein. Wir Wolfsmenschen können sie am Geruch erkennen, und das wäre meinem Mann sicherlich aufgefallen." "Morphe?" fragte Yukari ahnungslos, doch dann erinnerte sie sich. "Ach ja, Hitomi hat mir mal..." "Das ist jetzt nicht wichtig", fiel ihr Hitomi ins Wort, die nicht unbedingt an ihre Erlebnisse mit Zongi erinnert werden wollte. "Wichtig ist, wie es möglich sein kann, dass Van sich so verändert. Und wie der Crusador schon seit... wie lange eigentlich? ...da sein kann." "Sie kamen vor fast zwei Wochen." beantwortete Luum ihre Frage. "Und sie haben auch ein merkwürdiges Mädchen mitgebracht." "Thana." sagte Hitomi abwesend. >Zwei Wochen! Wie kann das nur sein? Und was ist mit Van los? Sollte vielleicht...< Bilder brandeten durch ihren Kopf. Erinnerungen. Erinnerungen an unglaublich intensiven Hass, an mächtige Wesen, in deren Händen Menschen nur Spielbälle der Launen sind. "Hitomi! Hitomi! Antworte doch!" "Wa...was?" Sie schüttelte verwirrt den Kopf. "Alles in Ordnung mit dir Hitomi? Du warst auf einmal so blass, und dann..." "Nein, schon gut, Yukari." Yukari sah sie stirnrunzelnd an, setzte sich dann aber wieder hin. Sie wusste, wann ihre Freundin nicht reden wollte. "Vielleicht bin ich tatsächlich Schuld." sagte sie, und Hitomi schaute sie verwirrt an. "Was meinst du?" "Das mit der Zeit. Du hast doch gesagt, dass ich dich abgelenkt habe, und wir deswegen woanders gelandet sind." "Aber das habe ich doch nicht so gemeint." "Nein, nein, Hitomi. Du verstehst nicht. Eigentlich wolltest du allein nach Fanelia. Und dann habe ich mich an dich gehängt. Es dürfte ein Unterschied sein, ob eine oder zwei Personen äh, transportiert werden sollen. Vielleicht hat es einfach Zeit gebraucht, auch mich mit hierher zu bringen. Und es hat auch den Kurs geändert. Gaia dürfte sich ja in zwei Wochen auch ein Stückchen durch den Weltraum bewegen, genau wie die Erde. Kein Wunder, wenn wir da ein paar Kilometer vom Kurs abkommen." Hitomi zog überlegend ihren blauen Anhänger hervor, und sah ihn an. "Nun ja, es wäre möglich. Ich habe nie verstanden..." Sie runzelte die Stirn, hob den Kopf, und starrte Yukari an. Diese wurde bis in die Haarspitzen rot. Hitomi hatte ihren Versuch, sie abzulenken durchschaut. "Luum, hat sich Van sonst noch verändert?" fragte Hitomi, und ließ den Anhänger wieder verschwinden. Die Anspannung in ihrer Stimme war so greifbar wie die brennenden Äste des Lagerfeuers. Und Luum schien sich zu fühlen, als würde er mitten drin sitzen. "Ja, das hat er. Er zieht sich angeblich von allen zurück, und hört auch auf niemanden mehr. Außerdem hat sich auch sonst sein Charakter verändert. Er ist jähzornig geworden, und er soll seine Diener sogar schon geschlagen haben." "Das glaube ich nicht!" Hitomi sprang auf. "Das würde er niemals tun, ich kenne... ihn..." Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Warum sollte Luum lügen? Er und Van waren schon lange Freunde. Wenn das stimmte, was er sagte... "Bring mich zu ihm. Bitte, ich muss so schnell wie möglich nach Fanelia." "Das werde ich. Ich wollte ja auch zu ihm, um darüber zu reden. Und jetzt, da ihr da seid, habe ich große Hoffnung, dass sich alles wieder fügt. Wir werden morgen früh aufbrechen, und es ist wohl besser, wenn wir jetzt alle schlafen gehen." Er stand auf, und mit ihm alle anderen Wolfsmenschen. Sie verschwanden in ihren Zelten, und nur einige blieben, als Wachen um das Lager herum postiert. Hitomi und Yukari gingen in ihr Zelt, und fielen dort trotz ihrer Sorgen rasch in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Nach einer Weile kam Luum in ihr Zelt. Er vergewisserte sich, dass sie schliefen. >Das Schlafmittel hat gut gewirkt.<, und griff dann nach Hitomis Kette. Im schwachen Licht betrachtete er den daran befestigten Anhänger. >Es ist wirklich ein anderer. Das Mädchen erstaunt mich immer wieder.< So leise und behutsam, wie er gekommen war, ging er wieder, und ließ die zwei Mädchen allein. *** Am nächsten Morgen brachen sie mit der Sonne auf. Hitomi und Yukari, obwohl noch schläfrig, fühlten sich ausgeschlafen und gekräftigt. Sie lagen auf einem Wagen, der mit Stoffen beladen waren, die die Wolfsmenschen auf der anderen Seite der Berge erworben hatten, um in Fanelia damit Handel zu treiben. Der Gewinn war nur sehr gering, aber es war besser, als mit einem leeren Karren durch die Gegend zu rumpeln. Beide Mädchen ließen ihre Gedanken schweifen, Hitomi voller Sorge um Van, und Yukari, obwohl auch besorgt - hauptsächlich um ihre Freundin - mit der wohl normalen Neugier eines Menschen, der das erste Mal in einer völlig fremden Gegend ist. Doch plötzlich zuckte sie zusammen. Diese Bewegung kam so überraschend, dass Hitomi sich erschrocken hinsetzte. "Yukari?" fragte sie verwirrt ihre auf einmal blasse Freundin. "Was ist los?" Yukari sah sich zögernd um, und beugte sich dann zu Hitomi vor. Flüsternd sagte sie: "Mir ist gerade etwas aufgefallen." "Und? Was denn?" "Ich verstehe hier alle." Hitomi zuckte mit den Schultern "Ich doch auch." Yukari nickte heftig. "Eben. Keiner von uns hat ihre Sprache jemals zuvor gehört, trotzdem verstehen wir sie - und sie uns. Verdammt, ich glaube sogar, ich spreche ihre Sprache, obwohl ich keinen Unterschied merke. Es ist bloß so ein Gefühl, als ob die Zunge nicht gewöhnt ist, so zu sprechen wie jetzt." Hitomi lachte "Weißt du, Yukari, ich habe schon lange darüber nachgedacht, warum ich hier alle verstehe. Ich habe Van ja auch verstanden, als er auf dem Schulhof auftauchte, im Gegensatz zu euch. Erinnerst du dich?" Ein Nicken beantwortete ihre Frage. "Ich glaube, es liegt an den Anhängern." Sie holte ihren blauen hervor. "Und weil du diesmal auch mitgekommen bist, sprichst du auch die hiesigen Sprachen." Yukari schaute zweifelnd auf den Anhänger, zuckte aber dann mit den Schultern. "Ist ja eigentlich auch egal. Aber eines musst du mir sagen: Wie bist du zu diesem blauen gekommen? Ich wollte dich nicht drängeln, als du uns diesmal nicht erzählen wolltest, was geschehen ist. Ich dachte, du brauchst einfach noch Zeit, aber jetzt bin ich hier, und ich finde du solltest mir sagen, was passiert ist." Hitomi hatte den Kopf gesenkt, während Yukari sprach. Nun schüttelte sie den Kopf. "Nein, Yukari. Bitte mich nicht. Es... es tut zu sehr weh..." "Ein Grund mehr, darüber zu reden", unterbrach Yukari sie, und fasste sie an den Schultern. "Hey, Hitomi, hör mir zu. Ich bin deine beste Freundin. Du kannst mir alles sagen. Ich werde nichts weitererzählen..." "Das weiß ich doch!" sagte Hitomi verzweifelt, aber Yukari sprach unbarmherzig weiter. >Jetzt oder nie! Wenn wir erst einmal in Fanelia sind, ist es zu spät. Dann sagt Hitomi gar nichts mehr.< "Und ich sehe dir an, wenn dir etwas weh tut. Aber wenn du nicht darüber redest, frisst es dich auf." Yukari sah sie so flehend wie möglich an, und sah, wie der Wiederstand in Hitomis Augen brach. Trotzdem sagte sie noch etwas, um ihrer Freundin eine Art moralisches Alibi zu geben. "Wenn du mir nichts erzählst, wie soll ich dann hier zurecht kommen? Vergiss nicht, ich bin neu auf diesem Planeten. Du willst doch nicht, dass ich aus Unwissenheit einen Fehler mache, dass ich mich bis auf die Knochen blamiere oder sogar einen Freund für einen Feind halte, oder so etwas?" Gequält lächelnd schüttelte Hitomi den Kopf. "Nein, bestimmt nicht. Also gut, hör zu. Es ist eine lange Geschichte. Sie beginnt damit, dass mir eines Nachts in einem Traum ein Drache erschienen ist... Kapitel 2 - Ankunft mit Schrecken Hitomis Geschichte war lang, so lang, dass es schon wieder später Nachmittag war, als sie endlich zu Ende war. Beide Mädchen schwiegen eine Weile. Dann machte Yukari Anstalten, etwas zu sagen. Vielleicht wollte sie noch einige Fragen stellen, oder auch nicht. Auf jeden Fall wurde sie abgelenkt, bevor sie zum Reden kam. "Wir sind da!" rief Luum, und die beiden drehten sich um. Vor ihnen lag das Tal, in dem Fanelias Hauptstadt lag. Im warmen, tiefgelben Schein der Sonne schien die Stadt zu glitzern, und ein leises, geschäftiges Brummen strömte von ihren Bewohnern herüber. "Hast du nicht gesagt, hier wäre alles zerstört worden? Wenn ja, sind die hier aber schneller als die Baufirmen bei uns zu Hause." Hitomi wurde aus ihrem Staunen gerissen, und musste lachen. Yukari konnte einfach nicht anders - sie musste die erstaunlichsten Dinge in die banalsten Worte fassen. "Ja, ihr habt Recht, der Aufbau geht sehr rasch voran. Und es sieht so aus, als wollten die Bewohner ihre Stadt noch schöner aufbauen, als sie es schon vor der Zerstörung war." Hitomi musste Luum Recht geben. Auch wenn bis jetzt fast nur Wohnhäuser zu stehen schienen, hatte sie irgendwie den Eindruck, dass diese Stadt einmal Stolz und Glanz ausstrahlen würde - wenn auch ohne großen Prunk, denn Fanelia war und blieb ein eher armes Land. Vor der Stadt wurden sie von einigen Wachen angehalten. Auch wenn es noch keine Stadtmauer gab, hatte man eine etwa mannshohe Palisade errichtet, die aber weniger der Abwehr menschlicher Feinde, als vielmehr dem Schutz vor wilden Tieren und lichtscheuen Gesindel diente, die die Dunkelheit nutzen könnten, um des Nachts Unheil über die Bewohner der Stadt zu bringen. "Wer seid ihr, und was wollt ihr hier?" fragte eine der Wachen in dem typischen Ton der Neulinge, die ihre Aufgabe mit der sadistischen Gründlichkeit eines Steuerbeamten versahen. "Mein Name ist Luum." antwortete der Wolfmensch als Anführer der Karawane. "Wir sind gekommen, um Handel zu treiben, und um mit König Van zu sprechen." "Und wie kommt ihr auf den Gedanken, der König hätte Zeit für ein paar zottelige und zerlumpte Gestalten wie euch?" Yukari gab ein Schnaufen von sich, dass für Hitomi neben ihr das Zeichen zur allerhöchsten Vorsicht war. Yukari kannte Luum gerade einen Tag, schien ihn aber schon in ihr Herz geschlossen zu haben. Und eben hatte dieser hochnäsige Schwachkopf, wie sie ihn wohl betitelt hätte, ihren neuen Freund beleidigt. 'Wer sich mit meinen Freunden anlegt, legt sich auch mit mir an.' war ihr Motto, und getreu diesem wollte sie gerade vom Wagen springen, als der hochnäsige Schwachkopf einen Schlag mit dem Griff eines Schwertes auf seinen Topfhelm bekam. "Idiot!" brüllte eine Stimme, die wohl schon Hunderte von Rekruten über den Kasernenhof gescheucht haben musste. Der Soldat sah seinen Vorgesetzten überrascht an, und erhielt zur Belohnung gleich noch einen dröhnenden Schlag verpasst. "Wenn wir nicht unterbesetzt wären, würde ich dich jetzt Latrinen reinigen lassen! Das ist Luum! Anführer des nördlichen Stammes und alter Freund von König Van! Mach, dass du davon kommst, und komm mir heute bloß nicht mehr unter die Augen! Du bewachst ab sofort die Nahrungsmittel beim Steinbruch! Und sag jemanden von dort, er soll dich hier ablösen!" Der gescholtene Soldat gab Fersengeld, und hetzte davon, froh, seinen bereits klingelnden Kopf keinem weitern Schlag aussetzten zu müssen. Besser, die Sonne im Steinbruch knallte einem auf den Helm, als das Schwert des Kommandanten. Yukari musste sich krampfhaft zusammen nehmen, um nicht laut los zu lachen und Beifall zu klatschen. Während sie sich zu beruhigen versuchte, wandte sich der Kommandant an Luum. "Bitte entschuldige, aber diese Neulinge sind unausstehbar. Wenn wir nur Zeit hätten, ihnen ein bisschen Anstand und Grips in ihren Kopf zu bringen..." Er seufzte vernehmbar, und Luum antwortete, ausnahmsweise mal sichtlich belustigt: "Dann wären sie keine Soldaten mehr Markus. Ein Soldat mit Verstand läuft weg, statt zu kämpfen. Und wenn jeder Soldat Verstand hätte, gäbe es auch keine Kriege mehr." "Da Generäle nachweislich weder Verstand noch Mut haben, ich weiß." setzte Markus einen bei den beiden anscheinend wohlbekannten Dialog fort. "Willkommen in Fanelia!" sagte er dann feierlich, bevor er einen Schritt auf Luum hin machte. Er beugte sich zu ihm und flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin Luum traurig nickte. "Ich weiß. Das ist einer der Gründe, weshalb ich hier bin. Aber es gibt noch einen anderen, und der könnte das Problem vielleicht lösen." Er trat zur Seite, so dass Markus den Wagen sehen konnte, und zeigte auf Hitomi, die gerade herunter stieg. Markus sah sie einen Augenblick lang fragend an, doch dann weiteten sich seine Augen. "Aber natürlich! Du bist das Mädchen vom Mond der Illusionen!" "Äh, ja. Hallo!" sagte Hitomi schüchtern, der es unangenehm war, so angestarrt zu werden. "Mann, Hitomi! Du bist hier ja bekannt wie ein bunter Hund!" rief Yukari, und sprang ebenfalls vom Wagen. "Darf ich mich vorstellen: Mein Name ist Yukari. Ich komme auch vom Mond der Visionen, und bin ihre beste Freundin." Sie umarmte Hitomi stürmisch, die dadurch beinahe hingefallen wäre. "Illusionen! Das heißt Mond der Illusionen." Raunte Hitomi ihr noch zu. Doch Yukari zuckte nur mit den Schultern und fragte "Gibt es jetzt so etwas wie ne Party für uns? Mit Feuerwerk und bolzengeraden Soldaten in Reih und Glied?" Luum und Markus, und wohl auch alle anderen, die das mitbekommen hatten, starrten Yukari an, und Hitomi wünschte sich im Moment nicht sehnlicher, als sich in Luft aufzulösen. Doch dann fing Markus mit seinen vom vielen Brüllen gestärkten Lungen an zu lachen, und schließlich stimmten alle ein. "Ich fürchte, nein, junges Fräulein. Wir sind viel zu unterbesetzt und überbeschäftigt, um eine Parade abzuhalten. Ich kann leider noch nicht einmal jemanden abstellen, der euch zum Schloss begleitet, dahin wolltet ihr doch, oder?" "Ja, so schnell wie möglich!" antwortete Hitomi, die auf einmal wieder ernst geworden war. "Aber wir brauchen niemanden, der Weg ist ja nicht zu verfehlen." "Gut, wie ihr wollt. Entschuldigt, aber wir sollten uns jetzt um Luums Karawane kümmern, sonst hält sie noch den ganzen Betrieb auf." Er verbeugte sich, und Luum erklärte den beiden Mädchen, dass er heute nicht zum Schloss kommen würde. Er hatte sich noch um seine Leute zu kümmern, und danach wäre es schon zu spät. Hitomi und Yukari gingen also allein durch das hölzerne Tor, und strebten dem Schloss entgegen. Yukari wollte gerade etwas sagen. "Hitomi, weißt du was? Ich finde.. " Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment kam ein huschender Schatten aus einer Seitengasse gerannt, krachte in sie hinein, und in einem Wirbel aus Gliedmaßen fielen Yukari und der Attentäter auf den Boden. "Au! Verdammt, kannst du nicht..." Yukari starrte auf das Fellbündel, dass auf ihren Beinen lag, dann fing sie an zu kreischen, und schubste den Katzenmensch von sich. Dieser rappelte sich auf und schaute verwundert auf die bibbernde Yukari hinab. "Entschuldige, wenn ich dich erschreckt habe..." Er schloss hilflos den Mund, nur um gleich darauf wieder aufzumachen. "AU!" "Was hast du jetzt wieder angestellt, Blinx?" schimpfte das Mädchen, das ihm eine Kopfnuss verpasst hatte. Es hatte lange, flammend rote Haare, die ihr in langen Locken über die Schultern hingen. Ihr Gesicht war vom Aufenthalt im Freien gebräunt, ihr drahtiger Körper verriet Kraft im Übermaß. Sie schien etwa 12 Jahre alt zu sein. "Musstest ja auch unbedingt wegrennen, bloß weil du wasserscheu bist!" setzte Mädchen hinzu. Hitomi hatte vor Überraschung kein Wort heraus bekommen. Doch jetzt fingen ihre Mundwinkel an zu zucken, bis sie schließlich in lautes Gelächter ausbrach. Das Bild, das sich ihr bot, war aber auch wirklich zu komisch. Yukari lag mit ängstlichen Gesicht auf dem Boden, die schreckgeweiteten Augen auf einen Katzenjungen gerichtet, der sich mürrisch über den Kopf strich, den wohl bald eine Beule zieren würde. Das rothaarige Mädchen schaute von Blinx zu Yukari, denn zu Hitomi, und wieder zurück. "Ach Gott, zwei Verrückte. Auch das noch. Heute ist wirklich nicht mein Tag." Hitomi, die sich auf den Boden gesetzt hatte, da sie Schwierigkeiten hatte, bei ihrem heftigen Gelächter stehen zu bleiben, versuchte sich zu beruhigen. "Nein, wir... wir sind nicht verrückt." "Ach ja? Das sagen sie alle. Außerdem, bei den Sachen, die ihr anhabt, und ihr..." Antwortete das Mädchen, und rümpfte die Nase, während sie zu Yukari schielte, die noch immer erstarrt auf dem Pflaster saß. "Sie hat nur Angst vor Katzen." beantwortete Hitomi ihre unausgesprochene Frage. "Katzen?" Blinx richtete sich zu seiner vollen Größe von vielleicht einem Meter dreißig auf. "Vergleiche mich nicht mit diesen Stubentigern, hast du verstanden? Ich bin nicht so dumm, stundenlang vor einem Mauseloch zu hocken." Yukaris Augen wurden noch größer, dann brach auch sie in Gelächter aus, weshalb sie von allen erstaunt angesehen wurde. Schließlich hatte auch sie sich beruhigt, stand auf, klopfte sich den Staub ab, und warf Blinx einen von einem gefährlichen Grinsen begleiteten, unbestimmbaren Blick zu, woraufhin der lieber einen Schritt zurück trat. "Es zu hören und zu sehen, sind zwei verschiedene Dinge. Ich habe es dir wohl irgendwie nicht geglaubt, Hitomi. Tja." Die Augen des Mädchens weiteten sich überrascht. "Hitomi?" Sie sah Hitomi genau an, und sagte dann unschlüssig "Sie könnte es sein, der Beschreibung nach. Sag mal, du bist nicht zufällig das Mädchen vom Mond der Illusionen, oder?" Hitomi nickte verlegen. "Doch." Aber Yukari nutzte wieder einmal die Gelegenheit, um sich in Szene zu setzten. Sie sprang zu Hitomi, zog sie hoch und legte den Arm um sie. "Sie ist es. Und ich bin ihre beste Freunden. Mein Name ist Yukari." Doch die von ihr wohl erwartete stürmische Reaktion blieb aus. Statt dessen sagte Blinx mit leiser Stimme. "Ihr solltet vorsichtig sein, mit dem, was ihr behauptet. Wenn ihr lügt, und der König erfährt davon..." Die Geste am Hals entlang war eindeutig. "Nein, ich bin es wirklich. Ich wollte gerade zu Van." Hitomi drehte sich um. Die Anspannung, die eben verflogen war, kehrte nun genauso rasch zurück. Das Mädchen rammte dem Katzenjungen den Ellenbogen in die Seite, so dass dieser überrascht aufjapste. "Wisst ihr, der König dürfte gerade ziemlich beschäftigt sein. Aber er hier kann euch weiterhelfen." "Was kann ich?" fragte Blinx überrascht. "Bring sie zu deiner Freundin!" sagte das Mädchen in bedeutungsvollem Ton. "Merle ist nicht meine Freundin, wie oft soll ich dir das noch sagen!" schrie Blinx sie an. "Merle? Du kennst Merle?" fragte Hitomi überrascht. "Ließ sich nicht vermeiden." Antwortete Blinx vor sich hin brummelnd. Dann seufzte er Schicksalsergeben. "Also gut, ich bringe euch zu ihr. Aber ich warne dich, wenn du nicht die bist, für die du dich ausgibst..." Er ging los, und Hitomi und Yukari folgten ihm wortlos. "Ach ja, mein Name ist Neela! Nicht vergessen!" rief das Mädchen ihnen noch hinterher. "Werden wir nicht!" versprach Hitomi ihr, bevor sie ihre Luft sparen musste, denn Blinx war nicht gerade langsam. *** "Wir können. Kommt!" Blinx winkte ihnen, ihm zu folgen. "Äh, Hitomi? Du weißt, dass wir uns gerade in das Schloss schleichen?" "Hast du vergessen, was am Tor passiert ist? Ich habe keine Lust, mich ewig mit irgendwelchen Wachen rumzuschlagen. Und wenn wir erst mal jemanden getroffen haben, der mich kennt, ist das kein Problem." "Ich kann nur hoffen, du hast dir das alles nicht doch zusammenphantasierst." Hitomi sparte sich die überflüssige Antwort, und schlich weiter durch die Büsche. Yukaris Frage war nur ein Ausdruck ihrer Unsicherheit. Dass sie nicht phantasierte, bewies allein schon die Existenz dieses Ortes. Nicht zu vergessen Blinx, der ihnen einen versteckten Weg in den Palast wies. Sie schlichen an verkohlten Mauerresten entlang, die aber nicht beim Angriff der Zaibacher entstanden waren, sondern schon einige Jahre vorher, wie der dichte Bewuchs bewies. Wenig später kamen sie an einen Ort, der von der Verheerung beim Angriff verschont geblieben war. Es war der Schlosspark, der dem Feuer nicht viel zum brennen gegeben hatte, und außerdem von mehreren kleinen Bächen und Kanälen durchzogen war, die den Brand davon abgehalten hatten, einen Teil der Gärten in Asche zu verwandeln. Dann hörten sie Stimmen. Beim näherkommen erkannte Hitomi sie. "Merle und Thana!" flüsterte sie. Hinter einem Busch hielten sie an. "Aber Merle, was sollen wir denn tun? Ich kann hier gar nichts machen. Außer dir würden mich sowieso alle am liebsten einsperren und verschwinden lassen. Sie trauen mir nicht." "Aber ich traue dir", sagte Merle mit einem Ernst, der so gar nicht zu ihr passen wollte. "Und wenn wir sagen, wer du..." "Nein! Ich will das so lange wie möglich geheim halten!" "Und Asturia?" "Das war wer anderes dort, nicht ich. Ich bin einfach nur jemand, den Van aufgelesen hat." "Van..." Merles Stimme versiegte, und die beiden schwiegen, in Gedanken versunken. "Das ist eure letzte Chance." sagte Blinx. "Wenn ihr die seid, die ihr zu sein behauptet, dann..." "Jaja, das sind wir." Blinx zuckte mit den Schultern, die Unterbrechung ignorierend. "Dann kommt." Er trat hinter dem Busch hervor, und rief. "Hey, Nervensäge, komm mal her!" Merle fuhr herum, und Wut und Schreck zeigten sich auf ihrem Gesicht. "Schon wieder du? Wie bist du schon wieder hierher gekommen, und was willst..." Ihre Schimpfkanonade wurde jäh beendet, als sie den Grund sah. "Die da behauptet, sie kennt dich." sagte Blinx beiläufig, und zeigte lässig über die Schulter. "Hitomiiiiii!" Mit riesigen Sätzen rannte Merle auf Hitomi zu, sprang sie an, und schleckte ihr das Gesicht ab, bevor sie den Boden berührt hatte. "Merle hör auf! Lass das! Igitt!" Yukari schaute nachdenklich auf Merle, dann auf Blinx. "Sag mal, dass ist bei eurem Volk wohl so üblich, alle umzurennen." "Nein, eigentlich nicht." erwiderte der, und drehte sich um, um zu gehen. "He, du kannst doch nicht schon abhauen." "Wieso nicht? Ihr seid doch da, oder?" Er machte noch eine Verbeugung zu Thana, und rannte dann auf allen vieren davon. "Hitomi, ich bin so froh, dass du da bist!" sagte Merle nun, nachdem ihre Begrüßung endlich beendet, und sie wieder aufgestanden waren. "Vielleicht kannst du ja..." Ihre großen Kulleraugen füllten sich mit Tränen. "Es ist so schrecklich Hitomi!" Sie krallte sich an Hitomi, und hielt sie fest umklammert. "Van, er... er hat sich verändert. Es ist... ach, ich weiß nicht. Er ist wie besessen." Im ersten Moment ergriff kalte Furcht Hitomis Herz, denn sie dachte an Li, aber dann sah sie Thana den Kopf schütteln. Sie wusste, was Hitomi jetzt denken würde, und wollte ihr keine unnötige Angst machen. "Es ist nicht, was du denkst. Aber besessen scheint er trotzdem von irgendetwas zu sein. Ich denke, wir besprechen das lieber drinnen. Wer ist eigentlich deine Begleitung?" Hitomi dachte jetzt erst an Yukari, die, überwältigt von der Szene, still da gestanden hatte. "Das ist Yukari. Meine beste Freundin." Sie musste ihre Herkunft nicht erwähnen, denn das war offensichtlich. "Hallo. Freut mich, euch kennen zu lernen. Hitomi hat mir viel von euch erzählt." Dass sie das erst vor ein paar Stunden getan hatte, verschwieg sie wohlweißlich. "Dann sei auch du willkommen. Lasst uns hinein gehen. Ich brauche nach der Überraschung erst einmal was zu trinken. Und ihr seid sicher auch durstig. Es ist warm, und der Weg hier herauf ist ziemlich anstrengend, wenn man es nicht gewohnt ist." "Nicht weiter schlimm." antwortete Yukari. "Bei uns zu Hause ist es auch ziemlich steil. Aber was zu trinken hätte ich trotzdem gern." "Dann kommt." *** "Es war am Tag, an dem der Crusador hier ankam", begann Thana zu berichten, als sie es sich in einem kleinen Saal, der für die Mahlzeiten benutzt wurde, gemütlich gemacht hatten. Eine Seite des Saales war von hohen, unterteilten Fenstern bedeckt, während an den anderen drei Seiten Wandteppiche hingen. An jeder Wand war außerdem eine mit feinen Schnitzereien bedeckte Tür. Von diesen Türen mündete eine in einen Gang, der direkt zu den Gärten führte. "Wir hatten einen kurzen Zwischenstopp in Asturia gemacht. Millerna und Dryden waren von Bord gegangen. Van und ich flogen nach Fanelia. Er wollte mir unbedingt mehr von seinem Land zeigen, und so flogen wir den ein oder anderen Umweg, obwohl Allen so schnell wie möglich wieder zurück nach Asturia wollte. Wie dem auch sei, als wir ankamen, erwartete uns eine Flotte von Luftschiffen, die aus den verschiedensten Ländern stammt. Allen wollte nicht mehr die Geduld aufbringen, die ein Treffen mit all den Diplomaten nun mal erforderte- denn darum schien es sich bei den Luftschiffen zu handeln- und flog schnell wieder davon. Ich folgte Van, und um die Sache abzukürzen, uns erwartete eine große Überraschung. Eine, die mir nicht gefallen hat, und ihm noch weniger." "Sie wollen ihn verkuppeln!" schrie Merle, die bis zu diesem Moment still, fast apathisch auf ihrem Stuhl gehockt hatte. "Aber ich konnte sie ja nicht einfach verjagen!" Sie wurde wieder stiller "Ich war ja die Regentin." Nach diesen Worten versank sie wieder in ihren Gedanken. Thana dagegen beobachtete Hitomi genau. Sie war blass geworden, blieb aber erstaunlich ruhig. Vielleicht ahnte sie, dass das dicke Ende erst kam. Yukari saß ruhig da, hörte mit einem Ohr der Erzählung zu, und beobachtete ihre Freundin. "Nun, wie Merle schon gesagt hat, sie wollten ihn verheiraten. Die Abgesandten fast aller Länder dieses Kontinentes waren übereingekommen, dass ein neuer Krieg am besten verhindert werden könnte, wenn der König von Fanelia eine Prinzessin aus Zaibach heiratete. Der neue König hatte zu diesem Zweck bereits seine Tochter mit seinem Abgesandten mitgeschickt, als die Diplomatenflotte hier ankam. Ich muss betonen, dass Millerna, Dryden, oder auch Allen, sicher nichts davon gewusst haben, denn das geschah alles im Geheimen. Wenn man sich doch noch entzweit, können die Herrscher nämlich immer behaupten, nichts gewusst zu haben. Und einige haben es sicher auch nicht. Millerna und Chid um nur zwei zu nennen, und ich denke, noch einige mehr. Das von Chid weiß ich, da vor drei Tagen ein Brief kam. Er hat sich entschuldigt. Ich werde ihn dir nachher zeigen, Hitomi. Jedenfalls, als Van davon hörte, wurde er sehr wütend. Er zerschmiss ein paar Blumenvasen, hieb mit seinem Schwert einen Tisch entzwei, und murmelte etwas von ,Ich will nur eine haben, ganz egal, was diese Dreckskerle meinen!' Dann rannte er davon." "Und wie passt das in sein verändertes Verhalten?" fragte Yukari in die entstandene Stille. Sie bemerkte nicht, wie es in ihrer Freundin arbeitete, und wie sich Hitomis Gesicht auf einmal versteinerte. "Ich meine, dass er wegrennt, weil man ihn mit einer wildfremden verkuppeln will..." Sie unterbrach sich, als Hitomi ruckartig aufstand, und ihr Stuhl polternd umfiel. "Ich werde dann wohl besser gehen. Komm Yukari, wir stören hier nur..." PATSCH! Mit einem Satz war Thana aufgesprungen, und hatte ihr eine schallende Ohrfeige verpasst. Hitomi starrte sie an, den Mund halb offen und mitten in der Bewegung erstarrt. "Jetzt halt mal die Luft an, Hitomi. Du gehst nirgendwohin." "Aber..." "Kein aber. Was meinst du, warum Van so sauer war. Mein Gott, er liebt dich. Du bist diejenige, die er will, nicht irgendeine Prinzessin." "Aber wenn nur so ein Krieg..." "Ach, Unsinn. Wenn die Menschen vernünftiger wären, gäbe es überhaupt keine Kriege. Setz dich wieder hin und hör zu. Andernfalls rufe ich die Wachen, und lasse dich irgendwo einsperren, wo du nicht mehr rauskannst." Nachdem sich Thana und Hitomi eine Weile angefunkelt hatten, schlich sich langsam ein Lächeln auf das Gesicht der beiden. "Also gut. Wie du meinst." Hitomi stellte den Stuhl wieder hin, und ließ sich auf ihn fallen. "Ich könnte eh nicht gehen, ohne ihn gesehen zu haben." Murmelte sie so leise, dass es niemand verstand, während sehnsüchtiger Schmerz durch ihr Herz pulsierte. "Van blieb, trotz eifriger Suche - vor allem durch die Soldaten der Diplomaten - verschwunden. Niemand hatte ihn gesehen. Nach drei Tagen kehrte er zurück. Er war seltsam verändert. Erstaunlich abgemagert für drei Tage, aber das war nicht das schlimmste. Am schlimmsten war, dass sich seine Seele verändert hatte. Anders kann ich es nicht beschreiben. Er war wie besessen. Laut, leicht reizbar, und ständig in sich gekehrt, als hauste in ihm ein Dämon, den nur er wahrnehmen konnte. Ich dachte, das lag an seinem Schock, und seinem Verschwinden, und dass es sich bessern würde, aber es wurde von Tag zu Tag schlimmer. Keiner kann sich das erklären. Ich habe ein paar Vermutungen, aber das sind mehr wilde Spekulationen, als dass sie uns wirklich helfen würden." "Ich würde sie aber gerne hören." sagte Hitomi, und Thana antwortete mit einem Unterton der Verlegenheit. "Nein, bitte mich nicht darum. Es sind nur Vermutungen. Ich habe Eliandra eine Nachricht geschickt, und sie wird bald hier sein. Sie ist die beste Heilerin, die es auf Gaia gibt." "Dann meinst du, er ist krank?" "Ich weiß es nicht, Hitomi... Aber egal ob krank, beeinflusst oder besessen: wenn es jemand herausfinden kann, dann Eliandra. Da bin ich mir sicher." In diesem Moment öffnete sich eine der Türen zum Saal, und eine junge Frau kam herein, von deren Anblick wohl jeder Mann verzaubert wäre. Langes, blondes Haar fiel in wasserfallartigen Wellen über ihre Schultern, und Augen, tiefblau wie die weite See, ruhten auf Hitomi, die sich plötzlich sehr hässlich vorkam. Mit fast schwebenden Schritten kam sie näher, wobei ihre üppigen, aber nicht zu ausladenden Rundungen mit leichten Bewegungen mitschwangen. "Die Prinzessin aus Zaibach." Flüsterte Thana mit einem äußerst unguten Gefühl. "Du bist Hitomi, das Mädchen vom Mond der Illusionen?" Sie kam schnurstracks näher, musterte Hitomi mit überlegenem Lächeln von oben bis unten, und meinte dann: "Ich dachte, du wärest hübscher. Und deine Freundin...", ein Skeptischer Blick zu Yukari, "ist auch nicht viel besser. Dass er überhaupt etwas an dir gefunden hat." Sie schüttelte den Kopf, um ihrem Unglauben Ausdruck zu verschaffen, wobei ihre Haare anmutig durch den Raum wogten. "Wie dem auch sei. Ich gebe dir einen guten Rat. Verschwinde von hier, bevor Van hört, dass du da bist. Ich bin diejenige, die er heiraten wird. Und wenn du ihm nicht weh tun willst, dann geh. Er würde es nicht ertragen, dir sagen zu müssen, dass du gehen sollst. Du würdest die Friedensverhandlungen nur stören. Geh wieder dorthin zurück, wo du hergekommen bist, und komm nie wieder her. Das könnte sonst unangenehm für dich werden." Hitomi war ihrer Tirade erschrocken und wohl auch etwas eingeschüchtert gefolgt, aber Yukari, schon seit der Geburt im positiven wie im negativen aufbrausend, hatte nun endgültig genug. "Jetzt reicht es aber! Wir gehen nicht! Auch nicht, wenn man uns bedroht. Gerade dann nicht! Du bist diejenige, die sich lieber dahin zurückscheren sollte, wo du herkommst!" Indigniert wich die Prinzessin zurück, wie vor einem niedlichen Hund, der sie plötzlich gebissen hatte. "Wer hat dich denn bedroht, meine Liebe? Das war doch nur eine gut gemeinte Warnung. Weißt du, das hier ist ein gefährliches Land, es streift noch immer viel Gesindel umher, das manchmal auf die unmöglichsten Gedanken kommt." Sie drehte sich um und verschwand raschen Schrittes durch die selbe Tür, durch die sie gekommen war. "Ekelhaft!" sagte Yukari mehr zu sich selbst. "Aber ein gekonnter Auftritt, das muss man ihr lassen." fügte sie nach einer Sekunde hinzu. Sie drehte sich zu Hitomi, um ihr etwas aufbauendes zu sagen, aber hielt überrascht inne. Hitomi stand immer noch neben ihr, bleich und zitternd. Thana war aufgesprungen, um Merle festzuhalten, die sich wütend in ihren Armen wand, die Krallen ausgefahren und bereit, der Prinzessin hinterher zu laufen, um dieser die Schärfe ihrer gefährlichen Fingernägel eingehendst zu beweisen. >Ich wünschte, sie würde dieses Katzenmädchen loslassen.< schoss es Yukari durch den Kopf, bevor die Sorge um ihre Freundin alles andere verdrängte. "Hitomi? Hitomi? Es ist vielleicht besser, du legst dich etwas hin. Es war ein anstrengender Tag, und..." "Nein, schon gut. Danke Yukari. Es geht schon wieder." Sie ließ sich schwer auf ihren Stuhl fallen, und barg die Hände in ihrem Gesicht, die Ellenbogen auf den Knien abgestützt. Langsam beruhigte sich auch Merle wieder. Sie alle setzten sich hin, und schwiegen, um Hitomi Zeit zu geben, sich zu sammeln. Nur kurze Zeit darauf, noch niemand hatte etwas gesagt, öffnete sich eine weitere Tür. Es war die, die gegenüber der Tür lag, die sie benutzt hatten, und eine hochgeschossene, blonde Gestalt kam herein. "So eine Überraschung!" sagte die Gestalt. Alle drehten sich zu ihr um, doch Yukari sprang mit einem kreischenden Schrei auf, und rannte auf den überraschten Ankömmling zu. "Amano! Wie zum Teufel bist du hierher gekommen?" rief sie ihm zu, und fiel ihm dann in die Arme. Doch so plötzlich, wie ihre Freude gekommen war, verschwand sie auch wieder. Sie zog den Kopf zurück, schaute ihn stirnrunzelnd an - die Arme immer noch um seinen Hals geschlungen - und schluckte. "Äh, ihr seid nicht Amano." stellte sie lahm fest. "Nein, mein Name ist Allen Shezar" sagte der Ritter grinsend, und blickte bedeutungsvoll auf die Arme, die ihn umschlungen hielten. "Oh, natürlich, Verzeihung." Yukari trat ein paar Schritte zurück, knallrot, und verbeugte sich entschuldigend. "Ich habe euch mit jemandem verwechselt!" "Offensichtlich. Hallo Hitomi!" Er verbeugte sich und gab Hitomi einen Handkuss. "Kann ich davon ausgehen, dass dieses Temperamentvolle junge Mädchen deine Freundin ist?" "Ja, Allen. Das ist meine beste Freundin Yukari. Auch vom Mond der Illusionen" "Das habe ich mir fast gedacht. Ich kann mich schließlich gut an eine ähnlich stürmische Begrüßung deinerseits erinnern. Dieser Amano muss mir ja wirklich sehr ähnlich sehen." Dann wandte er sich an Merle und Thana, um auch sie zu begrüßen. "Was soll das denn heißen - eine ähnlich stürmische Begrüßung?" fragte Yukari zischelnd Hitomi. "Hast du ihn für Amano gehalten, und dich an ihn rangemacht, wie?" "Ach, hör auf mit dem Unsinn, Yukari. Ich hab es dir doch erzählt!" "Oh, stimmt, jetzt fällt es mir wieder ein. Das war, nachdem dich dieser Rattenmann überfallen wollte." "Maulwurfsmann." "Ist doch egal." Die Begrüßung war mittlerweile beendet, und Allen drehte sich wieder zu Hitomi. "Bist du wegen Van hier?" fragte er. Hitomi zögerte kurz. "Ja." antwortete sie schließlich einsilbig. Allen nickte stumm. Hitomi wollte nicht darauf eingehen, also würde er sie auch nicht drängen. Er wollte gerade etwas sagen, als die dritte Tür aufgestoßen wurde. "Van!" hauchte Hitomi. "Was, das ist er?" Yukari musterte den Jungen misstrauisch, der da herein geplatzt war. Irgendwie konnte sie ihn nicht mit der Beschreibung in Einklang bringen, die sie von Hitomi erhalten hatte. Was Größe und Haarfarbe und so etwas anging, mochte es ja stimmen, aber von Prunk hatte Hitomi nie etwas erwähnt. Eher im Gegenteil. Und dann diese Augen - kalt und unbarmherzig huschten sie über die Anwesenden, und als sein Blick auf sie fiel, hatte Yukari das Gefühl, eine eisige Hand griffe nach ihrem Herz und drücke es ganz langsam zusammen, bis es aufhörte zu schlagen. "Allen, was machst du denn schon wieder hier?" wandte er sich an den Ritter. "Ich habe gehört, dass du Schwierigkeiten hast, Van." "König Van. Und deine Besorgnis ist umsonst. Ich habe keine Probleme. Du kannst ruhig wieder gehen." Er drehte sich zu Hitomi, und Unmut huschte über sein Gesicht, dass aber sofort wieder versteinerte. "Und das gilt auch für dich, Hitomi. Ich denke, du hast es hier nicht mehr ausgehalten? Dann hättest du auch nicht herkommen sollen. Und deine Freundin da auch nicht. Sie gehört doch zu dir?" Es war weniger eine Frage als eine Feststellung. Auch wenn er sich nicht mehr an sie erinnerte - Kunststück, wenn man mit einem Drachen kämpft, hat man besseres zu tun, als sich die Mädchen anzugucken - ihre Schuluniform, die sie genau wie Hitomi anhatte, machte die Sache einfach. Hitomi nickte schwach, und Yukari griff nach ihrer Freundin, um sie zu stützen. "Aber..." hörte sie Hitomi leise flüstern, dann übertönte Van sie. "Merle, du kümmerst dich um die zwei. Thana, sorg dafür, dass die Gäste ordentlich bewirtet werden. So etwas wie gestern soll es nicht noch mal geben." Ohne ein weiteres Wort oder auch nur eine Erwiderung abzuwarten, rannte er wieder durch die Tür hinaus. In dem Moment, in dem die Tür krachend zufiel, konnte Hitomi sich nicht mehr auf den Beinen halten. "Van!" hauchte sie, dann sackte sie bewusstlos zusammen. *** "So ist das also." Die Stimme aus dem Nichts schwieg eine Weile. "Und du bist dir sicher, dass es noch nicht vorbei ist?" "Absolut sicher, Sakúraa." antwortete Flöte traurig. "Leider. Das hier, das war nur eine Facette der Ereignisse, die Gaia erschüttern werden. Genauso wie die Zaibacher auf meinem Kontinent. Und ich spüre, dass es erneut losgeht. Was auch immer all das ausgelöst hat, es erstreckt sich über die ganze Welt. Ich hoffe nur, sie ist der Aufgabe gewachsen." "Es ist Wahnsinn, das Schicksal eines Planeten von einem einzigen Mädchen abhängig zu machen." "Ja, vielleicht. Aber wir haben wohl kaum eine andere Wahl." Schweigend schaute die kleine Göttin über das Meer, das von einem Sturm getragen an den Strand peitschte. "Also gut, Flöte. Ich werde es tun. Ich muss ja sowieso noch mal zu Thana. Pass gut auf Mai Ling auf, sie ist noch ziemlich schwach, und ich will nicht, dass sie unter meiner Abwesenheit leidet." "Das werde ich. Du hast sie wirklich gern, oder?" "Ja. Sie erinnert mich irgendwie an meine Jugend." "Ich wünschte, ich hätte auch so ein gutes Gedächtnis." "Sehr witzig." "Ich weiß, ich weiß." *** Das erste, was Hitomi spürte, waren bohrende Kopfschmerzen. Dann merkte sie, dass sie nicht mehr im Saal war, sondern in einem Bett lag. Zögernd öffnete sie die Augen. "Ah, du bist wach Hitomi." Sie schaute in Eliandras Gesicht, die sich gerade lächelnd über sie beugte. "Eliandra? Was machst du hier?" "Was ich hier mache?" Der Schalk glitzerte in ihren Augen, als sie antwortete. "Nun, wie es aussieht, verarzte ich gerade ein sehr verwirrtes Mädchen, oder? Schluck das!" Sie hielt ihr ein Glas an den Mund, und Hitomi hatte keine andere Wahl als zu trinken. Die Flüssigkeit war bitter, und sie verzog das Gesicht. "Ja, nicht besonders angenehm. Aber das ist normal bei Medizin. Damit man sie nicht unnötig zu sich nimmt, denke ich mal. Das wäre nämlich auch schädlich." "Warum liege ich..." wollte Hitomi fragen, nachdem sie gehorsam alles getrunken hatte, aber in diesem Moment fiel ihr die Antwort ein, und ihr wurde schlecht. "Van!" röchelte sie, zu mehr erst mal nicht fähig. Eliandras Gesicht verfinsterte sich. "Nimm es nicht so schwer. Er ist nicht er selbst." Angst und Hoffnung rangen in Hitomi. Angst darüber, was mit Van los war und Hoffnung, dass man ihn heilen konnte. Irgendwie. Es musste einfach einen Weg geben. "Was ist mit ihm?" Eliandra, die immer noch das Glas in der Hand gehalten hatte, stellte es auf dem kleinen Tisch neben meinem Bett ab und seufzte. "Das ist eine gute Frage. Ich habe ihn ja noch nicht untersuchen können. Aber die Begegnung mit ihm war eindeutig. Er selbst würde sich niemals so benehmen. Von seinem Verhalten dir gegenüber mal ganz zu schweigen." Sie stand auf, und ging in Richtung Tür. "Ich werde den anderen Bescheid sagen, dass du wach bist. Rühr dich bis dahin nicht von der Stelle. Du wirst übrigens in diesem Zimmer wohnen, solange du hier bist, wenn ich Thana richtig verstanden habe." Leise schloss sie die Tür, nicht ohne Hitomi vorher noch einmal aufmunternd zugelächelt zu haben. Hitomi wunderte sich. Sie dachte an Van. Was war nur los mit ihm? Sie ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. Es war schmucklos, fast kahl. Aber das war kein Wunder, in einer erst vor kurzem zerstörten Stadt. Ein wenig wunderte sie sich, dass sie überhaupt ein Zimmer hatte. Durch das Fenster fiel ein rötlicher Schein. Es musste schon spät sein. Jetzt konnte sie auch ihren Magen spüren, der eindeutig "Ja" zu dieser Einschätzung sagte. Hitomi erschrak. Wohin waren ihre Gedanken geschweift? Hatte sie nicht andere Probleme als dieses Zimmer und ihren Magen? Sie musste herausfinden, was mit Van los war, deswegen war sie schließlich hier. Zum Glück wurde in diesem Moment die Tür aufgestoßen, und Yukari kam hereingestürmt, gefolgt von Merle, und alle beide stürzten sich auf sie. "Hitomi! Wie schön, dass du wieder bei Bewusstsein bist! Ich habe mir schon Sorgen gemacht!" Yukari drückte Hitomi fest, und diese konnte eine einzelne Träne in Yukaris linken Auge sehen. "Pah! Daran gewöhnst du dich, das macht sie dauernd!" "Merle!" Hitomi versuchte böse zu gucken, aber schaffte es nicht. Merle hatte ja Recht. Hitomi umarmte auch sie, und sah, dass Thana und Eliandra ebenfalls hereinkamen, Thana mit einem Tablett voll Essen in den Händen. "Diese Eliandra wollte niemanden von uns hier drin haben, Hitomi." berichtete Yukari, und warf Eliandra einen bösen Blick zu. "Ja, und wenn ihr sie überanstrengt, fliegt ihr auch sofort wieder raus." Sie setzte sich neben Hitomi aufs Bett, griff eine Serviette vom Tablett, und legte sie Hitomi unters Kinn, was ein allgemeines Kichern auslöste. "He, ich bin doch kein kleines Kind." "Nein, aber du wirst trotzdem nicht aufstehen. Auch nicht zum Essen. Erst morgen, wenn du dich erholt hast." Sie nahm das große Glas Milch vom Tablett, ließ einige Tropfen einer bläulichen Flüssigkeit aus einer sehr gut verschlossenen Phiole hineintropfen, und gab dann großzügig mehrere Löffel Honig hinzu. "Es gibt nichts besseres als Honig, um einen Körper verbrauchte Reserven wiederzugeben - und er verdeckt den Geschmack." "Aber ich fühle mich nicht schwach!" protestierte Hitomi, die nun langsam genug davon hatte, wie eine Schwerkranke behandelt zu werden. Eliandra wurde auf einmal ernst. "Das glaube ich dir sogar. Aber trotzdem bist du völlig entkräftet. Es sind nicht die oberflächlichen Kräfte, sondern die Reserven. Das, was ein Mensch an einem besonders anstrengenden Tag braucht - oder dann, wenn er in Gefahr ist. Ich denke, das liegt an deiner Reise hierher. Deine Freundin hat mir erzählt, ihr seid ein bisschen in Zeit und Raum herumgeirrt. Ich will nicht ins Detail gehen, aber das muss dich entkräftet haben. So, und jetzt trink." Die ganze Zeit hatte sie auf den Krug Milch gestarrt, und endlich zufrieden genickt, als ein bläulicher Schimmer über die weiße Flüssigkeit gehuscht und sofort verschwunden war. Hitomi blickte misstrauisch auf die nun wieder unschuldig weiße Milch, und trank dann nach kurzem Zögern einen kleinen Schluck. "Und?" fragte Eliandra neugierig. Hitomi schluckte einmal, zweimal und sagte dann: "Mach am besten den ganzen Honig rein, wenn ich das ganze Zeug trinken soll." "Leider ja." meinte Eliandra, nachdem das Lachen verstummt war. Sie tat wie aufgetragen, und stellte dann das Glas auf das Tablett, dass sie Hitomi hinstellte. "So, Essen im Bett. Beeil dich besser." "Wird's sonst kalt?" "Nein, aber in zehn Minuten wirst du ziemlich plötzlich einschlafen. Ein erwünschter Nebeneffekt der Droge, die ich dir vorhin gegeben habe." "Aber ich will nicht schlafen!" protestierte Hitomi. "Tja, Pech gehabt. Jetzt iss. Und ihr anderen raus! Ihr lenkt sie sonst bloß vom Essen ab." Wiederwillig taten alle, wie ihnen gesagt wurde. Sachte löste Eliandra Hitomis Griff um die Gabel, mit der sie den letzten Bissen hatte aufspießen wollen. Mitten in der Bewegung waren ihr die Augen zugefallen. So behutsam wie möglich stellte Eliandra das Tablett weg, zog Hitomi aus, steckte sie in einen Schlafanzug und dann unter die Decke. Eine Weile saß sie noch an ihrem Bett, und schaute auf das schlafende Mädchen hinab. Dann hob sie ihre Hand, und strich der langsam atmenden Hitomi mitfühlend eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Nein, die allergrößte Schönheit bist du nicht gerade, auch wenn du etwas Engelhaftes an dir hast. Aber das ist ja auch egal. Wahre Liebe hält sich nicht an Äußerlichkeiten. Für ihn bist du das Allerschönste, das es gibt. Ich wünschte, ich könnte dir helfen. Aber wenn meine Vermutung zutrifft, gibt es vielleicht nur eines, das wir für Van tun können - ihn töten! Ich hoffe für uns alle, dass ich mich irre. Ach Kind, ich wünschte, Flöte wäre hier. Sie wüsste vielleicht eine Möglichkeit. Sie hat irgendetwas in der Richtung mal angedeutet. Eine gefährliche Lösung, aber immerhin eine Möglichkeit. Ich wünschte, ich hätte nachgefragt. Aber ich hätte niemals gedacht, dass ich noch einmal auf so etwas treffe..." *** Thana streifte durch die leeren Gänge, und hinaus in den Garten. Sie musste ihre Gedanken ordnen, und das ging am besten hier draußen. Hier, ungestört von allen Menschen, nur ein leises Plätschern aus kleinen Bächen und die Geräusche der Nacht als Hintergrund. Sie ging dorthin, wo Büsche und Bäume, die das Feuer verschont hatte, sie ringsherum abschirmten. Dann legte sie ihre Kleidung ab, breitete die Arme aus, und ließ ihre Flügel erscheinen. Sie stimmte ihren Herzschlag auf die Welt ringsherum ab, wie Flöte es ihr gezeigt hatte. Langsam entspannte sie sich. Nun konnte sie die Erde unter ihren Füßen in ihrem Inneren spüren, das Wasser, das sich unter ihr durch die Poren quetschte, das vielfältige Leben in der Erde. Die Luft und deren Wirbel, die wenigen nachtaktiven Vögel um sie herum. Ihr Atem verlangsamte sich, und ihre bewussten Gedanken versandeten. *** "Das ist nicht gut. Sie hat ihm schon einmal geholfen. Nur mit ihrer Hilfe war es ihm möglich, Kaiser Dornkirk zu besiegen!" "Ihre Anwesenheit ändert gar nichts. Es gibt nichts, dass den Prozess umkehren könnte. Er ist verloren. Dann werden alle anderen Königreiche ihm den Krieg erklären und gegen ihn kämpfen. Sie werden geschwächt sein, und uns wie reife Früchte in die Hände fallen. Und dann... dann wird er sterben, und wir sind die Herrscher Gaias." Ein Lachen, dass einem Unbeteiligten einen eisigen Schauer über den Rücken gejagt hätte, brach sich an den Wänden der unterirdischen Festung, und die Überbleibsel eines Zaibacher Geheimprojekts beendeten ihre Zusammenkunft und gingen schlafen. Sie erwarteten angenehme Träume. Träume von Rache, Macht und Reichtum. *** Tief atmend setzte sich Thana auf eine steinerne Bank. Ihre Gedanken waren jetzt so klar wie Quellwasser, aber ihre Sorgen und Ängste waren geblieben. Was konnte sie nur tun? {Beeindruckend. Hast du das von Llanwellyn gelernt?} "Was? Wer?" Thana sprang auf, doch dann siegte ihr Denken über ihre Überraschung. Die Stimme hatte Llanwellyn gesagt - und war in ihrem Kopf. Das ließ nur einen Schluss zu. "Sakúraa?" {Richtig geraten, Schätzchen.} "Was machst du hier? Ist Flöte auch da?" Dutzende Fragen schossen durch ihren Kopf, doch erst einmal musste sie begreifen, was überhaupt los war. {Nein, Flöte ist noch auf der anderen Seite des Meeres. Ich bin eigentlich nur gekommen, um den letzten Rest von mir aus dir zu entfernen.} "Letzten Rest?" {Ja, bei dem Kampf vor zwei Wochen bin ich auf Mai Ling übergegangen, um sie zu retten. Aber ich war zu schwach, um mich vollständig von dir zu lösen. Das wollte ich jetzt nachholen. Allerdings...} Thana spürte das Zögern der Göttin wie eine Welle, die sich vor ihr auftürmte, aber plötzlich nicht mehr auf sie hinabfallen wollte. {Entschuldige. Das wollte ich nicht.} Auf einmal ging der Druck zurück, war nur noch wie ein sanftes Säuseln im Hintergrund. Thana atmete auf. {Ich habe Sorge bei dir gespürt - Sorge über Van. Was ist mit ihm?} "Was mit ihm ist... das ist eine sehr gute Frage. Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Nicht mal Eliandra. Es ist, als ob er eine völlig andere Person ist, eine die mir überhaupt nicht gefällt." {Vielleicht sollte ich ihn mir mal ansehen?} Neugier durchflutete Thana. {Oh, schon wieder nicht aufgepasst. Ich vergesse immer, dass du Empathin bist. Wie geht das Training voran?} "Nicht sehr gut. Ich spüre immer noch die Gefühle um mich herum - und deine jetzt ganz besonders." {Ja, das lässt sich nicht ändern. Warum meinst du wohl, hat Flöte gemeint, ich würde dich verrückt machen? Was meinst du, hältst du mich ein paar Tage aus?} "Wenn es ein muss, warum?" {Na, damit ich mir Van anschauen kann. Vielleicht kann ich feststellen, was mit ihm nicht in Ordnung ist. Ich bin schließlich eine Göttin! Aber das erledigen wir morgen. Es ist schon fast Mitternacht. Leg dich schlafen. Ich sehe mich in der Zwischenzeit mal ein bisschen hier um, war ja noch nicht hier.} "Geht das?" {Na klar, du bist nur mein Anker hier, mein Ruhepunkt. Ein paar Stunden kann ich auch so durch die Gegend streifen, ohne Körper.} Lachen brandete in Thana auf, aber dahinter war noch etwas anderes, etwas, das Thana nicht identifizieren konnte, und das in ihr ein Gefühl des Unbehagens weckte. *** Leise schloss sie die Tür. Das war also das Mädchen vom Mond der Illusionen. Nicht gerade beeindruckend. Als Frau keine Konkurrenz - aber das war sowieso keine einzige, wie sie nur zu genau wusste. Sie wünschte sich, sie wäre... "Nein!" sagte sie laut und erschrak. Aber anscheinend hatte sie Hitomi nicht aufgeweckt. Sie konnte nicht verstehen, wie jemand einen so tiefen Schlaf haben konnte. Wenn sie so tief schlafen würde... hätte sie heute nicht mehr die Albträume, die sie fast jede Nacht heimsuchten. Denn dann wäre sie schon längst tot. Einen Moment überlegte sie, ob sie die Gelegenheit nutzen sollte, um das Mädchen zu beseitigen. Aber das würde ihr Problem nicht lösen, jedenfalls nicht im Moment. Sie beschloss, sich diese Option für später aufzuheben. Asuna, Hitomi nur bekannt als Zaibacher Prinzessin, verließ den Raum. Ihre Schritte verursachten kein Geräusch auf dem harten Steinboden des Ganges. *** "Na Hitomi, endlich wach?" Hitomi brummelte in ihr Kissen. "Keine Wiederrede. Raus aus den Federn, es ist schon spät!" Hitomi öffnete die Augen, und sah in Yukaris strahlende Augen. "Wieso weckst du mich?" "Habe ich doch gerade gesagt. Es ist schon spät. Wen du nicht bald zum Frühstück kommst, kriegst du nichts mehr. Raus aus den Federn und angezogen!" Yukari zog ihr die Decke weg, und rannte dann aus dem Raum. Natürlich ohne sich vergewissert zu haben, ob zufällig jemand draußen steht. < Das ist wieder mal typisch für sie!> schimpfte Hitomi in Gedanken, musste ihr dann aber Recht geben. Es war spät. Wahrscheinlich wirkte das Schlafmittel noch nach. Es hatte sie doch mitten beim Essen umgehauen, oder? Ja, so musste es wohl gewesen sein. Sie konnte sich noch erinnern, dass sie das letzte bisschen essen wollte, und gedacht hatte, dass sie eigentlich noch einen Nachtisch vertragen könnte, und dann - nichts mehr. Erst wieder Yukaris Stimme. "Hallo Hitomi! Wird auch Zeit, dass du kommst!" "Merle! Wartest du etwa auf mich? Wo sind die anderen?" "Eliandra wollte mit Thana was besprechen, Allen ist schon beim Morgengrauen wieder abgeflogen, und wo deine Freundin ist, weiß ich nicht. Van...", Merle zögerte, "ist nicht zu sprechen. Er arbeitet. Und will von niemandem gestört werden. Ab und zu kommt einer der Abgesandten zu ihm, und diese Zaibacher Prinzessin, Asuna, ist auch bei ihm." Hitomi hielt kurz in ihrer Bewegung inne, tat dann aber, als hätte Merle nur über das Wetter geredet. "Von mir aus. Ich esse lieber was. Ich habe einen Bärenhunger." Sprachs, und begann sich voll zu stopfen. *** "Also, Eliandra, worüber wolltest du mit mir reden?" Sie setzten sich auf zwei Stühle an Thanas Schreibtisch, und Eliandra lächelte entschuldigend. "Eigentlich nicht mit dir." "Wie bitte? Wie soll ich denn das verstehen." "Ich wollte mit Flöte reden." Thana war sichtlich verwirrt. "Und wie soll ich dir dabei helfen können." Jetzt war auch Eliandra etwas verwirrt, aber auch leicht wütend. "Thana, ich weiß, dass ihr Geist in dir ist. Ich bin ihre Hohepriesterin, ich kann ihre Gegenwart spüren. Auch wenn es sich anders anfühlt, als bei Flöte." {Entschuldige, Thana.} ließ sich nun Sakúraa vernehmen. "Ich denke, hier liegt ein Missverständnis vor. Ich bin nicht Llanwellyn. Mein Name ist Sakúraa." hörte Thana sich selbst sagen. Eliandra runzelte die Stirn. "Sakúraa?" Dann fiel ihr Thanas Bericht ein. "Oh! Deshalb!" Thana/Sakúraa lachte. "Ja, deshalb fühlt es sich anders an. Aber trotzdem mein Kompliment. Das war gar nicht so schlecht. Worüber wolltest du mit mir reden? Vielleicht kann ich dir helfen." "Das bezweifle ich." "Traust du mir nicht?" Eliandra dachte ernsthaft darüber nach. "Nein, wahrscheinlich nicht." "Gut. Das solltest du auch nicht. Ich könnte Thana schon die ganze Zeit beeinflusst haben, und ohne meine Anwesenheit hättest du es nicht feststellen können. Und deine einzigen Informationen über mich stammen von Thana." Überrascht schaute Eliandra ihr Gegenüber an. "Daran habe ich nicht einmal gedacht." "Trotzdem wäre es im Moment einfacher, du würdest mir vertrauen, denn Flöte kann auf keinen Fall herkommen. Sie ist viel zu schwach dafür. Mir selbst gelang es nur, weil immer noch ein Teil von mir in Thana war. Ich bin eigentlich hergekommen, um diesen Teil zu entfernen. Aber Thana und ich sind zu der Übereinkunft gekommen, dass ich erst einmal hier bleibe, wegen der Sache mit Van." Eliandra schaute traurig aus dem Fenster. "Ja, die Sache mit Van... Habt ihr schon mal von Kirseth gehört?" fragte sie schließlich, und schien eine Entscheidung getroffen zu haben. Thana lauschte kurz in sich hinein. "Nein, ich auch nicht" antwortete Thana nach einer Sekunde. Am Tonfall konnte Eliandra erkennen, dass diesmal nicht Sakúraa mit ihr sprach. Und das "auch nicht" hieß wohl, dass die Göttin in ihr ebenso wenig wusste. "Das ist eine seltene Pflanze, aus der ein gefährlicher Duftstoff gewonnen werden kann. Mit diesem Duftstoff kann man Menschen dazu bringen, alles zu glauben, was man ihnen sagt. Das ist eine langwierige Prozedur, und sie muss ständig aufgefrischt werden, aber es ist möglich." "Soll das heißen, Van ist von diesem Zeug beeinflusst worden?" Thana sprang auf, bleich vor Schreck. "Möglich. Aber nicht in der Form, wie ich es verwende." "Du?" "Ja, damit kann man den Patienten einreden, sie hätten keine Schmerzen mehr. Das ist bei bestimmten Krankheiten sehr hilfreich. Und die Nebenwirkungen sind gering - wenn nicht jemand den beeinflussbaren Zustand ausnutzt, natürlich." "Und was meinst du mit ,Nicht in der Form, wie du es verwendest'?" Eliandra atmete tief ein. "Es gab da vor einiger Zeit ein Geheimprojekt der Zaibacher, in der sie versucht haben, diese Pflanze so zu verändern, dass sie leichter einsetzbar ist. Außerdem haben sie einige abscheuliche Experimente angestellt. Flöte und ich haben diese Experimente beendet." "Und wie?" Traurig schüttelte Eliandra den Kopf, und vermied es, Thana anzusehen. "Ich möchte nicht darüber reden. Es ist nichts, worauf ich besonders stolz bin. Aber wir mussten es so tun, oder sie hätten einfach wieder angefangen." Ihr abwesender Ton verriet, dass sie sich an damals erinnerte. Und das Grauen darin, dass sie es nicht gern tat. "Gut, wenn du meinst... Aber wie kommst du auf die Idee, es könnte dieses... Ki, Ki..." "Kirseth!" "Genau. ...also dieses Kirseth-Zeug sein? Seine Veränderungen könnten doch auch einen anderen Grund haben." "Das ist natürlich möglich, aber mir fällt kein Grund ein. Deshalb wollte ich auch mit Flöte reden. Vielleicht hat sie eine Idee. Falls es aber Kirseth sein sollte, und zwar das durch das Experiment veränderte..." "Was ist? Was hast du? Was ist mit dem veränderten Kirseth?" Es war Eliandra deutlich anzusehen, dass sie lieber woanders gewesen wäre, aber Thana drängte weiter. Sie wollte eine Antwort haben, ganz egal wie sie ausfiel. "Antworte! Hörst du!" "Das veränderte Kirseth kann vom Körper nicht mehr abgebaut werden. Die Möglichkeit zur Einflussnahme besteht auch nur und ausschließlich, wenn die Droge angewendet wird." "Dann müssen wir was von dem Zeug besorgen, und es wieder rückgängig machen." "Das geht so nicht. Man kann eine Veränderung nicht durch eine Veränderung aufheben. Er wäre trotzdem nur eine Marionette. Und außerdem..." "Was?" "Kirseth entfaltet seine Wirkung, indem es sich im Gehirn anreichert, und dort eine Strukturveränderung hervorruft. Wie ich gesagt habe, kann das veränderte Kirseth nicht mehr abgebaut werden. Die doppelte Dosis, die für eine solch tiefgreifende Veränderung notwendig ist, wie wir sie an Van sehen..." Trotz ihrer berufsmäßigen neutralen Heilerstimme konnte man deutlich das Grauen hören, dass sie zu unterdrücken versuchte, "...würde sein Gehirn im wahrsten Sinne des Wortes zu Mus werden lassen." *** Asuna schaute nachdenklich zu Van hinüber. Er hatte sich vor einer Stunde hingesetzt, um einige neue Steuern zu erfinden, aber in den letzten paar Minuten, als sie ihren Gedanken nachgehangen hatte, schien er sich verändert zu haben. "Hast du etwas, Van?" fragte sie. "Ich weiß nicht. Es ist nur..." "Was?" Ihre Stimme war freundlich, aber ganz tief versteckt und dennoch deutlich schwang ein wenig Ungeduld mit. "Es ist wegen Hitomi. Ich sollte sie eigentlich richtig willkommen heißen. Warum bin ich gestern nur einfach wieder gegangen?" Asuna erschrak. Das konnte doch nicht sein. Sie hatte ihn gestern doch schon deswegen in ,Behandlung' gehabt. Wie konnte er so schnell... "Und dann habe ich mich auch noch schlecht gegenüber den anderen verhalten..." Angst durchflutete Asuna. Rasend schnell ließ ihre Kontrolle über ihn nach. Sie musste sofort etwas unternehmen. Sie setzte ihre Fähigkeit in, die sie schon so oft verflucht hatte. Wenn er ihrer Kontrolle entkam... "Wir haben leider nicht genug, um ihn ganz nach unseren Vorstellungen zu verändern. Darum wirst du mit ihm gehen. Du wirst den Abgesandten als Prinzessin vorgestellt werden. Wir werden vorschlagen, dich mit dem König zu vermählen, um den Frieden zwischen Fanelia und diesem Abklatsch eines Zaibacher Reiches zu gewährleisten. Falls einige der Abgesandten nicht ganz einverstanden sein sollten... nun, wir verlassen uns da ganz auf dich. Du weißt doch, was passiert, wenn du nicht das tust, was wir wollen?" Oh ja, das wusste sie nur zu genau. "Gut." fuhr die schleimige Stimme fort. "Dann, wenn du mit ihm verheiratet bist, bringst du ihn dazu, einem anderen Land den Krieg zu erklären. Zu diesem Zeitpunkt dürfte er bei seinem Volk schon sehr unbeliebt geworden sein, dafür sorgt allein schon unsere... fürsorgliche Behandlung. Trotzdem wirst du ihn beeinflussen müssen. Er könnte sonst zu schnell über die Stränge schlagen. Wir wollen doch nicht, dass er noch irgendwelche Freunde hat, wenn er ausrastet." Mörderisches Lachen schlug Asuna entgegen, und resigniert bereitete sie sich auf ihre Rolle vor. Die Rolle einer Prinzessin. Denn das war sie nicht. Sie wünschte, sie könnte einmal auch die Hexer beeinflussen, die ihr das alles angetan hatten, und die ihr nun eine Rolle aufzwangen, die sie nicht spielen wollte. Aber leider waren sie immun, Ergebnis eines ihrer widerwärtigen Experimente. *** Wütend verließ Thana den Raum. Was bildete sich dieses Weibsbild eigentlich ein! Und Van erst! Das konnte doch einfach nicht sein. {Beruhige dich. Wütend sein nützt dir auch nichts!} versuchte Sakúraa sie zu beruhigen, hatte aber damit nicht viel Erfolg, denn Thana konnte deutlich spüren, dass auch sie aufgebracht war. "Ich will aber wütend sein!" rief sie, und achtete nicht auf die Blicke des Dieners, der ihr entgeistert nachschaute. "Und du bist auch nicht gerade ruhig. Also, stimmt Eliandras Vermutung? Fast wünsche ich mir, es wäre wahr, denn wenn Van er selbst ist, und trotzdem..." {HALT DEINE ZUNGE IM ZAUM!} donnerte Sakúraa's Stimme in ihrem Kopf, und Thana hielt erschrocken inne. {Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst, sei verdammt vorsichtig damit.} Thana rang nach Luft, und langsam beruhigte sie sich. < Schon gut. Aber was ist nun?> Sakúraa ließ das geistige Äquivalent eines Schnaufens ertönen. {Da ich Kirseth nicht kenne, kann ich es nicht mit Sicherheit sagen, aber eins steht fest: Es ist etwas in ihm, das dort nicht hingehört. Und es ist nicht nur ein Duftstoff, sondern zwei.} < Zwei? Wie soll ich das verstehen?> {Vielleicht überhaupt nicht. Hey, ich bin eine Göttin, nicht allwissend. Auch wenn viele glauben, das ist das selbe. Wir sollten auf alle Fälle mit Eliandra reden. Mir ist da gerade etwas eingefallen. Ich kann nur hoffen, Flöte hat ihr davon erzählt, und sie weiß, wo man es findet.} *** "Ah, da seid ihr ja." sagte Eliandra, als Merle mit Yukari hereinkam. Merle hatte sie gefunden als sie eine Wache nach Allen ausfragte. "Also, um was geht es, dass ihr beide es nur mit uns bereden wollt?" fragte Hitomi. Thana beobachtete sie ganz genau, als sie antwortete. "Es geht um Van. Wir glauben, wir wissen, was mit ihm los ist." Stille legte sich über den Raum, als ob ihre Worte alle anderen ausgelöscht hätten. Hitomi Gesicht wurde ausdrucksvoll ausdruckslos. "Dann ist also wirklich etwas mit ihm nicht in Ordnung." "Ja, und es wird dir nicht gefallen." Als Thana mit ihrer Erklärung fertig war lehnte sie sich zurück und schloss die Augen. Sie konnte Hitomi nicht mehr anschauen. < Was sie wohl gerade denkt? Nach dem zu urteilen, das ich von ihren Gefühlen empfange...> {Sie wird damit zurecht kommen. Sie wird stark sein. Sie muss es sein, verstehst du? Es ist Vans einzige Chance.} "Und es gibt keine andere Möglichkeit, ihm zu helfen?" "Nein. Nur dieser Trank kann ihn heilen - wenn überhaupt. Der Legende nach reinigt er den Körper von allen Giften, heilt jede Krankheit und bringt sogar kürzlich Verstorbene wieder zum Leben. Nun, das letzte stimmt nicht. Aber der Rest - es wäre möglich. Wenn ein paar Bedingungen erfüllt sind." "Bedingungen!" rief Yukari laut und sprang auf. "Was ist das nur für eine komplizierte Welt." Sie seufzte. "Aber wenn es denn sein muss. Was für Bedingungen?" Trotz der ernsten Situation konnten sie sich ein Lachen nicht verkneifen. Die Anspannung löste sich, und die Freunde waren wieder voller Energie. "Nun, erstens müssen wir die Zutaten besorgen." "Ich vermute mal, sie sind keine typischen Küchenkräuter." "Nein, das sind sie nicht. Des weiteren gibt es bestimmte Einschränkungen. Zusätzlich zu den Zutaten, die für den Trank benötigt werden, sind einige Gegenstände nötig. Diese Gegenstände sind... ungewöhnlich, und sie zu bekommen ist mit bestimmten Schwierigkeiten verbunden. Zum Beispiel, dass ich nur von einem Gegenstand weiß, wo man ihn finden kann." "Und wie sollen wir dann alle finden?" "Um den Trank herzustellen sind verschiedene Dinge nötig, unter anderem ein bestimmter Dolch. Wo dieser ist, weiß ich. Wo sich der nächste Gegenstand befindet, und was er überhaupt ist, weiß nur der Verwahrer des Dolches, und so weiter." Yukari schüttelte den Kopf. "Oh Mann, eine Schnitzeljagd. Umständlicher geht es wohl nicht, oder?" Eliandras Blick hätte töten können, und so beschloss Yukari, besser für eine Weile still zu sein. "Dieser Trank kann heilen, aber er kann auch töten. Mit der richtigen - oder besser, der falschen Zubereitung - reicht ein Tropfen davon aus, das Leben von tausend Menschen zu beenden. Deshalb wurden die Gegenstände an vertrauenswürdige Leute verteilt, die immer nur vom nächsten Gegenstand das Versteck kennen. Ich bin die letzte in dieser Reihe, ich kenne das Ritual das nötig ist, um dem Trank seine Kraft zu geben. Deshalb kenne ich den Aufenthaltsort des ersten Gegenstandes." Eliandra sah Hitomi an, die unter ihrem Blick verlegen zu Boden schaute. "Und eines noch: Aus bestimmten Gründen, die ich nicht weiß, kann allein Hitomi diese Zutaten besorgen." "Warum bloß ich?" fragte Hitomi verwirrt. "Das weiß ich nicht. Mein Traum von Flöte war nicht besonders lang." Eliandra, Thana und Sakúraa hatten sich geeinigt, die Göttin herauszuhalten, und statt dessen zu behaupten, Eliandra, als Hohepriesterin, habe im Traum mit Flöte Kontakt aufgenommen, und Flöte hatte ihrer Diagnose zugestimmt, und ihr von dem Heilmittel erzählt. "Sie war zu schwach, um mir mehr zu erzählen, als nur das wichtigste. Bitte, stellt keine Fragen, ich kenne die Antworten auch nicht. Hitomi, du wirst dich allein auf die Reise begeben. Nur einer darf dich begleiten. Das ist wichtig. Du wirst morgen früh aufbrechen, bereite dich vor. Ich werde es nicht sein, die dich begleitet, darum werde ich alle Anweisungen aufschreiben. Überlege dir gut, wen du mitnimmst. Vielfältige Gefahren und Schwierigkeiten werden dich auf deinem Weg erwarten. Und niemand von uns wird dir helfen können. Ich wünsche dir viel Glück. Und nun lass mich bitte allein. Ich habe eine Menge zu überlegen." Eliandra schloss die Augen, als ob sie schon damit anfing. Es war offensichtlich, dass sie nichts mehr sagen wollte. Es ärgerte Hitomi, so hinausgeworfen zu werden, aber wie Yukari schon gesagt hatte, war Gaia eine komplizierte Welt, und Eliandra gehörte zweifellos zu einer der kompliziertesten aller auf ihr lebenden Wesen. Es hatte keinen Sinn, sich über sie aufzuregen. Man konnte nur, wie so oft, sein bestes geben und hoffen, dass alles gut wurde. Leider hatte sie da so ihre Zweifel. *** Sie standen auf dem Balkon von Hitomis Zimmer. Zwei Mädchen in Schuluniformen und ein fellbedecktes Wesen. Beide Monde ließen ihr Licht, das eine fahl, das andere strahlend blau, auf die Welt um sie und auf sie herab scheinen. Grillen zirpten in der warmen Luft des Spätsommers um ihnen herum, und aus dem Garten hörten sie leise, fast nicht mehr wahrnehmbar das Plätschern der Bächlein, die den Pflanzen darin genügend Wasser spendeten. "Hast du dich entschieden Hitomi?" fragte Merle leise, und Hitomi schüttelte traurig den Kopf. "Wie soll ich mich entscheiden Merle? Ich weiß ja nicht mal, was vor mir liegt. Was ist, wenn wir angegriffen werden? Dann bräuchte ich jemanden, der kämpfen kann." Jeder hörte ihren unausgesprochenen Gedanken < Und Van kann ich wohl kaum fragen.> "Andererseits kann es auch sein, dass wir verhandeln müssen." "Dann wäre Dryden die richtige Wahl." bemerkte Merle, und Hitomi nickte. "Hast du dir schon mal überlegt, mich mit zu nehmen?" Yukaris Stimme klang leicht genervt, und Hitomi schaute sie erstaunt an. "Ehrlich gesagt - nein. Nicht, dass ich dich nicht gerne dabei hätte, aber du kannst mir nicht helfen. Du kennst diesen Planeten noch weniger als ich." Yukari seufzte theatralisch. "Du hast ja Recht. Ich kenne mich hier nicht aus, kann nicht kämpfen, und verhandeln - nun ja, das ist nicht gerade einer meiner Stärken." Sie schwiegen eine Weile, in ihren Gedanken versunken. Schließlich meinte Yukari: "Weißt du Hitomi, ich kann dir jetzt vielleicht nicht helfen, aber eines kann ich dir sagen. Du bist meine Freundin, und ich lasse dich nicht im Stich, ganz egal, was auch passiert. Das verspreche ich dir." Hitomi sah ihre Freundin an, und ihre Augen begannen zu glitzern. "Das weiß ich Yukari." Dann warf sie sich in ihre Arme. "Das weiß ich, aber trotzdem danke." Nachdem Hitomi sich beruhigt und die Tränen weggewischt hatte, sah Yukari ihr noch einmal fest in die Augen. "Und ich kann dir noch etwas versprechen. Ganz egal, wen du auswählst, derjenige wird der richtige sein. Und zusammen werdet ihr was auch immer holen, und deinen Van kurieren. Und dann feiern wir eine Riesen-Party." Hitomi schaute sie eine Weile verblüfft an, bis sie anfing zu lachen. "Ja das werden wir. Danke. Ich fühle mich schon viel besser." "Aber eines solltest du bedenken." sagte jetzt Merle, die die beiden schon ganz vergessen hatten, an Yukari gewandt. "Es ist nicht Hitomis Van, sondern meiner. Aber ich bin mal nicht so, und überlass ihn dir, Hitomi." Hitomi schaute sie verblüfft an, und taumelte dann, als Merle sie ansprang. "Ich weiß, dass du ihn heilen wirst, Hitomi. Und dann sollt ihr beide glücklich miteinander werden, versprichst du mir das Hitomi?" Eine Weile brachte Hitomi kein Wort heraus. Merle hatte ihr soeben gesagt, dass sie Van für sie aufgegeben hatte. Das hätte sie niemals von dem Katzenmädchen erwartet. "Ja, das verspreche ich dir." sagte sie schließlich. "Und danke Merle." Wieder schossen Bilder durch Hitomis Kopf. Bilder von bekannten und unbekannten Personen. Ein kleines Mädchen, ein alter Krieger, eine Schwertklinge auf ihren Kopf gerichtet. Sie sah sich an einer Weggabelung, zusammen mit verschiedenen Personen. Yukari, Merle, Millerna, Thana, Allen - und einem Katzenjungen, den sie erst vor kurzem kennen gelernt hatte. Sein Bild war klarer als die anderen, und im Gegensatz zu ihnen hatte sie hier nicht das Gefühl der Falschheit. Sie schaute auf Blinx herab und wusste, es war richtig, dass er neben ihr stand. Er und niemand sonst. Er war es, der sie auf ihrer Reise begleiten würde. *** Asuna lag in ihrem Zimmer. Obwohl sie müde war, konnte sie nicht schlafen. Ihre Gedanken kreisten immer wieder um das selbe: Um Van, dem sie eigentlich nichts antun wollte und Hitomi, deren leidender Blick ihr im Herzen wehtat. < Eigentlich ist es erstaunlich.> dachte sie. < Ich hatte gedacht, sie hätten alles Mitgefühl aus mir herausgequetscht. Aber trotzdem tun mir die beiden leid. Aber welche Wahl habe ich schon? Wenn ich nicht tue, was sie verlangen, bin ich schon tot. Nur der Zeitpunkt liegt dann noch in der Zukunft. Aber vielleicht wäre das sogar besser.> Ende Kapitel 2 LMMI 3 Kapitel 3 - Aufbruch ins Ungewisse Ich schreckte aus meinem Traum. War es ein Traum, oder war es eine Vision? Sollte Blinx mich begleiten? Aber warum? Durch das Fenster konnte ich sehen, dass der Himmel anfing, sich rot zu färben. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, hing aber schon dicht unter dem Horizont. Es hatte also keinen Sinn mehr, noch einmal schlafen zu wollen. Ich seufzte. Warum war nur immer alles so kompliziert? Ich hatte gefrühstückt, schweigsam. Van hatte sich nicht noch einmal blicken lassen, und ich war froh darüber. Ich war mir nicht sicher, ob ich es hätte verkraften können. Durch mein frühes Aufstehen hatte ich Zeit gehabt, noch einmal über alles nachzudenken. Ich wollte es eigentlich nicht, aber ich konnte einfach nicht damit aufhören. Ständig musste ich an das denken, was Eliandra über dieses Kirseth gesagt hatte. "Hitomi?" Ich erschrak. Yukari hatte sich unbemerkt neben mich gestellt. "Was?" fragte ich verwirrt, aus meinen Gedanken geschreckt. "Hast du dich entschieden?" "Nein, noch nicht." Ich konnte ihr nicht sagen warum. Ich wusste es ja selbst nicht. Weil niemand hier war, mit dem ich auf jede Situation vorbereitet wäre? Wegen diesem Traum von heute Nacht? Ich schaute zu, wie Yukari sich ans Essen machte. Merle musste schon gegessen haben, denn auf dem Platz, auf dem sie gestern gesessen hatte, sah es ziemlich wüst aus. In diesem Augenblick hörte ich ihre Stimme von draußen. Ich beschloss, zu ihr zu gehen. Dann konnte mich Yukari wenigstens nicht immer so fragend anschauen. Draußen fand ich sie sofort. Sie redete mit jemandem, der unbedingt Eliandra sehen wollte- oder besser gesagt, Merle schrie denjenigen an, ohne ihn zu Wort kommen zu lassen. Sollte es etwa... Ich kam um eine Gebäudeecke und sah, dass ich Recht hatte. Es war in der Tat Blinx, der mit allen Zeichen der Ungeduld dastand und kurz davor schien Merle einfach zur Seite zu stoßen. "Hallo Blinx!" sagte ich. Merle drehte sich überrascht um, und zu meinem Erstaunen konnte ich so etwas wie Verlegenheit auf ihrem Gesicht erkennen. Sie schaute wie eine Katze, die sich am Essen des Frauchens gütlich getan hatte und nun alles versuchte eine Strafe zu verhindern. "Hitomi! Du bist schon wach?" "Gott sei Dank!" rief Blinx erleichtert. "Vielleicht kannst du dieses misstrauische Weib dazu bringen, Eliandra herzuholen. Ich habe eine dringende Nachricht für sie." Er stockte, runzelte die Stirn als ob er über etwas nachdenken würde, und dann schien es ihm einzufallen. "Ach ja, und guten Morgen." Ich zählte innerlich bis drei. Ob so ein Verhalten wohl bei Katzenmenschen symptomatisch ist? "Ich kann dir leider nicht sagen, wo Eliandra ist, aber vielleicht..." "Ich bin hier." sagte ihre verschlafene Stimme hinter mir. "Ihr wart ja laut genug. Was ist los Blinx?" Er reichte ihr wortlos einen Umschlag, den sie aufriss und den Zettel darin aufmerksam durchlas. "Hmm." war ihr einziger Kommentar. Dann stand sie eine Weile still da und dachte nach. Mit einem Ruck entschloss sie sich. "Das hat Zeit. Hitomi, kommst du mal mit?" Als ich nickte, wandte sie sich zu Blinx. "Du bleibst hier. Ich habe vielleicht eine Aufgabe für dich. Und Merle, sorg bitte dafür, dass Thana und Hitomis Freundin im Esszimmer bleiben." Dann bedeutete sie mir, ihr zu folgen. Merle sah mich fragend an, und ich nickte. Ich wusste zwar nicht, was Eliandra wollte, aber nur zum Spaß würde sie uns nicht so herumkommandieren. Hoffte ich jedenfalls. Ganz wohl war mir dabei nicht. Sie tat schon wieder so geheimnisvoll. Genau das war es, was mich an ihr und Taro und den anderen Tihani störte, zum Teil galt das auch für Thana. "Also Hitomi, setzt dich." Wie schon so oft in den letzten beiden Tagen waren wir im Garten. Der Ort schien sich ja bestens für Unterhaltungen zu eignen, dachte ich sarkastisch, musste aber zugeben, dass er Ungestörtheit garantierte und entspannend war. Vor allem letzteres konnte ich gebrauchen. "Hast du dir schon überlegt, wen du mitnimmst?" Wieder diese Frage. "Nein. Ich kann mich einfach nicht entscheiden. Kann nicht noch wer mitkommen?" "Nein! Auf keinen Fall. Schon eine Person ist eine... weite Interpretation. Wenn du Van helfen willst, musst du es tun, nicht jemand anders. Glaub mir." "Ich habe ja keine andere Wahl, oder?" fragte ich niedergeschlagen. Ich erwartete keine Antwort, aber zu meiner Überraschung ging Eliandra auf die Frage ein. "Nein, hast du nicht. Weißt du, es hat etwas mit der Art zu tun, wie diese Welt funktioniert. Genauso, wie Dornkirks Schicksalsmaschine Gaias Untergang bedeutet hätte, wenn du nicht gewesen wärst, genauso sicher bedeutet es ein Scheitern deiner Mission, wenn du nicht alle wichtigen Wege allein beschreitest." Sie schwieg einen Augenblick, und sagte dann leise, mit einem fragenden Unterton "Ich hatte heute Nacht einen Traum." Ich schwieg und wartete. Schließlich zuckte Eliandra mit den Schultern als klar wurde, dass ich nicht fragen würde. "In diesem Traum sah ich dich. Dich auf deiner Reise mit deinen Freunden, mal den einen, mal den andern. Und dann sah ich noch jemanden an deiner Seite." Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Hatte sie den gleichen Traum wie ich gehabt? Ihre nächsten Worte bestätigten meine Vermutung. "Dieser jemand war Blinx. Was sagst du dazu?" Einen Augenblick fragte ich mich, worauf sie hinauswollte, doch dann wurde es mir klar. Sie erwartete eine ganz bestimmte Antwort von mir. "Ich habe den gleichen Traum gehabt." Sie nickte, und atmete so tief durch, so dass ihre weiblichen Formen unter der Robe zum ersten Mal deutlich sichtbar wurden. "Ich halte das nicht für einen normalen Traum. Vor allem, wenn du den selben Traum gehabt hast." "Soll das heißen, du willst, dass ich Blinx mitnehme?" "Nun, ich will dich zu nichts überreden, aber da du dich anscheinend noch nicht entschieden hast... Von allein wäre ich ehrlich gesagt nie auf die Idee gekommen, aber er ist ideal. Er kennt die Gegend, durch die ihr müsst, ist schlau und verschlagen und auch ein recht guter Kämpfer." "Echt? So wirkt er aber überhaupt nicht." "Das ist auch Sinn der Sache. Es ist besser, für harmlos gehalten zu werden." "Und er ist ein Tihani." "Anwärter. Aber du hast Recht, er kann die Hilfe aller Tihani in Anspruch nehmen. Gut, das könntest du auch. Der berühmten Hitomi würde keiner die Hilfe verweigern, aber Blinx kann im Gegensatz zu dir erkennen, wer ein Tihani ist, und wer nicht." "Und wie?" fragte ich neugierig, aber ohne große Hoffnung. Und ich hatte Recht. Sie lachte und antwortete: "Sei nicht so neugierig. Das gehört zu unseren Geheimnissen. Dabei fällt mir etwas ein. Er hat noch einen Vorteil - niemand kennt ihn. Wenn Merle oder Thana mit dir gehen würden, würde Van das bestimmt auffallen, bei Blinx ist das nicht so. Und wie es im Moment aussieht, ist es besser, wenn er nichts erfährt." "Aber ihm wird sicherlich auffallen, wenn ich fehle." "Kein Problem. Du bist nach Asturia aufgebrochen. Mit mir. Ich muss nämlich auch weg. Und wenn du meinst, er würde sich wundern, dass Yukari noch da ist - nun, sagen wir einfach, sie wollte nicht an einen noch fremderen Ort und ist hier geblieben. Außerdem warst du schon weg, als sie aufgewacht ist." Ich musste lachen. "Das ist nichts neues. Sie ist Langschläferin, im Gegensatz zu mir." "Um so besser. Je näher an der Wahrheit, desto besser. Also, was ist? Soll Blinx dich begleiten?" Ich überlegte ernsthaft. Aber eigentlich hatte ich doch keine Wahl. Eliandra hatte ja erklärt warum. Und außerdem hatte ich bei dem Gedanken an ihn so ein Gefühl der Richtigkeit... "Also schön. Ich werde Blinx mitnehmen." "Gut." Eliandra wirkte seltsam zufrieden. "Ich werde ihm die Wegbeschreibung geben. Dann kannst du dich ganz auf deine Aufgabe konzentrieren- und was immer auch deine Prüfungen sein werden." Prüfungen! Dieses Wort hatte einen seltsamen, unangenehmen Nachgeschmack. Vielleicht, weil Prüfungen meistens mit Problemen verbunden waren. "Was? Du willst mit IHM gehen?" Merle und ich waren in meinem Zimmer, wo ich gerade das wenige an Sachen in meine Tasche stopfte, das ich mit hatte. "Das kann doch nicht dein Ernst sein!" Ich spürte, dass ich rot wurde. Ich hatte mich noch nie gut verteidigen können. "Doch, das ist mein Ernst." Meine Stimme wurde fester, und ich konnte ihr endlich in die Augen sehen. "Bitte Merle, stelle meine Entscheidung nicht in Zweifel. Ich weiß auch nicht, ob sie richtig ist, aber irgendeine musste ich treffen. Glaubst du, ich würde leichtsinnig handeln, wenn es um Van geht?" Ich wunderte mich selbst über meine Entschlossenheit. Vielleicht lag es daran, dass ich endlich etwas tun konnte. "Nein, das würdest du nicht. Entschuldige bitte, dass ich dich so angeschrieen habe." Ich traute meinen Ohren nicht. Das war die erste richtige Entschuldigung, die ich von Merle hörte. Sie musste wirklich fertig mit den Nerven sein. "Hitomi?" "Ja?" Merle schaute von meinem Bett aus dem Fenster, doch sogar von hinten konnte ich sehen, wie sehr es in ihr arbeitete. "Versprichst du mir, auf ihn aufzupassen?" "Auf Blinx? Aber..." Merle hatte es anscheinend darauf angelegt, mich zu verwirren. Erst ihr Entschuldigung, und jetzt das... "Ich dachte, du kannst ihn nicht ausstehen?" "Das stimmt!" versicherte sie mir schnell. "Es ist nur... na ja weißt du..." Sie suchte verzweifelt nach Worten. "Er ist ein Katzenmensch. Einer von meiner Art. Verstehst du das? Ich will einfach nicht, dass ihm etwas passiert. Ohne ihn wäre ich wieder die einzige meiner Art in Fanelia." "Du würdest dich einsam fühlen." "Nein, nicht einsam. Nicht wirklich jedenfalls. Ich habe immer noch jemanden." Sie zuckte zusammen. Zweifellos hatte sie gerade an Van gedacht. "Schon gut Merle, ich verstehe dich. Was meinst du, wie ich mich gefühlt habe, als ich nach Gaia versetzt wurde, die einzige auf diesem ganzen Planeten, ganz allein." "Allein unter fremden Menschen. Ja, ich glaube, das kann man vergleichen." Ich setzte mich neben Merle und nahm sie in den Arm. Sie lehnte sich an mich, und drückte mich. Ich gab ihr Halt und sie mir. *** Ich schaute noch einmal hinab auf Fanelia. Dort unten waren meine Freunde, die darauf vertrauten, dass ich es schaffen würde alles zu finden, das Van für seine Heilung brauchte. Auch er war dort, und diese Prinzessin aus Zaibach, die er heiraten sollte. Ich verdrängte diesen Gedanken, sperrte ihn in den hintersten Winkel meines Selbst. Wenn nur so Frieden geschaffen werden konnte, wer war ich, dass ich es wagte etwas dagegen zu sagen? Aber trotzdem... Ich hatte lange gebraucht, um es mir einzugestehen, hatte mich sogar dagegen gewehrt. Hatte mir eingeredet, mein Herz gehöre Allen, aber in Wirklichkeit gab es nur einen, den ich liebte. Den ich immer lieben würde. "Hitomi? Kommst du endlich?" Ich schreckte aus meinen Gedanken. Blinx schaute mich auffordernd an. Eliandra hatte gesagt, er solle mit mir gehen und er hatte nur genickt, gesagt er brauche eine Stunde zum Packen und war davon gerannt. Nun war ich mit ihm allein auf dem Weg an einen Ort, der in Eliandras Anweisungen nur undeutlich beschrieben war. "Blinx." hallte ihre Stimme in meinem Kopf wieder. "Das sind die Anweisungen" Sie hatte ihm einen ziemlich kleinen Zettel in die Hand gedrückt. "Ich weiß nur, wo der erste Gegenstand zu finden ist. Alles weitere erfahrt ihr wenn ihr da seid. Viel Glück euch beiden. Hitomi? Eins noch." "Ja?" "Du wirst geprüft werden, ob du dieser Macht würdig bist. Denk daran, jede Prüfung kann auf drei Arten gelöst werde: Mit Kraft, mit List und mit dem Geist. Mal ist der eine Weg der leichtere, mal der andere. Entscheide dich weise, Hitomi." "Wirst du mich auch prüfen?" "Mach dir deshalb keine Sorgen. Es stimmt, ich muss dich prüfen, aber die Prüfung, die ich stellen muss, ist keine Prüfung für dich. Denk immer daran, für was du kämpfst. Und viel Glück, Hitomi." *** "Also, dann schieß mal los." {Was meinst du?} Sakúraa war ehrlich verwirrt, also half Thana ihr auf die Sprünge. "Ich will wissen, was das mit Hitomi soll. Die ,Prüfungen' sind doch so unnötig wie eine Warze." Heiterkeit durchflutete Thana, und die Stimme der Göttin klirrte in ihren Gedanken wie tausend kleine Glocken. {Für Hexen sind Warzen durchaus wichtig. Wie sollte man sie sonst erkennen?} Wieder ihres Willens musste Thana lachen. "Lenk nicht ab. Wir sind allein in meinem Zimmer, niemand lauscht, der dich ohnehin nicht hören könnte. Also los. Sag mir, was du mit Eliandra besprochen hast, bevor sie gegangen ist. Ich hab doch gemerkt, dass du dich kurz abgeseilt hast." {Gör! Misch dich nicht in die Angelegenheiten der Götter! Das war etwas, dass ich mit der Hohepriesterin zu besprechen hatte.} Sakúraa's nicht wirklich ernst gemeinte Verärgerung war genauso schnell verflogen, wie sie gekommen war, zurück blieb nur das Gefühl überrumpelt worden zu sein. "Du vergisst, dass ich den Großteil meines Lebens mit einer Göttin verbracht habe." {Ja, das habe ich. Also gut. Ja, die Prüfungen sind nicht unbedingt nötig. Eliandra hätte auch alles selbst holen können. Aber die letzte Zutat, die kann nur Hitomi geben.} "Und was ist diese Zutat, und warum ist das ein Grund, Hitomi ins Ungewisse zu schicken?" {Die letzte Zutat ist ihr Wille. Und dieser wird auf dieser Reise gestärkt werden. Außerdem wird sie Erfahrungen machen, die ihr helfen werden, wenn sie...} Die Göttin unterbrach sich, und Thana spürte ihre Ungewissheit. {Du hast doch bemerkt, was Hitomi und Van füreinander empfinden, oder?} "Meinst du, dass sie ineinander verliebt sind?" Lachend griff Thana nach einem Glas, und goss sich etwas Wein aus einer halbvollen Flasche ein. "Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock." {Gut, ich wollte mich nur vergewissern. In meiner ganzen Existenz habe ich die Liebe zwischen euch Menschen - oder welche Zweibeiner auch immer - nie verstanden.} "Tröste dich", antwortete Thana schmunzelnd, während sie sich das Glas an die Lippen setzte und trank. < Das haben Menschen - oder welche Zweibeiner auch immer - auch nicht. Die Liebe ist wie das Leben an sich ein Rätsel, das wohl nie ganz gelöst wird. > {Wie tröstlich.} Die Ironie ließ Thana erschrocken auf einen Stuhl sinken. {Entschuldige. Aber ich glaube, du trinkst zu viel. Philosophische Gedanken passen doch gar nicht zu dir.} "Da hast du Recht. Vielleicht liegt mir diese Sache mit der Zaibacherin zu schwer im Magen. Weißt du, irgendwie werde ich aus ihr nicht schlau. Ihre Worte passen nicht zu ihren Gefühlen, jedenfalls, soweit ich sie empfangen kann." Schweigen folgte ihren Worten, aber Thana konnte die Überraschung der Göttin so deutlich spüren, als wäre es ihre eigene. {Ich kann das nicht beurteilen. Ich kann ihre Gefühle nicht spüren. Bist du dir sicher?} "Nein, überhaupt nicht. Das ist es ja... Können wir das Thema wechseln? Ich fühle mich immer noch nicht wohl, wenn die Sprache auf meine Empathie kommt." {Natürlich. Aber du solltest wissen, dass ich dir damit helfen werde, so gut ich kann. Wenn du willst.} "Danke. Was ist nun mit Hitomi? Warum sollen die Prüfungen ihr helfen, wenn sie..." {Ach ja. Wenn sie Van geheiratet und Königin von Fanelia ist. Das ist kein leichter Job, zumindest, wenn man ihn richtig machen will.} Thana schwieg überrascht. "Dann bist du dir sicher, dass sie und Van..." {Sicher bin ich sicher. Ich habe die Liebe zwar nicht verstanden, ihre Ergebnisse aber dafür umso mehr. Darum ist Hitomi auf dieser Reise. Um aus ihrer Liebe die Kraft zu schöpfen, die als letzte Zutat benötigt wird, um Van zu heilen. Deshalb kann nur sie es. Es ist eigentlich ganz einfach.} *** Ich setzte erschöpft einen Fuß vor den anderen. Es war später Nachmittag, und wir waren die ganze Zeit auf den Beinen. Ich fragte mich, wie Blinx das aushielt. Er schien keine schmerzenden Füße zu haben. Dabei hatte er nicht einmal Schuhe an. Aber vielleicht war das auch der Grund. Er hatte kein zusätzliches Gewicht an den Füßen. Von dem Rucksack ganz zu schweigen. "Komm schon, Hitomi! Ich will morgen da sein, und nicht zwei Nächte draußen verbringen. Das kann zwar ganz schön sein, aber hier in der Gegend treibt sich so manches Gesindel herum." "Toll, dass du mir das jetzt erst sagst." "Wenn ich dir das eher gesagt hätte, hättest du dir nur unnötige Sorgen gemacht", sagte er fröhlich. "Wie kannst du bloß so locker sein. Mit tun die Füße weh, und meine Tasche drückt auf meine Schulter." "Hättest ja auch einen Rucksack nehmen können. Weißt du was? Ich werde uns ein kleines Wanderlied singen." Er überlegte kurz, und legte dann mit seiner rauen Stimme los. Über Stock und über Stein Wandern wir ins Land hinein! Kicken Steine vor uns her, ja das freut uns alle sehr! In den Wald und auf den Berg, das geht so schnell, dass ich' s nicht merk! Wenn ihr alle bei mir seid, geht die Zeit ja schnell vorbei! Wandern, wandern, das machen wir, ja wir alle wandern hier! Auf einer Reise, wenn auch lang, wird mir doch so schnell nicht bang! Ich singe dann dies Liedchen hier, und gönne noch ein Päuschen mir! Wenn's dann doch mal Abend wird, und das Geräusch des Waldes stirbt, mache ich ein Feuer mir, bis die Nacht steht vor der Tür! Wandern, wandern, das machen wir, ja wir alle wandern hier! Am nächsten Morgen steh ich auf, und so nimmt alles seinen Lauf! Wandern, wandern, das machen wir, ja wir alle wandern hier! Ich konnte nicht mehr. Hilflos lachte ich los, und musste mich hinsetzten, um nicht umzufallen. "Wo um Himmels Willen hast du denn das Lied her?" Er zuckte mit den Schultern. "Weiß nicht. Ich kenne es, solange ich denken kann." Ich wischte mir die Lachtränen aus den Augen. "Geht's dir wieder besser?" fragte Blinx. "Ob es mir besser geht?" fragte ich verwundert. Dann stellte ich fest, dass ich mich tatsächlich besser fühlte. Ich schaute in seine Augen, und sah darin seine Sorge um mich hinter seiner scherzenden Fassade. "Ja, mir geht es besser. Danke." "Dann komm. Wir müssen heute noch ein Stückchen Weg schaffen." Er reichte mir seine Pfote, um mir beim Aufstehen zu helfen, und mit gemischten Gefühlen ergriff ich sie. Er hatte mich aufgemuntert. Dabei war ich es, für die das hier wichtig war. Ich tat es für Van. Er war nur dabei, weil Eliandra es ihm befohlen hatte. Er wusste nicht mal, warum wir das suchten, was wir suchten. Für ihn war es einfach nur ein Auftrag. Er wird es nicht noch einmal nötig finden, mich aufzubauen, beschloss ich. Wann immer ich denken werde, dass ich nicht mehr weiter will oder kann, werde ich an Van denken. Er wird mir Kraft gaben. Ich griff nach meinem Anhänger. < Halte durch Van. Ich werde dir helfen. > Entschlossen setzte ich meinen Weg fort. Was immer ich tun musste, um ihm zu helfen, ich würde es tun. Das Lagerfeuer warf einen rötlichen, flackernden Schien auf unsere Gesichter. Blinx und ich hatten noch ein ganzes Stückchen Weg geschafft, und Blinx war zuversichtlich, dass wir morgen Nachmittag unser erstes Ziel erreichen würden. Als wir zu dieser Stelle kamen, die augenscheinlich schon oft als Rastplatz benutzt worden war, hatte ich mich einfach gegen einen Baum fallen lassen. Ich hatte mich nicht überwinden können, Blinx zu helfen, als er das Feuer entzündet hatte. Ich schämte mich ein wenig dafür, aber er schien mir keinen Vorwurf zu machen. Außerdem hätte ich ihm nur wenig helfen können. Ich hatte noch nie ein Lagerfeuer gemacht. Wenn ich im Freien übernachtet hatte, war stets jemand da gewesen, der sich darum gekümmert hatte. Meistens Van. Eigentlich komisch, dass er als König... Ich seufzte und atmete tief durch. Ich wollte jetzt nicht an Van denken. Das machte mich nur deprimiert. "Wie lange noch?" fragte ich Blinx, der behutsam unser Abendbrot über dem offenen Feuer briet. Er hatte die Fische in einem nahe gelegenen Bach mit einer Art Käscher gefangen, ein merkwürdiges Ding aus Weidenruten und etwas, das mich unangenehm an ein Spinnennetz erinnerte. Die Fische waren nicht groß, aber wir hatten ja genug Brot mitgenommen. "Du kannst eigentlich schon kommen." Ich erhob mich, und quälte mich mit schmerzenden Füßen zu ihm herüber. Einen ganzen Tag über einen holprigen Weg zu laufen war eben doch etwas anderes als ein paar hundert Meter über eine flache Bahn. Er reichte mir einen Spieß mit Fischstücken, und nachdem ich ordentlich gepustet hatte probierte ich vorsichtig. Der Fisch war wunderbar zart und schmeckte natürlich nach Fisch, aber hauptsächlich schmeckte ich das rauchigen Aroma des Holzes. Es passte hervorragend. "Hast du deswegen nur Eschenholz genommen?" fragte ich Blinx, plötzlich eine Erklärung für sein sonderbares Verhalten vor Augen habend, das mich so sehr verwundert hatte. "Genau. Für diese Fischart gibt es nichts besseres als Eschenholz. Einige Dörfer hier in der Gegend verdienen eine Menge Geld mit Eschenholz-Räucherfisch. Da die Fische so klein sind, sind sie ziemlich teuer, so dass sich nur relativ wohlhabende Leute das leisten können." "Ich esse also gerade eine teure Delikatesse." stellte ich fest, und schmunzelte. "Daran könnte ich mich gewöhnen. Aber da ist doch noch etwas anderes, oder?" fragte ich, und runzelte die Stirn. Über dem Geschmack von Fisch und Holz lag noch etwas anderes, etwas das ich nicht identifizieren konnte. "Ich habe noch ein paar Gewürze dazugetan", antwortete Blinx nickend, und ich hob überrascht die Augenbrauen. "Gewürze? Du hast Gewürze mitgenommen?" Er schaute mich ebenso verwirrt an, wie ich es war. "Natürlich. Meinst du, ich gebe mich mit fadem Essen zufrieden? Da macht das Kochen doch gar keinen Spaß." Ich schaute ihn verdutzt an, und musste dann einfach lachen, was Blinx natürlich in eine noch tiefere Verwirrung stürzte. "Entschuldige, aber könntest du mir sagen, was du so lustig findest? Vielleicht kann ich auch lachen." "Tut mir leid, ich lache nicht über dich", antwortete ich rot werdend. "Die Vorstellung, dass du etwas fürs Kochen übrig hast, ist bloß so merkwürdig." "Was soll daran merkwürdig sein?" fragte er, und ich druckste herum. Wie sollte ich ihm das erklären? "Es ist nur, dass ich mir das einfach nicht vorstellen kann. Ich habe hier noch nie einen Mann kochen sehen, außer wenn es sich nicht umgehen ließ. Und du bist - wie alt? Dreizehn?" "Vierzehn, aber ich wüsste nicht, was das mit Kochen zu tun hat. Ich habe schon als kleines Kind gerne gekocht." Er sagte das sehr ernst, und ich unterdrückte alles Lachen, das noch in mir steckte. "Außerdem ist das für Katzenmenschen nicht ungewöhnlich." "Wie meinst du das?" "Katzenmenschen leben eigentlich im Matriarchat, das heißt, die Frauen bestimmen und die Männer bleiben im allgemeinen zu Hause und kümmern sich um den Haushalt, also genau andersherum als die Menschen. Allerdings ist diese Ordnung nicht sehr strikt. Es gibt durchaus Familien, in denen die Frau für die Familie sorgt, und der Mann unterwegs ist - als Jäger, Händler, oder was auch immer." "Aber es gibt zwei Ausnahmen." Fügte er nach einer kurzen Pause des Überlegens hinzu. "Die... Politik, wenn man es so nennen darf, machen immer nur Frauen. Sie sollen mehr Geduld haben, und leichter Kompromisse schließen können. Dafür sind die Befehlshaber bei jeder Auseinandersetzung Männer. Solange von den Frauen kein Krieg beschlossen wurde, gibt es keinen. Aber wenn es Krieg gibt, ordnen sich die Frauen bedingungslos den Anführern unter, und kämpfen auch als Soldaten. Es heißt, es gibt keine wilderen Kriegerinnen, als Katzenmenschen-Politikerinnen. Wahrscheinlich eine Art Ausgleich. Wer sonst immer nur redet, muss auch mal Dampf ablassen." Sein Vortrag hatte sich fast auswendig gelernt angehört, nur der letzte Satz war von einem Lächeln begleitet gewesen. "Wo hast du denn das her? Ich dachte, du wärst auch eine Waise." "Wie Merle? Nein. Ich wurde als kleines Kind von Sklavenjägern geholt, und dann später von Flöte und Keel gerettet." "Sklavenjäger..." Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Was gab es noch für furchtbare Dinge auf Gaia, von denen ich nichts wusste? "Wie schrecklich. So bist du zu den Tihani gekommen?" "Ja, allerdings erst etwas später. Das eben habe ich aus einem Buch, das mir Flöte gegeben hat, als sie mal dort vorbei gekommen ist, wo ich gelebt habe." "Wo war das?" Trotz seines Felles konnte ich einen rötlichen Schimmer auf seinem Gesicht sehen. "Das würde ich lieber nicht erzählen." Es drängte mich zu fragen: "Warum nicht?" aber ich hatte schmerzvoll gelernt, nicht sofort alle Gedanken auszusprechen. "In dem Buch stand auch etwas über die Religion meines Volkes. Willst du es hören?" Er schien froh zu sein, ein anderes Thema gefunden zu haben, und außerdem schien er sich zu freuen, darüber mit jemandem sprechen zu können. Und mich würde es ablenken, also sagte ich ja. "Es heißt, am Anfang gab es zwei Geistwesen - Kisethi und Marto. Sie langweilten sich, und so erschufen sie eine Welt für sich. Marto gab dem Leben an Land Gestalt, und Kisethi dem im Wasser. Da Kisethi eine Frau war, erschuf sie die schöneren Fische als Marto es jemals gekonnt hätte, und anmutigere Schwimmer als er sie sich überhaupt vorstellen konnte. Marto dagegen erschuf bald schnelle, wilde Tiere an Land. Raubtiere, die immer auf der Jagd waren nach Beute, denen Marto zum Schutz, damit sie nicht alle von den Raubtieren aufgefressen wurde, ein tarnendes Äußeres gab, Stacheln oder die Möglichkeit, sich unter der Erde zu verstecken. Kisethi und Marto betrachteten ihr Werk, aber etwas schien noch zu fehlen. Es war kein Leben in der Luft und wenn sie nach oben schauten, sahen sie nur einen langweiligen, dunklen Himmel. Also erschufen sie zusammen Wind und Wolken, Regen und Sonne. Wolken und den blauen Himmel, als Zeichen der weiblichen Leichtheit und Regen als Teil des Elementes, dass Kisethi allein mit Leben erfüllt hatte. Wind, als Zeichen sowohl von Nachgiebigkeit als auch von Kraft, die in den Stürmen herrscht. Und die Sonne erschuf Marto, damit er seine geliebte Kisethi und seine Schöpfung im Licht sehen konnte. Doch sie waren immer noch nicht zufrieden, und so erschufen sie gemeinsam die Vögel. Leichte, anmutige Segler und pfeilschnelle Räuber. Graue und unscheinbare Vögel und leuchtend bunte. Nun waren sie zufrieden mit ihrer Schöpfung. Nur eines fehlte noch - Gesellschaft. Und so nahmen sie die Katzen, deren Anmut und Gewandtheit Kisethis Eigenschaften so vortrefflich mit der Kraft und Schnelligkeit des Marto vereinten, und gaben ihnen die Fähigkeit zu denken. Und damit ihr Volk nicht ebenso einsam war, wie sie sich vor dessen Erschaffung gefühlt hatten, erschufen sie auch die anderen intelligenten Rassen, und alle sollten einander dienen und in Frieden und Harmonie diese Welt bevölkern, zur Freude ihrer Erschaffer." "Eine tolle Geschichte." konnte ich nur sagen, überwältigt von der Inbrunst, mit der Blinx gesprochen hatte. Er schien nicht wirklich daran zu glauben, den Mythos aber trotzdem sehr wichtig zu nehmen. "Ja, eine tolle Geschichte. Vor allem der Schluss. Frieden und Harmonie. Kein Krieg, keine Verfolgung, nur weil wir anders sind als ihr Menschen. Keine Sklaverei." Schweigen folgte seinen Worten, und wir starrten beide Gedankenverloren in das kleine, gelb und rot flackernde Feuer. "Gibt auf dem Mond der Illusionen auch so eine Geschichte?" fragte er schließlich. "Sehr viele. Es gibt buchstäblich Hunderte von Religionen, und jede hat ihren eigenen Schöpfungsmythos." "Und welchem schenkst du am meisten Glauben?" Ich lachte. "Eigentlich gar keinem. Nicht mal so richtig dem, der von der Religion Wissenschaft verfochten wird." "Religion Wissenschaft? Oh, ich verstehe. Du hast Recht. So, wie manche dem Wissen hinterher rennen, kann man schon sagen, dass es ihr Gott ist. Aber es gibt weitaus schlimmere Götter als Neugier." "Nicht unbedingt. Es sind schon viele Menschen gequält oder getötet wurden im Namen der Wissenschaft." "So wie bei den Zaibacher Hexern." "Ja, zum Beispiel." stimmte ich ihm traurig zu. "Aber in dem Land, wo ich herkomme gibt es einen Mythos, der das Kaiserhaus von einer Göttin ableitet." "Erzähl es mir bitte." "Naja, ich weiß nicht so viel darüber. Ich habe mich nie sonderlich dafür interessiert." "Trotzdem. Sag mir halt, was du weißt. Sag mir, was man sich so in deinem Land erzählt, Hitomi." Ich atmete tief durch und versuchte mich zu erinnern. "Also... Am Anfang wurden Himmel und Erde getrennt. Dann wurden die Götter Izanami und Izanagi geboren. Diese beiden erschufen die japanischen Inseln - von dort komme ich - indem sie einen juwelengeschmückten Speer ins Meer tauchten. Als sie ihn wieder herausholten, fielen Wassertropfen herunter, und aus diesen entstanden die japanischen Inseln. Dann wurden die Gottheiten des Takamagahara, des "Gefildes des Hohen Himmels" geboren. Eine von ihnen ist Amaterasu Ômikami, die Sonnengöttin. Sie wurde aus dem linken Auge Izanagis geboren, die Mondgottheit aus dem rechten, und aus der Nase der Sturmgott. Amatersu ist die Ahnin des Herrschergeschlechts, das noch immer in Japan den Kaiser stellt, als längste Dynastie auf dem Mond der Illusionen. Der Legende nach soll es vor fast 2700 Jahren gewesen sein, als der erste Kaiser den Thron bestieg." "Das ist auch eine interessante Geschichte. Ach ja, was ich vergessen habe: Es war Marto, der den Vorschlag machte, ein intelligentes Volk zu erschaffen. Er sorgte für sie, bis sie von allein zurecht kamen, und seitdem ist der Mann für die Familie verantwortlich. Eigentlich ist das viel komplizierter, aber das ist eine lange und nicht sehr interessante Geschichte. Ich glaube, ich habe das Kapitel sogar ausgelassen. Es war die wörtliche Wiedergabe einer Schamanin, und wie es für solche Leute anscheinend typisch ist, sprach sie in verwirrenden und komplizierten Rätseln." Es war Zeit, schlafen zu gehen. Wir legten uns nebeneinander in das Gras, eingewickelt in eine Decke. Zu Hause würde ich jetzt in einem warmen, weichen Bett liegen, und nicht auf einer dünnen Decke, durch die man am nächsten Morgen jeden Stein merken würde. Ich versuchte trotzdem, es mir so gemütlich wie möglich zu machen. "Hitomi?" "Ja?" "Was hältst du eigentlich von Merle?" Ich drehte mich um, aber er lag auch mit dem Rücken zu mir. "Von Merle?" Ich zögerte. Warum fragte er? Es musste damit zu tun haben, dass wir über die Katzenmenschen geredet hatten. Aber was für eine Antwort sollte ich ihm geben? Wenn ich etwas schlechtes über Merle sagte, würde er dann auch beleidigt sein? Wollte ich überhaupt etwas schlechtes über sie sagen? "Naja, ich weiß nicht so recht. Als ich sie kennen lernte, habe ich gedacht, dass ich noch nie jemanden erlebt habe, der so nervig ist. Und auch später hatte ich nicht viel für sie übrig. Wir haben uns dauernd gestritten, vor allem..." ich stockte. < Vor allem wegen Van.