Die Legende vom Mädchen vom Mond der Illusionen ( LMMI ) von LennStar ================================================================================ Der letzte Wächter Teil 5 Hitomi öffnete die Augen. Kurz erschrak sie, doch dann fiel ihr wieder ein, wo sie war. Die Insel, Taro, Akoth... und Van. Van- war es nur ein Traum, oder war es Wirklichkeit? Nein, es war Wirklichkeit, musste einfach Wirklichkeit sein. Rasch zog Hitomi sich an. Die Sonne stand noch dicht über dem Horizont und warf ein unwirkliches Licht durch das Zimmer. Sie schloss die Tür und lief den Gang entlang. Erleichtert hörte sie Vans Stimme durch die Tür zum Esszimmer. Sie öffnete sie. "Guten Morgen. Ich habe einen riesigen Hunger. Ihr habt mir doch was übrig gelassen, oder?" Ihr Herz machte einen Sprung, als sie sah, wie Vans Gesicht strahlte, als er sie sah. "Keine Angst. Es ist genug da, um eine ganze Armee zu versorgen." Taro grinste Eliandra an "Nicht, wenn sie so viel isst, wie gestern." "Wo ist Thana?" fragte Hitomi "schläft sie noch?" Eliandra schüttelte betrübt den Kopf. "Nein, sie ist sehr früh aufgestanden. Sie hat kaum etwas gegessen, und ist dann gegangen." Bedrückt schwiegen sie eine Weile. "Was ist" fragte Taro "habt ihr euch entschieden?" Van zuckte mit den Schultern "Wir haben ja wohl keine Wahl, wenn das stimmt, was ihr gesagt habt. Wenn diese Flöte die einzige ist, die weiß, wie man das Tor und damit Hitomi und mich retten kann..." Van wünschte sich, dass es nicht so wäre. Er war die halbe Nacht wach gewesen und hatte gegrübelt, aber ohne Ergebnis. Sie mussten den Worten dieser seltsamen Leute trauen, oder es bestand die Gefahr, das er und Hitomi sterben würden. Und das würde er auf keinen Fall zulassen. Er hatte einmal geschworen, sie zu beschützen, und das würde er auch tun, komme, was da wolle. "Also abgemacht. In einer Stunde brechen wir auf." Taro und Eliandra erhoben sich und gingen, um letzte Anweisungen für ihre Vertreter zu hinterlassen. Als die Tür hinter ihnen zufiel, verschwand Hitomis fröhliche Miene, und Furcht spiegelte sich auf ihrem Gesicht. "Ich habe Angst Van. Ich weiß nicht, ob ich es aushalte. Immer wenn ich auf Gaia bin, gibt es nichts als Probleme. Es wäre besser gewesen, ich wäre nie hierher gekommen." "Nein, Hitomi." Platzte es aus Van heraus. "Das stimmt nicht. Du schaffst das schon. Wir schaffen es zusammen. Versprochen. Ich werde nicht zulassen, das dir was passiert." Hitomi schaute ihn schwankend an. Dann holte sie tief Luft und lächelte schwach. "Danke Van. Du hast Recht. Wir schaffen das schon." "Gut. Dann iss jetzt endlich etwas. Das wird ein anstrengender Ritt heute. Und die nächsten Tage werden wahrscheinlich nicht viel besser werden." Nach einer Weile kam Eliandra herein. "Wir können." Van und Hitomi standen auf und Van seufzte "Ich wünschte, ich könnte Allen Bescheid sagen. Er wird sich Sorgen machen, wenn ich so lange nichts von mir hören lasse." Eliandra sah ihn erstaunt an "Wenn das alle deine Probleme sind- das lässt sich erledigen. Du musst bloß sagen, wohin du eine Nachricht gebracht haben willst. Wir haben fast überall einen unserer Leute, und unsere Brieftauben sind die schnellsten von ganz Gaia. Natürlich darfst du niemandem schreiben, wer wir sind und wo wir leben, aber alles andere ist kein Problem." Nachdem Van eine Nachricht an Allen und eine an Merle geschrieben hatte, holten sie ihre Sachen und gingen los. Eliandra hatte ihm versichert, dass die Nachrichten schnellstmöglich überbracht werden würden. Van bot Hitomi an, ihre Tasche zu tragen, aber sie wiedersprach ihm energisch. "Du hältst mich wohl für einen Schwächling. Du hast selbst genug zu tragen. Auf meiner Welt tragen wir Mädchen unsere Sachen durchaus alleine." Dann lächelte sie und sagte leise "Trotzdem danke. Es tut gut, mal jemanden zu haben, der sich um einen kümmert, nicht nur weil man wichtig für Gaia ist." < Du bist wichtig für mich, Hitomi> dachte Van. "Da seid ihr ja endlich." Sagte Taro ungeduldig, als sie an den Ställen angekommen waren. Thana brachte gerade das letzte ihrer Pferde heraus. Sie warf einen Blick auf Van, schaute weg, drehte dann noch einmal den Kopf zu ihm und machte ein verwirrtes Gesicht, das sich aber sofort wieder versteinerte. "Dann können wir ja endlich los." Meinte sie und führte ihr Pferd in Richtung Hafen. Mit Bedauern in der Stimme sagte Taro "Thana hat sich immer noch nicht beruhigt." Hitomi blickte ihrer Freundin nach. Sie hatte sie vom ersten Moment an gemocht, aber seit sie Akoth gesehen hatte, war Thana wie verwandelt. In sich gekehrt, ständig verärgert und voller Hohn. Hitomi wusste nicht, was ihr solche Schmerzen bereitete, dass sie so reagierte, aber es tat ihr selbst weh, sie so zu sehen. "Vielleicht sollte ich einmal mit ihr reden." Meinte sie hoffnungsvoll, aber Taro winkte ab "Hoffnungslos. Solange wir nicht wissen, warum sie so wütend ist, nützt es gar nichts. Du machst es wahrscheinlich nur schlimmer. Flöte wird einiges erklären müssen, schließlich hat sie gesagt, dass ich Thana zu Akoth bringen soll." "Kommt endlich!" rief Eliandra, die Thana gefolgt war. "Sie fährt sonst mit unserem Boot ab- ohne uns." Es lag kein Spott in ihrer Stimme. Sie schien sicher zu sein, das Thana tatsächlich ohne sie losfahren würde, wenn sie sich zu lange Zeit ließen. Die Sonne stand schon ziemlich tief über den Bergen. Sie hatten eine kurze Rast zu Mittag eingelegt, aber nur wenig gegessen. "Heute Abend gibt es etwas warmes, aber jetzt ein Feuer zu machen, würde uns zu lange aufhalten." Hatte Eliandra versprochen. Hitomi hatte allerdings andere Sorgen. Das Reiten am Tag zuvor hatte ihr schon nicht sehr gefallen, aber jetzt tat ihr wirklich alles weh. Van hatte versucht sie abzulenken, indem er ihr erzählte, wie er die Spur der "leuchtenden Schatten" gefunden hatte. Als er den Namen gerade wieder einmal erwähnte, fragte er Taro, der hinter ihnen als letzter ritt, woher dieser Name kommt. "Naja, ich weiß es nicht genau. Wir selbst nennen uns Tihani, das kann man aber nicht wörtlich übersetzen. In einem Satz währe es ungefähr "Die, die Licht und Weisheit bringen." Klingt ein bisschen hochtrabend, ich weiß. Aber es gab unseren Orden schon, als Atlantis noch existierte. Wir waren von Anfang an die Chronisten des neu erschaffenen Gaia, und wir arbeiteten von Anfang an