> "Wir haben einfach keinen Draht zueinander gefunden." "Das klingt, als wäre es heute anders?" "Es ist nicht, dass wir die besten Freunde wären. Aber... ich habe mich gefreut, sie wieder zu sehen. Sie hat mir tatsächlich ein wenig gefehlt. Und außerdem hat sie sich verändert. Ich kann nicht genau sagen wie, aber sie wirkt irgendwie... erwachsener auf mich. Verantwortungsbewusster und sogar etwas rücksichtsvoller. Ich weiß auch nicht." "Erwachsener! Pah! Auf jeden Fall nicht, wenn sie mit mir redet!" "Du scheinst aber auch nicht gerade erwachsen mit ihr zu reden." "Ja, schon, aber..." Jetzt drehte er sich doch um, und sein fragender und irritierter Blick weckte mein Mitgefühl. "Ich kann einfach nicht normal mit ihr reden. Wenn sie in der Nähe ist, fühle ich mich immer so... unsicher. Liegt es daran, dass sie auch ein Katzenmensch ist? Weiß ich deshalb nicht, wie ich mit ihr umgehen soll? Ich kenne doch nur Menschen!" "Merle auch. Sie war eine Waise." Er seufzte resigniert. "Ich weiß. Aber das macht es nicht einfacher. Vielleicht sogar schwieriger." "Vielleicht musst du dich einfach nur mal mit ihr zusammen setzen. Geh zu ihr, sucht euch ein ruhiges Plätzchen und redet miteinander." "Ich glaube nicht, dass das etwas bringt." "Kann sein. Aber wenn du es nicht probierst, wirst du es nie herausfinden." "Das stimmt auch wieder. Danke, Hitomi. Du hast mir sehr geholfen." Sehr geholfen. Hatte ich das? Ich hoffte, dass es stimmte. Ich hätte ihm gerne geholfen. Ich würde mich freuen, wenn die beiden Freunde werden könnten. Ja, das würde ich wirklich. Seltsam. Hatte ich doch mehr für Merle übrig als ich dachte, oder war es wegen Blinx? Ende Kapitel 3 An dieser Stelle einemal danke an die, die mir Kommentare schreiben. Wie wärs mal mit Hinweisen auf etwas, das euch nicht gefallen hat oder was euch ganz besonders gefallen hat? Ich kann schließlich keine Gedanken lesen, und wenn ich besser werden soll... Kapitel 4 - Der Dolch der Reinheit "Was, das soll es sein?" Ich stand fassungslos vor einem Monstrum von Felsen. Dieser Felsen maß etwa 20 Meter im Durchmesser, und wenn ich an ihm vorbei sah, konnte ich einen kleinen Canyon sehen, aus dessen Tiefen das Rauschen eines kleinen, über Felsen gischtenden Flusses zu hören war. "Ich hatte es mir auch etwas eindrucksvoller vorgestellt." gab Blinx zu, als er auf die Behausung von Norenkei blickte. Endlich war ihm eingefallen, warum ihm dieser Name bekannt vorkam. Norenkei war einer der drei großen Schwertmeister Gaias, zu denen auch Vargas gehört hatte. Wir waren früh aufgebrochen, da uns ein kleiner Schauer geweckt hatte und wir nicht noch einmal einschlafen konnten. Nun war es kurz nach Mittag und wir waren an unserem ersten Ziel. Seine Behausung wirkte von außen... halt wie ein Loch im Felsen, mit einer perfekt in die ovale Öffnung eingepassten hölzernen Tür. Der Felsen wirkte wie der Panzer einer Schildkröte, mit unförmigen Buckeln übersäht und oben mit kleinen runden Öffnungen, die Licht hereinließen - allerdings nicht sehr viel. "Hier ist ein Seil", sagte Blinx, als wir vor der Tür standen. "Wahrscheinlich muss man daran ziehen." Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte er das Seil bereits gepackt, und zog mit aller Kraft daran. Mir war nicht ganz geheuer. Dieser ganze Ort wirkte irgendwie unheimlich, und ein beklemmendes Gefühl beschlich mich. Von der anderen Seite der Tür hörte ich ein leises, entfernt klingendes Läuten als ob die Türglocke nicht hinter der Tür, sondern hinter dem ganzen Felsen wäre. Eine Minute standen wir da, dann drehte sich Blinx um, und zu meiner Überraschung konnte ich auf seinem pelzigen Gesicht die selben Gefühle sehen, die ich auch hatte. "Tja, sieht so aus, als ob keiner da wäre. Lass es uns ein anderes Mal probieren, und wieder nach Hause gehen." Verlegen wollte er an mir vorbei stolzieren, aber ich hielt ihn auf. "Blinx! Du weißt so gut wie ich, dass wir nicht so einfach gehen können." Er ließ den Kopf sinken, wohl beschämt. Natürlich wusste er es. Aber er wäre lieber woanders gewesen. Ich konnte es ihm sehr gut nachfühlen, aber im Gegensatz zu ihm wusste ich, was auf dem Spiel stand. Ich drückte zaghaft gegen die Tür, und zu meiner Überraschung öffnete sie sich tatsächlich einen Spalt breit. Ich drückte sie ganz auf, und trat in den dahinter liegenden Raum. Es war dunkel darin, lediglich eine Reihe winziger Löcher in der Decke ließen Licht herein. Sie waren von außen nicht zu sehen, lagen wohl hinter so etwas wie einem Vorsprung. Der Form des Felsen folgend, wölbte sich die Wand hinter mir hinauf und neben mir in einem Viertelkreis, wurde zur Decke und endete an einer Wand, die diesen Raum begrenzte. "Niemand hier." hörte ich Blinx verwunderte Stimme hinter mir. Er hatte wohl erwartet, ein vielköpfiges Empfangskomitee vorzufinden, dass uns für unser Eindringen den Kopf abschlagen würde. Jedenfalls hatte ich daran gedacht, als ich in die Dunkelheit trat. Mittlerweile hatten sich meine Augen an die Dunkelheit hier drin gewöhnt, und ich erkannte eine weitere Tür an der gegenüber liegenden Wand. "Da geht es weiter", sagte ich zu Blinx, und zeigte ihm dir Tür. "Willst du da wirklich durch?" Ihm schien jetzt, das Empfangskomitee würde da auf uns warten. "Ja." sagte ich nur, und ging voraus. Mit zögernden, tapsigen Schritten folgte mir Blinx, und ich konnte regelrecht spüren, wie er sich misstrauisch in dem völlig leeren Raum umsah. Entschlossen öffnete ich auch die nächste Tür, ganz egal, was dahinter liegen würde, und darauf vertrauend, dass uns jemand, der wie Vargas war, einfach nichts antun konnte. Dieser Raum war groß, er nahm wohl alles von der vorderen Hälfte des Felsens ein, dass nicht der erste Raum belegt hatte. Zusätzlich zu den Löchern in der Decke, oder den überhängenden Wänden, es war schwierig das festzustellen, waren auch noch einige Öllampen am Boden entlang der Wände aufgereiht. Sie beleuchteten eine einschüchternde Sammlung von Schwertern, Keulen, Dolchen und Messern, Rüstungen und Helme und noch vieles mehr, das zum Kriegshandwerk gehörte. Das Beeindruckenste aber war die im Schneidersitz sitzende Gestalt in der Mitte des Raumes, angeleuchtet von fünf ringsherum stehenden Lampen. Der Mann schien alt zu sein, wenn auch noch lange kein Greis, und sein weißes Haar reflektierte das schwache Licht des Raumes. Seine Gestalt wirkte hager, aber kräftig. Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück, als er die Augen öffnete, und zu uns herauf sah. "Wer stört meine Ruhe?" fragte er, und seine Stimme klang als ob er selbstverständlich davon ausgehen konnte, hier Jahrelang zu sitzen und zu meditieren, ohne gestört zu werden. Es war unheimlich. "E... Entschuldigung. Meine Name ist Hitomi. Hitomi Kanzaki, und das hier ist Blinx. Wir, wir suchen jemanden..." "Wir suchen den Schwertmeister Norenkei." "Das bin ich." antwortete der Mann mit seiner beunruhigend ruhigen Stimme, und schloss die Augen wieder. Ich war vollkommen verwirrt. Was nun? "Eliandra hat uns geschickt." "Eliandra?" Zum ersten Mal konnte ich so etwas wie Überraschung in seiner Stimme hören. Seine Augen hatte er wieder geöffnet und auf mich gerichtet, und in ihnen konnte ich Neugier, aber auch Misstrauen erkennen. "Die Heilerin und Hohepriesterin? Diese Eliandra?" "Ja. Sie hat gesagt..." Er schien gar nicht auf meine Worte zu achten, sondern nur auf seine eigenen Gedanken, die er auch sogleich aussprach. "Was bewegt die Hohepriesterin dazu, mir die berühmte Hitomi Kanzaki, das so genannte "Mädchen vom Mond der Illusionen" zu schicken?" "Ihr wisst, wer ich bin?" wunderte ich mich, denn auf meinen Namen hatte er gar nicht reagiert, und so hatte ich gedacht, dass er nichts damit anfangen kann. "Natürlich. Aber nun sprich: Was führt dich zu mir?" Ich überlegte, wo ich anfangen sollte, ob bei Eliandra oder bei Van, bei dieser merkwürdigen Suche oder wo auch immer, da hörte ich auf einmal, wie durch eine Tür, die ich noch gar nicht bemerkt hatte, jemand in die steinerne Halle kam, und mit heller, klarer Stimme fragte: "Mit wem redest du da, Vater? Das Essen ist fertig!" Das Mädchen war etwa in meinem Alter, hatte schwarze Haare, und machte einen sehr beschäftigten Eindruck. Außerdem hatte sie eine Schürze umgebunden und sah ganz genauso aus, wie man sich das Idealbild einer Hausfrau vorstellt. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ihr Blick schweifte eher uninteressiert über uns. Also schien es hier doch häufiger Besuch zu geben, als der alte Mann den Eindruck erweckt hatte. Doch dann kehrten ihre Augen zu mir zurück, schienen fast aus ihren Höhlen zu quellen und das Mädchen bot ein Bild der reinsten Ungläubigkeit. Sie hob ihre Hände, als ob sie mich aus sechs Metern Entfernung berühren wollte, dann schoben sich ihre Mundwinkel nach oben, und mit einem lauten, überglücklichen Kreischen stürzte sie auf mich zu, warf mich um und drückte mir die Luft aus den Lungen. "Oh Mann, das ist ja nicht zu fassen! Ich kanns einfach nicht glauben! Ich hätte nie gedacht, noch mal jemand in einer Schuluniform zu sehen! Wer bist du, wo kommst du her, wie ist das Wetter in Japan, gibt's immer noch so viele Erdbeben? Ich möchte dich so viel fragen! Hach, ich freu mich ja so!" Während ich verstört am Boden lag und mir dieses Mädchen langsam eine Rippe nach der anderen brach, konnte ich Blinx sehen, der zur Säule erstarrt neben uns stand und anscheinend beschlossen hatte, das ganze für einen Traum zu halten. "Haruka! Benimm dich! Du bringst sie ja noch um, sie läuft schon rot an!" Das Mädchen - Haruka - hörte mit ihrer stürmischen Umarmung auf, sah auf mich runter, und stand mit hochrotem Kopf wieder auf. "Entschuldige", murmelte sie. "Aber ich war so überrascht, na ja..." Sie nahm meinen Arm und zog mich hoch. "Also, mein Name ist Haruka, und eigentlich komme ich wie du vom Mond der Illusionen." sagte sie und schaute mich neidisch an. "Weißt du, ich wünschte, ich hätte meine Schuluniform auch noch. Die Sachen, die es hier gibt sind nicht gerade die geeignetsten, wenn man mit ihnen mehr machen will als nur spazieren gehen." Ich sah sie an, schaute an mir runter, blickte wieder zu ihr hoch, und fing dann an zu lachen. Tränen rollten mir über die Wangen, und meine sich gerade erholt habenden Lungen hatten schon wieder Probleme mit der Luftzufuhr. "Da hast du Recht! Das erste Kleid, das ich hier anhatte, habe ich gleich am ersten Tag zerrissen, weil es mich beim Rennen behindert hat." Unbemerkt war Norenkei zu uns getreten. "Das ist Hitomi Kanzaki. Ich habe dir doch von ihr erzählt." Haruka schaute mich mit großen Augen an. "Hitomi? Die Hitomi?" Sie strahlte mich an. "Ich glaube, das mit der Erde kann erst mal warten. Ich war seit vier Jahren nicht mehr da, da wird mir auch jetzt nichts mehr weglaufen. Erst mal musst du mir vom Kampf mit den Zaibachern erzählen." "Ich glaube erst einmal", sagte Norenkei, "ist es deine Aufgabe, unsere Gästen an unseren Tisch zu bitten. Wie du vorhin gesagt hast, ist das Essen fertig." Er drehte sich zu mir und Blinx, der sich nun endlich von seiner Überraschung erholt hatte und sich nun wieder bewegen konnte, und meinte bedauernd: "Wir haben nicht mit Gästen gerechnet, also entschuldigt, wenn das Essen noch etwas dauert. Ich fürchte, unsere Portionen reichen nicht für euch aus, aber ihr dürft gerne mit ihnen beginnen. Haruka und ich können auch noch ein Weilchen warten, aber es wäre schade, das Essen kalt werden zu lassen, oder?" Ich wurde rot, als mein Bauch, angeregt durch die Vorstellung von herrlich duftendem Essen, lautstark seine Meinung kund tat. "Es sieht so aus." sagte ich leise, und stimmte dann in das Lachen der anderen ein. "Dann kommt!" rief uns Haruka zu, schon wieder halb in der Tür verschwunden. "Hier geht's lang." "Und dann bin ich hier gelandet." Beendete ich meine Erzählung. Haruka saß mir gegenüber, und hatte mir aufmerksam zugehört. Nach dem Essen hatte sie uns Zimmer gezeigt, in denen wir übernachten würden. Norenkei hatte uns gesagt, dass wir das, was wir suchten, den Dolch des reinen Geistes, frühestens morgen bekommen könnten. So musste ich nun erneut meine ganzen Erlebnisse auf Gaia erzählen. Auch Blinx hatte aufmerksam zugehört. Als ich an die Stelle kam, an der ich zum zweiten Mal nach Gaia kam- nach Akoths Traumwarnung- hatte ich erst gezögert. Norenkei hatte hatte, als ob er meine Gedanken gelesen hätten, gemeint, dass ich alles erzählen könnte, denn er wusste alles über die Tihani, auch wenn er keiner von ihnen war. "Ich gehe einen sehr ähnlichen Weg, aber mein Weg kann nicht in einer großen Gruppe begangen werden. Haruka wird hoffentlich meine Nachfolgerin, und wenn nicht, bin ich mir sicher, dass sie und die Tihani oft miteinander zu tun haben werden. Vielleicht wird sie dann sogar eine." Es hätte mich nicht verwundert, wenn Norenkei ein Tihani gewesen wäre, schließlich schien er Eliandra gut zu kennen. Ich fragte ihn, was er mit seinem Weg meinte, aber er schüttelte nur stumm den Kopf. Und Haruka schien zumindest zu wissen, was die Tihani waren, auch wenn sie keine Einzelheiten wusste. Nun saßen sie, Blinx und ich in meinem Zimmer, und ich hatte meine Geschichte erzählt. "Aber nun bist du an der Reihe, Haruka. Ich habe meine Geschichte erzählt, jetzt erzähle deine." "Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich komme aus der Nähe von Ôsaka. Es war vor etwas mehr als vier Jahren, ich war damals gerade elf Jahre alt geworden. Ich ging wie immer nach der Schule durch einen ziemlich großen und ziemlich dunklen Park. Auf einmal fühlte ich ein merkwürdige Kribbeln am ganzen Körper, und dann erfasste mich die selbe Lichtsäule, von der du erzählt hast, und ich wurde nach Gaia getragen. Ich kann dir sagen, ich war mindestens genauso erschrocken und einsam wie du. Aber im Gegensatz zu dir hatte ich niemanden, der sich um mich kümmerte. Dafür waren allerdings auch keine Zaibacher hinter mir her." Sie wiegte nachdenklich den Kopf. "Ich glaube fast, ich habe noch das bessere Los gezogen. Wie dem auch sei, nach etwa zwei Wochen, nach denen ich meine Sachen - meine Schuluniform - total zerrissen hatte, um mindestens zehn Kilo leichter geworden war und dem Wahnsinn ziemlich nahe, fand mich Norenkei. Er hat mich aufgenommen. Später hat er mir mal gesagt, dass er bei meinem Anblick sofort gewusst hatte, woher ich kam, und dass er auf der Suche nach mir gewesen war. Nicht direkt nach mir, er hatte nicht gewusst, was er suchte, er hatte nur gefühlt, dass er jetzt aufbrechen musste, wenn er denjenigen finden wollte, der sein Nachfolger werden soll." "Nachfolger wovon eigentlich?" "Nachfolger im Amt des zweiten Schwertmeisters von Gaia." Ich staunte. "Schwertmeister? Danach siehst du aber nicht aus!" Dann wurde ich rot. Gerade hier auf Gaia war ich mir bewusst geworden, wie wenig das äußere über eine Person in den meisten Fällen aussagt. Doch sie lachte und klopfte sich vergnügt auf die Schenkel. "Ja, da hast du Recht. Mehr wie eine Hausfrau, oder?" Ich nickte, froh, dass sie es mir nicht übel nahm. Sie hörte auf mit Lachen, grinste dann noch einmal, und beugte sich verschwörerisch zu mir und Blinx. "Aber das ist noch gar nichts. Ihr solltet mal sehen, wie Norenkei mit einer solchen Schürze aussieht." "Norenkei???" schrieen Blinx und ich wie aus einem Mund. Niemand von uns konnte ihn sich als Hausmann vorstellen, geschweige denn, in einer Schürze. "Psst! Lasst ihn das bloß nicht hören! Wenn er mitkriegt, dass ich das verraten habe, redet er für einen Monat kein einziges Wort mit mir. Und es ist hier ziemlich einsam." Den letzten Satz sagte sie mit mehr als nur ein wenig Wehmut. "Ich kann dich zurück bringen!" platzte es aus mir heraus. "Ich meine auf die Erde", fügte ich hinzu, als sie mich verwirrt ansah. "Glaube ich jedenfalls." sagte ich noch einschränkend, aber irgendwie war ihre Reaktion anders, als ich gedacht hatte. "Nein!" sagte sie schließlich leise, aber entschlossen. "Nein. Ich bin seit vier Jahren hier auf Gaia. Meine Familie glaubt sicher, dass ich tot bin. Und selbst wenn nicht, ich möchte nicht zurück. Sie wären mir mittlerweile fremd. Ehrlich gesagt, kann ich mich kaum noch an sie erinnern. Hier ist Norenkei mein Vater und meine Mutter, und ich liebe ihn wirklich sehr. Ich möchte hier bleiben." Sie sah mir in die Augen, und ich konnte ein helles Feuer darin sehen, das selbe, dass Van hatte, als ich ihn auf dem Crusador verließ. Traurigkeit, aber auch Entschlossenheit und das Bewusstsein, das Richtige zu tun, auch wenn es schmerzte. "Am Anfang habe ich einfach nur in meinem Zimmer gehockt, und an meine Familie und an den Mond der Illusionen gedacht, aber das hat sich geändert." Sie lächelte. "Siehst du, mittlerweile denke ich von der Erde sogar als Mond der Illusionen. Die Erde ist nicht mehr mein Zuhause, Gaia ist jetzt meine Heimat." Sie stand auf, ging zum Fenster und schaute hinaus. Unsere Zimmer lagen an der Südseite des Felsens, mit relativ großen Löchern, in die kunstvoll Fenster eingepasst waren. "Hier habe ich das erste Mal erlebt, was es heißt, wirklich frei zu sein. Norenkei hat mich machen lassen, was ich wollte. Natürlich, ich habe Fehler gemacht, oft schmerzhafte, und ich habe Dinge getan, auf die ich heute nicht besonders stolz bin. Aber ich habe daraus gelernt, genau wie er es wollte. Ja, er hat mir oft das Gefühl gegeben, auf mich gestellt zu sein, aber ich habe immer gewusst, dass er da war und mich beschützt hat. Ich habe gewusst, er würde mich nicht vor den Konsequenzen meiner Dummheiten beschützen, ich würde ausbaden müssen, was immer ich anstellte. Aber genauso habe ich gewusst, dass er nicht zulassen würde, dass mir etwas Ernsthaftes geschieht. Ich habe eine Menge Blessuren davongetragen, blaue Flecke und sogar den ein oder anderen gebrochenen Knochen. Aber ich habe niemals das Gefühl gehabt, verloren zu sein, er war immer da, wenn ich etwas aus eigener Kraft nicht schaffen konnte." Sie drehte sich wieder zu uns um, und schüttelte den Kopf. "Ich will hier nicht weg. Ich bin glücklich hier. Aber trotzdem danke für dein Angebot." Sie zögerte. "Es gibt da aber etwas, dass ich sehr vermisse, und das du mir vielleicht besorgen könntest, wenn du mal einen Abstecher in ein Kaufhaus machst." "Und was?" fragte ich ahnungslos. "Musik! Ich hatte ein paar CD's und meinen Discman dabei, als ich nach Gaia versetzt wurde, aber der wurde mir gestohlen, gleich am ersten Tag. Ich hatte mich hingesetzt und ihn laufen lassen. War wohl so was wie eine Trotzreaktion: Ich würde einfach Musik hören, bis alles wieder in Ordnung kam. Nun, eine Gruppe Kinder kam, sah mich und das seltsame Ding in meinen Händen, und hat es mir gestohlen. Na ja, wenigstens konnte ich mich damit trösten, dass sie nicht viel Freude daran hatten. Die Batterien waren nämlich schon so gut wie leer. Aber ich würde zu gern wissen, was sie dann damit angestellt haben. Einfach weggeworfen haben werden sie ihn wohl kaum, sie haben so etwas schließlich noch nie gesehen." In diesem Moment erinnerte ich mich an etwas, dass mich so manche schlaflose Stunde gekostet hatte. "Ich denke, sie haben ihn verkauft." "Verkauft?" "Ja, als Schmuckstück oder so. Zumindest die CD's. Ich habe nämlich eine in Asturia gefunden. Ich hab mich schon ewig gefragt, woher die kommt. Ich denke, jetzt weiß ich's." Haruka lehnte sich überrascht zurück. "Asturia. Ganz schöner Weg. Als Schmuckstück? CD's?" Plötzlich grinste sie. "War doch bestimmt teuer, dieses angebliche Schmuckstück, oder?" "Äh, ja, ich glaube schon." "Wenn du das nächste Mal auf den Mond der Illusionen bist, musst du unbedingt einen ganzen Sack CD's mitbringen. Und natürlich was zum Abspielen mit einer Menge Batterien. Dann hab ich wieder vernünftige Musik, und werde noch dazu steinreich." Ich lachte. An so etwas hatte ich nie gedacht. Aber funktionieren würde es bestimmt. "Aber sie wird es nicht tun!" "Norenkei!" Ich sprang überrascht auf. "Seit wann sind sie denn..." "Lange genug." Er blickte Haruka an. "Du wirst nichts dergleichen tun. Dinge vom Mond der Illusionen gehören nicht auf Gaia, genauso wenig wie Dinge von Gaia auf den Mond der Illusionen gehören." "Und was ist mit mir und Hitomi?" Ich hielt den Atem an. Norenkei schien mir nicht der Mann für solche Fragen. Doch er nickte nur anerkennend. "Eine kluge Frage - aber du bist eigentlich klug genug, um auch die Antwort zu kennen. Du und Hitomi habt beide eine Aufgabe auf diesem Planeten zu erfüllen. Mag sein, dass Hitomis Aufgabe größer aussieht, aber deswegen ist sie nicht mehr oder weniger wichtig als deine. Jedes Wesen hat eine Aufgabe. Die Schwierigkeit ist nur, sich seiner Aufgabe bewusst zu werden, und nach dieser Bestimmung zu handeln." Er drehte sich zu mir. "Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass wir morgen noch vor Sonnenaufgang aufbrechen, Hitomi. Blinx kann dich begleiten, wenn du willst, aber das ist nicht nötig. Wir werden zum Sonnenaufgang an dem Ort sein, an dem der Dolch des reinen Geistes ist." Damit drehte er sich um und verschwand. "Tja", meinte Haruka. "Das heißt wohl, dass du heute früh ins Bett gehen solltest. Und noch etwas, Hitomi." "Was?" "Ich weiß es nicht genau, aber wenn dieser Dolch das Ding ist, dass mein Vater bewacht - er hat mir nie gesagt, was er bewacht, nur dass es sehr wichtig ist - dann wird er es dir nicht einfach so in die Hand drücken." Ein seltsamer Druck legte sich auf mein Herz. "Dann gibt es eine Prüfung?" fragte Blinx. Ich horchte auf - natürlich, so musste es sein. Das hatte Eliandra gemeint. "Ich weiß es nicht." antwortete Haruka. "Aber ich halte es für durchaus möglich. Ja, ich bin mir sogar sicher, dass Hitomi irgendwie beweisen muss, dass sie den Dolch bekommen darf. Wenn ich eins von diesem Planeten verstanden habe, dann ist es die Tatsache, dass es eine Menge seltsamer, mehr oder weniger geheimnisvolle Dinge gibt, an die man nicht so leicht herankommt. Beziehungsweise hinter die Geheimnisse." Ich konnte ihr nur aus vollstem Herzen zustimmen. Alles auf Gaia schien von Geheimnissen, Legenden und wahrgewordenen Mythen durchdrungen zu sein, und nichts war so einfach, wie es auf den ersten Blick erschien. Gähnend folgte ich Norenkei. Ich war allein mit ihm, denn Blinx war nicht aus dem Bett zu bekommen gewesen, und Haruka hatte schon gestern gesagt, dass sie uns nicht begleiten wolle. So langsam wusste ich auch warum. Der Weg in den Canyon war schmal, steinig und das genaue Gegenteil von bequem. An einigen Stellen war der Weg so schmal, dass ich mich nur mit dem Rücken an die Felswand gepresst getraut hatte, ihm weiter zu folgen. Die Sonne war außerhalb des Canyons schon längst aufgegangen, aber hier war es noch fast dunkel. Nur einige verirrte Lichtstrahlen und die rußende Fackel Norenkeis beleuchteten unseren Weg auf gespenstische Weise. "Wir sind gleich da, Hitomi." "Na endlich!" rief ich aus tiefstem Herzen. Eine Minute später kamen wir auf einer Art Plateau an, das weder von oben noch von unten zu sehen war. Von unten verhinderten fünfzehn Meter und hunderte Risse und Spalten, das diesem kleinen Vorsprung mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde als anderen. Von oben schützten mindestens genauso viele Meter und ein Felsen vor der Sicht, in dessen Schatten der Eingang zu einer Höhle lag - unter der Bedingung, dass die Sonne bis hierher kam. Dieser Zeitpunkt schien kurz bevor zustehen. Norenkei drehte sich zu mir um. Ich stand zitternd dicht hinter ihm und wagte nicht, hinab zu sehen. Ich hatte es einmal getan, und das hatte gereicht. Der Fluss unten im Canyon rauschte über eine Stromschnelle nach der anderen, und das ziemlich laut, wenn man einmal im Canyon war. Es war fast ein Wunder, dass ich Norenkei verstand, ohne dass er schreien musste. "In dieser Höhle ist der Dolch des reinen Geistes. Aber zuvor muss ein Schloss geöffnet werden. Das ist deine Aufgabe. Ich kann dir dabei nicht helfen." "Was soll das heißen, sie können mir nicht helfen? Können sie nicht, oder wollen sie nicht?" Er lachte. "Sagen wir es so: Ich habe mir nie die Mühe gemacht, herauszufinden, wie das Schloss geöffnet wird. Das muss ohnehin derjenige tun, der den Dolch haben will. Und wenn ich nichts über den Mechanismus weiß, kann ich auch nichts verraten." Er schaute mich bedauernd an. "Du siehst also, ich kann dir nicht helfen, selbst wenn es mir nicht verboten wäre. Aber das Schloss an sich soll gar nicht so kompliziert sein. Die wahre Prüfung wartet erst hinter der Tür." "Die wahre Prüfung?" "Ja, die, die ich gewählt habe, um jeden zu prüfen, der den Dolch besitzen will. Aber eines nach dem anderen. Jeden Moment wird die Sonne die Tür erreichen, und dann achte genau auf das, was passiert. Ihre Strahlen werden dir den Weg weisen." In der Tat waren die Sonnenstrahlen an der Canyonwand abwärts gewandert, und gleich mussten sie die Höhle, in der sich jetzt auch ganz schwach so etwas wie eine steinerne Tür abzeichnete, erreichen. Aber wie sollte die Sonne mir den Weg zeigen? Ich schloss geblendet die Augen, als etwas ungeheuer grelles vor mir aufblitzte. Was war das? Blinzelnd versuchte ich etwas zu erkennen. Die Sonnenstrahlen wurden von einem Spiegel neben dem Felsen reflektiert, der in der zerklüfteten Canyonwand so gut wie unsichtbar war. Die reflektierten Strahlen fielen auf einen weiteren Spiegel auf der anderen Seite, und wurden dorthin geworfen, wo die Höhle war, die jetzt taghell erstrahlte. Ein vielfaches Aufblitzen auf der Tür ließ mich erschrocken den Atem anhalten. Es blitzte mal hier, mal da, in einem irisierenden Funkeln erglühte die Tür, und erlosch dann schließlich flackernd. Ich blinzelte mehrmals. Tränen rannen mir über die Wange, und meine Augen schmerzten. "Was sollte das sein?" fragte ich verdutzt und schaute Norenkei an, der scheinbar unberührt da stand. Hatte ihn das Licht nicht geblendet? "Ich weiß nicht Hitomi. Ich habe dir doch gesagt, dass ich von diesem Schloss keine Ahnung habe. Aber ich denke, du musst die Spiegel in der Tür in der Reihenfolge drücken, in der sie aufgeleuchtete sind. Raffiniert." Er drehte sich um, und sah hinunter zur gegenüber liegenden Wand. "Deshalb wurde diese Stelle ausgesucht. Auf der anderen Seite ist der Felsen an dieser Stelle so zerklüftete, das man vielleicht nicht einmal merkt, dass hier etwas ist, wenn man oben steht. Das Licht geht in den Rissen regelrecht verloren. Was für eine Arbeit muss das gewesen sein, das alles auf die natürliche Beschaffenheit anzupassen." "Aber ich kann mich unmöglich daran erinnern, in welcher Reihenfolge dieses Geflimmere stattfand. Am Anfang war ich total geblendet, und außerdem, wer soll sich an das alles erinnern?" "Ich könnte es." warf Norenkei beiläufig ein. Ich sah ihn ungläubig an, während er sich auf einen Stein setzte. "Aber sie werden mir sicher nicht die Reihenfolge verraten." "Nein, da hast du Recht. Das ist deine Prüfung, nicht meine." "Aber wie soll ich das schaffen?" "Versuch dich zu erinnern! Vielleicht schaffst du es ja doch." "Nein, unmöglich!" "Unmöglich? Woher willst du das wissen? Hast du es denn schon einmal probiert?" "Nein!" erwiderte ich wütend. "Kein Mensch kann das schaffen, darum ist es unmöglich!" "Nur weil kein Mensch es schaffen kann, ist es noch lange nicht unmöglich. Insekten würden zum Beispiel nicht geblendet werden, da sie Facettenaugen haben. Zumindest ein Teil ihrer Augen würde nicht alles Licht abbekommen, und etwas erkennen können." "Ich bin aber kein Insekt! Ich bin ein Mensch. Und ein Mensch kann es nicht schaffen!" "Ich kann es. Und ich bin ein Mensch, das versichere ich dir. Und du könntest es auch schaffen - wenn du es trainierst." Ich wollte ihm erst widersprechen, aber dann schloss ich meinen Mund wieder. Er hatte behauptet, nicht geblendet worden zu sein, und er hatte keinen Grund zu lügen, wenn er mich nicht einfach nur ärgern wollte. Das aber traute ich ihm nicht zu. Er war manchmal so sarkastisch, dass es mich zur Weißglut trieb, aber lügen... nein, lügen würde er nicht. Und ich wusste wohl am besten, dass man scheinbar unmögliches machen konnte. Ich hatte den Untergang Gaias verhindert, auch wen mir nicht klar war wie. Ich hatte damals kaum noch bewusst gehandelt. Es war mehr ein Horchen auf mein Inneres gewesen... Ein Horchen auf mein Inneres... Was war da mal im Fernsehen? Das Unterbewusstsein kennt oftmals die Antwort auf Fragen die uns beschäftigen, aber diese Antwort kommt nicht ins Bewusstsein. Erst im Traum verschwindet die Barriere zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein. Das war der Grund, weshalb so vielen Wissenschaftlern die Lösungen ihrer Probleme im Traum eingefallen waren. Kekulés Affen, eine Formel bei Einstein... "Wie kannst du alle gesehen haben und dich auch noch daran erinnern? Gibt es da ein Geheimnis?" "Ein Geheimnis?" Norenkei schien belustigt. "Nein. Aber du siehst so aus, als sei dir etwas eingefallen. Hatte deine Frage vielleicht einen bestimmten Grund?" "Schon möglich. Wie machst du es, dich zu erinnern?" "Eigentlich erinnere ich mich gar nicht bewusst daran. Aber meine Augen tun es noch, und woran sie sich erinnern, das kann auch ich wieder sehen." Ich runzelte die Stirn. Das war nicht die Antwort, die ich erhofft hatte, jedenfalls nicht auf dem ersten Blick. Ich musste den Sinn hinter seinen Worten erkennen. Ja, Norenkei wäre ein richtig guter Tihani. Nie alles sagen, immer nur Andeutungen. Bah! Aber wie bei den Tihani steckte immer ein Sinn dahinter, war er auch noch so versteckt. "Und meine Augen erinnern sich auch noch daran, was sie gesehen haben?" Norenkeis Schultern zuckten, und er schien kaum ein Lächeln verbergen zu können. "Eigentlich schon. Aber es sind deine Augen, nicht meine. Sag es mir." So langsam wurde ich wirklich wütend. Ich versuchte hier, seine Rätsel zu lösen, hinter diese verdammte Tür zu kommen, die er angeblich so leicht öffnen konnte, und er machte sich über mich lustig. "Und wie kann ICH mich daran erinnern, was meine Augen gesehen haben?" "Wie gesagt, es sind deine Augen, nicht meine." Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich versuchte verzweifelt Van zu helfen, und dieser... Seine Augen sahen mich so merkwürdig an. So... taxierend. Als ob er eine Maus im Irrgarten betrachten würde, und überlegte, ob dieses Tierchen den rettenden Ausgang finden oder ertrinken würde. Und da verstand ich. Er wollte, dass ich wütend wurde. Er wollte mich ablenken. Und genauso plötzlich wusste ich auch, dass er wollte, dass ich das verstand. Er wollte, dass ich wusste, dass er es für nötig hielt, es aber nicht persönlich meinte. Ich erstarrte und schaute ihn ungläubig an. Wie passte das zusammen? War es auch ein Test? Vielleicht. Nein, eher Wahrscheinlich. Fast mit Sicherheit. Wie war das? "Du wirst geprüft werden, ob du dieser Macht würdig bist." Und würdig war nur, wer auch seinen Zorn kontrollieren konnte. Wenn nur nicht die Zeit so drängen würde. Aber ich hatte keine Wahl. Schon wieder nicht. Ich war immer nur ein Spielball im Schicksal dieser Welt. Nein, kein Spielball. Ich war es, der das Schicksal dieser Welt schon einmal bestimmt hatte. Und nun konnte ich wieder über ein Schicksal entscheiden. Vans Schicksal. "Du kannst alles schaffen Hitomi." sagte Norenkei leise. "Nichts ist unmöglich, solange du es wirklich willst. Und denke immer daran, für was du kämpfst, nicht gegen was." Das würde ich. Wie hatte ich es nur vergessen können? Ich hatte ein Ziel, und ich würde es erreichen. Ich sah Norenkei an. Er blickte mir in die Augen, und erkannte, dass ich verstanden hatte. Er nickte fast unmerklich, und bedeutete mir, mich neben ihn zu setzten. "Also", fragte ich ihn, "wie erinnerst du dich an das, was deine Augen gesehen haben?" Er lächelte warm, fast herzlich. "Es ist eigentlich ganz einfach..." *** "Ah! Thana! Zu dir wollte ich gerade." "Was ist, Van?" "Hast du Hitomi gesehen? Ich habe sie heute und gestern nirgendwo bemerkt." "Sie ist weg gegangen, zusammen mit Eliandra." "Eliandra? Die war hier? Warum hast du mir nichts gesagt?" "Hättest du dich ein bisschen um uns andere, und besonders um Hitomi gekümmert, hättest du sie auch bemerkt. Aber du steckst ja nur mit dieser Zaibacherin zusammen." "Und? Was geht dich das an?" fragte er in rüden Ton. "Eine ganze Menge. Sie hat einen schlechten Einfluss auf dich. Aber du warst schon vorher so, seit du verschwunden warst. Was ist da passiert?" Thana fragte es nicht zum ersten Mal. Aber diesmal bestand die Reaktion nicht in einem Abwinken und Ignorieren ihrer Frage. Diesmal veränderte sich sein Gesichtsausdruck, als ob er nach innen schaute. Seine Augen wurden leer, und ein merkwürdiges Flackern darin erschreckte Thana. "Van! Was ist mit dir!" Er hob die Hände an den Kopf, und sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Thana wollte ihm helfen, ihn stützen, doch er schlug ihre Hand zur Seite. "Fass mich nicht an!" "Aber Van!" "Verschwinde!" schrie er, und rannte dann durch den leeren Gang davon. *** "Es ist eigentlich ganz einfach", hatte er gesagt. Natürlich nur, wenn man es konnte. Ich konnte es anscheinend nicht. "Konzentriere dich Hitomi!" kam seine Stimme erneut zu mir durch. < Was denkst du denn, was ich hier mache!> huschte ein verärgerter Gedanke durch meinen Kopf, den ich aber sofort verdrängte. Schließlich bewies er, dass ich nicht konzentriert war. Norenkei hatte mir den Rat gegeben, nicht auf Teufel komm raus zu versuchen, aus meinen Erinnerungen etwas herauszureißen. "Damit verspannst du dich nur. Dein Geist muss frei sein, damit die Erinnerung aus deinem Innersten in ihn dringen kann. Denke nicht an das, an was du dich erinnern willst. Denke an die Situation in der du warst. Atme tief durch, befreie deinen Geist von allen überflüssigen Gedanken, und stell dir die Situation vor." Ich stellte mir vor, wie ich an genau diesem Ort stand, die Sonne tiefer wanderte, immer tiefer und dann plötzlich... "Es hat keinen Zweck!" rief ich enttäuscht und trat wütend nach einem Kiesel, der an die Wand prallte, zurück rollerte, und schließlich über die Kante nach unten fiel. "Ich schaffe es nicht!" Frustriert setzte ich mich auf den steinigen Boden, und legte den Kopf auf meine Knie. "Es muss doch noch einen anderen Weg geben!" rief ich verzweifelt. "Natürlich gibt es den. Es gibt immer mehr als einen Weg." Ich sah Norenkei an, und zweifelte an meinem Verstand. Was sollte das bedeuten? "Von einem guten oder schlechten Gedächtnis auf die Reinheit des Geistes zu schließen, ist doch etwas gewagt, oder? Es gibt immer mehrere Wege, ein Schloss zu öffnen." Einen Augenblick starrte ich einfach durch ihn hindurch. Ich war so was von dumm. Natürlich gab es einen anderen Weg. Das hatte ja Eliandra deutlich gesagt. "Und was für einen anderen Weg gibt es?" Er runzelte die Stirn. "Nun, du könntest versuchen, die Tür einzutreten." meinte er dann mit ernstem Ton. Ich stöhnte. "Und welche Möglichkeit gibt es außerdem noch?" "Außerdem könntest du die Gebrauchsanleitung lesen", antwortete er, und sah mich erwartungsvoll an. Oh nein, ich würde ihm nicht den Gefallen tun, und ausrasten. Mühsam beherrscht fragte ich. "Eine Gebrauchsanweisung?" "Aber ja doch. Das ist so bei dieser Art von Türen. Wenn eine Prüfung darin besteht, eine Tür zu öffnen, dann gibt es mit Sicherheit auch einen Hinweis, wie man das tut." "Und wo finde ich diesen Hinweis?" fragte ich, nun doch am Rande meiner Selbstbeherrschung. Norenkei aber sah mich stirnrunzelnd an. "Überlege mal ein bisschen. Eigentlich müsstest du da auch allein draufkommen. Verlass dich nicht immer auf andere." Ich atmete tief durch. Einmal, zweimal, dreimal. Dann zählte ich bis zehn, dann noch bis zwanzig. Es half nicht wirklich. "Da hier nicht viel Platz ist, dürfte sich dieser Hinweis auf der Tür selbst befinden, richtig?" "Ich denke schon. Wie gesagt, ich habe mich nie damit befasst." Ich stand auf, klopfte mir den Staub von meinem Rock, und ging zur Tür. Erst, als ich im Schatten des Felsens stand konnte ich erkennen, was ich bisher nicht gesehen hatte. "Da sind ja Bilder drauf!" staunte ich. Fasziniert stellte ich mich ganz dicht vor die Tür. Der Stein der Tür war bedeckt von einem Relief aus Dutzenden verschiedener Bilder. Und fast jedes Bild hatte eine Gemeinsamkeit: Einen etwa Kirschgroßen, reinweißen Edelstein. "Sind das etwa Diamanten?" "Kann schon sein. Wahrscheinlich haben sie das Licht reflektiert. Darum hat es auch so gefunkelt. Die Diamanten sind so geschliffen, dass sie nur einen kurzen Strahl abgeben, wenn das Licht im genau richtigen Winkel auf sie fällt. Erstaunliche Arbeit. Wenn man bedenkt, dass sich Einstrahlungswinkel im Laufe des Jahres ändert..." Ich sah ihn zweifelnd an. "Aber was haben diese Bilder zu bedeuten?" "Ich habe keine Ahnung. Ich bin ein Krieger, kein Gelehrter, der sich in den Überlieferungen auskennt. Diese Bilder sind mir ein Rätsel." "Bilder. Rätsel. Bilder. Rätsel." Immer wieder sprach ich diese Wörter vor mich her. "Bilderrätsel. Bilderrätsel? Das muss es sein!" "Wie?" Norenkei hatte, wie ich, in Gedanken versunken dagestanden und über die Bilder nachgedacht. Ich freute mich, dass ich ihn bei einer Unaufmerksamkeit erwischt hatte. "Ein Bilderrätsel! Diese Bilder erzählen eine Geschichte, und wenn man in der richtigen Reihenfolge auf sie drückt, öffnet sich die Tür!" "Erstaunlich. Ja, das könnte sein." Sein Blick wurde eine Zehntelsekunde leer, dann huschten seine Augen schneller als ich gucken konnte über die Tür. "Ja, du hast Recht. In der Reihenfolge des Aufblinkens ergeben sie einen Sinn." "Und wie ist die Reihenfolge?" fragte ich möglichst uninteressiert. Norenkei aber hatte mich durchschaut. "Das musst du schon selbst herausfinden." Er schaute mich entschuldigend an. "Ich darf dir wirklich nicht helfen, Hitomi. Wenn ich das tun würde, würde ich alle meine Vorgänger im Amt des Schwertmeisters verraten, alles woran sie geglaubt haben. Ich glaube, dass du würdig bist, den Dolch des reinen Geistes zu erhalten, aber ich kann dir die Prüfungen nicht erlassen, so leid es mir tut. Aber tröste sich, du weißt wie es geht. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis du die richtige Reihenfolge herausgefunden hast." Ja, nur noch eine Frage der Zeit. Ich stand hilflos vor den Bildern, die in meinem Kopf bereits ineinander übergingen. Wie sollte ich die richtige Reihenfolge herausfinden, wenn ich noch nicht einmal die Geschichte kannte, die dort abgebildet war? Moment... "Welche Geschichte wird dort erzählt?" Er schaute mich an, und sein Lächeln gab mir eine Menge meiner Kraft wieder. "Die Legende vom Diamanten der Unschuld. Eine sehr schöne Geschichte. Willst du sie hören?" "Gern." "Gut, dann setz dich hin. Das wird ein bisschen dauern." Endlich hatte ich das erste Bild gefunden. Die weinende Himmelsgöttin Umiko. Sie hatte geweint wegen des Mordes an ihrem sterblichen Geliebten. < Ihre Träne war vom Himmel gefallen - dort. Sie fiel in die Berge, wo waren Berge? - Da! Aber das Bild kann es nicht sein. Da sind noch zwei mit Bergen und da noch eines. Das muss es sein.> So ging es noch eine Weile weiter. Der Legende nach, die mir Norenkei erzählt hatte, war die Träne zu einem Diamanten unvorstellbarer Größe geworden, reiner und strahlender als alle anderen Diamanten, als sie den Fels des Gebirges in der Nähe der Heimatstadt des ermordeten Geliebten berührte. Dann hatte ein Schäfer den Diamanten gefunden, der seinen Wert nicht erkannte. Er nahm sie mit, um etwas schönes in seiner Hütte zu haben. Seine Frau aber, habgierig und des Lebens als Schäferin leid, erkannte bald, was ihr Man da gefunden hatte. Als dieser wieder einmal für mehrere Tage mit den Schafen unterwegs war, ging sie mit diesem Diamanten in die Stadt Ehrenhain um ihn zu verkaufen und reich zu werden. Sie hatte Mühe ihn zu tragen, so groß und schwer war er. Deshalb war sie froh, als ein Fuhrmann, der auf dem selben Weg war wie sie, ihr anbot sie mitzunehmen. Zufällig warf er einen Blick in das Bündel, das die Frau trug und in dem der Diamant versteckt war. Auch ihn beschlich die Gier, und er brachte die Frau um, versteckte ihren Leichnam und wollte den Diamanten an sich nehmen. Doch als er ihn berührte, verbrannte ihn das göttliche Licht, denn der Diamant war aus Trauer über einen Mord entstanden, und niemals würde er sich von einem Mörder berühren lassen. Zufällig sah eine Seherin dieses Licht. Der Name dieser Seherin ist nicht überliefert, aber man sagt, sie sei eine der schönsten und klügsten Frauen aller Zeiten gewesen. Sie fand das herrenlose Fuhrwerk. Es war abgestürzt, denn die Pferde waren bei dem Licht in Panik geraten und nun tot. Und sie fand den Diamanten und die Leiche der Frau. Sie sprach einen Segen über ihr, und begrub sie ordentlich. Von dem Fuhrmann fehlte jede Spur. Alle Zeichen seiner Existenz waren ausgelöscht. Als Seherin kannte die Frau die Geschichte der Himmelsgöttin, und konnte sich schnell ausmahlen, was sie dort in Händen hielt, sie hatte ja selbst gesehen, wie die Träne gefallen und zu einem Diamanten geworden war. Und sie wusste auch, dass ihr nun eine wichtige Aufgabe zufiel. Sie ging mit dem Diamanten in die Stadt und stellte sich auf den Marktplatz. Dort stand seit ewigen Zeiten die Statue eines Schwertes, des heiligen Schwertes von Ehrenhain. Die Leute kannten die Seherin, und als sie ankündigte, einen Mord zu rächen, strömte das Volk zusammen. Unter ihnen auch der Mörder des Geliebten der Sonnengöttin. Diese Tat war mittlerweile drei Monate her, und niemand hatte ihn verdächtigt, noch nicht einmal die Klatschweiber. Denn ihnen hatte er eine andere Geschichte gegeben, die einer verstorbenen, einsam lebenden Tante, zu deren Begräbnis er angeblich zwei Tage vorher aufgebrochen war. Er hatte die Tante schon vorher benutzt, um sich aus der ein oder anderen Verpflichtung zu stehlen, oder um seine Raubzüge zu decken, jedes Mal weil sie krank war, und so zog niemand die Geschichte ihres Todes in Zweifel. Es gab sogar einige, die ihr Beileid ausgedrückt hatten an dem Tag, an dem er die Stadt für zwei Wochen verlassen hatte. So also war der Mörder unter den Schaulustigen, als die Seherin begann, von einem grausamen Mord aus Habgier zu reden. Ein Dieb, der erwischt worden war, und deshalb getötet hatte. Dem Mörder kam immer noch nicht in den Sinn, dass er gemeint sein könnte. Die Seherin ging mittlerweile durch die Reihen der umstehenden. "Berührt die Träne der Göttin!" sagte sie immer wieder, und die Leute berührten, manche ehrfürchtig, manche gierig, den Diamanten. Die Seherin erzählte weiter die Geschichte, und als sie an die Stelle mit dem Fuhrmann kam raunte die Menge. So also sollte sich die Rache vollziehen. Der Mörder hatte der Geschichte gebannt gelauscht, doch nun erfasste ihn die Angst. Auch wenn kein Mensch wusste, was er getan hatte, die Götter wussten es bestimmt, so, wie sie es auch bei dem Fuhrmann gewusst hatten. Er versuchte, sich unauffällig davonzustehlen, aber in diesem Moment stand die Seherin vor ihm. "Berührt die Träne der Göttin!" forderte sie ihn auf, und in ihren Augen konnte er sehen, dass sie die Wahrheit wusste. "Aber sie tötet!" versuchte er sich herauszureden. "Nur die Schuldigen. Hunderte Menschen haben sie vor dir berührt, und niemandem ist etwas passiert. Du hast doch nichts zu verbergen?" "Nein!" rief der Mörder wieder besseren Wissens. Niemals würde er zugeben, was er getan hatte. Er griff nach der Träne, und als er sie berührte spürte er die Anwesenheit der Himmelsgöttin. "Nein! Nein! Bitte nicht! AAAHHH..." Als die Bürger wieder sehen konnten, war von dem Mörder nichts weiter übrig, als ein Häufchen Asche, das der Wind gerade hinaufwirbelte. Nichts weiter blieb von ihm zurück, als die Erinnerung. Die Seherin aber hielt die Träne der Himmelsgöttin hoch über die Köpfe der Menge. "Von heute an und für alle Zeiten soll dieser Diamant seinen Glanz verlieren, und nur erstrahlen, wenn ein Mörder ihn berührt!" Mit diesen Worten drehte sie sich um, und rammte den Diamanten auf das heilige Schwert Ehrenhains. Der Diamant glitt an der Klinge hinab, als sei sie nicht vorhanden, und erst in der Mitte blieb er auf einmal stecken. Die Seherin ließ den Stein los, und sein Glanz verschwand. Noch heute steht dieses Schwert mit dem verblassten Diamanten auf den Marktplatz von Ehrenhain, und es heißt, dass nie wieder ein Mord in dieser Stadt geschah. Ich schob das letzte Bild in den Stein der Tür. Dieses sprang nicht wie die anderen wieder heraus, sondern blieb etwa zwei Zentimeter tief stecken. "Und was nun?" fragte ich ratlos Norenkei. "Jetzt müsste sich die Tür eigentlich..." Ein Knirschen unterbrach ihn, das mir durch Mark und Bein ging. Ruckartig öffnete sich die Tür, begleitet von einem lauten Rumpeln und dem Geräusch von Stein, der über Stein schleift. Hinter der Tür lag ein kleiner, schmuckloser Raum, und in ihm lag auf einem Podest eine unverzierte, hölzerne Schatulle. Norenkei ging an mir vorbei und griff nach der Schatulle. "Der Dolch müsste hier drin sein. Mal sehen." Er legte die Hand darauf, und schloss die Augen. Etwas klickte leise, und der Deckel der Schatulle sprang auf. Er griff hinein, und holte etwas seltsames heraus. "Der ist ja aus Glas!" rief ich erstaunt. So ein Wirbel um einen Dolch aus Glas! "Natürlich. Der Dolch ist das Symbol der Reinheit. Was ist reiner als Glas? Sand, der durch das Feuer gereinigt wurde. Gibt es etwas besseres? Aber es ist besser, wir gehen jetzt." Er verschloss den Dolch wieder in der Schatulle und verließ den dunklen Raum. Ich wunderte mich über seine plötzliche Eile, doch in diesem Moment hörte ich wieder ein Rumpeln in den Felsen um mich herum. Schnell brachte ich ein paar Meter zwischen mich und der Tür, und knirschend verschloss sich dir Höhle wieder. "Am besten, wir gehen erst mal zurück zum Haus. Ich habe langsam Hunger, und es liegt noch ein anstrengendes Stückchen Weg vor uns." Ein anstrengendes Stückchen Weg. Mir grauste, als ich an den Rückweg dachte. Diesen mörderischen Pfad wieder hinauf... Ich hoffte inständig, dass es das letzte Mal war. "Da seid ihr ja!" begrüßte uns Haruka. "Ich habe euch schon vor ein paar Minuten gehört, und das Essen schon aufgesetzt. In zehn Minuten geht's los!" Sie ging pfeifend wieder in die Küche zurück, wo ich sie dann ziemlich falsch singend klappern hörte. "Ist der Dolch da drin?" fragte Blinx mit einem neugierigen Blick auf die Schatulle, die Norenkei noch immer in der Hand hielt. "Ja." antwortete er vor mir. "Aber Hitomi muss ihn noch da raus kriegen." "Wie?" Ich hatte mich erschöpft auf einen Stuhl um den großen Tisch auf der Terrasse gesetzt. Die Terrasse war auf der zur Schlucht blickenden Seite der Höhlenwohnung, wo auch der eigentliche Wohnbereich lag. Sie bot genug Platz für zehn Leute, und war trotz der hineinscheinenden Sonne recht kühl, so dass sie ein idealer Aufenthaltsort war. Nun schaute ich verwirrt auf Norenkei. "Aber du hast die Schatulle doch schon geöffnet!" "Richtig." Er nickte und stellte die Schatulle in die Mitte des Tisches. "Aber du nicht. Das ist die Aufgabe, die der erste Schwertmeister denjenigen gestellt hat, die den Dolch haben wollen. Ich kann sie öffnen, aber kannst du das auch? Nur jemand, der mit den Kräften des Geistes umgehen kann, ist dazu in der Lage. Und das ist auch eine Voraussetzung, um den König von Fanelia zu heilen, wenn ich mich richtig erinnere. Tut mir leid, dass ich dir da nichts genaues sagen kann, aber ich habe nie damit gerechnet, dass der Dolch jemals wieder aus dieser Höhle geholt wird, und habe mich deswegen nicht über das Mindestmaß mit dieser Möglichkeit beschäftigt." "Und da sagst du immer, man muss auf alles vorbereitet sein, auch auf das Unwahrscheinliche." meinte Haruka tadelnd, die gerade aus der Küche kam und das Essen auf den Tisch stellte. "Ja, und das sage ich deswegen so häufig, weil ich genau das nicht getan habe, und schon mehrmals erlebt habe, dass ich diesen Rat, den mir mein Meister gab, besser hätte beachten sollen. Genau wie in diesem Fall." "Alles schön und gut, aber wie macht man denn diese Schatulle auf?" fragte Blinx, der die Schatulle von allen Seiten betrachtet, und weder Schloss noch Öffnungsmechanismus entdeckt hatte. "Das ist das, was Hitomi herausfinden muss. Wenn sie es nicht schafft, kann sie mit dem Dolch sowieso nichts anfangen." Ich nahm die Schatulle vom Tisch und legte so die Hände darauf, wie Norenkei es getan hatte. Auch ich konnte nichts sehen, dass darauf hinwies, wie man dieses Behältnis öffnen könnte. Ich versuchte daran zu drehen oder zu schieben, drückte auf alle möglichen Stellen, aber nichts geschah. "So wird es nichts Hitomi!" meinte Norenkei nuschelnd, da er den Mund voll hatte. "Ich werde es dir nach dem Essen erklären, aber jetzt greif erst mal zu. Glaub mir, du wirst in nächster Zeit eine Menge Hunger haben." Ich verstand zwar nicht, was er damit meinte, aber in einem hatte er Recht. Die Schatulle konnte bis nach dem Essen warten. Mein Magen grummelte lautstark seine Zustimmung zu dieser Entscheidung. "Also, es ist wie folgt", erklärte Norenkei. Wir hatten uns alle die Bäuche vollgeschlagen und saßen nun auf der Terrasse, mit dem Rücken zur Sonne, die durch einen hauchfeinen, fast unsichtbaren aber erstaunlich belastbaren Vorhang abgemildert wurde. Wenn man erst mal alles entdeckt hatte, wirkte diese Höhle nicht mehr wie eine Verlegenheitsbehausung, sondern vielmehr wie ein ausgeklügelter Palast voll nützlicher Dinge, die ich mir merken würde. Vor allem das Wasserspiel gefiel mir, das mit leisen, fast unhörbaren und doch so entspannenden Geräuschen nicht nur für eine Abkühlung sorgte. "Die Schatulle", er zeigte auf das Objekt der Diskussion, das immer noch auf dem Tisch lag, "hat ein Schloss, das von außen nicht zu öffnen ist, sondern nur von innen." "Von innen?" Ich sah ihn ungläubig an. "Aber das ist Unsinn! Wie soll man es dann aufbekommen!" "Ich habe es doch geschafft, oder? Hör zu, ich muss dir wohl etwas über die drei Schwertmeister Gaias erzählen." Er trank einen Schluck der klaren, gelben Flüssigkeit, die Haruka ihm gebracht hatte. Ich hatte neugierig gefragt, was das sei, und als sie "Saftquitte" gesagt und meinen Gesichtsausdruck gesehen hatte, hätte sie vor Lachen fast das Glas fallen lassen. "Ich kann das Zeug auch auf den Tod nicht ausstehen. Aber ihm scheints zu schmecken." Sie hatte mir stattdessen ein Glas mit dunkelblauer Flüssigkeit gebracht, das für mich nach Brombeeren schmeckte, und das ihr Lieblingsgetränk war. Blinx wollte nichts, er war viel zu fasziniert von der Schatulle. "Schon seit langer Zeit gibt es auf Gaia drei Schwertmeister. Die ursprünglichen Schwertmeister hatten besondere Kräfte, und sie wählten ihre Nachfolger unter den Menschen aus, die ebenfalls solche Kräfte besaßen. Die Linie, der Vargas angehörte, die Seher-Linie, zeichnet sich durch die Gabe aus, die Gegenwart sehen zu können. Ereignisse an weit entfernten Orten." "Sie zeichnete sich aus." sagte ich traurig. "Vargas ist tot. Und seine Fähigkeit hat ihm nicht geholfen, den Angriff der Zaibacher zu sehen." "Auch er konnte nichts Unsichtbares sehen, und diese Gabe ist sehr schwer zu kontrollieren. Man weiß eigentlich nie vorher, was man sehen wird, wenn man sie einsetzt. In den meisten Fällen sind es nur Alltagsdinge. Fischer beim fischen, ein Wolf, der einen Hasen jagt... Die Chance etwas wirklich wichtiges zu sehen, ist äußerst gering. Es gab vereinzelt Schwertmeister, die eine größere Kontrolle über ihre Fähigkeit hatten, aber das ist schon lange her." Er zögerte. Etwas schien er noch sagen zu wollen, aber er schien sich nicht sicher zu sein, ob er es mir anvertrauen könne. Schließlich entschied er sich dafür. "Auch wenn Vargas tot ist, ohne einen wirklichen Nachfolger zu haben - er hatte mal einen ausgewählt, aber dieser Junge ist gestorben - ist die Linie der Schwertkämpfer nicht zu Ende. Sie wurde schon oft unterbrochen, denn wir sind wirklich nicht unsterblich." "Das sagt er mir andauernd!" stöhnte Haruka, und ich musste lachen. "Aber obwohl sie unterbrochen wurde", nahm Norenkei seinen Faden wieder auf, "geht die Linie weiter. Es ist seltsam, aber von irgendwoher kommt immer jemand, der die Fähigkeiten hat, der neue Schwertmeister zu werden. Es ist fast, als ob das Schicksal dafür sorgen würde, dass die Linie nicht ausgelöscht wird. Wer weiß." Das Schicksal. Mir lief ein kalter Schauer den Rücken runter. Dem Schicksal stand ich seit einiger Zeit ziemlich... misstrauisch gegenüber. Um ein Haar wäre es Dornkirk gelungen, Gaia in den Untergang zu führen, indem er das Schicksal veränderte. Ich hatte das irgendwie verhindert. Das Schicksal war launisch, und seine Launen konnten gefährlich sein. "Die andere Linie zeichnet sich durch die Fähigkeit der Voraussage aus. Manchmal haben sie Visionen von der Zukunft." Er schaute mich an, und sein Blick schien in mein Innerstes zu gehen. "Ich weiß nicht, ob du das weißt, aber die Tihani haben eine sehr große Sammlung von Prophezeiungen. Viele von ihnen stammen von den Schwertmeistern dieser Linie, der Visionärs-Linie. Ihre Voraussagen sind nie sehr genau, und oft zeigen sie Dinge, die niemals eintreffen, oder die niemand beobachtet, oder die einfach erst im Nachhinein klar werden. Viele ihrer Visionen beschäftigen sich mit dir, Hitomi." "Mit mir?" Ich war ziemlich überrascht. War ich der Gegenstand von Visionen, die diese Schwertmeister seit Jahrhunderten hatten? Mir war nicht gerade wohl bei diesem Gedanken. "Ja, mit dir. Du bist etwas besonderes Hitomi, ist dir das nicht klar? Du hast Gaia vor dem Untergang bewahrt, und soviel kann ich dir sagen: Dein Weg ist noch lange nicht zu Ende." Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her. Was sollte das nun schon wieder heißen? "Hör auf, Norenkei!" schimpfte Haruka, die mein Unwohlsein sah, und der ich anscheinend leid tat. "Wenn du ihr unbedingt Angst machen willst, kannst du das später immer noch tun. Im Moment geht es erst mal um die Schwertmeister und um die Schatulle!" "Nun ja, da hat sie Recht. Bitte entschuldige Hitomi, ich wollte dir wirklich keine Angst machen. Aber allein, dass du den Dolch haben willst zeigt, dass du noch einen großen Einfluss auf Gaia Schicksal haben wirst. Daran zweifle ich ebenso wenig, wie daran, dass du in der Lage sein wirst, ihn aus der Schatulle zu holen. Doch nun zu der Linie, der ich angehöre, und hoffentlich auch einmal Haruka. Unsere Linie heißt die Macht-Linie, denn wir haben die Fähigkeit, Kraft unseres Geistes die Wirklichkeit zu manipulieren, und zum Beispiel Schlösser ohne Schlüssel zu öffnen, oder Schlösser, die hinter etwas anderem liegen - wie hinter dem Holz einer Schatulle." "Und wie soll ich das machen? Ich bin doch kein Schwertmeister!" "Genau! Das ist ungerecht!" unterstützte mich Blinx lautstark. Er schien sehr aufgebracht zu sein. "Wie soll sie das machen? Ihr redet hier von seltsamen Kräften, und vielleicht hab ihr beide sie tatsächlich, aber wie kann so etwas die Voraussetzung dafür sein, den Dolch zu bekommen? Außerdem", er schaute die Schatulle nachdenklich an, "könnte man sie einfach aufbrechen." "Nein, kann man nicht." sagte Norenkei bestimmt. "Dann würde der Dolch darin zerbrechen, er ist schließlich aus Glas. Es gibt keine Möglichkeit, den Dolch heil zu bekommen, außer man öffnet die Schatulle mit den Kräften des Geistes." "Und Hitomi hat diese Kräfte!" fügte Haruka hinzu, und lächelte mich an, als ich sie ungläubig ansah. "Habe ich nicht!" "Doch, Hitomi. Glaub mir. Sag, wie bist du nach Gaia gekommen?" Ich sah sie irritiert an. Was hatte das damit zu tun? "Ich habe mich auf Gaia konzentriert, und mir ganz fest gewünscht, hier zu sein." "Na also. Das ist fast das selbe. Du hast die Wirklichkeit manipuliert, indem du dich von einen Ort zu einem anderen versetzt hast. Das ist nichts anderes, als ein Schloss mit den Gedanken zu öffnen." Ich wollte "Nein!" rufen, sagen, dass es etwas sehr anders war, dass es das Tor war, dass mich nach Gaia gebracht hatte, und ich seine Kraft nur benutzt hatte. Aber was war, wenn ich diese Kraft auch dazu nutzen konnte? Wenn es tatsächlich das gleiche war, und egal, ob ich mich oder etwas anderes bewegte? "Du hast die Kraft dazu, Hitomi", sagte nun auch Norenkei. "Du bist etwas ganz besonderes. Du hast die Kräfte aller Schwertmeister. Du kannst Dinge bewegen, in die Zukunft sehen, und auch in die Gegenwart." "Nein, das kann ich nicht. Das weiß ich genau. Ich habe noch nie etwas gesehen, dass in der Gegenwart passiert ist. Immer nur die Zukunft und manchmal auch die Vergangenheit. Und das war schlimm genug." Ich schaute in den blauen Saft in meinem Glas. Es war mehr als das. Es war zuviel gewesen. "Du irrst dich Hitomi. Es gibt keinen großen Unterschied darin, seinen Körper an einen anderen Ort zu versetzten, nur seinen Geist, oder diesen an einen Ort, der erst noch geschaffen wird. Du hast die Kraft, alles dreies zu machen. Das ist noch niemals zuvor passiert. Niemand außer den Göttern hat bis jetzt diese Fähigkeiten alle auf einmal gehabt. Wenn du willst, zeige ich dir, wie du die Schatulle öffnen kannst. Aber tun musst du es selbst." Ich sah Norenkei ungläubig an. Bot er mir gerade an, diese Fähigkeit zu lernen? Wie ich Dinge mit meiner Vorstellung manipulieren konnte? Oder konnte ich es schon, und er wollte mir nur zeigen, wie ich es richtig einsetzte? "Ich muss darüber nachdenken." sagte ich. "Natürlich. Lass dir nur Zeit." "Entschuldigt mich." Zeit. Ich hatte keine Zeit. Ich musste Van helfen. Aber wenn ich dazu den Dolch brauchte, was sollte ich tun? "Also dann Hitomi. Sieh dich um." Wir waren wieder in dem Raum, den Blinx und ich als zweiten betreten hatten, und in dem Norenkei auf dem Boden gesessen hatte. Es war der Trainingsraum des Schwertmeisters. Ich hatte die halbe Nacht wach gelegen, und überlegt. Aber ich schien keine Wahl zu haben. Ich hatte keine andere Wahl, als das zu tun, was Norenkei wollte. "Betrachte die Waffen und wähle eine aus." "Eine auswählen?" fragte ich überrascht. Wozu? "Ja. Du musst lernen, dich richtig zu konzentrieren. Und das lernst du am besten mit einer Waffe in der Hand. Glaub mir, wenn dein Leben auf dem Spiel steht, lernst du sehr schnell neue Dinge." "Mein Leben?" Was sollte das werden? Was hatte er vor? Aber Norenkei lachte nur. "Keine Sorge. Du bist nicht in Gefahr. Ich wäre ein schlechter Lehrer, wenn ich meine Schüler in Gefahr brächte. Aber du wirst glauben, dass du in Gefahr bist." Einigermaßen beruhigt schritt ich an den aufgereihten Waffen entlang. Er hatte Recht, in Gefahr war man in der Lage, unglaubliches zu erreichen. Und wenn er seine Schüler in Gefahr brachte, würde Haruka wohl kaum noch leben. Davon abgesehen, dass sie ihm vertraute. Ich erinnerte mich an ein Gespräch von gestern: "Ich kann die Entscheidung nicht für dich treffen, Hitomi. Aber wenn mein Vater sagt, dass es der einzigste Weg ist, dann hast du wohl keine Wahl. Du hast nicht die Zeit, nach einem anderen Weg zu suchen. Aber vor einem möchte ich dich noch warnen: Du kennst bisher nur den Menschen Norenkei, nicht den Lehrer. Der Lehrer ist ein ganz anderer Mensch. Hinterhältig, unbarmherzig, ja fast brutal. Wenn es nicht so verrückt klingen würde, dass über den Menschen zu sagen, den ich als meinen Vater betrachte, würde ich sogar sagen, ich hasse ihn. Aber vielleicht muss das so sein. Denn sonst würde ich vielleicht nicht aufpassen, und das kann gefährlich sein, wenn man den Schwertkampf trainiert. Und man gewöhnt sich so gleich an, immer voll aufzupassen, wenn man ein Schwert in der Hand hält." Harukas Worte hatten mir die Entscheidung nicht gerade leichter gemacht. Aber sie hatte wohl Recht, ich hatte keine andere Wahl. Norenkei würde die Schatulle nicht öffnen, das hatte er deutlich gesagt. Und wenn es stimmte, dass ich die selbe Fähigkeit brauchte, die notwendig war um die Schatulle zu öffnen, um Van zu heilen, dann musste ich ihm dafür sogar dankbar sein. Sonst wäre ich vielleicht in Versuchung geraten. "Hast du schon eine Wahl getroffen?" fragte Norenkeis harte Stimme hinter mir. Auf diese Art hatte ich ihn noch nie reden hören. War das der Lehrer Norenkei? Dann verstand ich langsam, was Haruka meinte. "Nein. Ich... ich weiß doch gar nicht wie. Ich habe keine Ahnung von Waffen." "So, du hast keine Ahnung!" Unwillkürlich zog ich den Kopf ein. Seine Stimme klang so, wie es sich anfühlen musste, einen Schlag mit dem Holzhammer auf den Kopf zu bekommen. "Du hast doch in dem niedlichen Köpfchen da auf deiner Schulter noch etwas anderes als nur die verliebten Gedanken an deinen Van, oder?" Ich fuhr wütend herum "Was erlauben sie sich!" schrie ich, und spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Wie konnte dieser Kerl es wagen, über meine Gefühle zu spotten? Aber seine Augen, wie sie mich anblickten... Ich weiß nicht, wie ich das jemals beschreiben soll. Es war, als sei alle Wut plötzlich verflogen. Ich schaute ihn an, konnte meinen hektischen Atem spüren - und senkte beschämt den Kopf. "Gut. Nachdem das geklärt ist... sieh her." Er hatte ein großes, massiv wirkendes Schwert genommen, und hielt es nun vor mich. "Was kannst du über dieses Schwert sagen?" Ich zögerte. Was sollte ich denn sagen? "Es ist groß. Groß und schwer. Man braucht sicher zwei Hände, um es zu führen." Keine Reaktion. Das machte ich einerseits unsicher, andererseits bestärkte es mich weiter zu reden. Ich versuchte mich daran zu erinnern, was ich von Van und Allen über Schwerter gehört hatte. "Jemand mit einem solchen Schwert muss angreifen, er kann damit nicht alles blocken, denn leichte Waffen können viel schneller bewegt werden. Und er kann auch keinen Schild tragen. Es ist eine Waffe für den Angriff, zum Durchbrechen der feindlichen Verteidigung. Der Kampf muss schnell gehen. In längeren Kämpfen kann nicht nur angegriffen werden. Außerdem würde der Träger sonst zu erschöpft, bevor der Kampf vorbei ist. Das ist ein Schwert zum Kampf gegen mehrere Gegner, nicht für den Zweikampf." "Sehr gut. Und da hast du gesagt, du wüsstest nichts von Schwertern. So kann man sich täuschen. Nun, da du jetzt weißt, dass du die Waffen einschätzen kannst, solltest du dich vielleicht noch einmal umsehen." Mich noch einmal umsehen? Dabei wollte ich doch gar keine Waffe. Egal was für eine. Andererseits gefiel mir der Gedanke, mich verteidigen zu können. Ich ging weiter die Wände entlang, und war schon fast wieder an meinem Ausgangspunkt. Schwerter, Dolche, Keulen... "Was ist das?" Ich bückte mich, und hob einen geraden, abgerundeten, etwa armstarken Stock auf, der etwas größer war als ich. "Ein Kampfstab." "Ein Kampfstab? Das soll eine Waffe sein?" "Ja, und nicht nur irgendeine. Der Kampfstab ist die Waffe der Pazifisten, wenn ich das mal so ausdrücken darf. Er ist ungeeignet für den Angriff, aber ein geübter Stabkämpfer ist fast unbesiegbar in der Verteidigung. Er hat einen Reichweitenvorteil gegenüber den meisten Nahkampfwaffen, und nutzt die Kraft des Gegners für sich selbst. Ein Stabkämpfer muss nicht stark sein, im Gegenteil. Gewandtheit und Geschicklichkeit zählen mehr als alles andere bei dieser Waffe. Die Hebelkraft ist der wichtigste Verbündete eines Stabkämpfers. Wer einen Kampfstab hat, kann einen Gegner entwaffnen und besiegen, ohne ihn wirklich zu verletzten. Trotzdem kann der Stab genauso tödlich sein wie ein Schwert. Dazu ist er wesentlich unauffälliger. Richtig gearbeitet, sieht er für jeden Uneingeweihten aus wie ein Wanderstock, und ist dennoch eine starke Waffe." "Das nehme ich!" rief ich aus, ohne weiter darüber nachzudenken. Ich wollte niemanden verletzen, und das schien mir die einzige Waffe zu sein, mit der das möglich war. "Ich habe gehofft, dass du diese Wahl triffst." "Ach ja?" Ich sah Norenkei verwundert an. "Ja, denn er passt zu dir und deinem Charakter. Du bist jemand, der das Kämpfen verabscheut wie kaum etwas anderes. Außerdem bist du das Idealbild des Stabkämpfers. Körperlich eher schwach, aber schnell und gewandt. Und es gibt noch einen Grund, warum ich gehofft habe, dass du dich für den Stab entscheidest." "Und welchen?" Er grinste. "Der Kampfstab erfordert von allen Nahkampfwaffen am meisten Konzentration. Und deswegen unterrichte ich dich ja." Ich schaute zweifelnd auf den Stab in meiner Hand. Er sah wirklich wie ein Wanderstab aus. "Und sie meinen, dass ich es lernen kann, damit umzugehen?" "Da bin ich sicher. Komm her." Norenkei war jetzt fast freundlich, aber trotzdem lag noch immer diese Strenge in seiner Stimme, die deutlich zeigte dass er immer noch der Lehrer war. "Ich werde dir erst mal zeigen, wie man ihn richtig hält." "Nein, du musst die Spitze höher halten. Und vergiss das Atmen nicht, ja, so ist besser. Jetzt nach vorn bewegen! Drehung! Umfassen!" Der Stab polterte mit einem lauten Klappern auf den Boden. "Verdammt!" fluchte ich, und erhielt als Belohnung einen kleinen Schlag mit dem Bambusstock, den Norenkei benutzte, um meine Körperhaltung zu korrigieren - oder um mir schmerzhaft klar zu machen, wenn ich mich falsch verhielt. "Hier wird nicht geflucht. Wut ist der Feind des Kriegers und des reinen Geistes. Leere deinen Geist, werde eins mit deiner Umgebung und dem Stab, fühle wie die Kraft dich durchfließt, und du brauchst über die Bewegungen nicht nachdenken, sie kommen dann von ganz allein. Heb ihn auf. Wir fangen noch einmal an. Aber diesmal bitte ohne Fluchen!" Ich ließ mich erschöpft auf den Stuhl fallen. Mir taten sämtliche Knochen im Leib weh. "Na, du siehst ja ganz schön erledigt aus!" meinte Haruka. "Und wie! Ich kann mich kaum noch rühren." "Kein Wunder, nach dem Training." Norenkei setzte sich auf seinen Platz. "Ach, schon wieder auf Mensch umgeschaltet, Vater? Dann kannst du sie ja vielleicht mal loben." Norenkei lachte lauthals, und zwinkerte mir zu. "Ist sie nicht süß? Immer so charmant!" Ich nickte irritiert. Er war tatsächlich wieder so wie gestern. Nett, wenn auch ein bisschen sarkastisch und manchmal ziemlich nervend. "Aber sie hat Recht. Du warst gut Hitomi. Ich glaube, nach dem Essen können wir den ernsthaften Teil angehen." "Den ernsthaften Teil?" Der Schock musste mir ins Gesicht geschrieben sein, denn Haruka und Norenkei lachten. "Nun mach mal nicht so ein Gesicht." meinte er "So schlimm ist das auch wieder nicht. Was gibt's eigentlich zum Essen, Schätzchen?" "Keine Ahnung. Da musst du Blinx fragen. Er hat gekocht." "Wie er? Der Katzenjunge? Bist du dir sicher, dass das klug war?" "Er scheint zu wissen, was er tut." In diesem Moment kam er herein, begleitet von einem unbeschreibbaren Duft. "Donnerwetter. Wenn das nur halb so gut schmeckt, wie es riecht, dann bist du abgeschrieben Haruka." Sie verzog säuerlich den Mund, schien aber nicht beleidigt zu sein. "Schön wärs. Aber ich fürchte, er wird früher oder später wieder gehen, und dann muss ich wohl wieder ran. Norenkei ist nun mal ein Krieger", sagte sie mir mit einem Zwinkern, "und was er kocht, kann man auch bloß im Krieg verwenden - um den Feind zu vergiften." Nachdem das Lachen sich gelegt hatte, langten wir alle ordentlich zu. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mich Haruka und Norenkei mit diesem Frotzeln nur aufmuntern wollten. Aber das war mir egal. Wenn das ihr Ziel war, hatten sie es jedenfalls erreicht, ich fühlte mich schon wieder viel besser, und vergaß für eine Weile sogar Van. Ich stürmte in mein Zimmer und hatte das dringende Bedürfnis, irgendetwas zerbrechliches gegen die Wand zu schmeißen. Statt dessen ließ ich mich aufs Bett fallen. Zwei Stunden lang hatte Norenkei auf mir herumgehackt. Und warum? Weil ich nicht richtig hinfiel, jawohl! Dass der Boden aus Stein war, schien ihn nicht sonderlich zu interessieren. "Das ist egal. Wenn du hinfällst, musst du dich richtig abrollen. Und wenn wir auf Daunendecken üben, wirst du in einem richtigen Kampf Angst davor haben, zögern, und sterben. Und du kannst mir eins glauben: Wenn du hinfällst, dann garantiert auf den spitzesten Stein im Umkreis von einer Meile." Das mochte ja laut Murphy so sein, aber verdammt, wir könnten doch wenigstens am Anfang auf einem etwas weniger harten Boden üben! Und was war nun, nach zwei Stunden, nachdem mir alle Knochen weh taten, und sich sicher schon die ersten blauen Flecke zeigten? Er hatte mich davon geschickt, ich sei zu unkonzentriert und heute würde es keinen Sinn mehr machen. Die Tür ging auf. "Hitomi?" "Geh weg Haruka!" rief ich genervt. Das Kissen, in den ich meinen Kopf gepresst hatte, dämpfte meinen Ausruf zu einem leisen Murmeln. "Nichts da! Du kommst jetzt mit mir." Sie zog mich hoch und weiter zur Tür hinaus. "He, was soll das?" fragte ich. "Ich will dir helfen." "Mir helfen?" Ich fragte mich, wie. Sie zog mich weiter, durch den Hintereingang, den ich erst jetzt bemerkte, auf die Wiese neben dem Haus, die ich beim Ankommen ebenfalls noch nicht bemerkt hatte, da eine mannshohe Hecke sie umgab, die zwischen ihr und dem Weg lag. "Ich weiß wie du dich jetzt fühlst, und ich habe genau das richtige für dich." sagte sie schmunzelnd, und dann führte sie mich zu einer Stange, über der ein Teppich hing. Sie ließ endlich meinen Arm los, und drückte mir dann mit einem albernen Grinsen einen Teppichklopfer in die Hand. "Was...?" "Ist das so schwer zu erraten? Du bist wütend, willst etwas zerdeppern, stehst vor einem Teppich und hast einen Teppichklopfer in der Hand. Was meinst du, weshalb das so ist?" "Du meinst, ich soll..." "Genau. Das hilft, glaub mir. Und wenn du es nicht tust, platzt du irgendwann." Ich starrte noch eine Weile unschlüssig auf den Teppich, bevor ich dann mit einem Schulterzucken zuschlug. Vielleicht half es ja wirklich. "Fester Hitomi, fester! Stell dir vor, Norenkeis Gesicht auf dem Teppich zu sehen. Das dort, das könnten doch seine Augen sein, und da, siehst du seine Nase? Die, die er immer so rümpft, wenn ihm mal wieder etwas nicht an deiner Bewegung gefällt?" Ich musste grinsen. "Du scheinst dich ja auszukennen." "Das habe ich dir doch gesagt. Na los, stell ihn dir vor. Ja, so ist es gut so!" Sie nahm sich noch einen Teppichklopfer, und gemeinsam schlugen wir auf den armen Teppich ein. Irgendwann lachten wir lautstark, und riefen Sätze wie "Und noch eins auf die Nase! Und das auf die Stirn war für Papi, und das für Mami. Hast du ein Brüderchen Hitomi? Dann noch eins für das Brüderchen aufs Maul!" Völlig erschöpft, durchgeschwitzt und noch immer lachend ließen wir schließlich von dem malträtierten Teppich ab, und fielen ins grüne, saftige Gras. "Oh Mann, bin ich durchgeschwitzt!" japste ich. "Ja, die Sonne knallt mächtig. Zieh dich doch aus!" forderte Haruka mich auf, und ich beobachtete staunend, dass sie sich ohne Scheu in rasender Schnelle von allen Kleidern befreite. Dann sah sie mich verwundert an. "Was ist? Ich denke, du schw... oh!" Sie lachte. "Keine Angst, es kann uns niemand sehen. Norenkei kommt grundsätzlich nicht, wenn hier Teppiche geklopft werden. Und außerdem sitzt er mit Blinx beim Kartenspielen. Bis zum Abendbrot kommt keiner von den beiden hier raus, das kannst du mir glauben. Ehrlich gesagt kommt die Idee mit dem Teppichklopfen sogar von Norenkei. Und er hat sie von dem Schwertmeister, der sein Lehrer war. Scheint so etwas wie eine Familientradition zu sein. Wahrscheinlich sind alle Schwertmeister als Lehrer unausstehlich." Ich war noch einen Augenblick unentschlossen, doch dann tat ich es ihr nach, und bald darauf lagen wir beide splitterfasernackt auf unseren Sachen im Gras, genossen den sanften, kühlen Wind auf unseren Körpern und beobachteten den Himmel, an dem weiße, fransige Wolkenberge entlang zogen. "Hitomi, schau mal diese Wolke da!" rief Haruka auf einmal lauthals lachend. Ich sah zu der Wolke, wusste einen Moment nicht, was sie meinte, bis es mir auffiel. "Blinx und Norenkei beim Kartenspiel!" verblüfft schaute ich zu der Wolke. Langsam verschoben sich ihre Konturen, bis sie nur noch zwei unförmigen Türmen auf einem Berg ähnelte. "Schade. Das war ein lustiges Bild. Komm Hitomi, spielen wir ein wenig Wolken-Raten." Und so ging es eine ganze Weile. Ich hatte Spaß wie lange nicht mehr. Es tat gut, in der Sonne zu liegen und ein albernes Spiel zu spielen. In solchen Momenten merkt man erst, wie wenig man eigentlich braucht, um glücklich zu sein. Leider musste ich in diesem Moment wieder an Van denken und meine Fröhlichkeit verflog. Außerdem hatte es sich etwas abgekühlt, und eine kühle Brise ließ mich frösteln. "Nicht mehr so warm, oder?" Haruka schien mein Frösteln bemerkt zu haben. "Nein. Ich glaube, wir sollten uns wieder anziehen." "Warte, noch nicht." Haruka stand auf, und hielt mir die Hand hin. "Ich habe eine bessere Idee." "Eine bessere Idee?" fragte ich verwundert. Was meinte sie denn diesmal? Ich nahm ihre Hand und ließ mir von ihr hoch helfen. "Ahh! Meine Muskeln!" rief ich erschrocken, als der Schmerz mich durchzuckte. "Wusste ich's doch!" kicherte Haruka. "Ich hab mir schon gedacht, dass deine Muskeln protestieren werden. Darum auch meine Idee. Komm!" Wir gingen ein paar Schritte bis zur Mitte der kleinen Wiese. "So, stell dich hier hin. Ich zeige dir jetzt etwas." Sie hockte sich auf den Boden, die Hände vor ihr auf den Boden gedrückt. "Und das machst du jetzt auch." "Und was soll das sein? Eine Art Yogaübung." "Yoga?" Sie runzelte die Stirn. "Also hier heißt es auf jeden Fall anders. Aber ich glaube, es ist sich ziemlich ähnlich. Es sind Entspannungs- und Dehnungsübungen, und wenn du sie nicht mitmachst, wird dein Muskelkater morgen sehr laut jaulen." Ich verzog das Gesicht, als ob ich es jetzt schon spüren konnte. "Bloß nicht. Mit Muskelkater kenn ich mich aus. Ich soll also meine Muskeln bewegen. Gut, ich mache mit." Sie musste mir die Übungsreihenfolge ein paar Mal zeigen, und dabei konnte ich sehen, wie geschmeidig sie war. Es war mir noch nie aufgefallen, aber sie schien jeden einzelnen Muskel an ihrem Körper einzeln anspannen zu können. Und sie hatte eine ganze Menge davon. "Wie machst du das?" fragte ich, mich mit einer Übung und dem trotz allem einsetzenden Muskelkater abplagend. "Wie mache ich was?" "Deine Muskeln. Du bist so geschmeidig, und scheinst so stark zu sein... Das ist mir bisher gar nicht aufgefallen." "Ach so, das. Ist alles nur eine Frage der Übung. Ich werde dir noch ein paar zeigen. Dann wählen wir einige aus, die du ab jetzt jeden Morgen und Abend machst, und bald bist auch so geschmeidig wie ich." Sie zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. "Geschmeidigkeit ist sehr wichtig für eine Stabkämpferin, und die Übungen sind gut für die Konzentration. Ich werde mit Vater darüber reden. Dann machen wir das jeden Nachmittag." Ich wusste nicht, ob mir das wirklich gefallen würde, aber es schien besser zu sein als diese dämlichen Fallübungen, bei denen einem anschließend jede Körperstelle wehtat. Und andererseits war es so schön entspannend. Vielleicht würde es mir wirklich Spaß machen. Aber mir gefiel der Ton nicht, in dem sie "jeden Nachmittag" gesagt hatte. Wenn mich die Zeit nicht drängen würde, würde ich es vielleicht probieren, aber so klang es nach einer viel zu langen Zeit. "Haruka!" hörte ich auf einmal die leise Stimme eines Jungen, und ich kippte vor Schreck von dem Bein, auf dem ich gerade stand, und landete unsanft im Gras. "Haruka!" hörte ich ihn wieder schreien. "Hier drüben!" antwortete Haruka, und ich zischelte sie an. "Bist du verrückt! Hast du vergessen, dass wir nichts anhaben?" Ich sprang bereits auf, und hastete nach meinen Sachen. "Keine Sorge, ich habe doch gesagt, niemand wird uns sehen. Er ist blind." "Wie?" "Blind. Das ist Garm." In diesem Moment trat besagter Garm durch die Büsche. "Mit wem redest du da, Haruka?" fragte er mit sanftem Lächeln. "Mit Hitomi. Sie ist vorübergehend bei Vater in Ausbildung." "Du Arme!" brach es aus ihm heraus, dann lachte er. "Ich mache keinen guten Eindruck, oder? Das erste, was mir zu meinem alten Meister einfällt, ist jeden zu bedauern, den er unter seiner Fittiche hat." "Du musst es ja wissen." Haruka kam zu mir. "Er war nämlich mal der Schüler Norenkeis. Aber dann hat ihn eine seltene Krankheit erwischt, und als Folge ist er erblindet." "Ja, ein blinder Krieger taugt nicht viel. Ist der Alte da?" "Ja." Ich hatte mich mittlerweile halb angezogen, als Garm plötzlich in meine Richtung starrte. "Was ist das?" fragte er, und zeigte auf mich. "Was meinst du?" Haruka schien noch verwirrter als ich zu sein. "Das da an ihrem Hals." Er trat auf mich zu, hob die Hand, und ich rief erschrocken "Halt!" da ich ja immer noch nicht angezogen war. "Keine Sorge, Mädchen. Ich fass dich nicht an. Das mache ich niemals. Auch nicht wenn du angezogen wärst. Aber was zum Teufel ist das?" Statt einer Antwort frage ich verwirrt: "Woher weißt du, dass ich nicht angezogen bin?" Garm lächelte. "Ich kann zwar nichts sehen, Bewegungen spüre ich aber trotzdem." "Es ist wegen der Geisteskraft. So wie Norenkei die Schatulle mit seinen Gedanken öffnen kann, so kann Garm auch Dinge erspüren. Aber nur Bewegungen, wenn es weiter als eine Handbreit weg ist. Und das ist auch der Grund, warum er zögert, andere Menschen zu berühren. Die Energieströme verwirren ihn. An unseren Bewegungen hat er erkannt, dass wir uns anziehen. Aber was strahlt eine solche Energie aus, dass er es aus fünf Metern Entfernung spüren kann?" Ihr Blick fiel auf den Torstein um meinen Hals. "Was ist das für ein Anhänger?" Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. "Natürlich. Das ist es, was er spürt." Dann schaute ich zweifelnd zu ihm. "Auch wenn ich nicht weiß, wie." "Ein Anhänger?" fragte er erstaunt. "Muss ein sehr mächtiges Artefakt sein. Darf ich einmal haben?" Zaudernd stand ich da. "Nein!" entschloss ich mich schließlich. "Nimm es bitte nicht persönlich, aber ich möchte ihn niemanden..." "Schon gut, macht nichts. Aber jetzt, da ich so dicht vor dir stehe - auch du strahlst eine große Kraft aus." Er überlegte einen Moment. "Größer als meine, und wahrscheinlich auch Norenkeis. Aber viel ungerichteter und auch vielfältiger. Wer bist du? So etwas habe ich noch nie gespürt." Bei seinen Worten war ich bleich geworden. Nicht auch noch er. Ich konnte es nicht mehr hören. Immer redeten alle von der Kraft in mir. Wer war ich denn? "Du musst dich irren, ich bin nicht so mächtig. Ich kriege ja nicht mal diese verdammte Schatulle auf!" Ich rannte an ihm vorbei, zurück ins Haus. Meine gute Stimmung war verflogen. Wieder hatte mich das eingeholt, was ich so sehr verabscheute. Ich war nicht dieses übernatürliche Wesen, zu dem mich alle machten. Warum verstand das bloß keiner?" Ich hörte noch leise die Frage Garms. "Wer ist das, Haruka? Bitte sag es mir!" Ihre Antwort hörte ich nicht mehr, aber das war mir auch egal. "Hitomi?" "Geh weg Blinx!" "Nein, das werde ich nicht." Lautlos schloss sich die Tür hinter ihm. "Ich werde nicht zulassen, dass du weiter auf deinem Bett liegst, und rumheulst." Ich drehte mich um und starrte ihn an. Seine Gestalt verschwamm vor meinen Augen, aber ich musste ihn nicht sehen, um zu erkennen, dass er anders war als sonst. Seine Stimme war anders, viel härter, und es schwang eine Entschlossenheit darin mit... "Ich habe Merle nämlich versprochen, dass ich dich heil wieder zurück bringe." "Du hast WAS?" fragte ich fassungslos. "Eigentlich war sie es, die es mir befohlen hat. ,Hör zu, du Nichtsnutz. Ich habe keine Ahnung, warum Hitomi ausgerechnet dich mitnimmt. Aber wenn du zulässt, dass ihr irgendetwas passiert, drehe ich dir den Hals um. Und falls du nicht alles tust, damit Hitomi das kriegt, was immer sie da draußen sucht, dann bete, dass du mir nie wieder unter die Augen kommst. Hast du verstanden!?' Das waren ihre Worte. Und ich habe sie verstanden. Ich weiß nicht, was schon wieder mit dir los ist, aber du wirst jetzt nicht in Selbstmitleid versinken. Du wirst dieses verrückte Training mitmachen, und wenn ich dich an den Haaren dahin ziehen muss. Du wirst es mitmachen! Norenkei wird dir zeigen, wie man diese Schatulle öffnet, und dann werden wir mit dem Dolch von hier verschwinden. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?" Ich stierte ihn an, spürte wie die Wut in mir hochstieg, heiße und doch zugleich eiskalte Wut. Ich sprang auf, und schrie ihn an. "Hör auf so zu reden! Du hast ja keine Ahnung, wie ich mich fühle! Alle halten mich für irgendwas besonderes, aber das bin ich nicht. Ich halte das nicht mehr aus! Ich..." Blinx schlug mich. Nicht etwa sanft, sondern mit aller Kraft, die er hatte, verpasste er mir eine Ohrfeige. Ich starrte ihn an. Dann schlug er mich wieder. Und noch einmal. Ich sah ihn immer noch ungläubig an, als es schwarz vor meinen Augen wurde, und ich zusammen sackte. *** Die Frauenhand, die den Federkiel hielt, zitterte. Dann, mit einer entschlossen wirkenden Bewegung berührte die Feder das weiße, unbeschriebene Blatt. Liebes Tagebuch. Wieder zitterte die Hand als ob sie noch nie geschrieben hätte. Doch trotz der durch das Zittern krakeligen Schrift lag eine gewisse Anmut in den Buchstaben, die bewies, dass es nicht das erste Schriftstück dieser Dame war. Die Feder wurde in das Tintenfass getaucht, und nach einer weiteren Sekunde des Zögerns füllten rasch Reihe um Reihe immer weniger zittrig gemalter Buchstaben das Blatt. Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Wenn SIE das finden, ist das mein Todesurteil. Aber ich halte es nicht mehr aus. Ich muss jemandem meine Gedanken mitteilen, oder ich werde noch verrückt. Die Menschen tun mit leid. Ja, das tun sie wirklich. Ich kann es kaum glauben, aber ich will nicht, dass ihnen das passiert, was ihnen bevorsteht. Diese Menschen hier haben keine Schuld an dem, was geschehen ist. Ich habe einige der Wachsoldaten ausgefragt. Egal was man in Zaibach sagt, Fanelia war nicht der Angreifer. Diese Menschen hier wollten uns nicht angreifen, und wir sind ihnen zuvorgekommen. Sie hatten keine Ahnung von einem Krieg. Es ging alles nur um diesen Guymelef, Escaflowne. General Folken hat sein Heimatland nur deswegen angreifen und zerstören lassen. Ach, ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Die Menschen Fanelias sind keine Monster. Viele von ihnen schienen von Zaibach nicht mal etwas gehört zu haben, bis zu dem Tag, an dem ihre Stadt von den unsichtbaren Guymelefs der Drachenschwadron in eine flammende Hölle verwandelt wurde. Jetzt hassen sie die Zaibacher, aber ich kann ihnen deswegen keinen Vorwurf machen. Fast ein Drittel der Bewohner dieser einstmals bescheidenen aber schönen Stadt sind dabei grausam ums Leben gekommen. Und Van. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Immer hieß es, er sei der schlimmste von allen, grausam und erbarmungslos, später war er der Schlächter der Zaibacher Soldaten. Aber nun da ich ihn kenne - selbst unter dem verderblichen Einfluss des Kirseth ist er ein netterer Mensch als die meisten von Abathurs Hexern, von ihm selbst ganz zu schweigen. Er hat gelogen, als Er mir sagte, Sie würden Van beeinflussen, dass er mich nicht heimtückisch aus dem Weg räumen würde. Ich habe sein Tagebuch gefunden. Ja, der große Schlächter hat ein Tagebuch, kaum zu glauben. Ich habe die Vermutung, nicht mal dieses überall herumschnüffelnde Katzenvieh weiß das. Einige Stellen sind immer noch in meinem Kopf, so deutlich, als ob die Seiten noch vor mir liegen würden. Er liebt dieses seltsame Mädchen vom Mond der Illusionen. Er hat es nie deutlich ausgedrückt, aber die Art, wie er über ihre Abwesenheit geschrieben hat, war eindeutig. Auch wenn ich nicht weiß, was Liebe ist, habe ich es erkannt. Die Frage ist nur, was besser ist. Ich glaube, ohne seine Liebe zu diesem Mädchen wäre er besser dran. Ich bin ihr übrigens kurz begegnet. Ich habe mich gefragt, warum er für dieses Mädchen solche Risiken eingegangen ist. Vom Aussehen her ist sie nichts wirklich besonderes. Ich gebe zu, sie hat irgend etwas an sich, das ich nicht beschreiben kann. Trotzdem bleibt es mir unerklärlich. Ich hatte erst gedacht, es wäre wegen ihrer Fähigkeit, die Zukunft zu sehen, Abathur hat mich ja davor gewarnt. Aber selbst wenn es am Anfang so war, spätestens als er Folkens Festung in Pallas angriff, war es, weil er sie liebte. Den Angriff hat er kaum erwähnt, aber den Tag davor hat er auf zehn Seiten ausgebreitet. Und immer die selbe Frage, deren Hintergrund ich nicht kenne, und die ich deswegen nicht verstehe. Warum? Warum sie das getan hat. Und ich weiß nicht was. Er erwähnt eine Brücke und den Ritter des Himmels, Allen Shezar. Ich habe fast das Gefühl, sie und er... Nein! Dann würde Van ihr doch niemals verziehen haben. Aber andererseits hat er sogar seinem Bruder Folken verziehen. Es stand da, auf der Seite auf der stand, dass Hitomi wieder auf ihren Planeten zurück gekehrt war. Es war an Folkens Grab. Dort, wo auch Escaflowne steht. Folken soll darüber wachen, dass dieser Guymelef nie wieder erwacht. Und das soll der Schlächter sein, der so etwas schreibt? Der den mächtigsten Guymelef ganz Gaias hat? Wo dieser Guymelef der einzige Grund ist, aus dem Abathur Van kontrollieren will? Ich hoffe nur, Abathur hat nicht das vor, das ich allmählich befürchte. Ich dachte, er wollte nur seine Rache an Van, indem er und Fanelia in einen Krieg gezogen und vernichtet werden. Aber vielleicht will er ja auch die Vernichtung aller Länder Gaias... *** Ich kam langsam wider zu mir. Was war geschehen? Es fiel mir wieder ein. Blinx hatte mich geschlagen. Ich war so geschockt und wohl auch noch erledigt gewesen, dass ich in Ohnmacht gefallen war. Ich lag auf meinem Bett, und jetzt konnte ich Blinx leise Stimme hören. Ich ging so lang, ich weiß es nicht mehr - wo war mein Zuhaus? Gesichter so fern, sie werden blass, ich bin immer nur allein. Auch ich kann lächeln, ja das ist nicht schwer Vielleicht habe ich die Kraft, niemals aufzuhörn. Aber manchmal möchte ich doch einfach nur weg von all dem. Wenn Nachzudenken nicht ihre Art ist, durch Liebe lehrte ich sie. Die Berge scheinen höher noch, mit Steinen unter deinen Schuhen Und wenn du immer noch in Verzweiflung fällst, es gibt da eins, an das du glaubst Ich bin immer in deinem Herzen. Nichts ist mutiger als Ehrlichkeit, dein Leben ist dein Vertrauen in mich Ich bin da, wenn du mich brauchst Du brauchst dich nicht vor mir verbergen Was du nun in dir spürst Ich bin in deiner Seele Wir werden zusammen sein, das Schicksal suchen Unser Leid wird zu Ende sein Zusammen sind wir, Hand in Hand Du bist nicht allein Menschen suchen verzweifelt außerhalb ihrer Selbst Gefangen in dem Denken, dass ihnen niemals hilft Und ich habe auch vergessen, dass die Liebe in mir genauso existiert wie in jenen, von denen ich sie haben wollte Ich fühle dich jetzt Ich bin bei dir, wenn du mich brauchst Wir sind für immer zusammen Nichts steht uns in unsrem Weg Mit Vertrauen in uns selbst. Wir werden zusammen sein, das Schicksal suchen Unser Leid wird zu Ende sein Zusammen sind wir, Hand in Hand Wir werden nie vergessen, dass wir uns haben Niemals Liebe ist in dem Herz von jedem Mensch Du bist nie mehr allein "Ein schönes Lied." Überrascht drehte er sich um. "Ich habe nicht gehört, dass du wach bist." Sein Gesicht verzog sich vor Kummer. "Es tut mir leid, dass ich dich geschlagen habe. Aber du warst einfach nicht du selbst." Ich schaute eine Weile schweigend an ihm vorbei. "Doch, ich war ich selbst. Und das ist das schlimme. Komm Blinx, ich muss mich bei wem entschuldigen. Und danke, dass du mich zur Vernunft gebracht hast." "Vergiss es Hitomi." "Aber..." "Ich sagte, vergiss es. Jeder dreht mal durch. Und du hast alles Recht dazu. Übrigens haben wir uns etwas ausgedacht." "Wir?" "Norenkei, Garm und ich. Komm mit." Sie führte mich in den Trainingsraum. Was sich dort meinen Augen bot, war unglaublich. Garm saß da im Schneidersitz, aber nicht etwa auf dem harten Boden, sondern zwanzig Zentimeter darüber. Und Norenkei genauso. "Was...?" "Ah, Hitomi." Garm öffnete die Augen, lächelte mich an und sank dann langsam zum Boden. Bei Norenkei war es ähnlich, aber er fiel mehr. "Bravo!" meinte Haruka, stellte sich vor Garm, und gab ihm einen hauchfeinen Kuss auf die Stirn. "Wie ich sehe, hast du ihn überflügelt." "Ja, aber auch nur, weil er nicht richtig bei der Sache ist." "Ich habe über deine Idee nachgedacht, Haruka!" verteidigte sich der Schwertmeister. "Sie hat nämlich vorgeschlagen", erklärte er mir, "dass Garm dir zeigen soll, wie du deine Kräfte kontrollieren kannst. Und ich finde, die Idee hat was. Er kann die Linien der Kraft genauer wahrnehmen als jeder, den ich kenne. Er sieht ja gewissermaßen mit ihnen. Und bei dir geht es darum die vorhandene Kraft zu bündeln, und nicht sie erst zu verstärken, wie bei Haruka." "Ja, Garm ist viel stärker als ich!" seufzte sie, woraufhin Garm ihr vorsichtig die Hände auf die Schultern legte, und sie zärtlich auf den Nacken küsste. Die beiden waren wohl mehr als nur Bekannte. "He, ihr Turteltauben! Kommt zum Thema zurück!" bestätigte auch Norenkei unbeabsichtigt meine Vermutung. "Also gut", meinte Haruka grinsend. "Wir haben uns überlegt, dass Vater dich frühmorgens trainiert. Er ist sowieso ein Frühaufsteher, im Gegensatz zu mir. Nach dem Mittag bin ich dann dran, mit den Übungen auf der Wiese. Und danach Garm. Er kann dir zeigen, wie du deine Energie kanalisierst. - Was ist? Hast du was dagegen?" fragte Haruka, als ich, statt freudig zu strahlen, wie sie vielleicht erwartet hatte, betreten zum Boden schaute. "Nein, das ist es nicht, es ist nur... das klingt, als ob ich noch länger hier bleibe. Nicht, dass es mir nicht gefällt...", obwohl ich da gar nicht so sicher war, "aber ich muss mich beeilen." Stille herrschte im Raum. "Ich wollte es dir eigentlich nicht sagen", sprach plötzlich Norenkei, "aber vor einer Stunde kam eine Brieftaube von Eliandra. Im Moment scheint sich Van beruhigt zu haben. Er hockt in seinem Zimmer und macht nichts. Das ist zwar nicht besonders günstig, aber so kann er auch nichts anstellen. Irgendwer mit dem Namen Merle scheint das Königreich am Laufen zu halten, und erhält den Anschein von Normalität." "Ein Glück!" entfuhr es mir. Ich fühlte mich unendlich erleichtert. "Nachdem das geklärt ist, kannst du ja mit Garm anfangen. Geht aber besser auf dein Zimmer." Ich schaute Garm zögernd an, und er lächelte aufmunternd, als ob er mein Zögern spüren konnte. Vielleicht konnte er das ja auch. "Einverstanden." Nachdem Hitomi mit Garm und Haruka verschwunden war, ging Blinx zu Norenkei und setzte sich neben ihn. "So, eine Nachricht von Eliandra." "Gewissermaßen." "Nur, dass die Nachricht ursprünglich nicht von ihr stammt, denn sie ist ja nicht mehr in Fanelia." "Ist das wichtig?" "Nur Thana kann noch unseren Aufenthaltsort kennen." "Das ist wahrscheinlich, aber nicht sicher." "Nein, nichts ist wirklich sicher. Van vergräbt sich also in seinem Zimmer." "So stand es in der Nachricht." "Und die Lady Thana hält das für ein gutes Zeichen?" "Das stand nicht in der Nachricht." "Dann hält sie es also für ein schlechtes Zeichen?" "Sie weiß es nicht. Aber sie hat etwas von ,Ruhe vor dem Sturm' geschrieben." "Dann heißt das, unsere Zeit wird knapp." "Sieht so aus." "Ihr habt es Hitomi nicht gesagt." "Nein, habe ich nicht." "Aber ihr habt ihr auch nicht gesagt, dass es ein gutes Zeichen ist." "Das stimmt. Aber sie hat es als solches angesehen." "Durch eure Wortwahl, Schwertmeister." Norenkei lächelte. "Worte können starke Waffen sein. Willst du derjenige sein, der ihr sagt, dass die Zeit wegläuft?" "Nein. Ganz bestimmt nicht. Das würde ihr nur Angst machen, und sie ablenken." "Dann sind wir ja einer Meinung." "Ja. Danke, Schwertmeister." "Nicht der Rede wert. Ich habe kein bisschen gelogen. Ich habe nur die Wahrheit etwas anders ausgedrückt." Norenkei schloss die Augen. "Glaubt ihr, sie schafft es rechtzeitig?" Ein Auge von ihm öffnete sich wieder einen Spalt breit, und Norenkei schaute Blinx nachdenklich an. "Das kommt darauf an, wie lange sich der Sturm Zeit nimmt. Sie birgt eine außergewöhnliche Kraft in sich. Aber gerade dadurch ist ihre Hülle verletzlich. Es wird nicht einfach, aber sie kann es schaffen." "Und wenn nicht?" "Nun, dann Blinx, dann wird Van durchdrehen, und entweder er oder sein Königreich werden untergehen. Vielleicht auch beide. Die Frage ist nur, welche Entscheidung seine Freunde treffen. Aber verzweifle nicht. Es stand noch etwas anderes in der Nachricht." "Und das wäre?" "Hilfe kommt manchmal von jemandem, von dem man es am wenigsten erwarten würde." *** "Eliandra!" "Guten Tag! Es ist immer wieder schön, hier zu sein." "Es ist doch kein Höflichkeitsbesuch, der euch jetzt zu mir führt, oder?" "Nein, aber habt ihr einen bestimmten Grund für eure Vermutung, oder war es nur geraten?" "Nun, ich hatte da vor ein paar Tagen einen Traum..." "Erzählt mir davon. Und danach erzähle ich euch, ob der Traum mit dem Auftrag zusammenhängt, den ich euch erteilen möchte. Ihr seid doch im Besitz des dritten reinen Gegenstandes, oder?" Eine Sekunde lang herrschte gespannte Stille zwischen den beiden. "Ja. Aber ich bin erstaunt, dass ihr davon wisst." "War nicht schwer zu erraten. Sie traut keinem mehr als euch." "Ich fühle mich geschmeichelt, das aus eurem Mund zu hören!" "Hört auf damit! Macht mir lieber einen Tee, und erzählt mir von eurem Traum." "Wie ihr wünscht, Eliandra." *** Eine Woche verging. Die Sonne stieg auf, schaute auf Meister Norenkeis Höhlenhaus hinab, und versank wieder, nachdem sie Hitomi beobachtete hatte, die jeden Tag besser darin wurde, die Übungen zu absolvieren. Haruka war erstaunt über ihre Fortschritte in der Körperbeherrschung, die sich auch in ihrem Können mit dem Stab ausdrückte. Norenkei meinte, er kenne niemanden, der diese Waffe in dieser kurzen Zeit in einem solchen Ausmaß gemeistert hatte. Seiner Meinung nach musste es etwas mit damit zu tun haben, dass sie langsam aber sicher gelernt hatte, ihre inneren Kräfte zu steuern, wobei ihr Garm die größte Hilfe war. Allerdings hatte sie am Anfang einige Probleme damit, dass er sie niemals berührte. Lediglich Haruka fasste ihn manchmal an, aber das auch immer nur zögernd, und nachdem sie sich vergewissert hatte, dass er es bemerkt hatte. Auf Hitomis Frage erklärte Garm, er würde die Energieströme nicht nur sehen, sondern auch spüren, wenn ihn jemand anderes anfasste, und das war sehr unangenehm. Allerdings gab ihm dieses Talent auch ausgezeichnete Grundlagen für das Schmiedehandwerk. Nachdem er erblindet war, war er wieder in die Schmiede seines Vaters zurückgekehrt, und hatte ihn schon jetzt überflügelt. "Ich kann die Form des Eisens sehen, aber nicht wie ihr nur das äußere, sondern das innere. Ich sehe jede Schwachstelle und jede Verunreinigung." "Gut so Hitomi. Jetzt etwas höher heben. Noch weiter. Ja. Hindurch damit. Und festziehen. Ja! Fantastisch!" Garms warmes Lächeln machte mich stolz. Aber noch stolzer das, was ich gerade getan hatte. Ich konnte es noch immer nicht glauben. "Also" nörgelte Haruka "ich binde mir die Schuhe doch lieber mit den Händen zu. Das geht viel schneller." "Haruka!" schimpfte ich gespielt entrüstet. "Hitomi hat Recht. Fass dir mal an die eigene Nase. Wenn du das versucht hättest, wärst du wahrscheinlich immer noch nicht fertig." "Natürlich!" meinte sie schmollend, dann blinzelte sie. "Ich hätte nämlich eine Stunde eher angefangen. Oder ich hätte dich gebeten, es zu machen Garm." "Und du meinst, ich hätte das getan?" "Aber sicher doch, du tust doch alles, was ich sage." Wir lachten. Die zwei waren wirklich ein hübsches Pärchen. Garm hatte mir erzählt, dass er sehr wütend gewesen war, dass sich Norenkei einen neuen Schüler auserwählt hatte, kaum dass er ausgefallen war. Und noch dazu ein Mädchen. "Darüber bin ich heute aber ganz besonders glücklich!" hatte er mit einem Augenzwinkern gemeint, bevor er mir die nächste Aufgabe gestellt hatte. Seine Beherrschung dieser unsichtbaren - für mich unsichtbaren - Kraft war wirklich überwältigend. Er hatte schon am ersten Tag gesehen, warum ich meine Kraft nicht kanalisieren konnte, und jetzt hatten wir es geschafft, den "Knoten" wie er es sagte, zu lösen. "Ich glaube jetzt kannst du dich auch daran machen, die Schatulle zu öffnen." meinte er in diesem Moment, und mein Lachen erstarb. "Hitomi, was hast du denn? Du schaffst das, glaub mir. Ich habe mir den Kasten einmal angesehen. Die Mechanik da drin ist ziemlich vertrackt, aber mit ein bisschen Geduld kriegst du sie auf. Du hast gerade bewiesen, dass du mit Hilfe der unsichtbaren Kraft deine Umwelt manipulieren kannst." "Deine Umwelt manipulieren. Hast du dir jemals überlegt, dass du damit auch Menschen töten kannst?" fragte ich mit plötzlichem Grausen. Daran hatte ich diese Nacht gedacht, nachdem sich die ersten sichtbaren Erfolge anhand von scheinbar allein rollenden Murmeln eingetreten waren. "Nein, das ist nicht möglich!" riefen Haruka und Garm wie aus einem Mund. "Zumindest wäre es ein sehr unwahrscheinlicher Zufall" schränkte Haruka ein. Ich sah sie fragend an, und Garm erklärte: "Lebewesen sind anders als leblose Objekte. Sie haben eine gewisse Beharrungskraft, so zu bleiben, wie sie sind, anders als etwas lebloses. Du kannst die Ströme des Lebens nicht so verändern, dass sie versiegen, jedenfalls nicht beabsichtigt. Du kannst so, wie du etwas lebloses bewegst, auch Knochen oder Gewebe bewegen - aber die Lebensenergie wird dir entgegenwirken, und nichts geschieht. Nicht mal ich könnte jemanden so töten, und ich kann die Ströme sehen, anders als ihr. Das ist übrigens auch der Grund, warum in seltenen Fällen Heilungen besonders gut oder besonders schlecht verlaufen. Die Lebensströme haben sich dann verändert. Mal zum Guten, und mal zum Schlechten. So etwas passiert laufend in einem Lebewesen, aber nur ganz selten hat das eine Auswirkung. Es ist ungeheuer komplex." Ich sah ihn überrascht an. An so etwas hatte ich noch überhaupt nicht gedacht. Aber es klang plausibel. Wir veränderten hier... irgendwelche Energien, mit denen ich mir zum Beispiel gerade die Schuhe zugebunden hatte, warum sollten es nicht auch möglich sein, Lebensenergie zu beeinflussen. Ich dachte an so manche Dinge, die ich bisher nicht verstanden oder für Unsinn gehalten hatte... "Träum nicht Hitomi!" "Wie? Entschuldige Haruka." Ich hatte gedankenverloren dagesessen, und hatte nicht mal bemerkt, wie Garm gegangen war. "Wenn du solche Angst vor der Schatulle hast, können wir auch noch ein paar Tage warten", schlug sie vor, wohl mehr, um mich zum Wiederspruch zu reizen, denn sie wusste genau, dass ich keine Zeit hatte. "Nein, ich möchte das so schnell erledigen wie möglich." "Gut. Es ist gleich Zeit fürs Abendbrot. Ich glaube, Blinx wollte mal wieder etwas besonderes machen." "Schon wieder!" stöhnte ich. "Da werde ich noch zu einer runden Kugel! Hmm. Komisch. Ich glaube, ich habe hier sogar abgenommen, merkwürdig." "Überhaupt nicht." "Wieso?" "Der Gebrauch der Kraft verschlingt eine Menge Energie. Was meinst du, warum du immer so hungrig warst? Und außerdem ist Norenkeis Training auch kein Zuckerschlecken." "Nein, das ist es nicht. Du hast Recht, ich habe hier fast doppelt so viel gegessen, wie sonst. Dass mir das noch nicht aufgefallen ist!?" "Du willst es also probieren, Hitomi?" fragte mich Norenkei. "Ja!" "Gut, dann setz dich hin. Ich werde die Schatulle holen. Bereite dich schon mal vor." Ich setzte mich wie er gesagt hatte an den Tisch auf der Terrasse. Es waren noch zwei Stunden bis Sonnenuntergang. Genug Zeit also, es zu versuchen. Und leider auch, um zu scheitern. "Bist du dir sicher, dass du es schaffst?" fragte mich Blinx, der sich neugierig auf den Platz gegenüber gesetzt hatte. "Nein. Aber Garm. Und wenn er meint, dass ich bereit bin, kann ich es ja wenigstens mal probieren." "Nein, nicht probieren. Tu es. Bei solchen Dingen gibt es kein probieren. Mach es, oder mach es nicht, einen Versuch gibt es nicht, denn ein Versuch heißt scheitern. Dein Geist kann nur dann erfolgreich sein, wenn du davon überzeugt bist, dass du es sein wirst. Das ist wie beim ins-Wasser-springen. Wenn du glaubst, du machst einen Bauchplatscher, dann machst du auch einen." "Nanu, sag bloß, du bist nicht wasserscheu? Wenn ich da an Merle denke..." Er wiegte den Kopf hin und her. "Nun, ich glaube nicht, dass sie wirklich wasserscheu ist. Aber es ist nicht angenehm, mit einem klitschnassen Fell herumzulaufen. Ich hab mir da auch mindestens einmal eine Lungenentzündung geholt. Aber ich war mal im Süden, und da ist es so heiß, dass selbst mein Fell schnell trocken war. Dort bin ich ein leidenschaftlicher Schwimmer geworden." Ich sah staunend zu Blinx hinüber, der immer wieder eine Überraschung aus dem Ärmel zog. Ich wollte ihn fragen, ob er mir mehr erzählt, aber in diesem Moment kam Norenkei wieder. "Ich dachte, du wolltest dich vorbereiten, Hitomi?" Ich wurde rot. "Entschuldigung." "Du brauchst dich nicht bei mir entschuldigen. Haruka und Garm kommen gleich. Oder ist es dir lieber, wenn keiner bei dir ist?" Ich zögerte. Einerseits würde ich mich besser fühlen, wenn mich niemand anstarrte, andererseits würde ihre Anwesenheit mir Selbstvertrauen geben können. "Nein, sie können ruhig kommen." "Gut." Er stellte die Schatulle vor mir auf den Tisch. "Wie schon mal gesagt, ist das Schloss eigentlich einfach, aber die Mechanik ist kompliziert. Du musst nur an der richtigen Stelle im Inneren ein wenig Druck ausüben, und die Schatulle springt auf. Fang an, wann immer du bereit bist. Wir werden ruhig sein, und dich nicht stören, aber trotzdem auf dich Acht geben." Nach dieser Ansprache setzte er sich hin, lehnte sich zurück, und schloss die Augen. Trotzdem wusste ich, er war hellwach bei der Sache. Ob er wohl meine Versuche irgendwie beobachtete? War das möglich? Garm würde jedenfalls die Ströme sehen können, die ich hoffentlich verändern würde. Ich schloss ebenfalls die Augen, nachdem ich die Schatulle fest mit beiden Händen umschlossen hatte. Ich verbannte alle Gedanken aus meinem Kopf, die nicht mit der vor mir liegenden Aufgabe verbunden waren. Ich nahm sie, stopfte sie in einem Raum in den fernsten Winkel meines Kopfes, und verschloss die mentale Tür hinter ihnen. Norenkei hatte mir mehrere Möglichkeiten gezeigt, wie ich meine Gedanken reinigen konnte, und diese war am besten gewesen. Er hatte auch eine Möglichkeit erwähnt, die Gedanken zu packen, und in einem alles verzehrenden Feuer zu verbrennen, aber allein bei dem Gedanken daran hatte ich Angst bekommen. Bei Feuer musste ich an zu viele grässliche Dinge denken. Langsam wurde mein Kopf leer, bis nur noch der Wille darin war, die Schatulle zu öffnen. Behutsam griffen meine geistigen Fühler hinaus, um erstmals das Innere dieses Kästchens zu erforschen. Bei dem ersten klaren Bild, dass mir erschien, hätte ich um ein Haar erschrocken aufgegeben. Schier Hunderte von haargroßen Kanälchen gingen durch die Schatulle, kreuzten sich, trafen aufeinander und verzweigten sich. Einer von ihnen führte vermutlich zum Schloss, aber wie sollte ich herausfinden, welcher? Unbewusst musste ich sehr tief Luft geholt haben, denn ich spürte, wie sich meine Sachen spannten. Garm meinte, ich würde es schaffen. Er hatte meinen Fähigkeiten vertraut, warum sollte ich es nicht auch tun? Dann kam mir eine Idee. Ich richtete meine Aufmerksamkeit an die Stelle, wo der Mechanismus selbst war, der die Schatulle verschloss. Von da aus musste ich nur... Nichts. Da war nichts. Wie war das möglich? "So geht das nicht", drang Norenkeis sanfte Stimme zu mir. "Das wäre viel zu einfach. Du musst dich schon an die Kanäle halten." Ich öffnete die Augen und sah ihn verzweifelt an. Er hatte seine Augen immer noch geschlossen. "Aber es sind so viele!" "Ja, sehr viele." Mehr sagte er nicht. Ich sah mich nach den anderen um. Blinx saß mir immer noch gegenüber, und sein Gesicht drückte Erwartung aus. Haruka und Garm hatten sich zu meiner rechten hingesetzt, Norenkai gegenüber, aber außerhalb meines Blickfeldes, wenn ich nach vorn auf die Schatulle sah. Haruka nickte mir mit einem auffordernden Lächeln zu, und Garm strahlte einfach nur Zuversicht aus. Also gut, ich würde es noch mal probieren. Nein, nicht probieren, ich würde es tun, so wie es Blinx gesagt hatte. Entschlossen umfasste ich wieder die Schatulle. Ich sammelte meine Konzentration, und versank in den winzigen Kanälen, die ich absuchen musste. Mit leisem Klicken öffnete sich die Schatulle, und ich entspannte mich. "Du hast es geschafft Hitomi!" hörte ich den müden, und dennoch aufmerksamen Blinx. Seine Stimme klang danach, als ob er es nicht mehr geglaubt hatte. Ich öffnete mühsam die Augen, die schwerer als Blei zu sein schienen. Tatsächlich. Ich hatte es geschafft. Die Schatulle lag geöffnet in meinen Händen, und ich starrte ungläubig und ohne einen Gedanken auf den darin liegenden gläsernen Dolch, der das flackernde Licht der Kerzen in ein unwirkliches Glitzern brach. "Ja", sagte ich tonlos. "Ich habe es geschafft." "Glückwunsch Hitomi. Ich habe dir doch gesagt, dass du es kannst." Garm legte eine Hand behutsam auf meine Schulter. Es war nur eine kurze Berührung, und niemals lastete das ganze Gewicht seiner Hand auf mir, aber ich wusste, dass diese Berührung für ihn nicht einfach war. "Danke." Stammelte ich mit schwerer, trockener Zunge. "Kann ich..." Ein Hustenreiz unterbrach mich, und erst nach ein paar Sekunden konnte ich weitersprechen. Ich versuchte, meine Lippen zu befeuchten, aber vergeblich. "Kann ich etwas zu trinken haben?" fragte ich erneut, als mir Haruka schon einen irdenen Krug reichte. "Nur zu. Ich hab mir schon gedacht, dass du das brauchen wirst. Nach der langen Zeit. Ich habe schon Angst gehabt, du liegst im Koma." Ihre Worte waren scherzhaft, aber das leise Zittern in ihrer Stimme sprach Bände. "Ja, du hast lange durchgehalten. Und du hast es geschafft." Lobte mich nun auch Norenkei, der immer noch zurückgelehnt auf seinem Stuhl saß. "Ich bin wirklich beeindruckt." "Es ist eigentlich ganz einfach", stammelte ich, nachdem ich den Krug in einem Zug gelehrt hatte. "Dann kannst du es ja noch einmal vorführen." meinte Norenkei grinsend, und schlug die Schatulle zu. Mein Unterkiefer klappte herunter, und ich vergaß zu atmen. Ich hatte Stunden gebraucht, um sie zu öffnen - es schien schon weit nach Mitternacht zu sein, und mir kam es so vor, als seien Tage vergangen - und nun sollte alles umsonst sein?" "Keine Sorge Hitomi. Du hast es einmal geschafft. Jetzt kann ich sie jederzeit für dich öffnen. Ich möchte aber, dass du das machst. Schließlich sollst du den Dolch mitnehmen, und mir wäre lieber, er befände sich in der Schatulle in Sicherheit. Und wie du bemerkt hast, ist es bloß beim ersten Mal schwer." Ich atmete tief durch. Er hatte Recht. Sowohl, was das Öffnen als auch die Sicherheit anging. Ich legte noch einmal die Hände an das schwere Holz der Schatulle, durchflutete die Kanäle, wie ich es zuletzt getan hatte - und wieder sprang die Schatulle auf. "Bravo! Ich glaube, sie ist jetzt dein." Ich wollte aufstehen, doch irgendwie begann sich alles vor mir zu drehen. "Ich glaub...ich glaub, mir wird..." Jäh öffnete ich die Augen. Was war passiert? Dann kam die Erinnerung. Ich fuhr aus dem Bett hoch, und musste dann erst mal abwarten, bis die Welt aufhörte zu schwanken. Ich lag in meinem Bett, und der Sonne nach zu urteilen war es später Morgen. Auf dem Tischchen neben mir stand ein Krug mit dazugehöriger Tasse, ein Teller mit Keksen und ein kleiner Zettel. < Na toll!> dachte ich. < Das bewusstlos werden wird anscheinend zu einer Gewohnheit von dir, Hitomi.> Ich nahm den Zettel, und las ihn laut. "Keine Sorge Hitomi. Der Schwächeanfall war zu erwarten. Iss etwas, trink etwas, und dann komm raus, aber langsam. Norenkei." So, der Schwindelanfall war zu erwarten. Und warum hatte mir das niemand gesagt? Aber eigentlich war ich ja auch selbst schuld. Ich hatte gelernt, dass es eine große Anstrengung war, seinen Geist auf die Art zu benutzen, wie ich es getan hatte. Eigentlich hätte ich selbst auf die Folge kommen können. Ich stillte Hunger und Durst, und überlegte, wie es nun weiter gehen sollte. Den Dolch hatte ich. Eigentlich müsste Norenkei uns jetzt sagen, wie es weitergeht. Seltsam. Ich war nie auf die Idee gekommen, ihn zu fragen, obwohl wir schon eine ganze Woche hier waren, vielleicht sogar länger. Eine ganze Woche, in der es Van schlechter gehen konnte... *** "Eliandra! Da bist du ja wieder!" "Hallo Thana. Wie geht es Van?" "Unverändert. Er sitzt in seinem Zimmer, und brütet irgend etwas aus. Und diese Zaibacherin ist meistens bei ihm." Die beiden Frauen setzten sich an den Tisch in Thanas Zimmer. "Das gefällt mir nicht", bemerkte Eliandra. "Diese Frau ist eindeutig nicht bloß zum Heiraten da. Sie hat einen viel zu großen Einfluss auf Van." Thana nickte, widersprach dann aber der Hohepriesterin. "Vielleicht schätzen wir sie falsch ein." "Was meinst du damit?" "Na ja..." Thana zögerte. "Ich glaube nicht, dass sie böse ist." Eliandra sah sie weiterhin nur fragend an. "Die Gefühle, die ich von ihr empfange... sind anders. Sie scheint sich Sorgen um Van zu machen, aber nicht, weil sie ihm etwas antun will... Ach, ich weiß auch nicht. Es ist alles so verwirrend." *** "Die nächste Zutat ist ein ganz bestimmter Rubin. Der Rubin der reinen Seele." Blinx schrie auf, und fiel polternd von seinem Stuhl. "Der Seelenrubin? Bloß das nicht!" Alle schauten ihn verwundert an, so dass er ganz rot wurde. "Weißt du etwas darüber?" sprach Haruka schließlich unser aller Frage aus. "Und ob ich etwas weiß!" Blinx seufzte, stellte den Stuhl wieder hin, und ließ sich darauf fallen. Er stützte den Kopf auf die Hände, und schloss die Augen. "Und ob ich etwas weiß!" Seine Gedanken schienen in die Vergangenheit zurück zu eilen, an einen anderen Ort, und seine Erinnerungen schienen nicht gerade erfreulich. Letztendlich öffnete er seine Augen wieder, und sah mich ängstlich an. "Das gibt Probleme, Hitomi. Derjenige, der den Seelenrubin in seinem Besitz hat, ist ein übler Kerl, und er wird ihn auf keinen Fall rausrücken." "Wir sollten die Flinte nicht so schnell ins Korn werfen." tadelte Norenkei den Katzenjungen, der daraufhin ruckartig aufstand, und den Schwertmeister anfauchte. "Ihr habt ja keine Ahnung! Wenn ihr erlebt hättet..." Er rannte aus dem Raum, und ließ uns verwirrt und ratlos zurück. Was war bloß los mit ihm? In diesem Moment ruckte Garms Kopf in Richtung Fenster. Er sprang regelrecht zum Fenster, und streckte seinen Kopf hinaus. "Ja, da kommt er!" rief er erregt. "Wer kommt?" fragte Haruka wirsch. Blinx Abgang schien sie noch mehr verwirrt zu haben als mich, sonst sprach sie nie so mit Garm. "Akoth." Als er es aussprach, rauschte auch schon der Schatten des Drachen vor dem Fenster vorbei. Garm drehte sich zu mir um. "Du brauchst keine... Oh! Du hast gar keine Angst." Ich lächelte still vor mich hin. "Schon seit unserer ersten Begegnung nicht!" meinte ich schmunzelnd, und stand auf, um den Drachen draußen zu begrüßen, der eben vernehmbar gelandet war. Blinx hatte ich erst mal vergessen. "Hallo, Mädchen vom Mond der Illusionen. Schön, dich mal wieder zu sehen", hallte Akoths warme Begrüßung in meinem Kopf. "Hallo, alter Drache!" rief ich lachend. "Auch schön, dich mal wieder zu sehen." "Auch euch ein Hallo." wandte sich der Drache nun den anderen zu. "Sei willkommen an diesem Ort der Ruhe, ehrwürdiger Wächter." antwortete Norenkei förmlich, und verbeugte sich. Haruka und Garm taten es ihm nach, wenn auch mit einem Lächeln, das bewies wie sehr sie sich über die Förmlichkeit amüsierten. Auch Akoth klang belustigt. "Immer noch so erpicht auf Rituale, Schwertmeister?" Norenkei verbeugte sich noch einmal, und antwortete, von einer abgestimmten Geste begleitet "Rituale sind die Wege des Geistes. Werden sie nicht ausgeführt, verkümmert auch der Sinn für Eleganz." Haruka seufzte laut und deutlich, und Norenkei warf die Arme in die Luft. "Schon gut, schon gut, ich gebe auf. Die Jugend von heute." "Ja, die Jugend von heute. Missachtet die Traditionen und die weisen Worte der Älteren." Haruka lachte, und umarmte ihren Vater "Aber darum sind wir ja jung. Damit ihr Alten über unsere Fehler schimpfen könnt, die ihr schon gemacht habt, und vor euch jede andere Generation genauso." "Deine Tochter spricht weise Worte, Schwertmeister", meinte Akoth, bevor sein dröhnendes Gelächter uns alle zusammen zucken ließ. Ich war derweil näher an ihn heran getreten, und staunte nun über die Wunde, die das Messer hinterlassen hatte. Sie war nämlich nicht mehr da. Nur noch ein Streifen heller Schuppen zeigte, wo sich diese für den Drachen fast lebensgefährliche Wunde befunden hatte. "Ja, es ist gut verheilt", sagte Akoth, als er mein Staunen sah. Dann wurde er ernst. "Ich habe einen kleinen Rundflug gemacht, um mich wieder zu kräftigen, nachdem ich für drei Wochen an den Boden gefesselt war. Dabei bin ich Eliandra begegnet. Sie hat mir alles erzählt." Sein Kopf drehte sich zu Norenkei "Dann hattest du also den Dolch." "Ja." "Und wer hat den Rubin?" fragte er den Schwertmeister weiter, doch es war jemand anders, der ihm antwortete. "Ein übler Kerl namens Vandegaard. Harlan Vandegaard. Er ist regelrecht besessen von dem Rubin. Er hat ihn einem Räuber abgekauft, der ihn einem Heiler gestohlen hat. Dieser Heiler wollte einem scheinbar verletzten Mann helfen, als dieser plötzlich aufsprang, und ihn tot schlug. Der Heiler dürfte der Hüter des Rubins gewesen sein. Jeder aus dem Ort kennt die Geschichte, aber niemand wagt etwas gegen Harlan zu unternehmen, denn der Ort ist von ihm so gut wie vollständig abhängig." "Auch dir Hallo, Blinx. Ich habe schon von dir gehört. Keel war ziemlich beeindruckt von dir." "Keel?" fragte ich überrascht. "Ja, aber das hat Zeit bis später." "Harlan Vandegaard." murmelte Norenkei "Ja, ich habe davon gehört. Er soll sich auf einmal sehr verändert haben." "Der Rubin der reinen Seele hat große Heilkräfte, aber auch eine ebenso starke Wirkung auf die Begehrlichkeit der Menschen." stimmte Akoth zu. "Das klingt nicht nach jemandem, der ihn dir mal eben so gibt, Hitomi." äußerte sich Haruka traurig, und sah mich an. Ich aber schüttelte nur den Kopf. "Das ist mir egal. Ich gebe nicht auf. Blinx, du weißt, wo wir hin müssen?" Er schloss für einen Moment die Augen, bevor er mich ansah. "Ja, das weiß ich. Auch wenn ich gehofft habe, dort niemals wieder hinzukommen. Aber ich werde dir den Weg zeigen. Allerdings ist es nicht gerade in der Nähe." "Kein Problem." Akoth blinzelte mir ermutigend zu. "Ich werde euch hinfliegen. Eliandra hat schon vermutet, dass der Rubin etwas weiter weg ist, und mich gefragt. Und natürlich lasse ich meine Freunde nicht im Stich." Er sah mich noch einmal an. "Wenn du nichts dagegen hast, werden wir morgen früh aufbrechen. Ich muss mich erst mal ausruhen. Außerdem würde ich mich gern mit dir über das ein oder andere unterhalten." Ich sah erst Akoth und dann Norenkei nachdenklich an. "Du bist hier fertig." sagte der Schwertmeister. "Ich würde sagen, Akoth hat Recht." "Also gut." gab ich mein Einverständnis. Ich war froh, dass Akoth gekommen war. Der Drache gab mir nur durch seine Anwesenheit eine solche Ruhe und Stärke... Ich lächelte bei dem Gedanken. Ein Drache, der beruhigt. ENDE KAPITEL 4 Und es geht mal wieder weiter. So langsam nähern wir uns dem Höhepunkt- so langsam... Kapitel 5 - Regenheim Die ledernen Schwingen Akoths ließen uns über Bäume und Wiesen, Hügel und Täler gleiten als wären wir schwerelos. Es war anders als auf Escaflowne zu fliegen. Dort spürte man immer, dass es eine Maschine war, voller Kraft und doch elegant. Akoths Kraft dagegen wurde nur selten ersichtlich, doch er flog mit einer Anmut, die selbst Escaflowne fehlte. Erneut zuckte Akoths Schatten nur Zentimeter unter ihm über eine Hügelkuppe, und Blinx klammerte sich wieder einmal fester an mich. "Ich dachte, du bist schwindelfrei Blinx!" rief ich ihm zu, denn der Wind pfiff doch recht ordentlich, und zerzauste nicht nur meine Haare, sondern auch das Fell des Katzenjungen. "Bin ich auch! Aber nur, wenn ich etwas unter den Füßen oder in der Hand habe, das Berührung mit dem Boden hat!" "Keine Sorge", grollte Akoth und lachte. "Bodenberührungen sind kein Problem. Schwieriger ist es, den Boden nicht zu berühren!" Ich musste auch lachen. Das war wohl die Drachenversion von "Runter kommt man immer. Fragt sich bloß, wie." Akoth prustete so heftig, dass seine Nüstern den Wind übertönten. "Das ist gut. Muss ich mit merken. Siehst du, selbst in meinem Alter kann man doch immer wieder etwas lernen." "Wie weit noch Blinx?" fragte ich. "Eine Stunde bei dem Tempo - wenn alles gut geht." Ich war froh, dass er nichts mehr im Magen hatte, denn die Art, in der er mir antwortete, hätte mich ansonsten dazu veranlasst, Akoth umgehend zur Landung zu bitten. "Keine Sorge! Wird schon schief gehen," rief ich ihm vergnügt zu, und sparte dann meinen Atem. Bei der Aussicht vergaß ich nämlich öfters das Luft holen. "Das ist also Regenheim." Ich schaute hinunter auf die Stadt, die sich über mehrere der kleinen Hügel, aus denen die Gegend hier bestand, erstreckte. "Ja." antwortete Blinx einsilbig. Er war immer bedrückter geworden, je näher wir der kleinen Stadt kamen. Akoth hatte uns ein paar Kilometer entfernt abgesetzt und war nach vielen guten Wünschen und Ratschlägen abgeflogen. "Komm Hitomi. Ich denke, ich weiß einen Ort, wo wir unterkommen können. Aber wir sollten vor Einbruch der Dunkelheit da sein, und die Sonne steht schon ziemlich dicht über dem Horizont." "Lassen sie sonst keinen mehr hinein?" "Doch schon. Gerade dann, aber..." Er seufzte laut und nicht gerade sehr glücklich. "Du wirst es schon merken." "Es ist doch nicht gefährlich, oder?" "Nein. Auf jeden Fall weniger gefährlich als alle anderen Orte dieser Art." schränkte er ein, was mich allerdings nur verwirrte statt mich zu beruhigen. Wir standen an einer kleinen, unscheinbaren Tür in einer schmalen und dunklen Seitengasse. Ich schaute mich unbehaglich um. Es wirkte wie eine Szene aus einem Krimi. Blinx würde anklopfen, eine kleine Klappe in der Tür würde sich öffnen, und eine barsche Stimme würde fragen, was wir wollten. Blinx würde irgendeine Losung nennen, und dann würden wir durch einen winzigen Spalt zwischen Tür und Rahmen hindurchhuschen, und der Mann hinter der Tür würde sich schnell in der Gasse umsehen, ob uns nicht jemand beobachtete. Aber nichts dergleichen geschah. Blinx nahm stattdessen einen Stein aus der Wand, hinter der eine Schnur sichtbar wurde, und zog daran. "Das war mal der Eingang für die, die nicht gesehen werden wollen. Früher hat hier immer wer gestanden, aber heute ist das nicht mehr der Fall. Außerdem ist es sowieso noch zu früh." Ich fragte mich, für was es zu früh sein sollte. Die meisten Menschen würden um diese Zeit schon Abendbrot essen. War das vielleicht eine Art Kneipe? Vielleicht auch eine Spielhölle, das würde auch diesen Hintereingang erklären. Und auch, warum Blinx mir nichts darüber erzählen wollte, wenn er hier wirklich einmal gelebt hatte. Nach einer Minute wurde die Tür geöffnet, und ein junger Mann schaute uns fragend an. "Wir möchten mit Mutter Mia sprechen." "Und warum sollte sie ausgerechnet jetzt mit euch sprechen?" "Sag ihr, dass Blinx hier ist." "Das bist du wohl, Katzenjunge? Und wer ist das Mädchen da? Eine Neue?" "Das geht dich nichts an. Und wenn du nicht sofort deinen Hintern in Bewegung setzt, wird Mutter Mia ihren Teppichklopfer holen, und ihn dir ordentlich versohlen." Der Mann schaute Blinx überrascht an, dann schlug er die Tür zu, und ich konnte hören, wie er anscheinend sehr eilig davon rannte. "Ein Neuling", erklärte Blinx mir. "Sonst würde er mich kennen. Aber die Bemerkung mit dem Teppichklopfer beweist, dass ich zumindest schon mit Mutter Mia zu tun hatte. Keiner außerhalb traut sich darüber zu reden." "Sie ist wohl sehr streng?" fragte ich mit einem leicht mulmigen Gefühl im Bauch. War sie vielleicht der Grund, warum Blinx nicht hierher wollte? Hatte er Angst vor ihr? Und warum nannte er sie überhaupt Mutter? Allerdings schien es eine Art Name zu sein, oder ein Titel, wie bei Nonnen. Der Mann, der die Tür aufgemacht hatte, hatte sich jedenfalls nicht darüber gewundert. "Nein, nicht wirklich." antwortete Blinx nach einer Sekunde des Zögerns. "Aber sehr energisch und entschlossen. Das läuft manchmal auf das gleiche hinaus." In diesem Moment wurde die Tür erneut geöffnet. "Ihr könnt hereinkommen. Mutter Mia kommt gleich." Blinx war schon halb drin, noch bevor der Mann ausgesprochen hatte. Ich nahm mir die Zeit, ihn mir mal genauer anzusehen, als ich an ihm vorbeiging. Er war ziemlich groß, fast so groß wie Allen, hatte aber kurze, braune Haare. Er schien mir etwas nervös zu sein. Seiner Kleidung nach arbeitete er hier als Wirt oder etwas in der Art. Das würde meine Vermutungen bestätigen. Genauso wie der Raum, in dem wir uns jetzt befanden. Es war eine Art Lager, vollgestopft mit Säcken, Kisten und Fässern. Nach links ging ein etwa zehn Meter langer Gang ab, an dessen Ende ein Tor zu erkennen war, durch das durchaus ein Pferdefuhrwerk gepasst hätte, wie ich es vor ein paar Minuten in der Stadt schon gesehen hatte. Nach rechts zog sich ein weiterer Gang, der aber an einer Mauer endete. Geradeaus, über eine kleine Treppe ging es in das eigentliche Gebäude hinauf, von wo aus gedämpft Stimmen drangen. Leider konnte ich kein Wort verstehen. "Wie heißt du?" fragte ich den Mann, der zusammenzuckte. "Michael." presste er heraus. Er schien irgendwie Angst zu haben. Vor Mutter Mia? Auf einmal schwollen die Stimmen an, und gleich darauf wieder ab. Anscheinend war jemand durch eine Tür gekommen. Ich hörte schwere Schritte, und dann kam eine mollige Frau die Treppe herunter. Ihre Haare wurden schon weiß, aber das lag wohl nicht an ihrem Alter - ich schätzte sie auf Anfang Vierzig - denn sie strahlte eine Schönheit aus, wie sie nur wenige Frauen in ihrem Alter besaßen. Es war die Schönheit eines Menschen, der niemals aufgibt, und sich voller Zuversicht der Zukunft stellte. Ich wünschte, ich könnte auch so zuversichtlich sein. "Blinx! Du kleiner Racker! Was hat dich denn zu uns zurück verschlagen? Ich dachte, du wolltest nie mehr her kommen!" Sie drückte den armen Blinx so fest an sich, dass sein Kopf beinahe zwischen ihren riesigen Brüsten verschwand. Auch sie sah etwas wie eine Wirtin aus, aber eindeutig vornehmer. Wenn Michael der Lehrling war, dann war sie die Chefin. Vielleicht hatte das "Mutter" damit zu tun. Mutter Mia hatte Blinx wieder aus ihrer Umarmung entlassen, und sich auf einen herumstehenden Hocker gesetzt. Blinx schaute etwas unbehaglich drein, anscheinend war die Umarmung nicht nach seinem Geschmack gewesen. Sonderbarerweise sagte er aber nichts dazu. Er schien mächtig Respekt vor dieser Frau zu haben. Nicht mal Norenkei war vor seinen Kommentaren sicher gewesen. "Das ist eine lange Geschichte, Mutter. Ich möchte dich bitten, mir und meiner Begleiterin ein Zimmer zu geben, und niemandem zu sagen, dass wir hier sind." "Hast du was ausgefressen? Oder sie? Ich wusste ja, dass das kommen würde..." "Nein, nein! Es ist nichts in der Art!" versicherte der Katzenjunge schnell. "Gut, ich glaube dir." Sie wandte sich an mich, und musterte mich sehr eindringlich von oben bis unten. "Hmm, gar nicht so schlecht. Du willst nicht zufällig hier arbeiten, oder? Ein paar der Mädchen sind gerade krank, und wir sind unterbesetzt..." Sie unterbrach sich, als sie meinen verwirrten Gesichtsausdruck sah. Ihre Augenbrauen rutschten so dicht zusammen, dass ich nicht mehr unterscheiden konnte, wo die linke aufhörte und die rechte anfing. "Du hast ihr doch gesagt, was das hier ist, oder?" fragte sie in Unheil verkündendem Ton. Auch wenn sie ihn nicht ansah, war sehr deutlich, wen sie meinte, und Blinx zuckte heftig zusammen. "Äh, nein, eigentlich nicht..." Ich hörte, wie Michael überrascht nach Luft schnappte. Dann ging er vorsichtshalber ein paar Schritte von Mutter Mia weg, soweit das in diesem vollgestopften Raum nur möglich war. "Du hast es ihr nicht gesagt?" fragte sie noch einmal als ob sie es nicht glauben könnte, und drehte sich zu Blinx um. "Nein!" seufzte dieser und wendete die Augen schicksalsergeben nach oben. Mutter Mia schaute mich wieder an. "Nun, dann mache ich das. Dieses Haus hier...", sie machte eine alles umfassende Armbewegung, "...ist das beste und bekannteste... Bordell in dieser Gegend." Ich starrte sie an. "Bordell?" Mutter Mia nickte. "Ja, allerdings mehr nebenberuflich, nicht mehr so wie früher. Das ist eine lange Geschichte. Das wichtigste ist, das die Mädchen - oder auch Jungs - freiwillig hier sind. Michael?" "Ja!" Seine Haltung erinnerte an die eines Soldaten. "Hol Goldherz her, sie wird sich um die zwei kümmern. Sie kriegen alles, was sie wollen." Mia drahte sich wieder zu mir. "Ich muss leider wieder weg. Wir müssen den heutigen Abend vorbereiten, ohne mich kriegt hier doch keiner was auf die Reihe." Sie hastete davon, gefolgt von Michael. "Ein Bordell! Wann hattest du vor, mir dieses unwichtige Detail zu verraten?" Blinx schrumpfte unter meinem Blick zusammen, und kroch ängstlich hinter ein Fass. "Entschuldige, Hitomi. Aber ich habe es mich einfach nicht getraut. Ich weiß, es ist dumm aber... Weißt du, ich habe hier drei Jahre gelebt, die meiste Zeit als so etwas wie eine Zirkusattraktion. Ich wollte mich einfach nicht daran erinnern." Ich sah, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen und meine Wut verflog. Wie konnte ich unter diesen Umständen wütend auf ihn sein? Allerdings... ein Bordell war nicht gerade die Art von Unterkunft, die mir vorgeschwebt war. "Blinx!" rief auf einmal eine helle Mädchenstimme, und eine Welle blonder Haare flog die Treppe herunter und direkt auf den überraschten Katzenjungen, den es von den Füßen warf. "Blinx! O Gott! Das ist eine Überraschung! Blinx! Ich kann es nicht glauben! Du bist es wirklich! Mein Lieblings-Katzenmensch!" Ich ging um das Fass herum und sah ein wildes Knäuel aus Fell und menschlichen Gliedern. "Goldherz! Hör auf, ich liege auf einem Stein oder so etwas, das tut weh!" "Entschuldigung!" kicherte das Mädchen, stand rasch auf und zog Blinx mit hoch. "Nein, du irrst dich. Kein Stein. Ein Holzscheit, auf dem normalerweise ein Fass und kein Katzenmensch liegt." Erst jetzt schien mich das Mädchen zu bemerken. Es blickte von meinen Schuhen aus an mir rauf, bis sich unsere Augen trafen. "Du hast ja merkwürdige Sachen an!" bemerkte sie zu meiner Schuluniform. Ich wünschte, die Leute würden sich nicht jedes Mal darüber wundern. "Wo ich herkomme ist das normal." "Na von mir aus." Sie stellte sich in Pose. "Ich bin Goldherz. Die jüngste Arbeiterin des ,Vergnügen und Lustigkeit' mit gerade mal zwölfdreiviertel Jahren." Ich erschrak. "Du bist...?" "Nein!" Prustend schlug sie Blinx auf die Schulter. "Deine Freundin ist lustig." Sie blinzelte mir zu. "Ich bin Musikerin und Sängerin, wie die meisten hier. Und in ein paar Jahren schmeiße ich Mutter Mia raus und übernehme ihren Posten. Aber verrate es niemandem!" sagte sie verschwörerisch und grinste wieder. "Aber das kann ich euch auch erklären, wenn ich euch eure Zimmer zeige. Kommt!" Sie nahm Blinx an der einen, mich an der anderen Hand und zog uns die Treppe hinauf. "Ich glaube, ich weiß schon, wo ich euch unterbringe." "So, da dieser blöde Kerl dir anscheinend nichts erklärt hat, mach ich das eben." Der ,blöde Kerl' lächelte säuerlich, und setzte sich auf mein Bett. Das Zimmer war nicht sehr groß, aber geschmackvoll eingerichtet. Ein Bett, ein Tisch mit zwei Stühlen, ein großer und zwei kleine Schränkchen. Alle aus sehr gutem und wohl schon ziemlich altem Holz, aber wunderschön, wenn auch schlicht gearbeitet. Das Fenster war zu meinem Erstaunen aus einem Glas, wie ich es so perfekt bisher nur ein einiges Mal auf Gaia gesehen hatte, im Palast von Pallas. Alle anderen Fenster waren, wenn sie aus Glas waren, was auch nicht immer der Fall war, immer mit Fehlern behaftet gewesen. "Blinx kam vor etwa sieben Jahren als Sklave hierher, zusammen mit mir. Ich war Nachschub für das Bordell, und Blinx sollte eine Art Ausstellungsstück sein. Aber Mutter Mia hat uns vor diesem Schicksal so gut wie möglich bewahrt, was ihr mehr als einmal um ein Haar den Kopf gekostet hätte. Nun ja, es war ziemlich kompliziert damals. Jedenfalls kam dann eines Tages ein Mann namens Keel hierher - ein merkwürdiger Typ." "Keel?" entfuhr es mir erstaunt. "Ja, Hitomi." sagte Blinx. "Der Keel, den du kennst. Zumindest meinte Thana, dass du ihn kennst. Sie hat mir allerdings nicht erzählt, woher. Ihre Geschichte über die Art, wie du die Tihani kennen gelernt hast, war nicht sehr detailliert." "Du warst bei den Tihani?" fragte Goldherz überrascht. "Ja. Aber ich habe versprochen, nichts zu sagen", kam ich ihrer nächsten Frage zuvor. "Typisch!" Sie pustete sich eine Strähne ihres goldblonden Haares aus der Stirn. "Mutter Mia sagt auch nie was. Dabei bin ich sicher, dass sie auch eine ist, genau wie Keel und Blinx." Dieser zuckte wieder zusammen. Sie grinste. "Du hättest ihr Gesicht sehen sollen, als Keel auftauchte. Nun ja. Wie gesagt, Keel tauchte auf, unterhielt sich ein paar Stunden seeeehr eng mit Mutter Mia - sie kannten sich von früher - und er versprach ihr, zu helfen. Jedenfalls hat uns Mutter Mia zwei Wochen später in den Keller geschickt, und dann kamen auch schon etwa zwanzig Leute. Männer, Frauen, alle in ein unheimliches Schwarz gekleidet. Sie haben innerhalb einer Nacht den Mistkerl von Stadthalter ausgeschaltet. Sogar ohne ihn zu töten. Das haben dann allerdings die Leute von allein gemacht." Sie blinzelte, als ob sie aus ihrer Erinnerung erst in die Wirklichkeit finden musste und schüttelte sich. "Er war nicht gerade beliebt, und sah dann auch so aus." Blinx lachte. "Ja, und als Mutter Mia gemerkt hat, das wir uns rausgeschlichen haben, um uns das anzusehen, hat sie uns mit ihrem Teppichklopfer so windelweich geprügelt, dass wir einen ganzen Monat nicht sitzen konnten." "Und in diesem Monat haben sie und Keel den Laden hier gründlich umgekrempelt. Früher war es mal ein Bordell der übelsten Klasse, alle wurden wie Dreck behandelt, und wer flüchten wollte wurde getötet. Jetzt sind alle freiwillig hier. Die meisten Mädchen von damals sind geblieben, oder auch wieder zurückgekehrt." "Ja, das sind viele traurige Geschichten", nahm Blinx den Faden wieder auf. "Einige der Mädchen sind so lange hier gewesen, oder schon so jung hierher verschleppt wurden, dass sie sich nicht mehr erinnern konnten, wo sie überhaupt herkamen. Und von den anderen, tja... Bei einigen war die Familie gestorben, umgezogen, hatte sie für tot gehalten oder noch schlimmer, verstieß sie wieder, weil sie als unrein betrachtet wurden. Dass sie nicht freiwillig hier waren, hat niemanden interessiert." "Diese Mädchen", erzählte nun Goldherz wieder, "kamen zurück, denn wie gesagt hatten Mutter Mia und Keel alles geändert. Die meisten sind auf die eine oder andere Art Künstlerinnen geworden. Manche haben aber auch so weiter gemacht wie vorher - diesmal aber freiwillig. Willst du etwas sagen, Hitomi?" Ich erschrak. "Du kannst ruhig sagen, dass es dir nicht gefällt, wenn sich Frauen prostituieren. Da bist du nicht die erste. Aber das läuft hier etwas anders, als du dir das vorstellst. Wahrscheinlich sogar sehr anders." Sie kicherte. "Du wirst schon sehen. Heute Abend ist übrigens der Tanzabend - getrennt nach ,viel an' und ,viel nicht an'. Wie gesagt, schau es dir an. Aber jetzt lass ich euch erst mal allein. Du musst sicher noch die Neuigkeiten verdauen, und Blinx sich wieder daran gewöhnen, hier zu sein. Außerdem habe ich noch eine Menge zu erledigen. Ich muss mein Flötensolo üben. Bis heute Abend!" Sie rauschte aus dem Zimmer, und ließ mich verstört mit einem verwundert dreinblickenden Blinx zurück. Zögerlich stieg ich die Treppe hinab. Der Raum war voller Tisch und Stühle. Eine Seite nahm eine Theke ein, und die gegenüberliegende Seite war zu einer Bühne ausgebaut. Mehrere Personen waren mit verschiedensten Dingen beschäftigt, darunter auch dem Aufbau von Instrumenten. "Hitomi!" rief Blinx mir von der Bar aus zu. Ich ging zu ihm und setzte mich. "Das Essen kommt gleich. Der alte Koren kocht immer noch, du wirst also zufrieden sein. Bis die ersten Gäste kommen, hast du aber noch genug Zeit." In diesem Moment kam Goldherz durch eine Tür hinter der Treppe, die hinauf zu den Zimmern führte, und ging schnurstracks Richtung Bühne. In der Hand hielt sie eine Flöte, die selbst aus dieser Entfernung als Meisterwerk der Schnitzkunst zu erkennen war. "Ich hoffe, sie ist immer noch so gut wie früher", murmelte Blinx erwartungsvoll. Goldherz setzte sich auf Hocker auf der Bühne, schloss die Augen, holte tief Luft, und setzte die Flöte an die Lippen. Ich merkte, wie es stiller im Raum wurde. Niemand hörte mit der Arbeit auf, und doch waren alle auf einmal viel leiser als noch Sekunden zuvor. Dann begann sie zu spielen. Erst ein paar, zarte Töne, die die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zogen. Darauf folgten flirrende, verwirrende Tonfolgen, die das Bild eines Kolibris vor meinen Augen entstehen ließen, dessen Flügel so schnell schlugen, dass sie nur als verwaschenes Bild zu sehen waren. Der Kolibri flog von einer Blüte zur anderen, um vom Nektar zu naschen, drehte dann ein, zwei Runden über einem kleinen Teich und kehrte dann nach Hause zurück, wo er erschöpft, aber glücklich in seinem Nest einschlief. "Wundervoll!" Ich wischte mir verstohlen eine Träne aus dem Gesicht. Dann sah ich, dass auch Blinx die Tränen gekommen waren. Nein, das war untertrieben, er flennte wie ein Wasserfall. Er merkte, wie ich ihn erstaunt ansah, und lächelte. "Sie hat das nur für mich erfunden. Als ich in dem Käfig war, zur Belustigung der Zuschauer, hat sie aus irgendeinem Bambusrohr eine Flöte gemacht, und mir zum Trost vorgespielt. Ich habe es seit Jahren nicht mehr gehört. Ich glaube, es ist ihre Art, Willkommen zu sagen." Mittlerweile war Goldherz von der Bühne getreten, und kam nun auf uns zu. Sie stellte sich vor Blinx, wischte ihm wortlos die Tränen aus dem nassen Fell, und meinte dann leise: "Kleine Heulsuse! Wie habe ich dich vermisst." Er lächelte zaghaft, sie lächelte zurück, und dann umarmten sie sich heftig. "Sie war drei Monate lang ungenießbar, nachdem er weg gegangen war", raunte auf einmal eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich erschrocken um, und hinter der Theke stand ein übergewichtiger, älterer Mann, der gerade dabei war, einen riesigen Teller vor mich hin zu stellen. "Blinx meinte, du hast sicherlich großen Hunger, da habe ich eine extra große Portion für euch beide gemacht. Ich bin Koren, Chefkoch hier." Er nickte mir zu, stellte ohne weiteren Kommentar den anderen Teller an Blinx Platz und verschwand wieder in seiner Küche. Er schien mir nicht ein Freund vieler Worte zu sein. Vielleicht wollte er die beiden aber auch nicht stören. Jedenfalls machten alle einen weiten Bogen um Blinx und Goldherz, so dass ich mich langsam etwas unwohl fühlte, weil ich so dicht neben ihnen saß. Zu meiner Erleichterung schob Goldherz den Katzenjungen aber gerade von sich weg, und deutete auf den Teller. "Lass das Essen nicht kalt werden. Ich werde inzwischen mal die anderen holen, wir müssen noch mal eine Stelle üben." Sie lächelte ihm, und auch mir, zu, und lief dann mit wehenden Haaren davon. Ich ließ mir das Essen schmecken, das wirklich ausgezeichnet war, und ließ mir das Geschehen von eben noch mal durch den Kopf gehen. Hinter Blinx steckte eine mehr als nur ungewöhnliche Geschichte. Auf ihre eigene Art noch ungewöhnlicher als meine. Aber vielleicht war ja auch jede Geschichte eines Lebens auf ihre Art ungewöhnlicher und bedeutsamer als alle anderen. Ich hatte mich in eine Ecke gesetzt, und lauschte der Musik. Sie spielten schon eine halbe Stunde und Blinx hatte sich irgendwann aus dem Staub gemacht. Alte Bekannte suchen und Geschichten austauschen. Was man halt so macht, wenn man sich jahrelang nicht gesehen hat. Unbemerkt war jemand an meine Seite getreten, und so erschrak ich heftig, als ich plötzlich eine tiefe, melodische Stimme neben mir hörte. "Hitomi?" "Ja?" Ich sah ihn fragend an. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn schon gesehen zu haben. "Mein Name ist Micha. Nicht Michael wie unser Neuling da..." Er machte eine Kopfbewegung in Richtung Theke, an der unser Türöffner stand. "...sondern einfach nur Micha. Mutter Mia hat mich gebeten, mich um dich zu kümmern." "Äh, ich weiß nicht, ich meine ich brauche eigentlich..." Sein herzliches Lächeln ließ mich verstummen. "Mach dir darum nur keine Sorgen. Ich werde schließlich dafür bezahlt." "Bezahlt?" "Ja, Mutter Mia bezahlt mich, damit ich dafür sorge, dass sich die jungen Mädchen hier nicht einsam fühlen. Mit manchen gehe ich dann sogar ins Bett." Ich wurde knallrot, und rutschte unwillkürlich ein Stückchen von ihm weg. Er aber lachte nur. "Ich sehe schon, du bist von der schüchternen Sorte." Er grinste. "Du brauchst wirklich keine Angst zu haben, ich geh dir nicht an die Wäsche. Aber ich stehe heute Abend ganz zu deiner Verfügung. Wenn du tanzen willst, ich bin ziemlich gut - sonst würde Mutter Mia mich auch ganz schnell rausschmeißen. Wenn du etwas trinken willst, dann hole ich es für dich. Wenn du eine Frage hast oder irgendeinen Wunsch, dann werde ich mein möglichstes tun, dir eine Antwort zu liefern oder den Wunsch zu erfüllen." Er breitete die Arme aus. "Ich werde alles tun, was du willst. Dafür bin ich da." Er blinzelte mir zu. "Und wenn dir nicht bald etwas einfällt, werde ich das übernehmen, oder Mutter Mia macht mir die Hölle heiß." Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. Er wirkte so ernst und zugleich so unbekümmert. Außerdem er hatte die Karten auf den Tisch gelegt, ich wusste also, woran ich war. Irgendwie hatte ich sogar das Gefühl, es würde Spaß machen, so umsorgt zu werden. Und ich hatte mich tatsächlich etwas einsam gefühlt. "Also gut, tanzen würde mir gefallen." Micha verbeugte sich vor mir. "Dann darf ich um diesen Tanz bitten, Mylady?" Der Schalk glitzerte in seinen Augen, und ich stimmte lachend, wenn auch etwas schüchtern zu. "Eines finde ich merkwürdig." meinte ich, nun doch neugierig geworden, als wir zu einer langsamen, erhabenen Melodie tanzten. Micha war ein verflucht guter Tänzer. "Und das wäre?" "Das hier ist ein Bordell, aber es sieht nicht so aus." "Warst du schon mal in einem?" "Ich? Nein!" rief ich schockiert, und wurde dann rot. "Ich meine, ich..." "Schon gut, spar dir die Antwort. Der Grund ist ganz einfach - das hier ist keins." "Wie? Aber..." "Das hier ist nicht mehr als eine normale Schenke, wo sich die Leute zum trinken, tanzen und Spaß haben treffen. Das, was du dir unter Bordell vorstellst, ist ein paar Zimmer weiter. Siehst du die Tür dort?" Er deutete auf die Tür, durch die Goldherz vorhin gekommen war. "Dahinter liegt das, was wir den ,Flirt-Raum' nennen. Der Ort für die jungen Leute, frisch verliebte und solche, die sich verlieben wollen." "Oh!" Ich lächelte "Wo ich herkomme nennt man das wohl Disco." "Ein komisches Wort. Wie dem auch sei. Noch einen Raum weiter ist dann das, was du dir unter einem Bordell vorstellst. Spärlich bekleidete Männer und Frauen - Mutter Mia achtet da sehr auf der Gleichberechtigung, nicht zuletzt wegen ihr selbst - und erotische Tänze. Ich bin da übrigens auch manchmal", raunte er mir ins Ohr. "Und die jungen Frauen freuen sich jedes Mal, wenn ich die Hüllen fallen lasse." Ich merkte, wie ich schon wieder rot wurde. "Tut mir leid, wenn ich dich verlegen mache." "Nein schon gut. Eigentlich... Ach vergiss es." < Eigentlich müsste mir das gar nichts ausmachen, wenn ich mir überlege, wo ich herkomme. Nackte Körper an allen Stellen. Aber ich werde trotzdem rot. Wenn Yukari so etwas gesagt hätte, wäre das bestimmt nicht passiert. Ob es daran liegt, dass ich so etwas zum ersten Mal auf Gaia höre?> Die Musik hörte auf, und wir setzten uns wieder hin. "Du tanzt gut, Hitomi." "Lügner!" erwiderte ich beschämt. "Du bist der gute Tänzer, nicht ich. Ich wäre ein paar mal fast über meine eigenen Füße gefallen." "Jetzt übertreibst du aber. Das liegt nur daran, dass du den Tanz nicht kennst. Aber leider werden wir in der nächsten Stunde nicht zum üben kommen, so lange ist Pause." "Eigentlich schade. Es hat gerade so viel Spaß gemacht." "Dann können wir nach nebenan gehen. Vorausgesetzt, dir machen ein paar verliebte Pärchen, die eng umschlungen tanzen nichts aus." Ich überlegte. "Nein, eigentlich nicht." "Dann komm." Er bot mir wieder die Hand, und ich ließ mich von ihm davon führen. Er hatte Recht. Das hier war wirklich wie eine Disco. Ich bekam sogar Heimweh, aber das vertrieb Micha schnell. Er ließ mir einfach keine Zeit zum Denken. Wir tanzten, und er zeigte mir dabei so einiges, dass ich nichts kannte. Anderer Planet, andere Tänze. Aber auch so war er ein fantastischer Gesellschafter. Er erzählte Anekdoten und Witze, streute das ein oder andere Kompliment ein - die meisten so offensichtlich übertrieben, dass ich mir manchmal das Lachen nicht verkneifen konnte - und war ganz einfach aufmerksam. Er schien mir wirklich die Wünsche von den Augen ablesen zu können. Auch jetzt erkannte er vor mir, dass ich langsam von Tanzen erschöpft war und steuerte mich unauffällig in Richtung Bar. Als ich dann tatsächlich merkte, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte, saß ich schon fast auf einem Stuhl. "Bin ich vielleicht erledigt!" seufzte ich. "Aber du bist wunderschön, wenn du müde bist", schmeichelte Micha schmunzelnd und stellte ein Glas vor mich hin. Ich schaute stirnrunzelnd auf die rote Flüssigkeit darin. "Trinkst du keinen Wein?" fragte Micha überrascht. "Doch, nur..." Ich erinnerte mich an eine bestimmte Episode in Pallas, auf die ich nicht gerade stolz war. "Keine Sorge, das ist nur verdünnter. Auch da ist Mutter Mia ziemlich resolut. Wer sich wirklich betrinken will, ist hier falsch." "Dann ist ja gut", erwiderte ich, und nahm vorsichtig einen Schluck. Ja, der Wein war verdünnt. Aber trotzdem gut. Jetzt konnte ich mir auch vorstellen, was in den Fässern war, die ich gesehen hatte. Mutter Mia schien ja überall auf Qualität zu achten, auch bei ihren... Errötend drehte ich den Kopf von Micha weg. Da sah ich, wie Goldherz auf die Bühne trat, die an der selben Wand war, wie im ersten Raum, sozusagen Rücken an Rücken. "Nanu?" hörte ich Michas verwunderte Stimme hinter mir. "Sie muss in ziemlich nachdenklicher Stimmung sein, sonst würde sie nicht hier spielen." Tatsächlich begann Goldherz mit einer schweren, getragenen Melodie. Ihre melancholischen Töne ließen die Gespräche und das Gelächter verstummen. Die Töne flossen aus ihrer Flöte heraus und hüllten uns ein, wickelten uns in einen schweren, aber warmen Umhang. Ich versank in der Melodie, die irgend etwas in meinem Herzen rührte, und dieses etwas nicht mehr losließ... "Nein, ich bin heute den ganzen Abend ausgebucht, tut mir leid. Ja, sie." Ich drehte mich um. Sprach Micha über mich? Die Melodie hatte aufgehört, aber ich war noch eine Weile in Gedanken versunken geblieben, und hatte so nicht mitbekommen, wie ein Mädchen an Micha heran getreten war. Das Mädchen blinzelte mir zu, und sagte schmunzelnd: "Na dann noch viel Spaß mit ihm. Es passiert selten, dass er sich den ganzen Abend um eine Person kümmert. Ich hoffe, du amüsierst dich gut." Sie drahte sich um, und ging zu ihren Freundinnen. "Das war...", Micha grinste, "Michaela. Ein sehr beliebter Name, oder? Erst Michael, dann Micha, und jetzt Michaela. Nicht sehr einfallsreich die Leute." "Was wollte sie?" "Fragen, ob ich Zeit für sie habe. Sie ist sozusagen meine Stammkundin. Bis vor einem halben Jahr hat sie gehofft, dass es mehr wird - na ja, typische Schwärmerei halt. Du kennst das sicher auch." Ich fragte mich kurz, ob ich beleidigt sein sollte, aber ich konnte nicht, selbst wenn ich gewollt hatte. Er hatte es mit einer solchen Selbstverständlichkeit gesagt, als ob das etwas ganz natürliches war... Aber das war es wohl auch. Ich schüttelte verwirrt den Kopf. Ich hatte wohl zuviel Wein getrunken- auch wenn es nur verdünnter war.. "Willst du an die frische Luft?" fragte Micha, und bewies einmal mehr, dass er in der Tat im Stande war, meine Wünsche zu erraten. "Ja, ich glaube, das wäre ganz gut." "Hier lang." Er führte mich durch einen kurzen Gang, der in den Innenhof der Gebäudeanlage führte. Ich konnte den schweren Duft von Rosen und vielen anderen Blumen riechen. Vereinzelte Lampen erhellten die Anlage ein wenig, die fast wie ein Irrgarten wirkte, so hoch wuchsen hier Sträucher und andere Pflanzen. "Weißt du, ihre Schwärmerei endete, als sie ihren jetzigen Freund traf, aber der ist auf Reisen, das ist Teil seiner Lehre. Das hat sie sehr traurig gemacht, und ich soll sie nun trösten. Das ist übrigens der Hauptgrund, warum Mutter Mia nicht gegangen ist, obwohl sie es hätte machen können. Sie hat den Mädchen nicht nur eine neue Art zu leben gezeigt, sondern auch eine neue Einstellung. Neben denen, die einfach nur etwas fürs Bett suchen - wofür niemand mehr verpflichtet ist, jeder Freier kann abgelehnt werden - gibt es auch eine Menge Leute, die einfach nur ihre Sorgen vergessen wollen. Tja, und statt ihren Körper, verkaufen die meisten Mädchen jetzt ihre Anwesenheit. Sie hören zu, spielen allein für eine einzige Person auf ihrem Instrument oder erzählen sogar Geschichten. Du würdest dich wundern. Aber das verrückteste ist, es hilft den Menschen tatsächlich." Er schwieg eine Weile, und auch ich sagte kein Wort, während wir so dahin schlenderten. Das kam mir einfach zu... unglaubwürdig vor. "Nein, ich muss mich korrigieren. Das verrückteste ist eigentlich, dass oft für diese Dienste gar kein Geld verlangt wird, die Leute aber trotzdem zahlen. Wir verdienen mit dem Barbetrieb und den Münzen für die Musikerinnen genug, um uns über Wasser zu halten. Wir sind ziemlich genügsame Leute. Dann sind da noch die handwerklichen Dinge, die wir herstellen und verkaufen. Nicht viel, aber alles ausgezeichnete Qualität." Micha lachte und deutete auf eine Bank. Ich nickte und setzte mich. "Du würdest dich wundern, Hitomi, was aus den ehemaligen Sklaven hier geworden ist." "Du bist keiner?" "Nein, ich bin erst vor einem Jahr in diese Stadt gekommen. Und schon damals habe ich gestaunt. Fast jeder von ihnen hat ein künstlerisches Talent entdeckt. Ich glaube, in jedem Menschen steckt ein Künstler. Wir haben Maler, Bildhauer, Töpfer und noch vieles mehr. Wir backen auch unser eigenes Brot, und manche Leute kommen nur deswegen manchmal vorbei. Wenn man darüber nachdenkt, ist es wirklich lustig. Das, was wirklich noch ein Bordell ist, ist der kleinste Teil von allem. Und bemerkenswert finde ich auch, dass die Sklaven noch so viel Mitgefühl für andere übrig haben. Sie sind nicht abgestumpft, wie man es vielleicht erwarten könnte, im Gegenteil. Das war am Anfang nicht so, wenn ich an die Geschichten denke, die sich die ehemaligen Sklaven so erzählen. Aber dann hat Keel - du weißt, wer das ist?" Ich nickte. "Dann hat er ein kleines Mädchen mitgebracht. Er hat alle zusammen gerufen, und dann hat das Mädchen auf einer Blockflöte zu spielen begonnen. Ab da unterscheiden sich die Geschichten, aber alle sind sich einig, dass dieses Ereignis sie verändert hat. Einige haben erzählt, sie hätten noch Wochen danach bei dem leisesten Flötenton zu weinen angefangen. Wenn ich mich nicht irre, ist Blinx damals mit dem Mädchen und Keel gegangen. Weißt du, wenn ich es nicht von jedem hören würde, würde ich die ganze Geschichte gar nicht glauben. Mache behaupten sogar, das Mädchen wäre eine Göttin gewesen, aber das ist natürlich Unsinn. Es gibt keine Götter." Ich schmunzelte. Ich wusste, wer das kleine Mädchen war, das Keel da mitgebracht hatte. Und wie Blinx zu den Tihani gekommen war. Das passte irgendwie zu Flöte. Sich möglichst nicht direkt einmischen, und wenn doch, die größte Wirkung mit der geringstmöglichen Aktion zu erreichen. Micha sah mein amüsiertes Lächeln. "Du glaubst mir nicht." stellte er fest. "Aber ich mache dir keinen Vorwurf, wie gesagt, ich kann es ja auch kaum glauben." "Oh doch, ich glaube dir!" widersprach ich ihm. "Mehr, als du denkst." Er schaute mich zweifelnd an, kam aber dann anscheinend zu dem Schluss, das ich nicht log. "Nun gut. Aber nachdem ich nun so viel erzählt habe, möchte ich auch mal etwas über dich erfahren. Ich weiß ja nicht mehr von dir als deinen Namen." Schlagartig war meine gute Stimmung verflogen, als ich wieder daran erinnert wurde, weshalb ich hier war. Micha zuckte regelrecht zusammen. "Vergiss es, Hitomi. Wenn du es nicht erzählen willst, dann musst du es auch nicht. Niemand hier muss von seiner Vergangenheit mehr erzählen als er möchte, und das gilt ganz gewiss auch für dich." "Es ist nicht so, wie du denkst. Aber ich bin hier, weil ich jemandem helfen will, und statt das zu tun, sitze ich hier mit dir..." "Dieser jemand... du musst ihn sehr lieben." Ich sah Micha überrascht an, aus dessen Augen auf einmal ein fast überwältigendes Mitgefühl auf mich einstürzte." "Ich habe es in deinen Augen gesehen. So viel Liebe, und zugleich so viel Schmerz... Ich bin mir sicher, wenn du ihm im Moment helfen könntest, würdest du nicht hier sitzen, oder?" Ich holte tief Luft. "Ja, das stimmt. Der Mann, zu dem ich muss, kommt erst morgen wieder in die Stadt." "Doch nicht etwa Harlan Vandegaard?" fragte Micha erschrocken. "Doch! Aber wie kommst du auf den Gedanken..." "Hör mir zu Hitomi", seine Stimme war plötzlich hart wie Stahl, "dieser Mann wird dir nicht helfen. Nichts auf der Welt könnte ihn dazu bringen, etwas umsonst zu tun. Und wenn er der einzige ist, der dir, warum auch immer, helfen kann, dann wird er einen so hohen Preis von dir verlangen, dass du ihn sicherlich nie zahlen könntest, nur um dich leiden zu sehen." "Das kann nicht sein!" rief ich erschrocken. "Er kann doch nicht so grausam sein! Was nützt es ihm, Geld zu verlangen, wenn es niemand bezahlen kann "Er hat genug Geld. Ihm gehörte früher das Bordell, und wenn er nicht durch Intrigen, Erpressung und Bestechung von allen einflussreichen Leuten in der Gegend geschützt würde, hätte Keel ihm damals sicher den Kopf abgeschlagen. Aber so reichte es leider gerade dazu aus, ihn zu zwingen, Mutter Mia alles hier zu überschreiben, und sich aus der Stadt zurück zu ziehen. Er wohnt jetzt ein paar hundert Meter außerhalb der Stadtgrenzen, auf der anderen Seite." "Aber ich dachte, der Stadthalter..." "Nein, der hat nur den Sklavenhandel gemacht, auch wenn Vandegaard sein Hauptabnehmer war." "Ich brauche aber etwas, das er besitzt", sagte ich verzweifelt, und spürte, wie ich einmal mehr unsicher wurde. "Hey, Hitomi, keine Sorge." Micha zog mich an sich ran, und umarmte mich. Erschrocken hielt ich die Luft an. "Es gibt immer einen Weg. Du wirst es schaffen, da bin ich mir sicher." Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Er schien auch keine Antwort zu erwarten. Er drückte mich einfach nur an sich, so fest, dass ich seinen Herzschlag hören konnte. Ein seltsames Gefühl stieg in mir hoch. So hatte ich mich nur gefühlt, wenn Van mich in die Arme nahm, so beschützend und willensstark. Eine Stärke, die ich nicht besaß. Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden, und ich anfing zu schluchzen. "Lass es raus, Hitomi. Wehr dich nicht dagegen. Lass es nur raus. Ich habe doch schon den ganzen Abend gespürt, dass dich etwas bedrückt. Etwas, das du tief in dir verschluckt hast, das du dir selbst nicht eingestehen wolltest. Lass die Barrieren fallen, und lass deinen Gefühlen freien Lauf. Hier sieht es niemand, und ich werde es niemandem sagen. Weine Hitomi, schlage mich, ganz egal, nur lass es raus aus dir, oder es wird dich auffressen. Hier und jetzt darfst du schwach sein. Lass es einfach nur raus." Das tat ich. Ich klammerte mich an ihn und meine Tränen flossen über mein Gesicht in sein Hemd. Minutenlang weinte ich all die Anspannung, all die Ängste und Sorgen aus mir heraus. *** "Das ist sein Haus?" fragte ich Micha, als wir vor dem Tor zu dem Großen Anwesen standen, zu dem er uns gebracht hatte. In einer Parkähnlichen Anlage stand ein Haus, das ich eher ein Schloss genannt hätte. "Ja, es ist schon seit drei Generationen im Besitz dieser Familie. Und schon immer war die Familie nicht sehr beliebt." Er drehte sich zu uns, und schaute mir in die Augen. "Ich werde hier warten. Es wäre nicht sehr gut, wenn Harlan mich sieht. Aber auch so glaube ich nicht, dass er dir gibt, was du willst." "Du willst was? Das soll wohl ein Witz sein!" Harlan Vandegaard sah nicht wie ein Mensch mit Humor aus. Seine Augen sprühten im Gegenteil eine Verachtung für alle außer sich selbst aus, die seinesgleichen suchte. Jetzt verstand ich, warum Micha gemeint hatte, Vandegaard würde mir niemals den Seelenrubin geben. Er schien eher ein Mensch zu sein, der ihn zerstören würde, bevor ich ihn bekam. "Wir wollen ihn ja nicht für immer!" rief ich verzweifelt dem Mann zu, der vor mir auf einer Art Thron saß. Er empfing seine Besucher tatsächlich in einem prunkvollen, überladen wirkenden Raum, in dem er erhöht gegenüber der Tür saß. "Nur für ein paar Tage." "Ich sagte nein!" schrie er. "Schaff sie hier raus! So eine Unverschämtheit! Sei froh, dass ich heute meinen guten Tag habe, und dich so einfach gehen lasse!" Seine Wachen zogen uns im Eiltempo aus dem Raum, und nur zwei Minuten später stand ich wieder vor seinem Haus, niedergeschlagen und verzweifelt. *** "Das war nicht anders zu erwarten", meinte Mutter Mia traurig. Ich war mit Blinx, Micha und Mutter Mia in mein Zimmer gegangen, wo wir nun trübsinnig dasaßen. "Vandegaard ist und bleibt ein Scheusal. Aber wenn ich ehrlich sein soll, hätte ich so etwas Wertvolles auch nicht jedem Fremden mitgegeben, der mich darum bittet." "Aber ich habe doch sogar angeboten, dass eine von seinen Wachen mitkommt und den Rubin behält, bis wir ihn brauchen, und ihn dann sofort wieder mitnimmt." "Ja, und auf seine Frage, wozu und wie lange du ihn brauchst, konntest du keine genaue Antwort geben, Hitomi." warf Blinx dazwischen. "Ist doch egal wozu, und ob eine Minute oder eine Stunde." "Nein, ist es nicht. In einer Stunde kann man einer Fälschung durchaus den letzten Schliff geben, wenn sie vorher schon so ziemlich wie das Original aussah." "Du meinst, er hat geglaubt, wir würden den Rubin gegen eine Fälschung austauschen?" "Ich weiß nicht, was er gedacht hat, und ich will es mir auch gar nicht erst vorstellen. Fakt ist: Wir haben den Rubin nicht von ihm bekommen, brauchen ihn aber immer noch unbedingt, und das so schnell wie möglich." "Mutter Mia! Mutter Mia!" hörten wir jäh eine Frauenstimme, und gleich darauf wurde die Tür zu aufgestoßen. "Mutter Mia!" keuchte die Frau, die ich als eine der Musikerinnen von gestern wiedererkannte. "Ihr werdet nicht glauben, wer gerade gekommen ist!" "Ich glaube eine ganze Menge, Mädchen. Am besten, du sagst mir wer, und ich sage dir dann, ob ich dir glaube." "Äh... ja. Es ist..." Die Frau holte tief Luft, machte eine Pause, um die Spannung zu erhöhen, und schaute uns noch einmal schnell an, ob wir auch alle auf sie achteten. "Nun red schon, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit." Die Frau verzog das Gesicht, weil so ihr Auftritt ruiniert war, und sagte dann fast mürrisch: "Es ist Keel. Keel ist gerade gekommen." Eine Sekunde lang herrschte Schweigen. Dann fragten wir alle wie aus einem Mund: "Keel?" Die Frau nickte heftig. "Ja, er kam auf seinem Pferd, brachte es in den Stall, und setzte sich dann unten an einen Tisch. Und dann bin ich hier hoch gerannt. Ihr hab zwar gesagt, ihr wollt nicht gestört werden, aber..." "Schon gut Kind. Wenn es wirklich Keel ist, war das richtig. Aber das glaube ich wirklich erst, wenn ich es gesehen habe." Mutter Mia war während dieser Worte aufgestanden und drängte sich nun an der Frau vorbei, wir anderen alle hinterher. Konnte das wirklich sein? Sollte Keel ausgerechnet jetzt hier auftauchen? Das wäre ein mehr als nur unwahrscheinlicher Zufall, das wäre fast ein Wunder. Keel hatte Vandegaard schon einmal eine Niederlage eingebracht, vielleicht konnte er mir jetzt helfen, den Rubin der reinen Seele von ihm zu bekommen. Wir rannten alle zusammen die Treppe herunter, und tatsächlich! Dort saß Keel an einem Tisch, umlagert von einem halben Dutzend Mädchen, sowie dem Koch Koren, der ihm gerade höchstpersönlich einen Humpen Bier brachte. Es war eindeutig Keel, diesen verschlossenen Gesichtsausdruck, der durch die Narbe auf seine Stirn noch betont wurde, gab es wahrscheinlich nur einmal auf der Welt. "Keel, du Miststück von einem Schlendrian!" rief Mutter Mia, und ich blieb so verblüfft stehen, dass Blinx gegen mich rannte. So hatte ich noch niemanden mit Keel reden hören, und ich konnte mir auch keinen vorstellen, der sich trauen würde, so mit ihm zu reden. Nicht einmal Van, und der sagte viel, wenn er wütend war. "Wie kannst du es wagen drei Jahre einfach zu verschwinden, den armen Blinx in was weiß ich für Schwierigkeiten zu bringen, und dann einfach so ohne Vorwarnung hier aufzutauchen?" "Ihm geht's doch gut, oder?" fragte Keel ruhig und schaute in unsere Richtung. "Und er hat sogar noch jemanden mitgebracht. Hallo, Hitomi! Schön dich zu sehen. Was für eine Überraschung! Ich wusste gar nicht, das du in der Gegend bist." Mit Gegend meinte er wohl Gaia, aber überrascht wirkte er nicht, im Gegenteil. Er schien die Ruhe selbst. "Ihr kennt euch?" fragte Mutter Mia überrascht. "Flüchtig! Wir haben gemeinsame Bekannte", antwortete Keel und stand auf. Er trat auf Mutter Mia zu, die den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm aufzusehen. Dann, urplötzlich, griff er nach ihr, zog sie an sich ran und küsste sie. Ich konnte selbst von hier sehen, wie ihre Augen herauszufallen schienen, aber sie wehrte sich nicht. Im Gegenteil, sie legte die Arme um Keel und ließ ihn erst nach einer ganzen Weile wieder los. Dann standen die beiden da, sahen sich an, und niemand im ganzen Raum sagte ein Wort oder schien auch nur zu atmen. Alles wartete darauf, welche Überraschung jetzt kommen würde. Immerhin war Mutter Mia sprachlos, du das war wohl das erste Mal in ihrem Leben. Doch jetzt fand sie ihre Sprache wieder, wenn auch erst beim dritten Versuch und einem heftigen Räuspern. Dafür donnerte ihre Stimme dann aber um so lauter. "Was steht ihr hier so herum?" fuhr sie die neugierigen Gaffer an. "Habt ihr nichts zu tun? Nun macht aber mal hin!" In Sekundenschnelle hatten alle eine Arbeit möglichst weit weg gefunden, die sie wohl den ganzen Tag beschäftigen würde. "So, und nun zu dir Keel. Ich glaube, wir haben da so einiges zu bereden. Komm doch mal mit." Sie packte das Muskelpaket von einem Mann an seinem linken Ohr und zog ihn hinter sich her. "Wir reden später weiter", rief sie uns noch zu, dann war sie auch schon an uns vorbei, auf dem Weg zu ihrem Zimmer. "So ist das also", brummte Keel, nachdem Mutter Mia ihn freigelassen hatte, und er sich anschließend erst mal bei einem ordentlichen Mittagessen erholt hatte. Nun saßen er, Mutter Mia, ich und Blinx in meinem Zimmer. "Der Rubin der reinen Seele. Ja, ich kann mich dunkel daran erinnern. Und ausgerechnet Vandegaard hat ihn? Ich hätte ihn damals doch umbringen sollen." "Hör auf, so etwas zu sagen!" widersprach ich. "Niemand hat den Tod verdient, egal aus welchem Grund. Es gibt immer eine andere Möglichkeit." "Ich bin anderer Meinung als du, was den Tod betrifft. Was die andere Möglichkeit angeht - ja, die gibt es. Aber ob sie auch akzeptierbar ist, ist eine ganz andere Frage. Leider kann ich gegen Vandegaard nichts ausrichten. Er sitzt zu fest in seinem Sattel. Außerdem haben Leute wie er immer einen Vergeltungsfond. Wenn ihm etwas passiert, wird automatisch ein Kopfgeld auf seine Feinde ausgesetzt. Im Fall von Mutter Mia und mir dürfte das groß genug sein, um so manche dunkle Gestalt anzulocken." "So etwas gibt es wirklich?" Ich hatte schon von so etwas gehört, dachte aber, das gäbe es nur im Film. Ich musste wohl noch so einiges über das Leben lernen. "Du würdest dich wundern, was es so alles gibt, Hitomi." Keel klopfte nachdenklich auf den Tisch. "Ich glaube, es gibt nur eine Möglichkeit, dir den Rubin zu besorgen." "Ach ja, und welche?" spottete Mutter Mia. "Hast du schon vergessen, dass sie ihn heute schon darum gebeten haben? Verkaufen wird er ihn ja nicht." "Davon redet auch keiner. Ich rede von der Möglichkeit, ihn zu stehlen." "Ihn zu stehlen???" fragten alle durcheinander. "Ja! Anders bekommen wir ihn nie. Das ist sicher." "Aber wie sollen wir das anstellen?" fragte Blinx. "He! Moment mal! Wir können doch nichts stehlen!" rief ich empört, worauf mich Mutter Mia mit hochgezogenen Augenbrauen ansah, Blinx seufzte und Keel zur Decke blickte. "Blinx, Mia, würdet ihr uns bitte allein lassen?" Blinx stand sofort auf und warf Keel dabei einen "bring sie bloß wieder zur Vernunft"-Blick zu. Mutter Mia zögerte eine Sekunde länger, folgte ihm aber dann. Nachdem sie den Raum verlassen und die Tür geschlossen hatte, sprach Keel mich an. "Du hast es nicht erzählt, aber du brauchst den Rubin für Van, oder?" "Ja, aber woher weißt du das?" Keel seufzte. "Ich habe so meine Quellen. Sie wissen nicht, für wen der Rubin ist, und wer du bist?" "Bis auf Blinx, nein." "Gut! Das würde die Sache nur komplizierter machen. Hör zu Hitomi." Er fixierte mich mit seinen grauen Augen, und ich wand mich ungemütlich unter seinem Blick. "Deine moralischen Skrupel in allen Ehren, und ich muss sagen, ich bewundere dich dafür, aber sie sind hier eindeutig an der falschen Adresse. Vandegaard wird niemals den Rubin herausrücken. Es gibt keine andere Möglichkeit. Ich lasse dich jetzt allein, damit du darüber nachdenken kannst. Ich rate dir, überlege es dir gut. Ohne deine Zustimmung werde ich nichts tun. Aber wenn das stimmt, was ich über Van gehört habe, wäre es dann besser, er wäre tot." Mit diesen schrecklichen Worten verließ er den Raum, und ließ mich bekümmert zurück. Ich legte mich auf das Bett, und holte meinen blauen Anhänger heraus. Ich ließ ihn vor meinen Augen pendeln, und stellte mir Vans Gesicht vor. Sollte er leiden, nur weil ich Skrupel hatte, einem Ekel etwas zu stehlen? Aber Diebstahl bleibt Diebstahl. Ich wollte nichts stehlen, davon abgesehen, dass es auch gefährlich sein würde. Was sollte ich bloß machen? "Du kannst das Schicksal nicht nach deinem Willen zwingen. Manchmal musst du Dinge tun, Entscheidungen treffen, die dir nicht gefallen werden." "Großmutter?" fragte ich flüsternd. "Was willst du mir damit sagen? Dass ich es tun soll?" Schweigen antwortete mir, und ich seufzte. Warum musste ich die Entscheidung treffen? Alle sahen mir entgegen, als ich die Treppe herunter kam. Ich schaute ihnen zuerst nicht ins Gesicht. Ich konnte es nicht. Es war, als ob ich mich selbst verraten hatte. Niemand sprach mich an, alle schienen auf meine Entscheidung zu warten. Ich blickte auf, als ich am Tisch stand. Ja, alle warteten darauf, dass ich etwas sagte. "Wir tun es." Mehr brachte ich nicht heraus. "Du hast die richtige Entscheidung getroffen", versuchte Blinx mich zu beruhigen. "Aber ich will dabei sein!" "Hitomi! Das geht nicht!" "Wieso nicht? Ich habe die Entscheidungen getroffen, also muss ich auch die Konsequenzen tragen." "Nein!" sagte Blinx energisch. "Ich hab versprochen, auf dich aufzupassen, und da werde ich dich nicht etwas so gefährliches tun lassen." Keel schüttelte den Kopf. "Gib es auf, Blinx." "Was?" "Sie wird sich nicht umstimmen lassen. Also dann setzt dich Hitomi. Wir werden erst mal planen müssen." Er griff nach einem Blatt Papier, auf das bereits die Umrisse des Gebäudes aufgemalt waren. Anscheinend hatte er sich bereits Gedanken gemacht. Die Möglichkeit, dass er von vornherein meine Entscheidung gewusst hatte, stimmte mich nicht gerade fröhlicher. "Das ist der Grundriss. Es erscheint mir relativ einfach, von diesem Punkt aus...", er zeigte auf eine Stelle auf der, der Stadt abgewandten, Seite, "...dort einzudringen. Allerdings ist das nur der Anschein. Ich habe keine Ahnung von der Anzahl und vom Wachrhythmus der Wachen. Und was noch viel wichtiger ist: Ich weiß nicht, wo der Seelenrubin ist." "Das weiß wahrscheinlich niemand außerhalb des Hauses." vermutete Muter Mia. "Und selbst von den Angestellten nur die Wachen und nicht das normale Personal." "Die müssten aber trotzdem wissen, wo der Rubin ist, zumindest ungefähr - nämlich dort, wo keiner von ihnen hin darf." "Das betrifft ein Drittel das Hauses", sagte auf einmal eine helle Stimme hinter mir. "Goldherz!" Mutter Mia blickte streng. "Wir wollten doch nicht gestört werden." "Ich weiß. Aber ich will Hitomi helfen. Und wenn es diesem Vandegaard schadet, um so besser." Ich war erschrocken, dass so ein junges Mädchen jemanden schon so hassen konnte, vor allem Goldherz, die ihren Namen nicht umsonst hatte. Dann fiel mir wieder ein, dass sie ja als Sklave hierher gekommen war. Und Vandegaard sie gekauft hatte. "Goldherz." Mutter Mia runzelte die Stirn. "Vielleicht fragst du mal Hal. Der müsste eigentlich über alles Bescheid wissen." Goldherz erschrak und wurde rot. "Hal? A...aber den habe ich seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Du weißt doch, sein Vater..." "Hör auf. Ich weiß doch, dass du ihn heimlich triffst. Denkst du, mir ist nicht aufgefallen, wie du dich schon seit zwei Monaten immer mal wieder wegstiehlst?" Goldherz schnappte nach Luft, unfähig, sich so schnell etwas auszudenken. "Ja, es stimmt. Aber das kann ich nicht tun! Wenn Harlan herausfindet, dass Hal ihn verrät, dann bringt er ihn um, ob er sein Sohn ist, oder nicht!" "Sein Sohn?" rief ich überrascht. Mutter Mia seufzte. "Ja, Hal ist Harlans Sohn. Leider. Und als Harlan herausgefunden hat, dass sein Sohn Freundschaft mit Goldherz geschlossen hat, hat der arme Kerl nicht nur Prügel gekriegt, sondern auch das strickte Verbot, sie jemals wiederzusehen." "Und deswegen werde ich auch nicht von ihm verlangen, etwas gegen seinen Vater zu machen. Der bringt ihn um!" "Nein, wird er nicht!" mischte sich Keel ein. "Weil er es nicht herausfinden wird. Du hast ihn also schon seit Monaten heimlich getroffen. Gut! Daran wird sich auch nichts ändern. Nur, dass er dir diesmal genau beschreiben wird, wo der Rubin des heiligen Blutes ist. Und das Muster der Wachen. Mehr nicht. Er brauch ja nicht erfahren, warum." "Wie könnt ihr nur so herzlos sein! Ihm nichts sagen! Ich soll ihn also ausnutzen, ja? Vergesst es. Niemals!" "Aufhören!" schrie ich. "Wie könnt ihr so etwas nur verlangen? Er soll jemandem verraten, wie sein Vater bestohlen werden kann!" "Pah, der mag seinen Vater sicher genauso wenig wie wir!" meinte Mutter Mia, aber ich sprach weiter. "Und dann wollt ihr auch noch Goldherz dazu überreden, ihn dazu zu bringen! Wenn ihr das tut, seid ihr auch nicht viel besser als dieser Vandegaard, wenn ihr andere nur ausnutzt!" Das hatte gesessen. Mutter Mia und Blinx schauten betreten weg und Keel kratzte mit einem Stift auf dem Papier herum. "Hitomi?" fragte Goldherz auf einmal zaghaft. "Ja?" "Das ist dir sehr wichtig, oder?" "Was?" fragte ich irritiert. "Dieser Rubin." Ich atmete tief durch. "Ja, das ist er. Mehr als alles andere. Aber wir werden einen anderen Weg finden. Und wir werden ihn auch nicht stehlen. Es war ein Fehler, mich dafür zu entscheiden. Es ist einfach nicht richtig." "Du irrst dich Hitomi." "Wie?" "Es gibt keinen anderen Weg", antwortete Goldherz betrübt. "Den Rubin zu stehlen, ist der einzige Weg, auf den du ihn bekommen kannst. Und ich werde Hal fragen, ob er dir hilft." "Goldherz!" "Nein, sag nichts. Wenn jemand wie du ihn bekommt, ist es richtig so. Ich werde ihn fragen, aber ob er dir hilft, kann ich nicht sagen. Es ist gut möglich, dass er zu viel Angst vor seinem Vater hat. Sonst würde er es sicher tun. Aber so..." Es war schon später Nachmittag, als Goldherz zurückkam. Sie wirkte nicht sehr glücklich, als sie mir das Blatt Papier wiedergab, auf dem Keel den Grundriss gezeichnet hatte. "Hier Hitomi. Er hat alles aufgeschrieben, was er wusste. Er wird heute im ersten Stock ein Balkonfenster offen lassen, so dass ihr rein könnt. Die Position des Rubins ist eingezeichnet, aber es gibt keine Fallen, von denen er weiß. Er hat aber gesagt, dass es mehrere geben muss." "Danke Goldherz." "Danke nicht mir. Ich habe nichts getan. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt..." Mit schweren Schritten schleppte sie sich die Treppe hinauf. "Ich werde mal nach ihr sehen", meinte Mutter Mia schließlich. "Kümmert ihr euch um den Plan. Davon verstehe ich sowieso nichts." Sie tat, was sie gesagt hatte, und ging Goldherz nach. "Entweder es ist ihr doch schwerer gefallen, als sie gedacht hatte", sagte Blinx leise, "oder es ist etwas passiert, dass sie nicht erwartet hat. Ob sie sich gestritten haben? Nein, bleib hier Hitomi!" Ich war schon aufgestanden, und sah ihn nun an. "Aber wieso? Es ist meine Schuld..." "Du kannst jetzt nichts machen. Glaub mir, ich kenne sie, schon vergessen? So wie sie jetzt ist, lässt sie höchstens Mutter Mia an sich ran. Nicht mal ich könnte jetzt zu ihr durchdringen, und ich war ihr bester Freund, als ich noch hier gelebt habe. Setzt dich lieber wieder hin, und hilf uns mit dem Plan." Nach einem Moment des Zögerns setzte ich mich. Blinx hatte sicher Recht. Vielleicht konnte ich in ein paar Stunden mit ihr reden. Ich fühlte mich sehr schlecht, dass ich sie zu so etwas gebracht hatte. "Knapp vier Minuten. Er hatte Recht. Wir müssen uns beeilen. Seid ihr bereit Hitomi, Blinx?" fragte uns Keel flüsternd. Ich nickte. Wir warteten noch, bis die Wachen um die Gebäudeecke gegangen waren, dann rannten wir so leise wie möglich los. Das war schwer, denn im schwachen Mondlicht war nicht viel zu erkennen und wir konnten kaum erkennen, auf was wir traten. Blinx war lange vor uns da und begann schon den Balkon zu erklettern. Er hatte einen Wurfhaken nach oben geworfen, der sich gleich beim ersten Versuch mit einem dumpfen Schlag im Geländer verfangen hatte. Wieselflink kletterte er an dem Seil empor, versicherte sich, dass es oben fest genug verankert war, und winkte dann. Keel hob mich hoch als ob ich nichts wiegen würde, dann musste ich mich nur noch einen halben Meter nach oben ziehen, und ich konnte nach dem Balkon greifen. Blinx half mir ebenfalls nach oben, während Keel behände am Seil hinauf kletterte, und schon oben war, als ich noch über das Geländer kletterte. "Beeilung!" flüsterte er und schwang sich auf den Balkon. Blinx holte schnell das Seil hoch, als auch schon die Wachen wieder kamen. Wir legten uns auf den Balkonboden, so dass sie uns von unten nicht mehr sehen konnte. Als sie wieder verschwunden waren, versuchte Blinx vorsichtig die Glastür zu öffnen. Sie war tatsächlich nicht verschlossen. "Los, kommt rein! Aber vergesst nicht, die andere Türseite quietscht." Auch Keel und ich betraten das Haus, und Blinx lehnte die Balkontür wieder an. Sie war so gebaut, dass sie zufiel, sobald sie nicht mindestens halb geöffnet war, und ein herabfallender Riegel sie verschloss. Doch ein kleines, aber ziemlich stabil wirkendes Stückchen Zweig hatte sich "rein zufällig" so zwischen Tür und Rahmen gelegt, dass die Tür nicht ins Schloss fiel, sondern dass es nur so aus sah, als wäre sie geschlossen. Ich hatte den Verdacht, dass Hal das nicht zum ersten Mal gemacht hatte. Wir schlichen durch das Gebäude. Einmal kamen wir direkt über einer Wache entlang. Mir wurde mulmig. Wenn die uns entdeckte... Aber warum hatte Vandegaard eigentlich so viele Wachen? Gut, er war reich, aber hier tummelten sich ja fast mehr Soldaten als in Fanelia. Ich seufzte traurig, als ich an Fanelia und Van dachte, was mir eine pelzige Hand auf meinem Mund und einen wütenden Blick einbrachte. Dann blieben wir stehen, Keel hockte sich hin und hielt einen Spiegel um die Ecke, hinter der Fackelschein uns die Anwesenheit von jemandem verraten hätte, wenn Hal das nicht schon aufgeschrieben hätte. Keel hielt den Spiegel dicht über dem Boden, weil dort die Wachen nicht zuerst hinsahen. Der Spiegel war geschwärzt. "Selbst wenn sie ihn sehen, halten sie den Spiegel mit etwas Glück für eine Ratte, wenn ich ihn schnell genug wegnehmen kann, und sie nur die Bewegung sehen", hatte Keel noch gesagt, um mich zu beruhigen, hatte aber eher das Gegenteil erreicht. Vor allem, weil es mich an meinen nun folgenden Auftritt erinnerte. Vorsichtig zog er den Spiegel wieder zurück. Vor der Tür sind zwei bedeutete er, und dass wir nach Plan vorgehen sollten. Das hieß, für mich kam hier der unangenehmste Teil. Ich hatte mich erst geweigert, aber dann hatte Keel grinsend gesagt: "Wenn du mitkommen willst, musst du auch etwas tun. Wir können nicht noch jemanden mitnehmen, und die alten Tricks sind immer noch die besten. Der alte Trick war der "Lenke die Wachen durch ein Mädchen ab"-Trick. Immerhin hatte es mir erspart, mir das Gesicht und alle freien Hautstellen mit Lampenruß einreiben zu müssen. Aber lieber das, als diese Verkleidung. Ich trug das Nachthemd eines Dienstmädchens, das allerdings einen sehr engen und körperbetonenden Schnitt hatte, und einen leicht durchschimmernden Stoff. Eine Leihgabe des sehr reichhaltigen Kleiderfundus von Mutter Mias Bordell. "Manche Männer stehen auf so etwas", hatte sie mit einem bedeutsamen Blick zu Keel gemeint, der doch tatsächlich rot geworden war und etwas von jungen Dingern und alten Weibern gemurmelt hatte, woraufhin Mutter Mia nur verächtlich geschnaubt hatte. Ich nickte den beiden zu, die sich in Position stellten, setzte einen verängstigten Gesichtsausdruck auf und rannte dann um die Ecke. Scheinbar überrascht blieb ich stehen. "Gott sei Dank!" sagte ich laut, aber nicht so laut, dass man es auch woanders hören konnte. Die Wachen sahen sich an, und einer von ihnen fragte dann misstrauisch. "Wer bist du? Ich habe dich noch nie gesehen." Sie kamen beide ein paar Schritte näher, die Speere in den Händen. "Mein Name ist Anya. Ich bin die Vertretung von Natalya, sie ist meine Kusine." Das hatten wir auch von Hal. Er hatte gemeint, dass noch niemand Anya kannte, da sie aus dem Nachbarort kam, und auch erst gegen Abend eintreffen würde. Wir konnten nur hoffen, dass die Wachen nicht durch einen dummen Zufall Anya schon begegnet waren, auch wenn Hal versprochen hatte, das nach Möglichkeit zu verhindern. Anscheinend war ihm das gelungen. "Es ist gut, ich habe davon gehört." meinte die ältere der Wachen, und die zwei entspannten sich, hielten die Speere nur noch lässig in einer Hand. "Aber was machst du hier?" "Ich habe mich wohl verlaufen, als ich von der Toilette kam", gab ich die vorbereitete Antwort, und wurde tatsächlich rot. Das aber weniger aus Verlegenheit, sondern weil mich die jüngere Wache unverhohlen von oben bis unten mit den Blicken abtastete. Nun, da ich kein "Feind" mehr war, wollte er aus einer "Freundin" wohl sehr schnell eine "enge Freundin" machen. Ich fluchte in meinem Inneren. Darum hatte Keel also gemeint, ich würde kein Problem damit haben, eine Wache um die Ecke zu locken. Er hatte damit gerechnet. Ich lächelte weiter schüchtern. "Und dann...", ich schluckte, "dann habe ich etwas gesehen." "Was denn gesehen?" fragte der jüngere, nur mühsam ein Grinsen unterdrückend. "Eine... eine Maus oder vielleicht sogar eine Ratte." Die zwei lachten, und der ältere ging wieder zu seinem Posten an der Tür zurück. "Kümmere du dich darum, aber vergiss nicht, in einer Stunde ist Ablösung." "Keine Sorge, so lange werde ich mit dem Mäuschen nicht brauchen!" Sein Grinsen, und die Art wie er das Wort "Mäuschen" aussprach waren mehr als nur eindeutig zweideutig, aber ich musste so tun, als ob ich nichts bemerkte. Ich hätte dem Kerl am liebsten eine verpasst, als er mich an sich zog und an der Hüfte packte, aber statt dessen musste ich so tun, als würde ich mich beschützt fühlen. "Also, wo ist die Maus?" "Dort, ein Stück den Gang runter habe ich sie gesehen." "Na, dann schauen wir mal nach. Und keine Angst, ich werde auf dich aufpassen." Als wir um die Ecke bogen, tat ich, als ob ich ausrutschen würde. Instinktiv ließ die Wache seinen Speer fallen, und griff nach mir. In diesem Moment, als der Speer auf den Boden fiel, gab es einen dumpfen Schlag und der Griff um mich lockerte sich. "Ist was?" fragte der ältere Kollege. Ich schaute um die Ecke und tat verlegen. "Ich bin ausgerutscht, ihr Freund wollte mich auffangen, und hat sich dabei wohl den Fuß verstaucht." Die Wache schlug sich stöhnend an den Kopf. "Nicht schon wieder. Der Junge ist aber auch ein Tollpatsch! Wartet, ich sehe mir das mal an." Kopfschüttelnd, und etwas von "Frauen bringen Unglück" murmelnd kam er heran, bog um die Ecke, und wurde genau wie sein Kollege von Keel ins Land der Träume geschickt. "Wenn du wüsstest, was für Probleme." grinste er. "Los kommt, nehmt den anderen. Wir postieren sie so, dass es aussieht, als ob sie schlafen. Solange kein anderer Soldat kommt, wird keiner, der zufällig hier lang kommt wagen sie zu wecken." Selbst mit Blinx Hilfe war es nicht leicht, den Kerl leise bis zur Tür zu tragen. Ziehen konnten wir ihn nicht, die Rüstung hätte laut über den Boden geschleift. Auch wenn man einen fallenden Speer nicht groß beachtet, außer um über den Tölpel zu kichern, ein andauerndes metallisches Schleifen war etwas anderes. "Ja, so ist gut. Jetzt wollen wir uns mal dem Schloss zuwenden." Keel holte ein kleines Etui heraus, und wählte sorgfältig unter den Dietrichen aus. "Wie oft brichst du eigentlich irgendwo ein?" fragte ich säuerlich. "Ungefähr einmal in der Woche, aber nur um in Übung zu bleiben. Richtig ernsthaft etwa alle sechs Wochen. Und jetzt sei leise, ich muss das hören können." Er schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf das Schloss. Zwei Minuten vergingen in aller Stille, in denen wir kaum zu atmen wagten. Dann schreckte uns eine Eule auf! "Das ist Dari! Jemand kommt! Schneller, Keel." "Ich habs schon." Es machte klick, und das Schloss sprang auf. "Schnell rein!" flüsterte er, und verschwand in dem schmalen Spalt, den er geöffnet hatte. Ich zwängte mich nach ihm durch, und fragte mich, wie Keel hier durch gekommen war. Dann zwängte sich Blinx durch, Keel zog die Tür heran... und hielt sie einen Millimeter weit geöffnet, als Dari ihren Ruf erneut durch die Nacht schickte. Ich starrte auf die Tür, und sah dann Keel flehentlich an. Im schwachen Schein des Lichtes von außen konnte ich sehen wie er den Kopf schüttelte und den Finger auf den Mund legte. Ich schwieg entsetzt und hielt den Atem an. Blinx hinter mir schien es nicht viel besser zu gehen, ich spürte, wie er nach meiner Hand tastete. Ich griff nach seiner und drückte sie. Dann konnte ich die Person sehen, die den Gang entlang kam. Um ein Haar hätte ich laut gestöhnt, als ich sah, was sie anhatte. Es sah dem, was ich anhatte, zum Verwechseln ähnlich. Ich wäre in dem Moment jede Wette eingegangen, dass das die wirkliche Anya war. Sie schien sich verlaufen zu haben. Ihre Blicke huschten über die Wachen, sie kicherte und rannte dann auf Zehenspitzen davon. Bestimmt würde sie spätestens morgen jedem erzählt haben, was sie gesehen hatte. Hoffentlich erzählte sie es nicht jetzt schon jemandem, der vielleicht misstrauisch werden würde. Nachdem sie verschwunden war, holte ich vorsichtig wieder Luft. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich sie die ganze Zeit angehalten hatte, und musste nun ordentlich keuchen. "Warum hast du die Tür nicht zugemacht?" fragte ich Keel zischelnd. "Deswegen!" brummte er und tat es. Ein lautes Klacken hallte durch den Raum. Ich schluckte. Das hätte sie bestimmt gehört, und dann wäre auch sie misstrauisch geworden, wenn die Wachen vor einer Tür schlafen, die sich gerade geschlossen hat. Blinx holte eine der Fackeln heraus, die er unter seinem Umhang hatte, und zündete sie mit einem Streichholz an. Er brauchte dazu mehrere Versuche, denn sie gingen wesentlich schwerer an als die Streichhölzer, die ich kannte. Der flackernde Schein erhellte die "Schatzkammer" des Harlan Vandegaard. Allerdings war der einzige Inhalt ein paar verzierte Schwerter an der Wand, und eine gläserne Vitrine auf einer Säule in der Mitte des Zimmers. Die Säule stand auf einem achteckigen Podest um das bunte Fliesen verteilt waren. In der Vitrine lag der Rubin und funkelte in gedämpftem Rot. "Seid vorsichtig! Hier sind garantiert Fallen!" warnte Keel und ging vorsichtig Schritt für Schritt in Richtung Podest. Die Fliesen darum herum erinnerten mich an etwas. "Keel, diese Fliesen..." "Ich weiß." Kurz von den Fliesen blieb er stehen. "Nummer eins. Hier ist eine Schnur quer durch den Raum. Weder belasten, noch durchschneiden." Er stieg darüber, bedeutete uns aber, weiterhin bei der Tür zu bleiben. Lediglich Blinx sollte zwei Schritte näher kommen, und die Fackel so hoch wie möglich halten. Vor den Fliesen ließ er sich auf die Knie herunter, und holte etwas aus seinen Kleidern hervor, das wie ein Hammer aussah. Behutsam klopfte er damit den Boden vor sich ab. Bei einigen zögerte er, schlug noch ein paar Mal drauf. Etwa bei einem Viertel dieser Fliesen streute er etwas Sand darauf. "Tretet auf keinen Fall auf eine Fliese mit Sand!" Langsam arbeitete er sich bis zu dem Podest vor. "Jetzt wird es gefährlich. Blinx, Hitomi, kommt her! Achtet aber auf die Schnur." Vielleicht noch vorsichtiger als er kamen wir, während er sich weiter im Raum umsah. "Hier stimmt etwas nicht." meinte er, als wir gerade über die Schnur kletterten. "Bleibt vor den Fliesen stehen!" fügte er im Kommandoton hinzu, und kam wieder zu uns. "Das Podest ist ebenfalls mit einer Falle verbunden." "Woher weißt du das?" fragte ich. Ich konnte nichts erkennen. "Schau dir mal die Mosaike an den Wänden genau an. Achte vor allem auf die schwarzen Steine." Ich tat, was Keel gesagt hatte. Erst fiel mir nichts auf, aber dann sagte Blinx zögernd: "Da sind Schatten. Schatten auf einer glatten Wand." Da sah ich, was mit den schwarzen Steinen war. "Das sind nicht alles Mosaiksteine. Einige davon sind Löcher." "Erraten. Wahrscheinlich mit vergifteten Pfeilen, die herausschießen, wenn das Podest beschwert wird." "Und wie kann man die Falle abstellen?" fragte ich ratlos. "Nichts leichter als das. Es ist im Grunde ziemlich leicht. Es gibt fast nichts in diesem Raum, das als eine Art Hebel dienen könnte. Nichts außer einem." "Die Schwerter!" raunte Blinx ehrfürchtig. "Dann müssen wir nur alle Schwerter drehen, und dann ist die Falle aus." "Höchstwahrscheinlich. Aber dann wäre wir auch erledigt." Nun waren Blinx und ich völlig verwirrt. "Aber wieso? Ich meine, wenn wir die Falle ausstellen..." "Wird Harlan das ganz gewiss durch einen Mechanismus hören, Hitomi. Es ist zu offensichtlich. Wer immer auch die Falle mit dem Podest bemerkt, dürfte sehr leicht auf den Gedanken mit den Schwertern kommen. Was wäre einfacher, als das auszunutzen, und sie für eine weitere Falle zu benutzen?" "Dann gibt es hier noch einen anderen Hebel? Einen wirklichen, und nicht so einen wie die Schwerter? Ein Stein in der Wand?" Keel überlegte. "Möglich, aber ich glaube eher nicht. Schalter in Wandsteinen sind schwer wieder in ihre richtige Position zu bringen, ohne Spuren zu hinterlassen, und Harlan will seinen Schatz sicher auch mal in den Händen spüren, wenn er ihn so schützt. Ich denke eher, dass die Schwerter die Falle ausstellen, aber irgendwo in Harlans Räumen etwas auslösen, dass ihn aufweckt. Wenn er selbst zum Rubin geht, ist das ja egal, aber wenn er es nicht ist..." "Dann dürfen wir die Podestfalle also nicht ausstellen." schloss Blinx. "Richtig! Zeit für die Geheimwaffe." Keel grinste, und holte einige Metallstangen aus seinem Mantel. Als ich die letzte sah, musste ich leise lachen. "Ein Obstgreifer! Auf die Idee wäre ich nie gekommen." "Ein was?" Keel schaute mich verwirrt an. "Ein Obstgreifer. Das da." Ich zeigte auf das Gerät, das er zusammensteckte. "Damit holt man doch Äpfel und so etwas von den Bäumen, wenn man keine Leiter nehmen will. Mit einer Schere vorne dran wird der Apfel abgeknipst, und fällt in einen kleinen Sack darunter." Blinx schaute mich stutzig an, dann Keel, der auch nur mit den Schultern zuckte. "Ich habe nie daran gedacht, den Greifarm zum Obstpflücken zu benutzen." Er schaute nachdenklich auf sein Instrument. "Aber das könnte gehen." Dann grinste er verschlagen. "Weißt du Hitomi, damit könnte man viel Geld machen." Sofort wurde er wieder ernst. "Aber darüber können wir auch später noch reden. Jetzt ist erst mal der Rubin dran." Er setzte sich hin, befestigte ein Säckchen Sand am Greifer, ließ noch etwas Sand heraus und legte sich ihn über einen Arm. Dann langte er damit über das Podest hinweg zum Rubin, der in seiner Glashülle lag und im flackernden Fackelschein wie geronnenes Blut aussah. "Ich hoffe, das ist nach all den Fallen nicht die komplizierte Ausführung, die sowohl auf Bewegungen von oben als auch von unten reagiert", murmelte er noch und ließ dann das Sandsäckchen neben das Glas fallen. "Anscheinend nicht." Murmelte er erleichtert, als sich nichts bewegte. Dann hob er das Glaskästchen hoch, und setzte es neben der Säule ab. Mit einem konzentrierten Griff schnappte Keel sich auch noch den Rubin, den er ohne das geringste Zittern, wie ich neidisch sah, zu sich holte. "Nimm ihn!" forderte er Blinx auf, der vorsichtig den Rubin aus der Greifkralle nahm, und ihn nach einem raschen Blick in seine Tasche steckte. Ich hätte ihn mir zu gerne genauer angesehen, immerhin war der Rubin der Grund, warum ich hier war, aber ich wollte genau wie Blinx und Keel nur so schnell wie möglich weg von hier. Rasend schnell hatte Keel seinen Greifer wieder auseinandergebaut und ihn in seinen Kleidern verschwinden lassen. Ich fragte mich, wie er damit so leise schleichen konnte. Die Teile schienen ihn gar nicht zu behindern. Wir waren gerade über die Schnur geklettert, und wollten die Tür öffnen, als ein kratzendes Geräusch uns herumfahren ließ. Langsam hob sich das Kissen, auf dem der Rubin gelegen hatte, und wir standen erstarrt da. Ein lauter Gong ertönte von irgendwoher im Haus und weckte uns aus unserer Erstarrung. "War wohl doch noch zu leicht. Verdammt! Lauft! Lauft so schnell ihr könnt!" schrie Keel. Das brauchte er nicht zweimal sagen. Wir waren bereits halb aus dem Raum heraus. So schnell es ging, ich noch durch meine Verkleidung behindert, rannten wir den Weg zurück, den wir gekommen waren. Kurz entschlossen zerriss ich das Kleid um die Beine herum. Die Wache an der Treppe versuchte uns aufzuhalten und bekam von Keel nur einen Schlag auf den Kopf. Das setzte den Mann zwar nur für kurze Zeit außer Gefecht, für uns aber lange genug. In fliegender Eile kletterten Keel und ich am Seil hinab, verfolgt von den Schritten der heran laufenden Verfolger. Blinx blieb oben, löste das Seil, und sprang eine Sekunde, bevor sich der Balkon mit einer Handvoll Soldaten füllte, herunter. Ich konnte die Flüche unserer Verfolger noch minutenlang hören, während wir durch den Wald rannten. In ihren schweren Rüstungen konnten sie es nicht riskieren, wie der Katzenjunge, herunter zu springen. Das würde ihnen mit Sicherheit alle Knochen im Leib brechen. Wir rannten in die Dunkelheit, stolperten über Wurzeln, die wir nicht sehen konnten, und so mancher Ast zerkratzte unsere Haut und zerfetzte unsere Kleidung. Schließlich blieben wir keuchend liegen. "Das reicht erst mal." meinte Keel atemlos. "Ich muss sagen, du kannst ganz schön rennen Hitomi. Von Blinx weiß ich das ja, er ist schließlich ein Katzenmensch, aber du..." "Training." antwortete ich knapp und versuchte zu Luft zu kommen. "Ich bin schließlich die beste Läuferin meiner Schule. Und das eben war Rekordverdächtig." Keel lachte. "Wie dem auch sei. Dali wird uns warnen, falls uns wer zu nahe kommt. Im Moment können wir uns erst mal ausruhen." Wir nahmen den Hintereingang. Im Hauptraum angekommen ließen wir uns erst mal rund um einen Tisch auf die Stühle fallen. Wir waren losgegangen, nachdem die letzten Gäste verschwunden waren, und so lief uns auch niemand außer Mutter Mia mehr über den Weg. "Und, habt ihr ihn?" fragte sie, nachdem sie uns etwas zu trinken hingestellt hatte. "Ja!" antwortete Keel. "Hol ihn mal raus, Blinx." Der Katzenjunge schaute sich misstrauisch um und griff dann in seine Sachen. Vorsichtig holte er den Rubin der reinen Seele hervor und hielt ihn in seiner Hand über der Tischmitte, damit wir ihn alle sehen konnten. "Ist er nicht wunderschön?" flüsterte er andächtig. "Das ist er", stimmte Mutter Mia mit einem Nicken zu. "Wunderschön. Gibt's du in mir mal? Ich will ihn mir aus der..." "Nein!" "Aber Blinx..." "Niemand rührt ihn an, hörst du? Niemand außer mir!" "Was ist denn los?" Blinx sprang von seinem Stuhl. "Ich hätte es wissen müssen!" zischte er und presste den Rubin an sich. "Ihr seid Diebe, und nun wollt ihr auch mir den Rubin stehlen! Geht weg von mir!" "Blinx!" Mutter Mias Stimme war gefährlich ruhig, doch dann stand Keel auf, und packte sie am Arm. "Lass ihn. Ich denke, er weiß nicht was er sagt." "Natürlich weiß ich das!" keifte Blinx und schaute sich hektisch um, als ob er einen Fluchtweg suchen würde. Ich saß nur da und verstand wieder einmal gar nichts. Plötzlich, so schnell, dass ich es kaum sehen konnte sprang Keel nach vorne, bekam den ausweichenden Blinx zu fassen, und schlug ihm den Rubin aus der Hand, der an einem Stuhlbein abprallte und direkt vor Mutter Mias Füße rollte. Diese wollte sich unwillkürlich danach bücken und ihn aufheben. "Nicht!" schrie Keel und hielt den sich heftig wehrenden Blinx fest. "Nicht anfassen! Mit dem Rubin stimmt etwas nicht!" Mutter Mia blieb mitten in der Bewegung wie zu Stein erstarrt stehen, richtete sich dann wieder auf und ging einen Schritt zurück. "Aber wir können ihn doch auch nicht so einfach liegen lassen. Und was ist mit Blinx?" "Was soll mit mir sein?" fragte eine überraschte Katzenjungenstimme. "Keel, warum hältst du mich fest? Was ist passiert? Ich kann mich noch erinnern, dass der Alarm los gegangen ist, und jetzt bin ich hier? Was ist mit mir los?" Blinx schaute sich verwirrt um und wurde dann von Keel auf den Boden gestellt. "Entschuldige Kleiner, aber du warst nicht du selbst. Du kannst dich nicht mehr erinnern, wie wir hier her gekommen sind?" "Nein! Was ist denn nun los? Ich habe Angst verdammt noch mal!" Er war wirklich einer Panik nahe, das konnte ich deutlich sehen. "Die brauchst du nicht mehr haben. Es ist vorbei. Der Rubin hatte dich beeinflusst." "Der Rubin?" Blinx schielte skeptisch auf den Edelstein, dessen rotes Funkeln auf einmal wie ein böses Blinzeln erschien. Dann schien er irgendetwas zu merken und wurde leichenblass. "Ich kann ihn hören!" flüsterte er und schluckte. "Wen?" "Den Rubin! Er ruft nach mir!" Blinx stolperte einige Schritte zurück. "Schafft ihn weg, bitte!" Keel blickte zögernd vom Rubin auf Blinx und wieder zurück. "Du hast ihn doch nicht auf deiner Haut gehabt, oder Blinx? Abgesehen von dem Moment, als du ihn vom Greifer genommen hast." "Den Rubin? Nein. Er war in meiner Tasche." "Das heißt, Stoff hilft auch nicht." Es entspann sich eine heftige Diskussion zwischen Keel, Blinx und Mutter Mia, wie am besten mit dem Unglücksstein umzugehen wäre. Aber ich hörte nicht hin. Dafür hörte ich den Rubin. Er lockte mit seinem Schimmern, seinem Glanz und seiner unendliche Tiefe. Ich konnte das Verlangen spüren, ihn anzufassen, ihn zu verstecken und für mich zu behalten. Aber das wollte ich ja gar nicht. Ich brauchte ihn, um Van zu heilen, und zu nichts sonst. Wie in Trance stand ich auf, bückte mich und hob ihn hoch. Dann erst bemerkte ich, dass der Streit aufgehört hatte, und die drei mich nun ansahen. Ängstlich ansahen. "Alles in Ordnung." versuchte ich sie zu beruhigen und lächelte. Aber beides misslang. "Hitomi, leg ihn wieder hin!" befahl mir Keel, aber ich schüttelte den Kopf. "Nein Keel, das werde ich nicht. Wenn ihn einer tragen kann, ohne von ihm beeinflusst zu werden, dann ich. Ihr alle seht nur seinen Glanz, seinen Wert. Ich aber sehe in ihm nur das, was ich brauche um Van zu helfen. Und wenn das erledigt ist, kann ich ihn auch wieder loslassen." "Das sagst du jetzt", meinte Keel ablehnend, aber Blinx stimmte mir zu. "Es ist am besten so. Glaub mir. Wenn jemand nicht davon beeinflusst wird, dann Hitomi. Oder wollt ihr es probieren?" "Ja!" antworteten Keel und Mutter Mia wie aus einem Mund, sahen sich dann an und verzogen den Mund. "Wir sind offensichtlich ungeeignet." sprach Keel ihrer beider Gedanken aus. "Ja, sieht so aus", stimmte Mutter Mia zu. "Aber sagt mal, wenn der Rubin eine solche Wirkung hat, was ist dann mit Harlan?" "Das ist eine gute Frage." "Er ist auf dem Weg hierher." Wir fuhren herum. Wir hatten nicht gemerkt, wie jemand die Tür geöffnet hatte. "Hal!" rief Mutter Mia erstaunt. "Ich weiß nicht wie, aber er weiß, dass der Rubin hier ist." "Wie kann das sein?" fragte Blinx verblüfft. "Der Rubin ruft ihn." antwortete ich, selbst erstaunt über meine Worte. "Ich kann es spüren. Er ruft nach Harlan. Und es wird nicht mehr lange dauern, dann ist er hier." "Kommt er allein?" fragte Keel Hal. "Nein. Er hat fast sämtliche Soldaten mitgenommen." antwortete der Junge ängstlich. "Verdammt! Mia, weck alle auf, und zwar schnell!" Nervös erwarteten wir die Ankunft Vandegaards und seiner Truppen. Endlich hörten wir die Stiefeltritte der Soldaten und das leise Klirren ihrer Waffen. Hal hatten wir vorsichtshalber die Treppe hinauf gebracht, in einen Raum in dem er sicher sein würde, zusammen mit denen, die sich nicht den Soldaten entgegenstellen würden. Zu meinem Erstaunen waren auch einige Kinder des verschiedensten Alters darunter. "Was hast du erwartet?" hatte mich Mutter Mia amüsiert angesprochen, als ich mit heruntergeklapptem Kinn ihre Prozession verfolgt hatte. "Dass sich die Frauen hier das Glück von Kindern verweigern? Aber ich kann dich beruhigen, es sind keine ,Betriebsunfälle'. So etwas gibt es hier nicht. Bis auf eine Frau sind alle mit Kindern verheiratet." Ich schüttelte den Kopf. "Hier erlebt man doch immer wieder Überraschungen." "Ohne wäre das Leben doch langweilig, Kind. Und was ist mir dir? Willst du mit ihnen gehen?" "Nein, ich bleibe hier. Das ist schließlich meine Schuld. Nur wegen mir..." "Ach, Unsinn. Vandegaard wollte uns ohnehin eins auswischen. Ihm hat nur noch ein guter Grund gefehlt. Den hat er jetzt. Aber dafür sind wir vorbereitet." Ich wurde aus der Erinnerung gerissen, als deutlich die Schritte von Soldaten zu hören waren, die sich vor der Tür postierten. Wahrscheinlich hatten sie den Plan, dass einer von ihnen klopfen würde, bis jemand kam und nachschaut was los ist. Dieser jemand würde nur einen Soldaten sehen, und aufmachen. In diesem Moment würden die anderen hineinstürmen, den erschreckten Türöffner zum Schweigen