mit den Priesterinnen zusammen, die die Wächterdrachen erschufen. Ich glaube, Akoth hat dir die Geschichte erzählt, oder Hitomi?" "Ja, ein bisschen." "Viel mehr gibt es nicht zu erzählen, außer vielleicht, dass unsere Insel ursprünglich der Gaianische Tempel dieser Priesterinnen war- und es heute noch ist. Eliandra ist die Hohepriesterin. Und bevor ihr fragt- es gibt tatsächlich keine männlichen Priester. Es ist nicht ausgeschlossen, aber sehr selten. Warum das so ist" Er zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Aber es ist auch egal. Was den Namen "leuchtende Schatten" angeht, denke ich, dass er eine Kombination aus der Übersetzung von Tihani und unserer Eigenheit, alles im verdeckten zu tun, ist." Danach ritten sie eine Weile still vor sich hin, und Hitomi stöhnte in Gedanken, als sie daran dachte, das sie noch einige Tage Reitens vor sich hatte. Van riss sie aus ihren Gedanken, als er sich dicht zu ihr beugte und sie leise fragte "Sag mal Hitomi, fällt dir an Thana etwas merkwürdiges auf?" Hitomi hätte fast laut gelacht "Diese Menschen sind alle merkwürdig Van." Er schüttelte unmutig den Kopf "Das meine ich nicht. Es ist... so eine Art Gefühl. Ich habe das Gefühl, sie zu kennen, bin mir aber sicher, dass ich ihr noch nie begegnet bin." Nachdenklich schaute Hitomi zu Thana, die ein paar Meter vor ihnen ritt. "Vielleicht hast du sie ja doch schon mal gesehen, und weißt es nur nicht. Niemand merkt sich alle Leute, denen er auf der Straße begegnet." "Nein, das ist es nicht. Nicht einmal als Folken in der fliegenden Festung vor mir stand, habe ich so ein Gefühl gehabt. Ich weiß einfach nicht, wie ich es erklären soll." Er hörte ein leises Poltern und hob den Kopf. "Aufpassen!" Rief er und trieb sein Pferd nach vorn. Alle drehten sich überrascht um, doch dann hörten auch sie das Poltern. "Ein Steinschlag!" Von der steilen Felswand an ihrer linken Seite sprang einige Felsbrocken herab, und einer hielt genau auf Thana zu. Sie starrte ihn beinahe teilnahmslos an und rührte sich nicht vom Fleck. Mit einem riesigen Satz sprang Van von seinem Pferd und riss sie zu Boden. Dabei traf ihn der Felsbrocken in der Seite. Thana und Van prallten auf den Boden und der feine Felsstaub stob in einer Wolke grau glitzernder Teilchen auf. Die anderen Felsen hüpften ungefährlich zwischen den Pferden über den Weg. Als Van aufschlug, sprang auch Hitomi vom Pferd. "Van! Ist dir was passiert? Van!" sie kniete neben ihm nieder. Thana stöhnte und setzte sich mühsam hin. Erleichtert sah Hitomi, dass Van nicht schwer verletzt zu sein schien, auch wenn er nicht bei Bewusstsein war. "Fass ihn nicht an!" rief Eliandra "wenn er verletzt ist, darf er nicht bewegt werden." Sie kniete sich ebenfalls neben ihn und begann, ihn zu untersuchen. Thana starrte ihn an und stotterte "Er mich vom Pferd gestoßen. Der Felsen hätte mich sonst genau am Kopf getroffen." Taro mahnte sie "Du bewegst dich besser auch nicht." "Mir geht es gut!" keifte sie ihn an. Eliandra war unterdessen mit ihrer schnellen Untersuchung fertig "Van auch." Alle atmeten erleichtert auf. "Er wird bald wieder zu Bewusstsein kommen. Er hat sich lediglich eine Rippe angeknackst. Taro, hohl das Wasser!" "Hab ich schon. Hier." Er reichte Eliandra eine kleine Wasserflache. Vorsichtig nahm Eliandra sie aus ihrer ledernen Umhüllung, die das Glas der Flasche schützte. Verwundert erkannte Hitomi, dass es die selbe Flasche war, aus der Taro ihr vor Akoths Höhle Wasser eingeflößt hatte. Auch diesmal schien es nur Wasser zu sein, aber trotzdem hatte es die selbe belebende Wirkung auf Van wie damals bei ihr. Nach ein paar Schluck stöhnte Van und kam wieder zu Bewusstsein. "Der Stein..." Hitomi legte ihm die Hand auf den Mund "Es ist alles in Ordnung Van. Du bist der einzige, der etwas abbekommen hat." Eine kleine Träne stahl sich auf ihr Auge, und sie wischte sie verstohlen weg. Eliandra verpackte die Flasche wieder, und Taro half Van auf die Beine. Dabei entfuhr ihm ein Schmerzenslaut, und Taro meinte bedauernd "Es tut mir leid, aber hier können wir nicht rasten. Du wirst also eine Weile durchhalten müssen. Wir sind sowieso bald an dem Ort, wo wir heute übernachten wollten." Zusammen mit Hitomi half er Van auf sein Pferd. "Du siehst nicht aus, als ob du dein Pferd richtig führen kannst. Ruh dich aus, ich werde das übernehmen." "Nein!" rief Thana und überraschte damit alle. "Er ist nur wegen mir verletzt. Ich werde sein Pferd führen. Das ist das geringste, dass ich tun kann." Sie nahm die Zügel von ihrem und Vans Pferd. "Es ist ja nicht mehr weit, das halte ich schon durch." Taro zuckte mit den Schultern "Wie du meinst. Ich reite voran, Hitomi hinter mir, dann ihr zwei und am Ende Eliandra. Also los." Auf weitere Steinschläge achtend ritten sie den steilen Pfad hinab, bis sie kurz vor Sonnenuntergang in ein schmales Tal kamen. Ein kleines Stückchen Wald gab ihnen Deckung vor dem Wind, und in der Mitte des Wäldchens war eine Lichtung, an deren Rand ein überraschend breiter Bach floss, der sich in einem kleinen See staute. "Hier halten wir an. Es ist der beste Platz zum Übernachten, den es in diesen Bergen gibt, von der Insel natürlich einmal abgesehen." Sie richteten das Lager her, Thana schweigend, Eliandra voller Energie und Taro scheinbar über irgend etwas besorgt. Hitomi kümmerte sich nur um Van, der überrascht feststellte, das er zwar immer noch Schmerzen hatte, die Schwellung aber bereits zurück ging. Hitomi stöhnte "Meine Güte, bin ich satt. Das hat hervorragend geschmeckt, Thana." Die gelobte Köchin zuckte mit den Schultern "Alles bloß eine Frage der Übung. Wenn jetzt alle fertig sind, werde ich abwaschen gehen." Sie nahm das schmutzige Geschirr und stapfte zum Bach davon. "Verdammt!" rief Taro verärgert "Langsam geht sie mir damit auf den Geist." "Was zweifellos ihre Absicht ist." Fügte Eliandra hinzu. "Du hast wahrscheinlich Recht." Er blickte zu den ersten Sternen empor, die sich am dunkler werdenden Himmel abzuzeichnen begannen. "Ich hoffe, sie sind bald da." Hitomi wunderte sich "Bald da? Wer denn?" "Habe ich das nicht erwähnt?" Taro runzelte die Stirn. "Flöte natürlich. Ich habe doch gesagt, dass wir zu ihr unterwegs sind. Wir sind mit ihr und Keel hier verabredet. Sie sollten eigentlich schon da sein." "Und wer ist Keel?" Taro sah Eliandra an, und die zuckte mit den Schultern. Hitomi hatte irgendwie das Gefühl, als ob die beiden etwas vor ihr und Van verbargen. Die nächsten Worte Taros bestätigten das. "Wartet es einfach ab. Ich will eure Gesichter sehen, wenn sie kommen. Sie sind ein verdammt merkwürdiges Pärchen." Thana kam gerade mit dem Geschirr zurück, als ein leiser Ton von einer Flöte das Knacken des Lagerfeuers übertönte. Thana erstarrte, bevor sie rasch alles einpackte und Eliandra und Taro standen auf. "Wurde auch Zeit. Das sind sie." Aus Taros Stimme war eindeutig die Vorfreude auf etwas Lustiges herauszuhören, und Van dachte sich < Das müssen ja wirklich komische Gestalten sein, wenn er sich so auf unsere Verblüffung freut.