bringen, bevor er etwas sagen konnte, und sich dann im ganzen Haus verteilen, bis jemandem etwas auffallen würde. Und dann wäre es zu spät. In der Tat hämmerte jetzt einer in wohldosierter Lautstärke gegen die Tür. Keiner der Schläfer im hinteren Teil des Hauses würde davon wach werden, aber jeder, der wach war und in den vorderen Räumen oder im Lager war, würde es bemerken. Blinx hatte sich hinter die Tür gestellt, die er nun aufriss. Das daraus resultierende Bild war so komisch, dass sich einige das Lachen trotz der ernsten Situation nicht verkneifen konnten. Der Soldat war völlig überrascht und stand mit erhobenem Arm da, als ob er an die Tür schlagen wollte, und schaute die versammelte Menge überrascht an. Seine Gesichtszüge entglitten weiter, als er die Waffen bemerkte, die in den Händen der entschlossen dreinblickenden Männer und Frauen waren. Ein "kleiner Bordellbesuch" wie sie sicher gescherzt hatten, war das nicht. Auch ich war über die Waffen erstaunt gewesen, noch erstaunter als über die Kinder. Die meisten Schwerter und Speere waren sichtlich alt, aber gut gepflegt gewesen. "Von Soldaten, die kein Geld mehr hatten, oder nach dem ein oder anderen Krieg als Überbleibsel einer zersprengten Einheit ihre Ausrüstung als Bezahlung gegeben haben. Oder desertiert sind und froh waren, das auffällige Zeug gegen andere Kleidung bei uns eintauschen zu können", hatte Michael grinsend gemeint, als er schwer beladen mit den unterschiedlichsten Waffen und Rüstungsteilen aus irgend einer versteckten Ecke des Hauses kam. Ich hatte den stillen Verdacht, dass einige der Soldaten auch gleich hier geblieben waren. Die lässige Art, wie einige Männer - und auch viele der Frauen - mit den Waffen umgingen, bewies, dass sie sie nicht zum ersten Mal in der Hand hielten. Anscheinend waren sie darauf vorbereitet, nicht nur mit betrunkenen Gästen umzugehen. "Wir haben geschlossen!" rief Mutter Mia dem verdutzten Soldaten entgegen. "Und außerdem habe ich nicht den Eindruck, dass du deine Waffe abgeben willst, wenn du dieses Haus betrittst, also dreh um und geh wieder nach Hause." Ihr Ton machte klar, dass sie keinen Ärger haben wollte, aber sehr wohl in der Lage war, jedem eine große Menge davon zu verschaffen, der ihre Anweisung in Frage stellte. "Aus dem Weg!" schrie eine wütende Stimme, deren dazu gehöriger Körper eine Sekunde später den immer noch vor Staunen erstarrten Soldaten rüde zur Seite stieß. "Harlan Vandegaard! Was verschafft mir die Ehre eures Besuches? Wollt ihr euch etwas amüsieren?" fragte Mutter Mia freundlich, aber mit einem nicht zu überhörenden Unterton von Spott. "Vergiss es!" rief eine Frauenstimme empört. "Den nimmt doch keine von uns! Nicht mal meine Mutter würde ihn näher als zehn Meter an sich ran kommen lassen, und sie ist nicht gerade dafür bekannt gewesen, besonders wählerisch zu sein." Grölendes Lachen antwortete ihr, und auch von draußen konnte man unterdrücktes Prusten hören. "Ist das nicht gefährlich?" fragte ich den neben mir stehenden Keel. Wir hatten beschlossen, dass er im Hintergrund bleiben würde, solange es nicht zum Kampf kam. Wenn Vandegaard ihn sah, würde er sich durch nichts mehr bremsen lassen. "Ich meine, ihn so zu provozieren?" "Nein, denn er wird vor seinen Männern lächerlich gemacht. Wir haben ihnen schon einen gehörigen Dämpfer verpasst, als wir uns kampfbereit zeigten. Söldner verdienen ihr Geld lieber beim Wachestehen als bei einem Kampf. Sie kämpfen nicht für Ideale oder um ihre Familien zu beschützen, sondern für Geld. Aber wenn man tot ist, nützt einem der größte Reichtum nichts mehr. Darum habe ich es am liebsten mit solchen Söldnern wie denen hier zu tun. Sie sind im Normalfall Leute, die sehr schnell eine gefährliche Situation erkennen, und lieber den Arbeitgeber wechseln als für eine mehr als fragwürdige Sache zu kämpfen. Vor allem, wenn sie danach wahrscheinlich tot sind. Je einfacher wir es ihnen machen, ohne Gewissensbisse abzuhauen, desto besser." "Wo ist mein Rubin?" kreischte Harlan, Mutter Mia ignorierend. "Hier gibt es keinen Rubin!" antwortete eines der Mädchen trotzig. "Und wenn, würden wir ihn dir nicht geben, alter Sklaventreiber! Hau bloß ab, oder du bekommst eine Abreibung, die sich gewaschen hat. Was du hier machst, ist eindeutig Hausfriedensbruch, und wenn hier Blut fließt, sind wir es bestimmt nicht, die für schuldig befunden werden!" Wieder kam draußen Gemurmel auf. Söldner wurden vor dem Stadtgericht bestimmt nicht milder behandelt, weil ihr Herr ihnen einen Rechtsbruch befohlen hatte. Ich ging zur Seite, um aus dem Fenster zu sehen. "Ich kann ihn spüren!" rief Vandegaard mit funkelnden Augen, und ohne auf seine Leute zu achten. Der Soldat, der vorgeschickt worden war, machte sich langsam rückwärts gehend aus dem Staub. Ich hätte erwartet, dass sein Abgang irgendwie kommentiert werden würde, aber dem war nicht so. Die Leute hier schienen trotz allem äußeren Anschein sehr froh zu sein, ihn gehen zu sehen, und wollten durch eine hämische Bemerkung lieber nichts riskieren. "Ich kann ihn genau spüren, er ruft nach mir. Er ist da!" Sein zitternder Finger zeigte auf mich, und ich erschrak. Konnte er ihn wirklich so genau spüren!? "Du! Du hast mir meinen Rubin gestohlen, mein ein und alles! Das wirst du büßen!" "Hey, Harlan, du fantasierst!" spottete Mutter Mia, noch immer ganz die Ruhe selbst. "Hey, ihr da draußen! Ihr solltet euren Meister lieber mitnehmen. Ich lasse meine Leute nicht so einfach als Dieb bezeichnen. Es ist doch wohl klar, dass er fantasiert." Einer der Soldaten kam tatsächlich herein und sprach Vandegaard an, während mir der Angstschweiß aus allen Poren drang. "Herr, sie hat Recht. Wir können morgen mit der Stadtwache herkommen und die Leute vernehmen lassen, und in der Zwischenzeit niemanden unbeobachtet her weg lassen. Aber wenn wir jetzt nicht gehen, bekommen wir gewaltigen Ärger." "Memmen! Wofür bezahle ich euch? Der Rubin ist mein wichtigster Besitz! Es gibt nichts, was mir wichtiger ist. Moment mal!" Er stutzte, dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. "Jetzt erkenne ich dich erst wieder! Du warst doch gestern bei mir und hast mich um den Rubin angebettelt! Ha! Du hast ihn nicht bekommen und ihn deswegen gestohlen! So ist das also! Gib ihn her!" "Nein! Sie wird ihn dir nicht geben!" Auf einmal sprang Hal durch die Menge und stand vor seinem Vater. "Seitdem du ihn hast, bist du nicht mehr der Mann, von dem mir Mutter erzählt hat. Ich wünschte, du hättest ihn ihr nie geschenkt. Er konnte ihre Krankheit nicht heilen, sondern nur herauszögern, aber dich hat er vergiftet! Wenn ich damals älter als sechs gewesen wäre, hätte ich ihn dir abgenommen, aber damals habe ich noch nichts verstanden. Heute verstehe ich es. Du sagst immer, mit Mutter ist der wichtigste Teil von dir gestorben, und der Rubin wäre das einzige, das dich noch an sie erinnere. Aber was ist mit mir? Ich bin euer Kind. Ich bin..." "Still!" Vandegaard verpasste seinem Sohn einen so heftigen Schlag, dass dieser mit blutender Lippe in den Raum flog. "Stellst auch du dich mir in den Weg, Sohn? Aber ich hätte es wissen müssen, dieses Mädchen hat dich verdorben, hat dich umgarnt und..." "Das reicht! Hören sie auf, mit Hal so zu reden!" Mit tränennassen Augen, und doch wild entschlossen drängte sich nun auch noch Goldherz durch die Menge. Ihr Blick hätte jeden der ein Gewissen besaß wimmernd in die Knie gehen lassen, doch auf Vandegaard machte er keinen Eindruck. Ganz im Gegensatz zu uns allen, die erstarrt dastanden. "Ich habe gar nicht mit ihm gemacht! Ich liebe ihn, und er liebt mich, und wenn Sie das stört, gehen Sie meinetwegen zum Teufel!" "Das werde ich sicherlich, aber erst nach dir!" Blitzschnell hatte Vandegaard sich Goldherz geschnappt und hielt ihr ein Messer an die Kehle, das er unter seinen Sachen hervorholte. "Und jetzt macht, was ich sage!" Ich sah, wie Keel still vor sich hin fluchte. Normalerweise hätte er Goldherz aufgehalten, aber ihr plötzliches Auftauchen hatte ihn nach Vandegaards Verhalten seinem Sohn gegenüber zu sehr überrascht. Tränen stiegen mir in die Augen. Sollte jetzt alles umsonst gewesen sein? Was würde mit den Menschen hier passieren? Würde ich Van nicht helfen können? Aber ich musste doch! Er konnte doch nicht... "Hitomi!" Ich riss erstaunt die Augen auf. "Großmutter?" "Vertrau dir Hitomi, du hast die Kraft..." Ihre Stimme wurde leiser und verschwand. "Welche Kraft? Was meinst du? Großmutter!" schrie ich der verschwindenden Stimme nach. "Sehe ich aus wie deine Großmutter, Kind? Nicht ich bin derjenige der fantasiert, sondern du!" Ich schaute mich erschrocken um. Nicht nur Vandegaard sah mich nun an, auch alle anderen warfen mir verwunderte Blicke zu. Und auf einmal verstand ich. So wie nur ich meine Großmutter gehört hatte, so hörte auch Vandegaard die Verlockungen des Steines. "Nein, ich fantasiere nicht." Ich wunderte mich selbst über meine feste Stimme, als ich nach vorne trat. Überrascht wurde mir Platz gemacht. "Aber ich wundere mich über dich. Du bezeichnest den Rubin als deinen wertvollsten Besitz, dabei hast du etwas, das viel wertvoller ist. Du hast einen Sohn der dich liebt, trotz allem, was du getan hast. Wie kann man nur so kaltherzig sein? Aber ich weiß warum. Deshalb!" Der Rubin der reinen Seele schimmerte in meiner Hand, und ich wusste, warum er diesen Namen trug. Jemand, der eine reine Seele besaß, konnte ihn benutzen um zu heilen, aber jeder andere fiel seinen Verlockungen zum Opfer. Ich wusste nicht, ob Harlan Vandegaard ein guter Mensch gewesen war, bevor der Rubin in seinen Besitz kam. Hals Worte schienen darauf hin zu weisen. Aber das war egal. Ein Mensch in Trauer hatte sicher nicht die Kraft, der Versuchung des Rubins zu widerstehen. "Nein Hitomi! Gib ihm nicht den Rubin!" "Keine Sorge, Goldherz. Ich weiß, was ich tue." Ich hielt Harlan den Edelstein aus zwei Metern Entfernung hin. "Hier. Nimm ihn dir." Ich sah, wie er zögerte. Dann siegte seine Gier. Er stieß Goldherz zur Seite und grabschte nach dem Rubin. Darauf hatte ich gewartet. Vandegaards Augen weiteten sich, als seine Hände den Rubin berührten. Erst war es Genugtuung, dann Überraschung, und dann Schmerz. Ich hatte nach seinen Händen gegriffen und hielt sie nun auf dem Rubin. Vandegaard sackte in die Knie. Gleißendes, rotes Licht ging von dem Stein aus, mein Anhänger leuchtete in intensiven Blau, und eine unglaubliche Wärme hüllte mich und Vandegaard ein. Jetzt wusste ich, wie Garm die Welt sah. Ich sah sie jetzt genau wie er. Bunte Muster aus sich ständig verändernden, pulsierenden Energiebahnen stellten Menschen und andere Lebewesen dar. Ich sah eine Fliege an der Wand, der die ganze Aufregung egal war. Eine Mücke bohrte gerade ihren Stachel in den Hals eines der Soldaten vor der Tür. Im Gegensatz dazu eher farblos und unscheinbar erschienen Steine und Holz des Hauses, Mörtel und Metall. Ich sah den Rubin als dunkelrotes, sich selbst verschlingendes mehrfaches Band von Energie. Ein dünner, blassgelber Faden ging zu mir, ein ähnlicher, aber stärkerer zu Vandegaard. Dieser verband sich mit einem dunklen Fleck in dem Gewirbel, das Harlan Vandegaard darstellte. Diese Verbindung galt es zu durchschneiden. Bloß wie? Ich erinnerte mich daran, was ich vom Schwertmeister Norenkei, Haruka und Garm gelernt hatte. Mit aller Kraft die ich hatte, packte ich den Strang, lenkte ihn um, und verband ihn mit meinem. Ich wusste, ohne Verbindung würde er sich ein neues Opfer suchen. Brennendes Verlangen erfasste mich, das Verlangen, den Rubin der reinen Seele zu behalten, ihn zu beschützen vor allen anderen, und ihn niemanden auch nur zu zeigen. Mit aller Gewalt drängte ich dieses Bild beiseite, ersetzte es durch das Vans, den ich heilen würde. Das heftige Verlangen schwand, machte einem dumpfen, untergründig pulsierenden Begehren Platz. Harlan schrie auf. Er schrie, sackte auf den Boden, schlug mit dem Kinn auf. Ich wusste, ich hatte keine Zeit zu verlieren. Ich fühlte mich schwach wie nie zuvor, aber ich musste ihm helfen, oder er würde sterben. Auch ich fiel auf die Knie, legte meine Hände auf Harlans Rücken und drängte das Schwarze aus ihm hinaus. Kleine, dunkelblaue Funken tanzten dabei über meine Hände. Dann verband ich seine Energieströme wieder zu dem, was war, bevor diese Schwärze in seinen Körper drang. Die Funken auf meiner Hand verschwanden, dafür leuchteten meine Fingerspitzen in einem prismatischen, wunderschönen Licht, das sich über meine ganzen Hände ausbreitete. Endlich war es geschafft. Alles war wieder, wie es sein sollte. Nur mein Körper schmerzte überall. Sämtliche Nerven schienen in Flammen zu stehen. In völliger, atemloser Stille hob ich wiederwillig und mit zitternden Händen den Rubin auf, und steckte ihn in die Tasche. Der Rubin, der an allem Schuld war. Aber das war ungerecht. Der Rubin hatte keinen eigenen Willen. Nur undeutlich bemerkte ich, wie ich nach hinten umfiel und Keel mich auffing. In seinem sonst so ruhigen Gesicht stand ein unergründliches Erstaunen, Ehrfurcht und sogar- Angst. Er hatte Angst vor mir. "Vater!" Hal warf sich auf den scheinbar leblosen Körper und schüttelte ihn verzweifelt. "Hal!" sagte ich, aber es kam nur ein schwaches Krächzen heraus. Ich versuchte es noch einmal, und es war wieder nicht viel lauter, aber er hörte mich. Fragend schaute er mich an, und auch in seinem Gesicht stand die Angst. Angst vor mir, aber hauptsächlich um seinen Vater. "Keine Sorge Hal, es geht ihm gut." Die Welt verschwamm vor meinen Augen. "Ich habe ihn geheilt... Auch von dem Rubin... Ich habe es tatsächlich getan." Mein Kopf sank gegen Keels Brust, und die Augenlieder fielen mir zu. "Ich weiß nicht wie, aber ich habe es... getan. Ich habe... ihn.. geheilt." Dann umfing mich wohltuende Dunkelheit, die alle Schmerzen für eine Weile von mir nahm. Ende Kapitel 5 Kapitel 6 - Überraschungen Ich kam wieder zu mir. Ich fühlte mich matt und erschöpft. Anscheinend lag ich in einem Bett. Die gedämpften Geräusche eines betriebsamen Hauses drangen von fern an mein Ohr. Das Fenster war einen Spalt weit geöffnet, und die Geräusche der Vögel und die Helligkeit verrieten mir, dass es Morgen sein musste. Seltsam! Ich hätte gewettet, dass ich nicht bloß ein paar Stunden geschlafen habe. Jetzt erst wagte ich es, meine Augen zu öffnen. "Ah, du bist wach Hitomi. Schön. Dann werde ich dir etwas zu Essen holen." "Keel!" Ich sah den vernarbten Mann verwundert an. Dann wurde mir bewusst, dass ich nichts anhatte. Erschrocken zog ich die Decke bis an mein Kinn. Keel schaute mich verdutzt an, und lachte dann hemmungslos. "Keine Sorge, es war Mutter Mia, die dich ins Bett gebracht hat. Sie hat dir eine bestimmte Salbe auf den ganzen Körper verrieben und wollte dich dann wohl nicht noch mit einem Schlafanzug belasten. Aber es freut mich, dass du dir um so etwas schon wieder Sorgen machst. Dann kann es dir nicht all zu schlecht gehen." "Was?" Ich wurde aus ihm einfach nicht schlau. Warum lachte er so? So lustig war es auch wieder nicht, und außerdem... Sein Lachen klang so befreit. Als ob eine große Last von seinen Schultern gefallen wäre. Urplötzlich wurde er wieder ernst. "Weißt du, was du getan hast?" Ich zögerte. Was sollte ich sagen? "Ich denke schon. Das heißt, ich weiß, was passiert ist, aber was ich getan habe..." "Du kannst es nicht glauben? Tröste dich, da bist du nicht die einzige. Niemand hier kann es so richtig glauben. Ich erst Recht nicht." "Was ist mit Vandegaard?" "Oh, der ist in Ordnung. Und richtig nett. Er hat sich im Verlauf des gestrigen Tages mindestens tausend Mal entschuldigt." "Im Verlauf des gestrigen... Ich habe einen ganzen Tag durchgeschlafen?" "Ja, aber das ist wirklich kein Wunder. Hitomi." Er wurde noch ernster, und in seiner Stimme schwang Ehrfurcht. "Das was du da unten getan hast - ich habe so etwas in der Stärke noch nie gesehen. Nicht einmal bei Flöte. Deine Hände haben richtig gebrannt. Bei den meisten Heilern sieht man gerade mal ein schwaches Leuchten, und das auch nur wenn es dunkel ist, und man darauf achtet. Selbst Flöte hat, solange wie ich mich erinnern kann, niemals eine solche Kraft benutzt - und ich bezweifle auch, dass sie die überhaupt hat." "Was? Was soll das heißen? Hat der Rubin..." "Nein, der hat kaum etwas damit zu tun. Er hat die Kraft gebündelt, aber ihre Quelle warst du." Ich drehte mich von ihm weg. "Hör auf, nicht auch noch du. Alle redet ihr immer von den Kräften, die ich habe. Ich will sie nicht. Ich will nur, dass Van geheilt wird, alles andere ist mir egal!" Da kam mir ein Gedanke, und ich drehte mich wieder zu Keel, der mich mitleidig ansah. "Meinst du, ich kann das selbe bei Van..." "Nein! Unmöglich. Seine Krankheit ist anders. Dazu brauchst du alle drei heiligen Gegenstände." "Die Gegenstände. Und wie soll ich an den dritten kommen? Harlan hat den Rubin gekauft, er ist also nicht der eigentliche Besitzer des Rubins, der ist wahrscheinlich tot. Und wie soll ich nun herausfinden, wer den dritten hat?" Keel lachte, beugte sich zu mir und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dabei machte er ein Gesicht, wie ein kleiner Junge, der gerade den Streich des Jahres ausheckte. "Hitomi. Überleg doch mal. Ich war seit drei Jahren nicht hier und tauche ausgerechnet dann auf, wenn du hier bist. Glaubst du, das ist Zufall?" Ich schaute ihn an und langsam dämmerte mir etwas. "Willst du damit sagen, du..." Die Stimme versagte mir. Keel nickte. "Ich bin der Bewahrer des dritten Gegenstandes, der Schale des reinen Blutes." Aufschreiend umarmte ich ihn. Tränen des Glücks rannen mir über die Wange. "Du hast nichts an!" flüsterte Keel, und ich stieß ihn knallrot werdend von mir weg. Keel stand auf, und ging zur Tür "Ich hole dir dein Essen. Du solltest dich in der Zwischenzeit besser anziehen. Die Sachen liegen dort auf dem Stuhl." Er ging hinaus, und ich beschloss, seinem Rat zu folgen. Es klopfte an der Tür. "Herein!" rief ich und erwartete Keel zu sehen. Statt dessen war es Goldherz, die ein Tablett in den Händen hielt, und hinter ihr kam ein schüchtern dreinblickender Hal. "Schön, dass es dir gut geht." Meinte Goldherz, stellte das Tablett auf den Tisch, an dem ich saß, und baute mein Frühstück auf. "Ich weiß nicht, ob Keel es dir gesagt hat, aber er hat sich ganz schön Sorgen gemacht." "Tatsächlich?" "Ja, selbst Mutter Mia konnte ihn nicht aufmuntern. Bis eben. Jetzt strahlt er regelrecht - jedenfalls im Vergleich zu dem griesgrämigen Gesicht, dass er sonst zur Schau stellt." Nachdem sie alles aufgebaut hatte, zwinkerte sie mir zu, drehte sie sich um und sagte: "Hal will dir etwas sagen. Ich warte draußen." Der Junge riss überrascht den Mund auf, sah wie sich die Tür schloss, und drehte sich dann rot werdend zu mir um. Er sah mich an, schluckte und rang sich dann mühsam dazu durch anzufangen. "Ich wollte dir danken." "Mir danken? Wofür?" Ich hatte einen riesigen Hunger und begann schon damit das Brötchen aufzuschneiden. "Dass du meinen Vater wieder normal gemacht hast." "Normal?" "Ja, er ist wieder so wie er ganz früher war, bevor meine Mutter gestorben ist." Plötzlich brachen ihm die Tränen aus, und er umarmte mich. "Ich habe immer gewusst, dass es nicht normal sein konnte. Er war nie ein böser Mann. Das hat nur dieser eklige Rubin gemacht." "Der Rubin!" rief ich und ließ vor Schreck das Messer fallen, an dem noch Butter klebte. "Wo ist er?" Hal wirkte verwirrt. "Keel sagte, du hast ihn." "Hat er das? Ich habe gar nicht danach gefragt, ich war noch so... halt." Ich sprang auf, und griff nach meiner Tasche, die unter dem Bett stand. Ich zog sie vor, und plötzlich wurde mir schwindlig. "Hitomi? Alles in Ordnung?" Die Welt wurde wieder fest. "Ja, es geht schon. Ich bin wohl noch etwas schwach." Ich öffnete meine Tasche, und in der Tat: da lag der Rubin, unschuldig funkelnd. Ich schob die Tasche wieder an ihren Platz zurück und widmete mich wieder meinem Frühstück. "Kannst du mal das Marmeladenglas aufmachen?" fragte ich nach mehreren vergeblichen Anläufen verlegen. "Ich bin wohl noch etwas ausgelaugt." Hal schaute mich mit großen Augen an, grinste dann und griff nach dem Glas. "Das ist aber wirklich fest zu", meinte er, drehte noch einmal stärker, und auf war es. "Danke." Schnell schmierte ich mir die Marmelade, Erdbeere, auf mein Brötchen, und biss hungrig hinein. "Merkwürdig", meinte ich kauend, schluckte, und sprach weiter. "Aber ich werde von Sekunde zu Sekunde hungriger. Ich glaube nicht, dass das hier reichen wird." Hal lachte. "Dann hole ich dir mehr. Hitomi, ich muss mich bei dir entschuldigen." "Wofür?" fragte ich verwirrt. Erst bedanken, dann entschuldigen? "Ich hatte Angst vor dir." Um ein Haar hätte ich mich verschluckt. "Angst?" "Ja, denn was du getan hast - du hättest dich sehen sollen. Es war... als ob eine Göttin erschienen wäre, um über uns Sterbliche zu richten. Ich hatte eine Riesenangst. Aber jetzt habe ich gesehen, dass du nur ein schwacher Mensch bist." Ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Ich entschloss mich für ein betrübtes Lächeln. "Ja, ich bin nur ein Mensch. Ein schwacher Mensch. Es sind die Leute, die mich zu mehr machen." "Du bist mehr, Hitomi. Keel hat mir und meinem Vater erzählt, du brauchst den Rubin, um jemanden zu heilen, der dir sehr viel bedeutet?" Ich nickte überrascht. Wieso hatte Keel das erzählt? "Du liebst diesen jemand, oder?" "Woher...?" fragte ich geschockt, bis mir auffiel, dass es eine Frage gewesen war, und ich nun die Antwort gegeben hatte. Doch Hal nickte nur. "Ich hatte es mir schon gedacht. Der Blick eben... Ich kenne ihn sehr gut aus dem Spiegel. Ich habe ihn immer gesehen, seit mein Vater mir verboten hat, mit Goldherz auch nur zu sprechen." Wir sahen uns wortlos an. Dann reichte er mir die Hand, und ich ergriff sie. "Du wirst es schaffen, Hitomi, das weiß ich. Solange du nicht aufgibst, wird dir alles gelingen. Das kann gar nicht anders ein." "Danke!" antwortete ich, und wischte mir eine Träne aus dem Auge. "Danke dafür, dass du mir Mut machst." Er lächelte und stand auf. "Ich werde dir noch etwas mehr zum Essen holen. Wir wollen ja nicht, dass du verhungerst." *** "Du wolltest mich sprechen, Thana?" Die junge Frau nickte. "Ja. Setz dich, Merle." "Was willst du von mir?" "Sie will gar nichts", sagte eine Stimme hinter dem Katzenmädchen. Erschrocken fuhr Merle herum. "Du schon wieder!" Eliandra nickte ihr zu und setzte sich zu den beiden an den Tisch. "Ich wollte mich nur erkundigen, wie es Van geht." Merle und Thana schwiegen. Schließlich antwortete das schwarzhaarige Mädchen bedrückt: "Nicht sehr gut, glaube ich. Er redet ziemlich wirres Zeug, schaut mich immer so seltsam an..." "Und mich hat er sogar schon als Schmarotzer bezeichnet!" fügte Merle traurig hinzu. "Das sieht nicht gut aus." "Wie kommt Hitomi voran?" "Ganz gut soweit ich weiß. Ich habe Anweisung gegeben, die Nachrichten über sie hierher zu schicken, denn ich werde jetzt hier bleiben und..." Mitten in ihrem Satz wurde die Tür aufgerissen, und ein älterer Soldat kam herein. Er schien sehr verstört zu sein, schaute von Merle zu Thana, dann auf Eliandra, und dann wieder zu Merle zurück. "Merle... ich meine Regentin... Ach zum Teufel... Es ist etwas schreckliches passiert, ich kann es kaum glauben..." "Rede schon!" fuhr Merle ihn an. "Aus diesem Gestottere wird ja keiner schlau!" "Na ja, es ist...", der Mann seufzte, "eben sind ein paar Luftschiffe aus Pallas eingetroffen, und Prinzessin Millerna ist von Bord gegangen." "Wieso hat mir das keiner gesagt?" Unterbrach Merle ihn wütend, aber Eliandra zischte sie an. "Halt deinen Mund! Das ist zwar nicht nett zu dir, wird aber kaum die Katastrophe sein, von der er geredet hat, oder?" Einen Augenblick trug Merle einen verblüfften Gesichtsausdruck zur Schau, dann fuhr sie den Soldaten an: "Weiter! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!" "König Van kam, um sie zu empfangen, er hat wohl ihre Ankunft gesehen. Sie sind in sein Zimmer gegangen und dann..." "Was dann? Redet schon!" Merle schien kurz davor, dem Soldaten an die Kehle zu springen. Mit ihren Nerven stand es wirklich nicht zum besten, auch wenn sie das zu verbergen versuchte. "Dann hat der König sie in den Kerker werfen lassen." *** Keel führte mich in den Nebenraum, in dem eine Menge Schalen, Schälchen und ähnlich geformter Gegenstände auf dem Boden und auf dem Tisch ausgebreitet war. "Das ist meine Prüfung. Du musst herausfinden, welche von diesen Schalen die Schale des reinen Blutes ist. Du hast nur einen Versuch, aber so viel Zeit, wie du dir nehmen willst. Im Grunde ist es ganz einfach. Wenn du das mit dem Rubin geschafft hast, müsste das kein Problem für dich sein. Ich lasse dich jetzt allein. Nur einen Hinweis habe ich noch für dich: Es ist nicht immer alles so, wie es scheint." Er drehte sich um, ging hinaus, und ich war allein in diesem Zimmer. Resignierend schaute ich auf die Unzahl von Gefäßen vor und neben mir. Es waren genau Tausendundeine. Sie mussten aus der ganzen Stadt zusammentragen worden sein. Tausend falscher Fährten, und nur eine richtige Schale. Aber welche? Kurz hatte ich mit Keel diskutiert, aber er hatte genau wie Norenkei alle Erleichterungen abgelehnt. Auf der einen Seite konnte ich sie ja verstehen, aber andererseits... < Ruhig Blut.> ermahnte ich mich. < Geh mit Überlegung an die Sache. Welche Schale kann es auf keinen Fall sein?> Ich fing an, die Schalen zu sortieren. Die Größe nützte nichts. Es konnte sowohl die kleinste als auch die größte sein. Ich ordnete sie erst einmal nach dem Aussehen. Schlichte nach links, die schönen nach rechts. Von einfachem Ton bis hin zu goldenen, mit Edelsteinen besetzten Exemplaren. War die Schale eine von denen? In Filmen waren wichtige Schalen, Kelche und ähnliches immer aus Gold und Edelsteinen. Aber das hier war kein Film, das war Realität. Wo die wertvollen wohl herkamen? Aus Mutter Mias anscheinend endlosen Fundgruben? Wohl eher von Harlan Vandegaard. Nach Hals Auskunft hatte er fast sein gesamtes Vermögen als Wiedergutmachung und Schmerzensgeld an die verschiedensten Leute verteilt. Nein, die Schale würde wohl nicht wertvoll aussehen. Der Dolch war aus Glas, aber in einer einfachen, wenn auch stabilen hölzernen Schatulle. Der Rubin war sicher auch einmal in einem einfachen Behältnis gewesen, auch wenn davon jetzt nichts mehr zu sehen war. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, Prunk für die Schale anzunehmen. Ich wandte mich den einfachen Exemplaren zu, die links von mir standen. "Schale des reinen Blutes" - vielleicht war sie rot? Das würde zum Namen passen. Es gab einige aus rotem Ton, mache wieder ohne die geringste Verzierung, andere mit schönem Muster. Wie sollte ich sie nur auswählen können? Aber vielleicht ging ich ja den völlig falschen Weg. Warum sollte ich nach dem Aussehen urteilen, wenn es einen anderen Weg gab? Ich griff nach dem blauen Anhänger um meinen Hals und ließ ihn vor meinen Augen pendeln. Mit seinem Gegenstück, das ich Van gegeben hatte, konnte ich unsichtbare Guymelefs finden, warum mit diesem hier nicht auch verborgene Eigenschaften? Einen Versuch war es auf jeden Fall wert. Ich ließ mich auf die Knie sinken, ich wollte es lieber nicht im Stehen ausprobieren. Dann nahm ich den Anhänger in beide Hände, schloss die Augen, und konzentrierte mich. Zuerst sah ich gar nichts, doch dann, als ich mich stärker konzentrierte, zeichnete sich eine Schale nach der anderen vor meinem inneren Auge ab. Ich ging sie der Reihe nach durch. Bei der dort - eine Frau mit einem Kind auf dem Arm. Diese Schale gehörte ihr. Die nächste war von Mutter Mia höchstpersönlich. Eine andere hatte einmal einem Soldaten gehört. Die dort war von Harlan. Die nächste - ich staunte - war von Blinx. Ich hatte in all den Tagen nie eine bei ihm gesehen. Oder war sie noch von früher? Egal. Die nächste. Bei dieser stockte ich. Es war eine runde, flache Schale, aus Ton und mit einigen hübschen Verziehrungen. Sie gehörte eindeutig Keel. Beinahe hätte ich aufgehört, und nach ihr gegriffen, aber dann zögerte ich. Nur weil diese Schale Keel gehörte, hieß das noch lange nicht, dass es auch die Schale des reinen Blutes war! Ich sollte zumindest alle anderen durchtesten, um sicher zu gehen. *** "Er hat was?" Nicht nur Merle stand die Ungläubigkeit deutlich ins Gesicht geschrieben. So etwas war einfach unglaublich. Nie würde Van Millerna einsperren! Das war einfach undenkbar. "Wenn das ein Scherz sein soll..." drohte Merle mit ausgefahrenen Krallen. Der Soldat schluckte. "Nein, ganz gewiss nicht. Ich habe es auch erst nicht geglaubt, aber ich habe sie mit eigenen Augen hinter Gittern gesehen!" "Und keiner hat mir was gesagt!" sagte Merle ungläubig. "Wundert dich das?" fragte Eliandra sarkastisch. "Die Leute lieben ihr Leben. Fahr deine Krallen wieder ein, der arme Kerl ist ja schon schneeweiß." Immer noch wütend, aber ihr gehorchend drehte sich Merle zu Eliandra um, die inzwischen genau wie Thana aufgestanden war. "Wie kannst du nur so ruhig bleiben?" fragte Merle verzweifelt. "Van hat Millerna eingesperrt!" Eliandra zuckte nur mit den Schultern. "Früher oder später musste so etwas ja passieren. Es bringt absolut gar nichts, sich darüber aufzuregen. Es ist besser, wir bewahren uns jetzt einen kühlen Kopf. Sorgen macht mir nur, dass es so schnell passiert ist. Ich glaube, es ist am besten, wir sehen uns das erst mal an." Thana und Merle stimmten ihr beide zu, und so gingen sie, von dem Soldaten, geführt dorthin, wo man die Prinzessin eingesperrt hatte. *** Erschöpft überprüfte ich auch die letzte Schale. Hatte ich also Recht gehabt. Die Schale, von der ich zuerst angenommen hatte, sie sei die Schale des reinen Blutes, war es nicht. Ich hatte noch zwei andere gefunden, die Keel gehörten. Bei einer davon war allerdings die Verbindung schwächer, und es schimmerten noch andere Männer durch. Ich nahm diese Schale und schaute sie mir genauer an. Sie war offensichtlich sehr alt, aus gebranntem Ton und ohne Verzierung, von einer Kerbe ringsherum abgesehen. Sie war so alt, dass sich schon einige Risse darin bildeten. Moment, Risse? Da konnte doch etwas nicht stimmen. Eine Schale mit Rissen war doch keine Schale mehr, außerdem war sie eigentlich viel zu dick. Warum war mir das nicht schon eher aufgefallen? Ich untersuchte die Risse genauer. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass sie ganz neu sein mussten. An der ein oder anderen Stelle rieselte sogar etwas heraus, dass wie Tonkrümel vermischt mit Asche aussah. In diesem Moment erinnerte ich mich, dass ich diese Schale schon einmal in der Hand gehabt hatte. Ich hatte mich über ihre Dicke gewundert, aber Risse waren dort ganz bestimmt nicht gewesen. Das Verborgene entdecken... Entschlossen kratzte ich mit dem Fingernagel im größten Riss herum, und tatsächlich, ich stieß auf eine wesentlich härtere Schicht als der bröckelnde Ton. Da war etwas in der Schale. Ich ging zum Fenster und hielt es ins Licht. Ein schwaches, gelbes Funkeln ließ mich vermuten, dass Gold mit im Spiel war. Ich grinste. Das war also die Schale des reinen Blutes. Kein Prunk, jedenfalls nicht von außen sichtbarer. Eine Schale in der Schale. Schönheit versteckt hinter Einfachheit. Das war wieder einmal typisch für die Geheimniskrämerei, die die Tihani und vor allem Flöte umgab. Oder war sie es nicht? Ich wischte den Zweifel aus meinen Gedanken. Natürlich war sie es. Ich hatte bei keiner anderen etwas so merkwürdiges festgestellt, es konnte nur diese sein. Ich öffnete die Tür, trat hinaus, und ging die Treppe hinunter. Dort saßen sie alle: Blinx, Keel, Mutter Mia, Goldherz, Hal und sogar Micha. "Da ist sie!" rief Blinx, als er mich sah. Alle drehten sich zu mir um und starrten auf die unscheinbare, dickwandige Schale, die ich in den Händen hielt. "Hast du dich entschieden?" fragte Keel mich mit unbewegtem Gesicht. "Ja, habe ich", antwortete ich nickend und stellte die Schale auf den Tisch. "Das ist sie?" fragten alle außer Keel wie aus einem Mund. "Bist du dir sicher, dass du dich für diese Schale entscheidest?" fragte Keel mich. "Ja, bin ich." "Ganz sicher?" "Ja!" bekräftigte ich noch einmal. "Dann muss ich dir leider sagen, dass du dich falsch entschieden hast. Das ist nicht die Schale des reinen Blutes." Alle stöhnten entsetzt auf, doch ich lächelte weiter. "Moment, ich bin noch nicht fertig. Keel, die Schale hält doch ein bisschen was aus, oder? Ansonsten muss ich ein Messer nehmen, und..." "Sie hält eine ganze Menge aus", meinte Keel, aber mit einem Glitzern in den Augen, das ich als Lachen interpretierte. "Wenn das so ist..." Ich hob die irdene Schale an, hoch über meinen Kopf, und ließ sie dann mit aller Kraft auf den Tisch heruntersausen. Laut krachend zersplitterte die Tonhülle um die eigentliche Schale und gab das Innere frei. Mit weit aufgerissenen Augen starrten alle auf die Schale des reinen Blutes, die aus einem rötlich schimmernden, uralt wirkenden Metall war, überzogen mit Linien feinen goldglänzenden Metalls. "Die Verzierungen sind aber nicht aus Gold, oder doch?" wandte ich mich fragend an Keel. "Das rote Metall ist eine Legierung, die es nur in Atlantis gab, und die Verzierungen sind aus Elektrum, einer Gold-Silber-Legierung, die dort häufig verwendet wurde, um heilige Gegenstände oder Gebäude zu schmücken. Glückwunsch, Hitomi. Ich habe dir doch gesagt, es ist für dich ein Kinderspiel." *** "Millerna! Ich glaube es nicht!" "Merle! Was soll das? Lass mich hier raus!" Das Katzenmädchen stand hilflos vor den Gittern und schaute betrübt auf die wütende und verwirrte Prinzessin. "Das würde ich ja gerne, aber Van hat den Schlüssel mitgenommen." "Ach ja? Kannst du mir mal sagen, was Van eigentlich einfällt? Er hat mich hier eingesperrt, als ob ich ein Verbrecher bin!" "Du darfst ihm nicht die Schuld geben", versuchte Thana sie zu beruhigen. "Er weiß nicht, was er tut." "Für mich sieht es aber anders aus! Er hat durchaus gewusst was er tat, als er mich hier reingeworfen hat!" "Nein, hat er nicht!" verteidigte Merle ihn. "Du musst uns glauben, er ist nicht er selbst. Aber das ist eine lange Geschichte." "Nun, ich scheine eine ganze Menge Zeit zu haben." "Allerdings, und ihr auch!" Alle vier drehten sich erschrocken zu der Stimme um. Auf der Treppe zu den Zellen stand Van mit gezogenem Schwert, hinter ihm der Soldat, der sie hergeführt hatte. Er schien kurz davor zu stehen, die Nerven zu verlieren. "Ich hätte nie gedacht, dass auch ihr mir in den Rücken fallt." Sein steinernes Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden Fratze. "Los! Rein da mit euch Verrätern!" "Van!" rief Merle erschrocken, doch Eliandra legte ihr rasch eine Hand auf die Schulter. "Reg dich nicht auf Merle, alles wird gut. Tun wir ihm den Gefallen." "Was?" Sowohl Merle als auch Thana und Millerna glaubten ihren Ohren nicht zu trauen. Aber nach kurzer Überlegung kamen sie zu dem Schluss, dass es besser so wäre. Im Moment war Van einfach zu unberechenbar. Schweigend standen sie da, als Van die Zelle aufschloss, und genauso schweigend gingen sie hinein. Van schloss die Gittertür, und mit einem gehässigen Lachen rannte er wieder davon. Es schien für ihn gar nicht wichtig zu sein, dass er eben seine Freunde eingesperrt hatte. "Und ihr? Was ist mit euch?" fragte Eliandra den Soldaten, der immer noch unschlüssig vor der Zelle stand. "Ihr solltet auch gehen, sonst sieht er euch auch noch als Verräter an", riet sie ihm freundlich. "Aber ich kann doch nicht zulassen, dass der König..." "Doch, das könnt ihr!" unterbrach Merle ihn. "Achtet nicht auf sein Verhalten. Versucht, das schlimmste zu verhindern. Es bringt gar nichts, ihm zu wiedersprechen. Sagt das auch den anderen." "Ihr müsst nicht mehr lange durchhalten", setzte Eliandra hinzu. "In spätestens zwei oder drei Tagen, vielleicht sogar schon morgen, wird das Mädchen vom Mond der Illusionen wieder da sein, und dann ist der Augenblick gekommen, um zu handeln. Wenn sie kommt, verhindert, dass der König davon erfährt, und bringt sie zu uns. Sie hat das bei sich, was wir brauchen, um ihn zu heilen." "Ihn zu heilen? Dann stimmt es also, was die Gerüchte sagen. Er ist krank, und diese Zaibacherin..." "Kümmert euch nicht um Gerüchte!" unterbrach ihn Eliandra scharf. "Tut das, was ich euch gesagt habe, und sonst nichts!" Der Soldat schaute Merle an, und das Katzenmädchen verstand. Sie war diejenige, die Van am besten kannte. Sie nickte ihm zu und drehte sich dann um. Niemand sollte die Tränen sehen, die sie nun nicht mehr zurück halten konnte. "Also gut", versprach der Soldat. "Ich werde tun, was ihr verlangt habt. Hoffentlich kann ich die anderen überzeugen. Sie sind kurz davor, zu rebellieren." "Was zweifellos die Absicht ist", flüsterte Eliandra, als er die Treppe hoch lief und sie nicht mehr hören konnte. "Hitomi ist also auf der Suche nach einer Art Heilmittel für Van?" fragte Millerna, und Thana nickte. "Ja, allerdings weiß ich nicht, wie lange sie noch brauchen wird. Wie kommst du darauf, dass sie bald wieder da ist?" fragte sie Eliandra. "Ich habe vor kurzem eine Nachricht erhalten, darüber wollte ich auch mit dir reden. Sie hatte gestern bereits zwei der Gegenstände, und ich bin sicher, den dritten hat sie heute auch in ihrem Besitz. Dann muss sie nur noch zurück kommen. Vielleicht schafft sie das sogar schon morgen. Dann müssen wir nur noch Van unter Kontrolle kriegen, und dann kann das Heilritual beginnen." "Van unter Kontrolle kriegen!" seufzte Thana. "Das sagst du so leicht! Und hast du vergessen, dass wir eingesperrt sind?" "Nein, habe ich nicht. Aber es gibt immer eine Lösung." Die Frauen setzten sich auf die Holzpritschen, die in der Zelle als Bett dienten. Es waren nur zwei, es würde also eng werden, falls sie jemals versuchen sollten, alle zugleich zu schlafen. Aber wie es aussah, würde wohl keiner die Ruhe dazu finden. Keiner bis auf Eliandra, die sich überhaupt keine Sorgen zu machen schien, und mit geschlossenen Augen irgendeine Melodie summte. "Das ist mir doch egal!" schrie das Mädchen, und schubste die überraschte Wache beiseite. Mit aller Kraft stieß sie die Tür auf, und stellte sich breitbeinig in den Raum, die Fäuste in die Hüften gestemmt. "Was fällt dir eigentlich ein!" beschimpfte Yukari den König von Fanelia. "Das ist doch wohl die Höhe! Wie kannst du es wagen, deine Freunde einzusperren! Das ist doch nicht der Junge, von dem mir Hitomi erzählt hat!" Van hatte erst verärgert auf die Gestalt in Schuluniform geblickt, die so plötzlich in seinen Raum gestürmt war, doch nun zeigte sich so etwas wie Belustigung auf seinem Gesicht. "So, bin ich nicht? Tja, da hast du Pech gehabt, würde ich sagen." Sein Gesicht verfinsterte sich, als die Wache hereinkam und unschlüssig hinter Yukari stehen blieb. "Und ihr werdet degradiert. Schickt jemanden zu meiner Bewachung herauf, der kein Schwächling ist und sich von einem Mädchen austricksen lässt!" "Jawohl Majestät!" antwortete die Wache und salutierte, bevor sie sich eilig davon machte, um noch schlimmeren zu entgehen. "Und nun zu dir. Du hast es gewagt, hier so einfach einzudringen. Das war keine gute Idee." "Ach, willst du mich etwa auch einsperren? Ich glaube nicht, dass Hitomi das gefallen wird!" Doch Van lachte nur. "Hitomi! Immer wieder Hitomi! Ich gebe zu, diese naive Göre war ganz nützlich, aber jetzt brauche ich sie nicht mehr. Falls sie jemals kommen sollte, um dich hier abzuholen, kannst du es ihr ja sagen. Zeit genug werdet ihr haben - alle zusammen in einer Zelle!" Er zog sein Schwert, und richtete es auf Yukari, die nun doch Angst bekam. Das war auf keinen Fall der Van, von dem Hitomi ihr erzählt hatte. < Dieses verflixte Kir-was-auch-immer-Zeug muss ihn stärker unter Kontrolle haben, als ich dachte.> In diesem Moment kam die herbeigerufene Wache. Yukari kannte den Mann, sie war schon mal mit ihm ins Gespräch gekommen. Sein Name war Markus. "Bringt das Mädchen hier in die Zelle, wo schon die anderen Weiber sitzen!" befahl Van mit kalter Stimme. "Majestät! Findet ihr nicht, dass ihr..." "Halts Maul! Ich habe dich nicht um deine Meinung gefragt!" "Was ist denn hier los?" fragte auf einmal eine Frauenstimme aus dem Hintergrund. Etwas außer Atem kam Asuna herein und erfasste die Situation offensichtlich mit einem Blick. "Das geht dich nichts an!" antwortete Van ihr unwirsch. "Doch, es geht mich etwas an, wenn dich etwas angeht. Was soll mit ihr passieren?" "In den Kerker natürlich, wie die anderen." "Dann gehe ich mit ihr. Das will ich mir unbedingt mal aus der Nähe anschauen." "Ach, mach doch, was du willst!" winkte Van gleichgültig an und ging schnellen Schrittes aus dem Raum, nachdem er ihr den Schlüssel in die Hand gedrückt hatte. "Das habt ihr wieder sauber hingekriegt!" murrte Yukari die Zaibacherin an. "Was?" fragte diese verwundert, doch dann ging ihr ein Licht auf. "Ach, du meinst... Nein, damit habe ich nichts zu tun." "Wirklich nicht? Es hat doch alles mit euch angefangen, oder nicht? Ständig seid ihr mit Van zusammen, und nur wegen euch ist er so merkwürdig." Asuna lachte, aber es war ein trauriges Lachen. "Meinst du das wirklich? Da bist du aber einem großen Fehler aufgesessen - obwohl du in einem gewissen Sinn sogar Recht hast. Was ist mit euch Markus?" fragte sie verspielt den Soldaten. "Glaubt ihr auch, dass ich an allem Schuld bin?" Markus verbiss sich jeden Kommentar und öffnete die Tür, die zum Wachraum des Verlieses führte. Asunas Stimmung verfinsterte sich. "Ich habe euch etwas gefragt!" sagte sie scharf. Yukari riss die Augen auf, als der Ausdruck in Markus Gesicht plötzlich leer wurde. Es war, als ob seine Persönlichkeit nicht mehr da wäre. "Ja, das glaube ich." "Und die anderen Soldaten?" "Glauben das auch." Asuna biss sich auf die Unterlippe. "Vielleicht habe ich noch etwas übersehen, dass Abathur..." In diesem Moment schien ihr einzufallen, dass sie nicht allein war. Sie warf Yukari einen ärgerlichen Blick zu. "Wenn du irgend jemanden verrätst, was du hier gesehen hast, bist du tot!" Dann entließ sie Markus aus ihrem Bann, der weiterging, als ob nicht geschehen wäre. "Yukari!" riefen die gefangenen Frauen überrascht, als die drei die Treppe herunterkamen. "Hat er also sogar dich eingesperrt!" sagte Merle fassungslos. Dann schaute sie die Zaibacherin wütend an, denn auch Merle hielt sie für die allein Schuldige. Auch Thana musterte Asuna, allerdings aus einem anderen Grund... Millerna und Eliandra sahen Yukari an, die eine aus Neugier, die andere aus Angst, das impulsive Mädchen könnte etwas voreiliges tun. Im Moment schien sie aber von ihrer Gefangennahme zu erschüttert zu sein. Oder war noch etwas anderes passiert? Sie schaute so merkwürdig zu der Zaibacherin hinüber... Yukari wurde auch eingeschlossen, und Asuna schickte den Soldaten weg. "Geht auf euren Posten zurück! Ich komme in ein paar Minuten nach, und wehe, ihr seid dann nicht vor der Tür des Königs!" Sie schaute sich die eingekerkerten Frauen und Mädchen an, und seufzte. "Kaum zu glauben, dass ihr so viele Schwierigkeiten macht." "Die Einzige, die hier Schwierigkeiten macht, bist du!" giftete Merle zurück. "Du bist ganz schön frech, Fellknäuel, vor allem, wenn man bedenkt..." Mehr bekam Thana nicht mit, denn in diesem Moment schob sich Sakúraa in ihre Gedanken, die sich bis dahin zurück gehalten hatte, da sie ohnehin nichts hätte machen können. {Lock sie hierher!} befahl sie Thana lautlos. < Wie? Hierher locken?> {Ja, ich - das heißt du - musst sie berühren!} "... normal wäre, wärt ihr hier eingesperrt!" kehrte der Streit zwischen Merle und Asuna zurück. Bevor die Zaibacherin eine neue Runde eröffnen konnte, sprach Thana sie an. "Warum tut ihr das?" fragte sie. "Warum tut ihr Van das an? Was hat er euch getan?" Wütend starrte Asuna sie an. "Was er mir getan hat? Ihr habt ja keine Ahnung! Wenn euch nur die Hälfte von dem passiert wäre, dass mir zugestoßen ist, würdet ihr wimmernd in der Ecke sitzen und heulen!" "Mag sein. Auch wenn ich das bezweifle. Aber ist das ein Grund, so bösartig zu sein? Auch ich habe schlimme Dinge erlebt. Meine Eltern sind zum Beispiel vor meinen Augen ermordet worden - aber bin ich deshalb so unmenschlich geworden?" Die Gefangenen sahen staunend zu Thana. Das sonst eher unscheinbare Mädchen strahlte plötzlich eine Aura der Stärke und Erhabenheit aus, die seinesgleichen suchte. Sie konnten ja nicht ahnen, dass es nur zum Teil auf Thana zurück ging, und auch Sakúraa ihren Anteil dazu beitrug. Etwas wie Mitleid zeigte sich auf Asunas Gesicht. "Das tut mir leid. Ich hatte nie Eltern. Aber du kannst meine Ängste trotzdem nicht verstehen." Sie trat einen Schritt an das Gitter. "Deine Ängste... Auch davon verstehe ich etwas. Auch ich hatte einmal wahnsinnige Angst vor etwas, doch dann habe ich herausgefunden, dass meine Ängste unbegründet waren. Es passiert oft, dass es etwas in unseren Gedanken gefährlicher erscheint als es tatsächlich ist." Asuna kam noch einen Schritt näher, während sie verächtlich schnaufte. "Du hast keine Ahnung davon, was ich durchgemacht habe, was mich bedroht. Du weißt nicht einmal, was ich bin. Denn das ist der Grund, weshalb ich nicht einfach weglaufen kann." Wieder war sie einen Schritt näher herangetreten, und nun stand sie dicht vor dem Gitter. Mit einem Schritt stand Thana direkt vor ihr und griff nach ihrem Arm. Asuna, total überrascht, wollte ausweichen, doch Thana war schneller. Im Augenblick der Berührung öffnete Sakúraa alle Kanäle. Nicht nur Gefühle strömten auf einmal in Thana ein, auch Bilder. Bilder der Erinnerung an Schmerzen, Demütigungen und unvorstellbar grausame Experimente. Sie sah, wie Asuna bei vollem Bewusstsein aufgeschnitten wurde, um die Ergebnisse dieser Experimente zu sehen. Sah, was die Experimente aus ihr gemacht hatten. Sah, was sie wirklich war, und was sie wollte. Sie wollte nichts als frei sein, ein eigenes, normales Leben führen. Doch die ihr eingepflanzte Macht und eine ebenso eingepflanzte Abhängigkeit machten das unmöglich. Beide, Asuna und Thana, taumelten zurück, stolperten und fielen. Mit großen Augen sahen sie sich an, auf den Steinen sitzend, deren Kälte nicht zu ihnen durchdrang. "Wie... wie kannst du das nur aushalten?" stammelte Thana von Grauen gepackt. "Was haben sie bloß aus dir gemacht!" Asuna zitterte am ganzen Körper. "Was war das?" flüsterte sie, dann schrie sie "Was hast du mit mir gemacht? Ich... ich kann mich nicht mehr bewegen!" "Ganz ruhig, das vergeht wieder", sagte Eliandra, und trat nun ebenfalls an das Gitter. "Die Lähmung dauert nur ein oder zwei Minuten." Dann drehte sie sich zu Thana um. "Alles in Ordnung mit dir? Dass du immer gleich alles übertreiben musst..." Sie kniete sich nieder, und tastete nach Thanas Puls. "Kennst du eine Pflanze mit dem Namen Margasthi, Eliandra?" Die Hohepriesterin hob verwundert die Augenbrauen und schüttelte den Kopf. "Nein, noch nie gehört. Dein Puls ist in Ordnung. Rast zwar noch, aber nicht zu schlimm. Was ist mit dieser Pflanze?" "Asuna ist davon abhängig, und wenn sie nicht das tut, was so ein blasser Kerl will, der wie ein Zaibacher Hexer aussieht, kriegt sie davon nichts mehr und stirbt." Asuna schrie auf, und wollte anscheinend wegrennen, hatte ihren Körper aber immer noch nicht unter Kontrolle. "Eine Droge?" fragte Millerna und betrachtete die Zaibacherin auf einmal mit anderen Augen. "Dann tut ihr das also nicht freiwillig?" "Nein, tut sie nicht!" antwortete Thana an ihrer Stelle. "Und es ist noch einiges anders als wir dachten. Wir haben sie falsch eingeschätzt. Sehr falsch." "Pah, zu jeder Droge gibt es einen Entzug!" hielt Yukari dagegen, die sich nun auch wieder zu Wort meldete. "Zu dieser nicht", widersprach Thana und schien in sich hinein zu horchen. Eliandra sah sie nachdenklich an. Ihr war klar, dass ein Großteil dessen, was passiert war auf Sakúraas Konto ging. Was hatte die Göttin vermutet, und was wollte sie mit dieser Tat erreichen? "Eliandra, vielleicht kennst du die Pflanze unter einem anderen Namen. Sie hat rote Beeren, wächst in sumpfigen Gegenden, und ihre Blätter haben einen gelben Rand. Die Blüte ist ebenfalls gelb." "Ach! Jetzt weiß ich welche Pflanze du meinst. Dreconda. Die Droge heißt auch so. Ein heimtückisches Zeug. Aber ich kenne ein Gegenmittel." "WAS?" Asuna, die der Beschreibung der Pflanze verwirrt gefolgt war, schrie auf und wollte sich nach vorne stürzten. Doch noch immer hatte sich ihr Körper nicht ganz erholt. Eliandra ergriff die Hand der Zaibacherin und zog sie heran, so dass sie sich an das Gitter lehnen konnte. "Ich kann euch heilen", versprach sie. "Und ich kann euch vor diesem Hexer beschützen. Aber das mache ich nur, wenn ihr euch jetzt sofort entscheidet. Hört auf, Van zu beeinflussen und stellt euch gegen diesen Hexer..." "Abathur. Er heißt Abathur...", flüsterte Asuna und schien dabei nicht ganz bei sich zu sein. "Dann also Abathur. Stellt euch gegen ihn, helft uns, und euch wird nichts geschehen, das verspreche ich euch." Asuna schaute sie einen Augenblick verwirrt an, und schien dann erst zu verstehen, was Eliandra gesagt hatte. "Aber... ich tue Van doch nichts! Ohne mich hätte er euch schon vor vier Tagen einsperren lassen..." "Du lügst!" Schrie Merle und wollte Asuna packen, in deren Augen plötzlich Angst stand, doch Thana hielt sie auf. "Nein Merle, sie lügt nicht. Sie ist überzeugt von dem, was sie sagt, und ich glaube es auch." "Was?" Thana ließ Merle los, nachdem sie sicher war, dass sie erst mal nichts tun würde. "Das kann nicht sein! Van würde niemals..." "Merle!" unterbrach Thana das Katzenmädchen ungeduldig. "Wir kennen uns erst seit kurzer Zeit. Ich habe dich nie um etwas gebeten, und auch nicht verlangt, dass du mir so plötzlich vertraust. Aber jetzt bitte ich dich darum, vertrau mir!" Merle atmete tief ein, schaute zu Asuna, dann wieder zu Thana. "Also gut", sagte sie schließlich wiederstrebend. "Ich werde über sie urteilen, wenn das alles vorbei ist, und es erst mal bei der Vorsicht belassen. Aber was dann geschieht..." Sie beendete den Satz nicht, aber das war Thana egal. Sie wusste, dass Merle zwar egoistisch war, aber eigentlich ein großes Herz besaß. Es war eine Prägung ihrer Waisen-Vergangenheit. Erst musste man sicherstellen, dass es einem selbst gut ging, aber dann musste man anderen helfen, bei denen es nicht so war. "Das genügt erst mal." Thana sprach nun wieder Asuna an, die immer weniger geistig anwesend schien. "Asuna. Asuna! Hörst du mich?" "Ja... was?" "Es kommt alles wieder in Ordnung. Hilfst du uns?" "Beschützt ihr mich? Bitte! Ich will nicht mehr... Ich kann es einfach nicht mehr... Ich..." "Ja, das tun wir. Wo ist der Schlüssel zu dieser Zelle?" "Der... der Schlüssel? Ich weiß nicht... Markus hat ihn wohl..." "Kein Problem", meinte Eliandra lässig, ging zum Türschloss und legte die Hand dagegen. "Ich hatte ja Zeit genug, mich mit dem Schloss zu beschäftigen." "Wie meinst du das?" fragte Yukari verwirrt. "Nun, ich bin eine verdammt gute Heilerin. Aber das basiert nicht nur auf meiner Kenntnis von Kräutern und Giften... so, erledigt." Etwas knirschte vernehmlich, und Rost rieselte herunter. Eliandra trat gegen die Tür, die quietschend aufsprang. "Die selben Kräfte, die ich zur Heilung benutzte, können auch auf anderes Einfluss haben. Zum Beispiel auf Metall. Ich habe es einfach durchrosten lassen. Was meint ihr, warum ich mich immer an der Tür festgehalten habe?" "Du meinst, wir hätten hier jederzeit herausspazieren können?" fragte Millerna verblüfft und auch verärgert. "Nein, so schnell geht es nicht. Ich bin gerade fertig geworden", antwortete Eliandra und beugte sich zu Asuna, die sie mit großen Augen ansah und dann bewusstlos wurde. "Das war wohl zuviel für sie", kommentierte Eliandra. "Ist aber auch kein Wunder. Ihre ganze Welt ist eingestürzt." Eliandra trug Asuna, als sie um die Ecke des Ganges bogen, der zu Vans Zimmer führte. Markus und eine andere Wache erschraken, als sie die Prozession sahen. "Alles in Ordnung!" beruhigte Merle sie. "Ist Van da drin?" "Ja. Er hat bereits nach der Prinzessin gefragt." "Sie ist keine Prinzessin", bemerkte Thana abwesend. Sie konnte Vans Wut spüren, seinen Zorn gegen alles und jeden. Armer Van! "Aber wir könnten sie gebrauchen. Kannst du sie aufwecken Eliandra?" "Wenns sein muss. Es wäre besser für sie, sie kommt von allein zu sich, aber es besteht keine Gefahr für sie, wenn ich sie aufwecke." "Gut. Dann tu das. Und ihr beide geht bitte", wandte sie sich an die Wachen. "Aber..." "Keine Wiederrede, Markus. Wir werden Van jetzt so lange außer Gefecht setzten, bis Hitomi zurück kommt. Dann wird alles wieder in Ordnung kommen." "Und wir sollen nichts davon erfahren, oder?" fragte der Soldat sarkastisch und schüttelte den Kopf. "Gut, wie ihr meint. Ich bin ja nicht dumm. Wir werden jeden abblocken, der zum König will. Aber ihr solltet euch beeilen. Nicht nur die Bediensteten haben langsam die Schnauze voll, wenn ich das mal so sagen darf. Auch die Soldaten haben genug von einem derartigen König, und die einfachen Leute fragen sich auch so langsam, was mit ihrem Monarchen los ist." Er nickte der zweiten Wache zu, die sich ihm nach kurzem Zögern anschloss. Die Tür zu Vans Zimmer öffnete sich, und Asuna trat ein. "Da bist du ja endlich. Hast du dich genug mit den Weibern amüsiert?" "Nun, ich kann nicht gerade behaupten, dass es lustig gewesen wäre. Aber es war eine interessante Unterhaltung." Van kniff die Augen zusammen. "Was ist los? Du bist so anders? Und du siehst auch so blass aus!" "Du aber auch." "Ach ja?" "Ja! Es wäre vielleicht besser, wenn du dich hinlegen würdest." "Meinst du? Komisch... Ich bin auf einmal auch so müde. Vielleicht hast du Recht, und ich... sollte..." Asuna fing Van auf, als dieser zusammen klappte. Gepeinigt stöhnte sie auf. Bis vor wenigen Minuten war sie selbst noch nicht bei sich gewesen, und nun das! Sie ließ Vans Körper so vorsichtig wie möglich in einen Sessel fallen, und setzte sich selbst. "Unglaublich!" Millerna kam hinter Merle herein, die sofort zu Van hechtete. "Das hat bloß ein paar Sekunden gedauert!" Asuna lächelte schwach. "Ja, erstaunlich, was? Erstaunlich beängstigend. Aber wisst ihr, was am erstaunlichsten war? Trotz des Kirseth, und trotz meiner Kontrolle, die ich dazu benutzt habe, ihn gegen das Mädchen vom Mond der Illusionen aufzuhetzen, wollte er nichts gegen sie machen. Sonst kann ich jeden Mann in Sekunden meinen Willen unterwerfen, und das hält mindestens eine Woche an. Aber bei ihm war alle Kontrolle schon nach ein paar Stunden vorbei, wenn es dieses Mädchen betraf. Das war es eigentlich, was mich zum Nachdenken gebracht hat. Man hat mir immer wieder gesagt, Van wäre ein Mörder, ein Ekel... Ich will das jetzt nicht ausführen. Aber jemand, der so liebt wie er, kann einfach kein schlechter Mensch sein. Und das Mädchen ist es auch nicht. Auch das konnte ich in den wenigen Augenblicken erkennen, in denen ich ihr begegnet bin. Ich musste in den letzten Tagen über vieles Nachdenken. Aber letztendlich war alles sinnlos, denn ich war immer noch von Abathurs Droge abhängig." "Und dann kam ich und sagte, ich kann euch heilen", meinte Eliandra verständnisvoll. "Ja. Da brach auf einmal alles zusammen... sagt, stimmt es wirklich? Kann ich geheilt werden? Es ist jetzt im Grunde nicht mehr wichtig. Ich habe mich entschieden, und lieber sterbe ich, als noch einmal Abathur zu gehorchen, aber es gibt trotzdem irgend etwas in mir, das nach all dem noch leben möchte..." Resignation und die Erwartung einer Enttäuschung lagen in den Augen Asunas, doch auch ein winziger, fast vollkommen versteckter Funke Hoffnung. Eliandra schmunzelte. "Es ist vielleicht nicht so einfach, wie ich es dargestellt habe, aber ich kann euch heilen. Sagt, wie lange könnt ihr ohne die Droge auskommen?" "Etwas mehr als zwei Tage. Ich habe noch genug für drei Wochen, dann sollte alles gelaufen sein." "Das reicht. In der Zeit würde ich es sogar ohne die heiligen Gegenstände schaffen, die Hitomi mitbringt." "Wie lange bleibt er bewusstlos?" fragte Merle nun ängstlich die Zaibacherin, denn ihm galt ihre Hauptsorge, und ganz vertraute sie der Frau noch längst nicht, auch wenn sie die Wahrheit zu sagen schien. "Er ist nicht bewusstlos, sondern schläft. Bis etwa Mitternacht. Ich habe ihm eine ziemlich große Dosis verpasst." "Wie macht ihr das eigentlich?" fragte nun Millerna "Und warum funktioniert es nur bei Männern? Ihr habt uns ja nie beeinflusst..." "Ja, nur bei Männern. Warum weiß ich auch nicht. Ich kann nur Männer beeinflussen, und Männer nur Frauen. Ich erinnere mich schwach, dass ich einmal zufällig Abathur darüber habe reden hören. Es hat etwas mit der Übertragungsart zu tun... aber was, keine Ahnung." "Ich denke, ich weiß es", meinte Eliandra. "Aber das hat Zeit bis später. Wir sollten uns jetzt um andere Dinge kümmern. Zum Beispiel, dass Hitomi hierher gelassen wird, ohne aufgehalten zu werden. Asuna dürfte nicht die einzige Figur im Komplottplan sein, die hier in Fanelia ist. Und die übrigen sind sicher nicht darauf erpicht, dass wir uns um Van kümmern können." Kapitel 7 - Abschied Akoth setzte Hitomi und Blinx unweit der Stadt Fanelia ab. "Von hier müsst ihr wieder alleine reisen. Aber es ist ja nicht mehr weit." "Danke Akoth!" "Nichts zu danken, Hitomi. Immer wieder gern." Der gewaltige Drache schwang sich in die Luft, und Hitomi drehte sich zu Blinx. Komm, steh auf. Du kannst den Boden weiter küssen, wenn wir da sind." Murrend stand Blinx auf, entgegnete aber nichts. Er spürte, dass Hitomi mit ihrer unbekümmerten Art nur ihre Sorgen überdecken wollte. Was war inzwischen mit Van und Fanelia geschehen? Als sie sich durch die Gassen schlichen, merkten Blinx und Hitomi sehr schnell, dass etwas nicht stimmte. Die wenigen Leute, denen sie begegneten wirkten unruhig, fast ängstlich, obwohl der strahlende Sommertag dazu keinen Anlass gab. Mehrmals belauschten sie Frauen, die miteinander tratschten, aber niemand erwähnte den Grund für die allgemeine Niedergeschlagenheit. "Ob es an Van liegt?" fragte Hitomi Blinx, worauf dieser nur die Schultern zucken konnte. "Ich weiß es nicht. Möglich wäre es." "Natürlich ist es der König", sagte eine traurige Stimmen neben ihnen, und sie fuhren herum. "Neela!" Rief Blinx überrascht. Das Mädchen stand in einer Seitengasse "Was machst du hier?" "Ich wohne hier in einem Palast und schmeiße gerade ein paar Bettler raus, siehst du es denn nicht?" Sie kam einen Schritt auf die beiden zu, blieb aber trotzdem in der Gasse und blickte Hitomi an. "Natürlich ist es der König. Er ist das Symbol Fanelias. Wenn mit ihm etwas nicht stimmt, stimmt auch etwas nicht mit den Menschen hier. Noch reden sie nicht darüber, aber eine solche Nachricht verbreitet sich auch nicht durch das geschriebene oder gesprochene Wort. Es reicht, wenn die Leute den König sehen, sein verschlossenes Gesicht, und die plötzliche Schweigsamkeit derer, die im Palast arbeiten. Es war schon vorher schlimm, aber jetzt... Etwas ist gestern passiert, und spätestens morgen wird es die wildesten Gerüchte geben." "Lady Hitomi!" rief auf einmal wieder jemand. Es war Markus, der auf sie zulief. Er strahlte fast, als er vor ihnen zum Stehen kam. "Ich bin so froh, euch zu sehen. Ich soll euch sofort zu Lady Thana und Merle bringen." "Ähm..." Hitomi war etwas überwältigt von der plötzlichen Entwicklung. Ihr Blick huschte dorthin wo Neela stand - und das Mädchen war verschwunden, hatte sich aus dem Staub gemacht, als sie den Soldaten bemerkt hatte. "Gut. Wir kommen mit", antwortete sie schließlich und ließ sich zusammen mit Blinx von Markus zum Schloss bringen. *** "Nein, er ist wach Merle. Ich habe ihm etwas gegeben, dass ihn daran hindert, sich zu bewegen." Merle seufzte. "Es ist so schrecklich. Ich wünschte, wir könnten mehr..." Sie riss ihre Augen so weit auf, dass Eliandra Angst, sie könnten ihr ausfallen. Dann sprang sie auf und hechtete auf die zwei Gestalten zu, die gerade durch die Tür herein kamen. "Hitomi!" schrie sie und rannte sie beinahe um. Hitomi blickte auf ein glückliches, tränenglitzerndes Gesicht hinab, das sie hoffnungsvoll ansah. "Du bist wieder da! Ich bin so froh! Hast du, was du brauchst, um Van zu helfen?" Hitomi drückte das pelzige Wesen sanft, aber bestimmt von sich weg. "Ja, das habe ich." "Dann sollten wir sofort anfangen", meinte Eliandra. "Je eher, desto besser. Am besten, wir gehen in Thanas Zimmer. Sie ist dort mit den anderen. Du willst sie sicher begrüßen. Außerdem sind da sowieso meine Sachen." Auf dem Weg dorthin erzählte Eliandra Hitomi alles, was während ihrer Abwesenheit passiert war, oft unterbrochen von Merle, die zu jedem überschwänglich ihre Meinung sagte. Schließlich betraten sie Thanas Zimmer, wo sie von allen mit großem Hallo empfangen wurden. "Ich würde mich gerne noch weiter mit euch unterhalten, aber ich würde lieber..." "Natürlich", stimmte Millerna ihr zu, bevor sie ausgeredet hatte. "Wir gehen. Wir werden zu Van gehen und auf ihn aufpassen, so lange ihr hier beschäftigt seid." Die Vorbereitungen hatten fast eine Stunde gedauert. Auf dem Tisch waren die Geräte aufgebaut, und Eliandra hatte von irgendwoher einen ganzen Stapel Kräuter geholt, den sie teilweise zerstoßen, in Wasser gelöst und in die Schale des heiligen Blutes gegossen hatte. Andere Kräuter hatte sie neben die große Kerze gelegt, die in der Tischmitte stand. "Wegen der Stimmung", hatte sie Augenzwinkernd gemeint, dann aber erklärt, dass sie während des Rituals einige der Kräuter verbrennen würde. Hitomi war nicht ganz wohl bei der Sache. Eliandra hatte ihr den Ablauf grob erklärt. Zuerst hatte sie ihr ein rötlich schimmerndes Gemisch aus vielen verschiedenen kleinen Phiolen gegeben, dass nicht nur extrem grauenvoll schmeckte, sondern bei ihr auch noch Schwindelgefühle auslöste. "Das ist normal. Das Elixier öffnet deine Sinne. Und das überanstrengt dich, vor allem, da du es nicht gewohnt bist." Eliandra hatte Recht. Hitomi konnte mehr sehen, riechen und fühlen als vorher. Deutlich nahm sie den Geruch jedes einzelnen Krautes wahr, wo sie vorher nur ein undefinierbares Mischmasch gerochen hatte. Sie konnte hören, wie der Wind an den Außenwänden entlang strich, und sie hörte nicht nur ihren Herzschlag, sondern auch den von Eliandra und von Thana. Und sie konnte auf ihrer Haut den Luftzug spüren, der durch das Zimmer wehte. Nachdem das Elixier seine volle Wirkung entfaltet hatte, konnte das Ritual beginnen. Hitomi holte die drei heiligen Gegenstände hervor, die sie sich so mühevoll beschafft hatte. "Stell die Schale hier vor die Kerze und leg den Rubin darauf, den Dolch daneben", ordnete Eliandra an. "Der Rubin ist wunderschön!" äußerte Thana ehrfürchtig und wollte ihn berühren. "Nein Thana!" rief Hitomi und hielt ihren Arm fest. "Nicht anfassen! Der Rubin ruft dich und weckt die Gier in dir. Ich kann es auch spüren..." "Ich auch", bekräftigte Eliandra. "...aber das bringt nichts Gutes, glaub mir!" beendete Hitomi ihren Satz. Thana schüttelte den Kopf. "Wahnsinn! Ich war einen Augenblick wie gefangen." "Versuche, ihn nicht zu beachten", riet Eliandra ihr. "Das ist nicht gerade leicht." Antwortete Thana. "Also gut, weiter geht's." Eliandra zündete ein paar der Kräuter an und legte sie rasch in ein schmuckloses, tönernes Behältnis, das sie nun mit einem Deckel verschloss, in dem winzige Löcher waren. Aus ihnen kamen bald darauf feine, fast unsichtbare Fäden Rauch. "Das verhindert, dass die Kräuter sofort verbrennen. So schwelen sie nur vor sich hin." Dann nahm sie den Dolch vom Tisch. "Jetzt bist du dran, Hitomi. Bereit?" Hitomi nickte und hielt ihren Arm über die Schale des reinen Blutes. Jetzt wusste sie auch, wieso sie diesen Namen trug. Thana trat hinter Hitomi und hielt sie fest. "Danke", flüsterte sie Thana zu und schloss die Augen. "Möge dieses Blut, gegeben aus freien Stücken um zu heilen...", intonierte Eliandra in einem einlullenden Singsang, "...und mögen die Artefakte der Reinheit und die Kraft unseres Geistes ausreichen, um jede Krankheit, jedes Gift und alle Schwäche aus Körper und Geist zu vertreiben!" Ein gellender Schrei raste durch die Gänge und Zimmer, erschreckte Wachen, Bedienstete und in Sorge und Hoffnung gehüllte Freunde. Der Schrei wurde nach einer scheinbar unendlich langen Zeit zu einem erstickten Wimmern, als Hitomi keine Luft mehr zum Schreien hatte. Ihr Blut kam in schnellem, stetigen Rhythmus aus dem Schnitt am Arm, den der Dolch des reinen Geistes hinterlassen hatte, der dort immer noch steckte, und an dem das Blut hinunter bis zur Spitze lief. Das Blut tropfte auf den Rubin der reinen Seele, in dessen Facettenschliff sich die Tropfen verliefen, und geläutert in die Schale des reinen Blutes rannen, um sich dort mit dem vorbereiteten, dünnflüssigen Brei zu vermischen. Tropfen für Tropfen, einer in jeder schmerzhaften Sekunde. Heilige Gegenstände und heilige Namen für ein heiliges Ritual. Doch das war Hitomi im Moment ganz egal. "Konzentriere dich, Hitomi!" drang Eliandras drängende Stimme undeutlich zu ihr durch. "Nur du kannst es machen. Ich kann dich nur anleiten." Heiße Lava schien durch Hitomis Adern zu fließen, aber sie verbannte den Schmerz in die hinterste Ecke ihres Bewusstseins. Im Moment war nur eines für sie wichtig... Erstaunt registrierte sie die Energieströme, die von Eliandra ausgingen. Bunten Irrlichtern gleich, flackerten ihre Enden über das aus ihrem Arm sickernde Blut. Sie zeigten ihr die Stellen, an denen sie etwas tun musste. Am Arm, an der Spitze des Glasdolches, auf dem roten, von ihrem Blut dunkel glitzernden Rubin, in der Schale. Verschiedene Veränderungen, die mit den Kräften der drei heiligen Gegenstände vereint wurden, um etwas Neues zu schaffen, etwas, das Van heilen konnte. Mit aller Kraft, zu der sie fähig war, konzentrierte sich Hitomi auf diese Veränderungen, musste alles einsetzen, das sie gelernt hatte. Der Schmerz wurde geringer und in den Hintergrund gedrängt, wenn er auch nicht verschwand. Sie strukturierte die Energieströme neu, leitete um, baute Dämme oder Kanäle. Immer noch pulsierte der Schmerz durch ihren Arm, aber dafür hatte sie keine Zeit. Sie musste Van helfen, und nur das war wichtig. Eine Ewigkeit schien es zu dauern, bis Eliandra langsam zurückwich, bis sie Hitomi anleitete, die Ströme zu festigen und sich dann langsam zurück zu ziehen. Tage schienen vergangen zu sein seit dem Moment, an dem der Dolch Hitomis Arm geritzt hatte. "Das wars!" rief Eliandra erleichtert aus. Nicht weniger erleichtert ließ Hitomi sich auf den Boden fallen. "Ich bin total erledigt", keuchte sie. Die Welt schien sich vor ihren Augen zu drehen. Thana hockte sich wortlos neben Hitomi hin und verband ihren Arm mit dem bereitgehaltenen Verbandszeug. Hitomi atmete zischend ein, als das Tuch ihre Wunde berührte. Nachdem Thana fertig war, half sie ihr auf. "Du bist noch nicht fertig, Hitomi, vergiss das nicht." "Ja, ich weiß." Hitomi ging zu dem Tisch und nahm die Schale des heiligen Blutes. In ihr funkelte ihr Lebenssaft, vermischt mit dutzenden zerstoßenen Kräutern, von ihr, dem Dolch, dem Rubin und auch der Schale verändert und gereinigt. "Ich hoffe, das hilft Van wirklich." Entschlossen, und doch mit wackligen Schritten setzte sie sich in Bewegung. Auf den Flur hinaus, zu Vans Zimmer. Davor saßen Millerna, Blinx, Yukari und Asuna. "Hitomi! Alles in Ordnung mit dir?" riefen sie, als die erschöpfte Hitomi mit der Schale kam und sprangen hoch. "Es geht schon. Wo ist Merle?" "Drinnen." antwortete Blinx, und machte eine Kopfbewegung auf die Tür zu Vans Zimmer. "Sie wollte mit ihm allein sein." Er machte ihr schweigend die Tür auf, nicht ohne neugierig auf die Schale zu blicken. Dann bemerkte er den Verband um Hitomis Arm, den wohl noch niemand gesehen hatte - oder zumindest wegen der Aufregung noch nicht als das erkannt hatte, was er war. Er wurde blass, als er begriff, was das bedeutete. Endlich verstand er die Bedeutung der Namen der heiligen Gegenstände. Doch er sagte nichts, genau so wenig wie die anderen. Sie alle wussten, dass Worte nicht helfen konnten, und auch nie das würden ausdrücken können, was sie sollten. Selbst die sonst ewig redende Yukari sagte nicht einen Ton. Merle atmete auf, als Hitomi herein kam, und rannte zu ihr, aber Van auf dem Bett beschimpfte sie sofort. "He du Miststück! Auch gekommen, um dich an meiner Hilflosigkeit zu ergötzen?" Hitomi wurde blass, und Merle sagte schnell: "Mach dir nichts draus. Mich beschimpft er auch schon die ganze Zeit. Eliandra hat irgendwie verhindert, dass er sich bewegen kann, aber sein Mund gehört nicht dazu." Sie schüttelte den Kopf. "Ich hätte nie gedacht, dass ich das sagen würde, aber ich glaube Asuna. Wenn das hier Van ohne ihre Beeinflussung ist, dann wäre er schon viel früher ausgeflippt." Während sie sprach hatte Van nicht aufgehört, herum zu schreien, und nun hatte Hitomi langsam genug. Sie war mit den Nerven fertig. "Hör auf, hier so zu schreien!" kreischte sie Van an, der tatsächlich verblüfft den Mund schloss. So hatte er Hitomi noch nie gesehen. So verzweifelt und niedergeschlagen. "Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht...", sagte er leise, doch dann verzerrte sich sein Gesicht. "Ich wollte dich nicht anschreien, ich wollte dich erschlagen! Aber dass kann ich ja nicht! Dieses Weib hat ich verhext..." Hitomi blendete sein Geschrei aus. Sie wunderte sich, wie leicht ihr das fiel. < Psychischer Schock oder so etwas. > vermutete sie. "Bitte geh, Merle." "Wie? Du willst, dass ich gehe?" fragte Merle verblüfft. "Ja!" antwortete Hitomi einfach nur. Sie sahen sich beide in die Augen. Das Mädchen vom Mond der Illusionen und das Mädchen aus dem Katzenvolk. Die zwei Mädchen, für die Van wichtiger war als alles andere, und die Van mehr bedeuteten als alles andere. "Ist gut Hitomi", sagte Merle nickend und mit feucht werdenden Augen. "Du hilfst ihm, ja?" Auch Hitomi nickte, dann ging Merle hinaus und schloss die Tür. Hitomi drehte sich zu Van um, der aufgehört hatte zu schreien und sie nun hasserfüllt ansah. Sie stellte die Schale auf den Tisch neben dem Bett, setzte sich neben Van und wollte ihm das Haar aus dem Gesicht streichen. Doch Van schnappte mit dem Mund nach ihrer Hand, und Hitomi zog sie ruckartig zurück. "Armer Van", murmelte sie. "Was haben sie dir nur angetan?" Sie seufzte und griff erneut nach der Schale. Mit einer Hand zwang sie Vans Kopf auf das Kissen, und mit der anderen hielt sie die Schale an seinen Mund. "Trink das!" Van hielt stur den Mund geschlossen und wehrte sich gegen Hitomis Hand, doch diese hielt ihn mit der Kraft der Verzweiflung fest. Sie wusste, früher oder später... "Du dreckiges Stück... hmpf." Hitomi rammte Van die Schüssel in den Mund und ließ alles darin in ihn hineinlaufen. Gleichzeitig drückte sie seinen Kopf so nach hinten, dass er es unwillkürlich schlucken musste. Seine Augen weiteten sich, schienen herauszuquellen. *** Draußen auf dem Gang keuchte Thana auf, und Eliandra blinzelte. "Es geht los. Thana? Was ist mit dir?" Das dunkelhaarige Mädchen stand auf, hielt sich den Kopf. "Diese Wut! Dieser Widerwillen!" Dann sackte sie langsam zusammen. Eliandra und Millerna sprangen auf und beugten sich zu ihr, aber Blinx hielt Merle fest, die in das Zimmer stürzen wollte. "Du darfst sie jetzt nicht stören." "Aber Van..." "Wird wieder gesund, wenn du Hitomi machen lässt. Du wirst schon sehen. Ich habe jetzt zwei Wochen mit ihr verbracht, und ich kenne sie. Sie wird es schaffen! Sie ist stärker, als ihr alle glaubt. Viel stärker, als sie selbst glaubt. Ihre Gefühle sind ihre Stärke, und diese werden auch den Hass besiegen, der sich in Vans Seele eingenistet hat." *** Mit Tränen in den Augen sah Hitomi, wie Van sich wand. Er hatte offensichtlich große Schmerzen, aber diese Schmerzen schienen nicht körperlich zu sein. Längst hatte sie die Schale weggeworfen und hielt nun Van umklammert, der sich hin und her warf. "Halte aus Van! Ich bin bei dir, halte aus!" rief sie verzweifelt. Wieder bäumte Van sich auf, stärker noch als vorher. Er warf Hitomi von sich ab und saß senkrecht im Bett. Seine Flügel zeigten sich unter seinem Hemd, zerrissen es, und auf seiner Brust zeigte sich nun das Pendel, dass Hitomi ihm geschenkt hatte. "Oh Van!" rief diese, nun überwältigt von der Bedeutung dessen. Trotz allem, all dem Hass, und dem Widerwillen, und dem Zorn hatte er ihr Geschenk immer an seinem Herzen getragen. "Ich werde dir helfen Van!" versprach Hitomi ihm, zog ihn wieder zu sich heran und drückte ihn an sich. "Ich werde dir helfen!" schluchzte sie. Das blaue Pendel, dass sie trug, begann zu leuchten, und ebenso das von Van. Eine Träne von Hitomi fiel darauf und gleißendes Licht hüllte die beiden ein... "Was... wo bin ich?" fragte Hitomi in die plötzliche, endlose Schwärze. "Du bist in mir." hörte sie Vans Stimme. "So sah es in mir aus, bevor du es geschafft hast, zu mir durch zu dringen." Die Welt hellte sich auf, wurde blau und grün, Konturen erschienen und verfestigten sich. Hitomi saß neben Van unter einem Baum, der ihnen beiden sehr bekannt vorkam. "Wieder einmal hast du mich aus der Verzweiflung in meinem Inneren geholt, Hitomi." "Van!" Sie warf sich ihm schluchzend an die Brust, heulte hemmungslos und konnte nicht mehr genug davon bekommen, ihn in ihren Armen zu spüren. "Van!" seufzte sie schließlich zufrieden und schaute zu ihm hoch. Seine unergründlichen, ruhigen Augen sahen sie sanft an. Beide versanken sie im Blick des anderen... Langsam näherten sich ihre Gesichter, und dann vereinigten sich ihren Lippen zu einem heißen, innigen Kuss. *** Thana auf dem Gang entspannte sich, und auch Eliandra atmete auf. "Es ist vorbei!" murmelte Thana und starrte mit weit aufgerissenen Augen ins Leere. "Ja, es ist vorbei." bestätigte Eliandra und lächelte die anderen an. "Van ist geheilt. Sie hat es geschafft!" Alle brachen in Jubel aus. Endlich war es überstanden. Sie zweifelten nicht an Eliandras Worten. Sie hatten selbst gespürt, wie das Böse aus ihm entwichen war. "Willst du nicht zu ihm?" fragte Blinx Merle, die mit Tränen in den Augen auf die Tür sah. "Nein. Im Moment würde ich die beiden doch nur stören, oder?" Blinx blinzelte überrascht. Dass Merle Rücksicht zeigte, war neu für ihn. Vielleicht hatte Hitomi doch Recht gehabt, und sie war gar nicht so schlimm, wie sie den Anschein erweckte. Eliandra beugte sich wieder über Thana und fuchtelte vor ihren aufgerissenen Augen herum. {Vollkommen weggetreten! Sozusagen Liebestrunken. Was da von den beiden kommt... Aber keine Sorge Eliandra, ich passe auf sie auf. Übrigens - auf Wiedersehen. Nachdem das hier erledigt ist - und Thana wieder bei sich - werde ich verschwinden. Darum glaube ich nicht, dass wir uns noch einmal sprechen werden. Flöte wird sicher auch wissen wollen, was hier passiert.} < Ist gut, Sakúraa. Grüß sie von mir.> *** Van schob Hitomis reglosen Körper von sich und legte sie sorgsam auf das Bett. Die Erschöpfung hatte tiefe Ringe unter ihre Augen gemalt, und dennoch kam sie ihm schöner vor als jemals zuvor. Er legte die Decke über sie und wischte ihr die Tränen aus den Augen. Dann tat er das selbe bei sich. Es war das erste Mal seit Jahre, dass er geweint hatte, wenn es jemand anderes sah. Aber das war ihm egal. Er beugte sich zu ihr hinunter, und hauchte ihr einen Kuss auf den Mund, bevor er langsam und schweigend den Raum verließ. Van schloss die Tür, und drehte sich um. Alle sahen ihn an. "Seid leise! Sie schläft", meinte er und ging auf Merle zu, die ihn mit Tränen in den Augen ansah. Er hockte sich vor ihr hin, und sah ihr in die Augen. "Van!" flüsterte Merle, dann lauter, "Oh mein Vaaaaannnn!" und fiel ihm um den Hals. Große Tränen rannen aus ihren Kulleraugen. "Kannst du mir noch mal verzeihen Merle?" "Jederzeit Van. Ich bin so froh, dass es dir gut geht." Auch die anderen versicherten ihm, dass sie ihn nicht für schuldig hielten für das, was er getan hatte. Dann war die Reihe an Asuna. Die Zaibacherin hatte dem Wiedersehen glücklich zugeschaut, doch nun bekam sie Angst. Was würde Van tun? Konnte er sich überhaupt an alles erinnern? Wie um ihre Fragen zu beantworten, sagte er: "Ich kann mich nicht genau an alles erinnern, aber das wichtigste weiß ich. Vor allem das, was du mir vor ein paar Stunden gesagt hast." Merle sah ihn fragend an. Asuna hatte vor ein paar Stunden gemeint, dass sie eine Weile mit Van allein sein wollte, und Merle hatte es ihr schweren Herzens erlaubt. Sie hatte nicht gewusst, dass Asuna anscheinend auch so etwas wie ein Geständnis abgelegt hatte. "Kannst du mir sagen, wo sich dieser Abathur verbirgt?" Asuna schüttelte den Kopf, nickte dann aber: "Ich kann es dir sagen, aber das bringt nichts. Das hier habe ich in meinem Zimmer gefunden." Sie holte einen zerknüllten Zettel aus der Tasche, und reicht ihn Van. Der las laut vor: Dieser Verrat bedeutet deinen Tod! Abathur vergisst nicht! "Sie sind längst über alle Berge. Aber ich kann dir aufzeichnen, wo das Versteck ist, das ist dann nicht schwer zu finden. Aber es wird nichts bringen." "Wir müssen es zumindest versuchen. Markus!" Der Soldat kam erschrocken hinter der Ecke hervor, hinter der er gelauscht hatte. "Ruf die Männer zusammen! Sie sollen nach Asunas Anweisungen das Versteck dieses Hexers und seiner Gefolgsleute suchen." Markus blickte argwöhnisch auf Asuna, dann wieder auf Van. Unsicherheit zeigte sich auf seinem Gesicht. Anscheinend war der König ja wieder er selbst, aber... "Mach was er sagt!" rief Merle wütend. "Ich will die Köpfe derjenigen haben, die meinem Van so etwas angetan haben.!" Markus salutierte und rannte davon. "Markus!" rief Van ihm hinterher. "Ich will in zwei Stunden eine Ansprache vor dem Volk halten. Es soll sich auf dem Schlossplatz versammeln!" Der Soldat nickte um die Gangecke herum und machte sich dann auf, seine Befehle auszuführen. Seine Augen leuchteten. Jetzt war er sich ganz sicher. Wenn Merle sich keine Sorgen mehr um Van machte, dann war alles in Ordnung. Man konnte dem Katzenmädchen nachsagen, was man wollte - wovon das meiste zweifellos stimmte - aber Sorglosigkeit dem König gegenüber, das war so unglaubwürdig, dass es nicht mal für einen Witz taugte. *** Merle betrat ihr Zimmer. Van hatte, da Hitomi immer noch in seinem lag, dort seine Unterhaltungen unter vier Augen abgehalten. Er hatte sich sowohl bei Thana, bei Millerna, als auch bei Blinx und Eliandra entschuldigt, einige Fragen gestellt, und sie dann gebeten, den nächsten hinein zu schicken. Bei Asuna hatte er etwas länger gebraucht. "Was wirst du nun tun, Zaibacherin?" "Das weiß ich nicht genau. Eliandra sagte, sie könne mich von meiner Abhängigkeit heilen. Ich werde für eine oder zwei Wochen mit ihr mitgehen. Was dann geschieht... Vielleicht gehe ich nach Zaibach. Ich bin keine richtige Prinzessin, aber Abathur und seine Verbündeten haben es groß heraus posaunt. Ich könnte die Rolle weiter spielen." "Und weswegen? Wegen der Macht?" Van sah ihr in die Augen und erkannte, dass sie die Wahrheit sagte, als sie ihm antwortete: "Nein. Ich will gar keine Macht. Aber auch das Zaibacher Volk hat gelitten. So wie du hier, so will auch ich in Zaibach den Menschen helfen. Vielleicht kann ich etwas erreichen. Ich muss es zumindest versuchen." "Merle, ich möchte dich um etwas bitten." "Ja Van?" "Wenn ich aus irgendeinem Grund noch einmal so durchdrehen werde, sperrt mich ein, bevor ich Schaden anrichten kann." "Van..." "Das ist mein voller Ernst Merle. Ich will sicher sein, dass so etwas nie wieder passiert." Van hielt Merle so lange an den Armen fest, bis diese endlich wiederwillig nickte. "Gut. Würdest du bitte Hitomis Freundin herein bitten? Wie war doch ihr Name?" "Yukari." antwortete Merle. Kurz vor der Tür blieb Merle stehen und drehte sich noch einmal um. "Van?" "Ja?" "Frag sie. Wenn du es nicht tust, wirst du dir ewig Vorwürfe machen." Dann verschwand sie mit einem Satz aus dem Raum, um Yukari zu holen. Van wusste genau, was sie gemeint hatte. Sie kannten sich lange genug. "Wars das?" fragte das Mädchen in der Schuluniform den jungen König. "Ja. Das heißt, fast. Ich möchte dich noch einmal um Verzeihung bitten..." "Papperlapapp!" schnitt ihm Yukari das Wort ab. Dann stand sie auf und stellte sich vor Van, der unwillkürlich ebenfalls aufgestanden war. "Van Sanzar de Fanel." "Slanzar..." "Wie auch immer." Yukari winkte ab. "Ich weiß nicht, was Hitomi alles getan hat, um dir zu helfen, mein Lieber. Wahrscheinlich wird sie es nicht mal mir erzählen, und du solltest sie auch nicht fragen. Aber eines weiß ich: Sie liebt dich über alles." In diesem Augenblick wurde ihr Gesicht hart wie Stein, und Van wich unwillkürlich einen Schritt zurück, doch Yukari machte sofort einen nach vorne. "Wenn du sie auch nur einmal unglücklich machst, Van Slanzar de Fanel, bekommst du Ärger mit mir, wie du ihn dir nicht einmal vorstellen kannst!" Sie drehte sich um und wollte hinausgehen, doch Van hielt sie mit seiner Stimme fest. "Ich bin froh, dass Hitomi eine solche Freundin wie dich hat, Yukari. Ich will dir etwas sagen: Ich weiß ganz genau, was Hitomi durchgemacht hat. Ich habe es gesehen... und gespürt." Er atmete tief ein, während Yukari sich halb umdrehte. Sie erschauerte, als sie seine klaren Augen sah, und den unbeugsamen Willen darin. "Aber das bleibt unter uns. Was die anderen, und vor allem Hitomi angeht, weiß ich von nichts." Yukari nickte ihre Zustimmung. "Keine Sorge Yukari, ich werde sie nicht unglücklich machen. Das ist das letzte, das ich will." *** Wie sich später herausstellen sollte, waren Abathur und die anderen Hexer wie vorausgesagt geflüchtete und hatten ihr Versteck in die Luft gesprengt. Nichts mehr davon blieb intakt. Begraben lag alles unter Tonnen von Felsen und würde auch für immer dort bleiben. Van hatte keine Lust, das Grauenvolle vielleicht wieder ans Tageslicht zu holen. Doch erst einmal stand seine Ansprache vor seinem Volk an. Er hatte ehrlich alles sagen wollen, und er hatte auch vor anzubieten, dass er abdankte. Aber alle hatten sich dagegen ausgesprochen. Letztendlich war es sogar Asuna, die ihn überzeugte. "Ich habe niemanden in meinem ganzen Leben getroffen, der dem Kirseth einen solchen Widerstand entgegengesetzt hat. Ich habe dich kennen gelernt, Van, und ich weiß, dass Fanelia keinen besseren König als dich haben könnte. Und du hast noch Merle und Thana. In den beiden steckt mehr Talent zum regieren, als es den Anschein hat. Du hast die einmalige Gelegenheit, zwei Berater zu bekommen, die dir sowohl ehrlich als auch verantwortungsbewusst ihre Meinung sagen werden, und die für immer deine Freunde sind. Das ist sehr, sehr selten. Und dann ist da noch Hitomi..." So stand Van nun vor den versammelten Menschenmassen Fanelias und würde eine Erklärung abgeben, die nicht ganz die Wahrheit war, aber auch keine Lüge. Und eine, die verhindern würde, dass Asuna Probleme bekam. "Volk von Fanelia!" hallte es über den Platz. Vans Stimme war kräftig und kam selbst in den hintersten Winkel. Aber auch, wenn er in normaler Lautstärke gesprochen hätte, hätte ihn jeder gehört, so still war es. "Die letzten Wochen waren hart, nicht nur wegen der Anstrengungen und den Problemen des Wiederaufbaus. Ich bin sicher, zahlreiche Gerüchte über mein Verhalten in letzter Zeit sind in den Straßen umhergegangen." Ein Stimmengemurmel brandete auf, und Van hatte Mühe, die Leute zum Schweigen zu bringen. Eine solche Eröffnung hatte wohl keiner erwartet. "Ich muss euch sagen, dass vieles davon stimmen dürfte. Ich habe mich nicht wie ein König verhalten. Ich habe die Bediensteten angeschrieen, geschlagen, und sogar meine Freunde, darunter auch Millerna von Asturia, in eine Zelle sperren lassen." Jetzt war der Tumult unübersehbar. "Ruhe! Ruhe bitte! Hört mir zu!" Nur langsam sank der Geräuschpegel. Nun musste Van wirklich laut reden, um sich verständlich machen zu können. "Es gab einen triftigen Grund dafür. Ich will hier nicht ins Detail gehen. Nicht nur wegen der Komplexheit der Angelegenheit, sondern auch aus politischen Gründen." Eliandra hatte ihm geraten, etwas in der Art zu sagen. Die Leute waren von Natur aus dagegen, lange Reden zu hören, und der Politik trauten sie alles zu. Indem er zugab, das es etwas mit Politik zu tun hatte, würden sie über so manche Ungereimtheit hinweg sehen. "Ich kann euch aber sagen, dass das ein für alle Mal vorbei ist." Ein vorsichtiges, noch etwas misstrauisches Aufatmen in der Menge. "Ich wollte mit meinem Verhalten Rebellen, die sich gegen den Frieden gestellt haben, Glauben machen, sie hätten mich unter ihrer Kontrolle. Zu meiner Beschämung muss ich sagen, dass es auch beinahe dazu gekommen wäre." "Gib etwas zu, das macht sich immer gut. Dadurch wirkst du menschlicher, und die Leute werden dir auch mehr verzeihen." Eliandra schien viel von Reden zu verstehen. "Doch dann kam das Mädchen vom Mond der Illusionen. Zusammen mit der Zaibacher Prinzessin..." "Und erwähne Hitomi zusammen mit Asuna. Die Leute wissen, was Hitomi getan hat. Wenn sie mit Asuna zusammen gearbeitet hat, kann die Zaibacherin nicht wirklich böse sein." "...hat sie mir geholfen, mich dem Einfluss der Rebellen zu entziehen. Leider muss ich auch gestehen, dass sie uns entkommen sind. Aber es ist uns gelungen, ihre Basis, und damit die Grundlage ihres Handlungsvermögens ausfindig zu machen, und wir werden sie zerstören." "Kleide einen Misserfolg in Positives, dann wird darüber hinweg gesehen. Die Menschen haben ein sehr selektives Gedächtnis" "Die Zaibacher Prinzessin wird nun in ihr Land zurück kehren." "Was ist mit dem Mädchen vom Mond der Illusionen?" fragte eine Stimme aus der Masse, und zustimmende Rufe wurden laut. "Sie ist sehr erschöpft. Sie und ihre Freundin, die ebenfalls vom Mond der Illusionen kommt, und die vielleicht schon einige von euch gesehen haben, werden auch bald dorthin zurück kehren. Entschuldigt, wenn ich mich jetzt um sie kümmere. Was ich sagen wollte, habe ich gesagt." Van drehte sich um und betrat das Schloss. Hinter ihm wurde erst zaghaft, dann immer lauter Beifallsklatschen hörbar. Irgendwer rief nach einer Feier, und die Menge stimmte lauthals zu. "Ein toller Abgang!" meinte Eliandra, die im Gebäude die Rede verfolgt hatte. Van lächelte. "Mag sein, dass ich keine Ahnung vom Reden halten habe, aber die Menschen Fanelias sind einfache Leute. Sie merken, wenn jemand ehrlich ist. Ich bin sicher, sie haben alle gemerkt, dass ich nicht die ganze Wahrheit gesagt habe. Aber genauso wissen sie, dass jetzt alles gut wird. Manchmal ist das nicht Ausgesprochene wichtiger als das, was man sagt. Und vor allem wissen sie, dass der Schluss aus tiefstem Herzen kam. Würdet ihr bitte dafür sorgen, dass Hitomi und ich nicht gestört werden?" Eliandra nickte und verbeugte sich vor dem jungen König. Auch sie achtete auf das nicht Ausgesprochene. Sie wusste, dass das Herz oftmals wichtiger war, als die Worte oder die Befehle eines Königs. Van hatte das Vertrauen seiner Untertanen. Sie wussten, dass er nicht unfehlbar war, und dass er sein Bestes gab. Sie würden das gleiche tun: Ihr Bestes geben, soweit sie es vermochten. Eliandra hatte sich intensiv mit der Geschichte befasst, wie die meisten Tihani. Sie wusste, dass das die Einstellung war, aus der große Reiche entstanden. Reiche, die nicht durch das Schwert vergrößert wurden, sondern durch die Ideale, die in ihnen herrschten. Mochten die Länder selbst, die diese Ideale hervorgebracht hatten, auch klein bleiben, ihr Einfluss reichte durch die Jahrhunderte, und stets waren diese Jahrhunderte die Blüten der Zivilisation. Bis zu ihrem Niedergang. Eliandra hoffte, dass dieser Niedergang einer der wenigen sein würde, die ohne großes Blutvergießen vonstatten gingen, und nur der Auftakt waren für etwas noch größeres, noch gewaltigeres und schöneres. Denn das war der Lauf der Dinge: Reiche entstanden und gingen unter, aber die Menschen blieben. Und die Einstellung in ihrem Herzen bestimmte über ihr Schicksal. Epilog Van betrat Hitomis Zimmer. Sie stand auf dem Balkon, und betrachtete versonnen den blauen Himmel, an dem weiße Schäfchenwolken kleine Figuren bildeten. "Sie sind wunderschön, nicht?" fragte Hitomi den hinter ihr stehenden Van, ohne ihn dabei anzusehen. Sie wusste, wer da gekommen war. "Ja, das sind sie. Aber nicht halb so schön wie du", antwortete er lächelnd und umarmte sie. Hitomi schmiegte sich an ihn, und Van atmete tief ihren Duft ein. "Deine Freundin will nach Hause. Sie findet wohl keine Ruhe, ehe sie von hier weg ist. Und ich kann sie verstehen. Gaia hat sich auch ihr nicht von der besten Seite gezeigt, genau wie dir." Hitomi lächelte ebenfalls. Es war ein verträumtes, und dennoch trauriges Lächeln, denn sie wusste, nun hieß es Abschied nehmen. "Yukari hat Recht. Es müsste inzwischen schon weit über einen Monat vergangen sein. Es wird wirklich Zeit, dass ich sie zurückbringe." "Vielleicht schaffst du es ja ohne Zeitverlust? Dann könntest du ja noch ein wenig hier bleiben, wäre das nichts?" Hitomi drehte sich zu ihm um und drückte ihn ein Stück von sich weg. Dann sah sie ihn ernst an. "Das würde ich sehr gerne, aber das geht nicht. Ich muss einfach zurück. Es..." Van legte ihr den Finger auf den Mund. "Psst. Sag nichts. Ich weiß, was du sagen willst." Hitomi drehte sich erneut um und seufzte in den warmen Wind. Tief in Van arbeitete es. Heute morgen war Merle wieder bei ihm gewesen und hatte ihm ins Gewissen geredet. Sie hatte ja Recht, was seine Gefühle betraf, aber konnte er es wirklich verantworten, Hitomi das zu fragen? Doch Merle hatte Recht. Wenn er es nicht tat, würde er sich das nie vergeben können. "Hitomi, ich möchte mich bei dir für etwas entschuldigen. Nein, dreh dich nicht um. Sag auch nichts. Hör mir einfach zu." Hitomi nickte, und Van fuhr fort, legte dabei seine Hände auf ihre Schultern. Wie unendlich zerbrechlich sie ihm in diesem Augenblick erschien. Nicht sie selbst, sondern ihre Anwesenheit. So unendlich kostbar und zerbrechlich. "Ich habe einmal einen großen Fehler gemacht. Ich habe dich bereits einmal gefragt, ob du bei mir bleibst. Ich habe gesagt, ich möchte, dass du bei mir bleibst, weil ich deine Fähigkeiten brauche. Ich habe erst in den letzten Tagen wirklich verstanden, was dir das angetan hat. Wenn das stimmt, was ich hoffe, nein, was ich mir ersehne...", Van atmete tief durch, um das Zittern in seiner Stimme zu verbannen, "...dann kann ich dir nur immer wieder sagen, wie leid es mir tut. Ich habe gesagt, ich brauche deine Fähigkeiten. Du hast mich falsch verstanden. Nein, eigentlich hast du mich richtig verstanden, denn in diesem Augenblick... Ach verdammt... Hitomi... Ich brauche dich wegen deiner Fähigkeit, den Tag heller erscheinen zu lassen, wenn du in meiner Nähe bist. Ich brauche dich wegen deiner Fähigkeit, meinem Leben Sinn zu geben. Ich brauche dich, weil ich mich in deiner Nähe so wohl fühle, wie sonst nie. Kurz: ich brauche dich, weil ich dich liebe. Weil ich dich mehr liebe, als alles auf der Welt." Er schwieg, und wartete auf Hitomis Antwort. Die Welt schien still zu stehen, als sie sich zu ihm drehte. Nasse Tränen glitzerten in ihren Augen, und der Wind spielte mit ihrem Haar. "Ich möchte, dass du bei mir bleibst Hitomi. Für immer." Hitomi hob die Hände, und nahm Vans Gesicht zwischen die Fingerspitzen. "Oh Van! Wenn du wüsstest, wie sehr ich darauf gehofft hatte. Und wie sehr ich Angst vor diesem Augenblick hatte. Ich wünsche mir nichts mehr, als mit dir zusammen zu sein, aber ich kann nicht. Nicht jetzt..." "Ich weiß. Ich weiß. Ich werde auf dich warten. Wann immer du bereit bist. Du wirst immer die einzige in meinem Herzen sein." "Und ich werde zu dir kommen, das verspreche ich. Ich werde kommen, wenn ich mich von all meinen Freunden verabschiedet habe, von meinen Eltern, meinem alten Leben... Es wird schmerzhaft sein. Ich brauche Zeit. Vielleicht nächstes Frühjahr, wenn das Schuljahr vorbei ist. Dann hätte ich genügend Zeit..." "Nächstes Jahr ist gut. Quäle dich nicht. Auch wenn es zwei Jahre dauert, oder drei, ich werde auf dich warten und da sein, egal wann du kommst." Van griff unter sein Hemd und holte den Anhänger hervor, den Hitomi ihm einst gegeben hatte. "Dieser Anhänger war dein Abschiedgeschenk. Er sollte uns auf ewig verbinden. Ich möchte ihn dir zurück geben. Ich brauche ihn nicht mehr. Ich brauche ihn nicht, um zu wissen, dass wir verbunden sind. Ich weiß, dass du zurück kommen wirst." "Van, das kann ich nicht..." "Doch, ich verlange es." "Na gut, aber nur unter einer Bedingung!" Van sah sie fragend an, und lächelnd holte Hitomi nun den blauen Anhänger hervor, den sie von Mai Ling erhalten hatte. "Nur unter der Bedingung, dass du diesen hier nimmst. Was soll ich auch mit zwei anfangen? Das Blau steht dir sowieso viel besser als mir." Lächelnd streckte Van seine Hand aus. Leise klimpernd schlugen die beiden Anhänger gegeneinander. Van hängte sich seinen neuen Anhänger um, und Hitomi den, der ihr auch ursprünglich gehört hatte. "Nun, lass uns gehen Van. Ich möchte Yukari nicht warten lassen." Kurz küssten sie sich noch, bevor sie Hand in Hand den Balkon verließen. Unter dem Balkon saß Blinx und hielt die glücklich weinende Merle in seinen Armen. Immer wieder flüsterte sie: "Van, ich freue mich so für dich." Blinx konnte nichts tun, außer den schluchzenden, zitternden Körper fest zu umschlingen. Er hätte gerne irgend etwas gesagt, dass Merle aufgeregt hätte, nur, damit sie endlich aufhörte. Aber weder brachte er es übers Herz, noch war er dazu in der Lage. Ihm standen selbst die Tränen im Gesicht, zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit. *** Van schaute nach oben, dorthin, wo der Mond der Illusionen leuchtete, und wo seine geliebte Hitomi nun war. Es tat ihm weh, sie nicht mehr in seiner Nähe zu haben. Aber er wusste, dass sie zurück kommen würde. Irgendwann, wenn sie bereit war. Er würde warten. Er würde auf sie warten, und wenn sie zurück kam, würde er der glücklichste Mensch auf ganz Gaia sein. Und dem Mond der Illusionen gleich mit. Er straffte seine Schultern und verließ sein Zimmer. Auf dem kürzesten Weg begab er sich dorthin, wo die wichtigsten Leute Fanelias versammelt waren. Ein Diener öffnete ihm die Tür, und beim Eintreten betrachtete er die Männer, die ihn dort erwarteten. Erwartungsvoll sahen sie ihn an. "Nun, meine Herren, es gibt eine Menge zu tun." ------------------- ENDE ------------------- von LMMI 3 Blick auf Fanelia im Tal, langsamer Schwenk zum Himmel mit den beiden Monden; >Yubiwa< fading in ;) Wie ihr sicher gemerkt habt, habe ich euch diesmal gleich zwei Kapitel auf einmal spendiert. Der Grund ist, dass ich seit kurzer Zeit eine eigene HP habe. Ist zwar noch im Aufbau, aber das ja eigentlich jede. Dort findet ihr nicht nur meine Escaflowne-FFs sondern auch andere Geschichten. Die Adresse ist: www.people.freenet.de/lennstar (steht jetzt auch in meinem Steckbrief.) LMMI 4 Kapitel 1 ---------------- © der beiden Lieder (soweit ich weiß) by R. Blackburn and C. Night 1997 Und das letzte von der selben CD hebe ich mir für den Schluss von LMMI 6 auf. *Erinnerung an mich selbst* "Gesprochenes" »Gedanken« *Schriftliches* oder auf andere Art fernkommunikatives *g* schönes Wort! Die Rückkehr Magical World I called your name out loud in the Courtyard, The crystal I held was like an old friend The vines crawled the walls The wind held its breath But the answer I longed for never came... Your name, they had said, Was cursed beyond measure, The families at odds fought with poisoned tongues And yet through the dark, Of blind, bitter hate Broke a glittering light of two lovers faith Walls build between us, Miles separate us, Yet in our hearths we share the same dream Feelings so strong, We just must carry on, On to our magical world Destiny called them like a silver poem They followed the dance, ´till the music died out Last time they met was on an earth bed Both know, they´d meet again in the light Walls build between us, Miles separate us, Yet in our hearths we share the same dream Feelings so strong, We just must carry on, On to our magical world In our magical world... In our magical world Fear not, dear Juliet, your Romeo´s calling He´s waiting for you at the end of the song... This world was to cruel... for lovers like you, But here in our hearts you´ll always live on... *************************************** Prolog Sie schlug zu, und hätte ihm das Holzschwert um ein Haar aus der Hand geschlagen. "Bravo, weiter so!" schrieen ihr die Zuschauer zu, und das Mädchen gestattete sich ein Lächeln. "Du schaffst ihn!" hörte sie ihre beste Freundin. Lauernd wartete sie auf den nächsten Angriff ihres Gegners. Eine ihrer Schulterlangen Haarsträhnen hatte sich gelöst, und war im Winkel zwischen ihren Lippen hängen geblieben. Sie pustete die Strähne weg, und das nahm ihr Gegenüber offenbar als Möglichkeit wahr, sie zu überraschen. Doch sie hatte damals gelernt, sich niemals ablenken zu lassen, und so wurde ihm seine Vermutung zum Verhängnis. Ein lauter Krach, und sein Schwert flog in hohem Bogen durch den Raum, wirbelte ein paar Mal um die eigene Achse, und schlug dann klackernd auf den Boden. Dort drehte es sich noch einige Male, um dann liegen zu bleiben. Das Holzschwert des Mädchens hatte in der Zwischenzeit seinen Bogen beendet, und war am Hals des schwarzhaarigen, hochgewachsenen jungen Mannes schweben geblieben. Dieser hob die Hände, und gab auf. Sie senkte ihr Schwert. "Ich kann es zwar nicht glauben, aber ich bin doch tatsächlich von einem Mädchen geschlagen wurden- und dann noch von einer, die erst vor gut einem halben Jahr angefangen hat." Er verbeugte sich vor ihr, nicht ohne durch ein warmes Lächeln seinen Worten die Schärfe zu nehmen. Jubel brandete auf, und die Zuschauer kamen, um die Siegerin zu beglückwünschen. Natürlich war ihre beste Freundin die erste. "Oh Mann, das war Klasse! Du hast es doch wirklich geschafft, unseren Kendo- Champion zu schlagen! Da wird sich Chiaki wohl nach einem neuen Hobby umsehen müssen!" "Yukari! Das glaubst du doch nicht im Ernst! Bei unserem nächsten Duell werde ich sie schlagen." "Keine Chance, Chiaki." Hitomi schaute ihn um Verzeihung bittend an. "Aber nichts kann meinen Entschluss ändern. Ich gehe morgen, und wir werden uns vielleicht niemals wieder sehen." Der ehemalige Kendo- Champion seufzte theatralisch. "Ja, ich weiß. Es ist eine Schande. Dann habe ich wieder keinen, der mir das Wasser reichen kann." "Vielleicht findet sich ja doch noch wer. Viel Glück auf jeden Fall." "Dir auch Hitomi- wo immer du auch hingehst." "Und du willst wirklich keine Party geben?" fragte Yukari ihre Freundin auf dem Weg zu deren Haus. Hitomi schaute ein letztes Mal auf die Silhouette der Schule, die gleich hinter der Biegung des Weges verschwinden würde. "Nein, Yukari. Das würde es für mich nur schwerer machen- außerdem bin ich mir nicht sicher, dass ich dann nicht in Tränen ausbreche, und du willst doch nicht, dass mich alle als Heulsuse in Erinnerung behalten, oder?" "Hitomi!" Yukari stöhnte übertrieben auf. "Manchmal bist du wirklich komisch. Du wirst nicht heulen, dazu bist du viel zu glücklich. Stimmt doch, oder?" Hitomi schaute auf das Meer hinaus, dorthin, wo sich der Mond schwach im Wasser der Bucht spiegelte. Es war Vollmond. Keine Wolken waren am dunkelblauen Himmel zu sehen, die die untergehende Sonne hätte beleuchten können. Der Frühling hatte gerade begonnen, und das Schuljahr war vorbei. Hitomi hatte hier schon wesentlich schönere Abende erlebt, aber trotzdem war sie noch nie so... wirklich glücklich? Entspannt? Losgelöst? gewesen wie heute. Es würde ihr letzter Tag auf der Erde sein, und dann würde sie ein Versprechen einlösen, das sie vor einem dreiviertel Jahr gegeben hatte. Das Versprechen, zu ihm zurück zu kommen. ********** Wish You Were Here Wish You Were Here... Me, oh, my country man, Wish You Were Here... I Wish You Were Here... Don't you know, the snow is getting colder And I miss you like hell, And I´m feeling blue I´ve got feelings for you Do you still feel the same? From the first time I led my eyes on you... I felt joy of living I saw heaven in your eyes... In your eyes... Wish You Were Here... Me, oh, my country man, Wish You Were Here... I Wish You Were Here... Don't you know, the snow is getting colder And I miss you like hell, And I´m feeling blue I miss your laugh, I miss your smile, I miss everything about you... Every second´s like a minute, Every minute´s like a day When you are far away The snow is getting colder, baby, I Wish You Were Here A battlefield of love and fear, And I Wish You Were Here... I´ve got feelings for you, From the first time I laid my eyes on you... Kapitel 1 Nur mühsam konnte sich Van beherrschen. Immer und immer wieder stritten die Botschafter über die selben Themen. Was sollte Fanelia tun, was nicht? Dass der König eben dieses Landes an ihrem Tisch saß, schien sie nicht zu interessieren. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass dieser Teil des Schlosses heute noch feierlich eingeweiht werden sollte, und sie schon viel zu lange hier waren. Die Diener, die den Thronsaal schmücken sollten, in dem die Konferenz stattfand, hatten schon mehrmals nervös in den Raum geschaut, obwohl es ihnen strengstens verboten war. Wenn sie bemerkten, dass Van sie sah, verschwanden sie sehr schnell und offensichtlich ängstlich. Wahrscheinlich hatten sie seine Miene gesehen. Am schlimmsten fand Van, dass sich die Botschafter am meisten darüber ereiferten, welche von den Prinzessinnen ihrer Länder nun die geeignetste für den Posten der Königin von Fanelia war. Was bei ihrem letzten Versuch in dieser Richtung geschehen war, schienen sie vergessen zu haben. Dabei war es erst ein dreiviertel Jahr her. Ein dreiviertel Jahr, das Van wie eine Ewigkeit erschienen war, denn für ihn gab es nur eine, die er sich neben sich auf dem Thron vorstellen konnte. Dieses Mädchen hatte ihn vor einem dreiviertel Jahr verlassen, und dabei versprochen, zu ihm zurück zu kommen, wenn die Zeit gekommen war. Diese Zeit war nun gekommen, Van wusste, dass sie irgendwann in diesen Tagen kommen würde, und seine Aufregung stieg mit jedem Sonnenuntergang den er allein verbrachte. Unwillkürlich griff Van nach dem Anhänger, den er um den Hals trug. Es war nicht mehr der, den Hitomi ihm bei ihrem ersten Abschied gegeben hatte. Diesen trug sie nun wieder. Aber im Austausch dafür, und als Versprechen, hatte sie ihm diesen gegeben, der einst Mai Ling gehört hatte. Wie zur Antwort auf seine stummen Gebete glühte der Stein des Anhängers in diesem Moment in einem sanften, blauen Licht auf, dass schwach zwischen Vans Fingern hindurch schien. Überrascht holte Van den Anhänger heraus, und starrte ihn an. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn... Ein Gefühl wie die Frühlingssonne auf dem Gesicht, der Duft der Frühblüher und das helle Grün der sprießenden Blätter. Ein Gefühl der Ruhe, auch eines wehmütigen Schmerzes überkam ihn, ein Gefühl, dass er mit einem bestimmten Platz in Verbindung brachte, und dass nur wenige an diesem Ort empfinden würden... Van lächelte. Er wusste was das bedeutete. Mit einem Ruck stand er auf, und seine Stimme schallte kräftig und energisch durch den Raum, so dass die Streitenden überrascht mitten in ihren Sätzen innehielten, und ihn erschrocken ansahen. "Meine Herren." Van hob in theatralischer Geste die Arme. Er konnte nicht anders, und musste einfach in diesem Moment jedes Fitzelchen vorhandenen oder nicht vorhandenen Königtums aus sich herauspressen. Er fühlte sich wie ein kleiner Junge, dem gerade der Streich des Jahres eingefallen war. "Eure endlosen Zänkereien haben Uns verärgert. Darum haben Wir beschlossen, selbst und ohne Rücksprache mit euch eine Entscheidung zu treffen. Wir werden sie heute Abend bei der Einweihungsfeier des Schlosses bekannt geben. Und nun gehabt euch wohl, Wir haben vor, diese Entscheidung ganz allein und ungestört zu treffen." Nachdem er ausgesprochen hatte, schritt er schnell, aber ohne Hast zu zeigen aus dem Thronsaal. Noch Sekunden, nachdem die Tür lautstark hinter ihm zugefallen war- nicht ohne unauffällige, tatkräftige Unterstützung Vans- herrschte Schweigen bei den überrumpelten Botschaftern. Dann brach Ohrenbetäubender Lärm aus. Die Männer schrieen sich gegenseitig an, beschuldigten sich abwechselnd, den König beleidigt zu haben, und rauften sich die Haare, weil sie alle Einflussnahme schwinden sahen. Die Diener jedoch ignorierten sie, und begannen mit der Ausschmückung des Saales. Wo immer ihnen einer der Botschafter im Weg war, schoben sie ihn höflich, aber bestimmt zur Seite, so dass diese nach einer Weile beinahe Fluchtartig den Saal verließen. Van dagegen schlich sich durch die Hintereingänge aus dem Schloss, und eilte zum Grab seines Bruders. Nervös fuhr er sich mit der linken Hand durch das Haar, während die rechte in der Hosentasche ein kleines Kästchen umklammerte, das dort schon seit mehreren Wochen war. Immer und immer wieder strichen seine Finger über das alte, glatte Holz, das schon so abgedunkelt war, dass es fast schwarz wirkte. In diesem Kästchen war etwas, dass ihm wichtiger war als das ganze neu aufgebaute Schloss, und nun war der Zeitpunkt der Entscheidung gekommen. Heute würde er es öffnen, und die eine Frage stellen, die ihm auf der Seele brannte. *** Die Lichtsäule setzte Hitomi an einer Stelle ab, die sie nur zu genau kannte. Auch wenn sie lange weg gewesen war, das Grab sah immer noch so neu und gepflegt aus wie damals, und ebenso schimmerte auch Escaflowne weiß im Licht der Sonne. Lediglich dort, wo sein Energist war, schienen ihre Strahlen von einem Schatten verschluckt zu werden. Hitomi stellte ihre Tasche ab und kniete vor Folkens Grab nieder. Eine Weile betete sie zu den Göttern, dass sie seiner Seele vergeben würden, denn er hatte alles in gutem Glauben getan. Dann stand sie wieder auf, schaute auf Fanelia hinab, und bewunderte die Anmut des neuen Schlosses, das hier in so kurzer Zeit errichtet worden war. Mann konnte ihm deutlich ansehen, dass die Erbauer stolz auf sich und ihren jungen König waren. Auch an der Stadt selbst zeigte sich diese selbstbewusste Zuversichtlichkeit. Auch wenn Fanelia nur ein eher kleines und armes Land war, wollten die Menschen Schönheit in seine Hauptstadt bringen, und das war ihnen auch gelungen. Hitomi drehte sich wieder um, und ging das kurze Stück bis zu Escaflowne. "Du findest es auch schön, oder?" fragte sie den Guymelef, und fast schien es ihr, als ob er zustimmend nickte. "Es ist erstaunlich, was die Menschen in dieser kurzen Zeit geschafft haben. Ich bin wirklich beeindruckt- und glücklich darüber, dass sie anscheinend in Frieden leben konnten. Auch wenn das bedeutet, dass du nie wieder deine Schwingen zeigen und fliegen wirst." Sie hob die Hand, und strich mit den Fingerspitzen über das kühle, weiße Metall auf dem Knie des Riesen. Dann hörte sie auf einmal das Geräusch von Schritten, und ihr Herz schlug schneller. Es gab nur wenige Personen, die hierher kommen würden, und außerdem kannte sie diesen Schritt. Sie wusste nicht wie, aber sie war sich sicher, dass sie ihn unter Tausenden herausgehört hätte. Sein Atem ging schnell, als ob er gelaufen wäre. Hitomi lächelte, atmete tief ein, und trat einen Schritt zurück. Auf einmal hatte sie einen Kloß im Hals, und traute sich nicht, sich umzudrehen. Dabei war sie doch nur wegen ihm hier... Als Van die Lichtung betrat, legte Hitomi gerade ihre Hand auf das Knie Escaflownes. Van hörte auf zu rennen, wie er es die letzten Meter den steilen Weg herauf getan hatte, und blieb schwer atmend stehen. Es schien ihm wie ein Traum zu sein, dass sie nun plötzlich vor ihm stand, so lange wie er gewartete hatte. So lange... Jeder Tag schien ein Jahr gewesen zu sein, jeder Monat eine kleine Ewigkeit. Und nun stand sie da vor ihm, hatte ihm den Rücken zugedreht und trat nun gerade einen Schritt zurück, drehte sich aber nicht um. Hatte sie ihn nicht bemerkt? Das konnte er sich nicht vorstellen. Er lächelte. Sie, die das Unsichtbare und die Zukunft sehen konnte, sollte ihn nicht bemerkt haben? Nein, eher spürte sie, wie sehr sein Herz schlug, wie sehr er sich nach ihr gesehnt hatte. Langsam schritt er auf sie zu, ging dabei seitlich an ihr vorbei, um sie in Ruhe zu betrachten. Sie war gewachsen, wirkte jetzt weniger wie ein Mädchen, dass sie ja eigentlich war, sondern mehr wie eine junge Frau. Van lächelte. Ihm gefiel die Veränderung. Sie war noch schöner geworden, als er sie in Erinnerung hatte. Auch ihre Haare zeigten deutlich die vergangene Zeit. Sie reichten ihr nun ein ganzes Stück den Hals hinunter, fast bis auf ihre Schultern. Die Sachen, die sie trug, waren immer noch die selben. »Nein, nicht die selben.« verbesserte sich Van »Da würde sie nicht mehr hinein passen. Aber es ist noch immer die selbe Uniform.« Ihm fiel außerdem auf, dass sie viel kräftiger wirkte. Ob es nur daran lag, dass sie gewachsen war? Auf jeden Fall wirkte sie nun nicht mehr etwas unbeholfen und schlaksig, so wie früher. Er beschloss, ihr auch die Zeit zu geben, ihn genauer zu mustern. Er ging an ihr vorbei zu Escaflowne, ohne ihr dabei ins Gesicht zu sehen. Hitomi hatte sich nicht getraut, sich zu ihm zu drehen, doch als Van an ihr vorbei ging drehte sie den Kopf und betrachtete ihn. Auch er war ein wenig gewachsen, doch im Gegensatz zu ihr war sein Haar noch genauso, wie sie es in Erinnerung hatte. Immer noch die gleichen wirren Strähnen. Und wie sie sah er kräftiger aus. Männlicher. Sie lächelte bei diesem Gedanken. "Er ist schön, oder?" fragte Van in die Luft, und Hitomi wurde aus ihren Gedanken gerissen. Sie ließ ihren Blick genau wie Van an Escaflowne entlang nach oben wandern. "Ja. fast so, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Nur noch schöner." Beiden war klar, dass Escaflowne nicht wirklich derjenige war, dem die Komplimente galten. "Da hast du Recht." sagte Van aus tiefstem Herzen und strich über das kühle, weiße Metall des Guymelefs. Hitomi konnte sehen, dass seine Hand zitterte. Ein winziger Teil von ihr amüsierte sich darüber, wie sie beide um den heißen Brei herumschlichen, aber der größte Teil von ihr war froh darüber. Sie war viel zu aufgeregt um zu wissen, was sie sonst hätte sagen sollen. "Da bin ich wieder"? oder "Ich habe dich vermisst"? Das wäre viel zu unpassend gewesen, hätte nicht im mindesten ausgedrückt, was sie empfand. Van drehte sich um, und ein warmer Schauer durchlief sie. Es war nicht, dass Van besonders glücklich ausgesehen hätte, oder sie angestrahlt hätte. Es war die Art, wie seine Augen leuchteten und wie das winzige Hochziehen der Mundwinkel seinem ansonsten immer irgendwie mürrisch aussehenden Gesicht den Ausdruck tiefster Zufriedenheit gaben. Eine Art inneres Leuchten, dass deutlicher als alle Worte zeigte, was er in diesem Augenblick fühlte. "Komm!" forderte er sie auf, und reichte ihr die Hand. Hitomi griff zu, und wurde nach oben gezogen. Gemeinsam kletterten sie an dem ruhigen Koloss empor, der die Hände auf die Knie gelegt hatte und nicht die geringste Regung erkennen ließ. Van setzte sich auf den Kopf, Hitomi auf die rechte Schulter darunter. Jetzt brauchte sie keine Erklärung mehr, warum sie hier hatte herauf kommen sollen. "Es ist wunderschön, Van." sagte Hitomi andächtig. Im Tal unter ihr lag Fanelia, neu aufgebaut mit weiß glänzenden, wie Spielzeug wirkenden Häusern. Die Dächer leuchteten rot im Licht der Sonne, und mit ein wenig Phantasie konnte man sich vorstellen, wie die Leute fröhlich in den Straßen, Parks und Plätzen ihrem Tagwerk nachgingen. Handwerker, denen man von der Straße aus in ihren offenen Läden zusehen konnte, Marktschreier, deren Stimmen weit durch die Straßen hallten und Fuhrleute, die alle möglichen Dinge durch die Straßen trugen oder fuhren. "Wie habt ihr das bloß alles geschafft?" fragte sich Hitomi und merkte erst, dass sie laut gedacht hatte, als Van ihr antwortete "Mit viel, viel harter Arbeit, einem unbeugsamen Willen und einer großartigen Vision der Zukunft. Und es hat sich gelohnt." "Das hat es." Bestätigte Hitomi. "Das Schloss ist erst vor ein paar Tagen fertig geworden. Heute Abend findet ein Maskenball statt, mit dem es eingeweiht werden soll." Hitomi entging der plötzlich angespannte Ton in seiner Stimme nicht. "Was ist? Stimmt etwas nicht mit dem Maskenball?" Van lachte nervös, und strich sich verlegen durch die Haare. "Nein, mit dem Ball ist alles in Ordnung, nur..." Er sah sie an, sah ihr in die Augen, und wieder erschauerte Hitomi. Es war das erste Mal, dass sie sich wirklich angesehen hatten, und auf einmal hatte sie einen Kloß im Hals. Van schaute wieder verlegen zur Seite und trommelte nervös auf Escaflownes Kopf. "Diese Schlosseinweihung war natürlich ein guter Zeitpunkt, um mal wieder über meinen Familienstand zu diskutieren. Man hat mir ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass sich da bald was ändern muss. Ich kann ihnen nicht mal einen Vorwurf machen, für einen Diplomaten ist ein König ohne Königin etwas wie ein Tisch ohne Stühle- das mag es zwar theoretisch geben, aber niemand würde auch nur im Traum auf die Idee kommen, sich so etwas zu leisten." Hitomi schwieg peinlich berührt. Sie wusste, was es schon auf ihrer Welt für einen Klatsch über die Königshäuser gab, aber hier auf Gaia... Ihre Gedanken wurden unterbrochen als sie merkte, wie Van sie ansah, wie ernst und durchdringend er sie musterte. Seine Augen sahen sie an, schienen sie durchdringen und in die tiefsten Winkel ihrer Seele sehen zu wollen. Hitomi spürte, wie sie rot wurde. "Hitomi, ich weiß, das ist nicht der richtige Zeitpunkt aber... du hast ja eben gehört, was los ist, und da du wieder da bist... wenn du dich an unseren Abschied erinnerst... ich..." Nun wurde auch Van rot, und Hitomis Augen weiteten sich, als ihr langsam ein Verdacht kam. Natürlich erinnerte sie sich an ihren Abschied- und an das Versprechen. "Nun ja, die Zeit drängt." Versuchte Van es noch einmal. "Ich habe zugestimmt, heute Abend zu entscheiden... ach um Teufel!" Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Hitomi über diesen untypischen Ausbruch Vans gelacht, doch nun blieb ihr der Atem stehen, als sie sah, wie er in die Tasche griff und ein kleines hölzernes Kästchen hervorholte. »Er muss es schon die ganze Zeit umklammert haben!« wurde ihr jetzt erst klar. Van hielt ihr das Kästchen hin und öffnete es. In einem samtenen Kissen steckten dort zwei große silberne Ringe in Form von Drachen, einen kleinen grünen Stein in den Augen und einen großen roten im Maul. Jede einzelne Schuppe der Drachen war zu sehen, wenn man sich anstrengte, denn mit bloßem Auge waren sie fast zu klein. Das Silber glänzte und schillerte in allen Farben des Regenbogens. Ein wahrer Meister musste Wochen, wenn nicht gar Monate an den beiden Ringen gearbeitet haben. "Mein Vater hat sie für meine Mutter anfertigen lassen. Es waren ihre Verlobungsringe. Es ist fast das einzige, was mir von ihnen verblieben ist. Meine Mutter hat ihren Ring erst an dem Tag abgelegt, als sie verschwunden ist, um Folken zu suchen. Ich glaube fast, sie hat geahnt, dass sie nicht mehr zurück kommt. Hitomi. Willst du mich heiraten?" Hitomi musste schlucken. Einmal, zweimal. Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen und konnte immer noch nicht sprechen. Darum umschloss sie nur stumm die Hände Vans, die immer noch das Kästchen mit den Ringen umklammerten, sah ihm in die Augen und nickte. Eine ganze Lawine schien von Van abzufallen. Er lächelte erleichtert, wenn auch immer noch nervös, nahm die Ringe heraus, sah Hitomi an und steckte ihr schweigend, aber lächelnd den Ring auf den Finger. Dann gab er ihr den zweiten und küsste Hitomis Hände, nachdem diese ihm den zweiten Ring auf den Finger geschoben hatte. "Ich will. Auf immer und ewig." Flüsterte sie. "So sei es." Antwortete Van unwillkürlich in feierlichem Ton, dann zog er Hitomi an sich um sie zu küssen. Eng umschlungen gingen sie den schmalen Pfad entlang, der nach Fanelia führte. "Hitomi?" fragte Van auf einmal und blieb stehen. "Was?" wunderte sich Hitomi. "Würdest du mir einen Gefallen tun?" Hitomi sah ihn fragend an. Für diesen besonderen Augenblick war das eine merkwürdige Frage. "Würdest du dich bis zum Ball heute Abend... na ja, versteckt halten?" "Versteckt? Aber wieso?" "Ich will die Kuppler überraschen. Ich will ihnen deutlich machen, dass ich nicht ihr Spielzeugprinz bin. Und außerdem..." fügte er nach einer kurzen Pause hinzu "außerdem würde ich gerne ihre langen Gesichter sehen, wenn sie es erfahren." "Du bist unmöglich! Du willst, dass ich die Unsichtbare spiele und die wichtigste Neuigkeit meines Lebens für mich behalte? Schämst du dich dafür, mich heiraten zu wollen?" "Himmel, Hitomi! So habe ich es nicht gem..." "Nur unter einer Bedingung!" Van verstummte mitten im Wort. Eben noch hatte Hitomi so wahnsinnig empört geklungen, aber nun... Nun hörte sie sich fast hinterhältig an. "Und die wäre?" fragte er vorsichtig. "Du machst mir noch einmal einen Antrag. Heute Abend, auf dem Ball, vor allen Leuten." "Hitomi! Das kannst du nicht von mir verlangen!" Van schien es auf einmal zu eng in seinen Sachen zu werden, denn zupfte krampfhaft an seinem Kragen herum. "Wieso nicht?" fragte Hitomi schnippisch. "Das... das kann ich nicht!" "Warum?" "Weil... weil... vor allen Leuten!" "Dann hast du wohl Pech gehabt." "Hitomi!" Van schaute immer noch verzweifelt in Hitomis strenges Gesicht, doch da wich diese Strenge plötzlich und Hitomi schmiegte sich an ihn. "Ach Van. Verstehst du es nicht? Es ist der größte Traum einer Frau, dass ihr Geliebter vor möglichst vielen Leuten um ihre Hand anhält." Vans Verkrampfung löste sich in einem lauten, befreiten Auflachen. "Du hast mir ganz schön Angst gemacht, Hitomi. Gut, Einverstanden. Wir verstecken dich, und dafür frage ich dich noch einmal. Vor allen Leuten, auf dem Höhepunkt des Balles. Eine faire Abmachung." Van schob Hitomi von sich, und sah sie streng an. "Verflucht seiest du, Hitomi Kanzaki. Du machst, dass mir der Angstschweiß ausbricht, und ich kann an nichts anderes denken, als daran, wie sehr ich dich liebe." Er zog sie wieder an sich und küsste sie heftig. Nach einer Weile lösten sie sich und Hitomi meinte neckisch "Das war schon ganz gut. Aber wenn du mich heute Abend fragst, will ich etwas Besseres hören. Das erste Mal war ja nicht gerade eine Glanzleistung von dir." Van brachte Hitomi durch den Schlossgarten hinein. Natürlich kannte er eine unbewachte Stelle. Die gab es immer. Wachen am Außenrand des Schlossbereiches waren nicht dazu gedacht, einzelne Leute aufzuhalten, auch keine Einbrecher oder anderes Gesindel. Es war einfach unmöglich. Im Schloss allerdings war es etwas anderes. Jeder Eingang, selbst der, der die Außentür der immer belebten Küche war, wurde bewacht. Aber Van hatte vorgesorgt. Es gab eine "geheime" Tür zu den Gärten, direkt verbunden mit dem Gang, in dem die königlichen Gemächer lagen. Diese äußere Tür war gut getarnt in einer Ecke, die nie betreten wurde. Sie öffnete sich völlig lautlos, doch dahinter war eine weitere Tür und diese öffnete sich mit lautem Knarren. "Das ist für die Wache. Damit niemand unbemerkt hier herein spaziert." Erklärte Van, und sah durch ein Loch in der Wand. "Augen zu!" kommandierte er, und eine Stimme, die Hitomi vage bekannt vorkam antwortete "Jawohl, Majestät!" Van bedeutete Hitomi zu schweigen, und führte sie den mehrfach gewundenen Gang entlang. In jeder Wand war ein Loch, durch das die Wache von ihrem Platz aus blicken konnte. Hitomi erkannte ein vernarbtes Gesicht, und plötzlich dämmerte es ihr, woher sie die Stimme kannte. Es war der Soldat namens Markus, den sie an ihrem letzten Tag hier im Schloss kennen gelernt hatte. "Hat wer nach mir gefragt?" "Merle. Aber ich habe ihr wahrheitsgemäß gesagt, dass ich euch nicht hier entlanggehen gesehen habe." "Gut. Danke, Markus." Lächelnd zog Van Hitomi weiter. Nachdem sie an den Sichtfenstern vorbei wahren, befahl Van Markus, die Augen und die Tür zu öffnen. "Diese Tür ins Schlossinnere kann nur von hier oder von der Wache entriegelt werden. Der Wachraum wiederum hat auch nur einen sicheren Eingang ins Schlossinnere. So kann niemand unbemerkt diesen Weg benutzen." Erklärte Van stolz, als sie auf der anderen Seite hinter einem Wandteppich standen. Er schaute vorsichtig um die Ecke, doch niemand war zu sehen. "Ich habe das bauen lassen, um auch mal ungestört sein zu können. So muss ich nicht durch den "offiziellen" Bereich des Schlosses, wo mir eine Meute von Möchtegern-Günstlingen auflauern kann." "Das klingt ziemlich einsam." Meinte Hitomi mitfühlend. "Ja, aber das ist ab heute anders." antwortete Van, küsste Hitomi überraschend und schob sie dann durch eine Tür. Er schloss sie, ohne Hitomi los zu lassen und immer noch küssend. "Na, das ist ja eine Überraschung!" meinte eine trockene Stimme. Wie von der Tarantel gestochen fuhren Van und Hitomi herum. "Thana! Was machst du in meinem Zimmer!" rief Van erschrocken. "Auf dich warten natürlich." Kam die lakonische Antwort. "Ich wollte wissen, was in dich gefahren ist. Aber jetzt weiß ich es ja." Thana stand auf, und lächelte. "War ja ziemlich eindeutig. Hallo Hitomi!" "Thana! Du bist noch hier?!" Lachend umarmten sich die beiden Mädchen. "Es ist interessant hier." Antwortete Thana schulterzuckend und zwinkerte ihr dann zu. "Man erlebt viele Überraschungen." Erstaunt nahm Hitomi die Veränderung an Thana zur Kenntnis. Auch sie war sichtlich älter geworden, nicht mehr ganz so blass. Aber wesentlich mehr hatte sich ihr Humor verändert. "Gut dass du da bist, Thana." Sagte Van nun. "Ich habe mir schon den Kopf zerbrochen, wie ich jemanden befehlen kann, mir ein Kleid zu bringen ohne dass das Schloss zwei Minuten später unter der Last der Gerüchte zusammen bricht." Thana sah ihn verwundert an. "Für den Ball heute Abend? Kann Hitomi sich denn nicht selbst ein Kleid aussuchen?" "Natürlich könnte ich das. Aber Van will mich unbedingt bis heute Abend verstecken." Antwortete Hitomi ein wenig schmollend. "Verstecken? Wieso... oh!" Thana überlegte einen Moment, dann schmunzelte sie "Gute Idee. Das wird eine Überraschung. Ich sollte vorsichtshalber ein paar Ärzte holen. Es könnte sein, dass es ein paar Ohnmachtsanfälle gibt." Thana wandte sich vertraulich an Hitomi. "Dein lieber Van ist nämlich ganz schön begehrt. Wann hat man schon mal einen ledigen König? Auch wenn es nur ein kleines, armes Königreich ist- der Titel hat ja auch seinen Wert. Allein der Klang: Königin von... macht etwas her." Hitomi wurde rot. Schließlich würde sie bald diesen klangvollen Titel tragen. "Der Titel ist mir egal." Sagte sie leise. "Weiß ich doch. Wenn es anders wäre, hätte ich dich auch schon rausgeekelt." Meinte Thana zwinkernd, und Van musste lachen. "Ja, das kann sie gut. Sie hat sich in ein richtiges Ekelpaket verwandelt- wenn sie will. Sie hat mir in den letzten Monaten so manchen üblen Schleimer vom Hals geschafft." "Genug geplaudert!" rief Thana und klatschte in die Hände. "Ich werde sonst noch ganz verlegen. Außerdem gibt es eine Menge zu tun." Sie musterte Hitomi kritisch. "Da werden wir noch einiges machen müssen. Van, du wirst dich wohl ohne mich um die restliche Organisation kümmern müssen. Ich werde mich ganz unserem Überraschungsgast widmen." "Ist gut." Van nahm Hitomi in die Arme. "Ich fürchte, wir werden uns bis heute Abend nicht noch einmal sehen. Ich werde viel zu beschäftigt sein, um noch einmal her zu kommen, und du sollst dich ja nicht zeigen. Thana wird sich um dich kümmern." Dann beugte er sich nach vorn, und flüsterte ihr ins Ohr. "Ich werde dich vermissen. Ich werde jede Minute an dich denken müssen." Er gab ihr einen kurzen Abschiedskuss und lief davon. Hitomi sah die Tür zuschlagen und starrte eine ganze Weile ohne einen Gedanken darauf. "Aufwachen, Träumerin!" rief Thana und Hitomi fuhr erschrocken herum. "Entschuldige, ich... wo bist du denn?" "Hier drüben." Antwortete Thana und streckte den Kopf durch die eine Tür in de Seitenwand. Hitomi folgte ihr. "Das ist das königliche Schlafzimmer." Erklärte Thana im Ton eines Fremdenführers. Hitomi wunderte sich warum, bis Thana eine weitere Tür in der gegenüberliegenden Wand öffnete. "Und das ist das Schlafzimmer der Königin. Man beachte das Architektonische Detail, dass genau diese beiden Räume miteinander verbunden sind. Die beiden Flügel des Gebäudeteiles sind spiegelbildlich angeordnet, die Wand zwischen euren Schlafzimmer ist die Spiegelachse. Zu deiner Linken ist das komfortabel ausgestattete Badezimmer, rechts ein ebenso komfortables Bett und hinter den Glastüren eine Balustrade, die natürlich mit der baugleichen vor Vans Zimmer verbunden ist. Falls die Tür mal klemmt oder so." "Hör auf Thana!" protestierte Hitomi. "Ich werde schon wieder rot." "Eine gesunde Hautfarbe. Also schön. Ich bin ohnehin fertig. Wie bei Van ist das Arbeitszimmer dort. Merle und ich haben baugleiche Räume an den Außenseiten. Merle natürlich auf Vans Seite." Sie drehte sich zu Hitomi. "Du hast etwa meine Größe, das macht es leichter. Es wäre natürlich besser, dir ein Kleid anfertigen zu lassen, aber ich bin sicher, es findet sich eines. Sag mal... hat er dich schon gefragt?" "Wer? Van? Was gefragt?" Thana rollte mit den Augen. "Himmel, ob du ihn heiratest, natürlich." "Thana!" "Was?" "So etwas fragt man doch nicht- vor allem nicht so!" "Wieso nicht? Hat er, oder hat er nicht?" "Ja, er hat!" "Na Gott sei Dank! Ich dachte schon, ich müsste ihn dazu prügeln." "Nun ist es aber genug!" rügte Hitomi sie verärgert. Thana wurde ernst. "Du hast ja keine Ahnung, wie schlimm es war. Er hat buchstäblich jeden Abend draußen gestanden und den Mond der Illusionen angestarrt bis ihm die Tränen gekommen sind. Ich bin froh, dass du hier bist. Ich glaube nicht, dass er es viel länger ausgehalten hätte." Hitomi schluckte. "Wirklich so schlimm?" "Fast. Er hat dich schrecklich vermisst. Und ich auch. Du passt einfach hierher, zu ihm. Ich glaube, sogar Merle wird sich freuen, dass du da bist. Sie hat erst vor kurzem gesagt, dass Van ohne dich gar nicht richtig anwesend ist. Und sie muss es ja wissen. Sie kennt ihn schließlich länger als wir beide zusammen." "Hier sind noch zwei." "Gut. Du kannst gehen." Die junge Zofe verbeugte sich lässig und ging fort, nicht ohne noch den Versuch zu unternehmen, ins hintere Zimmer zu schauen. Thana lachte. "Sie hat mich noch fragender angesehen als die andere. Wie komme ich bloß auf den Gedanken, ein paar Stunden vor dem Ball plötzlich alle Schneider der Stadt abgrasen zu lassen, nach Kleidern die mir etwas zu klein sind? Wenn die wüssten... Wahrscheinlich glauben sie, irgendeine von den herumschwirrenden und Van nachstellenden Prinzessinnen, Herzoginnen und was weiß ich nicht noch alles hat ihre Koffer zu Hause vergessen!" "Thana!" Immer noch kam Hitomi mit der neuen Thana nicht ganz zurecht. Sie nahm wirklich kein Blatt vor den Mund, und hatte Hitomi schon mehrmals rot werden lassen. "Nun, was hältst du von diesen beiden hier?" fragte Thana Hitomi und betrachtete die beiden neuen Kleider kritisch. Ihr gefiel das rechte besser. "Hitomi?" Sie blickte auf, weil keine Antwort kam und sah in ein vor Staunen erstarrtes Gesicht. "Hitomi? Alles in Ordnung?" "Ja." Hitomi schien wieder in das Hier und Jetzt zu fallen. "Ja, alles in Ordnung. Gibst du mir das mal?" "Das Linke? Ich würde das andere bevorzugen..." Thana schloss den Mund. Es hatte keinen Zweck. Hitomi schien sie nicht zu hören. Dabei war das Kleid nun wirklich nicht etwas so besonderes. "Das nehme ich. Hoffentlich passt es." Hitomi zog sich in fliegender Hast um, und zerriss das Kleid dabei beinahe. "Pass doch auf! Ich glaube nicht, dass Van es gefällt, wenn du in Fetzen erscheinst." Witzelte Thana. "Obwohl... vielleicht gefällt ihm das gerade." "Thana! Hör endlich auf!" Hitomi betrachtete sich glücklich im Spiegel. "Passt wie maßgeschneidert." "Ich gebe zu, du hattest Recht. Es ist die bessere Wahl, es scheint wie geschaffen für dich." "Ja, aber das ist nicht der Grund." "Nein? Was dann?" "Das erkläre ich dir heute Abend." Hitomi drehte sich noch einmal vor dem Spiegel, und ließ sich dann zufrieden auf einen Stuhl sinken. "Und jetzt heißt es warten. Warum bloß habe ich zugestimmt, mich zu verstecken?" fragte sie seufzend. "Weil du ihn liebst. Und jetzt entschuldige mich, auch ich habe noch zu tun." Thana drehte sich um und wollte die Tür öffnen, doch plötzlich hielt sie mitten in der Bewegung inne, die Hand erhoben. Langsam drehte sie sich um, und musterte Hitomi noch einmal ganz genau und etwas wie Erkennen huschte über ihr Gesicht. "Aber wenn du dich amüsieren willst, schau in der untersten Schublade meines Schreibtisches nach." Meinte sie rätselhaft. "Eigentlich wollte ich es dir ja erst später zeigen, aber... Der Schlüssel ist hinter dem Spiegel. Bis nachher." Thana verschwand, und Hitomi sah ihr verwundert nach. Was sollte das denn? Einen Moment lang zögerte sie, doch dann siegte ihre Neugier. Sie stand auf und ging zum Spiegel. Der Schlüssel war leicht zu finden, und genauso leicht ließ sich das Schloss öffnen. Zu ihrem Erstaunen fand sie eine Menge zusammen gefalteter Blätter und obenauf einen Brief mit ihrem Namen. Verwundert setzte sie sich auf den Schreibtischstuhl und öffnete den Brief. *Hallo Hitomi* begann er. *Das hier hat Van gemalt. Ich konnte es erst nicht glauben. Ich habe ihn vor ein paar Tagen beobachtet, wie er aus dem Schloss geschlichen ist. Er hatte dieses Bündel unter dem Arm. Ich gebe zu, ich war zu neugierig und bin ihm gefolgt. Er hat sie im Wald vergraben, und ich habe sie wieder ausgebuddelt. Eines ist ihm nämlich unterwegs unbemerkt verloren gegangen, und ich konnte nicht glauben, was ich darauf gesehen habe. Wahrscheinlich war es ihm zu peinlich, und er hat sie deswegen beseitigt. Männer sind halt komisch, wenn es um ihre Gefühle geht.* Völlig verwirrt legte Hitomi den Brief zur Seite, nahm das erste Blatt vom Stapel und klappte es auf. Was sie sah, verschlug ihr den Atem. Dann traten ihr die Tränen in die Augen, teils aus Rührung, teils aus Lachen. Auf dem Bild war nämlich eine Person zu sehen, die ihr sehr bekannt vorkam- sie. In dem Kleid, das sie in Pallas von Millerna geschenkt bekommen und gleich wieder ruiniert hatte, als sie es zerriss um Van zu retten. Das Kleid, dessen Ebenbild sie jetzt anhatte. Hastig sah sie sich ein Blatt nach dem anderen an. Auf jedem war sie, in den verschiedensten Situationen. Auf der Terrasse in Pallas, im Crusador... Van hatte ganz entschieden kein Talent zum Zeichnen, und bei manchen seiner Werke hätte sie sich wohl kaum wieder erkannt, aber gerade deswegen waren die Bilder so bedeutend. Hitomi drückte die letzte Zeichnung- es zeigte sie schlafend- an ihr Herz und feuchte Tropfen fielen auf das Blatt. Merles Schwanz wirbelte durch die Luft. Das war doch nicht normal! Thana hatte sich nie sonderlich um ihre Kleidung gekümmert. Sicher- sie hatte immer darauf geachtet, dass sie gut aussah, aber das ging über alles hinaus, was sie je bei ihr erlebt hatte. Misstrauisch schielte Merle einem weiteren Mädchen hinterher, dass eilig zwei Kleider zu Thanas Zimmer brachte. Jetzt war das Maß aber voll! Leise schlich Merle ihr hinterher. Sie sah, wie das Mädchen Thana die Kleider gab. Thana sagte etwas, das offensichtlich an jemanden in ihrem Zimmer gerichtet war. Also das war die Lösung des Ganzen! Aber wen um alles in der Welt wollte sie so ausstaffieren? Hatte eine der Weiber, die sich an ihren Van heranschmissen ihre Sachen verdreckt? Würde diesen dummen Puten nur Recht geschehen! Aber andererseits würde sich Thana dann doch nicht so viel Mühe geben, oder? Ganz die Unschuld in Person ging Merle auf Thanas Tür zu. Schließlich wohnte sie auch hier. Es war nichts zu hören! Warum nur mussten es so dicke Türen sein, dass selbst ihre Katzenohren nichts wahrnehmen konnten, ärgerte sich Merle. Sie wollte dieselben gerade an der Tür platzieren, als diese aufging. Erschrocken versteckte sich Merle hinter der Tür. Anscheinend hatte Thana sie nicht bemerkt. Erleichtert atmete Merle auf. Da blieb Thana stehen und drehte sich um. "Ach, du bist das. Ich dachte, die Zofe hat gelauscht. Aber ich hätte mir denken können, dass du das bist." "Elende Gedankenschnüfflerin!" "Nicht Gedanken, nur Gefühle. Hättest du dich besser im Griff, hätte ich dich gar nicht bemerkt. Jetzt komm. Du kannst mir helfen." "Wer ist da drin?" fragte Merle, und folgte Thana zögerlich. "Heute Abend. Wird eine Überraschung." "Eine Überraschung?" "Ja. Aber du darfst kein Wort darüber verlieren. Das würde Van sehr traurig machen." "Van? Er weiß davon?" "Natürlich. Eigentlich war es sogar seine Idee." "Seine Idee? Was war seine Idee?" ragte Merle genervt. "Ich sagte doch, heute Abend. Übrigens, kommt Blinx?" Merle seufzte. "Ich hoffe doch. Wird sonst ziemlich langweilig." "Du vermisst ihn ja sehr." "Tu ich gar nicht." "Tust du doch!" "Tu ich nicht!" "Doch!" "Bleib stehen, damit ich dir das Gesicht zerkratzen kann!" Lachend ließ sich Thana von Merle durch die Gänge jagen. Diese hatte völlig vergessen, dass es in Thanas Zimmer ein Geheimnis gab. LMMI 4 Kapitel 2 ---------------- Kapitel 2 "Hallo Merle!" Die helle Stimme ließ Merles Katzenohren zucken. Überrascht drehte sie sich um. "Millerna! Dryden! Allen! Das ist aber schön! Habt ihr es doch noch geschafft!" Merle sprang näher, und beäugte Millerna neugierig. "Du bist ein ganzes Stück gewachsen Merle." Bemerkte Dryden. Merle nickte, und deutete enttäuscht auf Millernas Bauch. "Du aber nicht." Die ehemalige Prinzessin und jetzige Königin lachte und legte Merle die Hand auf die Schulter. "Da musst du noch ein bisschen warten. Ist ja erst der dritte Monat." Merle zog einen Schmollmund, besann sich aber rasch ihrer Pflichten. "Van ist leider zu sehr beschäftigt, aber ich kann euch den neuen Gebäudeteil zeigen. Ihr werdet staunen, was für ein schönes Zimmer ich habe." Da fiel Merle wieder ein, dass dort ja auch noch etwas anderes war. "Das hatte ich ja ganz vergessen!" murmelte sie erschrocken, und Millerna fragte neugierig. "Was denn?" "Ach nichts!" wiegelte Merle ab und schüttelte heftig den Kopf. "Da ist wirklich nichts." "Na wenn du meinst. Du musst es uns ja nicht verraten." Merle fauchte Dryden böse an, und spielte dann die Beleidigte. "Wenn die Herrschaften mir bitte folgen würden..." sagte sie, und stolzierte davon. "Autsch! Jetzt ist sie beleidigt." Kommentierte Dryden, und seine Frau tadelte ihn scherzhaft "Pass auf, sonst beschwörst du noch einen diplomatischen Zwischenfall zwischen Asturia und Fanelia herauf." Allen winkte ab und fügte mit unschuldiger Mine hinzu "Den schwatzt er doch locker vor dem Frühstück wieder weg. Dryden könnte Merle glatt ein Hundehalsband aufschwatzen." Merles Fauchen ließ sie alle in lautes Gelächter ausbrechen bevor sie sich wortreich bei ihr entschuldigten. Einigermaßen versöhnt zeigte Merle ihnen dann den neuen Flügel. Den geheimnisvollen Gast bekam sie aber auch dieses Mal nicht zu sehen. So verging der Tag unmerklich, und mit einem Mal wurde es Abend. Die Sonne versank in einem famosen Untergang hinter dem Horizont und die hohen Herrschaften versammelten sich langsam einer nach dem anderen im Ballsaal. Nur die Bediensteten hasteten durch die Gänge, und natürlich auch Merle, die solche Ereignisse auf den Tod nicht ausstehen konnte. »Dieser Mistkerl! Dabei hatte er es hoch und heilig versprochen! Jetzt ist er schon über eine halbe Stunde zu spät und...« "Merle! Tut mir leid, dass ich..." Merle fuhr fauchend herum, und ließ ein Donnerwetter auf den zu spät gekommenen los. "Blinx! Du Musterexemplar einer Schnecke! Was fällt dir ein, mich hier warten zu lassen? Häh? Ich stehe mir hier die Beine in den Bauch, während da drin die Leute feiern, und der einzige, der nicht kommt, bist du!" "Mir ist etwas dazwischen gekommen..." "Ach Unsinn! Etwas dazwischen gekommen! So etwas gibt es doch nicht!" "Außerdem verabscheust du solche Bälle, weil alle fragen, ob du eine Maske trägst oder immer so aussiehst." "Das wäre mir heute egal gewesen!" erwiderte Merle mit typisch weiblicher Unlogik. "Damit du es weißt, du kannst gleich wieder umdrehen! Ich lasse mich doch nicht mit jemanden blicken, der nicht mal pünktlich kommen kann." "Na, wenn du meinst. Ich bin auch nicht gerne auf solchen Bällen." Der Katzenjunge drehte sich um und ging davon. Doch kurz bevor er um die Ecke biegen konnte, rief ihn Merle zurück. "Warte Blinx!" "Ja, ist noch was?" Merle scharrte verlegen mit dem Fuß auf dem Boden herum. "Bleib hier. Bitte. Ich will da nicht allein rein. Van hat keine Zeit und Thana schwirrt immer noch irgendwo herum und beaufsichtigt die Diener. Millerna und Dryden sind mit sich selbst beschäftigt, und Allen ist noch nie eine Stimmungskanone gewesen. Vor allem nicht, seit dem seine Schwester krank ist." "Ach ja, ich habe davon gehört. Ich dachte, sie erholt sich wieder?" "Schon. Aber die Ärzte wissen ja nicht einmal, was den Anfall ausgelöst hat. Falls er sich wiederholen sollte, verläuft es vielleicht nicht noch einmal so glimpflich." Blinx nickte betrübt. Er wusste bloß, dass Serena eines Morgens ohne Vorwarnung umgekippt und drei Tage bewusstlos gewesen war. "Also gut. Ich komme mit rein." Merle nickte, packte ihn bei der Hand, funkelte Blinx dann aber unversöhnlich an. "Glaube nicht, dass ich dir verziehen habe. Das ist nur, weil ich nicht allein sein will. Du bist sowieso nur zweite Wahl, da Van nicht kann." "Schon klar." Blinx seufzte. Eigentlich hatte er Merle ja ganz gern, aber ihre trotzigen Anfälle waren zum Verzweifeln. "Schöner Ball." Merle freute sich über Millernas Lob. "Danke. Wir haben auch hart dran gearbeitet. Wenn ich nur dran denke, was mit den Kerzen passiert ist! Man hat eine Wagenladung über Nacht draußen stehen lassen, als es so heftig geregnet hatte, und dann waren sie alle verklebt." Millerna unter ihrer Eulenmaske lachte. "Ich dachte, Kerzen schmelzen nur, wenn es warm wird." "Das dachte ich eigentlich auch." Stimmte Dryden ihr zu. "Aber da wir schon beim Thema schmelzen sind: Wo sind denn unsere Frauenschwärme? Ich sehe sie gar nicht mehr." Millerna, Blinx und Merle blickten sich suchend um. Allen war nirgendwo zu entdecken. "Van ist da hinten! Mit Thana." meldete Blinx schließlich, der die Drachenmasken entdeckt hatte. In der Tat stand Van mit Thana in einer Ecke, und redete auf sie ein. Thana schüttelte mehrmals den Kopf. Offenbar sprach er sehr leise, und so musste er sich oft wiederholen. "Hoffentlich gibt es kein Problem." Sagte Blinx. "Bloß nicht!" rief Merle erschrocken. "Bis jetzt lief doch alles so gut. Blinx, sei nicht immer so pessimistisch!" Anscheinend hatten Van und Thana die Sache jetzt geklärt, denn Thana nickte und verschwand durch eine Seitentür. Das nahm eine der maskierten Frauen zum Anlass, sich mal wieder um Van zu kümmern. "Würden mir eure Hoheit diesen Tanz schenken?" wurde Van von einer Frau mit Rabenmaske gefragt. Van seufzte leise und drehte sich um. "Aber natürlich, meine Dame. Kommt." Er bot ihr die Hand an, und führte sie dorthin, wo sich auch schon die anderen Paare drehten. Die Musik wechselte gerade wieder zu einem langsamen Paartanz. Van merkte nicht, wie die Augen der Frau ihn durchdringend musterten, während ihre Füße über das Parkett schwebten. Seine Gedanken waren woanders. Wie würde sich das Leben jetzt ändern? Er hatte sich nie wirklich vorgestellt, wie es war, verheiratet zu sein. War es überhaupt richtig? Er würde kaum Zeit für Hitomi haben, und Hitomi selbst Pflichten, von denen sie wahrscheinlich nicht die geringste Ahnung hatte. Hatte er sie zu etwas gedrängt, dessen Konsequenzen keiner von ihnen beiden einschätzen konnte? "Was bedrückt dich so, Van?" fragte die Frau, und riss Van aus seinen trüben Gedanken. Wieso sprach sie ihn so vertraut an? Dann erkannte er mit einem Schlag die Stimme wieder. "Asuna!?" "Natürlich. Was dachtest du denn? Wer außer mir würde eine Rabenmaske tragen, den Boten des Unglücks und des Todes." Jetzt erst wurde sich Van der Symbolik ihrer Maske bewusst. "Ja... Was machst du überhaupt hier?" fragte er verwundert. "Tanzen." Antwortete Asuna lachend, und leiser "Ich bin natürlich auch eine von den Prinzessinnen, die es auf dich abgesehen haben." "Stimmt. Ich hatte vergessen, dass man dir tatsächlich die Herrscherwürde anvertraut hat." "Aber nur, weil niemand sonst sie haben wollte. Zaibacher sind im Moment nicht gern gesehen." Van nickte schweigend. Das war auch eines der Probleme, die ihn beschäftigten- die Feindschaften, die der letzte Krieg hinterlassen hatte. Es genügte, jemanden "Zaibacher" zu nennen, und schon bildete sich ein mordlüsterner Mob. Dabei war es unerheblich, ob die Person wirklich aus Zaibach stammte, oder nicht. Davon abgesehen, dass der durchschnittliche Zaibacher auch nicht viel für den Krieg konnte. Er hatte einfach nur Befehle befolgt, und die meisten der Zaibacher Soldaten waren sicher nicht froh gewesen, in den Krieg zu ziehen. Auch sie hatten schließlich eine Familie. "Wie kommst du zurecht?" fragte er Asuna. "Ich habe mich leider viel zu wenig mit Zaibach beschäftigt." "Eigene Probleme, was?" meinte Asuna verständnisvoll, und lächelte einer anderen Frau freundlich zu, die ihr anscheinend das "intime" Gespräch mit Van neidete. Dabei war sie die letzte, die versuchen würde ihn um den Finger zu wickeln. Obwohl sie dem Rat in Zaibach gegenüber natürlich etwas anderes gesagt hatte. Schließlich würde eine Verbindung ausgerechnet dieser beiden... "Eigentlich geht es ganz gut voran, wenn man bedenkt, dass Zaibach der Schuldige ist... und was noch wesentlich schlimmer ist, der Verlierer. Wir bekommen keine Unterstützung von anderen." "Tut mir leid, aber ich habe wirklich nicht..." versuchte Van sich zu rechtfertigen, wurde aber von Asuna unterbrochen. "Ach hör auf Van! Ich habe mir die Protokolle der Friedensvertragsverhandlungen angesehen. Wenn du dich nicht für Zaibach ausgesprochen hättest, wäre es viel schlimmer geworden. Allein dafür schulde ich dir eine Menge. Eigentlich schulde ich dir alles." Sie blickte beschämt zu Boden. Auch nach einem dreiviertel Jahr fiel es ihr schwer, ihre Gefühle auszudrücken. "Was du und Hitomi damals für mich getan habt... Ich kann es immer noch nicht begreifen. Jeder andere hätte mich in den tiefsten Kerker geworfen oder hingerichtet. Und zu Recht. Ich habe schreckliche Dinge getan, und noch viel schlimmeres hätte passieren können..." "Das reicht!" sagte Van und funkelte einen Herrn an, der sich näher schleichen wollte. Dem Blick nach, den eine junge Dame dahinter diesem Mann zuwarf, war er ihr Vater, der seiner Tochter den Weg frei räumen wollte. Van hatte aber keine Lust, sich ausgerechnet jetzt unterbrechen zu lassen. Und Asuna war ihm noch tausend mal lieber als diese hirnlosen Gören. "Van! Schau nicht so mürrisch! Was sollen denn die Leute denken! Das hier ist ein Fest." Mühsam zwang sich Van zu einem Lächeln. "Daran musst du noch arbeiten." Meinte Asuna, und zeigte ihm ein strahlendes Lächeln, das wahrscheinlich einigen der Anwesenden die Zornesröte ins Gesicht trieb. Van lachte kurz, wurde aber schnell wieder Ernst. "Du brauchst dir keine Vorwürfe mehr machen. Was mich angeht, ist die Sache von damals vergessen." Wehmut lag in seiner Stimme, als er weitersprach "Wie könnte ich dir böse sein, bei dem, was mein Bruder getan hat. Ich habe ihn verziehen, soweit man eine solche Tat verzeihen kann. Wie könnte ich dir keine Rücksicht entgegenbringen." "Ach Van. Ich wünschte, ich könnte dir helfen." Asuna unterdrückte den Impuls, Van tröstend in die Arme zu nehmen. Wenn sie allein gewesen wären, vielleicht. Er hätte sie wahrscheinlich zurück gewiesen, aber mit Zeit hätte er die Geste verstanden. Sie verstand besser, als er glaubte. Er konnte sagen, dass er Folken verziehen hatte, aber in seinem Herzen würde immer der Schmerz seines Verrates und die Gesichter der vielen Toten bleiben. "Darf ich dich etwas fragen Asuna?" "Sicher." "Denkst du manchmal, dass du eine falsche Entscheidung getroffen hast, als du dich bereit erklärt hast, als Prinzessin aufzutreten?" "Oh ja, oft. Ich habe seitdem kaum eine Nacht durchgeschlafen vor Sorge." Van seufzte. "Aber ich habe es nie bereut. Jemand muss die Aufgabe übernehmen, und wenn man mir mit Wut und Abscheu und Misstrauen entgegentritt, dann kann ich mir sagen, dass es bei mir gerechtfertigter ist als bei den armen einfachen Menschen. Ich habe ein neues Leben geschenkt bekommen, und ich gedenke es so gut es geht zu nutzen, auch wenn es schmerzhaft ist. Ich sehe es als eine Art Buße an." Van nickte sorgenschwer. Das waren so ziemlich seine Gedanken. Er wollte nicht, dass Hitomi litt, nur weil er sie bei sich haben wollte. Ihr würde als Königin Fanelias nicht solcher Hass entgegenschlagen, aber leicht war es mit Sicherheit nicht. Und im Gegensatz zu ihm war sie nicht ihr ganzes Leben darauf vorbereitet worden. Wahrscheinlich war jeder hier in diesem Raum besser vorbereitet als sie, selbst Asuna und Merle. "Könntest du mit ruhigem Gewissen jemand anderem deine Aufgabe überlassen? Ich meine, ohne dir um ihn Sorgen zu machen?" fragte er zögernd. "Nein!" kam die entschiedene Antwort, und als Van zusammenzuckte fügte, Asuna hinzu. "Niemand kann sich ohne Probleme so aufopfern. Jeder bekommt Probleme und Selbstzweifel, das ist ganz natürlich. Der Dumme ist immer sicher, der Weise immer voller Zweifel." Van musste laut lachen. "Dann reicht meine Weisheit für drei!" "Und meine für fünf!" übertrumpfte ihn Asuna, bevor sie für eine Weile schwiegen und sich im Tanz wiegten. "Du bist zu allein, Van." Meinte Asuna schließlich, und schreckte Van auf. Selbst mit der Maske konnte Asuna erkennen, wie er rot wurde. Hatte sie unbewusst seine Gedanken erraten? Rasch führte sie sich noch einmal das Gespräch vor Augen, und eine Ahnung stieg in ihr auf. "Du denkst an Hitomi, oder? Deshalb hast du das alles gefragt!" "Sei still!" zischte Van. "Du hast Angst, sie kommt nicht mehr zurück? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Du glaubst, es könnte ihr später leid tun, bei dir zu bleiben, ist es das?" Van nickte. Einen Moment fragte er sich, warum er dieses Gespräch ausgerechnet mit Asuna führte. "Ich habe Angst, dass ihr das Königin sein zu schwer fällt. Sie hat keine Ahnung, worauf sie sich einlässt. Und ich will sie nicht leiden sehen. Vor allem nicht wegen mir." Asuna seufzte und schüttelte verzweifelt den Kopf. "Van, du bist ein Dummkopf." "Das sagt Thana auch immer." Asuna lächelte. "Dann solltest du auf sie hören. Sie kann immerhin deine Gefühle lesen. Deshalb weiß sie sicher auch, dass du ohne Hitomi nicht leben kannst. Und sie nicht ohne dich. Weißt du, wann sie wiederkommt?" In dem Moment, wo Asuna die Frage stellte, kannte sie die Antwort. "Was rede ich da. Das ist der Grund, warum du dich in Selbstzweifeln ergehst. Weil sie wieder da ist." Van konnte nur noch nicken. Asunas Gedanken dagegen rasten. "Wieso ist sie dann nicht hier?" "Ich dachte, es wäre eine gute Idee. Heute früh in der Sitzung haben sie mich mal wieder gedrängt, eine Braut auszuwählen, und mitten drin habe ich gespürt, wie Hitomi nach Gaia gekommen ist. Ich habe mich so gefreut, dass ich gesagt habe, ich würde heute auf dem Ball meine Entscheidung bekannt geben." "Dann verstehe ich gerade nicht, warum sie nicht hier ist." Van lächelte. Asuna hatte weniger Zweifel als er, was er getan hatte, und wie Hitomis Antwort ausgefallen war. Sie war sich so vollkommen sicher, dass ihr eine andere Möglichkeit gar nicht in den Sinn kam. "Ich wollte ihre dummen Gesichter sehen wenn sie es erfahren." Asuna wunderte sich. "Das klingt mir aber nicht gerade politisch klug. Andererseits ist es wirklich Zeit, dass du ihnen auf die Finger schlägst." "Meinst du wirklich?" fragte Van überrascht. "Ja. Sie mischen sich viel zu sehr ein." In diesem Moment betrat eine junge Frau hinter der Maske eines Nachtsängers den Saal oben auf der Balustrade. Asuna erkannte sie sofort. Und genau wie bei ihr war ihre Maske sehr symbolisch. Der Nachtsänger war der einzige Vogel, der in der Nacht sang, und es hieß, wer einen der extrem seltenen Vögel hörte, traf einen lange vermissten, geliebten Menschen wieder. "Aber das können wir ein anderes Mal bereden, wenn du noch Lust dazu hast Van. Jetzt verlangt eine andere Person deine Aufmerksamkeit." Asuna deutete auf Hitomi und beobachtete Van, der sich fragend umdrehte. *** Merle hatte ihre Neugier nicht überwinden können und sich unter einem Vorwand davon gemacht. Es musste ja nicht jeder wissen, dass sie so neugierig war. Zu ihrer Verärgerung schien Blinx aber genauso neugierig zu sein wie sie und war ihr gefolgt. "Buh!" rief Merle aus ihrem Versteck hinter einer Säule, und freute sich diebisch über Blinx erschrockenes Gesicht. "Himmel, was fällt dir ein? Mir ist beinahe das Herz stehen geblieben." "Du hättest mir ja nicht nachschleichen brauchen." "Habe ich ja gar nicht!" Verteidigte sich der Katzenjunge und machte ein verärgertes Gesicht. "Ich wollte lediglich mit Thana sprechen. Woher soll ich wissen, dass du das auch vor hast? Oder was willst du hier?" "Das geht dich doch wohl nichts an. Schließlich wohne ich hier, und kann hingehen wo immer ich will. Was willst du überhaupt von..." Merle beendete ihren Satz nicht, denn was sie hinter Blinx sah, verschlug ihr den Atem. Eine Sekunde später fühlte sich Blinx von Schraubstockhänden gepackt und hinter die Säule gezerrt. "Gut. Sie haben uns nicht gesehen." Murmelte Merle, die kurz an der Säule vorbei schielte. "Was ist de..." Merles Hand auf seinem Mund hinderte Blinx an weiteren Fragen. Resigniert wartete er, bis Thana in Begleitung eines anderen Mädchens an ihnen vorbei gegangen war. Das Mädchen kam ihm irgendwie bekannt vor, auch wenn er sie nicht einzuordnen wusste. Die Maske gab ihm allerdings zu denken. Wer würde denn die Maske eines Nachtsängers tragen? "Wer war das?" fragte er Merle als er wieder sprechen konnte. Merle warf ihm einen vernichtenden Blick zu, der seine Intelligenz irgendwo in der Nähe von Plattwürmern ansiedelte. Dabei hatte sie selbst Hitomi nur so schnell erkannt, weil Thana ihr gerade die Maske aufgesetzt hatte, und deshalb hatten die beiden sie auch nicht gesehen. "Das wirst du schon früh genug erfahren, vorausgesetzt du hältst den Mund und kommst mit." Merle zog Blinx mit sich fort, nach draußen und über den Garten wieder zurück zum Ballsaal. Unterwegs stießen sie noch auf Allen. "Was machst du hier?" kreischte Merle überrascht, als sie in ihn hineinschlitterte. "Es war mir zu langweilig." Antwortete Allen und schob sie von sich um wieder aufzustehen. Auch Merle rappelte sich eiligst wieder hoch. "Dann komm lieber mit. Du verpasst sonst die Überraschung des Jahres." Das letzte Wort wurde schon von den Dornen der Hecke zerrissen, um die Merle gerannt war. "Welche..." "Keine Ahnung!" rief Blinx ihm die Antwort auf seine Frage zu, bevor auch er hinter der Hecke verschwand. Mit einem Fluch setzte Allen sich in Bewegung. Er kam gerade noch rechtzeitig an um zu sehen, wie eine elegante Frau, die gerade mit Van getanzt hatte, auf jemanden auf der Treppe am anderen Saalende zeigte. Allen blickte in die Richtung, in die sie wies, und erstarrte. "Das ist doch..." hörte er Millernas überraschte Stimme neben sich. Er blickte nach links und sah, wie auch Dryden vor Überraschung der Kiefer nach unten klappte, als er die Frau auf der Treppe sah. "Da hol mich doch der..." Allen drehte sich wieder um und sah Van, der wie ein Betrunkener durch den Saal ging ohne etwas wahrzunehmen. "Wer ist das denn nun?" Wollte Blinx wissen. "Wie, du erkennst sie nicht? Also Blinx, wirklich." Thana, die in der Minute des Schocks unbemerkt herangetreten war, schüttelte missbilligend den Kopf. "Seit wann ist sie wieder hier, und wieso hast du mir nichts gesagt?" wollte Merle von ihr wissen." "Seit heute Vormittag. Van wollte, dass es bis heute Abend niemand etwas erfährt. Und wenn ich mir eure Gesichter so ansehe muss ich sagen, die Überraschung ist gelungen." "Das kannst du laut sagen!" meinte Millerna und stürzte das Glas in ihrer Hand mit einem Zug herunter, was ihr ein bestürztes "Millerna!" von ihrem Mann einbrachte. Auch Allen und Merle schauten verdutzt. Doch dann richteten sich die Blicke aller wieder auf Van, der gerade die Treppe erreicht hatte, und nun Hitomi entgegenstieg. *** "Jemand anders?" wollte Van fragen, doch noch während er sich herumdrehte wusste er, wer gemeint war. Und dort auf der Treppe stand sie und sah in den Ballsaal. Van glaubte seinen Augen nicht trauen zu können. Sie sah einfach umwerfend aus. Das Haar hochgesteckt und in einem Kleid wirkte sie auf einmal ganz anders, majestätisch, wie es Van unweigerlich in den Kopf schoss. Wie eine Königin. Wie von selbst setzten seine Füße sich in Bewegung, und jetzt erkannte er auch, was ihn gewundert hatte. Er kannte das Kleid, das sie anhatte. Sie hatte das gleiche von Millerna bekommen, als sie das erste Mal nach Pallas kamen. Er wusste noch ganz genau, wie er sie angestarrt hatte, als er sie das erste Mal darin gesehen hatte. Wunderschön hatte sie damals ausgesehen, genau wie jetzt. Das Licht brach sich schillernd im Stoff ihres Kleides und quer durch den Saal sah er ihre funkelnden grünen Augen. Ihre Maske ließ Van lächeln. Sicher hatte Thana sie ausgewählt. Sie liebte solche Dinge mit Symbolen und Legenden und scheinbaren Zufällen, und würde es sich nicht nehmen lassen ein deutliches, aber dennoch subtiles Zeichen zu setzten. Wie im Traum schritt er auf sie zu, merkte nicht, wie er jemandem auf den Fuß trat und wie ihn die Leute anguckten. Eine Frau fiel in Ohnmacht, als er an ihr vorbeiging. Wenn er es bewusst mitbekommen hätte, wäre Van vielleicht eingefallen, dass es die Frau war, die sich vor zwei Nächten in sein Zimmer schleichen wollte. So aber erreichte er die Treppe ohne die Umgebung wahrzunehmen, und schritt langsam auf Hitomi zu, die ihm während seiner Wanderung durch den Saal entgegen gekommen war. Van bewunderte, wie sie scheinbar ungerührt auf ihn zukam, obwohl ihr Herz doch genauso heftig schlagen musste wie seines. Sicher kam sie ihm Stufe um Stufe entgegen, bis sie sich trafen, Van auf der fünften Stufe, Hitomi auf der sechsten. Einen Augenblick fragte Van, ob sie wusste, was das bedeutete. Dann verneinte er diesen Gedanken. Selbst wenn, hätte sie sich nie absichtlich dort hin gestellt. Dazu war sie viel zu schüchtern, egal welchen Eindruck sie in diesem Moment vermittelte. Die fünfte Stufe, auf der Van stand, symbolisierte die fünf Elemente: Erde, Wasser, Feuer, Luft und Geist. Bei Staatszeremonien standen dort die traditionell fünf Minister, die die Weisheit dieser Elemente symbolisierten. Über ihnen stand dann der König, die Einheit dieser Elemente und ihrer Weisheit. Und nun stand der König von Fanelia auf der fünften Stufe, und schaute hinauf zu jemand anderem. Wirklich ein bedeutendes Sinnbild. Doch das konnte heute keiner mehr wissen. Schon sein Vater hatte es nicht gewusst. Er selbst hätte es wohl kaum gewusst, wenn er nicht einmal als kleines Kind seine Mutter gefragt hatte, warum seine Eltern immer auf der selben Treppenstufe standen, obwohl sie weiter oben doch besser gesehen werden konnten. "Und außerdem..." hatte seine Mutter der Erklärung ernst aber lächelnd hinzu gefügt "außerdem sollte ein Herrscher niemals von oben auf sein Volk herabschauen, denn ohne die Menschen ist sein Reich nichts weiter als ein ödes Stück Land." Ja, seine Mutter war weise gewesen, weise und voll von altem Wissen. Und genauso schön wie Hitomi. Er verstand, warum sein Vater sie gegen jeden Widerstand geheiratet hatte. Warum hatte er nicht eher daran gedacht? Dann hätte er sich seine schweren Gedanken sparen können. Auch seine Mutter hatte es schwer gehabt, aber sie war in ihrer Ehe glücklich gewesen. Warum traute er Hitomi weniger Stärke zu? Er hob die Hand und mit leiser Stimme fragte er seine Angebetete "Würdet ihr mir diesen Tanz schenken?" Hitomi hinter ihrer Maske nickte und ergriff seine dargebotene Hand. "Sehr gerne Majestät." Die Hände aufeinander gelegt schritten sie die Treppe herab, während die Musiker einen weiteren langsamen Tanz anschlugen, einen Tanz der fast- aber nur fast- unsittlich war für einen solchen Ball, da er sehr eng getanzt wurde. Thana bei den Musikern zwinkerte ihm zu, und Van konnte nur mühsam ein Lachen unterdrücken. Sie liebte es wirklich, solche Dinge zu arrangieren. "Nur Mut." Flüsterte Van Hitomi zu, als sie sich zum Tanz aufstellten. "Du hast gut Reden. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen muss. Thana hat bloß gesagt, sie sorgt dafür, dass ich mich nicht blamiere, und das wars." Van drückte ihre Hand und umfasste mit der anderen ihre Hüfte. "Keine Sorge. Verlass dich ganz auf mich. Lass dich einfach nur tragen." Der Tanz begann, und langsam entspannte Hitomi sich. Wie Van ihr geraten hatte, ließ sie sich von ihm führen, von den kleinen, fast unmerklichen Berührungen, die sie mal in die eine, mal in die andere Richtung schoben. Der Tanz endete nach einer langen, viel zu kurzen Zeit. Van lächelte Hitomi an. "Was meinst du, ist jetzt der richtige Zeitpunkt?" Er brauchte nicht zu erklären, wozu. Es war beiden klar. Hitomi nickte. "Wenn du willst." *** Aufmerksam wurden Van und Hitomi beobachtet, doch nicht nur von ihren Freunden. "Seht euch die an!" sagte Millerna belustigt, und wies mit den Augen auf eine der Frauen, die sich heute ganz besonders eifrig um die Kunst des Königs bemüht hatten. Sie hatte eine Blume an ihrem Kleid angesteckt, welche sie nun mit den Fingern zerquetschte. Ein gelblich-grüner Fleck kennzeichnete die Missachtung der Natur. "Ich schaue mir lieber Van und Hitomi an." Meinte Thana lächelnd. "Sind sie nicht süß?" Dryden lachte schallend. "Du bist ja eine Romantikerin. Hätte ich gar nicht erwartet." "Jede Frau ist Romantikerin. Wenn ihr das nicht wisst, tut mir die eure aber leid." Gab Thana mit funkelnden Augen zurück. "Sie beschwert sich nicht. Das traut sie sich nicht." Konterte Dryden. "Ich glaube, das liegt eher daran, dass ihr Mann ihr egal ist." "Das reicht jetzt!" unterbrach Millerna die beiden. "Wenn ihr euch schon im Lästern übertreffen wollt, dann nicht über mich, und vor allem nicht, wenn ich dabei bin." "Aber Schatz." versuchte Dryden sie zu beruhigen. "Wir spielen doch nur!" "Ja. Wie die kleinen Kinder." Dryden sah sie überrascht an, blickte dann fragend zu Thana, die nach einigem Zögern nickte. Dryden drehte sich wieder zu Millerna. "Schatz, so ungern ich es zugebe, aber du hast gewonnen. Wir geben auf. Das ist nicht mehr zu überbieten." Dryden wich dem Schlag seiner Frau aus, und deutete dann in den Saal, froh über die Ablenkung. "Schau mal, ich glaube, Van will etwas verkünden." Tatsächlich konnten sie erkennen, dass er zielstrebig auf die große Treppe zuging, Hitomis Hand dabei in seiner. "Ich glaube, ich weiß was kommt." Murmelte Millerna, und sah nach Allen, der die ganze Zeit das glückliche Paar schweigend betrachtet hatte. Wie würde er es auffassen? Millerna war sich nicht im klaren darüber, wie genau seine Gefühle für Hitomi aussahen, und was nach diesem dreiviertel Jahr noch davon übrig war. Doch in dem Moment, in dem sie ihn anblickte entspannte sich seine steife Haltung. Millerna atmete auf. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf Van, der sich gerade die Maske abnahm, sich herumdrehte und die Hand hob. Schweigen breitete sich im Saal aus, unterbrochen nur von dem erregten Gezischel derjenigen, die über Hitomi herzogen. »Es ist doch immer und überall das selbe.« Dachte sich Millerna. »Keiner gönnt dem anderen sein Glück. Neid und Missgunst überall. Aber zum Glück sind die beiden anders. Sie könnten ein gutes Vorbild sein.« "Verehrte Gäste!" rief Van nun und ließ die Hand sinken. "Ehrenwerte Damen und geschätzte Botschafter." Millerna bewunderte, wie es Van gelang dabei nicht einen Muskel zu rühren. Sie selbst konnte ihre Gesichtszüge nur sehr schwer unter Kontrolle halten. Ein doppeltes Schnaufen und ein lautes "Pah!" neben ihr verrieten ihr, dass sich weder Merle noch Thana oder Dryden ähnlich unter Kontrolle hatten. Wobei sie allerdings ziemlich sicher war, das Thana das "Pah!" nicht nur entschlüpft war. Als sie aber die wütenden Blicke sah, die Thana zugeworfen wurden, konnte sie ein Grinsen nicht unterdrücken. "Und vor allem unsere Freunde aus Pallas." Vans Stimme klang wesentlich wärmer als vorher. Millerna konnte sehen, wie Hitomi zusammenzuckte, und verstohlen den Saal nach ihnen absuchte. Anscheinend hatte sie ihre alten Bekannten noch gar nicht bemerkt. »Nur Augen für einen.« dachte Millerna und lächelte Hitomi zu, die sie endlich entdeckt hatte. "Nur Mut!" sagten ihre Lippen lautlos, und die dankbare Hitomi nickte ihr fast unmerklich zu. "Einige werden es vielleicht schon wissen. Für die, die es noch nicht gehört haben, möchte ich es noch einmal wiederholen. Ich habe heute Früh den Botschaftern bekannt gegeben, dass ich heute Abend meine Entscheidung treffen werde, wer die zukünftige Königin von Fanelia wird." Das Raunen, das darauf hin folgte, war nicht das einer Menge, die eine vollkommen überraschende Neuigkeit erfährt. Es klang eher wie eine Menge, die ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt sah. Wenn der König das sagte, während ein Mädchen neben ihm stand... Deutlich hörte Millerna, wie der Botschafter Asturias seinen Nachbarn fragte "Wer ist dieses verdammte Gör?" und nahm sich vor, ihn bei Gelegenheit zu versetzten, falls er diese Meinung auch noch haben sollte, wenn er wusste, wer dieses Gör war. Selbst so war es eine Unverschämtheit. "Meine Entscheidung ist gefallen." Verkündete Van, drehte sich zu Hitomi um und ließ sich auf die Knie sinken. Dann blickte er zu ihr auf, und selbst quer durch den Raum konnte Millerna die Aufrichtigkeit in seiner Stimme und in seinen Augen erkennen. "Seit vielen Monaten war ich allein. Meine Freunde waren da, ich habe mit ihnen gelacht und doch fühlte ich mich einsam. Meine Tage waren erfüllt mit Arbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und doch wollten meine Gedanken an dich mich nie verlassen. Ich habe dich vermisst, dein Lachen, deine Augen, deine Gegenwart die mir so viel Ruhe und Kraft gegeben hat. Mein Herz zerriss beinahe vor Sehnsucht. Und jetzt bist du da. Niemals werde ich diesen Tag vergessen, an dem du wieder vor mir gestanden hast." Während seiner Rede hatte Van Hitomis Hände ergriffen. Nun küsste er sie, stand auf, nahm ihr langsam die Maske ab und sah ihr in die Auge. Sie strahlten heller als die Sonne, und eine kleine Freudenträne hatte sich im Winkel ihres rechten Auges verfangen. Von den Leuten im Saal kamen überraschte Laute, als diejenigen, die Hitomi begegnet waren sie erkannten. Einigen von ihnen war vielleicht schon bei der Rede ihres Königs der Verdacht gekommen, wer sich hinter der Nachtsängermaske verbarg, aber ihn bestätigt zu sehen war doch ein Schock. "Und weil ich nicht ohne dich leben kann, frage ich dich, Hitomi Kanzaki, willst du meine Frau werden?" Sekundenlang herrschte Totenstille im Ballsaal. Diejenigen, die jetzt erst erfuhren wer sie war, erstarrten vor Überraschung, die anderen, will sie auf eine Antwort warteten. Von draußen hörte man die Grillen zirpen und die klackernden, verzerrten Geräusche eines Pferdes, die vom Schlosshof herüberhallten. Das Licht der unzähligen Kerzen schien auf einmal nur die beiden anzustrahlen. Irgendwo in den Bäumen sang ein Vogel in der Dunkelheit. Überrascht erkannte Millerna, dass es ein Nachtsänger war. Eine beinahe religiöse Ehrfurcht erfüllte sie. »Kann das noch Zufall sein?« fragte sie sich und erschauerte. Dann setzte Hitomi zur Antwort an und die Stille wurde noch leiser, als jeder den Atem anhielt. "Ja, ich will. Es gibt nichts, das ich mir mehr wünsche." Sie streckte sich Van entgegen, und die beiden küssten sich sanft. Millerna war die erste, die mit Klatschen anfing. Teilweise zögernd folgte ihr der restliche Saal. Van und Hitomi drehten sich wieder der Menge zu, doch aus den Augenwinkeln beobachtete Hitomi Van. Sie sah die feinen, glänzenden Tropfen aus Vans Stirn und erinnerte sich an das leichte Zittern in seiner Stimme. Es hatte ihn große Überwindung gekostet, ihr vor allen Leuten seine Liebe zu gestehen. Eine tiefe Wärme erfasste sie. "Nehmt die Masken ab und feiert!" rief Van. "Feiert und seid fröhlich, denn heute ist ein Tag der Freude!" Stolz schritt er die Treppe hinab, während die Musik erneut ansetzte. Die Masken wurden abgenommen, und die Leute fanden sich erneut zu Paaren zusammen. Jetzt begann der weniger steife Teil des Balles. "Hast du Lust zu Tanzen, Millerna?" fragte Dryden seine Frau. "Das fragst du noch?" gab sie zurück und hakte sich bei ihm ein. Doch bevor sie ihren Mann in den Raum ziehen konnte, stand auf einmal eine Frau mit langen blonden Haaren vor ihr, ihre Rabenmaske in der Hand. "Asuna? Dann warst du das bei Van! Und ich habe mich schon gefragt, mit wem er so lange tanzt." Rief Millerna überrascht, die die Zaibacherin genauso wenig erkannt hatte wie die anderen. "Wir hatten das ein oder andere zu bereden." Antwortete Asuna lächelnd. "Ich bin froh, dass Hitomi da ist." "Wirklich? Bist du das?" Asuna lachte. "Das fragst ausgerechnet du, Thana?" Die beiden jungen Frauen nickten sich respektvoll zu. "Du müsstest doch eigentlich spüren können, was ich empfinde, oder hast du deine Gabe verloren. "Gabe, Fluch..." Thana zuckte mit den Schultern. "Im Moment spüre ich nichts. Ich habe das Gegenmittel eingenommen, es wäre sonst viel zu "laut" hier. Asuna nickte verstehend. "Entschuldigt uns." Sagte Millerna. "Aber ich möchte die Gelegenheit ausnutzen. Wenn Dryden schon mal fragt, ob ich tanzen möchte..." Sie zwinkerte den beiden zu, und schob Dryden weg. "Ihr solltet euch auch amüsieren." Sagte Thana nun zu Blinx und Merle. "Ich bin sicher, ihr beide seid ein hervorragendes Tanzpaar." Sie schob die beiden sich wehrenden Katzenmenschen auf die Tanzfläche, und ließ sie dann allein. Verlegen standen sie sich gegenüber. "Na ja, wenn wir schon mal hier stehen..." meinte Blinx schüchtern. Merle sah sich unbehaglich um, aber niemand schien auf sie zu achten. "Na schön. Aber nur den einen Tanz, und dann verschwinden wir." Ungeschickt und zögerlich begannen sie, wurden aber schnell ernsthafter, als sie merkten, dass sie beide nicht für den Tanz geboren waren. Und schließlich waren Katzenpfoten gepolstert, da war es nicht so schlimm wenn man dem Gegenüber auf die Zehen trat. Asuna lachte. "Keine Empathie mehr, was? Dafür war das eben aber ziemlich gut." Auch Thana lachte. "Ach, die beiden sind nur schüchtern. Wie unser anderes Pärchen." "Da wir gerade beim Thema sind- wer ist das, der Van und Hitomi die ganze Zeit so komisch ansieht." "Das ist Allen." "Allen Shezar?" Asuna riss überrascht die Augen auf und musterte ihn erneut. Sie brummte leise und legte den Kopf schief. "Sieht aus, als ob er auf andere Gedanken kommen sollte." "Ja. Seine Schwester ist krank, und das geht ihm sehr nahe. Außerdem..." Thana beugte sich verschwörerisch vor "Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, er und Van haben mal um Hitomi gekämpft." "Gekämpft? Du meinst richtig gekämpft?" Thana nickte zur Antwort. "Und jetzt?" fragte Asuna nach. "Ganz gut. Die beiden sind etwas distanziert, aber ich glaube nicht, dass es noch ein Problem ist. Ich glaube auch nicht, dass es Allen Hitomi wirklich geliebt hat. Ich glaube, verehrt trifft es eher." "Da hat er auch allen Grund dazu." Meinte Asuna in Gedanken an ihre letzte und einzige Begegnung mit Hitomi. "Ich kann zwar nicht sagen warum, aber bei ihr..." hilflos zuckte Asuna mit den Schultern und Thana lachte. "Ich weiß was du meinst. Hitomi ist etwas ganz besonderes. Man muss sie einfach gern haben." Asuna nickte. "Meinst du, Allen hätte etwas dagegen, wenn ich ihn auffordere?" "Sicher. Aber mach es trotzdem. Er muss auf andere Gedanken kommen." Asuna nickte Thana zu, und ging zu Allen. "Herr Ritter? Würdet ihr mir die Ehre erweisen?" "Verzeiht, aber ich tanze nicht." Asuna trat einen Schritt zur Seite, so dass sie jetzt genau in Allens Blickrichtung stand. Langsam kam er in die Wirklichkeit zurück. "Keine Widerrede. Ihr könnt mich doch nicht zurückweisen!" Allen richtete seine Augen auf Asuna, und blinzelte. Er schloss kurz die Augen und sah sie noch einmal an. Er schluckte. "Was ist nun?" fragte Asuna ungeduldig, und mit erhobener Augenbraue. Das sollte der berühmte Allen Shezar sein? Er wirkte eher wie ein Geistesgestörter. Langsam setzte sich der Geistesgestörte in Bewegung. "Verzeiht. Natürlich werde ich mit euch tanzen. Verzeiht, aber ich war mit meinen Gedanken woanders." "Das habe ich gemerkt." Sagte Asuna mit etwas Schärfe in der Stimme und schämte sich sofort. Wenn er sich Sorgen um seine Schwester machte, konnte sie ihm das doch nicht vorwerfen. Erstaunt sah sie, wie Allen rot wurde. Schämte er sich etwa? »So, und was mache ich jetzt?« fragte sich Thana, als sie sah, dass Asuna den Ritter überredet hatte. Da fiel ihr Blick auf Allens Stellvertreter, der wie der Rest der Crusador-Besatzung zur Wache eingeteilt war. Sie ging zu ihm. "Hallo Gades. Habt ihr Zeit?" "Nun, ich muss Wache stehen. Also könnte man sagen ja, wenn ihr nur reden wollt." "Nicht reden, tanzen." "Uh. Nein, lieber nicht. Das gibt bloß Ärger wenn ich meinen Posten verlasse." "Wieso Posten verlassen? Ihr passt nur besonders gut auf mich auf. Also kommt!" Thana zog ihn schmunzelnd zum Tanzen. "Vorsicht, es scheint, sie hat eine scharfe Zunge. Schneide dich nicht!" rief Kio und lautes Gelächter folgte ihnen. *** "Also, ich weiß nicht, ob das so gut ist." Bemerkte Gades und Thana schüttelte lachend den Kopf. "Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt euch darum keine Gedanken machen. Ihr seid auf meinen Befehl hier, und damit fertig. Der Abend ist viel zu schön, um ihn zu verschwenden. Mag sein, dass der Ball zu Ende ist, aber das ist kein Grund, schon ins Bett zu gehen. Ich für meinen Teil bin jedenfalls nicht müde, aber ich habe auch keine Lust, allein in meinem Zimmer zu hocken. Merle ist mit Blinx verschwunden, und Van und Hitomi wollen bestimmt nicht gestört werden. Also ziert euch nicht so und kommt rein." Thana schob Gades in ihre Gemächer, wo er mit offenem Mund stehen blieb. "Was ist los?" "Na ja. Ich habe nicht gedacht, dass es so aussieht." Thana sah sich in ihrem Zimmer um. Auf dem großen Tisch lagen Landkarten ausgebreitet und an den Wänden hingen ebenfalls Karten, allerdings zwischen Bildern von Blumen und Wasserfällen. In einer Ecke stand eine Staffelei, an der Wand daneben ein Schwert. Auf der anderen Seite des Raumes stand ein Tisch, der eindeutig für Kriegspläne gedacht war. Figuren von Soldaten und Guymelefs standen sich in Formationen gegenüber. Es war nicht gerade das typische Zimmer einer Frau. Thana drehte sich um, und musterte Gades. "Ich bin eine Frau. Das schließt nicht aus, dass ich auch andere Interessen als Nähen habe." "So habe ich das nicht gemeint." Wehrte Gades heftig ab. "Es ist nur... Das Durcheinander. Es scheint alles nicht zusammen zu gehören. Und es ist nicht sehr ordentlich. Verzeiht, wen ich das so sage." Thana winkte ab. "Da gibt es nichts zu verzeihen. Ihr habt Recht. Ich habe nicht oft Besuch, darum kümmert es mich nicht besonders, wie aufgeräumt es ist. Und die Diener haben die eindeutige Anweisung, alles so zu lassen, wie es ist. Ich finde immer, was ich suche." Sie nahm eine der Lampen, ging zum Fenster und öffnete die Flügeltüren. "Aber ich habe auch nicht vor, im Zimmer zu bleiben. Die Nachtluft ist viel zu schön." Gades folgte ihr immer noch verwundert und erschauerte. Es war trotz allem eine Frühlingsnacht und nicht besonders warm. "Wir sollten doch lieber wieder rein gehen. Es ist ziemlich kalt." Schlug er vor, doch Thana hörte gar nicht was er sagte. Sie beugte sich gerade über die Brüstung des Balkons, um in das Nachbarzimmer zu schauen. Die Lampe, die sie auf den kleinen steinernen Tisch gestellt hatte warf tanzende Schatten von ihr auf die Wand. "Was macht ihr da?" fragte Gades verwundert, und errötete bei Thanas Antwort. "Ich sehe nach, was Van und Hitomi machen." "Das ist wohl kaum der richtige Zeitpunkt." Meinte er, und Thana schaute ihn verwirrt an, bis sie verstand, was er dachte. Sie kicherte und schüttelte heftig den Kopf. "Sie sitzen da und erzählen sich wahrscheinlich gerade, wie sehr sie einander vermisst haben. Nicht, was ihr denkt." Thana trat vor ihn und sah ihn mit schief gelegtem Kopf an. "Obwohl ich glaube, ich weiß wie ihr auf diesen Gedanken kommt." Sie machte einen Schritt nach vorn, bis nur noch Zentimeter die beiden trennten. "Ihr seid hier allein mit mir..." flüsterte sie "die Sterne funkeln am Himmel, und die winzige Lampe taucht alles in ein ungewisses, zartes Licht. Eine wirklich romantische Stimmung." "Äh..." Gades schluckte und trat einen Schritt zurück. Thana sah ihn mit funkelnden Augen an und ohne Vorwarnung trat sie nach vorne und stieß ihn an. Überrascht stolperte Gades nach hinten und landete wenig elegant auf der Steinbank. Thana musste ein lautes Lachen unterdrücken und ging an ihm vorbei. Sie stützte sich auf der Brüstung ab, hob den Kopf nach oben und schloss die Augen. "Hört ihr es auch?" fragte sie leise. "Hört ihr das Rauschen der Bäume, den Wind, wie er an den Wänden des Schlosses vorbeistreicht? Hört ihr das leise Rascheln unten im Garten, wenn eines der kleinen Tierchen durch die Blumenbeete huscht?" Sie drehte sich wieder zu Gades um. Der wehmütige Ausdruck in ihren Augen überraschte ihn und er hielt den Atem an. Er hatte das Gefühl, dass er sie sah wie sie nur selten war. Ohne irgendwelche Masken, ihre Seele weit ausgebreitet vor ihm. Thana drehte sich wieder um und wies mit einer unbestimmten Geste dorthin, wo der Wald ist. "Manchmal gehe ich des Nachts einfach los. Ich schleiche durch den Wald und lausche dem Atem der Natur. Sie kann demjenigen der zuhört viel erzählen. Und ich bin dort allein. Keine Menschen, die Gefühle ausstrahlen. Und wenn doch mal einer kommt kann ich ihm leicht ausweichen. Das ist hier nicht der Fall." Gades stand unsicher auf. Er hatte keine Ahnung, was er entgegnen sollte. Ob er überhaupt etwas sagen sollte. Er trat neben sie. Thana sah ihn an. Ihr Gesicht war ganz entspannt, nur um die Augen lag ein winziger, angespannter Zug. "Und jetzt?" "Nichts." Antwortete Thana. "Aber nur, weil ich die Drogen eingenommen habe. Da draußen ist das anders. Es ist nicht das leere Nichts, das die Drogen verursachen. Ich kann dort immer etwas spüren, aber nichts von Menschen. Nur Tiere mit ihren unbestimmten Strömungen." "Willst du damit sagen, auch Tiere haben Gefühle?" Ohne es zu merken war Gades zum vertrauten du gewechselt. Auch Thana blieb dabei. "Habe ich dir das nicht gerade gesagt?" fragte sie belustigt und lehnte sich an ihn. Gades legte unwillkürlich den Arm um sie. "Nicht so wie Menschen. Man kann es nicht Gefühle nennen, aber sie empfinden schon so etwas wie Hunger, Durst oder auch Zufriedenheit, wenn beides fehlt. Oder Schmerz, wenn sie sterben. Auch das kann ich spüren. Es ist immer alles da, kaum wahrnehmbar. Doch wenn man hinhört, genau lauscht... Es ist schrecklich und wunderschön zugleich." Gades erschauerte so heftig, dass Thana überrascht von ihm abrückte. "Habe ich dich erschreckt? Das tut mir leid. Ich wollte nicht..." "Nein, es ist nichts. Es ist nur so kalt." "Lügner." Erwiderte Thana mit sanftem Lächeln. "Es ist wirklich kalt." Bekräftigte Gades und Thana lachte nur leise. "Frierst du nicht?" fragte er verwirrt. "Nein. Ich bin ganz andere Temperaturen gewöhnt. Ich spüre kaum etwas davon. Es ist eine Sache der Atmung und des inneren Gleichgewichtes. Ich habe es schon als kleines Kind gelernt. Aber wenn dir kalt ist... warte einen Moment." Sie ging rasch in ihr Zimmer und kam nach ein paar Sekunden mit einer Decke wieder heraus. Eine Hälfte breitete sie auf der kalten Steinbank aus und schob Gades darauf. Dann setzte sie sich dicht neben ihn, legte die Decke um sie beide und kuschelte sich an ihn. "Wärmer jetzt?" fragte sie. Gades nickte schwach. "Ja." Er wollte nicht sagen, wie warm ihm auf einmal wurde. Er fühlte den schlanken Körper, der sich an ihn schmiegte mehr als deutlich, genauso wie den schwachen Duft ihres Haares, der sich mit dem schweren Geruch des Tannenwaldes mischte, den der Wind heranwehte. "Manchmal im Winter bin ich hinaus gegangen." Begann Thana leise zu erzählen, und ihre Stimme klang dabei so entfernt, als sei es keine Erinnerung, sondern als ob sie aus der Vergangenheit selbst erzählen würde. "Nur mit einer Robe bekleidet, barfuss, und bin bis zum See gelaufen. Wie die alten Priesterinnen. Dann bin ich auf das Eis gegangen und habe die Stille genossen. Nur das Eis unter meinen Füßen, der kalte Wind in meinem Gesicht. Es ist wunderschön." Gades erschauerte bei der Vorstellung. Thana kicherte. "Ich bin nicht erfroren, aber selbst mir war danach dann ziemlich kalt und ich habe ein langes, heißes Bad gebraucht, bis ich wieder aufgetaut war." Thana wandte Gades ihr Gesicht zu und hob eine Hand, um über seine Wange zu streicheln. "Es war schön, aber auch einsam. Heute Nacht will ich nicht einsam sein. Und du?" LMMI 4 Kapitel 3 ---------------- Kapitel 3 Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne tauchten den Himmel in ein zartes Rosa. Eine kühle Brise umwehte die wenigen Personen, die sich schon zu so früher Stunde auf der Straße aufhielten um ihrem Tagesgeschäft nachzugehen. In den meisten Häusern erwachten die Bewohner erst jetzt oder waren kurz davor aufzuwachen. Frühmorgendlicher Nebel fiel von den Hängen der umgebenden Berge in das Tal von Fanelia und zerfiel zu fransigen Fetzen, die die Sonne bald auflösen würde. Auch die Schlosssoldaten, müde von ihrer Wache, reckten sich noch einmal und standen aufrechter, als ob sie die Sonne willkommen heißen wollten. Das erste Klappern kündete von den Köchen in der Schlossküche und ihren Vorbereitungen darauf, einen solchen Mammuthaushalt den ganzen Tag zu verköstigen. Ein hoher Schrei hallte durch die Gänge und ließ alle, die ihn hörten, erstarren. Die abergläubischen unter ihnen machten ein Zeichen zur Abwehr des Bösen. Einen solchen Schrei, so dachten sie, stieß nur aus, wer einen Blick in die Hölle geworfen. Die Wachen des Königsflügels lösten sich aus ihrer Erstarrung und liefen mit bleichen Gesichtern auf die Gemächer ihres Herrschers zu. Als sie die Kreuzung erreichten, die zu den vier Zimmerfluchten führte, kam ihnen von links ein Mann entgegen, nur mit einer Hose bekleidet und ein Schwert in der Hand. Sie hoben ihrerseits die Schwerter, doch Thana, die aus ihrem Zimmer kam, gab ihnen mit einem Wink zu verstehen, dass sie ihn unbehelligt lassen sollten. Auch sie hatte sich nur eine etwas übergeworfen, ihre Füße waren nackt und verursachten leise, schmatzende Geräusche auf dem bloßen Steinboden. Als Thana die Wachen erreichte blieb sie stehen, schien in sich hinein zu horchen und atmete auf. "Es ist gut. Ihr könnt wieder auf euren Posten zurück." Die Wachen sahen sich an. Es hieß, dieses Mädchen, das von einem Tag auf dem anderen zu Vans Vertrauter geworden war, hätte magische Kräfte. "Wir müssen uns davon überzeugen." Sagte der ältere der beiden schließlich. Thana runzelte die Stirn, zuckte dann aber mit den Schultern. Ohne ein weiteres Wort ging sie den beiden voran zu den Räumen der Königin. Sie schob Gades ein Stück zur Seite, denn der war mitten in der Tür stehen geblieben. Sie sah, was sie aus den auf sie einströmenden Gefühlen bereits erahnt hatte. Van blickte zur Tür und sah dort Thana stehen, die sich an einen fast unbekleideten Mann lehnte, und dahinter die Wachen. "Hoheit?" fragte einer von ihnen. "Es ist alles in Ordnung." Sagte er, und wiegte Hitomi sanft in seinen Armen. "Nur ein schlimmer Traum." Die Wachen sahen sich an. Sie fühlten sich sichtlich unwohl. Schließlich schienen sie zu einem Entschluss gekommen zu sein und steckten ihre Schwerter ein. Doch noch gingen sie nicht. Sie sahen Gades an. Van folgte ihrem Blick, und erst jetzt erkannte er den Offizier. Erkannte, wie sich Thana an ihn schmiegte und seine Augen weiteten sich. Doch dann schloss er für einen Augenblick die Augen und schüttelte unmerklich den Kopf. Das war jetzt nicht wichtig. "Ihr könnt gehen." Sagte er noch einmal zu den Wachen, und an Gades gerichtet "Du bitte auch." Gades zögerte einen Augenblick, warf Hitomi einen besorgten Blick zu und nickte dann. "Ich verschwinde besser." Flüsterte er Thana zu, die stumm nickte und ihn sanft hinaus schob. Dann schloss sie die Tür und setzte sich neben Hitomi und Van aufs Bett. "Schsch. Es ist alles wieder gut." Tröstete Thana sie leise und strich ihr behutsam über das verschwitzte Haar. Hitomi entspannte sich und erst jetzt bemerkte Van, wie sehr sie sich an ihn geklammert hatte. Ihre Fingernägel hinterließen schmerzende Male an seinen Armen als ihr Griff weniger krampfhaft wurde.. Dankbar lächelte er Thana zu. Jetzt, wo es Hitomi besser ging, konnte auch er sich entspannen, konnte auch er sich aus den Klammern der Angst befreien. Langsam löste sich Hitomi von Van, atmete tief durch und wischte sich die tränennassen Augen ab. "Entschuldigt. Ich habe euch wohl sehr erschreckt. Aber dieser Traum..." Sie erschauerte und lehnte sich erneut an Van. "Ich hole dir was, das dir hilft dich zu entspannen." Meinte Thana und blickte Van scharf an. "Kannst du ihn mal für einen Augenblick entbehren?" Hitomi nickte schwach. Sie drehte sich und stellte die Füße auf den Boden. "Es geht schon wieder." Mit wackeligen Beinen stand sie auf und ging bedächtig zum Fenster. Die Sonne war mittlerweile über dem Horizont aufgestiegen und warf lange Schatten und rotes Licht über die Landschaft und in das Innere des Zimmers. Van zögerte. Er wollte Hitomi jetzt nicht allein lassen, aber Thanas Blick war deutlich gewesen. So blickte sie ihn immer an wenn sie vermutete, dass er eine Dummheit gemacht hatte. So war es dann auch. "Sie hat noch ihre Kleider von gestern an." Sagte Thana knapp, als sie in ihren Sachen kramte. Van wurde rot. "Ich konnte sie ihr ja schlecht ausziehen." Warum fühlte er sich Thana gegenüber in einer solchen Situation immer wie ein kleiner Junge der etwas ausgefressen hat? "Lass mich raten. Ihr habt bis ganz spät in die Nacht gequatscht und nichts um euch herum mitbekommen." Thana dachte daran, dass sie teilweise ziemlich laut gewesen war diese Nacht, und eine wohlige Wärme stieg in tief in ihr auf. Sie versuchte nicht daran zu denken. "Eigentlich war es schon heute morgen." Berichtigte Van zerknirscht. "Ich kann mich erinnern, dass es am Horizont ein klein wenig hell war. Es dürfte gerade mal eine Stunde her sein." Unwillkürlich gähnte er und fühlte sich sofort darauf schuldig. Eben noch hatte er sich Sorgen gemacht und jetzt... Thanas Schnauben riss ihn aus seinem Gedanken. "Das hätte ich mir ja denken können. Ihr wisst beide ganz genau, dass so eine Reise zwischen den Welten viel Kraft erfordert. Der gestrige Tag war auch nicht gerade ereignislos." Die Hände in die Seiten gestemmt sah Thana ihn ärgerlich an, und Van schrumpfte in sich zusammen. "Du hast ja Recht. Aber wir konnten einfach nicht aufhören. Es gab so viel zu erzählen. Und dann ist sie plötzlich eingeschlafen. Ich habe sie in ihr Bett getragen, mich in meines gelegt und bin sofort eingeschlafen. Wie du siehst, habe ich auch noch die selben Sachen an." "Ich bin nicht blind." Antwortete Thana beißend, doch dann entspannte sie sich. "Du solltest deine zukünftige Braut besser behandeln, Van." Meinte sie mit einem leichten Lächeln. "Ihr werdet euch noch oft genug vom Schlafen abhalten." Van folgte ihr verlegen zurück in Hitomis Schlafzimmer. "Hier, trink das." Wies sie Hitomi an, nachdem sie einen Teil aus ihrer Flache in ein Glas Wasser gegeben hatte. Durstig ergriff Hitomi das Glas. Thana schenkte ihr von dem klaren Wasser nach, bis sie genug hatte. "Nicht mal ans Trinken habt ihr gestern gedacht, was? Fast alles ausgetrunken. Das reicht bei mir für einen ganzen Tag." Thana zwinkerte Hitomi zu, die, wenn auch noch etwas gequält wirkend, zurück lächelte. Dann setzte sie sich auf einen Wink Thanas neben ihr auf das Bett. "Also, was ist los?" Fragte Thana Hitomi. "Was war das für ein Traum?" Hitomi erschauerte und Van setzte sich neben sie um sie in die Arme zu nehmen. Geduldig wartete Thana bis Hitomi sich gefasst hatte und stockend zu erzählen begann.. "Ich weiß nicht genau... Es war alles so verschwommen. Ich kann mich kaum noch an etwas erinnern, nur, dass es schrecklich war. Es war, als schwebte ich in absoluter Leere, nichts um mich herum, kein anderes Wesen, keine Wärme oder Licht. Nicht einmal Kälte. Nur... Nichts. Doch dann hörte ich eine Stimme." Wieder erschauerte Hitomi und drückte sich dichter an Van. Ihre Augen schienen in das Nichts zu sehen, das sie eben versucht hatte zu beschreiben. "Ich habe nicht verstanden, was sie mir sagen wollte. Wenn sie mir etwas sagen wollte. Ich weiß nur, dass diese Stimme schaurig klang. Ich glaube, sie schwebt schon ewig in diesem formlosen Nichts." Jetzt war es Thana zu erschauern. Sie hatte von Fällen gehört, in denen Menschen verrückt geworden waren, weil man sie in eine leere, dunkle und lautlose Zelle gesperrt hatte. Erst waren sie rastlos hin und her gelaufen. Dann hatten sie zu singen angefangen oder Selbstgespräche geführt. Schließlich kauerten sie nur noch auf dem Boden, wimmerten, heilten sich die Ohren zu oder kratzten sich blutig, um überhaupt noch etwas zu spüren. Und das schon nach wenigen Tagen. Wochen oder gar Jahre in so einem Zustand zu verbringen... "Aber das schlimme war, ich glaubte diese Stimme zu erkennen." Berichtete Hitomi weiter. "Wer war es?" fragte Van. Seine Stimme schwankte, als ob er eine Antwort gar nicht hören wollte. "Ich weiß es nicht. Das ist es ja. Ich bin mir sicher, die Stimme zu kennen. Aber wer es war..." "Ist nicht so wichtig." Rief Thana betont laut. "Vielleicht fällt es dir ja wieder ein. Heute wird es ein viel zu schöner Tag, um Trübsinn zu blassen. Und außerdem war es ja nur ein Traum." "Ja. Nur ein Traum." Erwiderte Hitomi. Doch ihrer Stimme fehlte die Kraft der Überzeugung. Sie dachte das selbe wie Van und Thana. Was, wenn es kein Traum war? Was, wenn sie eine Vision von der Zukunft gehabt hatte? Wer war dann diese Person? Hatten sie diese Person überhaupt schon kennen gelernt, oder würden sie das erst tun? War das der Grund, warum Hitomi die Stimme zu kennen glaubte, sie aber nicht einordnen konnte? Van stellte das Tablett mit dem Essen auf den kleinen Tisch in Hitomis Schlafzimmer und setzte sich ihr gegenüber. Gemeinsam aßen sie, aber im Gegensatz zum gestrigen Abend schwiegen sie. Nur ab und zu sprachen sie ein paar Wörter, aber diese einsilbig und ohne wirkliche Aufmerksamkeit. Hitomi dachte immer noch an ihren Traum, und Van machte sich genau deswegen Sorgen. Dabei war der Tag so schön, strahlender Sonnenschein und ein Himmel so blau wie das Meer vor Asturia. »Es wäre schön, jetzt mit Hitomi am Strand zu sitzen.« dachte sich Van sehnsüchtig und musterte sie, wie sie in ihren schweren Gedanken versunken aus dem Fenster sah. »Und es würde sie ablenken.« Eine Strähne ihres Haares hatte sich gelöst und schwebte scheinbar in der Luft. Van war sich nicht sicher, ob er sich so schnell daran gewöhnen würde. Die längeren Haare gefielen ihm, aber er hatte immer noch ihr Bild mit den kurzen vor seinen Augen. »Aber einen Strand gibt es hier nicht. Das ist Fanelia, nicht Asturia. Wir haben höchstens einen kleinen Teich, aber da ist viel zu viel los, als das man dort ungestört...« Van erstarrte und verfluchte sich für seine Dummheit. "Hast du was gesagt?" fragte Hitomi irritiert. "Wie? Nein, nein. Ich habe nur laut gedacht. Sag mal Hitomi, was hältst du von einem Picknick?" "Ein Picknick?" fragte sie überrascht. "Ja. Es ist so schön heute, und ab und zu muss auch ein König Pause machen um sich zu erholen. Ich kenne da ein wunderbares Plätzchen an einem schönen See, ist zwar etwas weiter weg, aber wenn wir jetzt gleich aufbrechen..." "Das ist ein wunderbare Idee Van. Ich frage schnell Merle und Thana ob sie mit wollen." Van starrte mit offenem Mund auf die Tür, durch die Hitomi verschwunden war. "Aber ich wollte doch mit dir allein..." kam es leise und qualvoll aus ihm heraus. "Häh?" Merle legte den Kopf schief und sah Hitomi zweifelnd an. Sie war erst vor ein paar Minuten wieder ins Schloss zurück gekehrt und hatte gerade von Hitomis Anfall gehört. Nun überlegte sie, ob das noch die Nachwirkungen waren. "Ein Picknick! Mit mir, Van und Thana wenn sie mit will. Was ist daran so schwer zu verstehen? Was ist?" Hitomi blickte verwirrt auf das Katzenmädchen, dessen Schwanz sich langsam missbilligend aufgerichtet hatte, und die nun um Hitomi herum schritt wie um einen bunten, ekligen Käfer. "Er hat dich gefragt ob du Lust auf ein Picknick hast?" "Ja!" antwortete Hitomi langsam etwas genervt. So schwer war das doch nun wirklich nicht zu verstehen! "Er hat aber nichts von mir gesagt?" "Nein" "Und von Thana auch nichts?" "Äh... nein. Was soll die Fragerei?" Merle gab einen herablassenden Laut von sich, der wie ein Zwischending zwischen "Häh!" und "Hnnngg!" klang. "Soooo sehr hast du dich auch nicht verändert." Gab sie schließlich ihr Urteil ab. "Was soll das denn nun wieder heißen?" fragte Hitomi mit in die Seiten gestemmten Armen. "Das ich nicht mitkomme. Und Thana auch nicht." "Woher willst du das wissen?" "Ich kann hellsehen. Kannst ja Thana fragen. Vielleicht erklärt sie es dir. Ich habe zu tun." Merle drehte sich um und rannte ohne ein weiteres Wort auf allen Vieren davon. Zurück blieb nur eine verärgerte und gleichzeitig verwirrte Hitomi. "Van hat ein Picknick vorgeschlagen?" "Ja." "Und du willst fragen, ob ich mitkomme?" "Ja. Ich habe schon Merle gefragt, aber sie wollte nicht. Hat irgend etwas komisches gequatscht und ist weg gelaufen." "Aber er hat nichts von mir oder Merle gesagt?" "Nein." "Du hast dich doch nicht so sehr verändert wie ich dachte." "Nun reicht es mir aber!" rief Hitomi verzweifelt aus. "Das klingt genau wie das Gespräch, dass ich gerade mit Merle hatte. Könnte vielleicht jemand die übergroße Güte haben und mir erklären, was das heißen soll?" "Sicher doch." Meinte Thana lächelnd. "Das heißt, dass du noch genauso naiv und begriffsstutzig sein kannst wie damals." "Na hör mal..." Thana unterbrach sie, spöttisch mit dem Finger wedelnd. "Nein, du hörst mir jetzt zu. Ich bin schließlich die Ältere. Van hat dich gefragt, ob du mitkommst. Er hat nichts von anderen gesagt. Du bist erst seit kurzem wieder hier, und er hat dich ewig nicht gesehen. Er hat sich so sehr nach dir gesehnt, dass er uns damit auf den Geist gegangen ist. Was glaubst du ist der Grund, warum er sonst niemanden erwähnt hat?" "Ähm..." Hitomi starrte sie an, blinzelte, schluckte, und wurde dann knallrot. "Du meinst, er wollte mit mir..." "Ja." "Allein." "Ja." "Nur mit mir..." "Ja doch." Eine längere Pause folgte. "Ich bin wirklich begriffsstutzig." "Einsicht ist der erste Weg zu Besserung." Meinte Thana theatralisch und nickte wichtigtuerisch. "Hitomi. Du bist ein Engel. Aber manchmal bist du wirklich unglaublich blind. Geh! Geh zu deinem Van und sag ihm, wir haben abgelehnt. Musst dich nicht noch mehr blamieren." »Er wird es ohnehin erraten.