> Die Flötenmelodie war immer lauter geworden. Da es schon fast ganz dunkel war, waren die Tiere verstummt. Die seltsam getragene Melodie schien eine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte aus längst vergangenen Zeiten. Die Melodie verstummte, und nur das leise Getrappel der Pferde war noch zu hören. Es knackte, und die Erwarteten betraten zwischen zwei Bäumen hindurch die Lichtung. Taro hatte nicht zuviel versprochen. Van und Hitomi brachten vor Staunen kein Wort heraus. Auf dem ersten Pferd, einem schneeweißen Schimmel ritt ein kleines Mädchen, eine Syrinx in der Hand und lächelte sie an. Ihr blondes Haar fiel ihr in einer langen Mähne um den ganzen Körper und auf ihrer Stirn glänzte im warmen Schein des Feuers ein kleiner Smaragd in einem filigranen Stirnreif. Ihr Alter war schwer zu schätzen, sie schien vielleicht sieben oder acht Jahre alt, aber beim Blick in ihre Augen hatte Hitomi das Gefühl, in die Augen einer alten, weisen Frau zu blicken. Hinter dem seltsamen Mädchens ritt ein griesgrämig dreinblickender Mann, in dessen schulterlangen, schwarzen Haaren bereits die ersten grauen Strähnen hervorlugten. Im Gegensatz zu seiner jungen Begleiterin war auf seiner Stirn kein Edelstein, sondern eine kleine Narbe, die ihm ein verwegenes Äußeres verliehen. Bei seinem Anblick stutzte Van. Der Mann kam ihm bekannt vor. Als sie anhielten wieherte sein Fuchs und schnaubte ungeduldig. Der Mann tätschelte den Hals seines Pferdes. "Schon gut, Dal. Ich steige ja schon ab." Er sprang vom Pferd und ging zu dem kleinen Mädchen. Sie steckte ihre Flöte in ihr Kleid und sprang in seine Arme. Der Mann stellte sie behutsam auf den Boden und band dann ihre beiden Pferde fest. In dieser Zeit musterte das Mädchen unverhohlen die noch immer verblüfften Hitomi und Van. Taro hatte sich an ihren Gesichtern anscheinend genug erheitert und sprach mit theatralischer Geste. "Darf ich vorstellen: Flöte und Keel. Ihr dürft aber nur zwei Mal raten, wer wer ist. Wir wollen es ja nicht zu einfach machen." Das Mädchen warf ihm einen bösen Blick zu "Wir sind nicht hier, um Witze zu reißen. Thana, komm her!" Thana verschränkte die Arme. "Warum sollte ich? Du bist nicht meine Mutter." Ein Schatten huschte über Flötes Gesicht "Du hast nichts verstanden. Wir werden später darüber reden." "Das glaube ich nicht. Da ihr jetzt da seid, kann ich ja beruhigt spazieren gehen." Sie drehte sich um und ging raschen Schrittes Richtung Seeufer. Flöte schaute ihr wütend nach, seufzte dann und wandte sich an Van. "Du bist also der König von Fanelia. Ich habe mir dich größer vorgestellt. Trotzdem herzlich willkommen. Und du musst Hitomi sein. Akoth hat mir erzählt, was vorgefallen ist. Ich hoffe, dir geht es wieder gut. Deine Reise hierher hat dich eine Menge Kraft gekostet. Das wilde Tor hat nicht mehr die Kraft, einen reibungslosen Transfer zu erreichen. Du hättest besser nicht zu ihm gehen sollen." Eliandra erwiderte "Sie war körperlich stark genug. Das heilige Wasser hat hervorragend gewirkt. Übrigens hat Van auch ein paar Schlucke bekommen. Vor ein paar Stunden hat ihn ein Felsen getroffen. Die Wunde dürfte im Verlauf des morgigen Tages verheilen." Flöte nickte "Du bist die Heilerin. Aber war das mit dem Wasser nötig?" < Was reden die denn hier von heiligem Wasser?> wunderte sich Hitomi. "Bei Hitomi auf jeden Fall, sonst würde sie heute noch bewusstlos im Bett liegen. Und Van- nun wir haben es eilig. Und wenn du das vorhast, was ich denke, brauchen die zwei sowieso eine Dosis." Taro fuhr zu ihr herum. "Hast du mir etwas zu sagen, Eli?" Eliandra schüttelte entschuldigend den Kopf. "Es ist nur eine Vermutung. Außerdem, wenn es stimmt, ist das eine Sache, die nur mich etwas angeht. Schließlich bin ich die Hohepriesterin, nicht du." Jetzt reichte es Van. Er hatte erst verwirrt, dann mit steigendem Ärger zugehört, und Hitomi erging es ganz ähnlich. "Das ist jetzt aber genug! Worüber redet ihr? Und was soll das Gerede von heiligem Wasser? Warum würde Hitomi ohne das Wasser noch Bewusstlos sein? Ich will endlich Antworten haben. Ihr redet die ganze Zeit, aber etwas erklären tut ihr nie. Ich bin hergekommen, um Antworten zu erhalten, und nicht weitere Rätsel. Und da wir gerade beim Thema sind: Ich glaube du bist derjenige, der in mein Zimmer eingebrochen ist!" Er zeigte anklagend auf Keel, die andere Hand zur Faust geballt, und anscheinend kurz davor, seine Forderungen mit dem Schwert zu unterstreichen. Hitomi legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter und er entspannte sich. Flöte schaute ihn an, als ob er ein seltenes Insekt wäre, das ein unerwartetes Verhalten gezeigt hatte. "Sieh an, der junge König hat Zähne! Schade, dass die Kleine sie ihm schon gezogen hat. Antworten erhältst du, wenn du sie benötigst." Diesmal war es Taro, der explodierte "Das reicht jetzt, Flöte. Wir sind dein flegelhaftes Benehmen gewöhnt, sie aber nicht." "Flegelhaft!" empörte sich Flöte "Ganz recht. Sie haben Antworten verdient. Und nicht nur sie. Ich würde auch ganz gerne erfahren, was genau du vorhast." Keel, der während des ganzen Disputs mit steinerner Miene im Hintergrund gestanden hatte, unterstützte Taro "Er hat Recht. Es ist Zeit für Antworten." Seine Aussage schien Flöte urplötzlich abzukühlen. "Na gut, wie du meinst. Aber erst esse ich was. Das ist eine zu lange Geschichte, um sie mit leerem Magen zu erzählen." Sie setzte sich an das prasselnde Feuer. Keel nahm neben ihr Platz. Beim Hinsetzten fiel ihm noch etwas ein. "Ach ja, Van, du hast Recht. Ich war derjenige, der bei dir eingestiegen ist. Allerdings wollte ich nur die Warnung