« "Und dann macht euch los und genießt diesen schönen Tag. Allein zu zweit." Schmunzelnd schob Thana Hitomi aus ihrem Zimmer. Behutsam schloss sie die Tür, ging bedächtig und konzentriert zu ihrem Tisch, setzte sich vorsichtig hin... und begann hemmungslos zu lachen. Tränen liefen ihr über die Wange und die Luft blieb ihr weg während ihre Hände die gegenüber liegende Tischkante umklammert hielten. Nach mehreren Minuten erst begann sie sich zu beruhigen. Noch immer nach Luft schnappend wie ein Fisch auf dem Trockenen wischte sie sich die Lachtränen aus dem Gesicht und schüttelte verzweifelt den Kopf. "Bei allen Göttern! Hitomi, du bist unglaublich! Wenn Van irgendwann mal vor Überraschung das Atmen vergisst, dann weiß ich warum. Einfach unglaublich." "Soll ich dir hoch helfen?" fragte Van hilfsbereit. "Nein, es geht schon. Ich bin es bloß nicht gewöhnt zu reiten." Antwortete Hitomi und schaffte es nach etwas Mühe, sich einigermaßen korrekt auf dem Rücken der ruhigen, weiß-braun gefleckten Stute zu platzieren. "Und schließlich kannst du mir ja nicht jedes Mal helfen. Da würde ich mich ja schämen. Ich bin doch kein kleines Kind mehr." "Nein. Nur eine wunderschöne junge Frau." Erwiderte Van und stieg auf seinen Wallach. Er ignorierte das Grinsen des Stallburschen, der die beiden Pferde gebracht hatte. Es überraschte ihn, dass Hitomi, obwohl ohne praktische Erfahrung, anscheinend zumindest in der Theorie etwas vom Reiten wusste. "Oh, ich habe ein paar Bücher gelesen." Antwortete Hitomi auf seine Frage, während sie langsam durch das Haupttor des Schlosses hinaus ritten. "Ich dachte, wenn ich wieder nach Gaia komme, sollte ich zumindest wissen, wo bei einem Pferd vorne und hinten ist." Sie lachten über den Witz, und nachdem sie auf den Weg gebogen waren, der vom Schloss aus nicht in die Stadt sondern in die Wälder führte, versuchte Van Hitomi zu zeigen, worauf es beim Reiten ankam. Immer wieder in Gelächter über die Ergebnisse der Bemühungen ausbrechend erreichten sie schließlich die Grenze der wenigen Felder und kamen in den Wald. Schlagartig wurde es kühler. "Hier, häng dir das um." Sagte Van als er Hitomi erschauern sah, und reichte ihr die dünne Decke, die für das Picknick gedacht war. "Früh ist es im Wald noch ziemlich kalt, aber das ändert sich schnell. Du wirst sehen. Außerdem haben wir Glück, dass es um diese Jahreszeit schon so warm ist." "Das ist mir auch aufgefallen." Bestätigte Hitomi. "Auf dem Mond der Illusionen haben erst ein paar Bäume alle Blätter, und manche sind noch fast kahl, aber hier ist schon Hochfrühling." Hitomi machte eine weit ausholende Geste in den Wald hinein, auf das frische Grün der Bäume und die nun langsam verschwindenden Frühblüher am Boden, die jetzt kein Licht mehr bekamen. "Frierst du eigentlich nicht, Van?" fragte Hitomi und spielte darauf an, dass er wieder nur ein Hemd trug. "Wir Gaianer sind etwas abgehärteter als ihr von anderen Welten." Antwortete Van betont hochnäsig und grinste dann. "Ich war schon immer ziemlich resistent gegen Kälte. Aber sag mal, hast du deswegen deine Tasche mitgenommen?" Van deutete mit den Augen auf Hitomis Gepäckstück. "Alles was wir fürs Picknick brauchen habe ich doch dabei." Hitomi wurde rot. "Oh... ach, das bedeutet nichts Besonderes. Ich habe bloß noch nicht ausgepackt, sonst... aber das wirst du noch sehen. Vielleicht. Kommt darauf an." "Worauf?" "Wirst du schon sehen!" Hitomi lächelte, um ihrem Ton die Schärfe zu nehmen. "Ist eine Überraschung." "Wenn du meinst." Van zuckte mit den Schultern. Hitomi streckte die Hand aus, und Van griff nach ihr, doch schon eine Sekunde später wurde sie ihm entrissen, als Hitomis Pferd stehen blieb. "Oh nein. Tut mir leid, Van. Ich schaffe es einfach nicht." "Steig ab." "Wie?" "Steig ab. Wenn das so weiter geht kommen wir ja nie an." Auch Van stieg ab, und so tat es Hitomi ihm gleich, neugierig darauf was er wohl vorhatte. "Heh! Meinst du, das macht es für mich einfacher?" protestierte sie, als Van das Gepäck von seinem Pferd auf ihres umlud. "Natürlich." Antwortete Van und hob Hitomi mit seinen kräftigen Armen ohne Vorwarnung auf sein Pferd. Hitomi kreischte vor Überraschung und noch mehr, als der Wallach zu tänzeln begann. "Ganz ruhig. Das ist Hitomi. Du wirst sie behandeln wie mich- nur besser. Ist das klar?" fragte Van sein Pferd, das als Antwort ein lautes Schnauben ertönen ließ. Hitomi war sich nicht sicher, ob das zustimmend oder ablehnend war, aber immerhin beruhigte sich das Pferd unter ihr. Van schwang sich hinter ihr auf den Sattel und fasste nach den Zügeln. "So. Jetzt werde ich dir mal zeigen, wie man richtig reitet." Er hielt Hitomi die Zügel, die sie zögernd ergriff. Ein eigenartiges Gefühl ergriff sie. Deutlich spürte sie die Wärme von Vans Körper an ihrem Rücken, seine Hände, die die ihren sanft und doch fest umfassten. Sie war froh, dass er ihr nicht ins Gesicht sehen konnte, denn sicher war sie wieder rot geworden. "Also dann." Sagte Van, und Hitomi konnte deutlich das Lächeln heraus hören. "Dann werde ich dir mal zeigen, was man auf Gaia so alles können muss." Mehr als eine Stunde war vergangen, bis sich der Wald vor den beiden öffnete. Vor ihnen lag ein herrlicher See, dessen Wasser sich im sanften Wind leicht kräuselte und das die helle Farbe von Türkis oder die des dunkleren Lapislazuli hatte. Van hielt das Pferd an, und die Stute, die bis jetzt hinter ihnen her getrottet war, senkte den Kopf um das saftig grüne Gras abzurupfen. "Es ist wunderschön hier." Meinte Hitomi andächtig. "Ja. Und wir beide haben den See ganz für uns alleine. Er ist königlicher Besitz, wie der Wald hier. Es ist zwar niemandem verboten hierher zu kommen, aber da nie Wege gebaut wurden... Nur die Jäger des Schlosses sind manchmal hier, aber ich habe mich vergewissert, dass sie heute nicht in diesen Teil der Wälder kommen. Wir sind also ganz ungestört." Van küsste Hitomi sanft auf den Hals, mehr ein Hauch als eine Berührung, bevor er abstieg. Hitomi lächelte, obwohl sie seine Wärme auf ihrem Rücken vermisste, doch plötzlich stutzte sie. "Ist das Nebel da hinten?" fragte sie verwundert. Doch Van verneinte. "Das ist Dampf, kein Nebel. Der See hat eine kleine heiße Quelle. Na ja, eher eine kleine warme Quelle. Als kleines Kind habe ich manchmal hier gebadet, wenn ich mit Folken vor der prinzlichen Routine geflohen bin." Van seufzte und schaute gedankenverloren in die Ferne. Hitomi stieg ab und legte Van behutsam eine Hand auf die Schulter. Plötzlich zog Van sie ungestüm an sich und umarmte sie heftig. Deutlich konnte Hitomi seine Anspannung fühlen. "Verlass mich nicht, hörst du, Hitomi? Ich möchte nicht wieder allein sein." Flüsterte er in ihr Haar. "Niemals Van. Ich bleibe für immer bei dir." Gab sie ebenso leise zurück. "Schließlich sind wir jetzt verlobt. Es wäre doch sehr unhöflich von mir, einfach wieder zu gehen." Van lachte leise und gab ihr einen raschen Kuss. "Wirklich sehr unhöflich. Komm, lass uns die Sachen abladen. Ich sollte nicht so viel Trübsal blasen, wo ich doch so viel Grund habe glücklich zu sein." Arm in Arm schlenderten Van und Hitomi am Rand des Sees entlang. Das Gras war an einigen Stellen noch feucht vom Morgentau, doch das störte sie nicht. Erst hatte Hitomi ihre Sachen nicht zurück lassen wollen, aber Van hatte sie nochmals darauf aufmerksam gemacht, dass hier niemand her kam, und so hatten sie alles bei den friedlich grasenden Pferden liegen lassen. Alles bis auf Hitomis Tasche, die sie unbedingt mitnehmen wollte. Hitomi trat in ein Loch, das vom Gras verdeckt war und schrie erschrocken auf. Doch glücklicherweise konnte Van sie festhalten, bevor sie sich ernstlich verletzten konnte. "Alles in Ordnung?" fragte er besorgt und Hitomi nickte zaghaft. "Ja, es geht schon wieder. Nur ein wenig verknackst, das ist gleich wieder in Ordnung." "Wir sind gleich da, dann können wir uns ein bisschen hinsetzen." Sagte Van und stützte die leicht humpelnde Hitomi. Tatsächlich waren es nur wenige Meter um einen großen Felsen im See herum, dann konnte Hitomi das Blubbern der Quelle hören, die dort in einem winzigen natürlichen Becken ans Tageslicht trat. Immer noch lag ein hauchfeiner Schleier Dampf über der Szene und betonte die Einsamkeit und Abgelegenheit des Ortes. "Na so was!" staunte Hitomi. Der Felsen bildete eine natürliche Trennwand zwischen dem Wasser des Sees und der Quelle, die dort wie auf einer Empore da lag. Von dort plätscherte das Wasser in eine Art natürlicher Wanne. Ein etwa zwei Meter breiter Streifen Gestein, der nur wenige Zentimeter aus dem Wasser ragte, bildete eine Barriere, die das Vermischen das Wassers auf einer Seite verhinderte. Auf der anderen Seite der Quelle floss das Wasser in einem stetigen Strom über eine ausgewaschene Rinne im Fels, halb um den Felsen herum und dort in den See. Es sah aus, als habe die Natur hier ein komfortables Badebecken für ihre Geschöpfe schaffen wollen- und es auch verwirklicht. "Das ist unglaublich. So etwas habe ich noch nie gesehen. Es sieht aus wie absichtlich gebaut. Fast wie ein Tempel. Ein Wassertempel oder so etwas in der Tat." "Wer weiß." Antwortete Van vage und setzte Hitomi vorsichtig am Rand der Wanne, direkt am Abfluss ab. "Es gibt die ein oder andere Geschichte über diese Quelle, und die meisten haben mit Geistern und anderen übernatürlichen Wesen zu tun. Aber bis jetzt hat sich noch kein Geist blicken lassen, der sich von mir gestört fühlte wenn ich hier war." Er kniete sich neben Hitomi hin und begann ihr die Schuhe auszuziehen. "He, was machst du da?" protestierte Hitomi halb überrascht, halb peinlich berührt. "Dir die Schuhe ausziehen. Du hast dir schließlich den Fuß umgeknickt, und so etwas sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Tauch den Fuß ins Wasser, das wird dir gut tun." "Sollte man das nicht kühlen?" fragte Hitomi zweifelnd. Van zuckte mit den Schultern. "Wenn es noch weh tut?" "Nein, es fühlt sich noch etwas... getreten an, aber richtige Schmerzen habe ich keine mehr." "Na also." Sagte Van bestimmt. Er setzte sich neben Hitomi und zog ebenfalls die Schuhe aus. Schweigend saßen sie da, die Füße im fließenden Wasser und betrachteten die Wolken oder die Wirbel des fließenden Wassers. Es war schön, einfach nur da zu sitzen, nichts zu tun und zu wissen, dass der andere nur wenige Zentimeter von einem entfernt das selbe machte. "Und hier haben Folken und du also als kleine Kinder vor dem Leben als Prinzen Reißaus gesucht?" Äußerte sich Hitomi schließlich, mehr eine Feststellung als eine Frage. "Ja. Er hat gerne dort im Becken gelegen, und ich habe ihn mit kaltem Wasser aus dem See bespritzt. Er hat mich immer ausgeschimpft und dann zurück gespritzt. Und ich habe immer jämmerlich geschrieen, wenn er mich getroffen hat." Antwortete Van grinsend. "Wir hatten eine Menge Spaß hier." Hitomi schaute von Van auf das Becken und wieder zurück. Hin und her. Van bemerkte es, sagte aber nichts. "Ich würde es auch gerne mal machen." Meinte sie schließlich. "Was? Mich vollspritzen?" Hitomi lachte prustend. "Nein, in dem Becken liegen meine ich. Es ist schön, wenn einem das warme Wasser über den Rücken fließt." "Aber da machst du dir deine Sachen ganz nass." "Wer sagt denn, dass ich sie anhaben muss?" antwortete Hitomi mit einem verschmitzten Lächeln." "Hitomi!" rief Van erschrocken. "Das kannst du doch nicht machen!" "Wieso nicht?" fragte sie feixend und winkte dann ab. "Mach dir darum mal keine Sorgen. Warte es einfach ab." Sie stand auf, schnappte sich ihre Tasche und ging in Richtung Büsche davon. "Ich bin gleich wieder da. Lauf nur nicht davon." Rief sie Van lachend zu und verschwand zwischen den Zweigen. Mit klopfendem Herzen suchte Hitomi sich eine Stelle, von der aus Van sie nicht sehen konnte. War es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen? Aber als Van ihr von der heißen Quelle erzählt hatte, war ihr sofort der Gedanke gekommen. Das Problem war, wie würde er es aufnehmen? Er liebte sie, aber mache Dinge waren von Kultur zu Kultur verschieden. Was auf der Erde normal war, konnte hier als im besten Sinne schamlos angesehen werden. Sie wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen. Auf der Erde war ihr der Gedanke so gut vorgekommen, aber jetzt... Nein, sie hatte sich entschieden. Sie packte ihre Sachen in ihre Tasche und ging entschlossen zurück zu Van. Van starrte auf seine Füße im Wasser. Das würde sie doch nicht etwa wirklich tun, oder? Natürlich, sie waren allein und inzwischen immerhin verlobt, aber... Allein der Gedanke ließ ihm das warme Wasser auf einmal viel zu heiß erscheinen. Er stand auf und ging hinüber zum kalten Wasser des Sees, um seine Füße dort hinein zu tauchen. Nervös kaute er auf seiner Unterlippe. Er war so verunsichert, dass er Hitomi erst hörte, als sie ein paar Meter hinter ihm die Tasche absetzte. "Da bin ich wieder. Du kannst dich jetzt rumdrehen." Er konnte eine gewisse Anspannung in ihrer Stimme hören, auch wenn sie sehr entschlossen stand. Auch sie schien die Situation nicht sehr zu behagen. "Ähm... Hitomi. Ich weiß nicht, wie ich das jetzt sagen soll, aber ich... nun ja..." "Dreh dich einfach um, ja? Bitte. Ich habe jetzt schon Angst, dass das falsch war, aber wenn du dich jetzt nicht umdrehst, machst du es nur noch schlimmer." Tief durchatmend drehte Van sich um, entschlossen, allem was kam gelassen entgegen zu sehen. Er fragte sich, ob man einen Entschluss durchsetzten konnte, wenn man schon vorher nicht mehr die Kraft dazu hatte. Van drehte sich langsam um. Er atmete auf, als er sah, dass Hitomi etwas an hatte. Als er allerdings sah was, klappte sein Kinn herunter. Er hatte noch in seinem Leben einen Bikini gesehen, geschweige denn einen roten. Hitomi stand da, lächelte ihn unsicher an und wusste nicht, was sie von seiner Reaktion halten sollte. Dass es Van gefiel, war offensichtlich, aber was, wenn er sie für schamlos halten würde? Schließlich waren die Sitten hier doch etwas zurückhaltender als auf der Erde. "Gefällt es dir?" fragte sie zaghaft und Van nickte schwach, unfähig ein Wort zu sprechen. Hitomi ging auf ihn zu und setzte sich neben ihn auf den Felsrand. Die ganze Zeit folgte Van ihr mit den Augen wie eine Kompassnadel dem Magneten. "Tragen das auf dem Mond der Illusionen viele?" fragte er schließlich mühsam und räusperte sich. "Zum Baden schon." antwortete Hitomi lächelnd. "Habe ich dich in Verlegenheit gebracht?" Van druckste herum. "Naja, es ist so, weißt du... ich... ähm..." Plötzlich beugte sich Hitomi zu ihm, legte ihm die Arme um den Hals und küsste ihn stürmisch. Van, völlig überrascht, wusste eine Sekunde lang nicht wie ihm geschah, doch dann umschlang auch er sie, und innig küssend zog er sie mit sich hinunter. "Au!" schrie er auf, als sein Kopf den Boden berührte, und stieß Hitomi erschrocken von sich. Mürrisch blickte er auf den spitzen Stein herab, der sich ihm in den Kopf bohren wollte, und rieb sich die schmerzende Stelle. "Lass mich mal pusten." meinte Hitomi in einer Mischung aus Belustigung und Ärger darüber, dass ihr "Überfall" auf diese Art beendet wurde. Dann umschlang sie ihn erneut, diesmal von hinten, mit ihren Armen und küsste die Stelle. "Hitomi?" "Ja?" "Versprich mir bitte, lauf so vor niemand anderem herum." "Es gehört sich nicht für eine zukünftige Königin, was?" "So ungefähr. So viel Freizügigkeit ist man hier nicht gewohnt." "Keine Sorge, das ist ganz allein für dich, Van. Nur für dich." *** Nicht sehr weit von Fanelia entfernt ritt ein Mann auf einem erschöpften Pferd. Die Mähne des Tieres war zerzaust, und Perlen von Schweiß liefen ihm über das Fell. Auch der Mann selbst sah nicht viel besser aus. Seine Kleidung war unordentlich und auf der linken Seite zerrissen. Kleine Spuren von Blut klebten dort am Ärmel. Es sah aus, als ob er durch ein Dornengebüsch geritten war, ohne darauf zu achten was mit ihm geschah. Sein Gesicht war verbissen und entschlossen, doch wenn man ihm in seine Augen hätte schauen können, hätte man gesehen, dass es die Entschlossenheit eines zu Tode Erschrockenen war. Das Pferd strauchelte und fiel mit lautem Wiehern auf den engen, steinigen und kaum benutzten Pfad. Fluchend rappelte sich der Mann auf und zog an den Zügeln. Doch zu seinem Schreck weigerte sich das Pferd. Der Mann untersuchte einen der vorderen Hufe und fand ihn gebrochen. So gebrochen, dass das Pferd nie mehr würde richtig laufen können. Ein Heulen entriss sich der Kehle des Mannes, wandelte sich in ein Schluchzen. Sirrend fuhr die Klinge seines Schwertes aus der Scheide und mit einer raschen Bewegung zerschnitt er die Kehle des Tieres. Er wischte das Schwert an den Fetzen seiner Kleidung ab, steckte es wieder in die Scheide und ging weiter. Eine einzelne Träne rann ihm die dreckverschmierte Wange hinunter. Nicht ein einziges Mal blickte er zurück, während er mit schweren Schritten, halb taumelnd der fernen Stadt entgegen schwankte. *** "Hitomi?" Hitomi öffnete die Augen. Vans Gesicht war ganz dicht neben ihrem. Ihre Hand ruhte auf seinem nacktem Oberkörper. Es war zum Schreien komisch gewesen, als er hinter dem Busch vorkam, nur mit der Badehose angezogen, die sie ihm mitgebracht hatte. Schüchtern und verängstigt wie ein kleiner Junge, der seinem Lehrer gestehen musste, er habe die Blumen nicht gegossen, und deshalb seien sie vertrocknet. Und verdammt sexy. Vans Hand strich über ihren Rücken. "Nicht dass es mir nicht gefällt, hier neben dir im warmen Wasser zu liegen... aber so langsam bekomme ich Hunger." Hitomi lachte. "Ich werde auch langsam hungrig." Dann kicherte sie. "Ist ja auch kein Wunder. Du bist so richtig zum Anbeißen." Van stand auf, ein verlegenes Grinsen im Gesicht. "Das Kompliment gebe ich gerne zurück." Er reichte ihr seine Hand, um ihr aufzuhelfen. Als Hitomi nach seiner Hand griff, zog er sie stürmisch zu sich, so dass sie in seinen Armen landete. Spielerisch biss Van ihr ins Ohr. "Au! Ich glaube, ich besorge dir lieber was anderes zum Essen." Van hob ihre Tasche auf und fasste Hitomi an der Hüfte. "Dann komm." Der Löffel schwebte in der Luft, machte Anstalten sich nach vorn zu bewegen, ruckte dann wieder zurück, bewegte sich zögernd wieder in die ursprüngliche Richtung... und verschwand urplötzlich in einer dunklen Höhle. "He!" rief Van erschrocken. "Den wollte ich haben! Das war der letzte!" "Was bist du nur für ein Gentleman, Van!" tadelte Hitomi ihn und brach dann in schallendes Gelächter aus. "Ein enttäuschter. Und du bist keine Lady, Hitomi." "Nein, bin ich nicht. Im Gegensatz zu dir bin nur ein ganz normales Mädchen ohne königliches Blut. Stört dich das?" "Hitomi." Van seufzte. "Ich habe dir doch eben erst gesagt, das ist mir egal. Ich liebe dich." "Sag es noch einmal." "Dass es mir egal ist?" Van grinste und Hitomi rollte mit Augen. "Ich liebe dich." sagte Van ergeben und küsste sie. "Liebe, liebe, liebe dich. Bist du jetzt zufrieden." "Ein wenig." Hitomi lächelte ihn an, um ihren Worten die Spitze zu nehmen. "Wir Frauen sind halt komisch. Wir wollen es immer wieder hören." "Bitte sehr. Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich..." "Hör auf!" Hitomi schlug ihn lachend, aber mit schimmernden Augen mit dem Tuch, das den Picknickkorb bedeckt hatte. "Oh, entschuldige." erschrocken wischte ihm Hitomi ein wenig Marmelade aus dem Gesicht, die aus einem undichten Gefäß auf das Tuch gekommen war. "Jetzt muss ich mir wohl die Haare waschen." meinte Van und hielt seine verklebten Haare zwischen den Fingern. "Na dann los. Das mache ich. Komm!" Hitomi zog ihn hoch und zum See. "Ist das kalt!" quietschte sie, als sie mit Van im Schlepptau in das Wasser lief. Als es ihr bis zum Bauchnabel ging drehte sie sich um und drückte Vans Kopf überraschend unter Wasser. Der schrie erschrocken, und blubbernde Blasen stiegen von seinem Mund auf, bis er wieder die Oberfläche des Sees durchstieß. Hitomi lachte schallend, als sie sein triefnasses, hochrotes Gesicht sah und die Grimasse, mit der er das Wasser ausspuckte. "Na warte!" knurrte Van und wollte Hitomi auch nach unten drücken. Doch sie entwand sich ihm und schwamm davon. Van schwamm hinterher und schon kurz darauf hatte er sie eingeholt. "Du kannst vielleicht schnell laufen, aber als Schwimmerin kannst du nicht mit mir mithalten!" rief er triumphierend und versuchte sie unterzutauchen. "Aufhören! Aufhören! Ich gebe auf!" kreischte Hitomi, nachdem sie das erste Wasser geschluckt hatte. "Und was gibst du mir, wenn ich aufhöre?" fragte Van mit schelmischem Grinsen, dass ihm auf dem Gesicht gefror, als er Hitomi in die Augen sah. "Einen Kuss?" schlug sie ihm mit verführerischer Stimme vor und legte die Arme um seinen Hals. "Nur einen?" fragte Van und Hitomi hob die Augenbrauen. "Mal sehen. Vielleicht auch zwei oder drei..." "Das hört sich schon besser an." meinte Van und zog Hitomi langsam an sich. Das war schwer, denn schließlich standen er gerade so mit den Zehenspitzen auf dem weichen Boden, und Hitomi gar nicht. "Und wie es sich erst anfühlt..." lockte Hitomi ihn mit leiser Stimme und beugte den Kopf nach vorne... Lachend stieß sie sich von Van ab und kaltes Wasser spritzte umher. "Das musst du dir aber erst verdienen!" rief sie Van spöttisch zu. Van wischte sich das Wasser aus den Augen, blinzelte noch einmal, und jagte dann Hitomi hinterher. "Na warte, das wirst du mir büßen!" rief er in einer Mischung aus Lachen und überraschter Verärgerung. Doch sobald er in Hitomis Nähe kam, spritzte sie ihn voll und entkam so jedes Mal. Mit der Zeit wurde Van nicht nur durchgeweicht bis auf die Knochen, sondern kam auch so langsam außer Puste. "So, das reicht jetzt!" Rief er erschöpft. "Ich bin völlig erledigt." "Ich nicht." antwortete Hitomi lachend, obwohl auch sie schwer atmete. "Liegt wohl daran, dass der Herr König zu viel auf seinem Thron hockt, während ich etwas für meine Kondition tue." "Das wird es sein." stimmte Van zu und begann an Land zu waten. "He! Bleib hier!" Van hörte das Platschen, als Hitomi ihm eilig folgte. Doch er drehte sich nicht um, sondern watete weiter. Das Wasser ging ihm gerade mal noch bis zum Bauchnabel, als er Hitomis Gewicht an seinem Arm spürte. "Van, komm wieder her!" maulte sie enttäuscht. "Warum sollte ich?" fragte er. "Es hat gerade so viel Spaß gemacht!" antwortete Hitomi, und zog sich an ihm vorbei, so dass sie nun vor ihm stand. "Es hat so viel Spaß gemacht, mich voll zu spritzen?" fragte Van mit hochgezogener Augenbraue und sein Mundwinkel zuckte. "Van? Was hast du vor?" Hitomi wollte zurück weichen, von seinem beginnenden hinterlistigen Grinsen gewarnt, doch zu spät. Mit einem Schrei warf Van sich auf sie und tauchte sie unter. "Wurde auch Zeit!" rief er vergnügt, als Hitomi Wasser spuckend wieder nach oben kam. "Wie du mir, so ich dir." "Van!" rief Hitomi empört. "Du bist ein ganz gemeiner, hinterlistiger Schuft, der..." Van riss sie an sich und erstickte Hitomis Schimpfkanonade in einem energischen Kuss. "...verdammt gut küssen kann." fuhr Hitomi eine Weile später fort, diesmal nicht wegen der Anstrengung außer Atem. Van hob sie hoch und trug sie in Richtung Strand. "He, nicht aufhören!" bettelte Hitomi und zog seinen Kopf zu sich herunter. An Land angekommen stapfte Van mit ihr in Richtung Decken und legte sie dort ab. Dann beugte er sich über sie und lächelte Hitomi kämpferisch an. "Was bin ich?" fragte er warnend. "Ein ganz gemeiner hinterhältiger hmpf..." Wieder küsste Van sie ausgiebig. "Nun?" Hitomi lächelte. "Das kommt darauf an. Du..." sie betonte das nächste Wort "...könntest ein recht netter Kerl sein..." Hitomi blickte herausfordernd nach oben in Vans Gesicht und ignorierte dabei die Wassertropfen, die immer noch dann und wann von seinen nassen Haaren auf ihr Gesicht tropften. Die Sonnenstrahlen brachen sich in den Wassertropfen und ließen Stellen von Vans Haar und Gesicht in allen Farben des Regenbogens aufblitzen. Verlangen stieg in ihr auf, als sich Van erneut zu ihr herab beugte, um zu zeigen, was für ein netter Kerl er war. Leidenschaftlich erwiderte sie seinen nächsten Kuss und umarmte ihn heftig. Ihre Hände glitten begierig über Vans Rücken, wollten diesen warmen, starken Körper nicht wieder loslassen, der so angenehm auf dem ihren lag. Sanfte Fingerspitzen strichen zärtlich über ihre linke Wange und Vans andere Hand verursachte eine Gänsehaut auf ihrer Hüfte. "Ich liebe dich Hitomi!" flüsterte Van ihr ins Ohr, und Hitomi schloss genießerisch die Augen. Vans Lippen kreisten um ihren Bauchnabel, und seine nassen Haarsträhnen tanzten angenehm kalt über die von seinen Küssen erhitzte Haut. Ihre Hände lagen in seinem Nacken und streichelten von dort aus über die Rückenmuskeln. "Ich liebe dich auch!" antwortete Hitomi nach einer Weile sanften, genießerischen Schwebens. "Dann beweise es mir." Hitomi öffnete die Augen hob den Kopf und sah Van direkt in die Augen. In diese herrlichen braunen Augen, die sie so zärtlich ansahen. Sie lächelte zur Antwort und schob Van neben sich so dass er auf dem Rücken liegen blieb. Bedächtig setzte sie sich neben ihn. Van verschränkte die Hände hinter dem Kopf und wartete ab, was als nächstes passieren würde. Mit langsamen, sanften Kreisen begann Hitomi über Vans Oberkörper zu streichen, der langsam von der Sonne getrocknet wurde. Dann beugte sie sich hinab und hauchte ihm einen Kuss auf den Bauch. Ein kalter Tropfen fiel aus ihren ebenfalls noch nassen Haaren auf die gerade trocknende Haut von Van, und er zuckte zusammen. Ein schelmisches Lächeln breitete sich auf Hitomis Gesicht aus. Sie schüttelte heftig ihren Kopf, und kleine Tropfen Seewasser flogen durch die Gegend. "Nanu Van, du bist ja immer noch ganz nass!" rief sie kichernd. "Soll ich..." Hitomi beugte sich hinunter und leckte ihm einen Tropfen vom Bauch. "Hmm. Wenn ich bloß wüsste, wonach du schmeckst?" "Nur zu. Lass dich von mir nur nicht stören!" Van lachte, dann schloss er die Augen konzentrierte sich ganz auf die kitzelnden Berührungen von Hitomis Lippen und Zunge. Diese wanderten über seinen Oberkörper, unterstützt durch die zärtlichen Berührungen ihrer Hände. Langsam machte sich eine merkwürdige Unruhe in ihm breit, die ganz und gar nicht zu der angenehmen Bewegungslosigkeit passen wollte. "Hitomi!" Er öffnete die Augen und sah geradewegs in die ihren. Van schluckte. Seine Kehle schien auf einmal ganz ausgetrocknet zu sein. "Hitomi!" wiederholte er, flüsternd, rau. Hitomi lächelte zur Antwort, als ob sie besser als er wüsste, was er ausdrücken wollte. Sie beugte sich immer weiter über ihn und kam ganz nah an sein Gesicht heran. Ihr Lächeln vertiefte sich, wurde wissender. Ihr Bein streifte über Vans und dann saß sie auf seinem Bauch. Immer noch lächelnd bewegte sie sich noch eine Winzigkeit nach vorne bis ihre Lippen die Vans berührten... Wild und gierig erwiderte Van ihren Kuss, drängte mit seiner Zunge in ihren Mund. Schließlich warf er sich herum, so dass Hitomi nun unter ihm lag und fuhr mit seinen Händen verlangend über ihren Körper. "Hitomi!" flüsterte er mit zitternder Stimme und küsste ihr Schlüsselbein, wanderte dann mit seinen Lippen über ihre Schulter und weiter hinab. Schließlich drückte Hitomi ihn von sich. Ihr Atem ging schwer und ihre Haut kribbelte. Sie sah Van, der ebenfalls tief durchatmen musste, zärtlich an. Dann hob sie ihre Hände zu den Trägern ihres Bikini und schaute Van fragend an. Van schluckte. Er hatte verstanden, was sie wissen wollte. Und er musste zugeben, dass der Gedanke ihn berauschte. Dennoch... Er legte seine Hände auf die von Hitomi und schüttelte den Kopf. "Nein. Nicht jetzt. Vielleicht bin ich etwas altmodisch, aber..." er lachte leise. "wir sind bald verheiratet. Ich möchte so lange warten. Außerdem muss der König doch ein Vorbild für sein Volk sein, und es geht doch nicht, dass er sich nicht beherrschen kann." Hitomi nickte, ergriff die Hände Vans. Eine Spur Enttäuschung huschte über ihr Gesicht, doch dann zog sie Van zu sich und küsste ihn liebevoll. "Es tut mir leid." flüsterte Van, doch Hitomi schüttelte den Kopf. "Es muss dir nicht leid tun. Ich bin bei dir, das ist das wichtigste. Ich habe so viele Monate darauf gewartet, da ist die Zeit bis zur Hochzeit doch ein Klacks." *** Die Reisenden auf der Straße- Bauern, die in die Stadt wollten, Händler und die Kutsche eines Adligen- blieben entsetzt stehen, als die Gestalt aus dem Dickicht des Waldes kam. Der Weg, der zur Straße führte und dem der Mann gefolgt war, war schmal, schlecht und selten benutzt. Den ganzen Tag war ihm niemand begegnet, und so blieb er stehen als er gleich ein halbes Dutzend Menschen auf einmal sah. Er blinzelte gegen das Sonnenlicht, dann drehte er sich wie in Trance nach rechts und torkelte auf die in der Ferne sichtbare Stadt zu. Zu seinem Glück kam in diesem Moment eine Reiterpatrouille die Straße entlang. Sie entdeckten den Mann und stellten ihn. Doch dieser wollte einfach um sie herum gehen, so erschöpft war er. "Bei allen Göttern!" rief einer der Männer entsetzt aus. "Das ist Garric, ich kenne ihn. Was zum Teufel ist mit ihm geschehen?" Der Reiter schlug Garric leicht ins Gesicht. "Garric, Garric, hörst du mich? Was ist passiert?" Garric hob verwirrt die Hand und betastete die Wange, die schmerzte. Es schien als ob er sich fragen würde, was das für ein Gefühl war. Nach kurzer Diskussion beschlagnahmten die Reiter die Kutsche des Adligen und legten Garric hinein. Sie hatten keine Zeit, ihn am Sattel eines ihrer Pferde fest zu binden, und außerdem würde ihn das wahrscheinlich umbringen. Er war so kraftlos, dass die Seile ihm in seinem Zustand tödliche Verletzungen beibringen würden. "Zum Palast!" befahl der Anführer der Reitertruppe. Zwei seiner Leute ritten vor um Platz zu schaffen und dann rumpelte die Kutsche mit Höchstgeschwindigkeit Richtung Fanelia. Die beiden Männer darin, die Garric festhielten, waren sich nicht sicher ob er die Ankunft erleben würde oder ob sie dann nur noch eine Leiche festhalten würden. Der Adlige, dessen Kutsche soeben entführt worden war, blieb ganz entgegen seiner Gewohnheit ruhig. Er setzte sich auf eines der beiden Pferde die die Männer, die Garric festhielten, zurück gelassen hatte. Gemächlich ritt er neben seinem Kutscher, der das zweite Pferd ritt, einher und dachte über den Tod nach. Er hatte es nicht eilig zum Palast zu kommen, um die beiden Pferde wieder gegen die Kutsche zurück zu tauschen. *** "Hitomi?" fragte Van auf einmal. Die Angesprochene hinter ihm schreckte auf. Sie hatte sich an seinen Rücken gelehnt und die ganze Zeit während des Rittes zurück über den heutigen Tag nachgedacht. Es war ohne Zweifel einer der schönsten gewesen, aber auch wenn sie Van gegenüber etwas anderes behauptet hatte, bedauerte sie durchaus, dass es heute nicht so weit gekommen war. "Was?" fragte sie ihn über die Schulter. "In neun Tagen ist das Fest zur Gründung Fanelias. Es wird eine große Feier geben und die Leute werden fröhlich sein... meist du, du könntest dich mit einem so lauten Tag als Hochzeitstag abfinden?" Hitomis riss erstaunt die Augen auf. "Ich dachte, die Hochzeit eines Königspaares vorzubereiten dauert länger?" "Genau deswegen habe ich an diesen Tag gedacht. Gefeiert wird da sowieso, und außerdem wäre es doch der passende Tag für den Herrscher zu heiraten." Van drahte den Kopf und sah Hitomi an. "Wobei mir persönlich der Gründungstag dann herzlich egal wäre." fügte er schmunzelnd hinzu. "Oh Van!" Hitomi spürte wie sie rot wurde. Es war fast, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. Das war irgendwie peinlich. "Natürlich bin ich einverstanden. Alles, was du willst." "Alles?" fragte Van und grinste. "Übertreib es nicht!" warnte Hitomi ihn lachend bevor Van sie ausgiebig küsste. Was auf einem Pferd mit einer ungeübten Reiterin und mit nach hinten verdrehten Kopf gar nicht so einfach ist, wie es aussehen mag. Van war noch gar nicht richtig vom Pferd gestiegen, als auch schon einer der Höflinge auf ihn zu gerannt kam und sich aufgeregt vor ihm verbeugte. "Majestät, Lady Thana wünscht euer sofortiges Erscheinen im Sitzungszimmer." "Was ist denn passiert?" fragt Van verwundert und drückte Hitomi an sich, die sonst wohl beim Absteigen von ihrem Pferd, auf dem sie mittlerweile wieder saß, gestolpert und hingefallen wäre. Auch Hitomi sah den Höfling fragend an. "Es geht um einen Boten, der vor ein paar Stunden halb tot vor Erschöpfung hier ankam. Mehr weiß ich auch nicht. Als ich ging hatte man noch nicht einmal herausgefunden, wo er herkommt." Van nickte und verzog sorgenvoll das Gesicht. "Das heißt es, ein König zu sein." meinte er leise zu Hitomi, die ihm aufmunternd die Hand drückte. "Bring uns hin." Befahl er dem Höfling, wissend dass das Protokoll ihm verbot dorthin zu eilen wo er gebraucht wurde, auch wenn er den Weg wahrscheinlich besser kannte als der Höfling selbst. Aber immerhin gab ihm das Zeit sich zu sammeln. Allerdings auch, um sich Sorgen zu machen. Die Tür zum Sitzungszimmer, einem Saalartigen Raum mit einem großen Tisch mit mehr als zwanzig Stühlen, öffnete sich und der Höfling verkündete "Seine Majestät Van Fanel und seine Verlobte Lady Hitomi vom Mond der Illusionen." Die anwesenden Menschen, mehr als dreißig, drehten sich zu ihnen herum und Hitomi hatte das Gefühl, dass sich alle Blicke auf sie richteten. Sie wünschte sich, der Melder hätte alles nach ihrem Namen weg gelassen- oder sie gleich gar nicht erwähnt. Aber daran würde sie sich gewöhnen müssen. In jedem Palast gab es diese Hofschranzen, die irgendeinen Unsinn machen mussten, um wenigstens den Anschein der Notwendigkeit zu erwecken. Leider waren solche Leute eine unvermeidliche Nebenerscheinung eines Herrschersitzes. Da waren sie genau wie die Türöffner. Eigentlich überflüssig, gehörten sie zu dem notwendigen Prunk, der einen Palast erst zu einem Palast und nicht nur zur Wohnung eines Menschen machte, der zufällig auch noch über andere herrschte. Hitomis suchender Blick fiel auf Thana, und als ob diese ihre Gedanken erraten hätte, verdrehte sie die Augen und lächelte Hitomi aufmunternd zu. Dann drängte sie sich durch die Menge auf Van zu. "Wurde auch Zeit dass du kommst." verkündete sie barsch und schob ihn und Hitomi ein Stück zur Seite um sich über den Lärm überhaupt mit ihm verständigen zu können. Die meisten Anwesenden waren nämlich nicht Einwohner Fanelias, sondern die Botschafter der verschiedenen Länder und ihre Sekretäre. "Was ist los?" fragte Van nervös. Egal wie Thana mit ihm sprach, wenn sie unter sich waren- in der Öffentlichkeit schlug sie nur selten einen solchen Ton an. Es musste einen ernsten Grund geben, dass sie sich so gehen ließ. "Vor ein paar Stunden hat eine Patrouille einen Mann gebracht, der vor Erschöpfung bewusstlos war, als er hier ankam. Wir haben nicht viel aus ihm herausbekommen, aber Van... er benimmt sich wie jemand, der die Hölle gesehen hat." "Wo kommt er her?" fragte Van ruhig. Hitomi sah ihn überrascht an. Ihr selbst war bei Thanas Worten, vor allem bei der Angst die sie darin hören konnte, ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen. Van schien gänzlich unbeeindruckt davon. Doch dann erkannte sie, dass das Gegenteil der Fall war. Van war nur äußerlich so ruhig. Innen drin hatte er sich genauso erschrocken wie sie, aber er unterdrückte seine Angst, die ihn bei Entscheidungen nur behindern konnte. Ein Krieger lernte das schnell, oder er starb noch schneller im Kampf. Sei dir deiner Angst stets bewusst, aber lass sie niemals die Kontrolle über dich gewinnen. Hitomi versuchte sich an ihm ein Beispiel zu nehmen, aber es gelang ihr nicht ganz. Sie konnte das beklemmende Gefühl zurück drängen, aber statt unter der Oberfläche versteckt zu sein, tanzte es weiter durch ihre Gedanken. "Wir wissen nicht genau, wo er herkommt." antwortete Thana auf seine Frage, und auch sie schien nun, da sie die Verantwortung mit Van teilen konnte erheblich ruhiger zu werden. "Den Kleidern nach zu urteilen würde ich sagen, er gehört zur Miliz eines der Dörfer in den nördlichen Bergregionen, aber wo genau er herkommt..." Thana schüttelte betrübt den Kopf. "Er liegt in einem der Zimmer im Nordflügel, dort, wo noch nicht alles fertig gestellt ist. Ich glaube es ist das Zimmer, welches Allen zugewiesen wurde. Er kann zur Not auch auf dem Crusador schlafen. Es gehört sich doch für einen Ritter, einem Verletzten Platz zu machen." Van lachte leise auf, als Thanas Spötterseele durchbrach. Es war gut, die Sache mit Humor zu nehmen. Es gab viel zu viele Dinge, die allein schon traurig genug waren. "Majestät..." versuchte nun einer der Botschafter ihn anzusprechen, aber Van ließ ihn mit einer Handbewegung verstummen. "Ich sehe mir diesen Mann selbst an." verkündete er laut, an den ganzen Saal gerichtet. "Wer diesbezüglich das Bedürfnis verspürt, mir etwas mitteilen zu müssen, möchte sich bitte an Thana wenden oder sich ein, zwei Stunden gedulden bis ich wiederkomme." Thana sah sich herausfordernd im Saal um während Van und Hitomi gingen, aber niemand schien etwas so wichtiges sagen zu müssen, dass er es ihr anvertraut hätte. Thana zuckte mit den Schultern. "Auch gut." murmelte sie und laut "Da anscheinend niemand neue Informationen hat, werde ich mich jetzt ebenfalls zurückzeihen. Falls sich in der Zwischenzeit etwas Neues ergeben hat, werde ich umgehend zurückkehren und euch informieren." Sie drehte sich um und folgte Hitomi und Van. Sie hatte nicht die Absicht, so schnell in diesen Saal voller Intriganten zurück zu kehren, selbst wenn es tatsächlich Neuigkeiten geben sollte. Gerade als sie das Zimmer erreichten öffnete sich die Tür und Millerna trat heraus, in der Hand ihre Arzttasche. "Van, Hitomi! Gut, dass ihr da seid." "Ist er da drin?" fragte Van, und Millerna wortlos nickte zur Antwort. "Wie geht es ihm?" wollte Hitomi wissen, doch Millernas Miene war Antwort genug. "Ich glaube nicht, dass er den morgigen Tag erlebt. Und ich glaube auch nicht, dass er noch einmal zu sich kommt." "Verdammt. Ich muss wissen, was passiert ist." Van wollte den Raum betreten, dich Millerna trat ihm in den Weg. Dabei sie ihre Arzttasche wie einen Schild vor sich. "Was ist?" fragte Van verwirrt. "Ich verstehe, dass du unbedingt eine Antwort auf die Frage brauchst, was diesen Mann buchstäblich in den Tod getrieben hat. Aber solange wir die Antwort darauf nicht wissen, kann ich nicht riskieren, noch jemanden zu ihm zu lassen." "Warum?" Vans Verwirrung wandelte sich in Angst, als er verstand was Millerna meinte, und unwillkürlich trat er einen Schritt zurück. "Du glaubst, er ist krank?" Millerna schüttelte den Kopf, erklärte aber "Er ist sicher nicht an einer Seuche gestorben, aber vielleicht vor einer geflüchtet. Mag sein, dass diese erst nach langer Zeit ausbricht. Trotzdem kann er ansteckend sein. Aus diesem Grund habe ich ihn auch hierher bringen lassen. Allen und Gades sind wieder auf dem Crusador und die anderen beiden Kommandanten sind ebenfalls auf ihre Luftschiffe zurück gekehrt. Wir können diesen Flur also absperren. Ich selbst werde jetzt gründlichst baden und danach meine Kleider wegschließen. Falls sich herausstellt, dass es sich tatsächlich um eine Krankheit handelt, werde ich sie sicherheitshalber verbrennen." "Die Leute, die mit ihm Kontakt hatten, bevor er ins Schloss kam..." erklärte Thana "sind ebenfalls isoliert worden. Sie werden rund um die Uhr bewacht. Wir werden sehen, was passiert." Van nickte zustimmend. "Gut. Etwas anderes hätte ich auch nicht tun können." "Ich bringe Millerna dann weg und achte darauf, dass ihr niemand zu nahe kommt." meinte Thana. "Außerdem werde ich zwei Wachen hierher bestellen, die aufpassen dass keiner den Raum betritt." Millerna nickte ihr zustimmend zu, dann gingen die beiden Frauen davon. Van blieb stehen wo er war und schaute nachdenklich auf die Tür. Bei der plötzlichen Berührung zuckte er zusammen, doch dann entspannte er sich wieder. "Ich war nicht da, als ich hätte da sein sollen." murmelte er leise. "Mach dir keinen Vorwurf Van. Du kannst nicht immer da sein." versuchte Hitomi ihn zu beruhigen, aber ohne großen Erfolg. "Ich bin der König. Es ist meine Pflicht, immer da zu sein." wiedersprach er und ballte die Faust. "Du stellst zu viele Ansprüche an dich selbst. Niemand kann immer für andere da sein. Manchmal braucht man auch Zeit für sich... oder für einen einzigen ganz bestimmten anderen." Van drehte sich überrascht um. Schweigend hob er die Hand und seine Fingerspitze berührte sanft Hitomis Augenwinkel. "Du weinst ja." stellte er ungläubig fest. Hitomi schob seine Hand beiseite und versuchte zu lächeln. "Nein, das bildest du dir nur ein." Sie verzog schmerzlich das Gesicht. "Du bist nicht dafür verantwortlich Van. Es mir weh, dich so zu sehen. Vergiss nicht, auch du, auch ein König ist nur ein Mensch. Ein Mensch, der tut was er kann. Mehr kann niemand von dir verlangen, und das solltest du auch nicht." Van nahm sie in den Arm und gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. "Verzeih mir. Du hast ja Recht. Ich werde versuchen, mich zu bessern." Er nickte den beiden Soldaten zu, die in diesem Moment um die Ecke bogen. Thana hatte sie wie versprochen geschickt, und er befahl ihnen nochmals, niemanden außer einem Arzt in das Zimmer zu lassen, dann gingen er und Hitomi davon. Trotz seines Versprechens warf er noch einen Blick zurück. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass es keine Krankheit und kein anderer herkömmlicher Grund war, der den unbekannten Mann so in Panik versetzt hatte, dass der sich bis zur völligen Erschöpfung getrieben hatte. Und das machte ihm Angst. "Hitomi..." setzte Van gerade zum Sprechen an, da ertönten von draußen Schreie und Alarmrufe. Ohne zu zögern lief Van zu einem offenen Fenster und sprang hinaus. Er wusste, dass der Boden hier nur etwas mehr als zwei Meter entfernt war. Hitomi, die das nicht wusste, stürzte mit einem Schrei zum Fenster. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und als sie Van unverletzt davonlaufen sah war sie nahe daran, ihm eine Verwünschung hinterher zu rufen, weil er ihr so einen Schrecken eingejagt hatte. Doch dann hörte sie erneut die verängstigten, beinahe panischen Rufe und ihre Aufmerksamkeit wandte sich der Frage zu, was die Ursache dafür war. Sie konnte nicht verstehen, was die Menschen riefen, doch immer wieder zeigten sie zum Himmel. Hitomi schaute nach oben, doch sie sah nichts. Die Sonne stand zu tief und blendete sie. Doch dann schob sich für ein, zwei Sekunden lang ein Schatten vor die Sonne. Blinzelnd versuchte Hitomi mehr zu erkennen, doch sie wurde zu sehr geblendet. Doch dann, als sich der Schatten weiter von der Sonne weg bewegte... Nun verstand sie auch die Rufe der Soldaten und ihre hektische Aktivität. Dort oben am Himmel zog ein Drache seine Bahn, schien zu kreisen und höhnisch auf die kleinen Menschen herab zu sehen. Von Ferne dröhnten die Schritte eines Guymelefs und Hitomi konnte sehen, wie eine der Ballisten auf dem großen Wachturm am Haupttor gedreht wurde. Wahrscheinlich würden die Soldaten schießen, wenn der Drache tiefer ging, denn noch schien er zu hoch zu sein. Doch was würde dann passieren? Wenn der riesige Drache auf das Schloss fiel würde er nicht nur großen Schaden anrichten, sondern sicher auch Menschen unter sich begraben. Die Balliste barg diese Gefahr ebenfalls. Hitomi kannte sich nicht aus mit diesen Waffen, bezweifelte aber, dass die Pfeile, oder eher Lanzen, weit genug fliegen würden um nicht im Schlossgelände zu landen, wenn sie das Ziel verfehlten. Ihre Angst steigerte sich noch mehr, als sie Van sah, der mitten unter den Wachen stand, einen geborgten Speer in der Hand, bereit ihn auf den Drachen zu werfen sobald er in Reichweite war. Voller Angst schaute Hitomi wieder nach oben. Der Drache hatte inzwischen seine Runde fast beendet. Eine kleine Wolke schob sich langsam vor die Sonne und der Drache flog in die Ränder der entgegen gesetzten Wolkenseite. Hitomis Hände krallten sich in das Fensterbrett. Der Drache war tiefer gegangen. Er würde sicher bald in Reichweite sein... Hitomi blinzelte. Eben hatte sie doch tatsächlich geglaubt, auf dem Drachen sitze ein kleines Mädchen. Sie sah erneut hin, und wieder schien es ihr so, als ob jemand auf dem Drachen reiten würde. Aber das war doch unmöglich! Ein plötzlicher Verdacht ließ Hitomi erbleichen. Mädchen, Drache... "Van! Nicht! Nicht schießen!" reif sie so laut sie konnte. Doch niemand hörte sie, und selbst wenn wurde sie in der Aufregung nicht beachtet. Bestenfalls hielt man sie für so in Panik geraten, dass sie Unsinn redete. Doch das tat sie nicht. Sie wusste genau wovon sie sprach. Entschlossen kletterte Hitomi auf das Fensterbrett, kniete sich hin und sprang nach unten. Heftig kam sie auf und ein stechender Schmerz durchzuckte ihren Fuß. Doch das war jetzt nicht wichtig. Ihren Schmerz ignorierend rannte sie auf die Wachen und Van in ihrer Mitte zu. "Van! Nicht!" Van drehte sich ihr irritiert zu, da lief sie auch schon in ihn hinein und mit einem erschrockenen Schrei fielen beide in das Gras der Wiese. "Nicht schießen Van! Das ist kein normaler Drache!" "Und deshalb sollen wir uns von ihm abschlachten lassen Mädchen?" fragte ein junger, äußerst kräftig wirkender Bursche, nicht viel älter als Hitomi selbst. Er hatte eine Mistgabel in der Hand und war offensichtlich einer der Stallburschen. Der neben ihm stehende trat ihm auf den Fuß und zischte ihm etwas ins Ohr. Vermutlich erklärte er ihm gerade, wer dieses Mädchen war- etwas seltsam angesichts der gestrigen Ereignisse. "Deswegen lasse ich mich noch lange nicht umbringen!" erwiderte der Junge deutlich. Ärger stieg in Hitomi auf, obwohl ihr Kopf ihr sagte, dass er unter normalen Umständen ja eigentlich Recht hatte, aber das waren nun mal keine normalen Umstände. "Das ist kein normaler Drache!" wiederholte sie erneut. "Ich glaube, das ist Akoth." "Akoth?" Van schaute sie überrascht an und blickte dann zum Drachen hinauf. "Wie kommst du auf die Idee..." er verstummte, denn nun hatte auch er die Gestalt auf dem Rücken des Drachen gesehen. Außerdem war der Drache von einer Art, die er bisher auch nur einmal gesehen hatte. Jetzt, da Hitomi es erwähnt hatte. "Ich hoffe, du hast Recht." murmelte er Hitomi leise zu, dann stand er auf und schob Hitomi ziemlich schroff, aber deswegen nicht grob von sich. Er stellte sich aufrecht hin, winkte zum Tor mit der Balliste, und rammte dann demonstrativ sein Schwert in den Boden. "Die Waffen weg!" rief er und sah den Leuten befehlend in die Augen.. Zögernd folgten ihm die Soldaten, etwas langsamer die anderen Schlossbewohner. Viele steckten die Waffen nicht weg, hielten sie aber gesenkt. Van ging nicht darauf ein. Langsam senkte sich der Drache hinab, auf ein Stück der Wiese, das frei war von Menschen. "Es ist tatsächlich Akoth!" sagte Van leise vor sich hin, als der Drache näher kam und er die Gestalt darauf erkenne konnte. "Und Flöte." fügte er hinzu. "Ich habe es dir doch gesagt!" nörgelte Hitomi, obwohl sie eigentlich gar nicht so sicher gewesen war, wie sie getan hatte. "Ja, das hast du. Entschuldige, dass ich dir nicht geglaubt habe." Van lächelte sie kurz um Verzeihung bittend an und ergriff für eine Sekunde ihre Hand. Dann ging er dem nun landenden Drachen entgegen. Stimmengewirr hatte sich erhoben, nachdem auch die anderen das Mädchen auf dem Rücken des Drachen gesehen hatte. Einige hatten unwillkürlich erneut die Waffen gehoben, doch als sie einsahen, dass sie im Moment nichts tun konnten, und das Mädchen sich auch nicht zu fürchten schien, und es ihnen sogar fröhlich zuwinkte, senkten sie die Waffen wieder und sahen sich unschlüssig an. Hitomi folgte Van mit zwei Schritten Abstand, der gemächlich auf den gelandeten Koloss zuging. Flöte kletterte nun von Akoth herunter, wobei sie ihm wie einem braven Hund den Hals tätschelte. Einen Moment wunderte sich Hitomi darüber, doch dann kam sie zu dem Schluss, dass diese Geste weniger Akoth galt als viel mehr dem nervösem Publikum. Sie erschauerte, als sie sich ausmalte, was passiert wäre, wenn statt einem kleinen Mädchen ein Krieger in Rüstung auf dem Drachen geritten wäre. Egal was sie oder Van gesagt hätten, das Ergebnis wäre ein Kampf gewesen. Wahrscheinlich hatten Van, Flöte und Akoth die gleichen Gedanken gehabt, denn Akoth legte sich friedlich nieder nachdem Flöte abgestiegen war, und Van kniete sich vor dem kleinen Mädchen hin. "Willkommen in Fanelia." rief er laut und verbeugte sich auch noch leicht. Bei jedem anderen wäre ein Schrei der Entrüstung durch die Menge gegangen, doch vor diesem Mädchen war es nicht der König, der sich dadurch erniedrigte, sondern nur ein Monarch, der jemanden begrüßte der sehr klein war. "Ich danke euch." erwiderte Flöte und machte verbeugte sich ebenfalls. Das hatte sogar einen Ausruf des Entzückens aus der Menge zur Folge. Hitomi lächelte ein wenig gequält. Dieses Mädchen konnte auch alles andere als süß sein. Selbst wenn man sie trotzdem irgendwie gern hatte. Sie trat selbst nach vorne und umarmte Flöte. "Weißt du eigentlich, was für einen Schrecken du uns allen eingejagt hast? Um ein Haar wäre auf dich geschossen wurden." "Ich weiß." antwortete Flöte, nach außen hin mit strahlend glücklichem Lächeln, doch mit einer Stimme, der die Angst noch anzuhören war. "Aber ich musste so schnell wie möglich mit Van sprechen. Außerdem hatte ich gehofft, dass du schon hier wärst. Ich wusste nicht genau, wo du gelandet bist." Flöte löste sich aus Hitomis Umarmung, ergriff aber ihre Hand. Hitomi brauchte nicht zu fragen, woher Flöte von ihrer Ankunft wusste. Die kleine Göttin hatte es sicher gespürt. War ihre Anwesenheit hier der Grund für Flötes überstürzte Aktion? *Nein, ist es nicht. Jedenfalls nicht direkt.* "Akoth!" *Ich konnte vorhin leider nicht zu euch durchdringen, es waren zu viele und zu aufgeregte Menschen hier. Hier aus der Nähe geht es. Ich werde jetzt wieder wegfliegen, Flöte wird euch alles erklären.* Hitomi sah wie Van nickte und wusste, auch er hatte Akoths Gedanken gehört. Der Drache erhob sich, was einige Leute zurückweichen ließ. "Machs gut!" rief Hitomi ihm hinterher und bedeutete so den anderen, dass Akoths Abflug nichts Bedrohliches war. Akoths Schwingen peitschten durch die Luft, als er sich fast senkrecht erhob, und ließen Blätter und Staub durch die Gegend wirbeln. Majestätisch flog er einen Kreis um Höhe zu gewinnen und flog dann davon. "Majestät!" sprach einer der Minister Van an, doch dieser unterbrach in mit einer barschen Handbewegung. "Ich bin in meinem Zimmer!" sagte er laut und hob Flöte auf seine Schultern. Sie durften nicht den Eindruck von Eile erwecken, und wenn er Flöte mit ihren kurzen Beinen gemächlich daherschreiten ließ war ganz Fanelia auf dem Schlosshof, bevor sie die nächste Tür erreichten. So konnte er etwas schneller gehen, denn schließlich trug er eine gewisse Last, die ein Schlendern kaum möglich machte. So teilte sich die versammelte Menge kurz vor ihm. Die Leute, die gerade erst ankamen schauten ungläubig auf das kleine Mädchen, das angeblich auf dem fünfzig Meter großem Drachen geritten war wie eine Prinzessin. So sehr hatte die Gerüchteküche das Ereignis schon übertrieben. In ein paar Stunden würde es eine ganze Horde gepanzerter Drachen sein, die als Eskorte der Tochter einer großen Herrscherin eines fernen, fernen Landes diente, die hergekommen war um den König zu heiraten. Genauso, wie man es aus den Märchen kannte. Aufatmend schloss Van die Tür zu seinem Zimmer und setzte Flöte ab. Dann setzte er eine wütende Mine auf. "Was fällt dir eigentlich ein!" schimpfte er wütend. "Du hast dich beinahe umbringen lassen! Und was soll ich den Leuten jetzt überhaupt sagen! Ein Drache! Wieso nicht gleich Escaflowne!" Hitomi wollte etwas sagen, doch Flöte ergriff ihre Hand und schüttelte den Kopf. Dann antwortete sie Van. "Weil Escaflowne dir gehört, und nicht mir. Und wenn du dich fertig abreagiert hast, kannst du dir vielleicht auch anhören, warum ich das getan habe." Van sah sie mit offenem Mund an. Eben noch hatte Flöte so niedlich gelächelt, dass jede Kinderfrau darum gebettelt hätte, dieses Mädchen betreuen zu dürfen, und nun lag eine solch eiserne Härte in ihrer Stimme... Van nahm eine Flasche aus dem Schrank, zog den Korken heraus und setzte sie sich an die Lippen. er nahm einen tiefen Schluck und sah dann in Hitomi finsteres Gesicht. "Entschuldigung." murmelte er und zu seinem Glück verhinderte Thanas Erscheinen die ihm von Hitomi wahrscheinlich blühende Strafpredigt. Thana schloss bedächtig die Tür hinter sich und sah dann Flöte scheinbar unbewegt an. Doch dann bekam ihre Maske Risse, und eine Träne rann ihre Wange herunter. "Flöte!" schluchzte sie, kniete vor dem Mädchen nieder und umarmte es heftig. "Thana..." Auch Flöte schien nahe am Weinen zu sein, und in diesem Moment leuchtet ihre ganze Gestalt von innen auf. Jetzt wirkte sie wirklich wie eine Göttin. Wie eine sehr gerührte Göttin. "Ich habe sich vermisst!" schniefte Thana und wischte sich verlegen die Tränen aus den Augen. "Da bin ich aber froh." antwortete Flöte und schob sanft Thanas Hände weg. "Ich dachte schon, du hast mich vergessen." leicht grinsend wischte nun Flöte Thanas Tränen weg. Die Berührung schien den beiden mehr zu bedeuten als die Worte. Beide schienen auf einmal ganz ruhig zu werden. Van räusperte sich. "Ich unterbreche euch nur ungern, aber Flöte meinte, sie hat einen sehr wichtigen Grund, hier so aufzutauchen." Schlagartig wurde Flöte ernst. "Ja, das habe ich." Sie küsste die kniende Thana noch einmal kurz auf die Stirn, dann drehte sie sich zu Van um. "Ich habe vor zwei Tagen etwas gespürt, dass mir eine gewaltige Angst eingejagt hat. Ich weiß nichts genaues, aber irgendwer hier in der Gegend spielt mit Leben und Tod herum." "Mit Leben und Tod?" Hitomi starrte Flöte verdutzt an. "Was soll das heißen? Meinst du, jemand bringt wahllos Leute um?" "Nein." antwortete zur Überraschung aller Thana auf Hitomi Frage. "Du meinst, jemand erweckt sie wieder zum Leben, richtig?" Flöte nickte. "Ja. Genau das habe ich gemeint." Unwillkürlich bewegte sich Vans Hand wieder in Richtung Flasche, doch mit einem Seitenblick auf Hitomi ließ er sie wieder sinken. "Und genau das ist gefährlich. Sehr gefährlich." *** Grünlich wallende Flüssigkeit kochte in den Glasbehältern, floss durch durchsichtige Röhren, die viel zu fragil wirkten, um dem Druck standhalten zu können. Verhüllte Gestalten versammelten sich um einen Steintisch, auf dem ein fast zwei Meter großer Glassarg lag. In diesem Sarg brodelte es nicht, und der Inhalt war auch nicht grün. Er hatte überhaupt keine Farbe in diesem Sinn. In einem Augenblick erschien der Inhalt- fest? flüssig? - durchsichtig zu sein, fast unsichtbar, doch im nächsten wirkte er so schwarz wie die Nacht. "Das Experiment läuft gut." ließ sich eine tiefe, raue Stimme vernehmen. "Die Protosubstanz ist voll aufgeladen. Nun müssen wir den Transfer der Vitalkraft vornehmen." "Die Maschine ist bereit." sagte eine Frau, der Stimme nach jung an Jahren. "Der Sucher ist auf die Individualschwingungen geeicht worden und der Transferator ist auf die Zielzeit eingestellt." "Sehr gut. Dann werden wir morgen bei Sonnenuntergang beginnen." Die vermummten Gestalten verstreuten sich, nur die Frau blieb an dem Tank zurück und starrte nachdenklich hinein. *** "Wieso gefährlich?" fragte Hitomi verwundert. "Und ist das überhaupt möglich?" Flöte nickte und kletterte auf den Stuhl gegenüber von Van. "Ja, es ist möglich. Im Grunde ist es gar nicht mal so schwierig, wenn man erst einmal herausgefunden hat wie... aber der Tod ist und bleibt etwas Endgültiges." Sie runzelte die Stirn. Dann griff sie nach einem Glas und goss es aus Vans Weinflasche voll. "Der Wein hier ist das Leben einer Person, seine Lebenskraft." sagte sie, dann setzte sie das Glas an die Lippen und trank es in einem Zug aus. Van starrte Flöte entsetzt an. Nur er wusste, wie stark dieser Wein war. Normalerweise verdünnte er ihn eins zu fünf, wenn er auf seinem Zimmer aß und ihn dabei trank. Doch Flöte schien das nicht zu bemerken. Sie stellte das Glas auf den Tisch und schnipste mit dem Finger dagegen. "Wenn diese Lebenskraft verbraucht ist, aus welchem Grund auch immer, ist sie verloren." Sie stellte das Glas zur Seite. "Genauso ist es mit dem Körper. Wenn dieser abgestorben ist, kann er nicht wieder zum Leben erweckt werden. Höchstens noch zu einer Art Scheinexistenz als Zombie. Wenn das selbe Individuum erneut leben soll, braucht man einen neuen Körper..." Flöte nahm ein neues Glas "...und auch neue Lebensenergie. Doch diese schwirrt nicht so einfach in der Gegend herum." Sie nahm ein drittes Glas, füllte es mit Wein und hielt es hoch. "Man kann Lebensenergie nur von anderen Lebewesen nehmen." Der Wein floss von dem dritten Glas in das zweite. Bedächtig stellte Flöte die beiden Gläser nebeneinander. "Und was immer diese Lebensenergie abgibt..." beendete Van ihre Ausführungen leise "...ist danach so tot, wie der Empfänger vorher." Flöte nickte bekümmert. "So ist es. Und was es noch schlimmer macht, bei jedem Transfer geht der weitaus größte Teil der Lebensenergie verloren. Sie entschwindet in die Welt, und nur ein Bruchteil erreicht das eigentliche Ziel. Um einen einzigen Menschen wieder zu erwecken, müssen mindestens einhundert sterben, eher noch mehr." "Und das hast du gespürt?" fragte Hitomi mir zitternder Stimme und sank auf Vans Schoß. Sie hatte das unbedingte Bedürfnis danach seine Nähe, seine Wärme zu spüren, als ob sie sich vergewissern wollte, dass er noch lebte. "Ja, das habe ich. Und es war nicht sehr weit von hier. Leider weiß ich nicht genau wo." "Vielleicht dort, wo der Mann her kam?" Alle starrten Thana überrascht an. Van und Hitomi, weil sie nie auf die Idee gekommen wären und Flöte weil sie nicht wusste, welchen Mann Thana meinte. "Welcher Mann?" fragte sie dann auch. "Er kam vor ein paar Stunden hier an. So erschöpft, dass er bewusstlos war und bis jetzt nicht wieder aufgewacht ist. Millerna ist der Meinung, was immer ihn dazu gebracht hat sich so zu erschöpfen, muss ihn zu Tode geängstigt haben. Außerdem ist sie der Meinung, dass er nicht wieder aufwacht." fügte sie leiser hinzu. "Meinst du, du kannst..." Thana ließ den Rest des Satzes offen. "Ich bin noch sehr schwach, Kind." antwortete Flöte, und aus ihrem Mund klang das Kind gar nicht seltsam. "Ich weiß nicht, ob ich ihm helfen kann. Aber zumindest kann ich es versuchen, und mit etwas Glück erfahren wir so mehr über diese Sache." "Selbst wenn nicht" sagte Van und stand auf, wobei er Hitomi behutsam von sich schob "würde ich gerne erfahren, was diesen Mann so verängstigt hat." Flöte beugte sich über den bewusstlosen Mann. Er war noch blasser geworden und sah verschwitzt aus. Seine kurzen, schwarzen Haare lagen wirr und klebrig an seinem Kopf an. Als Flöte eines seiner Augenlieder anhob, blickte das Auge darunter leblos ins Nichts. "Ich glaube, ich kann euch beruhigen. Er leidet an keiner Krankheit." meinte Flöte, nachdem sie ihm noch den Puls gefühlt hatte. Hitomi hatte ihr von Millernas Mutmaßung erzählt. "Aber was die Erschöpfung angeht, hat sie Recht. Er wird es wahrscheinlich ohne fremde Hilfe nicht überleben. Mal sehen, was ich machen kann." Flöte legte dem Mann die Hände auf die Brust, eine Hand auf der anderen. Sie schloss ihre kleinen Augen und ihre Atmung wurde ganz flach. Dann begannen kleine blaue und rote Funken um ihre Hände zu tanzen. Sie tanzten von Fingerspitze zu Fingerspitze und verschwanden schließlich im Körper des Mannes. Sekunden später kamen von dort fahle, gelbliche Schlieren zurück und flossen träge in Flöte hinein. Die gelben Schlieren versiegten und Flöte lehnte sich aufatmend zurück. "Ich habe es geschafft. Er wird bald wieder zu sich kommen." Ihre Stimme klang fest, doch Erschöpfung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Es schien, als ob die äußerlichen Zeichen der Schwäche des Mannes auf Flöte übertragen hätten, während ihre Stärke auf ihn übergegangen war. Aber vielleicht traf ja auch genau das zu. LMMI 4 Kapitel 4 ---------------- Kapitel 4 Es schepperte laut, als ein paar der tönernen Teller auf dem Boden landeten und zerschellten. Hitomi zuckte zusammen. Die zwei Frauen, die eben noch geschwatzt hatten, warfen ihr erschrockene, beinahe ängstliche Blicke zu. In fliegender Eile versuchten sie die Scherben zusammen zu suchen. Hitomi machte Anstalten ihnen zu helfen oder sich bei ihnen zu entschuldigen- schließlich war sie es gewesen, deren wütender Blick die Frauen erschreckt hatte- aber dann entschied sie anders. Letztendlich hatten die beiden ihre Pflicht vernachlässigt, und sie würde mehr stören als nützlich sein. »Sehe ich wirklich so zornig aus?« fragte sich Hitomi. Doch dann sagte sie sich, dass sie zu Recht sauer war. Schon von weitem konnte sie ihn hören. Ein paar Soldaten standen lässig an die Wand gelehnt, während ihr König im Übungsraum mit dem Holzschwert auf eine Strohpuppe eindrosch. "...nein, auch nicht. Vielleicht hängt es mit diesem Mädchen zusammen." "Was für ein Auftritt! Auf einem Drachen!" "Ja, und anscheinendend kennen sich..." der letzte Sprecher erhielt von seinem Gegenüber einen Stubser. Er drehte den Kopf, folgte dem weisenden Blick und erkannte Hitomi. Unbehaglich stellten sich die Soldaten gerader hin, augenscheinlich verunsichert über das, was gleich passieren würde. Hitomi sah sie mit ihrem wütenden Blick an, und der ihr nächststehende äußerte zögernd. "Der König möchte nicht gestört werden... von niemandem lautete seine ausdrückliche Anweisung." "Aha." Hitomi hatte nicht vor, klein bei zu geben. Sie trat noch einen Schritt nach vorne und stand nun nur Zentimeter von dem Soldaten entfernt, der ihr immer noch den Weg versperrte. Sie sah ihn an. Er wand sich. Hitomi beschloss, ihre Wut nicht an ihm auszulassen, so schwer es auch war. Aber der Soldat führte nur seine Befehle aus. "Es ist gut. Ihr könnt gehen. ICH werde dafür sorgen, dass er nicht gestört wird." "Ähm..." Sichtlich hin und her gerissen zwischen Pflicht und Überlebenswillen gab der Soldat schließlich letzterem den Vortritt, gefolgt von seinen Kollegen. Hitomi trat ein und schloss die Tür hinter sich. Van zeigte keine Reaktion sondern machte ohne Pause weiter, als ob er sie nicht bemerkt hatte. Aber das hatte er. Das winzige Zucken um seine Augen, als sie eintrat, und das Bemühen sie niemals anzuschauen waren Beweis genug. Um ein Haar hätte Hitomi gelächelt. So genau kannte sie ihn. Und darum wusste sie auch genau, dass sie gewinnen würde wenn sie entschlossen genug blieb. Das allerdings würde schwer sein, denn sie wusste ebenso gut, dass er ihr nur aus Sorge verboten hatte ihn zu begleiten. Hitomi wartete eine weitere Minuten, und als Van sie dann immer noch nicht bemerken wollte ergriff sie die Initiative. "Ich werde mitkommen." sagte sie entschlossen, doch Van zeigte keine Reaktion. Jetzt wurde Hitomi wirklich wütend. Besorgt sein war eines, sie fortgesetzt zu ignorieren etwas anderes. "Bist du schwerhörig Van?" Noch ein paar Augenblicke lang reagierte Van nicht, dann seufzte er. "Du kommst nicht mit." sagte er sanft. "Das habe ich dir doch schon gesagt. Es ist viel zu gefährlich. Ich mache mir halt Sorgen um dich." Bei seinem sanften, liebevollen Ton wäre Hitomi beinahe in ihrem Entschluss schwankend geworden, aber dann riss sie sich zusammen. Wenn sie bei so etwas einmal nachgab, dann würde sie es immer wieder tun, und das würde sie nur unglücklich machen. Sie beide. Nur Van wollte das nicht verstehen. "Und ich mache mir wohl keine Sorgen um dich, hm? Ich werde mitkommen." "Wirst du nicht. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. Ich kann auf mich aufpassen." "Und ich wohl nicht?" erwiderte Hitomi ätzend. Van sah an ihr vorbei. "Gut, wie du willst. Dann kämpfe." Mit diesem Worten schnappte sich Hitomi eines der anderen Übungsschwerter. Van blinzelte und sah sie entgeistert an. "Was soll das denn?" fragte er sie verwirrt. Hitomi antwortete ihm, indem sie mit dem Schwert zuschlug. "Hitomi!" Dieses Mal lag Entsetzten in Vans Stimme. "Ich sagte doch, du sollst kämpfen." wiederholte Hitomi kalt ihre Forderung, während sie sich auf ihren Atem konzentrierte. Ein und Aus. Langsam. Sei dir deines Körpers vollkommen bewusst. Weder über- noch unterschätze ihn. Befreie deinen Geist von allem Ballast und konzentriere dich nur auf die Waffe in deinen Händen. Lass das Schwert zu einem Teil von dir selbst werden und bewege dich, als ob es ein Teil von dir wäre. "Weißt du Van..." plauderte Hitomi und schlug zu "ich habe ein bisschen geübt während ich weg war." Eine rasche Kombination aus Hieben, die Van überrascht parierte. Seine Verwirrung verwandelte sich in Bestürzung, als er sah dass Hitomi es ernst meinte. "Ich dachte mir, ich sollte nicht verlernen was ich bei Norenkai gelernt habe. Stabkämpfer aber gibt es auf dem Mond der Illusionen nicht. Kendo dagegen ist zumindest in meinem Land weit verbreitet." Ein schneller Wechsel von Schlägen, der Van zurück weichen ließ. "Das reicht jetzt Hitomi. Du wirst meine Meinung nicht ändern. Egal was du machst!" Hitomi lächelte nur. "Ich bin ziemlich gut geworden, weißt du." Sie lächelte nur, als Van sich endlich wehrte und sie seinen Schlag parierte. "Ich bin die beste in meiner Schule. Ich mache dir einen Vorschlag: Wenn ich gewinne, musst du mich mitnehmen. Dann habe ich bewiesen, dass ich genauso gut auf mich aufpassen kann wie du." "Und wenn du verlierst?" fragte Van lauernd. "Dann bleibe ich hier." antwortete Hitomi. Gleich darauf schallt sie sich in Gedanken eine Idiotin. Egal wie gut sie geworden war, sie konnte niemals das Jahrelange Training bei einem Meister wie Vargas aufbieten. Van war stärker als sie, geschickter und wahrscheinlich auch wendiger durch das Training von Kindesbeinen an. Er würde sie besiegen können wann immer er wollte. Das einzige, was sie vielleicht rettete war Vans Zurückhaltung. Er würde nicht mit aller Kraft kämpfen können, aus Angst sie zu verletzten. Das Problem dabei war nur... für sie galt genau das selbe. "Gut, abgemacht." Blitzschnell schlug Van zu, kaum dass er ausgeredet hatte. Schon ein paar Hiebe später war Hitomi klar, dass sie ihn noch unterschätzt hatte. Er würde sie nicht ernsthaft verletzten. Aber alles was keine dauernden Schäden zurück ließ... Schließlich ging es um ihre Sicherheit. Für Van war es in gewissem Sinn, als ob er um ihr Leben kämpfen würde. Aber auch Hitomi kämpfte mit tödlicher Entschlossenheit. Auf keinen Fall würde sie klein beigeben. Sie durfte nicht verlieren. Niemals würde sie es aushalten in Sicherheit zu Hause zu sitzen, wenn Van sich in Gefahr begab. Zu Hause... Krachend schlugen die Schwerter aufeinander. Hitomi gelang es, Van einen schmerzhaften Schlag zu versetzten. Hätten die Schwerter eine scharfe Klinge besessen und wären sie aus Eisen gewesen, hätte er jetzt Armwunde bis zum Knochen. Doch auch Hitomi hatten schon mehr als einen blauen Fleck kassieren müssen. Ihr ganzer Körper schmerzte, nicht nur von den Schlägen sondern auch von der Anstrengung mit Van mithalten zu müssen. Sie tanzten umeinander, fast jeder Schlag wurde pariert und sofort gekontert. Aber es wurde immer deutlicher, dass einer von ihnen im Vorteil war. »Auf der Erde wäre er bestimmt Weltmeister!« schoss es ihr durch den Kopf, als ihre Klinge erneut unter einem von seinen Schlägen vibrierte. »Ich verliere und kann nichts machen. Er ist einfach zu gut. Aber ich darf nicht verlieren!« "NEIN!!!" Hitomis Schwert flog aus ihrer Hand, und der ungeheure Druck von Vans Kombination ließ sie taumeln. »Was war das?« fragte sie sich panisch als sie stolperte und nach hinten umfiel. »Ich habe nicht bemerkt, was er gemacht hat! Ich habe verloren!« Hart schlug sie auf dem Boden auf, der feucht von ihrer beider Schweiß war. Van fiel neben ihr auf die Knie und hielt ihr sein Schwert an die Kehle. Seine Brust hob und senkte sich in rasendem Takt, aber er schien trotzdem nicht außer Atem zu sein, ganz im Gegensatz zu Hitomi, der bei jedem Atemzug stechender Schmerz durch die Brust fuhr. Van sah ihr in die Augen uns sie starrte zurück. Jede Aggression war aus ihren Augen verschwunden. Lange Zeit sahen sie sich einfach nur an. Dann hob Van langsam sein Schwert von ihrer Kehle und schleuderte es angewidert in die Ecke während er sich neben sie setzte. "Du bist verdammt gut Hitomi. Das hätte ich echt nicht erwartet." Man hörte ihm die Anstrengung kaum an, und doch raste sein Puls noch immer und sein Gesicht war gerötet. Hitomi war noch schlimmer dran. "Aber trotzdem hatte ich keine Chance gegen dich." antwortete sie stoßweise "Du hättest mich schon gleich zu Anfang besiegen können." "Vielleicht." antwortete Van ausweichend. "Aber vielleicht auch nicht." Wieder sahen sie sich in die Augen. Schließlich schluckte Hitomi und schloss resigniert die Augen. "So sei es denn." flüsterte sie. "Ich halte meine Versprechen. Da ich..." Vans Hand verschloss ihr den Mund. "Sprich es nicht aus, Hitomi." sagte er zärtlich. "Denn dann müsste ich darauf bestehen, dass du dein Versprechen hältst." Hitomi riss die Augen auf und konnte kaum glauben was sie da gerade gehört hatte. "Willst du damit sagen, du..." "Was mich angeht, ist das hier nicht passiert." Hitomi schaute auf eine blutende Wunde an Vans Arm. "Oh, so etwas passiert häufiger beim Training. Sagen wir, ich habe noch nie etwas von einem bestimmten Versprechen gehört, einverstanden?" "Du lässt mich wirklich mitkommen?" fragte Hitomi noch einmal. Van holte tief Luft und nickte schwer. "Ja. Ich weiß, dass ich dich nicht daran hindern kann. Ich könnte dich nie mit Gewalt festhalten lassen, und wenn ich das nicht mache..." Er beugte sich ganz dicht über Hitomi und ein breites Lächeln ließ sein Gesicht erstrahlen. "weiß ich, dass ich dir nichts lange verweigern kann. Dazu liebe ich dich viel zu sehr." Van beugte sich noch weiter herunter und küsste zärtlich seine Angebetete. *** Thana schaute von der Brücke hinab auf die Bäume, über die der Crusador hinwegglitt. Grüne Wipfel, bewegt vom Wind und doch so weit entfernt von jedes Menschen Hand... Natürlich hatte niemand ein Wort des Einspruchs erhoben, als sie am Morgen entgegen ihrer ursprünglichen Absicht verkündet hatte, sie nun doch zu begleiten. Auf die Frage nach dem Grund hatte sie nur mit den Schultern zucken können. Sie wusste nicht, warum sie sich so plötzlich anders entschieden hatte. Sie hatte einfach nur das Gefühl gehabt... Eine kleine Hand schob sich in die ihre und drückte sanft. Thana lächelte. "Woran denkst du?" fragte Flöte leise. Obwohl sie fast flüsterte, und obwohl die Besatzung der Brücke nicht gerade leise war, konnte Thana trotzdem jedes ihrer Worte deutlich verstehen. Sie fragte sich, ob sie der Grund dafür war oder Flöte. "Ich frage mich, was in uns wohl die Entscheidungen für uns trifft." "Etwas? Nicht du selbst?" Thana zuckte mit den Schultern. "Das ist es ja. Ich weiß es nicht. Ich habe keinen Grund, nun doch mit zu kommen und trotzdem..." "Vielleicht ist es ein Grund den du nur noch nicht kennst, oder besser, den du noch nicht erfassen kannst. Ihr Menschen seid seltsam. Ihr trefft oftmals Entscheidungen ohne zu wissen warum. Dennoch sind sie im Nachhinein oft besser als die, die man erwarten würde." "Und Götter sind nicht so? Da erinnere ich mich aber an die ein oder andere Gelegenheit..." "Nun ja, ich bin seid vielen tausend Jahren in diesem Körper. Das kann ja nicht ohne Folgen bleiben." Thana lachte erheitert, doch ihr Schwermut wollte nicht von ihr weichen. "Ich habe Angst, Flöte. Etwas in mir fürchtet sich, fürchtet sich vor dem was vor uns liegt, und ich weiß nicht warum. Ich weiß nicht einmal, was in mir sich fürchtet." Flöte nickte langsam. Weniger um zu zeigen das sie verstand, als vielmehr das sie Thanas Ängste ernst nahm. "Höre auf deine Ängste, aber lass dich nicht von ihnen leiten. Angst ist ein guter, wenn auch nicht immer verlässlicher Ratgeber. Als Herrscher aber ist sie untauglich." Thana kicherte. "Da gibt es nicht bloß einen. Aber zum Glück für uns auch welche, die ihre Aufgabe sehr gut verrichten." Eine Weile schwiegen sie, Hand in Hand und den Blick gerichtet auf die unbekannte Zukunft, die dort am Horizont auf sie wartete. "Flöte?" "Ja?" "Danke. Danke dafür, dass du mir Mut machst." "Gern geschehen. Wozu ist eine Mutter..." wie seltsam das Wort klang, wenn es ein kleines Mädchen zu einer fast erwachsenen Frau sagte, auch wenn dieses Mädchen die Frau groß gezogen hatte "...denn sonst da. Ach, und da wir gerade bei Mutter sind... ist das nur was vorübergehendes, oder wird das ernsthaft mit deinem Verehrer?" "FLÖTE!" Alle Personen auf der Brücke schauten verwundert auf Thana, die mit hochrotem Kopf aus dem Fenster starrte. "Du bist sehr indiskret." rügte Thana Flöte leise, als sie sich wieder einigermaßen im Griff hatte. "Und eine Spionin." "Ich bin eine Göttin, schon vergessen? Es gehört gewissermaßen zur Definition. Was wäre ich für eine Göttin, wenn ich das nicht wüsste? Und was wäre ich erst für eine Mutter?" "Trotzdem geht es dich nichts an." "Wenn du es sagst..." Flötes Augen funkelten, als sie sich zu Gades umdrehte und ihm ein wissendes Lächeln schenkte, woraufhin dieser sich sichtlich unwohl zu fühlen begann. Dann lachte sie still vergnügt in sich hinein, während sie sich enger an Thana schmiegte. »Und außerdem ist es so viel lustiger.« *** Die Rampe schlug mit einem metallischen, unheilverkündenden Ton auf dem steinigen Boden auf. Der Wind heulte leise um die schwere Eisenplatte und die Schritte darauf klangen hohl und einsam. Die Luft war seltsam geruchlos. "Gespenstisch." meinte Hitomi und erschauerte. Nirgendwo war jemand zu sehen. Das Dorf wirkte nicht nur verlassen, sondern ausgestorben. Nicht einmal Vögel waren zu sehen. Es war, als ob irgendwas die Tiere davon abhielt in die Nähe der Hütten zu kommen. Van betrat den Boden und bückte sich. Er nahm ein paar der staubtrockenen, schwarz verfärbten Stängel vom Boden auf und betrachtete sie eingehend. "Getreide." sagte er und alle anderen starrten überrascht auf den Boden. "Das soll Getreide sein?" fragte Allen verwundert. Wortlos drückte Van ihm die Stängel in die Hand. "Es sieht zumindest so aus." stimmte Allen ihm nach ein paar Sekunden des Schweigens zu. "Aber was zum Teufel ist damit passiert? Um so auszutrocknen braucht es Monate. Und es hat in letzter Zeit viel geregnet." "Hier eigentlich nicht, aber du hast Recht, Allen." "Es ist nicht ausgetrocknet." stellte Flöte tonlos fest. Thana erschrak. Es war vielleicht nicht für die anderen ersichtlich, aber sie, die Flöte besser kannte als die anderen... "Natürlich ist es ausgetrocknet!" Widersprach Van verwundert, aber auch irritiert. Dass Flöte etwas so offensichtliches verneinte... "Es ist nicht ausgetrocknet, es ist tot." erklärte Flöte und bückte sich. Ihre kleinen Hände gruben sich in den Boden. "Alles hier ist tot. Die Pflanzen, die Tiere, der Boden..." langsam rieselte die Erde durch ihre Finger "...sogar in der Luft ist nichts lebendiges mehr." Hitomi sah unwillkürlich nach oben. Wie um Flöte zu bestätigen fegte eine Böe über den Boden, wirbelte die tote Erde auf und ließ die Halme der Pflanzen müde rascheln. "Gehen wir ins Dorf." bestimmte Van mit fester Stimme und setzte sich in Marsch. Im gehen drehte er den Kopf. "Hitomi..." er stockte mit offenem Mund. "pass auf dich auf." Hitomi nickte und lächelte ihm zaghaft zu. Sie fühlte sich ein bisschen schuldig. Nun machte Van sich doch Sorgen um sie. Van und Allen gingen voran, die Frauen folgten und hinten gingen Gades und ein paar aus der Mannschaft. Alle waren sichtlich nervös. Je näher sie dem Dorf kamen, desto unheimlicher wurde es. Weder Mensch noch Tier zeigte sich, kein Lachen spielender Kinder, kein Hundegebell, dass die Fremden begrüßte. Keine lebende Seele. Plötzlich blieben Van und Allen ruckartig stehen. Den Blick zu Boden gerichtet waren sie zur Salzsäule erstarrt. "Was ist?" fragte Millerna und drängte sich zwischen die zwei. Dann erstarrte auch sie. "Bei allen Göttern!" Sie drehte sich um, und die anderen konnte erkennen, dass sie grün im Gesicht geworden war. "Kommt lieber nicht näher. Das ist..."sie schüttelte den Kopf. Entweder, weil sie keine Worte fand oder weil sie wusste, dass es nichts bringen würde. Es würden trotzdem alle sehen wollen. Zu dieser Überzeugung waren wohl auch Van und Allen gekommen und gingen zur Seite. Jeder der herantrat wurde erschüttert. So etwas hatte noch niemand von ihnen gesehen. "Wie eine Mumie. Nur schlimmer." flüsterte Hitomi. Das war es. Vor ihnen, vom vergilbten und schwarz gewordenen Getreide fast bedeckt, lag eine Leiche. Es war unzweifelhaft ein Bewohner dieses Dorfes, das zeigte allein schon die Ochsenpeitsche in seiner Hand. Aber die Haut auf seinem Gesicht war eingefallen, dünn wie Pergament und bleich wie der Mond. "Hier ist sein Ochsenkarren." meldete Allen, der zwanzig Meter zur Seite gegangen war. Dort war eine Senke, und er war nur bis zur Hüfte zu sehen. Diese Senke hatte den Karren auch vor ihren Blicken verborgen. "Und die Ochsen." fügte er nach einer Pause hinzu. Seine bedächtigen Schritte zu ihnen zurück sagten mehr als alle Worte, dass sie die Tiere im Zustand nicht von ihrem Herren unterschieden. "Was machst du da Flöte?" Alle drehten sich alarmiert zu Thana um, deren erschrockener Aufruf sie überrascht hatte. Flöte hatte sich neben den toten Bauern gehockt und bedeckte nun sein Gesicht mit ihren Händen. Unglauben huschte über ihre kindlichen Züge. "Nichts. Alles tot." "Das sieht man doch!" rief einer aus der Mannschaft. Er taumelte ein paar Schritte zurück, als ihn Flötes eisiger Blick traf. "Bevor du Urteile fällst, solltest du die Bedingungen beachten." meinte sie kalt und stand auf. "Fällt euch an der Leiche nichts auf?" fragte sie in die Runde. Alle schüttelten den Kopf, doch dann... "Er ist nicht verwest, oder?" fragte Gades. "Meinst du das?" Flöte nickte und erklärte "Es ist mindestens drei oder vier Tage her dass er gestorben ist. In dieser Zeit müssten deutliche Verwesungsspuren auftreten. Zumindest müsste er von Ratten angefallen worden sein. Dem ist aber nicht so. Auch alles andere hier..." sie machte eine weitreichende Geste "Ich bin mir ziemlich sicher, dass in den letzten Tagen nicht ein einziges Lebewesen dieses Gebiet betreten hat. Weder Vogel noch Maus, nicht mal eine Fliege... alles Leben hat diesen Ort gemieden." Sie fanden noch weitere Leichen, alle in einem ähnlichen Zustand wie die erste. Es schien, als hätte das Leben die Menschen mitten in ihrem Alltag einfach verlassen. Sie fanden Frauen, die gerade Essen gekocht hatten- Essen, das nun ebenfalls aussah, als sei es vor Jahrtausenden vertrocknet. In einer Hütte war eine Frau beim Weben, einen Arm auf der Lehne ihre Stuhles, die Finger um einen nicht mehr vorhandenen Faden geschlossen, der jetzt als ein Haufen Staub am Boden lag. "Wolle ist auch in gewissem Sinn lebendig." bemerkte Flöte dazu und wurde danach noch nachdenklicher. Irgendetwas schien die Wolle in ihr ausgelöst zu haben. Aus einer Hütte taumelte Allen geradezu heraus und verbot kategorisch jedem, sie zu betreten. Was Flöte allerdings nicht daran hinderte, trotzdem hinein zu gehen. Doch aus sie fand es danach besser, jedem anderen das Betreten der Hütte zu verbieten. "Das scheint das Zentrum zu sein." äußerte sie sich. "Das Zentrum wovon?" fragte Van. "Des Zentrum der Todesaura... oder wie auch immer du es nennen willst. Die Personen dort drin sehen am schlimmsten aus." "Dann müssen wir es uns doch gerade ansehen." meinte Van, doch Flöte schüttelte entschieden den Kopf. "Das bringt dir auch nichts." Van wollte trotzdem hinein, doch Allen versperrte ihm den Weg. "Was ist los? So viel schrecklicher kann es auch nicht mehr sein." Doch Allens gequälter Blick sagte etwas anderes. "Van, da drin..." Er schluckte und unendliches Grauen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. "Dieses Gebäude war die Schule des Dorfes." schloss er lahm. "Oh." Van sah ihn an, blickte auf den Eingang und drehte sich dann wortlos um. "Gehen wir. Oder meinst du, wir können noch etwas erfahren?" fragte er Flöte. Diese verneinte. "Wir dürften alles gesehen haben, was nötig ist." Schweigend, aber rasch gingen sie zum Crusador zurück. Kaum an Bord starteten sie. Sie würden es an diesem Tag nicht mehr zurück nach Fanelia schaffen, aber in wortloser Übereinkunft wollten alle so weit wie möglich entfernt sein, wenn die Nacht kam. "Wir sind uns wohl alle einig, dass wir so schnell wie möglich herausfinden müssen, was mit diesem Dorf passiert ist." fasste Allen zusammen. "Die Frage ist: Wie finden wir etwas heraus? Ich habe noch nie von etwas auch nur im entferntesten ähnlichem gehört." "Das hat keiner." meinte Van bedrückt, doch zu seiner Überraschung meldete sich Flöte zu Wort. "Das stimmt nicht ganz. Ich habe von etwas gehört- es sogar schon gesehen- was diesem hier sehr ähnlich ist." "Was?" Alle starrten Flöte an. "Wieso hast du das nicht eher gesagt?" fragte Van verärgert. "Du musst aus allem ein Geheimnis machen!" Flöte ging mit einem Schulterzucken über diesen Vorwurf hinweg. "Ich habe am Anfang nicht daran gedacht, und dann war ich mir nicht sicher. Ich bin es jetzt auch noch nicht ganz, aber ich sollte euch wohl davon erzählen... Es war kurz nach der Erfindung der Schicksalsmaschine in Atlantis. Durch sie war es möglich geworden, den eigenen Körper zu verändern... aber nicht, einen toten wieder ins Leben zurück zu rufen. Das haben einige probiert. Das Ergebnis war ähnlich dem, was wir in diesem Dorf gesehen haben. Um ein Wesen wieder ins Leben zu bringen, mussten Hunderte sterben. Die Natur lässt sich nicht so einfach besiegen. Der Preis für neues Leben ist hoch. Die Versuche wurden eingestellt, bevor Menschen zu Schaden kamen. Wie dem auch sei, ich bin mir sicher, dass das Wissen um diese Technik mit Atlantis untergegangen ist. Aber Wissen kann niemals für immer verschwinden. Es kann verloren gehen, verschüttet werden... aber man kann diese Dinge nicht aus dem Gefüge des Universums tilgen. Früher oder später wird wieder jemand auf das Geheimnis stoßen- und meine Befürchtung ist, dass genau das passiert ist." "Ein anderes Experiment der Zaibacher?" "Nein, Allen." Flöte schüttelte energisch den Kopf. "Wenn diese Experimente schon vor einem Jahr gelaufen wären, hätte ich sie früher oder später gespürt." "Wie?" Flöte lachte. "Wenn das so einfach zu erklären wäre... Aber vielleicht kann uns Thana weiterhelfen." "Ich?" Thana schien überrascht zu sein. Wie sollte sie erklären... "Ich möchte wissen, ob du etwas in diesem Dorf gespürt hast." "Empathisch?" Flöte nickte, und Thana rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. "Ich weiß nicht..." "Du musst etwas empfunden haben, da bin ich mir sicher. Außerdem habe ich dich beobachtet. Ich habe den Eindruck gehabt, du streitest mit dir selbst. Beschreibe deine Eindrücke." Thana nickte und begann stockend zu berichten, immer wieder von nachdenklichen Pausen unterbrochen. "Schon bevor wir das Dorf betraten hatte ich ein ungutes Gefühl. Ich dachte, es wäre meine eigene Angst oder die der anderen, aber dann merkte ich, dass es nicht das war. Diese Angst konnte ich nämlich auch spüren- und sie war anders als das Gefühl. Je näher wir dem Dorf kamen desto stärker wurde es. Schmerz, Hilflosigkeit und vor allem Entsetzen, ein unglaubliches Grauen. Am stärksten war das Gefühl dort wo... wo die Schule war." Die Gesichter von Flöte und Allen verzogen sich, und Hitomi fragte sich nicht zum ersten Mal, was mit den Kindern geschehen war. Noch schlimmer als die anderen Leichen... Eigentlich wollte sie darüber nicht nachdenken, aber es war wie ein Zwang. Er bohrte in ihr, gaukelte ihr Schemen von grässlichen Gestalten vor... "Bist du dir sicher, dass es dort am schlimmsten war, und nicht im Dorfzentrum?" fragte Flöte lauernd. "Ja. ganz sicher. Das hat mich am meisten verwundert." "Hat das eine Bedeutung?" meldete sich nun auch Milana zu Wort, die seit dem Abzug aus dem Dorf nicht mehr gesprochen hatte. "Ich denke schon." antwortete Flöte. "Die Zustände der... Leichen haben sich leicht unterschieden. Je näher der Schule, desto schlimmer. Auch andere Anzeichen deuten darauf hin, dass die Ursache für ihren Tod in etwa kreisförmig war und an der Schule das Zentrum hatte- dort, wo die jüngsten waren, die meiste Lebensenergie." "Die meiste Lebensenergie? Du meinst, jemand hat tatsächlich versucht..." keuchte Hitomi ungläubig. "Habe ich das nicht gesagt?" fragte Flöte verwundert, seufzte dann jedoch traurig. "Ja, das glaube ich. Ich denke, jemand hat versucht einen Menschen wieder zu beleben. Ob die Fokussierung auf die Schule Ansicht war, weiß ich nicht. Wahrscheinlich passiert das automatisch- die Konzentration des Effektes da, wo am meisten Energie vorhanden ist, ähnlich wie bei Magneten die sich gegenseitig anziehen." "Aber wer macht so etwas?" fragte Hitomi verzweifelt. "Genau das werden wir herausfinden." rief Van wütend und schlug mit der Faust auf den Tisch. "Und dann werde ich diejenigen, die dafür verantwortlich sind zur Rechenschaft ziehen!" "Wie können sie so fröhlich sein?" fragte Hitomi Van leise, der sie in seinen Armen hielt. Sie standen abseits der anderen, die vor dem Crusador ein großes Feuer entzündet hatten, dessen gelbe Flammen die umstehenden Bäume in ein düsteres, unheilvolles Licht tauchten. Vielleicht erschien es Hitomi aber auch nur unheilvoll. Hier, am Rand der Lichtung war von der Wärme des Feuers kaum noch etwas zu spüren. Die Luft war kühl und der Wind blies dann und wann kalt durch die beginnende Nacht. In der Ferne war eine Eule zu hören, die die Menschen wohl böse anheulte. "Ich glaube, das hatten wir schon mal, oder?" fragte Van lächelnd. "Sie feiern, dass sie leben." "Denken sie denn gar nicht an die Menschen, die gestorben sind?" "Doch. Aber wenn man zuviel über den Tod nachdenkt, ruft man ihn herbei." "Das ist doch Aberglaube." "Mag sein." gab Van zu. Dann drehte er Hitomi zu sich um. "Hör zu, du darfst dir nicht immer so viele Sorgen machen. Das macht dich nur fertig. Diese Menschen sind tot, und du kannst nichts mehr daran ändern. Wenn du verhindern willst, dass noch mehr sterben, dann nützt es überhaupt nichts, wenn du dein Denken von den Toten bestimmen lässt. Denke an die Zukunft, nicht an die Vergangenheit. Lass die Toten ruhen, und sorge dich um die Lebenden." Hitomi öffnete den Mund um etwas zu antworten, schloss ihn dann aber wieder. Sie sah in Vans Augen, in denen Entschlossenheit neben Trauer stand, Liebe neben dem unbeugsamen Willen, die Schuldigen zu bestrafen. "Ich weiß nicht, ob ich das kann. Es klingt irgendwie grausam. Ich... ich will nicht noch einmal so etwas sehen müssen. Warum passiert so etwas?" Eine Träne schimmerte am Rande ihres Auges, und Van wischte sie behutsam ab. "Das weiß ich nicht Hitomi. Diese Welt ist grausam, das weißt du. Ich bin traurig, dass ich dich hier mit rein gezogen habe..." "Nein, Van." widersprach Hitomi ihm entschlossen. "Ich bin hier, weil ich das wollte. Es war meine Entscheidung. Hast du das schon vergessen?" Hitomi griff sich an den Hals und zog an der Kette ihres Pendels. Seit kurzer Zeit erst hing daran noch etwas anderes. Das Silber des Ringes erschien Hitomi dumpf in der Dunkelheit, als sie den Ring nun ansah. "Ich habe diesen Ring angenommen. Du hast gefragt, ob ich für immer bei dir bleiben möchte. Ich habe gewusst, dass diese Welt gefährlicher ist als meine. Ich habe es als Teil meiner Entscheidung akzeptiert." Ihre Hand umklammerte den Ring. Hitomi blickte nun auf und sah Van direkt in die Augen. "Ich bin hier, hier bei dir, weil ich dich liebe, weil ich ohne dich nicht leben kann!" "Ach Hitomi!" unendlich sanft und zärtlich fuhr Van ihr mit der Hand über die Wange. "Du weißt nicht, wie glücklich du mich machst, weil du bei mir bist. Aber es tut mir trotzdem leid. Ich kann nur hoffen, ich bin diese Schmerzen wert." Zögernd beugte er sich zu ihr herab, doch dann zog er Hitomi entschlossen an sich und unter seinem Kuss löste sich Hitomis Anspannung und ihre Tränen flossen hemmungslos. Diener wichen schleunigst aus, als ihr König zusammen mit Hitomi, Thana und Flöte die Schlossgänge entlang ging. Ihre sorgenvollen Mienen sagten deutlich, dass es im Moment besonders ungünstig war, im Weg zu stehen. Die Asturianer waren nach Hause weitergeflogen, um dort alles in ihrer Macht stehende zu tun, um den Schuldigen für das schreckliche Schicksal des Dorfes zu finden. Sie hatten versprochen, so schnell wie möglich zurück zu sein, möglichst noch am nächsten Tag. Wer sich nicht um die Rückkehrer kümmerte war natürlich Merle. Sie, Blinx und Asuna standen in einem der Gänge und unterhielten sich genauso lautstark wie intensiv. Van blieb stehen und mit ihm alle anderen. Unmerklich begann er zu lächeln. Das war Merle, wie er sie kannte. Sie ging einem oft auf die Nerven, aber ohne sie hätte er genau diese Nerven wohl längst verloren. Merle war in dieser Hinsicht sowohl Training als auch Entspannung. Dennoch gab es jetzt wichtigeres zu tun. Dieser Meinung war wohl auch Flöte, denn nachdem die Streitenden sie auch nach einer Minute noch nicht zu bemerken schienen, drängte sie sich zwischen Hitomi und Van durch, packte sowohl Merle als auch Blinx an ihren Ohren und beendete so die Diskussion sehr schnell und wirkungsvoll. "Da ich bloß zwei Hände habe, und deine Ohren sowieso außerhalb meiner Reichweite sind, kommst du dieses Mal gnädig davon." Asuna blinzelte verblüfft. Sie hatte ja schon eine Menge Behandlungen erlebt, aber dass ein kleines Mädchen so mit ihr sprach... Doch dieses Mädchen kümmerte sich nicht weiter um sie, sondern zupfte an Blinx Ohr. "Und da du hier neuerdings dafür zuständig bist, wirst du sofort einen Brief schreiben und an Eliandra schicken." Flöte setzte für Van erklärend hinzu "Ich denke nämlich, es ist am besten, die Sache mit dem Dorf ihr zu überlassen. Du kannst da nichts machen Van, aber ihr gelingt es vielleicht wenn ich mithelfe. Aber erst mal müssen wir herausfinden, wer dafür verantwortlich ist." "Was zum Teufel ist denn los?" fragte Asuna. "Von welch einem Dorf redet ihr?" "Wer will das wissen?" stellte Flöte die Gegenfrage. Thana antwortete ihr, bevor Asuna es selbst tun konnte. "Das ist Asuna, sie ist so etwas wie die Regentin in Zaibach. Ist ein bisschen kompliziert und verwirrend. Sie machen da den Versuch, die Politik vom Volk mitbestimmen zu lassen. Nennt sich konstitutionelle Monarchie oder so." Flöte schnaubte vernehmlich, und erstickte Merles Versuch sich frei zu kämpfen ohne sichtbare Anstrengung. "Eliandra hat mir von dir erzählt. Vielleicht kannst du uns sogar helfen. Komm mit. Ich diktiere Blinx den Brief irgendwo, wo es ruhig ist, und dabei erfährst du auch was passiert ist. Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass die Sache geheim bleiben sollte." Endlich ließ sie die beiden Katzenmenschen los, die sich erleichtert die schmerzenden Ohren hielten. "Van, wir gehen in dein Zimmer." befahl sie und marschierte los. "Nehmt es ihr nicht übel." meinte Thana leise. "Die Sache geht ihr nur mehr zu Herzen, als sie es zeigt. Sie muss auf ihre Art damit fertig werden." "Dann hoffe ich nur, dass sie schnell damit fertig wird." maulte Merle. »Das mit dem schnell fertig werden kann ich wohl vergessen.