bringen. Aber dann hat mich dann etwas abgelenkt." Van holte Hitomis Anhänger unter seinem Hemd hervor. "Das hier, richtig? Du hattest ihn in der Hand, als ich reinkam." Keel nickte "Ja, ich hatte nicht erwartet, einen Torstein dort zu finden." "Hitomi hat ihn mir geschenkt, bevor sie zum Mond der Illusionen zurückgekehrt ist." "Einen Torstein, verschenkt?" Sein geschocktes Gesicht reizte Hitomi "Ich wusste ja nicht, dass es einer war. Er war ganz einfach mein Glücksbringer. Und selbst wenn ich es gewusst hätte, warum hätte ich ihn nicht verschenken sollen?" Eliandra klatschte in die Hände "Nun ist es aber genug. Flöte, Keel, esst! Und wenn ihr fertig seid, kann Flöte uns und unseren Freunden..." Sie betonte das Wort Freunde so, dass klar wurde, was sie von Flötes Benehmen hielt "alles erzählen." Sie blickte das kleine Mädchen streng an. "Alles!" "Das wird aber eine lange Geschichte." murmelte Flöte, und duckte sich vor Eliandra, die drohend einen Teller hob. "Dann können wir ja anfangen. Also." Flöte holte tief Luft. "Wie Akoth Hitomi bereits erzählt hat, verband sich das wilde Tor, das aus der Vereinigung der elf atlantischen Tore entstand mit Hitomi, um sie nach Gaia zu holen. Wie sich gezeigt hat, war die Wahl richtig. Dornkirks Schicksalsmaschine nahm zwar die Arbeit auf, aber durch Hitomis starken Willen wurde die Vernichtung von Gaia verhindert. Aber das wilde Tor war schwach geworden, ohne Anker in dieser oder Hitomis Welt. Darum hat es freudig die Energie absorbiert, die der wieder aktivierte Guymelef Escaflowne, und damit auch Van, der den Blutbund beschlossen hat, ihm geboten hat. Dadurch sind Van und Escaflowne mit dem Tor verbunden. Zwischen Hitomi und dem Tor bestand ja bereits durch den Transport vom Mond der Illusionen hierher eine gewisse Verknüpfung, aber etwas anderes hat die eigentlich Verbindung geschaffen. Dieses etwas waren Hitomis Visionen. Schon zur Zeit von Atlantis hatten die Torwächter die Gabe der Voraussehung. Diese Gabe ist aber selten, und darum wurden auch nur bestimmte Wesen vom Drachengottvolk- das natürlich damals noch nicht so hieß, sie waren einfach nur eine Untergruppe der Atlanter- für die Aufgabe als Wächter auserwählt. Ich gehe davon aus, das du schon immer die Zukunft vorhersagen konntest, Hitomi, oder?" Hitomi schreckte hoch "Ja, aber es wahren nur... Ahnungen. Keine Visionen wie hier auf Gaia." Flöte nickte "Das kam durch das Tor. Nun, ich will euch nicht mit Einzelheiten langweilen. Jedenfalls hat das ohnehin schwache Tor viel Kraft verloren, als es Hitomi die Macht gegeben hat, Dornkirks Maschine zu überwinden. Nichts gegen dich, Hitomi, aber kein noch so starker Wille kann die Energie aufbringen, eine solch mächtige Maschine gegen die Wünsche so vieler zu besiegen." Hitomi atmete innerlich auf. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken gewesen, dass sie allein eine solche Macht zu besitzen schien. Ein Wusch von ihr, und Menschen konnten ins Unglück gestürzt werden, so wie es bei Milernas Hochzeit gewesen war. "Ach ja. Das interessiert dich vielleicht Van." Van schaute sie verwundert an. < Hält sie das vorher gesagte etwa nicht für interessant? Mir brummt jedenfalls der Kopf, auch wenn alle außer Hitomi eher gelangweilt schauen. Nein. Ich habe mich geirrt. Nicht gelangweilt, nachdenklich. Abwesend. Wer ist dieses Mädchen? Sie redet wie ein altgedienter General, ist aber nicht mal halb so alt wie ich!> "Dass du und all die anderen euch bekämpft habt, lag nicht an euch, jedenfalls nicht direkt. Eure Wünsche waren unvereinbar. Darum gab es für die Schicksalsmaschine nur einen Weg: Solange diejenigen mit Wünschen eliminieren, bis nur noch soviel Wünsche über waren, wie erfüllt werden konnten, ohne sich gegenseitig zu behindern. Das war auch der Grund für den Untergang von Atlantis. Am Anfang war es ein gemeinsamer Wunsch, auf den sich alle konzentriert haben- die Erschaffung einer neuen Welt, Gaia. Nachdem diese Welt erschaffen war, gingen die Wünsche immer mehr durcheinander. Mit der Zeit waren immer mehr Leute erforderlich, die Maschine zu kontrollieren. Und dann- BUMM!" Flöte freute sich diebisch über die erschrockenen Gesichter. "Atlantis ging in einer riesigen Explosion unter, die den ganzen Atlantischen Kontinent vernichtete. Nur wenige entkamen, die meisten von ihnen auf Gaia." Sie machte eine Pause. "Ich glaube, jetzt sollte Eliandra weiter erzählen. Ab jetzt ist es ihre Geschichte." Die Priesterin wand sich "Das ist eigentlich nichts, was wir überall erzählen." "Wir sind nicht überall. Und die zwei brauchen einige Details, um alles zu verstehen." Eliandra zögerte noch eine Sekunde, und atmete dann tief durch. "Also gut. Die meisten Überlebenden waren wie gesagt auf Gaia. Und der Großteil von ihnen waren die Priesterinnen meines Ordens. Damals schon lag der Sitz des Ordens auf Gaia auf derselben Insel, auf der er noch heute ist. Wir hatten die Wächterdrachen erschaffen um die Tore zu bewachen. Als Atlantis unterging nahmen wir die Wächter bei uns auf, und so entstanden die Tihani. Taro hat euch den Namen ja schon erklärt." "Darum lebt ihr also auf dieser abgelegenen Insel." Sagte Hitomi. Plötzlich fiel ein, was Thana über den kleinen Altar auf der Insel gesagt hatte. "Ich habe auf der Insel einen Altar gesehen. Thana nannte ihn Drachenaltar und dass der Name von den Wächterdrachen kommt, die auf dieser Insel erschaffen wurden." Eliandra nickte "Ja, das ist richtig. Er wurde gebaut, nachdem Atlantis untergegangen war. Die primitiven Menschen auf Gaia, die zusammen mit der Welt erschaffen wurden, oder von den wenig entwickelten Regionen außerhalb Atlantis hierher transportiert wurden, hielten die Wächterdrachen für ihre Retter. Schließlich wurden sie erschaffen, um die Gefahren des Tores zu kontrollieren. Das Atlantis unterging, Gaia aber nicht, sahen sie als Bestätigung dafür, das sie Erflog hatte, auch wenn die Wächter selbst anderer Meinung waren. Zum Dank bauten sie diesen Altar um die Drachen anzubeten." Eliandra zuckte mit den Schultern. "Wir hatten weder die Zeit noch den Willen, sie davon abzubringen. Und ich muss zugeben, dass diese Religion den Tihani nicht nur viele Vorteile brachte, sondern auch dringend notwendige Stabilität für diese angeschlagene Welt schuf. Es ist erstaunlich, wie sich Gläubige führen