« dachte Merle sich, als Flöte mit dem Diktieren des Briefes und somit dem Bericht fertig war. Normalerweise hätte sie nie geglaubt, was Flöte erzählt hatte, wenn nicht das steinerne Gesicht von Van gewesen wäre, und das Verhalten von Hitomi, die sich eng an ihn schmiegte. Beides war Beweis dafür, dass sie wirklich das Grauen erlebt hatten, was das Mädchen soeben beschrieben hatte. Flöte drehte sich um und musterte Asuna. "Was ist mit dir. Weißt du etwas darüber?" Asuna schüttelte stumm den Kopf. Auch sie war schwer erschüttert. Es war eine Sache, Menschen Auge in Auge zu töten, aber das... ein Dorf, wahllos, ohne Rücksicht... So war sie auch mal gewesen, und das machte ihr am meisten Angst. Die Angst, dass ihr altes Wesen immer noch irgendwo in ihr steckte und wieder herausbrechen konnte. "Nein, ich weiß nichts darüber, aber ich kenne einen Ort, an dem man vielleicht etwas darüber finden kann. Wenn überhaupt, dann dort." "Was für einen Ort?" fragte Flöte gespannt und auch die anderen beugten sich interessiert vor. "Ich habe ihn erst vor kurzem entdeckt. Ich hatte noch nicht genug Zeit, mich überall genau umzuschauen. Es ist eine Art Archiv über Geheimprojekte aus der Zeit vor dem Krieg. Versuche aller Art, darunter auch Aufzeichnungen über Glücksblut und Lebensverlängerungsmittel. Aus Angst vor dem, was dort versteckt sein könnte habe ich niemanden davon erzählt. Außer mir gibt es nur eine Person, die davon weiß." "Ist diese Person vertrauenswürdig?" "Das weiß ich nicht mit Sicherheit, Thana." Antwortete Asuna mit einem Schulterzucken. "Aber sie ist die vertrauenswürdigste, die ich in Zaibach kenne. Wenn ich dort jemanden vertrauen kann, dann ihr." Hitomi saß in der Wanne und starrte an die Wand. Die schrecklichen Bilder gingen ihr nicht aus dem Kopf. Das war schon gestern so, aber heute... Es heißt, der Verstand brauche eine Weile, um nach einem großen Schock alles zu verarbeiten. Vielleicht hatte war dieser Schock so groß gewesen, dass es einen ganzen Tag gebraucht hat. Männer, Frauen, Kinder, Opfer des Wahnsinns. Wieso nur mussten die Menschen immer nach mehr streben, als ihnen zustand, nach Dingen, die doch offensichtlich nicht möglich waren ohne schreckliche Folgen. Lag es in der menschlichen Natur? War der Mensch schlecht, schlecht von der Geburt an und verstellte er sich nur? Und wenn ja, was war dann mit ihr? "Nein!" Hitomi riss sich zusammen und stieg entschlossen aus der Wanne. Das konnte nicht sein. Sie hatte viel schreckliches gesehen, aber auch viel Gutes. Es gab gute und schlechte Menschen, aber es war ihnen nicht bestimmt, so zu sein. Beides, das Gute wie auch das Böse waren Teil eines jeden. Es kam darauf an, was man tat. In ein Badetuch gehüllt schaute Hitomi in den Spiegel. "Ich bin nicht böse!" schienen ihre Augen verängstigt zu schreien. "Und viele andere auch nicht." Es sind nur ein paar Unbelehrbare, und die meisten folgten ihnen aus Angst oder Unwissenheit oder Täuschung. Oft denken sie auch etwas Gutes zu tun und verursachen doch etwas Böses. Folken zum Beispiel. Er wollte nur das Töten beendet, und daraus entstand genau, was er verhindern wollte. Oder Asuna. Sie ist nicht böse, nur weil sie Schlechtes getan hatte. Sie hatte bloß Hilfe gebraucht. Aber wie war es mit denen, die etwas so Grausames tun konnten? Ein ganzes Dorf auslöschen nur aus der Sucht nach einem längeren Leben? Hitomi erschrak. Sie hatte nie lange darüber nachgedacht, was Flöte damals gesagt hatte über das heilige Wasser, dass das Leben der Tihani verlängerte. Nun verstand sie es. Sie hatte auch vorher gedacht es zu verstehen, aber erst jetzt war ihr wirklich klar was Flöte gemeint hatte. Wenn dieses Geheimnis herauskam würden sich die Menschen tatsächlich gegenseitig ohne Rücksicht umbringen, um an das Wasser zu kommen. "Verdammt!" Hitomi schlug mit den Fäusten gegen die Wand. Dabei stieß sie eines der Gläser mit farbigen Essenzen um. Es fiel zu Boden und zersprang laut klirrend. Der scharfe Schmerz, der von ihrem Bein kam, brachte sie wieder zur Vernunft. Ein Splitter des Glases hatte sich dicht über ihrer Ferse in ihren Fuß gebohrt. Mit zusammen gebissenen Zähnen holte sie die kleine Scherbe heraus. Zum Glück war es nur ein kleiner Schnitt, er hörte sicher schon bald auf zu bluten. "Alles in Ordnung, Hitomi? Ich habe etwas zerspringen gehört..." Van drehte sich mit rotem Kopf um. Hitomi lächelte. Er war nur mit einer Hose bekleidet. Wenn er das Glas gehört hatte, musste er nebenan gewesen sein- in seinem Badezimmer. "Du machst dir zu viele Sorgen, Van." sagte Hitomi, doch ihre Stimme zitterte. "Es ist nur ein Kratzer. Mit ist etwas heruntergefallen." "Ein Kratzer? Wo?" Van drehte sich sorgenvoll zu ihr, sah dabei aber an ihr vorbei. "Am Fuß." "Zeig her." Hitomi setzte sich auf die Wanne und hielt ihm ihren Fuß hin. Van war sichtlich erleichtert, als sich die Wunde wirklich nur als unwichtig herausstellte. "Das hätte gefährlich werden können. Ein bisschen größer, ein kleines Stück in eine andere Richtung und es hätte die Sehne zertrennen können." Van blickte zu ihr auf. Die Sorge in seinen Augen rührte Hitomis Herz und plötzlich fing sie an zu weinen. "Hitomi!" Van sprang erschrocken auf und nahm sie in die Arme. "Es kann doch nicht so weh tun?" "Nein!" Hitomi schüttelte schniefend den Kopf. "Nein, das ist es nicht." Ihr Herz schlug schneller. Nein, nicht alle Menschen waren schlecht. "Van? Bleib bei mir, ja? Lass mich nicht allein. Lass mich niemals allein." "Niemals!" schwor ihr Van mit heiserer Stimme. "Ich lasse dich niemals allein Hitomi." beruhigend fuhr er ihr durchs nasse Haar, fühlte die Strähnen zwischen den Fingern und ihren Körper, der sich an ihn klammerte. "Ich liebe dich viel zu sehr, um dich allein zu lassen." "Dann bleib bei mir. Lass mich nicht los. Halt mich die ganze Nacht in deinen Armen." Der nächste Morgen brach an, strahlend hell und mit azurblauem Himmel. Es schien, als wollte die Natur alle schrecklichen Dinge vergessen machen. Doch leider konnte es niemand vergessen... "Schwer, sehr schwer." antwortete Asuna auf Hitomis Frage. Sie waren nach dem Mittag hinaus in den Schlossgarten gegangen. "Ich bin keine richtige Herrscherin. Ich möchte so viel tun, aber alles was ich machen will, wird vom Rat zerredet. Es geht vorwärts, ja, aber das ist mehr den einfachen Menschen zu verdanken, die sich nicht um die oft widersprüchlichen Anweisungen, die von der Regierung kommen, kümmern." Gedankenverloren blieb Asuna stehen und betrachtete die Rosen. "Ich bin wie diese Rose." meinte sie leise. "Schön, aber voller Dornen. Meine Entschlossenheit ist meine Dorne nach außen, aber die meisten sind nach innen gerichtet, mein Wissen darum wer ich bin und was ich in der Vergangenheit getan habe..." "Die Vergangenheit ist vorbei..." "...und nun ist es Zeit nach vorne zu sehen? Das klingt hübsch Hitomi, aber sei mir nicht böse wenn ich sage, du hast nicht die geringste Vorstellung davon, wie ich mich fühle." "Nein, wahrscheinlich nicht." gab Hitomi zögernd zu. "Wie steht es überhaupt mit dir und Van?" fragte Asuna plötzlich mit einem Grinsen auf dem Gesicht. "Was meinst du?" "Was denkst du denn? Ihr seid jetzt immerhin verlobt, lebt in Zimmern direkt nebeneinander..." "Asuna! Du bist ja schon so schlimm wie Thana!" wehrte sich Hitomi erschrocken und drehte ihr den Rücken zu, um nicht zu zeigen wie rot sie wurde. "Soll das etwa heißen, außer Küssen ist noch nichts passiert? Hitomi, du musst dich besser um ihn kümmern!" "Jetzt reicht es aber!" schrie Hitomi. "Das ist doch wohl meine Sache, was wir miteinander..." Hitomi schlug die Hand vor den Mund und starrte Asuna böse an. Die zwei Frauen ein Stück entfernt wendeten demonstrativ ihre Blicke ab. Ihr Gespräch nahmen sie allerdings noch nicht wieder auf. "Schon gut, vergib mir." Bat Asuna leise um Verzeihung und zog Hitomi mit sich. "Aber wenn ihr beide so schüchtern seid... Komm mit." "Mitkommen? Wohin?" "Wirst du schon sehen. Es wird dir gefallen, glaub mir." "Hier muss es irgendwo sein... ah, da!" Asuna hatte sie durch die halbe Stadt gezogen, am Marktplatz im Zentrum vorbei und in eine der kleineren Straßen. Hitomi hatte ihr schon entlocken können, dass sie auf der Suche nach einem Laden war, aber mehr nicht. Als das Ziel jetzt offensichtlich wurde stutzte Hitomi. "Das ist ja nett gemeint, aber jetzt ist doch nicht die Zeit, sich Kleider zu kaufen." meinte Hitomi tadelnd. "Ach was, wir sind Frauen. Dafür ist immer Zeit." antwortete Asuna schmunzelnd. "Aber ich habe nicht mal Geld dabei, und du sicher auch nicht." Doch Asuna wischte den Einwand beiseite. "Das ist egal. Ich habe hier Kredit. Außerdem- du bist die Verlobte des Königs. Sie werden dir ein Dutzend Kleider aufdrängen, wenn du nur versprichst sie bei offiziellen Anlässen zu tragen." "Oh. Das kenne ich. Werbung." Asuna erwiderte nichts, sondern stieß Hitomi vor sich in den Laden. Der Besitzer hinter dem Tresen schaute auf und sein Gesicht erstrahlte in Überraschung und Freude. "Majestät, welch eine Ehre, wir hatten schon gehört..." "Psst!" machte Asuna. "Nicht so laut. Ich bin froh, dass keiner weiß wer ich bin." Der Mann nickte verständnisvoll. "Wir haben auch niemandem gesagt wo wir herkommen." Dann richtete sich sein Blick auf Hitomi. "Und was ist mit ihr? Wenn ich mich nicht irre, muss ich sie bald auch mit Majestät ansprechen." Deutlich konnte man es hinter seiner Stirn arbeiten sehen. Asuna lachte. "Habe ich es dir nicht gesagt Hitomi? Und genau das ist der Grund, warum wir hier sind." "Ah! Na dann..." Der Mann huschte an ihnen vorbei, schloss die Tür und drehte das Schild an der Tür, das bis eben noch geöffnet angezeigt hatte. "In solch einem Fall kommt bitte nach hinten. Übrigens, mein Name ist Falin." Falin hüpfte zu einer Tür neben dem Tresen und man konnte ihm aus dem Nachbarraum rufen hören. "Was soll das Asuna?" Hitomi fühlte sich ziemlich unsicher als sie ihm folgte. "Was meintest du mit `genau deswegen sind wir hier´?" "Wie du sicher schon gemerkt hast, ist Falin Schneider." "Ich hätte es beinahe übersehen." antwortete Hitomi spitz. Der Raum den sie betraten war nicht ganz so voll wie der erste, dafür standen hier mehrere Schneiderpuppen der verschiedensten Größen. "Ich dachte erst, die ganzen Kleider hier gehören einem Theater." Asuna blieb so plötzlich stehen als wäre sie gegen eine Mauer gerannt, dann lachte sie schallend los und konnte sich gar nicht wieder einkriegen. Falin kam wieder zurück und mit ihm eine mollige Frau mit ausgeprägten Lachfalten im Gesicht. "Was ist denn so lustig?" fragte sie neugierig. "Dass Hitomi Falins Herkunft auf den ersten Blick erkannt hat." klärte Asuna sie auf und fügte für Hitomi hinzu "er war nämlich wirklich beim Theater für die Kostüme verantwortlich. Eines Tages kam eine neue Schneiderin mit dem schönen Namen Ani..." "...und Ani hat sich sofort in ihn verliebt und ihn sich geschnappt." setzte die Frau lachend hinzu. "Und ich bin bis heute ganz glücklich mit meiner Wahl. Er gehorcht mir aufs Wort." "Ehedrachen." erwiderte ihr Mann liebevoll während er dabei war, etwas Platz zu schaffen. "Was wollt ihr?" fragte die Frau nun in einem etwas Geschäftigeren Ton. "Ein Hochzeitskleid für die zukünftige Braut von Van." antwortete ihr Mann ihr und schnaufte vernehmlich. "Ich glaube, wir brauchen mehr Platz." "Es würde reichen, wenn du öfters aufräumst." erwiderte Ani. "Oder du." warf Falin den Ball zurück. "Wie dem auch sei, das ist dein Gebiet. Ich gehe mit unserer Freundin nach draußen." Seine Frau nickte und zog die sprachlose Hitomi auf das Podest in der Mitte des Raumes. "Na dann, wollen wir mal sehen, was?" "Äh..." Hitomi stand einfach nur da und kam sich ziemlich verloren vor. Es war ja nicht so, dass sie nicht schon über ein Hochzeitskleid nachgedacht hätte... aber eigentlich sollte man selbst die Entscheidung treffen, eines zu kaufen, und nicht so überrumpelt werden. Ani hatte Maß genommen und war danach für zwei, drei Minuten in einem Raum verschwunden, der wohl so etwas wie ein Lager war. Heraus gekommen war sie mit einigen weißen Kleidern auf ihren beiden Armen, die sie vorsichtig an die Wand gehängt hatte. "Das sind natürlich nur unsere Vorführmodelle. Wir schneidern jedes nach dem individuellen Maß der Kundin und nach ihren Wünschen." "Nach ihren Wünschen?" Hitomi starrte ehrfürchtig auf die Kleider. Sie konnte nicht genau benennen was es war, das Muster, die Rüschen... irgendetwas war an jedem Kleid anders als an allem anderen, keine zwei glichen sich auch nur ungefähr und alle waren Meisterwerke. "Ja, manche Frauen haben Sonderwünsche für ihr Hochzeitskleid. Sie wollen ja makellos aussehen, und ich habe bis jetzt noch keine Frau erlebt, die sich für makellos hält. Was ist mit dir?" Hitomi wurde rot. "Ich will nicht sagen, ich fände mich hässlich..." "Aber...?" fragte Ani schmunzelnd. Hitomi grinste zurück und dann lachten beide. "Keine Sorge." meinte Ani schließlich. "Den meisten Frauen ist nicht bewusst, dass ihre Männer keine perfekte Frau haben wollen. Das wäre ja langweilig. Sie wollen ihre Frau. Die, die sich von allen unterscheidet. Und ein König ist da sicher keine Ausnahme." Unsicher lachend trat Hitomi zu einem von den Kleidern. "Ich glaube, das da gefällt mir am besten." "Guter Geschmack." meinte Ani und zwinkerte ihr dann zu. "Ehrlich, das sage ich nicht nur so. Ich finde auch, das würde dir am besten stehen." Sie machte eine kurze Pause und musterte Hitomi überlegend. "Warte mal einen Augenblick." Sie rannte hinaus ohne auf Hitomis Antwort zu warten. Diese konnte hören, wie sie sich mit Asuna unterhielt. Erst schien Asuna verwundert, dann beantwortete sie eine Frage sehr bestimmt. Ani kam wieder herein. "Gut, ich glaube, ich zeige dir etwas spezielles, das einige dieser Modelle haben." "Etwas spezielles?" Hitomi fand, dass diese Frau sich ziemlich rätselhaft benahm. "Wirst schon sehen!" antwortete Ani belustigt. "Du wirst es schon sehen!" Zwei Stunden später taumelte Hitomi aus dem Zimmer in den Verkaufsraum des Geschäftes. Ein Hochzeitskleid nach Maß zu schneidern war sicherlich eine anstrengende Sache- dafür Maß zu stehen aber auch. Asuna und Falin saßen zusammen an einem kleinen Tisch und hatten jeder einen Becher in der Hand. Auf einem Öfchen stand ein kleiner Kessel aus dem zarter, rötlicher Dampf aufstieg. Die beiden schauten ins Leere und schienen sie erst gar nicht zu bemerken. "Ich glaube, du hast doch Recht." meinte Asuna leise und blickte dann zu Hitomi. "Da bist du ja. Und? Hab ich dir zu viel versprochen?" "Ich kann mich nicht erinnern, dass du mir überhaupt viel versprochen hast." antwortete Hitomi scherzhaft. Asuna lachte. "Versprich nichts, was du nicht halten kannst." entgegnete sie, trank ihren Becher aus und stand auf. "Ich glaube, wir sollten dann so langsam gehen. Nicht, dass sich noch wer Sorgen macht, weil wir einfach nicht zurück kommen wollen. Außerdem müssen die Leute hier ja auch Geld verdienen." "Nicht doch!" wehrte Falin ab. "Es war mir ein Vergnügen, mich mal wieder mit dir zu unterhalten. Und es ist eine Ehre, dass die zukünftige Königin von Fanelia ihr Hochzeitskleid von uns schneidern lässt. Davon abgesehen werden uns die Leute den Laden einrennen, wenn das bekannt wird." Asuna lachte und umarmte den Mann und dann Ani. Hitomi verabschiedete sich zurückhaltender, aber nicht weniger herzlich und zusammen traten sie den Rückweg an. "Woher kennst du die beiden überhaupt?" fragte Hitomi Asuna vor dem Laden. "Oh, ganz einfach. Sie kommen aus Zaibach. Da sie allerdings für die alte Regierung gearbeitet haben, hat ihnen das Probleme bereitet. Falin hat nicht nur für das Theater gearbeitet, sondern auch für den Palast von Dornkirk. Jeder braucht Kleidung, auch Hexer oder wer auch immer. Im Grunde ist das kein Verbrechen, aber leider brauchen die Menschen Sündenböcke- etwas, das ich immer noch nicht richtig verstehe. Entweder man ist schuldig, so wie ich, oder nicht. Ich habe vieles verbrochen. Aber Falin ist es, der angeklagt wird. Die Welt ist ungerecht." Hitomi erwiderte nichts darauf. Sie konnte Asuna im letzten Punkt nicht widersprechen, und dass sie sich schuldig fühlte war etwas, das Asuna mit sich selbst ausmachen musste. Sie war gezwungen worden und Hitomi war der Meinung, so wie sie sich einsetzte sollte man die Vergangenheit vergessen. Aber sie wusste auch, dass man sich oftmals viel schuldiger fühlte, als man war, sich auch für Dinge verantwortlich fühlte nur weil man sie nicht verhindern konnte... "Jedenfalls" fuhr Asuna fort "habe ich mit ihm und einigen anderen eine Abmachung getroffen. Sie wurden des Landes verwiesen. Das war ihre einzige Strafe. Öffentlich wurde es natürlich etwas aufgebauscht. Aber inoffiziell habe ich ihnen allen genügend Zeit gegeben, und notfalls auch Geld, um sich woanders eine neue Existenz aufzubauen. Dafür berichten sie mir von den Ereignissen in den Städten in denen sie jetzt leben." Asuna schmunzelte. "Sie sind sozusagen mein Geheimdienst, denn offiziell darf Zaibach auch keine Botschaften in anderen Ländern haben. Wir sind immer noch ziemlich isoliert." "Das muss sich ändern." rief Hitomi unbedacht. "Und wie?" "Äh..." Hitomi zuckte beschämt mit den Schultern. "Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Aber es kann doch nicht besser werden, wenn die Leute nicht miteinander reden." "Da hast du schon Recht. Aber die meisten wollen nicht, dass die Beziehungen mit Zaibach besser werden." Ein leichtes Grinsen stahl sich auf Hitomis Gesicht. "Nun, ich schon. Und immerhin bin ich bald die Königin von Fanelia, wie du immer wieder betonst. Da sollte sich doch was machen lassen!" Asuna lachte. "Ja, man kann Van schlecht etwas ablehnen, was Zaibach betrifft. Und selbst wenn er nicht will, du kannst ihn sicher überreden." Sie zwinkerte Hitomi zu. "Da wir gerade beim überreden sind... Ani hat dir sicherlich ihre berüchtigten "Extras" gezeigt, oder?" Röte färbte Hitomis Gesicht. "Lass das. Das ist kein Thema, worüber ich jetzt reden möchte." "Zu viel Öffentlichkeit?" stichelte Asuna weiter. "Sollen wir im Schloss weiterreden? Bei einem Stück Kuchen und..." "Sieh mal!" wurde sie von Hitomi unterbrochen. "Ist das nicht der Crusador da hinten?" Asuna kniff die Augen zusammen und schaute in die Richtung, in die Hitomi zeigte. "Möglich." meinte sie schließlich zweifelnd. "Es könnte aber auch ein anderes Luftschiff sein." "Nein, nein, das ist der Crusador, da bin ich sicher." widersprach Hitomi ihr und zog sie am Arm mit sich. "Komm schnell, dann sind wir noch vor ihrer Landung da." Hitomi war froh, so dem peinlichen Thema aus dem Weg gegangen zu sein, aber die Ankunft der Asturianer stimmte sie trotzdem nicht fröhlich. Jetzt konnte sie nicht mehr vergessen, was passiert war. Auch das gehörte dazu zu herrschen dachte Hitomi, sich mehr Sorgen machen zu müssen als die normalen Menschen, die nur ihre alltäglichen Sorgen hatten. Für sie war ein auf gespenstische Weise vollkommen ausgelöschtes Dorf nichts weiter als eine schaurige Geschichte. Für Van und andere war es etwas, für das sie eine Lösung finden mussten. Falls es überhaupt eine gab. Leider hatten Hitomis Freunde in Asturia auch kein Glück gehabt. Millerna und Dryden waren gleich da geblieben, doch Allen war umgehend wieder zurück gekehrt. Man beschloss, sofort noch aufzubrechen um Asunas Archiv so schnell wie möglich zu erreichen. LMMI 4 Kapitel 5 ---------------- Kapitel 5 Der Crusador überflog die Grenze Fanelias. Sie war hier nicht mehr als ein unregelmäßiger Strich auf der Landkarte. Unter dem Crusador war nur Wald und die Ausläufer der Berge. "Du solltest dich auch langsam schlafen legen." meinte Gades zu Thana, die in die nur von den Lampen des Crusadors erhellte Dunkelheit starrte. Es war weit nach Mitternacht, und alle die nicht das Luftschiff steuern mussten hatten sich zu Bett begeben. Alle bis auf Thana. Nur das Surren der Motoren und die ein oder andere bedachtsame Anweisung durchbrachen die Stille. "Nein." antwortete sie leise. "Ich kann nicht. Mir geht zu viel durch den Kopf." "Es ist nicht gut so viel zu grübeln." tadelte Gades sie Schulmeisterlich. Thana lachte, doch bevor sie antworten konnte betrat Allen den Raum und zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. "Na, Kommandant? Jetzt schon schlafwandeln?" Allen lächelte. Solche Bemerkungen waren um diese Zeit normal. Des Nachts, wenn man unter sich war, versuchte man sich mit solchen Neckereien wach zu halten. Strikte Disziplin war für den Tag. Nicht dass dieser Haufen am Tag besonders diszipliniert gewesen wäre. "Die Sterne leuchten so schön." antwortete er und trat ans Fenster der Brücke. Gedämpftes Gelächter antwortete ihm. Es war stockfinster draußen, schwere Wolken hingen undurchdringlich am Himmel. Selbst der Mond der Illusionen mit seinem hellen, blauen Licht war in dieser Nacht nur erahnbar. "Aber dass ihr wach seid wundert mich." sagte er zu Thana, die mit den Augen rollte. "Nicht ihr auch noch. Gades hat mich schon gelöchert. Ist es einer Frau nicht erlaubt, auch mal nicht einschlafen zu können?" "Nein." antwortete Allen einfach. "Geht ins Bett. Eine Frau braucht ihren Schönheitsschlaf." "Was wollt ihr damit sagen?" fragte Thana spitz. Ein leises "Uhhh!" ertönte aus dem Hintergrund, gefolgt von unterdrücktem Gekicher. Thana warf einen vernichtenden Blick in die Runde und gab dann seufzend auf. "Na schön, ich beuge mich eurer Befehlsgewalt Herr Ritter. Aber gewöhnt euch nicht dran." Sie wandte sich zum Gehen. "Gades! Bring sie zu ihrer Kabine!" befahl Allen. "Und dann kannst du dich auch hinlegen. Ich übernehme die Nachtwache." "Ist gut." erwiderte Gades und damit war die Kommandoübergabe erfolgt. Er bot Thana seinen Arm an. Thana schaute erst demonstrativ in eine andere Richtung, hakte sich aber doch bei ihm ein. "Na, dann zeigt mir mal den Weg. Könnte ja sein, er hat sich in den letzten Stunden verändert." Unter dem anerkennenden Pfeifen der Männer verließ sie die Brücke, die sie damit zur Siegerin des kleinen Wortduells kürten. Allen starrte noch eine ganze Weile nachdem die beiden die Brücke verlassen hatten auf die Tür. Dann drehte er sich achselzuckend wieder um. Menschen wurden halt vertrauter miteinander, so war der Lauf der Welt. Die einen kamen sich näher, die anderen entfernten sich. Er seufzte lautlos. Diese Nacht verursachte wirklich schwere Gedanken. *** Hitomi hatte sich von Van mit einem langen, innigen Kuss verabschiedet und lag immer noch wach in ihrem Bett. Es war schon irgendwie verrückt. In der vorigen Nacht war sie erst spät eingeschlafen. Ihr Herz hatte viel zu sehr geschlagen, mit Van an ihrer Seite, selbst als er ihre Angst durch seine zärtliche, Kraft gebende Anwesenheit vertrieben hatte. Heute war es umgekehrt. Sie vermisste ihn. Dennoch wusste sie, dass auch er kaum geschlafen hatte. Beide hatten es vorgegeben, aber in Wirklichkeit war die Nähe des anderen zu viel gewesen. Hitomi seufzte. Es war ungerecht. Wenn Van sie in seinen Armen hielt fühlte sie sich wie auf einer Wolke und kam nicht zum Schlafen. Sie hatte wahrscheinlich schon Ringe unter den Augen. Doch wenn er weg war sehnte sie sich nach ihm, wollte, dass er seinen Arm um sie legte, wollte seinen Atem sanft über ihren Nacken streichen fühlen... Sie drehte sich auf den Rücken und atmete tief durch. Sie musste schlafen. Es nützte gar nichts, wenn sie halb tot herum lief. Mit Sicherheit würden sie in den folgenden Tagen alle ihren wachen und aufmerksamen Verstand brauchen. "Ach Van!" klagte sie. "Es kommt mir trotzdem reichlich komisch vor!" beklagte Van sich. Asuna warf entnervt die Arme in die Luft. "Van! Wie oft muss ich noch sagen, es geht wesentlich schneller und einfacher, wenn niemand weiß, dass wir hier sind." "Es ist deine Entscheidung." beugte sich Van schließlich der Stimme der Vernunft und folgte den anderen. Der Crusador war auf einer kleinen Lichtung nur wenige Meilen vor den Toren der Hauptstadt des ehemaligen Zaibacher Reiches gelandet. Laut Asuna befand sich das Archiv, in dem sie suchen wollte, hier ganz in der Nähe. Es war eine geheime Anlage, so dass sie nicht in der Stadt errichtet werden konnte, aber sie sollte dennoch für die Regierenden leicht erreichbar sein. So hatte man diesen schlecht zugänglichen Platz in der Nähe der Stadt ausgesucht, um den Eingang des Archivs zu verbergen. "Es ist nicht mehr weit!" munterte Asuna alle auf, als sie bereits eine halbe Stunde gegangen waren. Tatsächlich erreichten sie nur wenig später ihr Ziel. Das aber wusste bis auf Asuna niemand. "So, da wären wir." erklärte sie. "Der Eingang zum erwähnten Archiv. Toll, nicht?" Alle schauten sich um, aber niemand konnte erkennen, wo dieser Eingang sein sollte. "Gut, es ist definitiv ein verstecktes Archiv." meinte Thana und blickte Asuna herausfordernd an. "Aber würdest du so freundlich sein, uns dennoch zu verraten, wo der Eingang ist? Ich sehe hier nur ein paar seltsam gewachsenen Bäume und einen ziemlich großen Felsen, hinter dem sich sogar ein kleiner Guymelef verstecken könnte, wenn er sich ordentlich zusammen faltet. Also, wo geht's hinein?" Es war offensichtlich, dass man den beiden eine gewisse freundschaftliche Rivalität nicht absprechen konnte. Sowohl Thana als auch Asuna hatten ein gewisses Faible für Ironie. "Du hast es fast erraten." meinte Asuna und trat zu dem Felsen, den Thana als Guymelefversteck vorgeschlagen hatte. "Er ist genau..." Sie drückte auf eine bestimmte Stelle des Felsens. "...hier." Das letzte Wort ihres Satzes ging im Knirschen des Felsens unter, der sich langsam hob und dann zur Seite schob. "Beeindruckend." musste Thana zugeben, und alle anderen nickten nur in stiller Überraschung. Der Felsen hatte ausgesehen, als ob er im Boden verwachsen gewesen wäre. "Na dann, tritt ein, bring Glück herein!" witzelte Asuna, und betrat den dunklen Eingang. Ein paar Meter in den Gang hinein standen einige Dutzend Laternen. Asuna verteilte an jeden eine und zündete sie mit einem der ebenfalls bereit liegende Zündrohre an. "Kommt!" befahl sie "Und bleibt dicht beieinander. Das erste Stück ist ein kleines Labyrinth- und wer den falschen Gang nimmt, wird von herabfallenden Steinplatten eingeschlossen. Es ist euch vielleicht noch nicht aufgefallen, aber es gibt hier nicht so viel Personal, als dass ich mal schnell ein Dutzend Leute abstellen könnte um die Steinplatten wieder hochhieven zu lassen." Raschen Schrittes folgte sie einem Weg, der sich nicht sichtbar von den anderen unterschied, die sich anboten. Aufgrund Asunas Warnung blieb die Gruppe dicht beieinander. Doch dann bogen sie um eine Kurve und standen vor einer Wand. "Sag nicht, du hättest dich verlaufen." rief Hitomi ängstlich und klammerte sich an Van. "Keine Sorge. Das ist nur eine neue versteckte Tür, oder?" versuchte dieser Hitomi zu beruhigen. Doch seine Stimme war nicht ganz so fest, wie seine Worte vermuten ließen. "In gewissem Sinn ja." antwortete Asuna auf seine Frage und begann dann aus Leibeskräften loszubrüllen. "He, Miranda! Die Blende ist schon wieder unten! Mach das verdammte Ding auf!" Nach ein paar Sekunden fing es an zu rumpeln und die Wand schob sich langsam in die Decke. "Tut mir leid!" rief eine durch das Echo verzerrte und dumpfe, trotzdem als weiblich erkennbare Stimme aus dem Dunkel des Ganges. Hinter einer Kurve flackerte schwach ein Licht. "Ich war ein bisschen nervös, als ich so viele Leute ankommen sah." Das Licht wurde heller und Miranda bog um die Ecke. Sie war hochgewachsen und erschien fast ein wenig verhungert, ihr langes Haar fiel ihr bis zu den Hüften hinab. Auch im Dunkeln konnte man die Farbe von reinen Honig erkennen. Aus dem schmalen Gesicht musterten zwei intelligente Augen die Neuankömmlinge. Neugier sprach aus diesem Blick, aber auch eine gewisse Unnachgiebigkeit. Ohne Zweifel war sie hier der Boss, und das würde sie jedem schnell klar machen, wenn es nötig wäre. Sie wirkte insgesamt nicht sehr freundlich den Neuankömmlingen gegenüber, die sie in ihrer Arbeit störten- und noch dazu wahrscheinlich kein Recht hatten, hier zu sein. "Ich habe endlich die 6/12er knacken können." berichtete sie Asuna und meinte dann recht eisig "Aber ich nehme nicht an, dass das der Grund ist, warum du so viele... Besucher hier herein führst." Bevor Asuna antworten konnte trat Flöte vor. "Ich mag dieses Mädchen." verkündete sie breit grinsend und hielt ihr die Hand hin. "Hallo. Schön dich kennen zu lernen." Miranda blickte die kleine Göttin erst erstaunt, dann verstört an, ging in die Hocke und erwiderte den Händedruck. "Hallo! Wer bist du denn Kleine?" "Ich bin Flöte!" "Flöte?" Mirandas Verwirrung stieg bei diesem seltsamen Namen. "Ja. Und du arbeitest hier?" Miranda nickte. "Das muss toll sein. Du musst mir unbedingt mehr erzählen." Flöte streckte die Arme aus und Miranda hob sie ohne darüber nachzudenken hoch. "Ja, sicher..." stotterte sie. "Aber erst mal sollten wir weiter gehen. Asuna meinte, wir können hier etwas ganz wichtiges finden, und es ist eilig." Flöte nickte wichtig und Miranda setzte sich in Marsch. Sie schien dabei geistig nicht ganz anwesend zu sein. Thana folgte ihr auf den Fuß, den Kopf schüttelnd und Flöte einen mahnenden Blick zuwerfend. Dieser wurde von einer herausgestreckten Zunge beantwortet. "Habe ich etwas verpasst?" fragte Hitomi leise und zu niemanden im Besonderen. "Folgen wir ihnen einfach." meinte Allen und setzte sich in Marsch. "Asuna? Was ist?" "Ich komme!" rief die Zaibacherin und folgte ihm. Sie schien noch viel mehr verdutzt zu sein als die anderen. Auf dem Weg zur Zentrale, wie Miranda es nannte, erzählten sie ihr von dem Dorf. Sie verstand schnell. "Ich glaube, ich weiß was ihr sucht. Ihr habt Glück. Ich habe da erst vor ein paar Tagen etwas entdeckt. Leider kann ich mich nicht mehr genau daran erinnern, es ist ja so viel..." Sie erreichten eine Tür, die Miranda mit einem seltsam geformten, verschnörkelten Schlüssel öffnete, den Miranda aus einer Tasche ihrer Kleidung holte. Sie wollte den Schlüssel wieder in die Tasche stecken, doch Flöte streckte die Hand danach aus. Wieder schien Miranda irgendwie abwesend, als sie Flöte den Schlüssel in die Hand drückte. Sie noch immer auf dem Arm haltend trat Miranda ein. Das Licht in diesem Raum flammte bei ihrem Eintreten automatisch auf. Die Wände dieses Raumes waren mit Bildschirmen bedeckt, die Hitomi an die Anfangszeit des Fernsehens erinnerten. Runde, weißlich blasse Scheiben, zwischen denen man allerhand Kabel, Spulen und anderes elektrisches Gerät erkennen konnte. Hitomi schaute nach oben. Es war tatsächlich elektrisches Licht. Es war zwar hinter einer undurchsichtigen, gelblich verfärbten Scheibe, aber es flackerte nicht und war zu gleichmäßig um eine Öllampe sein zu können. Den anderen fiel es nicht auf, sie hatten noch nie welches gesehen, bis auf Van und Allen vielleicht bei den Zaibachern. Asuna selbst würde nichts dazu sagen. Entweder war es ihr selbst noch nicht aufgefallen, oder sie verschwieg es. Sie ja auch keinen Grund, es extra zu erwähnen. Unter den Bildschirmen waren verschiedene Pulte aufgebaut vor denen metallene Drehstühle standen. "Ich muss ein paar Dinge erledigen. Fasst nichts an!" ermahnte Miranda streng. Sie ging von Pult zu Pult, drehte hier und dort an einem Knopf, verstellte einen Schalter. Dann trat sie zum zentralen Pult. Sie stellte Flöte auf den Boden und setzte sich, schien aber nicht zu bemerken, dass sich Flöte sofort wieder auf ihren Schoß setzte. Miranda legte einen rot markierten Hebel um und die Bildschirme erwachten zum Leben. Einige zeigten nichts an, sondern leuchteten nur. Über andere flitzten zackige Linien wie bei einem Herzschlag. Doch der größte in der Mitte zeigte eine Art Bild. "Teufel auch!" rief Van erschrocken. "Ist das Hexerei?" Auf dem Bildschirm war der Raum zu sehen, in dem er stand. Hitomi an seiner Seite, Allen hinter ihm, Thana und Asuna ein Stückchen entfernt, fast außerhalb des Bildes. "Wie kann es sein..." murmelte Van und bewegte seinen Arm. Verblüfft beobachtete er sich selbst dabei auf dem Bildschirm. Hitomi konnte sich nicht mehr zusammen reißen und lachte los. "Da ist eine Kamera. Ungefähr...." sie hob den Arm, blickte zum Bildschirm, drehte sich und hatte sie schließlich gefunden. "...ungefähr dort. Da, siehst du dieses kleine runde Glas mit dem klobigen Kasten dahinter? Das muss die Kamera sein. Alles, was vor ihr ist, kommt auf den Bildschirm." "Woher weißt du das?" zischte da Miranda so giftig, dass Hitomi erschrocken herumfuhr. Doch bevor sie irgendetwas erwidern konnte fragte Flöte "Kannst du noch andere Bilder zeigen?" Wieder trat dieser abwesende Blick auf Mirandas Gesicht, und sie nickte. Sie drehte sich schwerfällig um und verstellte einige Schalter. Flöte auf ihrem Schoß warf Hitomi einige giftige Blicke zu, was jedoch Thana böse werden ließ. In den nächsten Minuten zeigte Miranda Bilder von anderen Kameras in der Einrichtung. Dabei erhielten unsere Freunde zum ersten Mal einen Einblick in die Größe der Anlage. "Das ist ja wirklich riesig hier." bemerkte Thana, als Miranda fertig war. "Es ist noch größer, als du glaubst." bemerkte Asuna. "Einige Bereiche hast du gar nicht gesehen, von dort gibt es keine Bilder mehr. Ich denke, da ist irgend etwas kaputt, aber wir wissen nicht, wie wir es reparieren sollen." "Die Baupläne und ähnliches sind nämlich allesamt kodiert." erklärte Miranda. "Ich arbeite Tag und Nacht daran, hinter die Geheimnisse zu kommen, aber es ist sehr schwierig." Noch eine Weile lang stellte Miranda an den verschiedensten Knöpfen und Hebeln herum, bis sie schließlich gefunden hatte, was sie suchte. "Ich habe es gefunden. Aber es ist ziemlich instabil. Du da!" Sie zeigte auf Gades, der erschrocken zusammen zuckte. Aufmerksamkeit war im Augenblick nichts das, was er unbedingt haben wollten, und jetzt schauten ihn alle an. "Setzt dich dort vor das linke Pult. Ja, genau. Der rote Hebel, nein, der daneben. Halt ihn fest, und wenn ich "aus" rufe, reißt du ihn nach unten. Aber bitte ohne ihn abzureißen." Mit rotem Kopf tat Gades, wie ihm geheißen. Er war es ja gewöhnt, herum kommandiert zu werden, aber diese Frau... Miranda legte auf dem Pult vor ihr einen weiteren Hebel um, und auf dem großen Hauptschirm begann flackernd ein Bild zu entstehen, das den meisten Anwesenden bekannt vorkam. "Aber... das ist doch der Berg bei dem Dorf!" erkannte es Allen schließlich zuerst. Er musste niemandem sagen, was für ein Dorf er meinte. "Passt auf!" rügte Miranda. Eine leise Stimme erklärte, dass dieser Film ein Experiment beschrieb, das vor einem Monat erfolglos abgebrochen worden war, da sich die Risiken als zu groß heraus gestellt hatten. "...Lebensverlängerung als durchaus möglich herausgestellt, doch die Projektleiter sind übereinstimmend zu dem Schluss gekommen, dass die Risiken das Ergebnis bei weiten überwiegen. Nicht nur, dass der Transfer von Lebensenergie nur unter hohen Verlusten und nur von Menschen auf Menschen erfolgreich sein kann, sondern auch die Tatsache der unzureichenden Fokussierung und ungenügenden Zielgenauigkeit der Strahlung bezeugen die Unmöglichkeit..." "Wie es scheint, wurde zumindest das Problem mit der Zielgenauigkeit gelöst." meinte Miranda mit - fast - unbeteiligter Mine. "Was machen wir jetzt?" fragte Thana in die Runde, und Van antwortete grimmig. "Ganz einfach. Wir räuchern das Nest aus." "Dumm." meinte Miranda und erklärte "Es gibt dort viele Verteidigungseinrichtungen, die allerdings so geheim sind, dass es hier keine genauen Aufzeichnungen darüber gibt. Auf alle Fälle aber seid ihr nicht stark genug, einen erfolgreichen Angriff zu führen. Man bräuchte eine kleine Armee dafür, und selbst dann wäre es ein Risiko." "Das mit der Armee überlasst mir." Alle schauten Flöte verwundert an, doch sie ließ sich nicht dazu herab, ihnen eine Erklärung zu geben. Statt dessen wurden sie von Flöte belehrt, dass sie schon wisse, was sie tue, und das es Zeit wäre, sich auf den Weg zu machen, wenn man die anderen nicht warten lassen wollte. Wer diese anderen waren, verriet sie allerdings auch nicht. "Nicht doch, seid vorsichtig, ihr könnt doch nicht einfach...!" Gades schloss seine Augen als Miranda mitten in das sich bewegende Gestänge griff und mit einer raschen Drehung des Schraubenschlüssels das Verbindungsstück wieder fest zog. Es machte leicht *klang*, als der Schraubenschlüssel noch eine leichte Abschiedsberührung einer der sich rasch bewegenden Stangen erhielt, dann wagte es Gades wieder, seine Augen zu öffnen. "Kein Grund, die Maschinen abzustellen, ich sagte es doch!" meinte Miranda mit hochgezogener Augenbraue, und ließ den Schraubenschlüssel in die Hand des Käseweißen Mechanikers neben ihr fallen. "Es ist nur eine Frage der Beobachtung und Vorausberechnung." Miranda drehte sich um und ging wieder zu dem Teil des Antriebes zurück, vor dem sie gestanden hatte, als der Mechaniker einen Fluch ausgestoßen hatte. "Männer und Technik..." meinte sie mit einem Schmunzeln. Das war das erste Mal, dass Gades wirklichen Humor bei ihr erlebte. Und jetzt verstand er auch ihr Verhalten besser. Sie war nicht unvorsichtig, wie er zuerst geglaubt hatte. Sie beugte sich so dicht über die Maschinen, dass manche Teile nur wenige Zentimeter an ihrem Gesicht vorbei flogen, ratterten oder drehte, doch sie war niemals, niemals von einer Bewegung überrascht worden. Trotzdem war das keine Garantie für die Zukunft. "Bitte seid vorsichtig! Der Boss reißt mir den Hals ab, wenn euch etwas passiert!" "Mir passiert nichts!" erwiderte Miranda abwesend im Ton, in dem man jemanden antwortet der feststellt, dass Regen nass ist. "Falls mir doch etwas passieren sollte, ist das ganz allein meine Schuld und Dummheit. Es ist Unsinn, jemanden für die Taten anderer verantwortlich zu machen. Dieses Zahnrad sollte im Übrigen bald ausgewechselt werden, es dürfte sonst in drei, vier Wochen brechen. Am besten, ihr baut gleich die ganze Maschine aus. Das ist so primitiv, dass es mir fast Angst macht." "Es ist das beste, was Asturia zu bieten hat." "Sagte ich doch." "Zumindest vor ein paar Jahren." schränkte Gades ein. Miranda sah ihn erstaunt an und lächelte dann. Es war das erste ehrliche, warme Lächeln, das er bei ihr sah. "Ihr seid stolz darauf, nicht?" Gades nickte steinern. Er war stolz auf den Crusador. Es war bei weitem nicht das größte Luftschiff Astorias, und mittlerweile auch nicht mehr das modernste, aber es war schnell, zuverlässig... und in gewissem Sinne sein Zuhause. Er hatte hier die letzten Jahre seines Lebens verbracht, und wäre es ein anderes Schiff gewesen, hätte er das wahrscheinlich nicht von sich behaupten können. Dann wäre er mit Sicherheit tot. Miranda lachte und schob ein paar ihrer Haare unter den Haargummi, der ihre Mähne vor Kontakt mit den Maschinen geschützt hatte. "Das zumindest ist ein Stolz, den ich verstehen kann." meinte sie schmunzelnd. Sie lächelte Gades beinahe schüchtern an, klopfte ihm auf die Schulter und ging weg. "Ich gehe in meine Kabine. Ihr könnt also beruhigt sein, ich werde nicht mehr in Gefahr geraten, von dem Schiff, auf das ihr so stolz seid, verletzt zu werden, Außer natürlich, es stürzt ab oder so." Gades schüttelte den Kopf. Frauen waren an sich schon kaum zu verstehen, aber diese... Für einen Moment hatte er doch tatsächlich geglaubt, sie würde mit ihm flirten. Miranda schloss die Tür hinter sich und lehnte sich seufzend gegen das kühle Metall. Was war bloß los mit ihr? Ihr Herz klopfte so heftig, und sie fühlte sich so seltsam beschwingt. Dabei war sie sich sicher, dass sie heute früh ihre Medizin eingenommen hatte. Warum also fühlte sie sich so seltsam? Es hatte angefangen, als die Fremden gekommen waren. Und jetzt eben im Maschinenraum war es noch schlimmer gewesen. Um ein Haar hätte diese Stange nicht den Schraubenschlüssel, sondern ihre Hand getroffen. Sie war sich sicher, dass es niemand bemerkt hatte, aber sie hatte sich tatsächlich vermacht. Das war ihr noch nie passiert. Das war gefährlich. Doch was war der Grund? Und würde es wieder passieren? Sie schmiss sich auf die harte Pritsche. Es störte sie nicht. Sie war an harte Betten gewöhnt. Nachdenklich betrachtete Miranda ihre Hand. Sie hatte irgendwie das Gefühl, ihre Hand müsste zittern, doch diese lag ganz still neben ihrem Kopf auf dem Bett. Was war bloß los mit ihr? *** Der Crusador hielt auf die Lichtung zu, die Flöte als Treffpunkt deklariert hatte. Natürlich hatte sie immer noch nicht gesagt, wen sie hier treffen sollten. Flöte schien in sich hinein zu horchen, dann lächelte sie. "Sie sind hier." erklärte sie zufrieden. Doch es war niemand auf der Lichtung zu sehen. "Ich sehe niemanden." bemerkte Van deshalb auch. "Sie sind hier." bekräftigte Flöte noch einmal und schwieg dann. Sie deutete lediglich auf einen runden Fleck auf der Lichtung, der sich beim näherkommen als ein vorbereitetes Lagerfeuer herausstellte. Alle hatten sich um das Lagerfeuer versammelt, doch von den Erbauern war weit und breit nichts zu sehen. "Sieh mal Allen!" rief Van da. "Hier sind Spuren. Spuren von großen Tieren." Allen trat zu Van, und seine Stimme klang leicht besorgt. "Du hast Recht. Spuren von sehr großen Tieren." "Darüber braucht ihr euch keine Gedanken machen." sagte Flöte, und das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde breiter. Sie strahlte wie ein kleines Kind, das den Eltern das selbstgemalte Bild als Geburtstagsgeschenk schenken möchte. "Mache ich mir aber." sagte Van. "Ich möchte nicht mitten in der Nacht von... von einem solchen Tier angegriffen werden, was immer es auch ist, das diese Spuren hinterlässt." Flöte winkte ab, und die Diskussion wurde ohnehin beendet durch einen lauten Knall, der das Brechen eines äußerst dicken Astes verkündete. Wie ein Mann zogen Allen und Van ihre Schwerter. "Sind das diese Tiere?" fragte Hitomi ängstlich. Ihre Frage wurde umgehend beantwortet, als ein riesiger, schuppiger Kopf durch die Blätter der Sträucher am Waldrand brach. Ihm folgte ein noch größerer, ebenfalls geschuppter Körper. "Ein Drache!" schrie Asuna und wich ein paar Schritte zurück. Van und Allen stellten sich beschützend vor die Frauen. "In den Crusador!" kommentierte Allen und bewegte sich langsam ein paar Schritte zur Seite, um sich von Van zu entfernen. Sicherlich wollte er den Drachen in die Zange nehmen, wenn er kämpfen musste. Doch Flöte konnte sich nicht mehr halten und lachte laut los. Hemmungslos liefen ihr die Tränen über das Gesicht. Von dem Drachen kam eine Stimme, die Hitomi bekannt vorkam. "Ich dachte, der Krieg wäre vorbei." Eine weibliche Stimme. "Steckt euer Schwert weg. Es wäre doch sehr schade, wenn wir euch grillen müssten. Eigentlich hatten wir das mit einem Wildschwein vor. Außerdem würde das unserer Freundin Hitomi sicher nicht gefallen." Der Drache senkte sein Haupt, so dass die Gestalt in seinem Nacken sichtbar wurde. Buntes Fell bedeckte den Körper der Katzenfrau. "Naria!" "Sie sind noch jung, deshalb konnten wir nicht mit Flöte und Akoth mithalten. Wir wären gerne gekommen Hitomi. Aber es ist sicherlich auch besser so. Drei Drachen auf einmal wären sicher ein bisschen viel gewesen für die armen Menschen in Fanelia." Eriya lachte und schlürfte dann an ihrem Tee. "Und welcher ist nun deiner?" "Der mit dem goldenen Streifen auf der Schnauze. Er heißt Donner. Der andere, Blitz, hat einen weißen Streifen. Genau wie die Haarfarbe bei Naria und mir." Hitomi stutzte. Eriya hatte recht, beide Drachen hatten, kurz unter den Augen beginnend, einen farbigen Streifen auf ihren hellroten Schuppen. "Ist ja komisch. So ein Zufall." "Ja, das ist wirklich erstaunlich. Wir waren gerade beim Baden, als ihr kamt. Was meinst du, wie schmutzig Drachen werden können." Eriya rollte mit den Augen, und Donner schnaubte vernehmlich. "Versteht er dich?" fragte Van neugierig. "Ja, natürlich. Sie verstehen euch auch... oder zumindest werden sie mal alles verstehen. Wie gesagt, sie sind jung... "Wo habt ihr denn gebadet?" fragte Thana "In dem See da hinten? Ist der groß genug für Drachen?" Naria lachte. "Groß genug schon, nur nicht tief genug. Sie mussten sich ganz schön winden, um überall nass zu werden." Eriya nickte. "Das stimmt. Da hatten wir es einfacher. Die heiße Quelle..." "Heiße Quelle!!!" Hitomi war aufgesprungen und ihre Augen leuchteten in fanatischem Feuer. "Ist das wirklich war? Eine heiße Quelle?" Sprachlos durch Hitomis Ausbruch konnte Eriya nur nicken. "Das ist fantastisch. Eine heiße Quelle! Endlich! Das ist etwas, das mich an Fanelia stört: keine heiße Quelle! Es ist eine Schande!" Hitomis Blick fiel auf Van und sie wurde ein wenig rot. "Äh... wenn ihr mich entschuldigt. Eriya, zeigst du es mir?" "Sicher." "Warte Hitomi, ich komme mit." rief Thana. "Und ich auch." meinte Asuna. Dann wandte sie sich an die Männer. "Die Damen nehmen jetzt ein gemeinschaftliches Bad. Die Herren der Schöpfung bleiben hier und kümmern sich um den Braten. Wenn wir einen von euch erwischen... na, ihr werdet euch gar nicht erst trauen." "Kein Grund, mich vorwurfsvoll anzusehen!" meinte Allen beleidigt und drehte den Kopf weg, konnte aber ein leichtes Grinsen nicht verbergen. "Also dann, bis in einer ganzen Weile." "Ahhhhh! Tut das gut!" Hitomi ließ sich mit geschlossenen Augen in das Wasser sinken. Es war nicht wirklich eine heiße Quelle, eher eine warme, aber es war nicht kalt und das war das wichtigste. Auf dem Crusador war wegen des Antriebs kein Mangel an heißem Wasser- an Wannen oder Duschen aber schon. "Und du willst nicht reinkommen, Eriya?" "Nein, nein, ich bin doch erst beim Drachenschrubben nass geworden. Und ein Katzenfell ist nun mal etwas langsamer beim trockenen als Menschenhaut." "Das kann ich mir gut vorstellen." "Hitomi?" Eriya schien zu zögern. "Ich weiß nicht, ob ich das fragen soll..." "Nur zu! Wir sind doch Freunde!" Asuna konnte nur staunen. Sie hatte sich beim Hinweg von Thana erklären lassen, wer die Katzenschwestern waren, und woher Hitomi sie kannte. Es war eine Geschichte, die Asuna sehr an ihre eigene erinnerte. Und nun sah sie wieder einmal aus erster Reihe, welchen Einfluss Hitomi auf andere hatte. Man konnte einfach nicht anders, als sie ins Herz zu schließen. Eriya zögerte noch einen Moment, setzte sich dann am Rand des Wasserbeckens hin und fragte "Wie steht es mit dir und Van? Ich meine, als wir dich das letzte Mal..." "Sie werden bald heiraten." plauderte Thana wie nebensächlich, während auch sie sich ins Wasser gleiten ließ. "Waaaaas? Stimmt das?" Eriyas Augen glühten. Hitomi nickte schüchtern. Eriyas Überraschung war verständlich, und trotzdem... "Ist was?" fragte Eriya "Ist dir das etwa peinlich?" ihr Mund verzog sich zu einem hinterlistigen Lächeln, dass Hitomi sehr genau von Merle kannte. "Nein, nein!" Wiegelte sie ab. "Es ist nur... es kam... überraschend. Nicht, dass ich mich nicht freuen würde oder so, ich meine..." Hitomi schaute in die Runde, unfähig zu sagen, was sie empfand, aber es war ihr so deutlich anzusehen, dass die Frauen laut zu lachen anfingen. "Die Entscheidung geschah ein wenig unter Druck." erklärte Thana Eriya und warf theatralisch die Arme in die Luft. "Politik. Und nun fragen sie sich natürlich, ob es richtig war, ob sie die Entscheidung bereuen werden... Lampenfieber halt, das übliche." "Hey, du musst nicht reden, als wäre ich gar nicht da!" "Ups! Habe ich dich doch glatt übersehen!" "Thana! Duuu..." wütend schlug Hitomi auf das Wasser und spritzte Thana voll. "HE! Hitomi! Das ist ungerecht! Was habe ich denn getan?" protestierte die ebenfalls getroffene Asuna. "Entschuldige, ich..." Weiter kam Hitomi nicht, denn Asuna wehrte sich und eine kleine Welle schlug in Hitomis Gesicht ein. Eriya sprang davon, bevor sie erneut nass werden konnte, und beobachtete lachend aus sicherer Entfernung den freundschaftlichen Wasserkampf. Asuna und Eriya gingen langsam zu den anderen zurück. Hitomi und Thana lagen noch im Wasser. Es dunkelte bereits, doch die beiden ungleichen Frauen hatten keine Probleme, den Weg zu erkennen. Seit sie sich getroffen hatten, lag eine gewisse Spannung zwischen Asuna und den Katzenfrauen in der Luft. Eine Anspannung, die dadurch entspannt, dass alle drei wussten, wer sie einmal gewesen waren. Alle hatten sie unter den Zaibachern gedient, hatten in ihrem Befehl Leben ausgelöscht... "Ungleich... und doch ähnlich." murmelte Asuna. "Was hast du gesagt?" fragte Eriya und blieb stehen. "Wie? Ohm nichts, ich war in Gedanken. Ich habe nachgedacht... über dich und mich, in gewissem Sinn..." Die angespannte Haltung der Katzenfrau kam einer Frage gleich. "Man sollte meinen, es gibt kaum Menschen, die unterschiedlicher sind als wir beide." setzte Asuna zu einer Erklärung an, wurde aber von Eriya unterbrochen, die leise auflachte. "Vor allem, da ich kein Mensch bin." "Du weißt, dass ich das nicht gemeint habe. Aber obwohl wir so unterschiedlich sind, haben wir vieles gemeinsam. Beide sind wir Opfer der Zaibacher, beide haben wir Dinge getan, auf die wir nicht stolz sein können." "Ich habe von dir gehört, Asuna. Eliandra hat mir und Naria von dir erzählt. Eigentlich hat sie es jedem erzählt, der in die Nähe kam. Sie war ziemlich stolz darauf, deine Abhängigkeit geheilt zu haben." "Ja, das habe ich gemerkt!" Asuna lachte. "Am Anfang hat sie noch gemeint, es wäre kein großes Problem." "Manche Lügen sind notwendig." "Ja, vielleicht. Worauf ich hinaus wollte ist dies: Unser aller Leben hat sich verändert. In gewissem Sinn zum Besseren, auch wenn uns jetzt unser Gewissen zu Boden drückt..." Asuna machte eine kleine Pause, lachte dann ein resigniertes Lachen und fuhr fort. Eriya hörte schweigend zu. "Aber um nichts in der Welt möchte ich die alten Zeiten zurück haben. Und wodurch hat sich unsere Situation geändert?" Langsam verstand Eriya, worauf Asuna hinaus wollte. "Es war Hitomi. Mit ihr hat alles angefangen. Durch sie hat sich diese Welt verändert." "Ja." Asuna nickte. "Aber was ich nicht verstehe ist: Wie? Ich meine, sieh sie dir an! Sie ist im Grunde ein ganz normales Mädchen. Ich will nicht sagen, dass sie dumm ist, nur..." "Naiv. Einfach." "Ja, einfach. Das ist es vielleicht. Bevor sie kam, war alles so kompliziert. Dann war sie da, und die Sachen begannen einfach zu werden. Es gab plötzlich nur noch eine Möglichkeit." "Nein." Widersprach ihr Eriya. "Es gibt immer mehrere Möglichkeiten. Jeder hat immer zu jeder Zeit die Wahl. Meist sind wir nur so festgefahren, dass wir meinen, uns bliebe nichts weiter übrig, als dem ausgefahrenen Weg zu folgen. Aber Hitomi..." "Aber Hitomi hat uns einen anderen Weg gezeigt. Einen einfachen Weg. Klar und direkt. Den richtigen Weg. Warum nur ist es ausgerechnet sie?" Eriya lachte erneut, laut und voller Belustigung. "Das ist die große Frage, nicht war? Wieso schafft ausgerechnet sie es, die Dinge auf den Kopf zu stellen? Wie schafft sie es, dass alle sie mögen?" "Genau, Eriya. Das ist die Frage, auf die ich keine Antwort finde." "Vielleicht sollten wir sie fragen? Wenn sie alles so einfach macht..." Asuna schüttelte den Kopf. "Nein, lieber nicht. Ich glaube, es gibt Dinge, die sollten nicht erklärt werden. Sonst verlieren sie noch ihren Zauber." "Da kannst du Recht haben." Eriya schaute Asuna nachdenklich an, ging dann auf sie zu und hielt ihr die Hand hin. "Hitomi würde jetzt wahrscheinlich sagen, irgendwer muss damit anfangen. Es ist ganz einfach, anzufangen. Also, was ist, Freunde?" Asuna starrte auf die pelzige Hand, dann streckte sie zögernd ihre eigene aus. "Kann nicht schaden." meinte sie und ergriff das Angebot. Eine Weile standen die beiden ungleichen Gestalten im Halbdunkel, dann umarmten sie sich. Zögernd, aber voller Wärme. "Ich glaube, wir sollten ins Lager zurück. Wir haben etwas zum Anstoßen." meinte Asuna schließlich. "Auf eine neue Freundschaft?" "Und auf eine gute, einfache Zukunft." Thana glitt lautlos durch die Gänge des Crusadors. Eigentlich hätte sie ja erwartet, dass Gades wie zuvor zu ihr kam, aber er war nicht erschienen. Nun stand sie vor seiner Tür und klopfte. Auf sein "Herein!" hin betrat sie seine schmale Kabine. Wenn noch mehr Passagiere an Bord kamen, blieb wohl nichts anderes übrig, als die Kabinen doppelt zu belegen, kam es Thana in den Sinn. Dann richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf Gades, der am kleinen Fenster stand und hinaus starrte. "Was willst du?" fragte er. "Ich habe mich nur gewundert, warum du heute nicht gekommen bist." antwortete Thana und legte die Arme um ihn. Sie spürte, wie er zusammen zuckte und trat einen Schritt zurück. "Was ist mit dir?" fragte sie. "Nichts." kam die einsilbige Antwort. Entschlossen drehte Thana Gades um und hielt seinen Kopf in ihren Händen, so dass er gezwungen war, sie anzusehen. "Ich habe das Gefühl, du weichst mir schon den halben Tag lang aus." meinte sie. Gades blickte an ihr vorbei. "Das stimmt nicht." gab er zurück, aber die Unsicherheit in seiner Stimme war deutlich zu hören. "Sieh mich an!" kommandierte Thana, bestimmt, aber immer noch sanft. Ihre Augen trafen sich erneut, und dieses Mal war sich Thana sicher. Sie lächelte. Es sah ein wenig schmerzhaft aus, aber nicht böse oder enttäuscht... "Also doch. Es ist diese Miranda, richtig?" "Ich weiß nicht, wovon du redest!" sagte Gades entschlossen und versuchte, Thanas Arme zur Seite zu schieben. "Ach Gades, warum machst du es so schwer? Du hättest mir doch bloß sagen brauchen, dass du dich in sie verguckt hast. Ich habe dir von Anfang an gesagt, unsere Beziehung stellt keine Ansprüche. Hast du vergessen, was ich bin? Hast du geglaubt, du könntest deine Gefühle vor mir verbergen?" "Ich weiß nicht, was ich geglaubt habe. Und ich weiß auch nicht, was meinen Gefühle sind, wenn ich tatsächlich welche für Miranda haben sollte!" Thana kicherte leise. "Oh ja, die hast du. Aber vielleicht weißt du es tatsächlich selbst noch nicht. So etwas soll ja häufiger vorkommen." Thana entließ Gades aus ihrer Umklammerung und er drehte sich wieder zum Fenster. "Sie ist kalt wie ein Eisblock." murmelte Gades. Thanas Lachen zwang ihn, sich erneut zu ihr umzudrehen. Thana legte die Arme um ihn und flüsterte ihm ins Ohr "Vielleicht ist sie aber auch einfach nur einsam, hast du darüber schon mal nachgedacht?" Gades sah sie verwundert an. "Damit du mich nicht vergisst!" sagte Thana und gab ihm einen langen und intensiven Kuss. Sie rauschte aus dem Raum und ließ einen verwirrten Gades zurück, der wieder einmal die Erkenntnis hatte, dass kein Mann eine Frau wirklich verstehen konnte. Thana auf dem Gang hatte sich gegen die Wand gelehnt und atmete schwer. Egal was sie gesagt hatte, so einfach war es auch nicht. Aber sie hatte von Anfang an gewusst, dass es nicht von Dauer sein würde, und lieben tat sie ihn auch nicht. Trotzdem hinterließ es eine Lücke. "Viel Glück, Gades." murmelte Thana und riss sich zusammen. "Euch beiden." Auf dem Rückweg zu ihrer Kabine blieb sie kurz vor der Tür von Miranda stehen. Doch dann entschied sie sich weiter zu gehen. Sie konnte niemanden zwingen. Gades zögerte. Aber er war nun hier, und es hatte keinen Sinn, wieder umzukehren. "Wer da?" drang Mirandas Stimme barsch durch die Tür. Gades öffnete sie einen Spalt weit. "Ich bin es, Gades. Ich wollte nur wissen, wie weit du mit den Plänen bist." Miranda saß an ihrem Tisch, den Kopf in die Hände gestützt und starrte auf die Pläne der versteckten Festung. "Ich bin im Grunde fertig." sagte sie etwas sanfter. "Aber ich versuche immer noch einen einfacheren Weg zu finden." "Du solltest dich nicht überanstrengen." meinte Gades und trat hinter sie. Die Karte war übersäht mit Zeichen und Strichen, die er nicht zu deuten verstand. Auch einige Notizen in feiner, zierlicher Handschrift waren darauf. Sie mussten von Miranda stammen. "Ich bin daran gewöhnt, lange zu arbeiten." erwiderte Miranda und rollte mit den Schultern. "Verspannt?" "Ja. Auch wenn ich daran gewöhnt bin... was machst du?" fragte sie erschrocken. "Was denkst du denn, was es ist?" fragte Gades lächelnd zurück und fuhr fort ihre Schulter zu massieren. "Das tut gut!" meinte Miranda nach einer Weile und konnte sich endlich entspannen. "Sehr gut..." *** Leise drang das Dröhnen der Motoren auf die Brücke des Crusadors, und langsam schob sich das von allem Leben bare Dorf in Sichtweite. "Gespenstisch." murmelte Naria. Sie und ihre Schwester standen am Fenster und schauten ungläubig auf das Dorf unter ihnen. Es zu sehen war anders, als bloß davon zu hören. Noch immer mieden selbst die Vögel das Gebiet über dem Dorf. Die Haare der beiden Katzendamen sträubten sich als Reaktion auf die Gefühle ihrer Besitzer, aber nicht bloß ihrer. "Wir gehen zu Donner und Blitz. Sie spüren irgendwas und haben Angst." verkündete Eriya und lächelte warm. "Es sind halt noch Kinder, und brauchen ihre Mütter!" "Und du?" fragte Asuna Miranda. "Hast du Angst?" Miranda zögerte. "Kein Angst." antwortete sie schließlich. "Mehr... Entsetzen. Ich weiß nicht, ob es Einbildung ist, aber ich glaube das Entsetzen der Dorfbewohner noch spüren zu können." "Das ist keine Einbildung." meinte Thana. "Davon abgesehen, dass jeder hier Entsetzen empfinden muss... bei jedem Tod bleibt ein Eindruck der letzten Gefühle des Sterbenden zurück. Je grässlicher der Tod, und je mehr Leute gestorben sind, desto länger und stärker bleibt etwas zurück. Wer dafür empfänglich ist, kann es spüren." "Das klingt, als ob du daran glaubst." sagte Miranda. "Ich glaube nicht daran, ich weiß es. Denn ich bin jemand, der es spüren kann. Es ist nicht leicht, sich dagegen abzuschirmen, jedenfalls für mich." Thana lächelte "Ich glaube, jeder Mensch hat ein wenig dieser Gabe. Aber den meisten gelingt es sehr gut, die Gefühle anderer aus ihren Herzen zu verbannen. Aber selbst für diese Leute gibt es Orte, an denen sie die Vergangenheit auf diese Weise spüren können. Eine Wiese, die niemand betritt, obwohl keiner sagen könnte, warum, und bei der sich dann herausstellt, dass es einmal ein Schlachtfeld war. Eine Kirche, die selbst mit geschlossenen Augen Ehrfurcht einflößt. Eine Ruine, in der das unbewusst empfangene Gefühl, dass dieser Ort einmal bewohnt war, nun aber nicht mehr ist, Angst verursacht, Angst vor der eigenen Vergänglichkeit... all das sind Dinge, die jeder Mensch empfingen kann." "Das klingt voller... Ehrfurcht." bemerkte Miranda nachdenklich. "Ehrfurcht vor dem Unsichtbaren?" Thana schüttelte den Kopf. "Eher Ehrfurcht vor der Schöpfung. Ich..." Mehr bekam Hitomi nicht mit. Die Welt um sie herum wurde schwarz und sie fühlte, wie die Beine unter ihr nachgaben... Pulsierendes Licht umgab sie. Die Umgebung wirkte verschwommen, wie durch eine alte Glasscheibe verzerrt. Geräusche drangen an ihr Ohr, klirrendes Metall, verwaschene Stimmen. Von Energiefluss redeten sie und erneuter Aufladung und Zellaktivierung und Zielen und Eindringlingen. »Wo bin ich hier?« fragte sich Hitomi. »Was ist das für ein Ort?« Wie zur Antwort schwebte sie nach vorne, durch das Glas hindurch, und sie erkannte nun, dass es zu einer riesigen, Angst einflößenden Maschine gehörte. »Was ist das?« Ihr Blick richtete sich auf die verhüllten Gestalten, die um einen Steintisch versammelt waren. Ein Mensch schien auf diesem Tisch liegen, doch sie konnte ihn nicht erkennen, er lag im Dunkeln. Die Gestalten drehten sich um, als ob sie Hitomi nun endlich bemerken würden. Dort, wo ihre Augen hätten sein müssen, waren bloß leere, ins unendliche Schwarz getauchte Höhlen. Kein Haar und keine Haut bedeckte die Knochen der Totenschädel. "Aaaaaaaaaahhhhhh!" "Hitomi! Hitomi! Hörst du mich! Was ist los!" Diese Stimme... "Van? Van, bist du das?" Hitomis Sicht klärte sich, und sie sah in das besorgte Gesicht von Van und Thana. Sie lag auf dem Boden. Dunkel erinnerte sie sich noch daran, dass jemand sie aufgefangen hatte, wahrscheinlich war es Van gewesen... Wie durch einen Nebel hörte sie Kios Stimme, die besorgt von hinten rief "Boss, etwas stimmt mit den Drachen nicht. Die Katzen können sie nicht beruhigen, es sieht aus, als ob die Drachen denken, sie stehen direkt vor der Hölle..." "O Gott!" Hitomi setzte sich auf, und ihr wurde schwindelig. Sie klammerte sich an Van fest. "Van, mir müssen sofort von hier verschwinden!" "Aber warum..." "Sofort!" Die schrille Panik in Hitomis Stimme ließ Van aufblicken. Seine Augen trafen die von Allen, und der Ritter des Himmels nickte. "Volle Kraft voraus!" kommandierte er mit lauter Stimme. "Kurs West! Höchste Geschwindigkeit!" Die Motoren des Crusadors verstärkten ihr Brummen, und das Luftschiff legte sich in eine leichte Kurve. So kam der Wind von hinten, nicht zu unterschätzen bei einem so großen Gefährt, selbst bei leichtem Wind. "Schneller! Wir müssen schneller fliegen!" kreischte Hitomi. Bilder steigen in ihr auf, von bleichen Menschenschädeln in den Kleidern ihrer Freunde. "Schneller!" rief sie noch einmal verzweifelt, dann verlor sie das Bewusstsein. Van hielt sie unschlüssig in seinen Armen, doch dann sah er auf, als er Flöte murmeln hörte. Das Gesicht der Kindgöttin war angespannt und leichenblass. Sie hatte Angst. Van lief ein kalter Schauer über den Rücken. Wenn eine Göttin Angst hatte, war das Grund genug auch Angst zu haben, wenn er auch keine Ahnung hatte wovor. Ein Ruck ging durch das Luftschiff, ein irrsinniger Sturm tobte um den Crusador und riss die Steuersegel in Sekundenbruchteilen in kleine Fetzen. "Was soll das?" rief Van, doch noch während er das fragte, wusste er, was Flöte damit bezweckte. Schneller als jemals zuvor flog der Crusador über die Landschaft, umgeben von dunklen Sturmwolken vor einem roten Himmel. Das Rot war am intensivsten dort, wo der Crusador eben noch gewesen war. »Blutrot.« bemerkte Van. Der Himmel riss dort auf, wo das Rot am intensivsten war, rot wie Rubine, und ein fahles, kaltes Licht tauchte die Landschaft in seinen erschreckenden Schein. "Was zum Teufel ist das!" entfuhr es Allen, und Flöte antwortete leise, aber für jeden hörbar "Das ist das Licht des Todes, das Licht, dass allem Leben die Energie entzieht und es zu leblosen Klumpen Materie macht, toter als die Oberfläche des kalten Mondes." Starr vor Entsetzen konnte Van seinen Blick nicht von dem abwenden, was sich hinter dem Crusador in so grellem Licht abspielte. Bäume verdorrten, noch während er sie ansah, Vögel fielen reglos vom Himmel, und wo sie auf die nun leeren Äste trafen, zerfielen diese mitsamt den Vögeln zu grauem, leblosen Staub. Neben sich hörte er Kio auf die Knie sinken und Gebete herunterrasseln. Er drehte den Kopf und sah, wie sich die Lippen des Soldaten scheinbar lautlos bewegten, und obwohl er nichts hören konnte, verstand er jedes Wort "...mich in die Hände der Götter, dein mein Leben ist nun beendet, meine Seele soll in Frieden ruhen..." Das unheimlich Licht hinter ihnen verblasste, flackerte und verschwand, und zurück blieb nur ein großer Kreis ohne Leben. "Eigentlich sollte ich beleidigt sein, dass du mir so wenig Vertrauen entgegenbringst, obwohl du zu so vielen Göttern betest." Flötes Stimme klang hohl. Van fragte sich, ob es an ihm oder an Flöte lag. In seinen Armen regte sich Hitomi, und Van drückte sie glücklich an sich. "Was... Sind wir... ist jemand..." stammelte sie und versuchte sich aufzurichten. "Alles in Ordnung. Wir leben noch. Wir sind noch mal davon gekommen. Dank deiner Warnung. Und Flöte." fügte er schnell hinzu. Doch die Kindgöttin schien ihn nicht gehört zu haben. Sie starrte aus dem Fenster. "Ist was?" fragte Thana ängstlich. Zu ihrer Erleichterung schüttelte Flöte mit dem Kopf, wies dann aber nach draußen. "Wir sind außer Gefahr. Für meinen Geschmack aber ein wenig zu knapp." Allen schaute dorthin, wo Flöte hinwies, und die gerade wieder in sein Gesicht zurückkehrende Farbe verschwand aufs Neue. "Das gibt es doch nicht!" brachte er heiser hervor. Der Steuerbordrotor des Crusadors hatte seine Farbe geändert. Er war jetzt rostrot, und noch während Allen ihn anstarrte, flatterten die hölzernen Teile des Gestänges in schwarzen Fetzen davon und zerstoben im Wind. LMMI 4 Kapitel 6 ---------------- Kapitel 6 Van und Allen gingen voran, die Schwerter gezogen. Hinter ihnen folgen Thana, Asuna Hitomi, Miranda und Flöte. Den Schluss bildeten die beiden Katzenschwestern. Van und Allen hatten sich vehement dagegen ausgesprochen, dass die ganzen Frauen mit den Stoßtrupp bildeten, der die versteckte Festung angreifen sollte. Aber sowohl Thana als auch Asuna hatten gemeint, dass sie auf Grund ihrer Herkunft durchaus in der Lage waren, sich zu verteidigen. Auch Miranda war von ihrer Wehrhaftigkeit überzeugt, und hatte zum Beweis aus dem Nichts einen gefährlich aussehenden Dolch gezaubert, und dem völlig überraschten Allen einen kürzeren Haarschnitt verpasst. "Ich habe diese Nacht sehr tief und entspannt geschlafen. Ich habe keine Angst." hatte sie gesagt und dann einen Augenblick gezögert. "Ein langes Schwert wäre aber eventuell angebrachter." hatte sie dann in Anbetracht der bevorstehenden Ereignisse gemeint. Gades, der Miranda in die Waffenkammer geführt hatte, hatte nicht schlecht gestaunt, als sie sich eines der größeren Exemplare ausgesucht hatte. "Ist das nicht etwas zu schwer?" Hatte er gewagt einzuwenden, und hatte einen beleidigten Blick als Antwort bekommen. "Ich hantiere jeden Tag mit sehr schweren Maschinen. Da bekommt man gute Muskeln." Dann aber hatte Miranda geheimnisvoll gelächelt. "Es wird mir eine Freude sein, euch bei Gelegenheit das Leben zu retten." Nach diesen Worten war sie gegangen und hatte den verstörten Gades in der Waffenkammer stehen lassen. Hitomi wiederum hatte sich nur zu Van gebeugt, und ihn flüsternd an eine bestimmte Begebenheit vor ein paar Tagen erinnert, nach der er zugeben musste, dass sie durchaus auch in der Lage war, mit einem Schwert umzugehen. Hitomi selbst war allerdings nicht so sehr froh. Sie hatte gelernt zu kämpfen, ja, aber konnte sie auf jemanden schlagen mit der Absicht ihn zu verletzen oder gar zu töten? Flöte hatte diese Gedanken wohl von ihrem Gesicht abgelesen und innerhalb weniger Sekunden hielt Hitomi einen Kampfstab in der Hand, gewachsen aus einem Ast, den Flöte von einem Baum gepflückt hatte. "Wir wollen ja auch den ein oder anderen lebend, oder?" Hatte sie mit funkelnden Augen gefragt, die aussagten, dass es aber nicht nötig war, sehr viele Gefangene zu machen. Selten hatte Hitomi eine solche Entschlossenheit in den Augen der kleinen Kindgöttin gesehen und sich schaudernd abgewandt. Flöte schienen diese Lebensexperimente besonders nahe zu gehen. Im Übrigen hatte niemand gewagt, auch nur daran zu denken, Flöte davon abhalten zu wollen, mit die Spitze des Angriffs zu bilden, auch wenn keiner darüber nachdenken wollte, wie sie zu kämpfen gedachte. Allen und Van duckten sich hinter die Felsen und machten Zeichen, dass auch die anderen in Deckung gehen sollten. Der Eingang zu der unterirdischen Anlage lag direkt vor ihnen, was sich aber nur denen offenbarte, die wussten, wonach sie Ausschau halten sollten. Lediglich die Regelmäßigkeit der Löcher in der Felswand verriet die Position des Tores. "Und selbst die bekommen wir nur zu sehen, wenn sie in Verteidigungsbereitschaft sind, also die Geschütze an die Oberfläche gefahren haben und die Tarnversiegelungen geöffnet sind. Wenn das nicht passiert, brauchen wir gar nicht erst dahin gehen." hatte Miranda ausgeführt. Auf die Frage, wie man dann die Verteidiger veranlassen konnte, ihre Tarnung aufzugeben, hatte sie nur gelacht. "Das sind auch nur Menschen. Wenn der Crusador ganz offensichtlich auf der Suche nach dem Eingang ist und sich dabei mehr oder weniger direkt auf sie zu bewegt, werden sie früher oder später auf die Idee kommen, sich der ganzen Angelegenheit durch ein paar gut platzierte Schüsse zu entledigen. Sie werden denken, bis jemand kommt, der nach dem Crusador Ausschau hält, sind alle Spuren beseitigt und damit auch alle, die den Eingang finden könnten." "Aber werden sie nicht glauben, dass es noch jemand gibt, der das Geheimnis kennt?" hatte Hitomi gefragt, und wieder hatte Miranda gelacht. "Sie sind Verschwörer, heimlich und misstrauisch. Sie werden gar nicht auf die Idee kommen, wir könnten jemanden zurück lassen, der dieses Wissen hat. Sie würden alle mit diesem Wissen unter persönlicher Kontrolle halten wollen, und werden davon ausgehen, dass es bei uns genauso ist. Der durchschnittliche Verschwörer ist nicht besonders fähig, was das Verstehen von Freundschaft, Hilfsbereitschaft oder Vertrauen und ähnlichem angeht." Wieder hatte sie gelacht, doch dieses Mal klang es traurig. "Glaubt mir, ich weiß wovon ich rede. Ich bin da nämlich nicht viel anders." An diesen Satz musste Hitomi nun denken, als sie auf dem Bauch neben Miranda im Versteck lag. "Miranda?" fragte sie leise. "Du solltest den Mund halten." ermahnte Miranda sie zischend. "Es gibt da drüben auch Geräte, die Geräusche von außen verstärken." "Tut mir leid." flüsterte Hitomi. "Ich wollte dir bloß sagen, du bist nicht so schlecht, wie du von dir denkst." Miranda drehte erstaunt den Kopf zu ihr, doch bevor sie noch irgendetwas erwidern konnte- falls sie sich das in Anbetracht der Gefahr erlaubt hätte- unterbrach sie ein lautes Poltern, das Gespräche leiser als Schreien unmöglich machte. "Es geht los!" las Hitomi von Thanas Lippen ab, die auch neben Miranda lag. Sie sprach damit aus, was in diesem Augenblick jedem von ihnen klar war. Die Felswand vor ihnen kam in Bewegung, und nun wurde offensichtlich, dass sie in Wahrheit aus vielen einzelnen Teilen bestand, die sich so über und nebeneinander legten, dass die perfekte Illusion eines natürlich gewachsenen Felsens entstand. Eine wahrhaft beeindruckende Konstruktion, wie Hitomi zugeben musste. Sie blickte zurück zu Eriya und Naria, die ihre Augen in tiefster Konzentration geschlossen hatten. Eine Sekunde später öffneten sie ihre Augen in beängstigender Gleichzeitigkeit und nickten. Von ihrer Seite war der Plan somit ins Rollen gebracht. Auf der Gegenseite schoben sich inzwischen die Läufe der Geschütze gänzlich aus ihren Verstecken und reckten sich alle in die gleiche Richtung. Plötzlich verstummte das Quietschen und Kreischen der sich bewegenden Felsen und Geschütze, und eine gespenstische Ruhe kehrte ein. "Die Ruhe vor dem Sturm." sagte Miranda leise, und sprach damit Hitomis Gedanken aus. "Gleich werden sie zu feuern beginnen. Ich hoffe, der Crusador hält das aus." Das war das größte Risiko in ihrem Plan. Wenn die Geschütze Zeit für mehr als ein oder zwei Salven hatten, würde der Crusador mit großer Sicherheit zerstört werden. Deshalb waren auch nur so wenig Personen wie möglich an Bord, der Rest der Crew wartete ein paar hundert Meter entfernt auf den Augenblick, wenn das Vorauskommando die Festung zu stürmen beginnen würde. Sie hätten dann die Aufgabe, ihnen den Rücken zu decken und das Gebiet zu sichern. Das Donnern der Geschütze zerriss die Stille genauso plötzlich, wie sie gekommen war, und das Pfeifen der Geschosse und heiße Atem der Abschüsse schlugen den Angreifern ins Gesicht, gefolgt vom Gestank der erhitzen Luft. Die Abwehrgeschütze hatten ihre erste vernichtende Salve gefeuert. Lederne Flügel durchschnitten die Luft. Donner und Blitz, die beiden Drachen der Katzenschwestern kannten ihr Ziel. Weit neben ihnen wurde das menschliche Flugschiff, das scheinbar so mühelos der Schwerkraft trotzte, erschüttert. Der eben erst notdürftig reparierte Heckrotor zerbarst in tausend kleine Teile und eine weitere Explosion riss ein Mannsgroßes Loch in die Seite. Dann sahen die Drachen die Geschützstellungen. Sie hatten sich im Schutze der Einschnitte herangeschlichen, dort, wo Wind und Wetter tiefe Kerben in die steile Flanke des Berges geschlagen hatte. Es war ein harter, schwerer Aufstieg gewesen. Das letzte Stück hatten die Drachen laufen müssen, eine Tortur für diese Kreaturen der Lüfte. Aber nun konnten sie sich für alle Anstrengungen rächen. Drachen sind keine dummen Geschöpfe, erst recht keine Wächterdrachen. Ihre Instinkte waren stark, genau, und gefährlich. Ihre Vorfahren waren erschaffen worden, um Leben kämpfend zu beschützen, und dieses Erbe tobte in ihren Adern, in ihren Gedanken und in den Teilen ihres Körpers, die für das berüchtigte Drachenfeuer zuständig waren. Es heißt, Drachenfeuer sei unlöschbar. Das stimmt natürlich nicht, nichts ist unlöschbar, aber Drachen erschaffen ihr Feuer aus Chemikalien, die zusammen gebracht eine unglaubliche Hitze erzeugen und selbst unter Wasser reagieren. Sie werden aus zwei verschiedenen Drüsen in ihrem Maul in die Luft geschossen, und wo sich diese Strahlen treffen entsteht eine Reaktion, die stark genug ist selbst besten Stahl schmelzen zu lassen wie Eis im Backofen. Die Hitze ist allemal genug, um Schießpulver wie jenes der Zaibacher zu entzünden. Mit einem Mark erschütternden Schrei tauchten die beiden Drachen scheinbar aus dem Nichts auf, flogen dicht über den Boden, die Mäuler weit geöffnet. Ihre Drüsen traten in Kraft, und zwei weiß glühende Flammensäulen brachen sich ihre Bahn zu den Geschützen. Wo sie auf das Gestein trafen begann es zu schmelzen, in großen Tropfen kleckerte es herab, verstopfte die Geschützlöcher. Dann war die Hitze groß genug. Die erste Granate explodierte und das war der Anfang vom Ende. Eine Kettenreaktion setzte ein und nur einen Augenblick später flog der halbe Berg in einer Ohren betäubenden Explosion auseinander. Felsbrocken von der Größe eines kleinen Hauses stiegen in die Luft und krachten erst hundert Meter weiter zurück auf die Erde. Kleinere Steine, von der Größe eines Wassereimers, flogen einen Kilometer weit, und Faustgroße Exemplare prasselten sogar noch auf den Crusador nieder. Es schien wie eine kleine, vorbereitende Probe des Weltunterganges. Hitomi schüttelte den Kopf, um das Klingeln aus ihren Ohren zu bekommen. Sie sah, wie Allen aufstand und etwas rief, verstand aber kein Wort. Trotzdem war klar, was er wollte, und jeder griff nach seiner Waffe und rannte los. Staub und kleine Steine rieselten immer noch herab, und die Hitze, die aus dem Berg kam, machte das Atmen noch schwerer. Hitomi musste husten und den anderen erging es nicht besser. Sie sah, dass Van eine blutige Schramme am Arm hatte. Er schien sie nicht zu spüren. Hitomi blickte an sich herab. Auch an ihrem Bein war ein blutiger Fleck, nichts Ernstes, aber sie hatte es nicht gespürt. Sie spürte jetzt immer noch nichts. Nicht einmal als ihre Beine stolperten merkte sie etwas. Nur vage war sie sich der stützenden Arme Mirandas bewusst, die sie vor dem Fall bewahrten. "Das lief besser als ich dachte!" sah Hitomi die honigblonde, nun aschgraue Frau schreien, und vernahm ihre Worte wie ein Flüstern neben den Niagarafällen. "Das heruntergetropfte Gestein hat verhindert, das die Explosion sofort nach außen dringen konnte, und hat einen großen Teil der Energie nach innen geleitet! Vermutlich ist die eine Hälfte da drin tot oder bewusstlos und die andere Hälfte taub! Ich hätte aber auch nie gedacht, dass hier soviel Munition lagert! Das muss erst im letzten Jahr passiert sein, nach dem ursprünglichen Bauplan wäre gar nicht der Platz gewesen!" Hitomi hörte ihre Worte, verstand die meisten und konnte doch nichts damit anfangen. Noch immer halb betäubt von der Wucht der Explosion taumelte sie mit den anderen zusammen über die Reste der Felswand des ehemaligen Einganges. Es war nicht wirklich dunkel. Auch wenn alle künstlichen Lichtquellen zerstört waren und die Sonne nur schwach durch die Staubwand kam, das Gestein an manchen Stellen glühte noch und Hitomi spürte, wie die Sohlen ihrer Schuhe zu qualmen anfingen. Es war heiß wie in der Hölle. Doch zum Glück setzte jetzt ein Wind ein, der die größte Hitze nach außen trieb. Kühlere Luft, eiskalt im Vergleich zu der im Inneren der Höhle, strömte herein. Sie stolperten über weitere Trümmer und schließlich kamen sie, dreckverkrustet und nach Luft schnappend zu einem Bereich, bei dem die Explosion nicht mehr stark genug gewesen war, um die steinernen Wände einzureißen. Es war fast ein Wunder, dass nicht der ganze Berg zusammen gestürzt war. "Wo lang?" fragte Allen schreiend, und Hitomi konnte ihn fast gut verstehen. "Der Gang teilt sich da vorne!" "Ich weiß nicht genau!" rief Miranda als Antwort zurück. "Ich müsste wissen, wo genau wir sind, aber die Explosion..." sie breitete hilflos die Arme aus. Der Gang vor dem sie standen hätte einer von Hunderten sein können. Im Moment sahen alle gleich aus: kahl und voller Trümmer. "Wir teilen uns auf!" kommandierte Allen. "Ich gehe mit Thana und..." "Nein!" unterbrach ihn Thana. "Wir gehen zusammen! Außer uns gibt es nur noch ein halbes Dutzend, das ich spüren kann, und die sind alle an einem Ort. Folgt mir!" Allen sah Van fragend an, der zustimmend nickte. Und so rannten sie alle gemeinsam durch die Gänge der zerstörten Festung. Manchmal hielt Thana kurz inne, lauschte in sich hinein und rannte dann weiter. Der Weg führte vorbei an herabgefallenen oder von der Explosion hereingefegten Steinen und Öffnungen in den Gangseiten, die einstmals hölzerne Türen gewesen waren. Türen aus Metall hatten einen anderen Farbton als gewöhnlich, und die Verzierungen darauf wirkten verschwommen und nach unten verlaufen. "Wieso..." fragte Hitomi und schluckte. "Wieso finden wir keine Leichen?" Ihr wurde bewusst, dass sie irgendwo unterwegs ihren Kampfstab verloren hatte. "Die werden alle am einzigen Eingang gewesen sein." antwortete Van. "Und was von denen nicht verkohlt ist, ist nicht groß genug um gefunden zu werden." Wäre Van nicht ebenfalls noch geschockt gewesen, hätte er diese Worte mit Sicherheit nie gesagt. Auf keinen Fall, wenn Hitomi in der Nähe war. Der Würgereiz in ihrer Kehle wurde unerträglich als sie daran dachte, dass einige der Staubteilchen die sie eingeatmet hatte vielleicht... Nicht nur sie erbrach sich, als sie Sekunden später die Überreste von jemandem fanden, der hier im Gang war als die Explosion erfolgte. Seine Haut war geschmolzen wie Wachs und sein Gesicht war nur noch eine verzerrte Karikatur eines menschlichen Antlitzes. Schwarzer Staub auf Kinn und Kopf markierte die Bereiche, die einmal von Haaren bedeckt waren. Seine Hand war untrennbar mit dem Griff seines Schwertes verschmolzen. Thana führte sie wankend weiter, von Zeit zu Zeit zusammen zuckend und Worte murmelnd, die niemand hören wollte. Dann standen sie endlich vor einer Tür, deren Markierungen und Schriftzeichen sie als die Tür zum Innersten, zum Allerheiligsten auswies. "Sie sind da dahinter." erklärte Thana. "Im Raum mit den Maschinen." Sie musste nicht erklären, was für Maschinen sie meinte. Alle hatten das Zeichen in Mirandas Archiv gesehen, das aussagte: Lebenstransferraum! Unbefugtes Betreten bei Strafe Verboten! Lebensgefahr! Auch jetzt war das Zeichen deutlich sichtbar, wie ein Hohn auf die Toten, die diese Experimente und ihre Resultate gefordert hatten. Letztendlich hatte der Tod alle die ereilt, die so das Leben verlängern wollten. Alle, bis auf die hinter dieser Tür. Allen stieß sie auf, das Schwert im Anschlag und stürmte hinein, dicht gefolgt von Van... Der Raum ist groß, der freie Platz überraschend klein. Nur ein breiter Gang zwischen Maschinen, am Ende ein Gestell wie eine Streckbank, darauf ein Körper in grauen Gewändern. Um das Gestell herum sieben Männer, in die schwarzen Gewänder der Zaibacher Hexer gekleidet. Die Männer fahren herum als die Tür mit einem dumpfen metallischen Schlag gegen die Wand donnert. Ihr Anführer reißt den Arm herauf. "Tötet sie!" Schreit er, doch seine Worte gehen unter in dem Schrei der hinter Hitomi ertönt. Noch bevor sie sich umdrehen kann wird sie angerempelt und stürzt zu Boden. Asunas langes Schwert kreischt über den Boden, als sie es in einem Bogen hochreißt. Aus ihrer Kehle dringt nur ein Wort, ein Name, und dieser Name enthält allen Hass, den nur ein ganzes Leben voller Bitterkeit und Abhängigkeit hervorbringen kann, einen Hass, der unversöhnlich ist und nur nach einem verlangt: nach Blut! Niemand stellt sich ihr in den Weg, jeder ist gelähmt vor schierem Entsetzen vor der Frau, die mit Mord in den Augen auf die vorderste Gestalt zuläuft. "Stirb, Abathur, stirb! Heute wirst du für alles büßen, das du mir angetan hast!" Im letzten Augenblick kann der Hexer seine Lähmung abschütteln und hebt die Hand. Das Schwert fährt durch den Arm hindurch, durchtrennt das Handgelenk an der Wurzel und sinkt weiter nach unten. Knirschende, splitternde Knochen sind im ganzen Raum zu hören, als Asunas Schwert in die Schulter Abathurs dringt und ihn in zwei Hälften zu teilen beginnt. Erst kurz über dem Bauch ist Schluss damit, das Schwert bricht knallend entzwei und der Hexer tot zu Boden. Der deutlich hörbare Aufschlag seines Schädels auf den metallenen Boden ist wie ein Zeichen. Die restlichen acht Hexer beginnen schreiend auf den Ausgang zu zu laufen, dabei mit ihren Messern auf alles einstechend, was ihnen in den Weg kommt. Allen und Van bleibt nichts anderes übrig, als sie mit ein paar schnellen Schwertstreichen zu töten. Als der letzte Hexer fällt, sinkt die bis dahin still da stehende Asuna vor der Leiche Abathurs auf die Knie und beginnt, mit ihrem abgebrochenen Schwert auf den Leichnam einzustechen. Tränen und Schluchzer mischen sich in die Schreie der Wut, die Ausdruck davon sind, dass der Hexer schlussendlich auf eine Art doch noch davon gekommen ist. Allen tritt hervor und reißt Asuna von der Leiche weg. Er gibt ihr einen Schlag und sie hört auf sich zu wehren. Weinend bricht sie zusammen, das Schwert entgleitet ihren Fingern und fällt zu Boden. Ein lautes Scheppern ertönt und... für Hitomi fiel die Welt wieder an ihren gewohnten Platz. Die Augen immer noch auf den toten Hexer gerichtet stolperte sie zu dem Tisch in der Mitte des Raumes. Wie von selbst wanderte ihre Hand zu der Kapuze, zitterte, und ergriff dann den Rand des Stoffes. Mit einem schnellen, entschlossenen Ruck legte sie das Gesicht frei und ungläubiges Staunen breitete sich in ihrem Kopf aus. "Das ist unmöglich. Folken!" *** Folkens Körper lag auf dem Tisch in Thanas Kabine. Sie hatte sich darüber geärgert, dass sie dieses riesige Etwas in ihrem Raum stehen hatte, so dass kaum noch Platz blieb. Welcher Verrückte auch immer diesen Tisch hier angeleimt hatte- und das musste er sein, bei einem heftigen Flugmanöver hätte er sonst den ganzen Raum verwüstet- nun war sie ihm dankbar. Ihre Kabine war die erste gewesen, die sie hatten erreichen können, und sie hatten es eilig gehabt. Der Berg, so ausgehöhlt wie er war, war schließlich kollabiert und zusammen gebrochen. Der Crusador hatte kaum den Boden verlassen, als der Berg auch schon in Ohren betäubendem Getöse zusammen gerutscht war und hässliche Spalten das Gestein aufrissen. Thanas Blick wanderte erneut zu Folkens Körper, und dann sein Gesicht hinauf. Er hatte eine reich bestickte Robe an, die für Thanas Geschmack aber zu sehr nach Leichengewand aussah. Sein Gesicht vereinte Starrheit und Sanftheit auf eine hintergründige, verschwommene Art. Thana spürte das Verlangen, mit ihrer Hand über seine Wange zu streichen um sich zu vergewissern, dass er tatsächlich da war, und nicht nur eine Emanation der Vergangenheit. "Und du bist dir sicher, dass er tot war?" hörte sie sich zum zweiten Mal fragen, und auch jetzt antwortete Hitomi, wenn auch weniger verstört als beim ersten Mal, mit einem klaren ja. "Ich bin mir ganz sicher. Ich habe gesehen wie die Spitze seines eigenen Schwertes sein Herz durchbohrte und er dann zu Boden stürzte, mindestens zehn Meter tief. "Dann kann er das nicht überlebt haben." Meinte Allen. "Und doch liegt er jetzt hier und atmet." "Ich habe es euch doch erklärt!" entgegnete Flöte gereizt und legte erneut ihre zierlichen Hände auf seinen Körper. "Es ist zum verrückt werden!" murmelte sie und Thana, die langsam genug davon hatte, trat neben Flöte und fragte "Was?" "Er lebt, ja." Erklärte Flöte verwirrt. "Aber gleichzeitig auch nicht, zumindest nicht vergleichbar mit irgend etwas, das ich je erlebt habe." "Wie meinst du das?" fragte Hitomi alarmiert, die immer noch mit Van vor der Tür stand. Van hatte sich seinem Bruder keinen Schritt mehr genähert und ihn nur mit einer Mischung aus Bestürzung und Angst angesehen. "Wie soll ich das erklären?" versuchte Flöte in Worte zu kleiden, was nicht sein konnte. "Jedes Lebewesen hat eine einzigartige Aura. Jemand wie ich kann an dieser Aura sogar die Person erkennen, nicht nur Art oder Alter... aber Folken hier, nun, er ist Nichts. Es ist, als ob er nicht da wäre, und trotzdem kann ich ihn anfassen, ihn berühren und ich könnte ihn hören wenn er sprechen würde." Thana beugte sich über Folkens Gesicht. Er sollte nicht da sein? Es schien ihr eher, als ob er wirklicher war als alle anderen. Reglos wie eine Statue, strahlte er dennoch eine... eine Existenz aus... "Vom Körperlichen her ist er weder Mensch, Tier noch Pflanze. Er erinnert mich am ehesten an Pilze, ein Gewirr verschiedener..." Thana hörte nicht mehr hin, ihr kam es so vor, als hätte sich etwas bei Folken verändert. Da! Hatte er nicht eben... "Er kommt zu sich!" flüsterte sie überrascht und unhörbar für die anderen. Erst grauer, dann brauner Nebel wallte vor seinen Augen. Hatte er Augen? Er war sich dessen nicht sicher. Er war sich eigentlich überhaupt nichts sicher. Wer war er überhaupt? »Folken.« Der Name tauchte aus dem Nichts auf, ohne Bedeutung, ohne Hinweis. »Folken Lacour de Fanel.« Hieß er so? Er hatte keine Ahnung. Er hatte keine Erinnerung. Nichts war in seinem Kopf, kein noch so kleiner Hinweis auf eine Vergangenheit bis zu dem Augenblick, an dem er sich fragte ob er Augen hatte. Woher wusste er was Augen waren? »Selektive Amnesie.« Was bedeutete dieses Wort? »Man vergisst nicht alles, sondern nur einzelne Dinge oder Bereiche.« Aha. »In deinem Fall wohl alles über dich.« Sprach er mit sich selbst? Was das seine innere Stimme? War das ER? »Scheint so. Sonst müsste ich mir auch Gedanken machen, wer ich bin.« Wenn das er war, war er ein Spötter. »Mag schon sein. Wie wäre es, wenn du mal deine A u g e n öffnen würdest?« Augen. Er wusste was Augen waren. Er wusste, er war ein Mensch. Er wusste, jeder Mensch hatte zwei Augen. Also musste er auch welche haben. Einfache, klare Logik. Doch wie machte man seine Augen auf? »Was fragst du mich? Innere Stimmen haben keine Augen!« Das war nicht sehr hilfreich. »Vorschlag gefällig? Tu es einfach!« Wieso nicht, fragte er sich und öffnete die Augen. Er hatte erwartet, erst einmal nichts zu sehen, oder nur irgend etwas langweiliges, wahrscheinlich eine Decke. Doch statt dessen sah er direkt in das Gesicht eines hübschen, aber etwas blassen Mädchens mit schwarzen Haaren. Er sah, wie sich ihre Lippen bewegten, hörte aber nichts. Dann hörte er plötzlich. Er hörte die Anwesenheit von mehreren Menschen, ihr Atmen, das leise Scharren ihrer Füße auf dem Boden, das Rascheln ihrer Kleidung. "Er kommt zu sich!" hörte er eine laute Frauenstimme, und weil das Mädchen vor ihm wieder die Lippen bewegt hatte ordnete er ihr diese Stimme zu. Es war eine schöne Stimme. Zumindest glaubte er das. Abrupt änderten sich die Geräusch im Raum, das Füßescharren und das Rascheln der Kleider wurde lauter, die Gespräche verstummten. "Was?" Der Ruf klingelte in seinen Ohren, doch noch in der folgenden Sekunde hörte er die Umgebung leiser werden, der Krach sich verringernd. »Einjustierung.« sagte seine innere Stimme, ohne dass er gewusst hätte, was dieses Einjustieren bedeutete. Ein weiteres Gesicht tauchte in seinem Blickfeld auf. Ein Mann mit langen, blonden Haaren. "Wer bist du?" fragte Folken und richtete sich auf. "Was?" Hitomi sah Thana und Allen zurück weichen. Sie hatte nicht verstanden, was er gesagt hatte, aber es schien die anderen sehr überrascht zu haben. Folken richtete sich auf, drehte sich halb in ihre Richtung und ließ die Füße vom Tisch hängen. Trotz seiner Größe erreichte er nicht ganz den Boden dieses gewaltigen Möbelstücks, das für noch größere Menschen geschaffen zu worden schien. "Wer bist du?" fragte Folken noch einmal, und dieses Mal konnte Hitomi ihn verstehen. "Und wo bin ich?" fügte er hinzu und sah sich im Raum um, vorerst ohne den Menschen darin Beachtung zu schenken. "Du erinnerst dich nicht?" durchbrach Flötes Stimme die verblüffte Stille. Folken schüttelte den Kopf. "Nein. Ich weiß... glaube, dass mein Name Folken ist, aber ansonsten..." sein Blick richtete sich auf Flöte. "Wer bist du denn?" fragte er, und leichte Verwunderung schien in seiner Stimme zu liegen. Die Anwesenheit eines kleinen Mädchens- vielleicht auch nur ihre forsche Art- schien ihm doch merkwürdig vorzukommen. "Ihr Name ist Flöte!" antwortete Van laut und machte einen Schritt nach vorne. Hitomi, die sich an seinen Arm geklammert hatte, fiel fast vorne über, da Van seinerseits ihre Hand gepackt hielt. Sein Griff verstärkte sich, aber Hitomi unterdrückte jede Äußerung. Was war ein bisschen Schmerz im Vergleich zu dem, was jetzt in Van vorgehen mochte? "Erinnerst du dich wenigstens an mich?" "Sollte ich?" erwiderte Folken mit hochgezogenen Brauen und schien in sich hinein zu horchen. "Nein. Oder... doch?" Folken schien verwirrt. "Ja, ich glaube, da ist etwas." Sein Blick fixierte Van und er schien seinen Bruder damit sezieren zu wollen. "Doch, irgendetwas in mir... du bist wichtig für mich." Sein Blick wanderte Vans Arm hinab und zu seiner Hand, die die von Hitomi so fest umklammerte, dass die Knöchel weiß hervortraten. Das schien nun auch Van zu merken, und als ob er sich verbrannt hatte, ließ er Hitomis Hand los. Er sah sie kurz an, öffnete den Mund als ob er sich entschuldigen wollte, schloss ihn dann aber wieder und begegnete Folkens Blick. "Und sie..." Folken sah Hitomi in die Augen, und ein merkwürdiges Kribbeln erfasste ihren Körper. "...auch sie ist wichtig. Nicht das Wichtig, wie du es bist. Ein anderes Wichtig, aber genauso bedeutend... glaube ich zumindest." Van und Hitomi schauten sich verblüfft an, doch bevor irgendwer im Raum etwas sagen konnte wurde die Tür aufgestoßen, und Eriya und Naria platzen herein. "Ist er..." begann die silberhaarige Naria, doch der Anblick des aufrecht sitzenden Folken machte jede Frage überflüssig. "Folken!" riefen die beiden Katzenschwestern wie aus einem Mund und stürzten zu ihm, knieten sich vor ihm hin und umklammerten jede einen seiner Arme. Folken schaute verwirrt auf die beiden hinab. Es war offensichtlich, dass er auch an diese beiden keine wirkliche Erinnerung hatte. "Die mit den weißen Haaren ist Naria, die andere Eriya. Sie hätten um ein Haar ihr Leben für dich geopfert." Erklärte Van düster, woraufhin ihn Eriya und Naria verwundert ansahen. "Er hat das Gedächtnis verloren, behauptet er." Erklärte Van. "Und da du gefragt hast, wer ich bin... ich bin Van Slanzar de Fanel, König von Fanelia, des Landes, das auf deinen Befehl hin vernichtet wurde... Bruder." Van drehte sich um und rannte zur Tür hinaus, die knallend gegen die Wand schlug. Hitomi zögerte einen Moment, sah zu Folken und dann zur Tür, wieder zurück zu Folken, rief ihm ein "Entschuldigung!" zu und rannte hinter Van hinterher. "Bruder?" fragte Folken überrascht. Hitomi atmete erleichtert auf. Sie hätte auch nicht gewusst, wo sie noch hätte suchen können, wenn er nicht hier gewesen wäre. Sie war zwar kurz nach Van auf den Gang getreten, hatte aber keine Spur von ihm entdecken können. Sie hatte überall gesucht, aber er schien wie vom Erdboden verschluckt. Dann war ihr eingefallen, dass es einen Ort gab an dem beide schon öfter gestanden hatten. Ein Ort, der ideal war um über sich, andere, und die Zukunft nachzudenken. Sorgsam schloss sie die Tür hinter sich. Van stand da und starrte ins Nichts. Der heftige Wind zerrte an seinen Sachen und schüttelte seine Haare durch. Als sie ihn so dastehen sah, kraftvoll und doch verletzbar wie der Held eines antiken griechischen Dramas, spürte sie eine Welle der Zuneigung in sich aufsteigen. Es war etwas wie Mitleid und doch ganz anders. "Van..." fragte sie zaghaft. Van drehte sich halb zu ihr um und blaffte sie an. "Verschwinde!" rief er und kehrte ihr wieder den Rücken zu. Hitomi zuckte zusammen, doch sie wusste, er hatte ihr nicht weh tun wollen. Früher wäre sie vielleicht beleidigt davon gegangen, aber heute nicht mehr. Sie hatte Selbstvertrauen gewonnen und vor sich selbst ein Versprechen abgelegt bevor sie nach Gaia zurück gekehrt war, zurück zu Van. Das Versprechen war simpel und ließ sich doch schwer in Worte fassen. Stärke geben. Die Verletzlichkeit seines Innerem, das er ihr geöffnet hatte beschützen. Es klang seltsam, es so auszudrücken. Vielleicht ließ es sich auch gar nicht in Worte kleiden. Aber das war Hitomi auch egal. Sie brauchte es nicht, wusste auch so, was sie zu tun hatte. Still stellte sie sich neben Van, legte den Arm um seine Hüfte und lehnte sich an ihn. Genauso wenig, wie ihr Versprechen Worte bedurft hatte, bedurfte es nun Worte um es auszuführen. Nach einer Weile entspannte Van sich spürbar. Sein Arm hob sich und er zog Hitomi an sich heran. Sie spürte das Zucken seines Körpers, der Krampf, als er es zuließ. "Es tut mir leid." Sagte er schließlich. "Ich wollte dich nicht anschreien." "Das weiß ich doch." Antwortete Hitomi sanft. Van zog sie stärker an sich, vergrub sein Gesicht halb in ihren Haaren und Hitomi spürte, wie eine Träne auf ihre Schulter fiel. "Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll." Erklärte Van ihr oder der Welt im Allgemeinen. "Ich war... froh als Folken tot war." Van zuckte bei diesen Worten zusammen. "Aber das ist nicht die Wahrheit. Ich habe ihn gehasst, gehasst für das was er Fanelia angetan hat... und mir. Und jetzt ist er wieder da. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll." Hitomi schmiegte sich an ihn, und auch ihr wurden die Augen feucht. Van litt, litt so sehr... "Folken ist ein Verräter. Durch seine Schuld sind unzählige Menschen gestorben, Familien auseinander gerissen worden und ein Land beinahe dem Erdboden gleich gemacht worden. Viele würden meinen, er verdiene den Tod dafür." Van lachte freudlos und schüttelte den Kopf. "Aber du gehörst nicht dazu." Stellte er fest. "Nein. Ich nicht." Antwortete Hitomi. "Aber die Frage, die du dir stellen musst ist: Willst du das?" Van hielt den Atem an. Für eine lange Sekunde glaubte Hitomi, er habe tatsächlich damit aufgehört. Doch stieß er die Luft hart wieder aus und schüttelte entschieden den Kopf. "Nein. Nein, das möchte ich ganz bestimmt nicht. Ich will nicht, dass überhaupt jemand sterben muss. Vielleicht bringt es mich deshalb so durch einander. Mit Folkens Tod schien alles so einfach zu sein. Er hatte mit seinem Tod gebüßt und ich konnte den Bruder, den ich verloren hatte, als ich noch ein kleines Kind war, in Erinnerung behalten. Der große Folken, der, der so viel Schreckliches angerichtet hat, hat für mich gar nicht richtig existiert, war mehr ein Schatten der hinter all dem stand und der mit den Zaibachern verschwunden war." "Aber nun ist Folken- der große Folken- wieder da." "Ja. Und das macht mir Angst. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll." "Folken war tot. Der Krieg ist vorbei." Sagte Hitomi. "Dieser Folken hier hat nichts getan. Er ist nur dein Bruder, und nichts weiter." "Das sagst du so einfach." "Es ist so einfach, wenn du es so einfach machst. Der Krieg hat dich beherrscht, hat euch beide beherrscht und ganz Gaia. Aber so lange die Menschen nicht neu anfangen können, sondern immer nur den alten Geistern nachjagen, kann es keinen Frieden geben. Frieden setzt Vertrauen voraus, zumindest darauf, dass die anderen die selbe Absicht haben wie man selbst: zu verhindern, dass jemals wieder etwas so Schreckliches passiert." Hitomi drehte Van den Kopf zu, und sah dass er sie schon eine ganze Zeit lang angesehen haben musste. "Folken hat mich einmal gefragt, ob ich keine Angst vor ihm hätte. Ich habe geantwortet, natürlich habe ich Angst. Aber wenn ich meine Angst zeigen würde, würde er mir misstrauen. Einer muss mit dem Vertrauen anfangen oder es wird nie gut." Eine lange Zeit lang sah Van Hitomi in die Augen als ob er dort etwas suchen würde. Schließlich schüttelte er den Kopf. "Ich liebe dich Hitomi. Manchmal erscheinst du mir wie von einem anderen Stern..." Seine Mundwinkel zuckten als ihm die Bedeutung seiner Worte klar wurde "aber gerade deswegen liebe ich dich so sehr. Wie schaffst du es nur, so ruhig und stark zu sein..." Hitomi küsste ihn sanft auf die Wange, dorthin wo noch immer eine Träne schimmerte. "Ich bin so stark weil du meine Stärke brauchst. Das gibt mir Kraft. Ohne dich... Ich weiß, dass du für mich da bist wenn ich dich brauche, und genauso bin ich für dich da wenn du mich brauchst. Ich kann nicht schwach sein, wenn ich für dich stark sein muss. Ist das nicht die Bedeutung dieser Ringe?" Hitomi lächelte als sie über die kleine Delle in Vans Hemd strich, unter der Van an der gleichen Kette wie seinen Anhänger den schweren Verlobungsring trug. Genau wie sie. "Da hast du Recht." Murmelte Van. "Zwei Bäume, einst jung und entfernt, sind nun zusammengewachsen für neue Kraft. Ihre Stämme durchdringen einander, bieten dem anderen Schutz..." Hitomi sah ihn staunend an. "Was ist das?" fragte sie verwundert. "Eine alte Sage über zwei Bäume, die vom Wind niedergedrückt wurden. Doch niedergedrückt berührten sich ihre Äste und wuchsen zusammen. Daraus entstand ein Baum, der dem Wind widerstehen konnte. Es heißt, unter diesem Baum siedelten sich die ersten Menschen in Fanelia an, diejenigen, die die Stadt gründeten. Diese Legende wird normalerweise zu Hochzeiten erzählt..." "Bei unserer Hochzeit möchte ich sie auch hören." "Wirst du, das verspreche ich dir." Endlich konnte Van wieder etwas fröhlicher lächeln, und als er sich zu Hitomi beugte verschwanden für eine Weile alle Sorgen... "Ja, er ist euer Bruder." Antwortete Eriya und sah besorgt zu ihrer älteren Schwester. Wenn Folken nicht einmal das wusste... "Stimmt das mit diesem... Fanelia?" "Ja." Düster schaute Folken auf die Tür. "Was bin ich nur ein für Mensch." Murmelte er. "Ein guter!" antwortete Naria bestimmt. "Aber leider habt ihr in guten Absichten schlimme Dinge getan. Wie wir unter eurem Befehl." "Das reicht jetzt." Unterbrach Flöte des Gespräch. "Ihr beide habt jemanden, um den ihr euch kümmern müsst. Oder habt ihr ihnen schon ihr Futter gegeben?" Flöte schaute die Katzenschwestern streng an. Beide standen verlegen auf, verbeugten sich leicht und schlichen davon. "Nein, verzeiht, wir werden uns sofort darum kümmern." "Ich muss euch nicht verzeihen..." sagte Flöte leise und schüttelte den Kopf, nachdem Naria die Tür geschlossen hatte- natürlich nicht, ohne sich noch einmal nach Folken umzusehen. "Ich werde jetzt auch gehen." Verkündete Flöte. "Wenn du Lehrerin spielen möchtest Thana, dann ist mir das egal. Aber du solltest ihn nicht überanstrengen. Ich vermute, der Gedächtnisverlust ist eine Auswirkung des Schockes. Erst, wenn Folkens Gedächtnis in einer Woche immer noch in Totalstreik ist, brauchen wir uns Sorgen machen." "Ich bleibe." Meinte Thana schlicht und verabschiedete das kleine Mädchen. Als sie sich umdrehte, sah sie direkt in die unergründlichen Augen Folkens. "Ein merkwürdiges Mädchen." Es war weniger eine Feststellung als vielmehr eine zaghafte Frage. Thana lächelte. "Ein anderes Mal. Wollt ihr..." Thana unterbrach sich, runzelte die Stirn und sprach weiter "Willst du etwas Essen, Trinken oder so?" "Nein, danke." Antwortete Folken ruhig und setzte sich auf einen Stuhl. "Ich bin nicht hungrig und auch nicht durstig. Aber sag mir..." er zögerte einen Augenblick, war sich bewusst, dass Thana mit voller Absicht vom Sie zum Du gewechselt war "...was meinte sie mit Schock? Was ist passiert?" Thana seufzte. "Das wird der Grund sein, warum sie verschwunden ist. Flöte liebt, anderen solche Dinge zu überlassen." Folken zog eine Braue hoch. "Ist es so schlimm? Ich meine... wenn es wirklich meine Schuld gewesen ist, dass Fanelia..." Mit einer fast ärgerlich wirkenden Geste winkte Thana ab. "Das ist Vergangenheit. Im Krieg geschehen Dinge... aber was erzähle ich. Ich kannte dich nicht, aber nachdem was ich gehört habe, hattest du deine Fehler eingesehen, bevor du... gestorben bist." »Jetzt ist es raus. Wie wird er reagieren?