lassen. Das Thana davon wusste, wundert mich aber." Flöte verneinte "Das habe ich ihr gesagt. Das war unumgänglich. Wenn sie zu euch gekommen wäre, hätte sie es früher oder später erfahren, und sie hätte es mir übel genommen, wenn sie gemerkt hätte, dass ich es ihr verheimliche." Taro fragte "So wie bei Akoth?" "So ähnlich." Gab sie ihm Recht. "Allerdings hatte ich gedacht, dass sie erwachsener geworden wäre. Sie muss endlich begreifen, dass..." Hitomi stieg das Blut in den Kopf. Sie hatte gesehen, wie sehr Thana unter ihrer Begegnung mit Akoth gelitten hatte. Wütend rief sie dazwischen "Vielleicht solltest du mal begreifen, dass du ihr sehr weh getan hast. Ich weiß nicht, warum sie einen solchen Hass auf Akoth hat, aber er wird nicht verschwinden, indem du sie einfach vor ihn hinstellst. Du hast damit ihr Vertrauen missbraucht, denn du wusstest, dass es ihr weh tun würde." Streng versuchte Taro sie zum Schweigen zu bringen "Hitomi! Du hast nicht das Recht..." Mit den Fäusten in die Hüften gestemmt, baute sie sich auf. Selbst Van zuckte vor ihr zurück. So wütend hatte er sie nur gesehen, als er ihr gesagt hatte, dass er sie wegen ihrer Fähigkeiten brauchte. Er musste sie damals schwer getroffen haben. Er kam aber nicht dazu, den Gedanken weiter zu spinnen. "Jetzt rede ich! Ich habe alles Recht der Welt zu reden, wenn jemandem weh getan wird! Wenn du ihr Vertrauen zurück haben willst, dann wäre es besser, wenn du mit ihr sprichst. Ich weiß nicht, was zwischen den beiden vorgefallen ist, aber ich weiß, wie sich jemand fühlt, der einsam ist. Und im Moment fühlt sich Thana sehr verlassen, denn sonst würde sie nicht so schroff mit uns reden! Und falls es euch nicht aufgefallen ist, sie ist schon sehr lange weg. Ich bin mir sicher, sie heult sich irgendwo da draußen die Augen aus dem Kopf! Und deswegen werde ich jetzt zu ihr gehen, auch wenn sie glaubt, das ich sie wegen Akoth belogen habe. Aber wenn niemand mit ihr redet, wird es nie besser. Komm, Van!" Sie stapfte in die Richtung davon, in der Thana verschwunden war, und Van beeilte sich, ihr zu folgen. Eliandra war die erste, die das Schweigen brach "Du hast Recht, Taro. Sie ist wirklich ein außergewöhnliches Mädchen." "Oh ja!" stimmte ihr Taro aus vollem Herzen zu "Mir ist beinahe das Herz stehen geblieben. Man sollte sie wirklich nicht wütend machen." Flöte hatte Gedankenversunken dagestanden. "Bin ich wirklich so kaltherzig?" fragte sie niemanden bestimmtes. Unsicher schaute sie Eliandra an. "Ich glaube, wir sollten uns mal unterhalten, Hohepriesterin." "Wie du wünschst, Flöte." Hitomi war wütend fort gestürmt und Van hatte ihr nur mit Mühe folgen können. Zu ihrer beider Erleichterung fanden sie Thana am Ufer des Sees auf einem Felsbrocken sitzend. Da sie schräg von hinten kamen, hatte Thana sie noch nicht bemerkt. "Warte Hitomi." Sagte Van und hielt ihren Arm fest. "Was ist?" fragte sie noch immer sauer, beruhigte sich aber, als sie in seine ernsten Augen blickte. "Es ist besser, wenn ich mit ihr rede. Du hast selbst gerade gesagt, dass sie auch gegen dich etwas hat. Ich bin der einzige, mit dem sie vernünftig reden würde." Widerstrebend gab ihm Hitomi Recht. "Na gut. Aber bitte sei vorsichtig. Ich will nicht, dass sie dich auch noch als jemanden ansieht, der ihr weh tun möchte." Van wartete, bis Hitomi außer Sichtweite von Thana war, dann ging er zu ihr und setzte sich neben sie ins Gras und verschränkte die Arme um seine Knie. Thana war zusammen gezuckt, als sie ihn hörte, aber nach einem raschen Blick richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den See. "Du solltest dich nicht ins Gras setzten. Es ist kalt." "Das stört mich nicht." "Aber mich stört es. Lass mich allein." "Das werde ich nicht Thana. Es kann gefährlich sein, hier allein zu sein. Wilde Tiere könnten dich angreifen." "Hat Flöte dich geschickt?" überging sie seine offensichtliche Lüge. "Nein. Niemand hat mich geschickt." "Musst du mich jetzt auch noch anlügen? Reicht es nicht schon, dass Flöte es tut? 'Es ist nur zu deinem Besten!' Sie war meine Mutter, seit meine Eltern gestorben sind! Und dann lässt sie mich zu diesem Biest bringen!" Van war verwirrt. Entweder hatte er sich verhört, oder Thana fantasierte. Es stand vielleicht schlimmer um sie, als sie dachte. "Deine Eltern sind tot? Das tut mir leid. Aber Flöte kann schlecht deine Mutter ersetzt haben, sie ist ja noch ein Kind!" Thana sah ihn spöttisch an. "Du weißt es nicht? Ich dachte, sie wollte euch alles erzählen? Da siehst du mal wie sie lügt." "Woher weißt du das? Du warst doch schon weg, als sie eingewilligt hat, uns zu erzählen, was sie vorhat." Thana schüttelte den Kopf. "Nein, ich bin noch mal zurück gegangen, um etwas zu holen. Aber als ich gehört hatte, was sie vorhat, bin ich wieder umgekehrt. Sie hat nicht mal mir etwas erzählt, und euch... Entschuldige. Das war nicht persönlich gemeint. Ich meine bloß, ihr seid Fremde, und ich... ich habe mit ihr seid dem Tod meiner Eltern zusammen gelebt." "Was ist denn passiert? Wenn ich das fragen darf." Thanas Gesicht zuckte und Trauer, Hass und Verzweiflung huschten im Wechsel darüber. "Zwei Drachen haben gekämpft. Dabei haben sie das Dorf, in dem wir lebten verwüstet, auch einige Menschen sind gestorben. Die Dorfbewohner machten meine Eltern dafür verantwortlich. Sie haben sie umgebracht. Keel hat mich vor den Dörflern gerettet, und Flöte hat mich aufgezogen." Ihre nüchterne Schilderung verbarg nur schlecht das Grauen, das sie spürte. Van musste an seine eigenen Eltern denken, die so früh gestorben waren. "Ja, Flöte hat mich aufgezogen wie ihre Tochter. Denn sie ist kein Kind, auch wenn sie so aussieht. Sie ist viel älter als du, darum kennt auch niemand ihren richtigen Namen. Eliandra und Taro sind übrigens auch viel älter als es den Anschein hat. Das hängt mit der Insel zusammen, soviel weiß ich. Aber wie?" Sie lachte spöttisch "Wieder ein Geheimnis. Ich bin wirklich zu beneiden. Die vielleicht älteste Person Gaias adoptiert mich, und ich weiß gar nichts über sie." Jetzt glaubte Van, einen guten Ansatz zu haben. "Ich weiß auch nicht viel über sie. Aber eines mit Sicherheit: Sie liebt dich." Er wollte weiter reden, aber Thana unterbrach ihn wütend "Das habe ich auch gedacht. Aber das ist auch nur eine Lüge. Ich habe dir noch nicht alles erzählt. Einer der Drachen, die gekämpft haben, war Akoth. Der Drache, dessen Leben mit dem von Flöte verbunden ist. Das ist der wahre Grund, warum sie mich aufgezogen hat: Sie hatte einfach nur Schuldgefühle!" Enttäuschung und Wut sprachen aus ihrer Stimme, und Van konnte gut nachfühlen, wie sie sich fühlte. "Das stimmt nicht. Vielleicht war es am Anfang sogar so, aber jetzt ist es mehr als das. Glaub mir bitte. Bei mir war es genauso." Thana fragte ihn verblüfft "Wie meinst du das?" "Auch meine Eltern sind früh gestorben. Ein alter Freund meines Vaters hat mich aufgenommen. Am Anfang war es nur aus Verantwortung für mich. Aber mit der Zeit wurde er nicht nur mein Lehrer, sondern auch mein Freund. Er ist für mich bei der Verteidigung Fanelias gestorben." "Das tut mir leid. Du warst wirklich dabei, als Fanelia von den Zaibachern angegriffen wurde?" Van schaute sie verblüfft an "Natürlich. Ich bin schließlich der König." Thana war schockiert "Der König? Oh Gott! Van! Natürlich! Ich hätte nie gedacht, dass du der Van bist!" Van lachte "Ich sehe nicht gerade wie ein König aus, was? Das hat Hitomi wahrscheinlich auch gedacht, als sich alle vor mir verbeugt haben." "Dann wusste sie nicht, wer du warst, als sie dich kennen lernte? Seltsam." Van schüttelte den Kopf "Überhaupt nicht seltsam. Die Umstände unseres Treffens waren... seltsam. Hat sie dir nicht erzählt, wo sie herkommt?" "Nein. Und ehrlich gesagt ist mir das auch egal. Niemand sollte wegen seiner Herkunft beurteilt werden. Aber das sie sich mit diesem Drachen zusammen tut, hätte ich nicht gedacht. Ich habe sie für meine Freundin gehalten, auch wenn wir uns kaum kennen." "Sie hat sich nicht mit dem Drachen zusammen getan. Ich weiß nicht, was es mit Akoth auf sich hat. Aber ich vertraue Hitomis Urteil. Wenn sie meint, dass der Drache nicht böse ist, dann ist das so. Sie hat oft genug bewiesen, dass sie mit so etwas recht hat. Nicht zuletzt bei meinem Bruder." "Ich habe davon gehört. Er war der General der Zaibacher, oder?" "Ja. Er hat Fanelia vernichtet. Als ich erfuhr, dass er lebte, und dass er es war, wollte ich nichts anderes als ihn töten. Hitomi hat es verhindert. Und sie hatte Recht. Ich kann ihm nicht verzeihen, was er getan hat, dazu war es zu schrecklich. Aber ich kann ihn verstehen." Auf einmal wusste Van, was er zu sagen hatte, um Thana zu helfen. "Er hat nur das beste gewollt. Er wollte Gaia zu einer besseren Welt machen. Und er wollte verhindern, dass ich gegen einen Drachen kämpfen muss, weil es ihn fast das Leben gekostet hat. Er dachte, das richtige zu tun. Er tat es aus Liebe zu mir und den Menschen Gaias. Aber er hat sich geirrt. Er war verblendet von der Macht der Schicksalsmaschine. Zum Schluss hat er seinen Irrtum eingesehen. Nun ist er tot, und ich wünschte er würde leben. Thana. Auch Flöte hat alles aus Liebe zu dir getan. Sie kann sich geirrt haben, oder auch nicht. Das kann ich nicht beurteilen. Aber es tut ihr genauso weh, wie dir, auch wenn sie es nicht zugeben will. Soll erst einer von euch sterben, bis ihr einseht, dass sich einer von euch geirrt hat? Rede mit ihr. Ich bin sicher, ihr könnt euch wieder vertragen." Tränen schimmerten in Thanas Augen. Plötzlich warf sie sich schluchzend gegen ihn. "Van, du hast ja keine Ahnung. Ich kann nicht. Ich habe Angst. Angst, dass du nicht recht hast. Was ist, wenn sie mich auslacht? Ich liebe sie, auch nachdem sie mir das angetan hat. Ich will sie nicht verlieren." Unbeholfen versuchte Van sie zu trösten. Er hatte noch nie jemanden weinen sehen können. "Sie wird dich nicht auslachen Thana. Du gehst einfach zu ihr und du wirst sehen, ihr werdet euch wieder vertragen können. Es wird eine Zeit dauern, aber ich bin sicher, wenn du ihr verzeihen kannst, wird sie sich bemühen, dir nicht mehr weh zu tun. Jeder macht Fehler. Aber es bringt nichts, sie tot zu schweigen." "Aber ich habe Angst!" sagte sie ruhiger, aber immer noch schniefend. "Der Freund, der mich aufgezogen hat... sein Name war Vargas." Sprach Van leise und in seiner Erinnerung versunken. "Er war der beste Schwertkämpfer, den ich kenne. Und er war sehr weise. Ich habe immer versucht, ihn zu besiegen. Ich habe es nicht geschafft. Als ich aufgeben wollte, hat er sich ruhig zu mir gesetzt. Ich habe ihm gesagt, dass ich es nie schaffen werde, ihn zu besiegen. Er hat nur dagesessen, und mich angeschaut. Er konnte einen Blick haben, der Wasser zum Erstarren brachte. Dann hat er nur gesagt 'Wer kämpft, kann verlieren. Wer aufgibt, hat schon verloren.' und ist gegangen. Am nächsten Tag habe ich wieder mit ihm gekämpft." "Hast du gewonnen?" Van lachte "Natürlich nicht. Niemand hat ihn je besiegt, bis an den Tag, als Fanelia zerstört wurde. Und selbst dann war es die feige Tat eines unsichtbaren Guymelefs. Weißt du, ich hätte beinahe aufgegeben. Alles, was ich geliebt hatte war tot oder zerstört. Ich wollte nur noch Rache. Ohne Zweifel hätte ich mich blindlings in den Kampf gestürzt und wäre dabei gestorben. Aber es hat mich nicht gestört. Mit der Zeit wurde ich klarer im Kopf. Es gab nur zwei Dinge, die mich gerettet haben. Vargas und Hitomi. Ich hatte geschworen sie nach Hause zu bringen, und die Erinnerung an Vargas gab mir die Kraft dazu. Wenn Hitomi nicht vom Mond der Illusionen gekommen wäre, hätte ich aufgegeben. Aber sie hat mir Hoffnung gegeben. Sie hat diese Wirkung auf alle. In ihr ist eine solche Kraft..." Thana hatte sich überrascht von Van gelöst. "Hitomi kommt vom Mond der Illusionen?" Van wunderte sich "Ja. Hast du das nicht gewusst?" "Nein. Ich meine, ich habe gehört, dass ein Mädchen von dort dem König von Fanelia geholfen hat, die Zaibacher zu besiegen. Aber ich dachte, das wäre eine erfundene Geschichte." "Aber es ist keine." Thana musste auf einmal lachen "Und ich habe ihr die Geschichte vom Mädchen vom Mond der Illusionen auch noch erzählt. Ich sagte, das ich das für Unsinn halte. Kein Wunder, das sie mich nicht mehr leiden kann." "Du irrst dich. Sie hat dich sogar sehr gern. Eigentlich war es ihre Idee, hierher zu kommen. Aber ich dachte, du würdest ihr nicht zuhören." Thana beruhigte sich "Das hätte ich auch nicht. Ich habe mich wohl sehr in ihr geirrt. Und wenn ich mich bei ihr geirrt habe, habe ich das vielleicht auch mit Flöte. Du hast Recht. Wer aufgibt, hat schon verloren. Lass uns gehen. Ich will mit Flöte