« Folken reagierte anders, als sie es erwartet hatte. "Ich war... tot? Seltsam. Es stört mich gar nicht. Es ist, als ob ich es gewusst hätte." "Das ist doch gut." Meinte Thana, und wunderte sich gleichzeitig über ihre Worte. Es war gut, wenn man wusste, dass man gestorben war! Wenn das nicht komisch klang! "Was ich dich fragen möchte..." begann Folken und verstummte. "Ja?" "Nun... eben, als... warum redest du mich mit du an? Das kommt mit irgendwie falsch vor." Er hob die Hände "Ich meine nicht, dass ich es dir verbieten möchte, aber du hast mich erst gesiezt..." Thana zuckte mit den Schultern. "Eigentlich ganz einfach. Du hast etwas an dir, das einen fast zwingt, dich in irgendeiner Form der Ehrerbietung anzusprechen, aber... was macht das für einen Eindruck, wenn deine Kusine dich so anspricht?" "Meine Kusine?" Folken sah sie äußerst überrascht an und Thana musste lachen. "Ja, Kusine. Genauso wie bei Van, schließlich seid ihr Brüder. Unsere Mütter waren Geschwister. Aber das haben Van und ich auch erst vor kurzem erfahren, bis dahin hatten wir uns noch nie gesehen." Folken nickte nachdenklich. "Außerdem dachte ich mir, du hat im Moment nicht die besten Chancen, viele Freunde zu gewinnen. Aber wie ich schon sagte, das liegt in der Vergangenheit, einer Vergangenheit, die niemand von uns sich zurück wünscht." Thana wusste nicht, was sie dazu trieb, aber sie beugte sich zu dem sitzenden Folken herunter und umarmte ihn. Überrascht davon stand Folken auf. Nach einer Zeit der Verwirrung und Unschlüssigkeit hob er langsam seine Arme. "Danke." Meinte er schließlich, als er Thana wieder aus seinen Armen entließ. "Ich glaube, das habe ich gebraucht." Thana lächelte. "Da ist noch etwas, das du wissen solltest. Du bist kein reinblütiger Mensch. Deine und Vans Mutter war wie meine vom Volk des Drachengottes." "Drachengott?" Folken schien verwirrt, doch etwas in ihm flackerte auf, versuchte durch die dunkle Decke zu dringen, die die Vergangenheit umhüllte. "Flügel!" rief er und tastete nach seinem Rücken. "Ja, wir sind in der Lage Flügel zu bekommen." Sagte Thana. "Aber... wie?" Thana grinste. Das war die Frage... "Ich weiß es nicht. Das heißt, ich weiß es, aber ich kann es nicht erklären. Ich denke daran, oder wünsche es mir oder es passiert auch von ganz allein wenn ich zum Beispiel eine Schlucht hinunterstürze." Folken sah sie überrascht an, ging aber nicht darauf ein. "Dann müsste es doch eigentlich auch bei mir gehen." Folken machte ein konzentriertes Gesicht. "Aber warum geht es nicht?" Thana konnte nur mit den Schultern zucken. "Keine Ahnung. Vielleicht ist das auch eine Sache der Erinnerung, aber das kommt mir merkwürdig vor, vielleicht..." "Zeig es mir!" "Wie?" "Zeig mir deine Flügel!" forderte Folken sie erneut auf. "Vielleicht gelingt es mir dann, wenn ich es sehe..." "Na hör mal!" protestierte Thana verlegen und wurde rot. "Weißt du, was du da sagst? Das zerreißt mir doch alle Sachen! Findest du es nicht etwas schamlos, von mir zu verlangen, ich solle mich nackt vor dich hinstellen?" Folken machte einen erschrockenen Schritt zurück. "Entschuldige, so habe ich das nicht gemeint, ich meine, ich habe nicht daran gedacht..." Thanas Kichern unterbrach ihn und schließlich musste er selbst lachen. "Aber du kannst es ruhig probieren, Folken." Meinte Thana, nachdem sie glucksend zur Ruhe gekommen war. "Wenn dein Hemd dabei zerreißt, ist das eigentlich ein Fortschritt. Dieses hässliche Braun steht dir absolut nicht. Hier müssen irgendwo ein paar andere herumliegen. Eigentlich gehört die Kabine ja jemanden aus der Besatzung, aber da wir so viele sind..." Sie wurde unterbrochen als ein Schwall Luft ihr schwarzes Haar aufwirbeln ließ. "Na also, es geht doch." Stellte schmunzelnd fest. Folken drehte sich und stieß mit seinen weißen Flügeln an die Wand. "Ja, es ist praktisch, sie nur zu haben, wenn man sie braucht. Wir wären sonst der Albtraum eines jeden Innenarchitekten." Folken lachte und seine Flügel verschwanden. Dann aber stöhnte er auf. "Was ist?" fragte Thana auf einmal besorgt. "Nichts!" Beruhigte sie Folken. "Nichts schlimmes jedenfalls. Aber meine Muskeln..." Geschulte Hände packten seine Schulterblätter und er schrie erschrocken auf. "Mein lieber Himmel!" staunte Thana "So etwas von verspannt habe ich aber auch noch nicht erlebt. Wenn ich es nicht selbst... ich würde es nicht glauben." "Ich hoffe, das heißt dass ich nicht jedes Mal solche Schmerzen bekomme, wenn meine Flügel verschwinden?" "Es sollte auf jeden Fall nicht so sein. Gut, wenn man das Fliegen nicht gewohnt ist... das ist wie bei jedem anderen Muskel. Aber du hast ja nichts getan!" Thana schüttelte den Kopf, fühlte erneut nach den Knoten von Folkens Muskeln und gab ihm dann kurz entschlossen einen heftigen Schubser, so dass er auf das Bett fiel. "Was soll das denn?" fragte Folken und schrie, als Thana es ihm demonstrierte. "Stell dich nicht so an!" Schimpfte sie und konnte nur mühsam das Lachen unterdrücken. "Wenn du nicht willst, dass du dich in einer Stunde überhaupt nicht mehr bewegen kannst, musst du jetzt da durch. Keine Sorge, ich bin eine ausgesprochen gute Masseuse. Du wirst sehen, nach meiner Massage fühlst du dich wie neugeboren!" Thana erstarrte, als sie bemerkte, was sie gesagt hatte. "Das war nicht besonders einfühlsam, oder?" fragte sie zaghaft. Folken schwieg eine Weile. Dann zuckte er mit den Schultern, was ihm ein leises, schmerzvolles Stöhnen entlockte. "Dann wäre es das dritte Mal, wie es aussieht. Es gibt sicherlich manche, die mich darum beneiden." Seiner Stimme war deutlich anzuhören, an wen er da dachte. An die vielen Toten, die er auf dem Gewissen hatte. Einem Gewissen, das sich an nicht einen von ihnen erinnern konnte. Still fing Thana an, seine Schultern und den Rücken zu massieren. Sowohl sie als auch Folken hingen ihren Gedanken nach, die nur durch gelegentliche Schmerzeslaute von Folken unterbrochen wurden. Van stand zögernd vor der Tür zu Thanas Kabine. "Na los." Stupste Hitomi ihn sachte an. "Trau dich!" Van lächelte gequält, öffnete aber die Tür. Schließlich hatte er es ihr versprochen, und Hitomi konnte er nun mal nichts abschlagen. Doch als er eintrat ließ ihn so plötzlich stehen bleiben, dass Hiromi gegen seinen Rücken lief. "Van!" rief sie erschrocken, beugte sich an ihm vorbei und riss die Augen auf. Folken lag auf dem Bett, das Kinn in die verschränkten Hände gestützt. Auf seinem Rücken saß Thana, die Knie links und rechts von seinem entblößten Oberkörper auf der Decke, die Hände auf Folkens Rücken und sah Van erstaunt an. "He! Was soll das? Du kannst ruhig anklopfen, wenn du hier rein kommst. Stell dir vor, ich wäre gerade dabei mich auszuziehen..." "Was machst du da?" fragte Van etwas dümmlich. "Wieso? Was..." Thana sah nach unten, dann zurück zu Van, und überdachte, was sie eben gesagt hatte. Dann brach sie in hemmungsloses Kichern aus. "Es ist nicht so, wie es aussieht!" versicherte sie prustend, und versuchte mehr oder weniger erfolgreich aufzustehen. Schließlich stand sie, immer noch von Lachkrämpfen geschüttelt neben dem Bett. "Ich habe ihm von den Flügeln erzählt, die unsereiner manchmal hat, und er wollte es unbedingt ausprobieren. Aber das hat ihm den schlimmsten Muskelkater beschert, den ich jemals gesehen habe. Ich hoffe bloß, es sind dabei keine Muskeln gerissen. Jedenfalls habe ich ihm eine Massage verpasst. Aber was willst du hier?" "Äh, ich..." Van sah zu Hitomi. "Verstehe." Meinte Thana. Sie ging zum Schrank, öffnete ihn und nahm ein Hemd heraus, das sie Folken zu warf. "Hier. Wir zwei Damen lassen die Herren jetzt wohl besser allein." Thana zog Hitomi mit sich, die sich ein bisschen wehrte. Auch Van sah nicht sehr glücklich aus. Bevor Thana die Tür schloss, hörte sie Folken noch etwas mürrisch murmeln. "Gelb! Ein gelbes Hemd! Wer trägt so etwas?" Dann war die Tür zu. "Ich glaube, es wäre besser gewesen..." sagte Hitomi zaghaft, doch Thana schüttelte entschieden den Kopf. "Die Beiden müssen schon allein klar kommen. Du hast Van überredet, Frieden mit seinem Bruder zu schließen?" "So ungefähr." "Dann kannst du nicht daneben stehen. So etwas Schwerwiegendes macht man am besten allein. Auch wenn es vielleicht sogar beiden lieber wäre, du wärest dabei." Van sah zögernd auf seinen Bruder, der missmutig das grellgelbe Hemd anzog. Es war genauso gut- oder eher genauso schlecht- wie der Rest im Schrank. "Ich möchte mit dir reden." "Dann fang an, ich höre zu." Van kaute nervös auf seiner Unterlippe. Als er es bemerkte riss er den Mund auf. Es war eine Angewohnheit, die er abgelegt zu haben glaubte. Abgelegt an dem Tag, an dem für ihn feststand, dass Folken tot war, gegen den Drachen verloren hatte. Die Geister der Vergangenheit holen einen immer ein... "Du weißt, was du getan hast?" Folken hielt inne, den zweiten Arm noch halb im Ärmel. "Wenn du Fanelia meinst... Thana hat es mir erzählt, wie auch alles andere, zumindest in groben Zügen. Unsere Mutter ist auf der Suche nach mir verschwunden?" Der plötzliche Themenwandel brachte Van aus dem Gleichgewicht. "Ja. Sie ist genau wie du verschwunden." "Aber ich bin wieder gekommen... und habe mein Heimatland vernichten lassen." "Ja." Vans Hände ballten sich zu Fäusten. Wie konnte Folken so ruhig darüber reden? "Das ist merkwürdig. Ich habe keine Erinnerung daran. Ich fühle nichts, wenn ich das höre. Fast, als ob ich taub wäre. Und dennoch..." Endlich streckte Folken den Arm ganz durch den Hemdärmel und sah Van mit einem undefinierbaren Gesichtsausdruck an. "Dennoch ist da etwas in mir, das nicht ruhig bleibt dabei. Sind das die Erinnerungen? Stecken sie doch noch in mir? Was passiert, wenn sie heraus kommen? Was werde ich dann empfinden? Was werde ich dann tun? Ist es nicht das, was dir Sorgen macht, Van, Bruder...?" Van blinzelte und konnte nur mit Mühe die Tränen zurück halten. "Ja, das ist es. Woher weiß ich, dass du nicht wieder anfängst, Gaia ins Verderben zu führen? In den letzten Tagen, bevor du gestorben bist, hast du dich gegen Dornkirk gestellt. Doch was, wenn du nur einen Teil deiner Erinnerungen wieder erlangst? Den Teil, bei dem du glaubst, du müsstest Gaia durch einen Krieg die Ordnung bringen?" Folken lächelte. Es war ein trauriges, und doch irgendwie beruhigendes Lächeln. "Das wird nicht passieren. Ich kenne ja jetzt die Geschichte, egal was für Erinnerungen wieder hoch kommen, ich werde mich auch daran erinnern. Außerdem würde deine Hitomi das nicht zulassen." Folkens Blick richtete sich nach oben, doch er schien in die Ferne zu schauen, nein, in die Vergangenheit. "Sie war es. Ich kann mich an keine Einzelheiten erinnern... aber sie war es, die Dornkirks Scheitern besiegelt hat. Und sie gab den Anstoß dazu, das mir etwas klar werden konnte. Ja, jetzt erinnere ich mich wieder an diesen Augenblick. Es war, als ich Eriya und Naria zurück gelassen habe, in dem Wissen, dass sie sterben werden. Wenn schon nicht bei der Explosion, dann durch das Glücksblut, das ich ihnen habe einflößen lassen. Seltsam, dass sie mich immer noch nicht hassen..." Folken schaute wieder in die Gegenwart und sah die Erschütterung auf Vans Gesicht. "Seltsam, nicht wahr? Wieso kann ich mich ausgerechnet jetzt wieder an diese Dinge erinnern- aber an nichts anderes? Vielleicht kommt das ja auch noch zurück. Van. Ich weiß nicht, was für ein Wesen ich vor meinem Tod war, wie ich so viele schreckliche Dinge tun konnte... Das meiste Böse geschieht in guter Absicht, lautet ein altes Sprichwort... Ich weiß es wirklich nicht, aber was ich dir versprechen kann ist, dass dieser Folken hier vor dir so etwas niemals tun würde. Es ist mir unbegreiflich, wie das geschehen konnte." "Ja, mir auch." Flüsterte Van. Er wusste mit absoluter Sicherheit, dass Folken... dass sein Bruder die Wahrheit gesprochen hatte. Er konnte es in seinem Inneren spüren, diese Gewissheit, die man nur ein paar Mal im Leben hat. Die Gewissheit, dass einfach alles richtig ist. Folken stand da und sah ihn zögernd an. "Van, ich weiß es klingt vermessen, ausgerechnet ich... aber ich habe eine Bitte. Wenn es irgendwie geht, wenn es sich wie auch immer einrichten lässt, dass ich in Fanelia bleiben kann... dann würde ich das gerne tun und dir helfen. Die Schuld abtragen, die mein früheres Ich auf sich geladen hat. Ich weiß, es ist unmöglich, die Vergangenheit wieder gut zu machen, aber ich möchte wenigstens die schlimmsten Wunden heilen, auch wenn Narben zurück bleiben werden. Wenn ich eines aus meinen Erinnerungen und euren Erzählungen schließen kann, dann die Tatsache, dass sich so etwas wie mit Dornkirk nicht noch einmal wiederholen darf. Niemals wieder." Van kaute auf seiner Lippe und es war ihm egal, wie kindisch das war. Seine Sicht verschwommen, als die Tränen in ihm aufstiegen, zusammen mit einer Wärme, die er nicht mehr gespürt hatte, seit er ein kleines Kind war. "Ich.. ich werde mein Bestes versuchen versprochen. Ich kann nichts garantieren, zu schrecklich ist, was du getan hast... aber wie Hitomi gesagt hat, das ist Vergangenheit, und wenn wir verhindern wollen, dass es noch einmal einen solchen Krieg gibt, müssen wir lernen die Vergangenheit zu überwinden. Den Teufelskreis aus Rache zu überwinden..." Folken stellte sich vor Van. "Van, ich will nicht, dass du unter meiner Anwesenheit leidest. Wenn die Menschen Fanelias dir nicht mehr vertrauen würden, wenn ich da bin... dann würde ich gehen. Du kannst es dir nicht erlauben... Gaia kann es sich nicht erlauben, dass jemand anderes an die Macht kommt, jemand, der Rache sucht. Denn dann würde genau das passieren, was wir befürchten!" "Keine Sorge, es wird schon gut werden. Wir müssen auf die Zukunft vertrauen- und auf die Menschen. Das hat mir Hitomi beigebracht. War an die Zukunft glaubt, dem wird sie helfen, wer nur Angst hat, ruft das herbei das er fürchtet." "Weise Worte, Van. Du tust gut daran, auf sie zu hören." "Ja. Das zeigt sich immer wieder." Van hob die Arme, ließ sie wieder sinken als wären sie zu schwer, und legte sie dann doch noch auf die Schultern seines Bruders. "Wir werden das zusammen durchstehen. Ich werde mit gutem Beispiel vorangehen, und dir vertrauen. Ich werde allen zeigen, dass man dir vertrauen kann." "Van..." Gerührt umarmte Folken seinen Bruder und Van erwiderte die Umarmung. "Ich werde dich nicht enttäuschen, das verspreche ich dir. Niemals wieder." Er drückte ihn noch einmal ungeschickt an sich, bevor sie sich lösten. Van sah, dass auch Folken tief im Inneren bewegt war, auch wenn sein Gesicht noch immer fast ausdruckslos war. "Das ist schön Folken. Aber ich glaube, die Umarmungen lassen wir lieber. Du stellst dich da noch ungeschickter an als ich." Folkens Verblüffung durchdrang sogar seine Maske, dann fing er laut an zu lachen. "Einverstanden. Belassen wir es in Zukunft mit innerem Einverständnis." Dann lächelte er verschmitzt. "Ich hoffe nur, bei Hitomis Umarmungen fühlst du dich wohler." Van sperrte den Mund auf, und schließlich lachte auch er befreit auf. "Okay, ich denke, wir sind quitt." Folken nickte. "Dann würde ich vorschlagen, du gehst jetzt zu ihr. Und dann kann mich Thana weiter bearbeiten. Denn weißt du, dass ich mich bei der Umarmung so ungeschickt angestellt habe, liegt auch daran, dass es höllisch weh getan hat." Van nickte und ging zur Tür. "Kopfüber herunterhängen." Sagte er. "Wie?" "Kopfüber." Wiederholte Van und drehte sich noch einmal um, die Hand schon erhoben um die Tür zu öffnen. "Die Beine irgendwo einklemmen und sich hängen lassen. Das entspannt die Muskeln, die mit den Flügeln zu tun haben. Unangenehm, aber besser als das." "Ich werde es mir merken. Danke." "Gern geschehen, Folken. Bruder" LMMI 4 Kapitel 7 ---------------- Kapitel 7 Lügen sind sieben Mal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Stiefel anzieht, und Gerüchte sind noch schneller. So war der Crusador vor nicht einmal einer halben Stunde in Fanelia gelandet, als Van auch schon die Ankunft einiger einflussreicher Leute gemeldet wurde- mit einem Haufen weniger einflussreicher, einfacher Menschen im Schlepptau. "Es ist schwer, ein König zu sein." Murmelte Folken mit einem betrübten Lächeln. Van nickte. "Aber es hat einen Vorteil: Man kann andere warten lassen." So dauerte es noch fast eine Stunde, bis Van gemeinsam mit Hitomi den Audienzsaal betrat. "Einige Dinge wollen wir gleich festlegen." Hatte er lächelnd gemeint. "Da ich dich sowieso nicht davon abhalten kann, dir über alles Sorgen zu machen, kannst du auch gleich mit dabei sein." Hitomi hatte sich an ihn geschmiegt. Sie wusste, was er damit ausdrücken wollte. Es war nicht nur völliges Vertrauen, es war nicht nur der Beweis, dass Van alles für sie tun würde. Es war auch eine Bitte ihn nicht allein zu lassen, eine Bitte, die Last mit ihm gemeinsam zu tragen. In guten wie in schlechten Zeiten, wie es so treffend hieß. "Majestät..." sagte der Redner der Gruppe irritiert und schaute auf Hitomi. Die Bediensteten im Palast hatten sich mittlerweile daran gewöhnt, dass Thana in vielen Dingen genauso viel zu sagen hatte wie Van, und wunderten sich nicht darüber, Hitomi neben ihm zu sehen. Aber diese Leute betraten den Palast nur um Forderungen zu stellen. Das ein Mädchen, das noch nicht einmal eine richtige Königin war, sondern nur eine Verlobte, neben dem König auf dem Thron saß wenn es um Staatsangelegenheiten ging- das war etwas, das den Redner verwirrte "Wir haben eine wichtige Bitte..." "Das ist mir klar. Sonst hättet ihr sicher kaum verlangt mich zu sprechen, noch bevor ich Gelegenheit hatte, auch nur zu frühstücken." Hitomi musste ein Grinsen unterdrücken. Auch Van hatte in den letzten Monaten viel gelernt. Er hatte jeden Protest wegen der verstrichenen Stunde im Keim erstickt und gleichzeitig klargestellt, wer hier das Sagen hatte. Davon abgesehen klang das besser als "Ich musste mich erst aus Merles Schleckattacke befreien." Der Redner, ein Mann in den Fünfzigern, fing sich wieder und brachte seinen Forderung zu Gehör. "Majestät, wie wir hörten, befindet sich euer Bruder, der Verräter Folken hier im Palast." Van nickte bedächtig. "Mein Bruder ist hier. Aber kein Verräter." "Wie..." Der Mann wirkte verwirrt. Hitomi staunte. Van ging gleich mit vollen Einsatz in die Sache. "Ganz einfach." Erläuterte Van. "Der Folken, der Fanelia verraten hat, ist gestorben. Der Folken, der hier ist, ist mein Bruder, der verschollen ist als ich noch ein Kind war." Einer der bis jetzt im Hintergrund wartenden Männer stürmte nach vorne, sein Gesicht rot vor Wut. Van wusste, Meister Kenden hatte seine ganze Familie im Krieg verloren, und nur weil er als Händler unterwegs war, wurde er nicht getötet. "Wollt ihr uns zum Narren halten?" Doch Van kam nicht zu einer Antwort. Hinter ihm öffnete sich die Tür, durch die er eben erst mit Hitomi gekommen war, und Folken trat ein, gefolgt von einer sehr verärgert aussehenden Thana. "Das liegt mit Sicherheit nicht in seiner Absicht." Meinte Folken. "Er hat die Wahrheit gesprochen. Der Folken, der Fanelia vernichten ließ, ist tot." "Und wer steht dann vor mir?" Folken sah den aufgebrachten Mann ruhig an. "Vor ihnen steht jemand, der zutriefst betrauert, was vor einem Jahr geschehen ist." "Pah! Das ist doch alles nur Lüge! Ich verlange, dass dieser Verräter..." er spuckte vor Folken auf den Boden "hingerichtet wird, und zwar noch heute!" "Jetzt reicht es aber!" donnerte Vans Stimme durch den Saal. "Seit mehr als fünfzig Jahren hat es in Fanelia keine Hinrichtung mehr gegeben. Und ich habe nicht die geringste Absicht, wieder damit anzufangen." "Van!" Nur dieses eine Wort, nur dieser eine Name ließ selbst Van verstummen. Folken hatte ihn ruhig und leise ausgesprochen, trotzdem trug dieses eine Wort eine Kraft, die alle anderen Wörter bedeutungslos erscheinen ließen. Hitomi erschauerte. In diesem Moment wirkte Folken wieder wie der undurchdringliche Stratege. "Van." Sagte Folken noch einmal, sanfter. "Denk daran, was ich über den Hass gesagt habe. Dieser Streit muss hier und jetzt ausgetragen werden, oder er wird immer weiter den Frieden zerstören." Folken wandte sich an Meister Kenden. "So es euer Wunsch ist, werde ich mich noch heute Nachmittag dem Gericht stellen. Und wenn nur so euer Groll zu befriedigen ist, werde ich jedes Urteil annehmen, das gefällt wird." "Folken!" rief Hitomi, die es nun nicht mehr aushielt. "Das könnt ihr nicht machen!" "Ich kann. Es ist meine Entscheidung, Hitomi. Nein, sag nichts. Ich möchte dich nicht gegen etwas reden hören, das du mich gelehrt hast." Folken drehte sich wieder um. "Ich werde mich eurem Urteil beugen. Doch bedenkt eines, Meister Kenden: Hass hat zu diesem Krieg geführt, Hass und der Versuch, den Hass durch eine Maschine zu beseitigen. Doch das ist unmöglich. Hass ist in uns allen. Wer nicht hassen kann, kann auch nicht lieben. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Vertrauen und Liebe haben diese Welt gerettet, nicht das Schwert, das ich durch Dornkirks Herz gestoßen habe." Folken drehte sich um und verließ bedächtigen Schrittes den Raum. Niemand folgte ihn, hielt ihn auf oder sagte auch nur ein Wort. Niemand hatte das gewusst. Hitomi war die einzige, die gesehen hatte, wie Folken gestorben war, und bis auf den heutigen Tag hatte sie es nur Van erzählt. "So sei es denn." Unterbrach Van die Stille, und man konnte ihm anhören, dass er alles andere als zufrieden damit war. "Heute Nachmittag soll auf dem großen Platz vor dem Schloss das Gericht tagen. Aber ich werde die Aufsicht halten, wie es dem Königshaus von uraltem Gesetz her zusteht." Damit drehte sich auch Van um und ging, was die Audienz beendete. Noch bevor Van den Raum verlassen hatte, waren die ersten schon davon gerannt, um die Neuigkeit zu verbreiten. Manchmal ist auch die Wahrheit schnell, und die Gerüchte kommen erst kurz nach ihr. *** "Herein!" Flöte betrat Thanas Zimmer und sah sich um. Sie hatte doch tatsächlich noch nie das Zimmer gesehen, in dem ihre Ziehtochter seid fast einem Jahr wohnte... Das Zimmer spiegelte Thanas Innerstes wieder, an den Wänden hingen Landkarten neben Gemälden von Landschaften, teils wilde Wasserfälle, teils ruhige Äcker. Thana hatte viel mit Stoffen gearbeitet, sanfte Farbtöne beruhigten das Gemüt und ließen doch die Sonne ungestört hinein. Thana hatte sich verändert, und war doch gleich geblieben. Flöte seufzte. Sie würde wohl nie verstehen, wie Menschen sich so schnell ändern und dennoch die selben bleiben konnten. "Hast du Bauchschmerzen, oder warum machst du ein so seltsames Gesicht?" fragte Thana schmunzelnd. "Nichts dergleichen." Antwortete Flöte und musterte Thana. "Habe ich mich beim Mittagessen bekleckert, oder warum starrst du mich so an?" fragte diese scherzhaft. "Du siehst mich an, als ob du mich noch nie gesehen hast." "Vielleicht habe ich das auch nicht." Antwortete Flöte. Thana zog die Augenbrauen hoch, erwiderte aber nichts. Sie wusste, wann sie keine Antwort von Flöte erhalten würde. Schließlich atmete Flöte tief ein und stellte behutsam ihre Frage. "Ich bin Folken auf dem Gang begegnet." "Ja?" "Er kam von dir." "Ja." "Er hat sehr verstört gewirkt, und hat mich äußerst seltsam angesehen." Thana sah schuldbewusst aus, als sie antwortete. "Ich habe ihm erzählt, was du bist. Ich meine, Göttin und so. Mir ist rausgerutscht, dass du meine Ziehmutter bist, und das hat ihn natürlich erstaunt. Also habe ich es erklärt." "Du erzählst einem Fremden einfach so..." "Nicht einfach so! Außerdem..." Thana druckste herum. "Wie soll ich es dir erklären? Er ist kein Fremder. Ich empfinde es jedenfalls nicht so. Wenn er in der Nähe ist... er strahlt so eine Ruhe aus, das ist fast unheimlich. Außerdem... er ist Vans Bruder! Mein Cousin!" "Nicht biologisch. Sein neuer Körper sieht zwar genauso aus wie der alte, ist aber vollkommen anders." "Das ist mir herzlich egal. Es ist einfach eine Vertrautheit zwischen uns da..." Thana fuchtelte wild mit den Armen in der Luft herum, unfähig das mit Worten auszudrücken, das sie sagen wollte. Plötzlich entspannte sich Flöte sichtlich und schüttelte den Kopf. Sie murmelte etwas unverständliches und trat dann zu Thana um sie zu umarmen. "Schon gut Thana, du brauchst es mir nicht mehr erklären. Ich habe verstanden. Ich wünsche dir viel Glück!" Flöte lächelte, aber es wirkte traurig. Dann verließ sie den Raum ohne sich noch einmal umzudrehen. Zurück blieb eine verstörte Thana, die nicht wusste, was sie von Flötes halten sollte. Auf dem Gang stieß Flöte noch mit Hitomi zusammen. "Ist Thana in ihrem Zimmer? Das Gericht fängt demnächst an und Van meinte, wir sollten schon da sein, bevor die meisten Leute kommen." "Ja, sie ist in ihrem Zimmer." "Ist etwas mit dir? Du siehst so komisch aus?" "Nein, nein, alles in Ordnung." Winkte Flöte ab. "Ich muss nur wie jede Mutter damit klar werden, dass die Kinder erwachsen werden." Mit diesen Worten ging Flöte weiter und ließ Hitomi genauso verwirrt zurück wie zuvor Thana. *** Der Hof, der für Gerichte verwendet wurde, war zugleich auch die Bühne für Vorstellungen von Gauklern oder Theaterleuten. "Alte Tradition." Hatte Van augenzwinkernd erklärt. "Wegen der Ähnlichkeit." Zwei Flügel in Form eines Us schlossen den Hof so ein, dass er von drei Seiten aus vom Schloss umgeben war. Die innerste Seite hatte eine Art Terrasse, die bei Vorstellungen die Bühne und bei einer Verhandlung der Sitz des Richters war. Zur offenen Seite hin stieg der Hof gemächlich an, um auch den Leuten, die weiter hinten standen, eine gute Sicht zu ermöglichen. In der Mitte des Hofes war ein Halbkreis, in dem bei Vorstellungen die reicheren Leute sitzen konnten. Während der Verhandlungen saßen dort die Urteiler, die Leute, die auf der Erde in etwa die Geschworenen gewesen wären. "Der Richter" erläuterte Van das System "ist nur für die Wahrheitsfindung zuständig und um das Urteil zu verkünden. Das Urteil selbst wird von den 99 Urteilern gefällt. Nur wenn mindestens 50 von ihnen sicher sind, dass der Angeklagte schuldig ist, kann er verurteilt werden. Anders herum reicht es aber, wenn 34 von den Beurteilern von der Unschuld überzeugt sind um ihn frei zu sprechen. Ebenso werden andere Urteile gefällt, die z.B. über strittige Punkte in der Landverteilung oder ähnlichem gefällt werden müssen. Die Beurteiler selbst werden einmal im Jahr bestimmt, zur Sommersonnenwende. Etwa eine Hälfte entfällt auf Krieger, Handwerker und Händler, die in ihren jeweiligen Gilden oder Einheiten gewählt werden. Wie, entscheiden sie selbst. Die andere Hälfte entspricht den restlichen Einwohnern der Stadt Fanelias. Diese werden per Los bestimmt. Und da jeder Beurteiler als Ausgleich die Steuern erlassen bekommt, lehnt es auch kaum jemand ab. Es gibt noch ein System von Vertretern und andere Details, die verhindern sollen, dass die Anzahl jemals unter 90 sinkt. Im Normalfall fehlen auch höchstens einer oder zwei, die ganz plötzlich aufgehalten worden sind." Hitomi betrat zusammen mit Van die Bühne. Natürlich hatte er heute den Platz des Richters eingenommen, und so begab er sich zu dem auf einem weiteren kleinen Absatz stehenden Pult, von dem aus er die Verhandlung leiten würde. Der Sitz kam ihm heute besonders hart vor. Obwohl es noch mehr als eine Stunde bis zum Beginn der Verhandlung war, hatte sich bereits eine größere Zahl Menschen versammelt. Natürlich war das nicht weiter verwunderlich, jeder, der die Nachricht von Folkens Rückkehr und dem Gericht hörte, würde kommen. Der Platz würde voll sein wie noch nie, es würden mehr Menschen sein, als er aufnehmen konnte. Van seufzte. "Hoffentlich passiert nichts. Bei einer so großen Menschenmasse..." "Nur Mut, es wird alles gut werden." "Du scheinst dir da ziemlich sicher zu sein, Hitomi." Hitomi lachte. "Eigentlich gar nicht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es anders sein kann. Es ist... Es muss einfach gut werden, verstehst du? Ich weiß, es ist schwierig, aber ganz tief in meinem Inneren weiß ich auch genauso, dass wir es schaffen können. Wir müssen die Leute überzeugen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Nur so kann es Frieden auf Gaia geben. Ich möchte nicht, dass noch einmal gekämpft wird. Ich möchte weder dich noch jemand anders sterben sehen. Nie wieder." Van drückte Hitomis Hand, hoffte, dass ihre Sicherheit irgendwie auf ihn übergehen würde. "Wie ist das eigentlich auf dem Mond der Illusionen? Gibt es da Krieg?" Hitomi atmete tief ein und nickte betrübt. "Ja, leider. Es gibt an vielen Orten Krieg, vor allem da wo Armut herrscht. Aber der Unterschied ist, dass ich da nicht viel tun kann. Hier habe ich die Chance, etwas zu verändern. Du weißt, ich habe es schon einmal getan. Von dir einmal abgesehen war das der wichtigste Grund, warum ich zurück gekommen bin. Ich habe von Anfang an gefühlt, dass meine Aufgabe noch nicht beendet ist. Das ist mir aber erst später klar geworden..." Hitomi schwieg, wohl selbst überrascht von der Richtung, die ihr Gespräch genommen hatte. Ihr Blick schweifte über die Leute, die da standen und sich unterhielten und ab und an zu ihnen herauf sahen. "Mir ist es ganz egal, warum du hier bist." Meinte Van. "Solange du nur bei mir bist." Hitomi lächelte geheimnisvoll. "Ich bin immer bei dir, ganz egal wo ich auch bin." Der Platz war so voll wie noch nie. Ganz Fanelia schien sich hier versammelt zu haben, um den bedeutensten Prozess seit dem Krieg beizuwohnen. Geschäfte wurden geschlossen, weil ihre Besitzer hier waren. Mütter kamen mit ihren quengelnden Kleinkindern. Alte Männer und Frauen versuchten einen Sitzplatz oder eine Erhebung zu finden- je nachdem, ob ihnen hören oder sehen wichtiger war, oder zu was sie noch in der Lage waren. Die große Glocke der Schlosskirche schlug die volle Stunde, und gab damit den Zeitpunkt des Beginns der Verhandlung bekannt. Van stand auf und schlug mit seinem Hammer auf den Stein. "Ruhe! Das Gericht soll beginnen! Ruhe, sagte ich!" Unter anhaltendem Gemurmel nahmen die 99 Beurteiler ihren Platz ein, repräsentativer Durchschnitt der Einwohner der Stadt Fanelia. Als sie Platz genommen hatten, verkündete Van, was jeder hier wusste: "Verhandelt wird heute einzig und allein die Anklage gegen Folken de Fanel..." Vans weitere Worte vernahm keiner der Zuschauer. Van hämmerte erneut auf den richterlichen Stein, doch bald schon gab er auf. Er gab der zuständigen Wache einen Wink, und wenig später kam diese mit Folken auf den Platz. Der Lärm wurde noch lauter und erst nach ein paar Minuten kehrte so etwas wie Ruhe ein, so dass Van mit den Formalitäten anfangen konnte. "Dein Name?" "Folken de Fanel." "Der Name deiner Mutter..." Nach ein paar Minuten war dieser Teil vorbei. Natürlich wusste jeder, wer Folken war, genauso wie wohl keiner zweifelte, dass er der war, für den er sich ausgab... Aber manche Dinge müssen gemacht werden wie sie immer gemacht wurden. Doch dann gab es doch noch eine Überraschung. "Wer ist dein Verteidiger?" fragte Van. Er wusste es selbst nicht. Folken hatte jede Hilfe abgelehnt, und Van befürchtete, er würde für sich allein sprechen wollen. Wenn er das sagte, konnte er dem nicht widersprechen, aber dann würde es noch viel schwerer werden... "Ich werde für ihn sprechen!" rief eine klare Stimme laut und vernehmlich über den Platz. Alle Blicke richteten sich auf Thana. "Da ich erst nach Fanelia kam, als der Krieg beendet war, bin ich die richtige Wahl." Folken öffnete den Mund, wohl um zu widersprechen, doch Thanas Blicke ließen ihn den Mund wieder schließen. *Die Zeit der Märtyrer ist vorbei!* schienen sie zu sagen. Insgeheim atmete Van auf. Er hätte nicht für ihn sprechen dürfen, Hitomi als seine Zukünftige auch nicht, Merle wäre eher eine Katastrophe geworden... Thana dagegen konnte reden. Sie wusste auch alles. Und sie war das, was seinem Stellvertreter wohl am nächsten kam. Die meisten der Beurteiler hatten schon persönlich mit ihr zu tun gehabt. Sie wussten, Thana war nicht immer leicht zu ertragen, aber sie war eine anständige Person und jemand, dem man zuhörte. Van nickte ihr zu und sie ging zu Foken, setzte sich auf den Platz des Sprechers. Thana erschien ihm sehr verbissen, mittlerweile konnte er die winzigen Veränderungen in ihrem Gesicht deuten, die die einzigen Zeugen ihrer inneren Verfassung waren. "Dann fehlt nur noch der Ankläger. Wer wird für die Anklage sprechen?" "Ich, eure Hoheit. Mein Name ist Kenden Mohíro. Ich bin das Oberhaupt der Gilde der Baumeister." "Hat jemand Einwände zu erheben gegen das, was bis jetzt gesagt wurde?" fragte Van. Auf einmal wurde es still auf dem Platz. Das war ein wichtiger Augenblick. Wenn sich jetzt jemand meldete, konnte es Wochen dauern... "So sei es denn." Sprach Van die rituelle Formel, und damit standen Verteidigung und Anklage fest. Nun würde das Gericht tagen und erst auseinander gehen, wenn das Urteil gefällt war, oder man übereinkam, dass es nicht gefällt werden konnte. "Meister Kenden, Vertreter der Anklage, tretet vor und verkündet eure Anschuldigungen." "Ja, Hoheit." Kenden trat vor das Richterpult, drehte sich um und begann zu sprechen. "Volk von Fanelia. Vor vielen Jahren verschwand der Kronprinz unseres Landes beim Kampf gegen den Drachen. Wir alle dachten, er sei gestorben, ruhmreich und beim Versuch, sich der Ehre des Thrones von Fanelia würdig zu erweisen." Kenden machte eine Pause und starrte das Publikum an. Er war gut. Van sah, wie Hitomi Anstalten machte, etwas zu sagen, doch er schüttelte den Kopf und zwang sie mit seinen Blicken, ruhig zu sein. Jetzt hatte der Ankläger das Wort. Der Streit begann erst später. "Wir alle trauerten über diesen Tod, Doch unsere Trauer von damals ist nichts im Vergleich zu dem, was vor einem Jahr passierte. Ein grausames Schicksal nahm uns unsere Lieben und verwüstete unsere Stadt. Frauen und Kinder starben in den brennenden Ruinen der Stadt, in der wir so lange und in Frieden gelebt hatten. Ein wahrhaft grausames Schicksal, nicht wahr?" Wieder machte Kenden eine Pause. Dann fuhr er plötzlich herum und sein Finger zeigte anklagend auf Folken, der unberührt am Pult des Angeklagten stand. Er hatte einen Stuhl abgelehnt. "Nein, kein Schicksal! Es war nicht das unvermeidbare Schicksal, das unsere Stadt verbrannte, unsere Geliebten tötete und alles dem Erdboden gleich machte. Nein! Es waren Soldaten eines fremden Reiches, gekommen auf Befehl DIESES MANNES! Sie waren es, die unsere Stadt nieder brannten, ohne Rücksicht auf die Einwohner und allein mit dem Ziel der Zerstörung. Sie waren es, geschickt von Folken de Fanel, dem ehemaligen Kronprinzen Fanelias, von ihm, dem Verräter. Seine Schuld ist es, dass wir dieses Leid ertragen musste, und deshalb kann es heute nur ein Urteil geben: Tod dem Verräter! Tod dem Mann, der den Tod so vieler Unschuldiger ohne Wimpernzucken hingenommen hat!" Es folgten noch viele Anschuldigungen von vielen Menschen. Trauer und Verbitterung war aus ihren Worten zu hören. Van schaute mit unbewegtem Gesicht, aber innerlich trauernd in ein rachsüchtiges Gesicht nach dem anderen. Er konnte sie verstehen, wahrscheinlich besser, als sie es sich selbst vorstellen konnten. Es war sein Bruder gewesen, der Fanelia verraten hatte. Deshalb hatte er Folken töten wollen. Ein Teil von ihm wollte das immer noch. Aber Hitomi hatte ihn davon abgehalten. Hitomi... ihm schwebten immer noch die seltsamen Worte Folkens im Kopf herum. "Es liegt Magie in ihrem Wesen, Van. Du kannst es spüren, auch wenn es dir nicht klar ist. Ihre Magie war es, die Gaia gerettet hat. Sie hat auch mich gerettet. Wenn ich es wert sein sollte weiterhin zu leben, dann wird sie mich wieder retten. Wenn nicht... ich bin bereits gestorben, eigentlich sogar zwei Mal. Mit dem ersten Tod, beim Kampf gegen den Drachen, ist meine Seele gestorben und ich wurde zum Zaibacher Strategen. Der zweite Tod... damals, als ich Dornkirk getötet habe, ist mein Körper gestorben, aber dafür habe ich meine Seele wiederbekommen. Wenn ich jetzt sterben sollte, so ist das nur eine Formalität, der ich gefasst entgegen sehe. Ich habe auch damals gewusst, dass es mich das Leben kosten würde Dornkirk zu töten. Hitomi hatte es voraus gesehen. Aber im Gegensatz zu dir, Bruder, weiß sie, wann es unmöglich ist mich aufzuhalten." "Majestät? Ich bin fertig." Van schreckte aus seinen Gedanken auf. Er fluchte innerlich. Gerade jetzt durfte er sich nicht ablenken lassen. "Gut. Noch jemand?" "Nein, Majestät. Es wurde alles gesagt." Antwortete Meister Kenden. "Alles weitere wäre nur eine Abwandlung der Verbrechen des Angeklagten." Van enthielt sich mühsam einer Erwiderung. "Dann hat hiermit die Verteidigung das Wort." Thana trat vor und sah sich im Publikum um. Sie schien sehr entschlossen zu sein. Langsam wurden die Leute unruhig, als sie nach einer Weile immer noch nichts gesagt hatte. Doch gerade, als verwirrte Gespräche aufbranden wollten, fing sie an, und schon ihr erster Satz machte klar, dass sie nicht um Gnade bitten würde. Sie griff an. Und ihre Stimme hallte klar und deutlich selbst bis in die hintersten Reihen. "Wenn ich mich umschaue, sehe ich viele zornige Gesichter, viele Menschen, die mit Hass im Herzen hier herauf schauen und den Tod eines Mannes fordern, den sie niemals zuvor gesehen haben. Ihr meint, das ist nicht nötig, ihr wisst, wer er ist? Mag sein, ihr habt einen Namen gehört und Taten, die mit diesem Namen verbunden werden, aber seid ihr euch sicher, dass ihr den Richtigen anklagt?" "Er hat jedenfalls behauptet, dass er er ist!" rief ein Scherzkeks aus der Masse und erntete verhaltenes Lachen. Doch zu seiner Überraschung hatte Thana offenbar bemerkt, wer das gesagt hatte, und ihre Blicke bohrten sich in einen Mann, der sich mit einmal sehr unwohl fühlte. "Was hat er behauptet?" fragte Thana. "Folken de Fanel zu sein!" rief der Mann trotzig. Thana nickte, und ein leises, ungemütliches Lächeln spielte um ihre Lippen. "So, hat er das?" fragte sie spöttisch. "Nun gut, dann will ich ihm nicht widersprechen. Ich traue ihm zu, zu wissen, wer er ist. Auch wenn es einige gibt, auf die das nicht zutrifft." Jetzt lachten die Hörer wegen Thana, auch wenn sie nicht genau zu wissen schienen warum. Das Gelächter war zögerlich, so wie bei jemanden, der einen Witz gehört, die Pointe aber nicht verstanden hatte. "Doch die eigentlich Frage ist doch: War es Folken de Fanel, der Schuld ist am Tod so vieler?" "Das ist doch keine Frage!" schrie es aus der Menge. "Das ist eine Tatsache!" "Tatsache ist" erwiderte Thana "dass der Kronprinz Folken de Fanel im Alter von sechszehn Jahren, so wie es nach alter Tradition Sitte ist, auszog einen Drachen zu töten. Tatsache ist auch, dass es ihm nicht gelang. Statt dessen riss ihm der Drache den rechten Arm ab." "Für mich sieht es aber aus, als ob er noch dran wäre!" rief eine Frau spöttisch. Darauf hatte Thana nur gewartet. "Richtig! Er hat seinen Arm, aus Fleisch und Blut! Doch was war mit dem Folken, der angeblich den Angriff auf Fanelia befohlen hat? Was war mit dem Arm dieses Mannes?" Unruhe erfasste das Publikum. Wer nicht von Folkens Metallarm wusste, wurde jetzt von seinem Nachbarn, der davon gehört hatte mit wilden Gesten aufgeklärt. Die Gespräche wurden immer lauter, bis Van mit seinem Hammer auf den Richterstein hieb und das Summen der Masse zum Erliegen brachte. Einer der Beurteiler erhob sich "Wollt ihr damit andeuten..." fragte er an Thana gewandt. Jeder der Beurteiler hatte das Recht, in strittigen Punkten nachzufragen, zu jedem Punkt der Rede. "Wollt ihr andeuten, dieser Mann hier sei nicht Folken?" "Nein." Antwortete Thana mit Verwunderung in der Stimme. "Niemals würde ich das behaupten. Er ist Folken, gerade darum geht es ja." Wieder brach der Tumult aus, diesmal auch unter den Urteilern. "Aber ihr sagtet..." "Nein." Widersprach Thana. "Ihr habt das behauptet, nicht ich. Ich sage, Folken ist im Kampf gegen den Drachen gestorben. Nicht sein ganzer Körper, aber seine Seele. Er hatte mit dem Leben abgeschlossen und deswegen hat sein Geist in gewissem Sinn aufgehört zu existieren. Aber dann... dann geschah etwas seltsames: Der Drachen, gegen den er eben noch gekämpft hatte, wandte sich von ihm ab." "Der Drache glaubte, Folken sei tot?" "Nein..." Thana holte tief Luft, und tat als müsse sie überlegen. "Für den Drachen war es, als sei er gestorben. Indem Folken mit dem Leben abschloss, zog sein Geist sich zurück. Der Drachen sah wohl, dass der Körper seines Gegners noch lebte, aber der Gegner war keiner mehr, der Kampfwille hatte diesen verlassen und er war somit keine Gefahr mehr. Der Drache zog sich zurück und ließ den schwer Verwundeten, aber noch nicht toten Folken zurück." "Das ist doch Unsinn, nichts als Spinnerei!" rief ein anderer Urteiler. "Ich weiß, worauf du hinaus willst, aber das wird dir nicht gelingen. Es gibt keinen Beweis dafür!" "Mag sein." Stimmte Thana zu. "Einen Arm kann man auch anders verlieren. Aber der einzige lebende Augenzeuge behauptet, dies sei die Wahrheit. Und solange niemand etwas anderes beweisen kann, bin ich bereit, es für diese zu halten. Er hat diese Geschichte nicht mir erzählt. Ich habe sie von jemand anderem." "Das beweist auch nichts! Außerdem hast du doch gerade gesagt, es gäbe nur ihn als Zeugen. Also kann die Geschichte nur von ihm stammen, womit wir wieder am Anfang wären." "Da hast du mich falsch verstanden. Ich sagte, es gibt nur einen lebenden Zeugen. Es war damals noch jemand anders anwesend, der heute tot ist." Überraschtes Schweigen, dann lachte der Mann. "Du willst doch jetzt nicht etwa behaupten, der Drache gegen den Folken gekämpft hat- wenn er es denn wirklich getan hat- hat dir erzählt was vorgefallen ist?" Das Publikum lachte, doch das Lachen war nichts im Vergleich zu dem, was nach Thanas nächsten Worten folgte. "Nein. Das geht schlecht, dieser Drache kann ja nicht mit Menschen reden. Wie kommst du auf so einen Unsinn." Das Lachen der Zuschauer verebbte, als sie Thanas Spitzbubenlächeln sahen. "Aber dieser Drache hat anderen Drachen von seinem Kampf erzählt, und diese wiederum haben es einem Drachen erzählt, der sehr wohl mit Menschen reden kann. Und der hat es mir gesagt." "Majestät, es reicht!" protestierte Meister Kenden. "Dieses Mädchen ist ja verrückt! Fantasiert hier etwas von redenden Drachen..." "Hütet eure Zunge, Meister Kenden!" wies Van ihn zurecht. "Diese Frau" er betonte das Wort "ist meine Cousine. Und wenn sie verrückt ist, bin ich es auch. Ich glaube nämlich, ich weiß von wem sie redet." Er wandte sich an Thana die ihn belustigt anlächelte. Irgendwie hatte Van das Gefühl, sie hatte genau das gewollt, was geschehen war. Wenn du sie nicht überzeugen kannst, verwirr sie... "Majestät, ich bitte um eine Pause von... fünfzehn Minuten, um einem Zeugen Zeit zu geben, hier zu erscheinen." "Und wen willst du in den Zeugenstand rufen, Thana?" Thana drehte sich um und schrie geradezu der Menge entgegen. "Ich rufe Akoth, den Wächterdrachen, als Zeugen auf." Die Leute waren noch unruhiger als vorher, wenn das möglich war. Van seufzte. Thana hatte ihm nicht verraten wollen, warum ausgerechnet Akoth aussagen sollte. Er war nun wirklich nicht das, was diese Menschen unter "vertrauenswürdig" ansahen. Aber Thana hatte einfach nur dem Kopf geschüttelt. "Mit normalen Argumenten kommen wir nicht weiter. Die Menschen sind zornig, sie trauern immer noch um ihre Verstorbenen und suchen einen Sündenbock. Glaubst du, Folken wird der einzigste sein? Früher oder später wird etwas passieren, dass die Menschen aufbringt, und dann haben wir eine Meute, die sich auf jeden stürzt, der wie ein Zaibacher aussieht. Nein, nein. Wir müssen ihnen ein Beispiel geben, eines das sie nicht ignorieren, eines das sie nicht übersehen können. "Wie zum Beispiel einen Drachen." "Ja. Zum Beispiel." "Selbst wenn das wirklich so gehen sollte, welches Beispiel könnte Akoth ihnen liefern?" Schmerz zeigte sich auf Thanas Gesicht, aber nur für einen Augenblick. Dann war er verschwunden, und es schien als sei er niemals dort gewesen. "Nicht er, sondern ich. Nach Folkens Auftauchen hielt er es für angebracht, mir etwas zu erzählen..." Thana schüttelte den Kopf. "Nein, das sollst du wie alle anderen erfahren, verzeih mir Van. Aber es ist schlimm genug, es einmal durchkauen zu müssen." Und so wartete Van nun fast so ungeduldig wie die Menge auf das Erscheinen des Drachen, nur im Gegensatz zu dieser war er sicher, dass Akoth auch erscheinen würde. Kurz darauf verdunkelte ein Schatten die Sonne, und rauschend landete Akoth mit einem letzten Schlag seiner mächtigen Flügel. Mit einem Mal erschien der sonst so groß wirkende Platz viel zu klein. Ehrfürchtiges Staunen erfasst einen Großteil der Menge, nur ein paar kleine Kinder fingen an zu weinen und die ein oder andere Frau begann hysterisch zu schluchzen. Nur wenige waren dabei gewesen, als Akoth vor ein paar Tagen das erste Mal erschienen war. Van beeilte sich, um keine Panik aufkommen zu lassen. "Sei gegrüßt, Akoth, Wächterdrache." Sprach er den Drachen an. Er fragte sich, ob alle Anwesenden den Drachen hören würde, schließlich antwortete er nur über den Geist. Doch das Raunen bei seiner Antwort bewies, dass er von allen gehört wurde. "Gruß auch dir, Van Fanel, Herrscher Fanelias. Gruß auch dir, Hitomi Kanzaki vom Mond der Illusionen und dir, Thana von der Insel." Van stutzte. Thana von der Insel? Bezog er sich auf die Insel der Tihani tief im Gebirge? Aber was sollte das? Er hatte sie noch nie so genannt, und auch Thana schien überrascht. Doch sie fing sich rasch und deutete eine Verbeugung an. "Sei du auch mir gegrüßt. Du weißt, warum du hier bist?" "Ja. Es geht um den Bruder des Königs und um eine Geschichte, die ich erzählen soll." "Keine Geschichte. Die Wahrheit." "Verzeih. Ich drückte mich undeutlich aus. Für mich ist eine Geschichte Wahrheit. Ich lüge nicht." Leichte Belustigung schwang in den Gedanken des Drachen mit. Van musste lächeln. Dieser Dialog war bestimmt kein Zufall. Thana hatte sich die ganze Pause, die Akoth angeblich zum Erscheinen brauchte, in sich zurück gezogen da gesessen und in Gedanken mit dem großen Drachen gesprochen. "Nun, dann fangen wir an." Thana drehte sich zu den Menschen um. "Es wird so erscheinen, als hätten die Fragen, die ich Akoth stellen werde, nichts mit diesem Fall zu tun. Doch später wird sich zeigen, dass sie es sehr wohl haben. Doch zuvor..." Mit ein paar raschen Schritten war Thana zu Meister Kenden getreten. "Zuvor verratet mir doch bitte, wen ihr im Krieg verloren habt." "Wie bitte?" Meister Kenden schien verwirrt. Er war immer noch ganz gefangen genommen von dem imposanten Anblick Akoths und dessen Worten, die er auf eine Art vernahm, wie er es noch nie zuvor erlabt hatte. "Eine ganz einfache Frage, Meister Kenden, die ich euch bitte zu beantworten." "Was hat das denn damit zu tun?" "Ich möchte einfach nur wissen, wen ihr eurer Meinung nach durch Folkens Schuld verloren habt." "Das kann ich euch sagen!" zischte Kenden auf einmal wütend. "Meine Frau wurde so schwer verletzt, dass sie ihr restliches Leben lang humpeln muss, und unsere geliebte kleine Tochter ist bei lebendigem Leib verbrannt." "Verbrannt sagt ihr?" fragte Thana und etwas wie Scham huschte über ihr Gesicht. "Ja, grauenvoll verbrannt." Thana spannte sich an, und ein entschlossener Zug spielte um ihre Lippen. Van konnte ihre Gedanken beinahe hören, so wie die von Akoth, und langsam begann er zu begreifen. Das meinte sie also mit Beispiel... "Mein Beileid, Mester Kenden. Auch ich habe meine Eltern bei einem Brand verloren. Einem Brand hervorgerufen durch eine Art Krieg. Es war ein schöner Tag damals, die Sonne schien und die Luft war erfüllt vom Duft der Blumen, die unser Haus umgaben. Ich sehe es noch genau vor mir." Thana hob den Arm und beschrieb einen damit einen Bogen, als ob sie das Bild, das sie vor Augen hatte in die Luft vor ihr malen wollte. "Die steinernen Wände, das Stroh gedeckte Dach, die Fenster mit den bunten Läden davor... Und dann geschah es. Ungeheures Getöse erfüllte die Luft und meine Eltern und ich schreckten vom Tisch hoch, an dem wir gerade essen wollten. Dann passierte es. Ein riesiger Körper krachte in unser Haus, ein großer, mächtiger Drache. Dieser Drache brachte das Haus zum Einsturz und das Feuer im Herd setzte das heruntergefallene Dach in Brand. Ich wurde dabei irgendwie aus dem Haus geschleudert. Schwer verletzt überlebte ich, doch meine Eltern..." Thanas Stimme fing an zu vibrieren, doch ihr Gesicht blieb fast ausdruckslos. Nur die wenigen, die sie genauer kannten wussten um die Anstrengung, die es sie kostete, hier von diesem schrecklichen Ereignis zu erzählen. "Sie verbrannten vor meinen Augen" fuhr Thana fort "in den Flammen, die unser Haus zerstörten. Tagelang war auch ich auf der Schwelle des Todes, weniger durch meine Verletzungen als viel mehr aus Trauer und Leid. Doch ich erholte mich. Und so stehe ich nun heute hier vor euch." Meister Kenden schaute unglücklich in die Gegend. Thana hatte ihn die ganze Zeit angesehen, und aus irgendeinem Grund fühlte er sich schuldig. "Das ist eine traurige Geschichte. Aber was hat sie mit diesem Fall zu tun?" "Ganz einfach." Erklärte Akoth und alle Köpfe wandten sich ihm zu. Die Menschen spürten, was jetzt gesagt werden würde, hatte Bedeutung. "Dieser Drache, der, der auf das Haus gefallen ist und so Thanas Eltern getötet hat- das bin ich gewesen. Ich oder der Drache, gegen den ich damals gekämpft habe." Das Publikum wich unwillkürlich zurück. Schrecken zeichnete sich auf einigen Gesichtern ab. Dann setzte Getuschel ein. Diesen Moment, in dem die Leute sich wieder gefangen hatten, nutzte Thana. "Wie ihr sicherlich verstehen könnt, war von diesem Tag an mein Herz von Hass erfüllt. Hass auf alle Drachen, und ganz besonders den einen, der diesen Kampf überlebt hat. Akoth." Der Name des Drachens hallte wie ein Trommelschlag über den Platz und Thanas ausgestreckter Arm wies anklagend auf den riesigen Körper. "Einige Tage nach dem Kampf..." fuhr sie fort, nachdem sie den Arm wieder gesenkt hatte, "tauchte eine große Heilerin scheinbar aus dem Nichts auf. Was ich nicht wusste, und auch für sehr lange Zeit nicht erfahren sollte, war, dass Akoth sie geschickt hatte. Der Drache, mit dem er gekämpft hatte, war krank im Geiste, und wäre er nicht getötet worden, hätte er noch viel größeres Leid verursacht. Doch auch dies wusste ich lange nicht und hätte es auch in meinem Hass niemals geglaubt. Akoth selbst hatte die Zerstörung bemerkt, die sein Kampf verursacht hatte, und tat was er konnte um den Menschen zu helfen. Natürlich konnte er selbst nicht dort auftauchen, und so bat er eine Freundin um Hilfe. Diese Freundin war die Heilerin, die mich pflegte. Doch selbst als mein Körper zu heilen begann, blieben die Wunden auf meiner Seele. Und so brachte sie mich an einen anderen Ort, wo ich Aufnahme fand und langsam, langsam auch wieder zu mir selbst. Nur der Hass auf die Drachen blieb in mir und schwelte dort, tief eingegraben, vor sich hin. Lange Zeit später begegnete ich Akoth wieder, und bei einem Ereignis, das ich hier nicht schildern möchte, wurde dieser Hass, der so lange in mir war durchbrochen. Ich kann nicht vergessen, was geschehen ist, und werde wohl immer daran denken wenn ich Akoth sehe... Aber ich hasse ihn nicht mehr. Er hat versucht, das Beste zu tun und um das Leben vieler zu retten, musste er das Leben einiger weniger riskieren." Ungemütliche Stille folgte diesen Worten, und Thana schritt langsam zu Meister Kenden. Dieser fühlte ihren Blick auf sich ruhen und ahnte wohl, was er jetzt zu hören bekam. Scheinbar leise, aber doch für jeden verständlich sprach Thana ihn nun an und schien ihn dabei mit ihren Blicken zu bannen. Ihre Worte bohrten sich tief in das Herz eines jeden Zuhörers. "Ich habe ihm vergeben, was er getan hat. Ich habe die Vergangenheit ruhen lassen und mich der Zukunft zugewandt. Es war nicht einfach, und ohne meine Freunde hätte ich es wohl auch nicht geschafft. Sagt mir, Meister Kenden, seid ihr dazu ebenfalls bereit? Seid ihr bereit den Groll in eurem Herzen zu besiegen, um euch und euren Kindern eine bessere, eine Zukunft ohne Krieg zu schenken; oder wollt ihr für ewig auf Rache sinnen und so verdammt sein, den Teufelskreis des Krieges immer und immer wieder zu durchleiden? Geschichte wiederholt sich, Hass folgt auf Hass und auf Hass folgt der Tod." Thanas Stimme versiegte, ihre letzten Worte schienen vom Wind davongetragen zu werden. Doch würden sie die Herzen der Zuhörer erreichen? Oder würden sie im Wind davon getragen werden wie Blätter im Herbststurm und in der Ferne verschwinden bis nichts mehr von ihnen zurückbleibt? Van blickte Thana nach, als sie an ihm vorbei an ihren Platz zurück ging. Wenn niemand anderen, dann hatten ihn ihre Worte tief bewegt. Fast ein ganzes Jahr schon lebte er mit ihr zusammen unter einem Dach, besprach sich täglich mit ihr und weinte oder lachte mit ihr über die Dinge des Lebens... aber er schien sie immer noch nicht richtig zu kennen. Wie viele Masken sie wohl noch trug? Thana setzte sich und ihre Kraft ausstrahlende Gestalt sackte auf ihrem Platz zusammen. "Du warst gut." Flüsterte Flöte hinter ihr, unsichtbar für jeden Beobachter. Einen kurzen Augenblick wunderte sich Thana, wie Flöte dorthin gekommen war, aber es war sicher nicht so schwer gewesen, sich in einem Augenblick, als sich alles auf sie oder Akoth konzentrierte dorthin zu stehlen. Und falls doch... nun, sie war eine Göttin. Die waren per Definition eigentlich unsichtbar... "Findest du wirklich? Ich fand mich eher grauenvoll. Außerdem war ich nicht gerade gerecht Meister Kenden gegenüber." "Recht haben und Recht bekommen sind zwei verschiedene Dinge. Und Gerecht sein noch etwas ganz anderes. Manchmal muss die Heilung schmerzhaft sein und gegen den Willen des Kranken..." "Hast du mich damals wirklich als Kranken gesehen, als du mich zu Akoth gelotst hast?" fragte Thana leise, die die Anspielung natürlich verstanden hatte. Thana blickte zu dem Drachen. Akoth schien auf geheimnisvolle Weise kleiner geworden zu sein und machte nun den Eindruck, den Rest der Verhandlung in der Ecke liegen und zuschauen zu wollen. "Krank. Fehlgeleitet. Zu schwach, um die Wahrheit selbst zu erkennen. Was heißt das schon." Flöte winkte ab. "Das sind nur menschliche Worte, hinter denen sich eine bestimmte Vorstellung versteckt. Was wichtig ist, ist das was passiert. Heute genauso wie damals und morgen. Die Vergangenheit hat uns an diesen Ort geführt, und hier stellen wir die Weichen für unsere Zukunft." Thana lachte, aber es klang gequält. "Ihn hat die Vergangenheit auch hierhin geführt." Sagte sie und nickte in Folkens Richtung. "Doch ich glaube nicht, dass er die Weichen für seine Zukunft stellen kann." "Du solltest zuversichtlicher sein, mein Kind." meinte Flöte lächelnd. "Seine Taten in der Vergangenheit haben seinen Weg hierher bestimmt. Und ich denke, es waren genug gute dabei, um ihn nicht ins Verderben zu schicken. Er hat mächtigere Freunde, als ihm das bewusst ist. Du bist eine davon. Eine andere ist sie." Thana drehte den Kopf. Hitomi war aufgestanden und machte sich nun daran, ihrerseits eine Rede für Folken zu halten. Thana blinzelte verwundert. Hatte SIE auch so stark gewirkt? Hitomi wirkte so selbstbewusst, so vollkommen sicher... dabei wusste sie nur zu gut, wie nervös Hitomi eigentlich war. "Menschen Fanelias!" dröhnte ihre Stimme über den Platz, und die Menschen in den ersten Reihen duckten sich unwillkürlich. Dann wurde Hitomis Stimme sanfter, fast als ob sie sich entschuldigen wollte. "Ich bin sicher, ihr alle wisst, wer ich bin. Schließlich sind vor ein paar Tagen Dutzende Ausrufer durch die Stadt gerannt, um meine Verlobung mit Van zu verkünden. Ich muss gestehen, das macht mir ein wenig Angst." Hitomi lächelte schüchtern in die Menge, und erhielt sanftes Gelächter zurück. "Aber auch wenn ich Angst habe, so stehe ich dennoch heute hier. Seit ich nach Gaia gekommen bin, habe ich viele schreckliche Dinge erlebt. Auch sie haben mir Angst gemacht und ich habe mir sehr oft nichts anderes gewünscht, als wieder nach Hause, auf den Mond der Illusionen zu kommen. Doch mit der Zeit ist mir Gaia ans Herz gewachsen. Genauso wie meine Freunde. Oh, und natürlich auch Van." Diesmal gab es lautes Gelächter. "Gaia ist meine neue Heimat geworden, trotz der vielen grausamen und unnötigen Dinge, die ich hier erlebt habe. Ich will damit nicht sagen, dass es dort, wo ich herkomme, keinen Krieg gibt, nein. Das ist wirklich nicht so. Aber um die Wahrheit zu sagen: Ich habe mich nicht besonders darum gekümmert. Es war weit weg. Ich selbst war nie in Gefahr. Natürlich haben mir die Menschen leid getan, und ich habe für sie gehofft, dass der Krieg aufhört. Aber ansonsten... Hier war das anders. Auf Gaia war ich mit einem Mal mitten im Krieg, ja ich war sogar einer der Gründe, warum gekämpft wurde. "Warum?" habe ich mich damals gefragt. "Warum ich?" Diese quälende Frage habe ich mir sicher nicht als einzige gestellt. Und auch ich konnte sie nicht beantworten. Aber eines habe ich begriffen. Ganz egal, warum mir etwas passiert ist: Es ist passiert und ich muss damit leben. Und ich soll verdammt sein, wenn ich mich noch mal von der Angst gefangen nehmen lasse!" Thana blieb der Mund offen stehen. Was war das eben gewesen? Dieses Gefühl... als ob eine Welle über ihr zusammen brechen würde... Hitomi schien von ihrer eigenen Rede gefesselt zu sein, ihr Blick bohrte sich in die Augen der anderen, einer nach dem anderen wurde davon erfasst. "Denn die Angst ist der größte Feind den wir, den jeder einzelne von uns hat! Angst ist letztendlich immer der Grund, warum getötet wird. Sicher, es gibt immer Menschen, die aus ihrer Gier heraus einen Krieg wollen. Doch das Töten, das erledigen sie nicht selbst. Das müssen immer die einfachen Menschen tun. Und warum tun es diese? Aus Angst! Entweder vor diesen gierigen Menschen, oder aus Angst, selbst getötet zu werden. "Wer nicht als erster niederstreckt, wird niedergestreckt werden!" Dieser Satz ist Tausende Jahre alt, aber leider, leider stimmt er noch immer." Plötzlich drehte sich Hitomi um und wies auf Folken. "Auch er hat Angst gehabt. Angst davor, dass der Krieg, der so viele Opfer gefordert hat, noch weiter gehen würde. Immer und immer weiter, bis ans Ende aller Tage, oder bis zu dem Zeitpunkt, an dem keiner mehr da ist, der noch weiterkämpfen könnte. Darum hat er Fanelia überfallen. Darum hat er Krieger in die Schlacht geschickt. Er wollte den Krieg ein für alle Mal beenden. In einem letzten, großen Krieg der ganz Gaia geeint und somit für alle Zeiten den Grund für Kriege beseitigt hätte. Aber..." Hitomi schüttelte den Kopf und eine unendliche Traurigkeit erfasste das Publikum. "Ich hätte es ihm sagen können. Doch selbst wenn, er hätte mir nicht geglaubt. Seine Angst davor, dass ich die Wahrheit sagen könnte, wäre zu stark gewesen. Sie hätte ihm nicht erlaubt, auf mich zu hören. Denn die Wahrheit ist: Es hätte niemals funktionieren können. Auf dem Mond der Illusionen gab es einmal einen Krieg, der fast alle Menschen betroffen hat. Deshalb nannte man ihn Weltkrieg. Dieser Krieg forderte mehr Opfer als jeder andere zuvor. Dieser Krieg war grausamer als jeder zuvor. Menschen starben oder wurden so schwer verletzt, dass sie den Rest ihres Lebens als Krüppel verbrachten. Einige wurden verrückt, oder sie vergaßen alles, und noch Jahrzehnte später streiteten sich Witwen oder Mütter um diese ehemaligen Soldaten, von denen jede glaubte, es wäre ihr doch nicht gefallener Mann oder Sohn. Andere Soldaten fingen bis zu ihrem Tod bei bestimmten Geräuschen an, sich wie Wahnsinnige aufzuführen und zu toben, so tief war die Erinnerung an den Krieg, ihre Angst davor in ihnen vergraben." Die Knöchel an Thanas Hand traten weiß hervor, so fest klammerte sie sich an ihrem Stuhl fest. Bilder wankten vor ihren Augen, Bilder von Gestalten, wie Hitomi sie gerade eben beschrieben hatte, und sie hatte Mühe, ihren Brechreiz zu unterdrücken. »Was ist das?« fragte sie sich von Grauen geschüttelt. »Ist das Hitomi? Aber wie kann sie das tun?« Thana schaute in die Menge und ihr Kopf schien zu explodieren. Doch dann war es plötzlich verschwunden. Es war nur noch ein Säuseln, ein entferntes Rauschen in ihren Gedanken, wie das Branden des Meeres. "Mein armes Kind." Sagte Flöte leise. "Als Empathin bist du natürlich besonders empfänglich dafür. Und du empfängst auch noch das Echo der Menge..." "Ist sie es? Ist es wirklich Hitomi?" fragte Thana ehrfürchtig und ein wenig ungläubig. Flöte nickte, bedeutete Thana aber zu schweigen. Hitomi redete weiter. "Dieser Krieg wurde Weltkrieg genannt, und noch während der Krieg lief wurden sich die Menschen in einem klar: Nie wieder sollte es so etwas geben. Das musste der letzte Krieg sein. Der Krieg, der alle Kriege beenden sollte. Und so kämpfe man entschlossener als jemals zuvor, und grausamer, als sich es jemals irgend jemand hätte vorstellen können... Doch dann... Dann gab es nur wenige Jahre später den zweiten Weltkrieg." Hitomi machte eine weitere Pause, und die Bedeutung ihrer Worte sickerte langsam in das Bewusstsein der Leute. "Auch dieser Krieg sollte wieder einmal alle Kriege beenden. Doch das tat er nicht. Es gibt fast überall auf dem Mond der Illusionen Kriege. Sie sind anders als früher, kleiner in ihrem Umfang aber vielleicht noch grausamer. Das es keinen wirklich großen Krieg mehr gab, ist etwas zu verdanken, dass eigentlich noch viel schrecklicher ist. Die Waffen, die mittlerweile existieren, sind so unvorstellbar gewaltig, dass bei ihrem Einsatz alles, wirklich alles Leben vernichtet werden würde. Nur aus Angst vor diesen ultimativen Waffen, aus Angst vor dem endgültigen und unumgehbaren Ende hat es keine großen Kriege mehr gegeben. Aber ist das gut? Die Menschen auf dem Mond der Illusionen leben Tag für Tag, jede Sekunde ihres Lebens unter der Bedrohung dieser Waffen. Jede Sekunde kann ihr Leben und das jedes einzelnen auf dem ganzen Planeten beendet sein, und sie würden vielleicht nicht einmal Zeit haben, es zu bemerken. Ich frage euch, wollt ihr das auch? Wollt ihr auch ein Leben führen, das jede Sekunde ausgelöscht werden kann, und ihr könnt nichts dagegen tun?" Raunen erfasste die Menge und wanderte von einer Seite zur anderen, wogte hin und her und wurde immer lauter. "Nein!" rief Hitomi und unterbrach die Leute. "Natürlich wollt ihr das nicht. Niemand will das. Und dennoch seid ihr auf dem besten Weg dahin. Denn auch ihr lasst euch von eurer Angst leiten, genau der Angst, die diese Waffen hervorgebracht hat, und die es ermöglicht, dass kaum jemand ernsthaft gegen die Existenz dieser Waffen antritt. Doch ihr habt die Chance, diese Zukunft für euch oder eure Kinder zu verhindern! Es erfordert Mut, aber den braucht es für alle großen Änderungen. Es braucht den Mut, das Richtige zu tun, gerade dann, wenn es schmerzhaft ist. Ich traue euch diesen Mut zu! Wagt es! Ich verlange nicht von euch, zu vergessen was Folken getan hat. Im Gegenteil. Ihr sollt immer daran denken, in was Angst und Verzweiflung ihn gebracht haben. Wagt es, ihm eine zweite Chance zu geben! Begrabt Angst, Hass und Ärger und helft ihm und euren ehemaligen Gegnern. Denn die haben mehr Angst als ihr! Angst, dass ihr kommt und euch rächen wollt. Genauso, wie es ihnen früher ergangen ist. Die Zaibacher wurden früher unterdrückt, und deshalb haben sie sich gewehrt. Sie haben sich aus der Unterdrückung befreit und dann haben sie sich gerächt. So haben sie den Krieg nach ganz Gaia gebracht. Ich bitte euch, begeht nicht den selben Fehler. Sollen in zwanzig Jahren eure noch ungeborenen Kinder die Babys der Zaibacher Mütter töten, deren Männer bereits im Kampf gefallen sind? Geht auf sie zu und sagt ihnen: Wir haben alle Schreckliches erlebt, lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass es nicht noch einmal passiert! Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass unsere Kinder in einer Zeit aufwachsen, in der Kriege nur noch Legenden sind, und das einzige wovor sie Angst haben müssen, schlechtes Wetter ist! Gebt den Zaibacher Müttern und allen anderen die Chance, ein neues, freies Leben ohne Krieg zu beginnen! Gebt Folken hier die Möglichkeit, euch dabei zu helfen! Das ist alles, was er sich wünscht: Dass er Buße leisten kann für die Fehler, die er früher gemacht hat. Auf dem Mond der Illusionen gibt es ein Sprichwort: Und derjenige, der frei von Sünde ist, der werfe den ersten Stein! Ich sage: Statt einen Stein zu werfen, reiche dem Fehlgeleiteten die Hand, und erlaube ihm aus seinen Fehlern zu lernen! Lasst uns lernen aus der Vergangenheit und das Leiden des Krieges ein für alle Mal von Gaia verbannen!" Hitomi stand da, regungslos wie eine Statue, die Hand ausgestreckt. Ein überirdisches Leuchten schien sie zu umgeben, und Thana fragte sich, ob das Leuchten aus ihrer Einbildung kam oder ob es tatsächlich da war. Dann begann jemand zögerlich zu klatschen. Ein weiterer folgte. Dann brach der große Tumult in der Menge aus und der Platz erwandelte sich in ein Gewirr von Menschen. Thana stand auf, mit wackeligen Knien. "Du hast es gewusst, oder?" fragte sie Flöte. "Du hast es gewusst!" "Nein." Widersprach ihr Flöte. "So etwas kann man nicht wissen. Ich habe so etwas gehofft, vielleicht auch vermutet, aber gewusst? Oh nein. Du solltest es eigentlich besser wissen, Thana. Auch ich bin keine Hellseherin." "Was ist sie?" fragte Thana atemlos, während sie wie die anderen auf die Tür zustrebte. Die Menschen schienen alle auf einmal mit ihnen allen reden zu wollen, und nur mit Mühe konnten die Schlosswachen die Menge zurückhalten, dass Schloss zu stürmen. "Wer ist sie?" fragte Thana noch einmal. "Sie kann doch kein normaler Mensch sein!" "Was fragst du mich das?" Flöte lachte vergnügt. "Du solltest doch besser wissen als ich, ob sie ein Mensch ist." Übergangslos wurde sie ernst. "Hör zu Thana. Ein Teil von dem, was du heute gesehen und gefühlt hast, ist für die anderen etwas gewesen, was sie nicht bewusst wahrgenommen haben. Sprich niemals, niemals darüber, hörst du? Hitomi weiß selbst nicht, was sie da gerade getan hat. Selbst ich verstehe es nicht ganz." Aber Thana verstand plötzlich. Nicht was Hitomi getan hatte, sondern... "Sie ist eine Göttin!" platzte es aus ihr heraus. "Psst!" Flöte hielt ihr den Mund zu und schien auf einmal verärgert. "Sag das nicht noch einmal!" "Dann stimmt es also!" "Ich weiß es nicht." Antwortete Flöte vage, aber sie widersprach nicht. "Die Menschen Gaias glauben an sie. Glauben erschafft Götter. Mehr kann ich dir wirklich nicht sagen." "Dann meinst du, sie WIRD eine Göttin?" Flöte funkelte sie an. "Verdammt Thana, stell dich nicht so an. Ich kann es dir nicht sagen. Aber überleg doch: Wieso kam ausgerechnet sie durch das Tor nach Gaia? Du weißt, selbst ich habe erfolglos versucht, die Tore zu nutzen. Früher ging es noch, aber in den letzten Jahrzehnten..." Vollkommen verwirrt musste sich Thana auf einen Stuhl setzten. "Thana, ich bitte dich, vergiss das heute. Erzähle es niemandem. Es schadet nur, wenn es wer anders weiß, besonders Hitomi selber. Wie sie gesagt hat, Veränderungen brauchen Mut. Beunruhige sie nicht mit Dingen, die sie nicht verstehen kann. Du bist außer mir die einzige, die alles gesehen hat. Belass es dabei." Thana blickte zu Hitomi, die Van gerade etwas zu erklären versuchte. Sie schnappte Wortfetzen auf wie "weiß nicht" und "kann mich nicht erinnern" und langsam verstand sie was Flöte meinte. "In Ordnung. Aber Flö... Mutter?" "Ja, was?" Thana grinste ein wenig verlegen. "Bleibst du heute nacht in meinem Zimmer bis ich eingeschlafen bin?" fragte sie nicht nur scherzhaft. Flöte lachte, bis ihr die Tränen kamen. "Mein kleines Kind! Hat sie dir so große Angst gemacht? Aber wenn du willst... dann mache ich dir einen schönen Tee zum Einschlafen, und dann singe ich dir das Lied vom Schwan und den Gänseblümchen." Flöte trat an Thana heran und umarmte sie. "Und wenn du nichts dagegen hast, trinkt deine Mutter auch einen Tee. Aber jetzt lass uns zu den anderen gehen." Thana nickte, löste sich vorsichtig aus Flötes Armen und stand auf. "Du hast Recht. Wir müssen dem Tag ins Gesicht sehen. Wenn mich nicht alles täuscht, erleben wir heute noch ein Wunder." Sie zögerte einen Augenblick. "Noch ein weiteres Wunder." Verbesserte sie sich. Folken stand allein in einer Ecke des Ganges und schien niemanden an sich heran kommen lassen zu wollen. Sein starrer Blick war auf das Fenster gerichtet, und es sah nicht so aus, als ob er den Himmel oder die Bäume auf der anderen Seite des Glases überhaupt wahrnahm. Van, Hitomi, Asuna und auch Merle standen ein Stück von ihm entfernt und warfen ihm dann und wann irritierte Blicke zu. "Was ist mit ihm los?" fragte Thana verwundert. "Man sollte doch meinen, nachdem es so gut läuft, wäre er etwas optimistischer." Van schüttelte den Kopf. "Ich glaube, es läuft ihm zu gut. Er denkt wohl, wenn er jetzt keine schwere Strafe bekommt, ist das falsch." "Er würde wohl lieber ordentlich leiden, was?" Thana seufzte. "Er ist genauso ein Dickkopf wie du. Das wird nicht leicht werden..." "Was wird nicht leicht werden?" fragte Van, doch Thana war schon unterwegs zu Folken, der ihr Kommen nicht zu bemerken schien. Thana stellte sich neben ihn, schaute aus dem Fenster in die strahlende Sonne und meinte. "Grässlich, dieses elende Regenwetter!" "Wie?" Folken drehte sich erstaunt zu ihr. "Was für Regen? Die Sonne scheint doch!" "Oh, Verzeihung!" machte Thana verblüfft. "Du hast Recht. Ich habe das Wetter wohl mit deinem Gewittergesicht verwechselt." Folken sah sie eine Sekunde sprachlos an, dann zogen sich seine Mundwinkel tatsächlich ein wenig nach oben. "Hör auf, mich aufheitern zu wollen." Sagte er dennoch. "Ich bin nicht in der Stimmung für Scherze." "Der große Folken, Magnet allen Leidens. Und natürlich auch von allem Selbstmitleid." "Thana!" mahnte Folken, doch das Mädchen schüttelte den Kopf. "Nein Folken, jetzt rede ich und du hörst gefälligst zu. Jeder von uns macht sich Sorgen um dich. Wir geben uns hier die allergrößte Mühe, dir Kerker oder was weiß ich zu ersparen, und du scheinst es uns übel zu nehmen. Ich habe keine Lust, mir dein Gejaule anzuhören. Aber du wirst hören, was ich zu sagen habe." Folken starrte mit offenem Mund auf Thana, die das alles in gefährlicher Ruhe gesagt hatte, den Blick nach draußen gerichtet. Jetzt drehte sie sich wieder zu Folken und tippte ihm mit dem Finger auf die Brust. "Du bist jetzt hier, bei deinem Bruder und anderen, die sich als deine Freunde bezeichnen. Du tust diesen Menschen weh, und so etwas mag ich nicht. Du solltest daran denken, dass sie alles das für dich tun. Sie tun es aber nicht, damit du Trübsal blasen kannst. Sie tun es, damit du die Chance auf ein neues Leben hast. Wir verlangen von niemandem, auch von dir nicht, dass du vergisst, was passiert ist. Aber das ist die Vergangenheit. Hitomi und ich haben da draußen nicht aus purem Spaß gesagt, das wir lernen müssen die Vergangenheit zu überwinden. Wir tun das alles hier, um Gaia zu einer besseren Welt zu machen, einer Welt, in der die Menschen glücklich und ohne Krieg leben können. Wenn du weiterhin so egoistisch und selbstmitleidig bist, muss ich leider sagen, dass unsere Bemühungen verschwendet sind. Wenn wir nicht mal jemanden, der so intelligent ist wie du, davon überzeugen können zu vertrauen und optimistisch in die Zukunft zu sehen, dann haben wir bei anderen erst Recht keine Chance. Komm zu dir, Folken! Die Welt ist kein Spielplatz, und wir müssen alle unser Bestes geben. Wenn du uns hilfst, gelingt uns vielleicht, was wir uns vorgenommen haben. Wenn du nur den Märtyrer spielen willst, dann geh und häng dich selbst auf, dann brauchen wir unsere Zeit nicht mit diesem Gericht und den Leuten da draußen zu verschwenden!" Thana drehte sich um und marschierte davon, ohne Folken auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. Sie gesellte sich zu den anderen, die zu fragen versuchten, was sie Folken denn nun gesagt hätte, so schockiert sah er aus. Doch Thana antwortete ihnen nicht. Satt dessen zog Thana sie mit sich bis auf ihr Zimmer, wo sie ihnen befahl, sich hinzusetzen. Auf die Frage, was sie denn nun tun sollten, antwortete sie lakonisch "Warten." Es war eine ganze Weile vergangen, als es schließlich an Thanas Tür klopfte, und ein ziemlich schüchtern wirkender Folken eintrat. Er sah sich die Gesichter der Anwesenden an, als wolle er sie sich für den Rest seines Lebens einprägen, und vielleicht war es ja auch so. Dann stellte er sich vor Thana hin, die ihn erwartungsvoll ansah. "Ich habe mich wohl wie ein Idiot verhalten. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Und dir möchte ich danken, dass du es mir gesagt hast. Wenn es auch ein wenig... grob ausgedrückt war." Thana lachte und ein belustigtes Glitzern lag in ihren Augen. "Oh, ich dachte, du brauchst das. Ich war mir nicht sicher, ob etwas anderes helfen würde." Sie stand auf und umamte ihn, und zu aller Überraschung erwiderte Folken die Umarmung- wenn auch nur einen ganz kurzen Moment. "Van..." wandte sich Folken an seinen Bruder und in seiner Stimme schwangen lange unterdrückte Gefühle mit. "Ich kann mich nur noch einmal entschuldigen für das, was ich getan habe. Willst du meine Hilfe annehmen?" fragte er schlicht, und ebenso schlicht nickte Van, nicht sicher ob er seiner Stimme trauen konnte. Merle jauchzte auf, nicht sicher, was dieses Gespräch eigentlich bedeuten sollte, aber sicher der Tatsache, dass nun irgendwie alles gut war. Alles bis auf eines... "Die Urteiler haben eine Entscheidung getroffen." Wurde ihnen gemeldet, und zusammen begaben sie sich wieder zum Gerichtsplatz. Ein wenig ängstlich, aber dennoch voller Vertrauen auf die Zukunft. Meister Kenden trat vor Vans Pult, in den Händen eine Schriftrolle. "Ihr habt das Urteil gefällt?" fragte Van und sah Kenden eindringlich an. Doch das Gesicht des Meisters war undurchdringlich. "Das haben wir Majestät. Die Urteiler bitten darum, dass die genaue Zahl der Stimmen geheim bleibt." Van sah ihn überrascht an. "Eine ungewöhnliche Bitte, aber sie steht euch zu. So sei es denn. Wie lautet das Urteil?" Auch Van sprach sehr ruhig, aber alle die ihn kannten hörten seine große Aufregung aus seiner Stimme heraus. "Wie ihr wünscht, Majestät." Meister Kenden drehte sich um und sprach zu der erwartungsvollen Masse von Menschen, die ohne zu murren ausgeharrt hatten. Es schienen noch mehr geworden zu sein als vorher. "Die Urteiler haben sich beraten und sind zu folgendem Schluss gekommen." Rief Meister Kenden laut und rollte dann das Dokument auf. Offensichtlich wollte er alles ganz genau machen. "Wir haben die Anklage geprüft und folgendes Urteil gefällt: Der Angeklagte Folken Lacour de Fanel ist schuldig, den Angriff auf sein Heimatland befohlen zu haben und somit Schuld zu tragen am Tod vieler Menschen dieser Stadt, sowie indirekt ihrer Zerstörung. Wir sind weiterhin der Überzeugung..." Das Tuscheln in der Menge wurde so laut, dass er sich unterbrach, sah jedoch ein, dass es keinen Zweck hatte. "...der Überzeugung" fuhr er fort, jetzt schon fast schreiend "dass er bereit war, Krieg über alle Länder Gaias zu bringen, um sein Ziel zu erreichen. Des weiteren sind wir uns sicher beurteilen zu können, dass dieses Ziel nicht Vernichtung oder Machstreben war, sondern einzig und allein der Versuch, die vielen Konflikte auf unserer Welt zu beenden. Wir bedauern zutiefst den fehlgeleiteten Weg, den er dabei eingeschlagen hat. Niemals kann ein Ziel, so gut es auch sein mag, solche Mittel rechtfertigen. In Anbetracht dieser Tatsachen und Aufgrund der..." hier zögerte Meister Kenden etwas "bewegenden Reden für Folken wurde folgendes Urteil gefällt: Folken Lacour de Fanel wird nicht hingerichtet. Aber es wird ihm für alle Zeiten und unwiderruflich der Herrschaftsanspruch über sowie die Bürgerrechte von Fanelia entzogen. Ab sofort darf er sich nicht mehr als Bürger Fanelias bezeichnen und genießt keinerlei Schutz durch die Institutionen dieses Landes. Außerdem erscheint es uns nicht angebracht, ihn für den Rest seines Lebens einzusperren und für sein Weiterleben innerhalb dieser Grenzen verantwortlich und verpflichtet zu sein. Statt dessen wird ihm folgende Auflage gestellt: Er hat bis in alle Zukunft dafür einzutreten, dass Gaia ein Ort des Friedens wird. Was er dafür zu tun hat und was ihm verboten ist- wie das Befehligen einer militärischen Einheit- ist in diesem Dokument in einer vorläufigen Fassung niedergelegt. Wir sind bereit, seinen Fall zu einem Vorbild für alle ähnlichen Fälle zu machen, insbesondere den einfachen Soldaten Zaibachs, die unter Befehl standen. Wir sind bereit, allen diesen Menschen eine zweite Chance zu geben in der Hoffnung, dass dieser Krieg wirklich der letzte gewesen ist. Sollte Folken Lacour, nunmehr nicht de Fanel, jemals den Auflagen zuwiderhandeln, wird er für vogelfrei erklärt und ein Todesurteil über ihn tritt automatisch in Kraft. Dieses ist das Urteil das gefällt wurde." Meister Kenden drehte sich um und gab Van die Schriftrolle. Der starrte darauf, dann riss er sich zusammen. Sein Blick schweifte über die heftig tuschelnde, aber aufmerksame Menschenmasse. "Als Vorsitzender dieses Gerichtes..." reif er und das Getuschel der Menge erlosch schlagartig wie eine Kerze im Sturm. "Als Vorsitzender dieses Gerichtes nehme ich das Urteil zur Kenntnis... und erkläre es hiermit für gültig. Es soll wie üblich an den Marktplätzen und öffentlichen Gebäuden ausgehängt werden, sobald die endgültige Fassung der Auflagen feststeht. Hiermit ist dieses Gericht geschlossen!" Voller Erleichterung ließ er seinen Hammer knallen und drehte sich dann um. Ein entrücktes Lächeln lag auf seinem Gesicht. "Heute ist wahrlich ein großer Tag." Murmelte er fröhlich. LMMI 4 Kapitel 8 ---------------- Kapitel 8 Das ganze Schloss, und wohl auch die ganze Stadt, summten vor Geschäftigkeit wie ein Bienenschwarm vor dem Umzug. Heute war der große Tag, und es sollte natürlich alles perfekt werden. Der große Tag. Hitomi lief aufgeregt in Thanas Zimmer vor der ruhig dasitzenden Bewohnerin hin und her. Neben Thana saß Asuna, die sie mit milder Belustigung beobachtete. "Nur hör auf, so herum zu laufen." beschwerte sich Thana, halb lachend. "Du machst mich noch ganz nervös!" "Du hast gut reden!" meinte Hitomi. "Es ist ja nicht deine Hochzeit!" "Ich habe dir doch gesagt, sie sind rechtzeitig fertig." Erwiderte Asuna und versuchte Hitomi zu beruhigen. Sie hatte nicht sehr viel Erfolg damit. "Falin und Ani haben noch jedes Kleid rechtzeitig zusammen geschneidert, da werden sie sich doch ausgerechnet bei dir keinen Patzer erlauben!" "Mag ja sein, aber es ist fast Mittag!" "Das ist noch über eine Stunde hin. Mehr als genug Zeit..." Es klopfte an der Tür und Thana rief "Herein!" Blinx schaute zur Tür herein und machte eine Kunstpause. "Es ist da." Sagte er schlicht. "Wo?" schrie Hitomi geradezu. "In deinem Zimmer natür..." Hitomi rauschte an ihm vorbei. Blinx schaute ihr hinterher. "Frauen!" Ein belustigtes Hüsteln von Thana brachte ihn dazu sich umzudrehen. "Ist die andere Sache erledigt?" fragte diese. Blinx nickte. "Alles klar. Sie war ganz begeistert. Wirklich eine gute Idee von dir." Thana zuckte mit den Schultern. "Ich weiß was es heißt, seine Eltern zu verlieren. Und was einem eine Aufgabe geben kann..." Hitomi öffnete die Tür zu ihrem Räumen. Nichts zu sehen. Vielleicht im Schlafzimmer... Richtig! Da lag das Hochzeitskleid auf dem Bett und... Hitomi blieb wie erstarrt stehen, die Hand erhoben um nach dem Kleid zu greifen. "Wer bist? Und was machst du hier?" Die Gestalt am Fenster fuhr erschrocken herum. Ihre langen, flammend roten Lockenhaare wirbelten dabei um ihren Kopf. "Nichts!" rief das Mädchen und schüttelte dann Kopf. "Ich meine nichts schlimmes. Ich... Blinx hat mich gefragt ob... ob ich eure Zofe sein möchte... und Lady Thana hat zugestimmt und mir gesagt, ich solle hier warten..." dem jungen Mädchen schien etwas einzufallen. Sie versuchte einen Knicks, der wohl mangels Übung und wegen ihrer Aufregung völlig danebenging. So daneben, dass sie etwas unsanft auf dem Boden zu sitzen kam. Ihr ohnehin roter Kopf nahm jetzt eine überraschend dunkle Färbung an. "Himmel, nun beruhige dich doch!" Hitomi ging schnell zu dem Mädchen und half ihr hoch. Dabei sah sie sie das erste Mal richtig an. "Moment. Dich kenne ich doch, ich habe dich schon mal gesehen..." "Ich bin eine Freundin von Blinx. Er hat damals Eure Freundin vom Mond der Illusionen umgerannt..." "Richtig, jetzt erinnere ich mich!" Hitomi musterte das Mädchen erneut. "Neela, richtig? Du bist ein ganzes Stück gewachsen." "Ich bin auch schon fast vierzehn." Sagte Neela, stolz dass Hitomi sich an ihren Namen erinnerte, und errötete dann erneut. "Du sollst mir also helfen?" fragte Hitomi, um das Mädchen nicht unnötig zu quälen. Neela nickte. "Naja, ich weiß nicht, ich habe noch nie Hilfe gebraucht..." "Ihr habt auch noch nie ein Hochzeitskleid getragen, oder?" Jetzt war es Hitomi, die ein wenig errötete. "Naja, eigentlich nicht." Die "Proben" mit dem Kleid ihrer Mutter zählten wohl nicht. "Dann braucht ihr Hilfe. Glaubt mir, ich mache das nicht zum ersten Mal." Neela zögerte eine Sekunde. "Wenn auch noch nie bei jemandem wie euch, Mylady." Fügte sie dann hinzu. Hitomi seufzte. "Na schön, du kannst mir helfen. Aber nur unter einer Bedingung!" Neela runzelte die Stirn. "Welche Bedingung?" fragte sie. "Du hörst mit diesem Ihr und Euch und Mylady auf. Mein Name ist Hitomi." "Wie ihr wünscht My..." erwiderte Neela automatisch und verbesserte sich dann. "Wie du möchtest, Hitomi." Sie schien den Geschmack der Wörter auf der Zunge zu testen und befand ihn anscheinend als ungewohnt, aber nicht schlecht. "Gut. Dann lass uns anfangen. Ich bin ein wenig aufgeregt, weißt du. Es ist schließlich meine erste Hochzeit." Neela sah Hitomi an, Hitomi starrte zurück. Dann brachen sie beide in Gekicher aus. "Das merkt man. Der war sehr schlecht." Bemerkte Neela und sah Hitomi dann in die Augen. Nach einer Weile der Stille grinsten beide. "Bedauerst du es?" fragte Asuna in diesem Moment Thana. Thana legte den Stift sorgfältig weg und stützte das Kinn auf die zusammen gefalteten Hände. "Was meinst du?" fragte sie ruhig. "Das es nicht deine Hochzeit ist." Thana hob eine Augenbraue und sah Asuna belustigt an. "Nicht meine Hochzeit? Was soll das denn heißen?" "Ach... nichts..." Asuna winkte lässig ab und Thana lachte. "Ist es so offensichtlich?" fragte sie Asuna, mit mehr als nur milder Neugier. "Für mich schon. Für jemand anderen... nun... sagen wir so, im Moment haben sie andere Dinge, an die sie denken müssen, aber später..." "Nun, später ist später. Darum kann ich mich auch später noch kümmern. Aber... was ist mit dir?" "Mit mir?" fragte Asuna überrascht. Thana nickte anerkennend. Wenn sie es nicht genau wüsste... "Mich kannst du nicht täuschen, schon vergessen? Ich spüre deine Gefühle. Du kannst mir meine vielleicht am Gesicht ablesen... aber meinst du, ich würde nicht spüren wie aufgeregt du immer wirst, wenn der gute Allen in der Nähe ist? Meine Liebe, genauso gut könntest du dir ein Schild um den Hals hängen mit "Ich liebe Allen" darauf und roten Herzchen drum herum und... "Schon gut, schon gut!" Asuna hob abwehrend die Hände. "Du musst nicht noch darauf herum herumtrampeln." Thana sah sie verwundert an. "Wieso trampeln?" fragte sie und ein Verdacht stieg in ihr auf. "Traust du dich etwa nicht an ihn heran?" Als Asuna wegblickte und nicht antwortete, war das Antwort genug. Langsam breitete sich ein heimtückisches Grinsen auf Thanas Gesicht aus. "Weißt du was? Mir kommt da gerade so eine Idee..." meinte sie nachdenklich. "Eine Idee?" "Ja... nach dem Motto: Eine Hand wäscht die andere." Asuna drehte wieder den Kopf zu Thana. "Hört sich gut an..." meinte sie nach einer Weile des Nachdenkens und ein gefährliches Funkeln trat in ihrer beider Augen. Hitomi betrachtete sich glücklich im Spiegel. Das Hochzeitskleid war einfach ein Traum. Ganz in strahlendem Weiß, schien es zu funkeln obwohl keine Edelsteine eingearbeitet waren. Das war auch nicht nötig. Es wäre eher eine Beleidigung für die kunstvolle Arbeit gewesen. Hitomi hatte nicht die geringste Ahnung, wie man so etwas schneidern konnte. Es ließ sie größer und erhabener wirken und zugleich... majestätischer als in Wirklichkeit. In diesem Kleid sah sie nicht nur so aus wie eine wirkliche Königin, sie fühlte sich auch so. Sie wirkte, als ob es für sie genug wäre auf Zehenspitzen zu laufen, und genauso leicht wie eine Feder fühlte sie sich auch. "Aha, ein Hochzeitskleid von Falin." Meinte Neela und kicherte unterdrückt. Hitomi wandte den Blick von ihrem Spiegelbild ab und suchte auf der glatten Fläche nach Neelas Augen. "Woher weißt du das?" "Oh, er und seine Frau machen Modelle mit einer ganz bestimmten Eigenheit." "Eigenheit? Was meinst du damit?" fragte Hitomi und erinnerte sich dann an etwas. "Da fällt mir ein, Ani hat etwas von einer Spezialität für... für Schüchterne gesagt." Neelas Grinsen wuchs in die Breite. "Ja, so könnte man es wohl nennen." "Was denn?" "Soll ich es dir wirklich zeigen?" "Ja doch!" "Gut. Na dann..." Neele zog an ganz bestimmten Stellen des Kleides. Wie von Geisterhand gezogen rutschte auf einmal das ganze Kleid an Hitomi herab und sie stand splitterfasernackt und vollkommen überrascht da. "Was zum... Neela!!!" "Ich kann doch nichts dafür!" neckte Neela. "Ich sollte es dir doch zeigen!" Hitomi sah sie mit hochrotem Kopf und funkelnden Augen an, konnte aber nicht lange wütend bleiben. Schon nach kurzer Zeit zuckte es um ihren Mund und ihre Röte wandelte sich etwas. "Schüchtern, soso..." "Mach dir nichts draus. Das ist doch nett gemeint. Und du bist nicht die erste Braut, die ein Hochzeitskleid mit diesen besonderen Eigenschaften hat." "Du scheinst dich ja sehr gut auszukennen." Stellte Hitomi fest und sah Neela fragend an, während sie sich wieder anzog. "Ich hoffe doch stark, das passiert nicht wenn ich es nicht wünsche." Meinte sie. "Oh nein, keine Angst. Da müsste dir schon jemand sehr stark an die Wäsche gehen." Hitomi warf ihr einen "Jetzt mach nur ja keinen unpassenden Scherz"- Blick zu und Neela beschloss weise, weitere Überraschungen und Witzeleien zu unterlassen. "Ich zeige dir, wie es geht- und worauf du achten musst, damit es auf gar keinen Fall passiert. Weißt du, ich helfe nicht das erste Mal jungen Bräuten... Ich weiß eigentlich gar nicht wieso, aber irgendwie sind wir vom Waisenhaus eine Art Hochzeitsveranstalter geworden. Hat sich einfach so ergeben. Eine Hochzeitsvorbereitung erfordert viel Lauferei und ähnliches... außerdem sind die Kinder sehr begeistert davon. Die Feiern sind immer sehr schön für sie, von den späten Stunden voller Wein einmal abgesehen, und sie fühlen sich fast, als ob sie wieder in einer großen Familie wären... und das Waisenhaus hat dann auch für ein paar Tage keine Probleme damit Essen zu bekommen. Brautleute kaufen immer zu viel, und wenn sie es mal nicht tun sollten, sorgen wir schon dafür." Hitomi sah Neela nachdenklich im Spiegel an, die gedankenverloren am Kleid zupfte. Sie redete von den Kindern, nicht von sich selbst, aber sie hatte bei den letzten Sätzen nicht gelacht. Es war merkwürdig ein Kind wie sie reden zu hören, als ob sie eine Erwachsene wäre... »Reiß dich zusammen Hitomi!« dachte sie. »Dieses "Kind" ist kaum mehr als zwei Jahre jünger als du. Und egal was du durch gemacht hast, sie ist eine Weise. Da ist das Alter etwas anderes, noch dazu auf Gaia« "Hat das Waisenhaus kein Geld?" Neela schreckte auf und sah sie durch den Spiegel verwirrt an. "Wegen dem Essen. Du hast gesagt..." "Ach so, nein." Neela atmete auf. "Das ist es nicht. Wir bekommen schon genug zu essen, das ist kein Problem. Vor allem seid Blinx..." Neela wurde rot. "Er übt einen gewissen Einfluss darauf aus, was vom Schloss verteilt wird?" fragte Hitomi und lächelte. Neela nickte verlegen. "Ja. Es ist nicht, dass er etwas klaut oder so." versicherte sie rasch. "Aber er kann manchmal ziemlich überzeugend sein. Und auch schon mal ein wenig übertreiben." Hitomi lachte. "Soso, übertreiben... noch eine Null hinter eine Zahl setzten oder so etwas?" "Ach, nicht so was großes." "Schon gut Neela. Ich bin sicher, er überlegt sich sehr gut, was er machen kann und was nicht. Ich glaube nicht, dass es Thana entgehen würde, wen plötzlich viel verschwindet." Sie drehte sich zu Neela um und sah sie ernst an. "Und vor allem glaube nie, dass ihr uns gleichgültig seid. Niemand ist uns gleichgültig." "Jetzt redest du schon wie eine richtige Königin Hitomi." "Naja..." Hitomi war ein wenig verlegen. "Aber ich habe es ernst gemeint. Wenn du oder die anderen..." Hitomi verschluckte das Wort Kinder "Waisen etwas brauchen, sage es mir. Ich weiß von Thanas Gefluche und Vans grimmigen Blicken, dass das Geld meist vorne und hinten nicht reicht- der Aufbau hat eine Unmenge gekostet und tut es immer noch- aber das ist kein Grund, jemanden hungern zu lassen." Hitomi sah betreten auf ihre Fußspitzen. "Fast schäme ich mich. Ich habe mir nie wirklich Gedanken darüber gemacht..." "Das reicht!" unterbrach sie Neela. "Das ist dein Hochzeitstag, vergiss das nicht! Heute hast du gefälligst glücklich zu sein. Und was das andere angeht... Deine Aufgabe als Königin ist es nicht, dafür zu sorgen dass irgendwer genug zu essen hat... deine Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass alle sich selbst versorgen können. Dazu ist die Königsfamilie da. Und um den Menschen Hoffnung zu geben. Jeder übersteht auch mal einen Tag Hunger, daran stirbt keiner. Aber wer die Hoffnung verliert, der stirbt. Du und Van, ihr müsst euch um die große Dinge kümmern. Van weiß das. Er weiß auch, dass sich andere wie Blinx um die einzelnen Menschen kümmern müssen. Wenn alle zusammen arbeiten, geht es schon gut. Hast du das nicht selbst gesagt bei Folkens Verhandlung? Also halte dich auch an deine Worte!" Neela packte Hitomi grimmig bei den Schultern. "So, und nun wollen wir doch mal sehen, ob wir deine Frisur nicht ein wenig aufmöbeln können. Und lächele! Eine Braut muss fröhlich sein, was ist sonst der Sinn einer Hochzeit?" Hitomi lachte. "Du bist verrückt, weißt du das Neela?" "Aber ja doch. Wir alle sind verrückt. Die einen mehr, die anderen weniger. So lange es allen gut geht und alle glücklich sind, ist das doch prima!" *** Hitomi klopfte das Herz bis zum Hals. Van lächelte ihr ermutigend zu. "Du bist wunderschön!" sagte er andächtig, als er ihr in die offene Kutsche half. Für diese Fahrt und die anschließende Hochzeit war er in feierliches Blau gekleidet, mit gelegentlichen majestätischen Rottönen, die sich aber ganz harmonisch mit dem Blau und einigen weißen und goldenen Streifen mischten. Auf seiner Brust prankte der rote Drache, Zeichen des Herrscherhauses der Fanels. Nach altem Brauch heiratete die königliche Familie etwas außerhalb von Fanelia, in einer kleinen Klosterkapelle im Wald, die als Dank für die wundersame Heilung des ersten Fanelschen Königs von einer schweren Krankheit erbaut worden war. Es war die älteste Kirche, die es in Fanelia gab. Das Brautpaar wurde dort vorgefahren und dann von Verwandten der beiden Familien in die Kapelle geführt. Im Fall von Hitomi hatte man sich geeinigt, dass Folken die Stelle von Hitomis Familie übernehmen sollte. Er hatte sich erst gesträubt, aber Thana hatte ihm ziemlich spöttisch erklärt, er wäre die passendste Wahl. Er war durch das Urteil kein Bürger Fanelias mehr, und auch kein Bürger eines anderen Landes von Gaia. Das war in gewisser Weise Hitomi ziemlich ähnlich, die bis zu ihrer Vermählung ja eigentlich auf Gaia auch staatenlos war. Folken hatte sie missmutig angeschaut, aber kein vernünftiges Argument gegen diese Logik finden können. Außerdem hatte er das unangenehme Gefühl, dass Thana keine Ausrede gelten lassen würde. "Wenn ich mich nicht irre, musst du jetzt deinem Volk zulächeln und winken." Bemerkte Hitomi, als Van sie immer noch anstarrte, nachdem die Kutsche losgefahren war. Van lachte und riss sich zusammen. "Ja, da hast du wohl recht. Aber es fällt mir sehr schwer, etwas anderes anzusehen als dich." Hitomi war froh, dass sie vor Aufregung recht blass war, sonst wäre sie jetzt ziemlich dunkel angelaufen. Nicht, dass Van ihr sonst nicht auch Komplimente machte, aber das war nur, wenn sie allein waren. Hitomi hielt sich an ihren eigenen Rat und lächelte und winkte den Menschenmassen zu. Irgendwie war es schon, als ob sie allein wären, entschied sie. Bei all den Hochrufen und dem Beifall konnte niemand außer ihnen verstehen, was sie sagten. "Du siehst auch gut aus." Meinte sie deswegen zu Van. "Daran könnte ich mich fast gewöhnen." Van antwortete nicht und Hitomi hatte Mühe nicht zu lachen. Sie wusste genau warum. Er hatte eine Abneigung gegen einengende Kleidung, und so wie es- zugegeben nur von ganz nahem- aussah, waren diese Sachen nicht nur einengend sondern auch sehr, sehr schwer. Van und Hitomi blieben noch einen Augenblick in der Kutsche sitzen, bis Thana und Folken heran waren. Ab jetzt durften Van und Hitomi sich bis zum Ringtausch nicht mehr berühren, eine Zeremonie, die es auch auf Gaia ähnlich wie auf der Erde gab. Folken ergriff Hitomis Hand, als sie als erste asustieg. Thana nahm die von Van, denn wer den Bräutigam führte musste eine Frau sein und umgekehrt. Hitomi besah sich die Kapelle genauer. Sie war gestern schon einmal hier gewesen, aber es war den ganzen Tag schon diesig gewesen, und bei ihrer Ankunft hatte es zu regnen angefangen, so dass sie schnell wieder gegangen war. Die Kapelle hatte gestern eher unscheinbar gewirkt, stumpf und fast ein wenig grau, aber heute, bei strahlendem Sonnenschein, zeigte sie sich von ihrer besten Seite. Sonnenlicht wurde von den farbigen Glasfenstern teilweise reflektiert, teilweise in die Kapelle gelassen, die so im Inneren in ein Kaleidoskop von wunderschönen Farben getaucht wurde. Die Blumen neben dem Weg zur Kirchentür blühten mit aller Kraft, erfrischt von gestrigen Regen und verströmten einen betörenden Duft nach Frühling. Die Luft war warm, ein kleine Brise brachte den Duft der Wälder mit und ganz allgemein war alles einfach traumhaft schön. Gemächlich ging das Brautpaar auf die Kapelle zu, begleitet von den Menschen die ihnen gefolgt waren. In die Kirche selbst würden nur wenige gehen. Es war nicht genug Platz, um auch nur annähernd alle Leute herein zu lassen, und besonders Van war froh gewesen, als man darum sagen konnte, dass die verschiedensten Würdenträger allesamt draußen bleiben würden. Schließlich wäre man sonst nicht umhin gekommen, eine Anzahl von ihnen auszuschließen, was ungerecht gewesen wäre. Thana hatte dazu gelacht und gemeint, dass der Brauch in dieser Kapelle zu heiraten wahrscheinlich aus genau diesem Grund entstanden war- um es selbst dem Königspaar zu erlauben, ganz für sich zu sein in diesem entscheidenden Moment. Die einzigen Hochwohlgeborenen die noch hereingelassen wurden, waren natürlich Millerna und Allen. Beide hatten freudig die Einladung, Trauzeugen zu sein angenommen. Unter den fröhlichen Blicken und Hochrufen der Menschen schritten sie zur Kirche. Hitomi stolperte einmal, doch Folken hielt sie so geschickt, dass es kaum auffiel als er ihr half das Gleichgewicht wiederzufinden. "Nur nicht in Ohnmacht fallen." Meinte er. "Du hast schon Schlimmeres überstanden." Hitomi grinste. "Keine Sorge. Ich falle nicht in Ohnmacht. Nicht jetzt. Nicht bis es vorüber ist, jedenfalls. Was danach kommt, dafür kann ich nicht garantieren." "Oh, mach dir da keine Sorgen." Meinte Thana von der anderen Seite, die wieder einmal bewies was für erstaunlich gute Ohren sie hatte. "Van wird glücklich sein, dich zurück tragen zu dürfen." Die Türen öffneten sich vor ihnen und sie betraten die kleine Kapelle. Innen gab es nur fünf Reihen Bänke für jeweils drei oder vier Personen, einen Altar und eine - Hitomi staunte nicht wenig- unwahrscheinlich groß wirkende Orgel, die auch sofort zu spielen begann, als sie die Schwelle überschritten. Die sanften Töne hallten sehnsüchtig in der Kapelle wieder, drückten das Sehnen des Brautpaares nach ihrer Hochzeit aus. Während sie den Mittelgang hinunter gingen wechselte die Melodie zu einer Sinfonie der Erwartung. Die wenigen Menschen auf den Bänken, alle, die sich als wahrheitsgemäß als Freunde der Heiratenden bezeichnen konnten, nickten sie still an oder strahlten mit ihnen. Darunter war auch eine ziemlich nervöse Neela, die wohl bei einigen Hochzeiten gewesen war, aber noch auf keiner königlichen. Hitomi hatte sie regelrecht dazu zwingen müssen. In der ersten Reihe saßen die beiden Trauzeugen, und wie sie Millerna und Allen so nebeneinander sah, steigen Erinnerungen in Hitomi auf... aber das war Vergangenheit. Im Moment sollte sie eigentlich nur die Gegenwart interessieren, sagte sie sich ein wenig belustigt. Auf der anderes Seite saßen Blinx und Merle, und auch dieses Paar rief Erinnerung in Hitomi wach. Erinnerungen und die vage Erkenntnis, das wohl auch ihr Gang zum Altar nicht so unwahrscheinlich war wie sie allen immer weis machen wollten. Hitomi musste daran denken, wie sie Van bei ihrer ersten Begegnung geschlagen hatte... und später ja auch noch... Entschlossen riss sich Hitomi zusammen. Weder in Lachen ausbrechen noch kichern war jetzt angebracht. Sie war einfach zu nervös, und so gingen ihre Gedanken spazieren... Die Musik brach ab und holte Hitomi damit unwiderruflich in das Hier und Jetzt zurück. Thana und Folken führten sie vor den Priester, der die Arme hob. Über seine weiße, mit Gold und rot bestickte Soutane flossen die farbigen Strahlen der Sonne und ließen ihn wie einen Überirdischen erscheinen. Ein wenig kam dieser Eindruck wohl auch davon, dass er, wie der Altar, auf der Empore stand, die den heiligsten Teil der Kapelle bildete. Der Priester war schon recht alt, sein weißes Haar bedeckte nicht mehr seinen ganzen Kopf, aber er wirkte nicht schwach und seine Stimme war es ganz gewiss nicht. "Wer tritt vor die Götter, um ihren Segen zu erbitten?" intonierte er, und Hitomi musste seine ruhige Stimme bewundern. Sie hatte höllische Angst, nur quietschen zu können oder ganz ihre Stimme zu verlieren. Was Van jetzt wohl dachte? Ging es ihm genauso? "Vor die Götter tritt Van Slanzar de Fanel, Sohn von Goau und Varie und König von Fanelia." Antwortete Thana und ihre Stimme hallte klar und hell durch die Kapelle. "Vor die Götter tritt Hitomi Kanzaki, Tochter von Yukiko und Seki vom Mond der Illusionen." Folken und Thana ließen ihre Hände los. Ihre Aufgabe war glücklich erfüllt und sie setzten sich auf die Bank ihrer jeweiligen Seite. Allen und Millerna standen auf. "Sind diese beiden diejenigen, die sie zu sein vorgeben?" fragte der Priester und beide gaben die rituelle Antwort der Trauzeugen. "Sie sind wer sie sind und was sie sind und ihr Wille war frei als sie hier erschienen." Hitomi war froh, dass sie schon strahlte, denn ansonsten hätte sie jetzt unweigerlich lachen müssen. "als sie hier erschienen" schien eine Absicherung gegen die zu sein, die in letzter Minute die Nerven verloren und ein wenig Nachhilfe brauchten. "Dann sollen sie heute hier vereint werden." Sprach der Priester weiter. Hitomi und Van machten die zwei letzten Schritte und standen nun vor ihm. Der Priester senkte seine Hände über ihre Köpfe, aber ohne sie zu berühren. Das Göttliche brauchte keinen körperlichen Kontakt. "Diese beiden Menschen sind heute hier an diesem heiligen Ort zusammen gekommen, um in den heiligen Stand der Ehe zu treten. Sie haben gelobt, ihr Leben dem anderen zu widmen und ihn zu lieben und so frage ich euch zwei: Schwört ihr, den anderen zu lieben und zu achten und alles Gute und alles Schlechte mit ihm zu teilen bis ans Ende eurer Tage?" "Ich schwöre." Sagte Van. "Ich schwöre." Wiederholte Hitomi. "Ist hier jemand anwesend, der einen Grund vorbringen kann, warum diese beiden Menschen nicht vereint werden sollen?" Schweigen erfüllte den Raum und der Priester hob erneut seine Stimme. "Gibt es jemanden in diesem Raum, der etwas gegen diese beiden vorbringen kann?" Wieder Schweigen. "Und so frage ich zum dritten und letzten Mal..." Hitomi war sehr froh darüber. "Hat jemand etwas gegen die Heirat dieser beiden vorzubringen?" Als auch diesmal niemand antwortete, fuhr der Priester sichtlich zufrieden fort. Nun würde ihn niemand mehr aufhalten, die Krönung seiner Laufbahn vorzunehmen. Krönung im doppelten Sinn. "Dann frage ich die beiden, habt ihr die Symbole eurer Vereinigung mitgebracht?" "Das haben sie." Sagte Thana und reichte ihnen die Ringe. Anders als die Verlobungsringe waren diese klein und unscheinbar, einfache silberne Ringe ohne Verzierungen. Hitomi hatte sie ausgesucht, und Van hatte sofort verstanden. Sie brauchten keinen sichtbaren Beweis. Die Ringe selbst waren nur ein Symbol, und als solches waren diese einfachen Ringe mindestens so gut wie alle anderen. "So frage ich denn dich, Folken Lacour de Fanel, willst du diese Frau zu deiner Ehefrau nehmen und sie lieben und achten bis ans Ende aller Zeit?" Van sah Hitomi in die Augen. "Ja, ich will." Sagte er. Wollte er sagen. Aber seine Stimme überschlug sich, klang hoch wie die Stimme eines Jungen im Stimmbruch. Van lief feuerrot an. Von den Bänken kamen die Geräusche von unterdrücktem Kichern und Lachen. Van holte ein paar Mal tief Luft und diesmal war seine Stimme voll und tief und so von Herzen kommend, dass sie noch Minutenlang im Raum nachzuhallen schien. "JA, ich will!" Hitomi schob ihm ihren Ring auf den Finger. Der Ring war das Symbol für diesen Schwur, und somit war er auch das Symbol für Van, dass er jetzt an sie gebunden war. "Und so frage ich dann dich, Hitomi Kanzaki, willst du diesen Mann zu deinem Ehemann nehmen und ihn lieben und achten bis ans Ende aller Zeit?" "Ja, ich will!" antwortete Hitomi und auch wenn ihre Stimme zitterte, war sie auch ohne Widerholung deutlich. Gebannt beobachtete sie, wie Van ihr seinen Ring auf den Finger schob und dieses sichtbare Zeichen ihres Versprechens ließ ihr Herz noch schneller schlagen, als es das ohnehin tat. Jetzt war es passiert, es war kein Traum, durfte keiner sein... "Dann erkläre ich euch hiermit zu Mann und Frau und möge eure Liebe so beständig und strahlend sein wie der Sonnenaufgang." Van sah ihr in die Augen. Das war einer der Momente, vor denen sie am meisten Angst hatte. Es war aber auch zu... küssten sie sich zu lange, würde es anzügliche Bemerkungen geben bis sie starben, küssten sie sich zu kurz... Ein leises Husten von Thana erinnerte sie beide daran, dass nach Worten und Gedanken auch Taten folgen mussten und so beugten sie sich zueinander um sich zu küssen. Nachdem die Schmetterlinge verflogen waren stellte Hitomi fest, dass sie und Van Arm in Arm schon fast den halben Gang hinunter waren und sich anscheinend genau lang genug geküsst hatten. Thana hatte ihr jedenfalls ein "Perfekt!" zugeflüstert, und wenn sie es sagte, musste es wohl stimmen. "Na dann..." raunte Van ihr zu. "Gehen wir hinaus und zeigen uns unserem Volk, meine Königin." Hitomi drückte seine Hand, die die ihre umschloss. Sie wusste, dass der wichtigste Teil dieses Satzes die beiden letzten Worte waren, und ganz und gar keine Titel gemeint war. Epilog "Hoch, hoch, hoch!" Die Rufe hallten durch die große Halle, in der die Hochzeitsgäste nun schon mehrere Stunden lang aßen, tranken, jubelten und ganz allgemein feierten. Erneut mussten Hitomi und Van aufstehen, um die Hochrufe entgegen zu nehmen. Thana an Hitomis Seite kicherte dabei wieder unbändig. Sie hatte zwar den frisch Vermählten verboten viel zu trinken- "Ihr habt doch heute Nacht noch etwas vor." hatte sie augenzwinkernd gesagt- aber das hatte sie selbst nicht daran gehindert, dem Wein ordentlich zuzusprechen. Das war Brauch, hatte ein etwas verlegen dreinschauender Van erklärt. Eine Hochzeit war etwas, wo man sich richtig gehen lassen sollte. Und das betrinken war besonders beliebt, damit alle Leute, die am nächsten Tag in fremden Betten aufwachten, oder eher in Betten von Leuten die sie sehr gut kannten, eine Entschuldigung hatten. Hitomi hatte wissend und langsam genickt und sich jeden Kommentar verkniffen. Andere Länder, andere Sitten. Nun war es schon ziemlich spät und anscheinend beschloss Thana auch dieses Mal, die Sache in die Hand zu nehmen. Sie schaute noch einmal mit einem seltsamen, wissenden und zugleich traurigen Lächeln zu Folken, der abgesondert an einem Fenster stand und hinaus starrte. Dann versuchte sie aufzustehen. Schon beim dritten Versuch stand sie recht sicher. "Hörr.. Hört mal alle her!" rief sie nicht sehr zeremoniell und hob den Weinpokal. Sie starrte ihn ein paar Sekunden an, dann versuchte sie daraus zu trinken. "Leer!" stellte sie verwundert fest und drehte den Pokal um. Das Publikum grölte vor trunkener Belustigung. "Es ist ziemlich spät... was rede ich da... schon sehr spät! Ist es doch oder?" Sie riss sich zusammen und auf einmal klang sie noch fast nüchtern. "Es ist spät und das Essen alle und es wird Zeit, dass wir unsere Brautleute ins Bett bringen! Genau! Das machen wir jetzt!" Pfiffe der Begeisterung dröhnten durch den Raum und Hitomi wappnete sich innerlich. Was jetzt kam, war wahrscheinlich der peinlichste Teil der Hochzeit. Nein, nicht wahrscheinlich. Mit Sicherheit. Ein paar Stühle fielen um, als die Festgäste sich von ihnen erhoben, aber niemand achtete darauf. Jeder wollte jetzt dabei sein. Das war der Teil, an dem alle Gäste am meisten Spaß hatten. Mit einer grölenden Traube Menschen im Kielwasser wurden Van und Hitomi nun zu ihrem Zimmer geführt, in dem sie den Rest der Nacht verbringen würden. Und wie es ein, zu Hitomis Leidwesen unumgänglicher Brauch wollte, geschah das auf dem längsmöglichen Weg und unter allerlei anzüglichen Bemerkungen. Je näher sie schließlich dem Ziel kamen, desto weniger zweideutig wurden diese Bemerkungen und desto roter wurde nicht nur Hitomis Kopf. Aufatmend bogen sie um die letzte Ecke und rannten die wenigen Meter bis zur Tür des Königszimmers fast. "Und die letzte Zeremonie für heute!" grölte Thana und zwinkerte den beiden zu. Dann stieß sie die Tür auf. Van holte tief Luft und hob dann Hitomi in seine Arme. "Die Betten sind kalt, aber ihr werdet sie sicher schnell aufwärmen!" "So ist es richtig, der Mann steht und die Frau liegt!" "Vergesst das Schlafen nicht!" Unter diesen und anderen Bemerkungen trat Van mit Hitomi im Arm über die Schwelle. dahinter drehte er sich um, winkte einmal mehr oder weniger deutlich, da er Hitomi ja immer noch trug... und schmetterte dann die Tür mit seinem Fuß und aller Kraft die er hatte zu. Und damit endet auch diese Geschichte. Van öffnete die Tür. "Wollt ihr nicht endlich verschwinden?" fragte er mit einem sehr eindeutigen Ausdruck in den Augen. Die Leute, die sich um den Platz am Schlüsselloch gestritten hatten standen auf und schlenderten denen hinterher, die sich schon bei der ersten Bewegung der Tür umgedreht hatten und um den Titel des unbeteiligsten Ganges von ganz Gaia wetteiferten. Van schaute ihnen nach. Er schloss die Tür, wartete ein paar Augenblicke und öffnete sie dann wieder. Die Unschuld auf den Gesichtern war nicht sehr überzeugend. Schließlich hatte Thana Erbarmen und holte einige der nüchterneren Wachen herbei, die die Leute wegschoben und nicht mehr in diesen Flügel des Schlosses ließen. Sie zwinkerte Van noch einmal zu und verschwand dann. Van seufzte, atmete tief ein, straffte sich und betrat das Feld seiner ersten Eheschlacht. Ende von LMMI 4. Natürlich nicht Ende der Geschichte *zwinker* Wer mehr will, muss mich schon auf meiner HP besuchen: www.lennstar.de.vu LMMI 5 braucht wohl noch ne Weile, bitte nicht ungeduldig werden. Ich ziehe aber gerade mit nem Webprojekt (wortschmiede.de.vu) im Notfallverfahren um, es dauert also noch 2,3 Tage bis meine HP auf dem neuesten Stand ist (Datum der Mitteilung: 30.9.05) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)