reden, bevor ich wieder den Mut verliere." Sie stand auf und klopfte sich den Staub von den Kleidern. Van tat es ihr nach, etwas erstaunt über ihren plötzlichen Wandel. Als sie den ersten Feuerschein durch das Unterholz sehen konnten, blieb sie noch einmal stehen. Der Großteil ihres Mutes schien sie bereits verlassen zu haben. "Van?" "Ja." "Versprichst du mir etwas?" "Was denn?" "Wenn ich aufgeben sollte, dann zwing mich dazu, mit ihr zu reden. Tust du das?" "Versprochen. Aber das wird nicht nötig sein. Du schaffst das von alleine. Du bist stark genug." Aus einem spontanen Impuls heraus umarmte er sie. "Viel Glück." Ebenso spontan gab Thana ihm einen kurzen Kuss "Danke." Dann stapfte sie entschlossen auf das Feuer zu, und die Äste knackten unter ihren Füßen. Van stand mit rotem Gesicht da und befühlte überrascht die Wange, auf die sie ihn geküsst hatte. Er bemerkte Hitomi nicht, die einige Meter weiter stand. Sie hatte sich, statt zurück zu gehen, an die beiden angeschlichen und sie belauscht. Sie hatte Angst gehabt, das es Van nicht gelingen würde, Thana aufzubauen. Aber anscheinend war ihm das hervorragend gelungen. Wirklich hervorragend. Am nächsten Morgen brachen sie früh auf. Den ganzen Tag über hingen graue Wolken am Himmel, und manchmal fielen ein paar Tropfen. Flöte hatte ihnen gesagt, dass sie um das Tor, und damit auch Hitomi und Van, zu retten, einige Dinge besorgen müssten. Sie wollte sich nicht über auslassen, welche Dinge das waren, denn sie hatte wichtigeres vor, wie sie sagte. Thana und Flöte führten ein langes Gespräch, das bis in den späten Nachmittag dauerte. Um sie nicht zu stören, ritten Taro und Keel voraus, die zwei in der Mitte und der Rest der Gruppe hinterher, zwischen den Gruppen genug Abstand, um ihr Gespräch vertraulich zu halten. Hitomi war den ganzen Tag merkwürdig still. Van fragte, was sie hätte, aber sie wich mit Kopfschmerzen aus. Da auch Van von den gestrigen Ereignissen ziemlich erschlagen war, machte er sich weiter keine Gedanken. In Wirklichkeit aber hatte Hitomi andere Gründe, nicht mit ihm zu reden. < Warum bin ich eigentlich eifersüchtig? Er hat sie doch nur getröstet. Außerdem gehört Van mir nicht, auch wenn ich das vielleicht gerne so hätte. Warum fühle ich mich nur so schlecht? Und schließlich freue ich mich ja, dass Thana anscheinend wieder auftaut. Ach verdammt! Blödes Gaia! Nie ist hier etwas einfach!> "Milerna! Dryden! Ich habe eine Nachricht von Van erhalten." Er stürmte in ihr Zimmer. Die beiden hatten sich gerade über einen der Berichte, die sie vom König von Delos erhalten hatten, gebeugt. "Es ist unglaublich! Hitomi ist wieder da!" "Wie bitte? Hitomi? Bist du dir sicher?" fragte Milerna aufgeregt. "Ja. Van hat wörtlich geschrieben: 'Ich habe die "leuchtenden Schatten" gefunden. Hitomi ist auch hier. Sie und ich sind in Gefahr, und Gaia auch. Ich werde noch eine Weile brauchen. Van. PS: Ich bin es wirklich und nicht verrückt. Das zweite kann ich nicht beweisen. Das erste: Denk an eine Brücke in Asturia.' "Eine Brücke? Wieso beweist die, dass es Van ist?" fragte Dryden nachdenklich. "Es ist eine Sache, die Van und ich geklärt haben, nachdem Hitomi nach Hause gegangen war." Sagte Allen mit einer Stimme, die deutlich machte, das er es nicht näher erklären würde. "Schade, dass er nicht mehr geschrieben hat, aber die Nachricht kam wohl mit einer Brieftaube, denn das Blatt ist sehr klein." "Wer hat es dir gegeben?" wollte Milerna wissen. "Niemand. Ich fand es auf meinem Bett. Hat wohl jemand dahingelegt. Wie bei Van damals." Dryden schüttelte den Kopf "Merkwürdige Methode." Am Abend schlugen sie ihr Lager in einer weitläufigen Höhle auf. Sie hatte sogar einen Riss in der Decke, durch die der Rauch ihres Feuers abziehen konnte. Hitomi war sehr froh darüber, denn der Wind pfiff ziemlich kalt in die Höhlenöffnung, und ohne Feuer wäre es wirklich zu kalt gewesen. Flöte und Thana hatten sich anscheinend vertragen, auch wenn sie noch eine vorsichtige Distanz wahrten. "Hat es euch geschmeckt?" fragte Taro, der diesmal Küchendienst hatte. "Ja, sehr gut." Antwortete Hitomi "Erstaunlich, dass ein Mann so gut kochen kann." Setzte sie ein bisschen gemein hinzu. "Gar nicht erstaunlich. Wenn ich nicht koche, macht das Eli. Das erklärt es." Eliandra schubste ihn spielerisch "Du Hund! Wie kannst du mir das antun! Du blamierst mich ja!" Aus dem allgemeinen Gelächter heraus, dem sich sogar Thana anschloss, fragte Van überraschend "Ihr benehmt euch wie kleine Kinder. Wie alt seid ihr eigentlich?" Noch immer lachend antwortete Eliandra "Hundertsechsun" brach dann ab und versuchte sich in einen Wutanfall zu retten. "Wie kannst du es wagen, eine Frau nach ihrem Alter zu fragen! Hast du denn gar keine Manieren!" Doch Van lehnte sich nur an die kalte Höhlenwand und grinste "Zu spät. Ich glaube, jetzt solltet ihr auch dieses Geheimnis lüften." Hitomi saß noch immer schockiert da und wollte ihren Ohren nicht trauen. <'Hundertsechsun' soll das heißen, sie ist über hundert? Das kann doch nicht sein!"> "Lass nur." Sagte Flöte "sie hätten es eh erfahren. Aber es würde mich interessieren, wie du darauf kommst, Van." "Zufall." "Nein, kein Zufall. Mir ist so etwas rausgerutscht." warf Thana in die Debatte. Flöte seufzte "Noch was, worüber wir reden müssen." Als sie die Angst in Thanas Gesicht sah, sagte sie beruhigend "Keine Sorge. Ich trage dir nichts nach, das habe ich dir doch versprochen. Aber ich glaube, es ist besser, wenn Eliandra die Sache mit dem Alter erklärt." "Also gut. Wie du meinst." Eliandra machte eine kurze Pause, um ihre Gedanken zu ordnen und begann dann. Hitomi und Van hörten ihr gespannt zu. Sie hatten das Gefühl, dem größten aller ihrer Geheimnisse auf der Spur zu sein. "Als Atlantis noch existierte, wurden die Menschen sehr alt. Sie hatten sich nicht nur Flügel gegeben, sondern auch ihre Körper so verändert, dass sie viel älter wurden, als es heute normal ist. Da die Tihani, also die Bewohner der Insel, direkt von den überlebenden Wächtern und den Priesterinnen abstammen, ist unsere Lebenserwartung etwa doppelt so hoch wie die aller anderen. Früher war dieser Effekt noch um ein Vielfaches stärker. Die ersten Wächter wurden über tausend Jahre alt." Hitomi lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Ein solches Alter war einfach unvorstellbar, und doch... Die Bilder wechselten in rascher Folge. Sie zeigten immer die selben. Es mussten die Wächter sein, denn sie flogen mit ihren Drachen. Sie sah, wie sich die Wächter kaum veränderten, während rings um sie herum die Menschen alt wurden und starben. "Hitomi! Alles in Ordnung?" Van hatte sie besorgt an den Schultern geschüttelt. "Ja. Mir geht es gut. Ich hatte eine Vision... Ich habe die Wächter gesehen, wie sie alt wurden... Aber es geht schon wieder." Sie schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu vertreiben. "Wirklich erstaunlich. Soll ich weiter erzählen, oder willst du dich erst ausruhen?" fragte Eliandra besorgt. "Nein, erzähl weiter. Mir ist nur ein bisschen schwindlig." "Also gut. Wie gesagt, werden wir sehr alt, aber es gibt noch etwas, das diesen Effekt verstärkt. Es ist das Wasser unserer Insel. Die ersten Priesterinnen haben es geschaffen, um den Wächtern und ihren Drachen ein äußerst langes Leben zu geben. Dieses Wasser existiert noch heute. Es verlängert nicht nur das Leben, sondern hat auch starke heilende Kräfte." Die Erkenntnis durchfuhr Van und Hitomi wie ein Schock. "Das Wasser, das du mir und Van gegeben hast!" entfuhr es Hitomi, und Eliandra nickte. "Als du hier ankamst, warst du so schwach, dass du fast gestorben wärst. Ich habe dir etwas von dem heiligen Wasser gegeben, und Van auch, als er verletzt war." "Darum ist meine Verletzung so schnell geheilt. Sie ist jetzt schon so gut wie weg." "Ja, Van." Bestätigte Eliandra ihm. Ein Gedanke durchzuckte Hitomi "Werden wir dann auch so alt?" Sie war erschrocken, stellte aber fest, dass ihr der Gedanke gefiel. Ein plötzliches Verlangen durchfuhr sie. "Nein!" sagte Eliandra mit Nachdruck. "Dazu müsstest du es öfter trinken. Hitomi, Van, ich muss euch bitten genau in euch hinein zu hören. Spürt ihr das Verlangen, lange zu leben, vielleicht Jahrtausende?" Hitomi war geschockt < Jahrtausende!> Eine plötzliche Übelkeit stieg in ihr auf. Ihr Herz raste und das Blut schoss ihr in den Kopf. "Ja." Sagte Van scheinbar ruhig. "Ich habe das Gefühl, alles unternehmen zu müssen, damit das passiert." Hitomi nickte nur. Das war genau das, was sie auch fühlte. Eliandra sagte traurig. "Das Gefühl haben alle. Das ist der Grund, warum wir es geheim halten. Kannst du dir vorstellen, was passiert, wenn die ganze Welt davon erfährt?" Mit einer Gewissheit und Endgültigkeit, die Hitomi das Blut in den Adern gefrieren ließ, antwortete Van "Krieg. Erbarmungsloser Krieg. Bis jemand alle anderen vernichtet hat." Eliandra nickte traurig "Genau das. Und deswegen darf die Kenntnis darüber niemals die Insel verlassen." Sie lachte gezwungen, als sie das erschrockenen Gesicht von Hitomi sah. "Keine Sorge, wir halten euch nicht fest. Wir hätten euch kaum davon erzählt, wenn wir Angst hätten, ihr könntet es verraten." Die Erleichterung war Hitomi und Van deutlich anzusehen. "Aber ich bin noch nicht fertig. Das Wasser hat noch eine andere Wirkung. Es verändert die Struktur des Körpers und verlangsamt das Alter. Aber zugleich macht es uns unfruchtbar. Ihr seht, alles hat Vor- und Nachteile. Das ist auch der Grund, warum wir unsere Leute von außerhalb rekrutieren. Nur wer stark genug ist, dem Verlangen nach dem Wasser zu trotzen, darf es bekommen. Wir suchen unsere Anwärter sehr sorgfältig aus." Sie warf einen fragenden Blick auf Flöte. Diese seufzte, blickte Keel fragend an, der mit den Schultern zuckte 'deine Entscheidung' und entschied sich dann. "Das Wasser macht also unfruchtbar. Es gibt nur eine Ausnahme. Zwei Wächter der ersten Generation haben nur ein paar Monate nach der Katastrophe, die Atlantis zerstörte, eine Tochter gezeugt." Thana schnaufte vor Überraschung und schnappte nach Luft, als ihr die Ungeheuerlichkeit dieser Tatsache aufging. "Diese Tochter- das bist du, Flöte! Jetzt verstehe ich erst..." Sie schwieg und kaute auf ihrer Unterlippe herum, vollkommen überwältigt. Van und Hitomi ging es nicht viel besser. Van brachte mühsam eine Frage heraus, die eigentlich schon beantwortet war, aber unbedingt gestellt werden musste, um die Antwort begreifen zu können. "Dann bist du das älteste lebende Wesen ganz Gaias!?" "Ja, das bin ich. Das Wasser hat in einer Beziehung bei meinen Eltern nicht gewirkt- ich wurde geboren. Aber in anderer Hinsicht war es wirksamer als bei allen anderen. Seit meinem achten Lebensjahr habe ich mich nicht mehr verändert. Mein Körper ist der eines kleinen Kindes. Aber mein Geist... Nun, ich bin mehrere tausend Jahre alt. Ich habe keine Ahnung, wie man das nennen soll. Vielleicht göttlich?" fragte sie mit gutmütigem Spott. Van stand immer noch wach. Er hatte gebeten, die zweite Wache übernehmen zu können, von Mitternacht bis zum Aufgang des Rades. Er konnte sowieso nicht schlafen, und Hitomi erging es nicht anders. Während Flöte, Eliandra, und Taro sich einfach hingelegt und eingeschlafen waren, hatten Hitomi, Thana und Van dagesessen und waren ihren Gedanken nachgegangen. Sie hatten eine Menge zu verarbeiten. Keel hatte die erste Wache gehalten und ihnen dann ein Schlafmittel angeboten. Thana und Hitomi hatten dankbar zugestimmt. Die Wirkung hatte schnell eingesetzt. Am Anfang hatten sie sich noch herumgeworfen, anscheinend von Alpträumen gequält, hatten sich aber schnell beruhigt. "Es sind nicht nur einschläfernde, sondern auch beruhigende Kräuter darin. Das ist eine Sache, über die man wirklich erst mal schlafen muss. Und du willst wirklich nichts? Ich übernehme deine Wache gerne. Wenn ich mit Flöte allein unterwegs bin, wache ich oft die ganze Nacht." Van hatte nur müde den Kopf geschüttelt "Nein, danke. Ich würde gerne mit dem Nachdenken fertig sein, bevor ich schlafen gehe. Es ist eine schlechte Angewohnheit von mir, ich weiß." Keel lachte leise und stellte sich in den Höhleneingang. "Dann denke mal, junger König. Es gibt wahrlich viel zu überlegen, aber zerbrich dir den Kopf nicht zu sehr. Du wirst ihn noch brauchen." Um Mitternacht hatte sich Keel ebenfalls schlafen gelegt, und Van war mit seinen schweren Gedanken auf Wache geblieben. < Arme Hitomi.> dachte er und schaute zu der Gestalt hinüber, die sich unter ihrer Decke abzeichnete. Der Schein des kleinen Feuers warf ein flackerndes, rötliches Licht auf ihr Gesicht. < Ich habe gesehen, wie besorgt sie Thana angesehen hat. Dabei muss es für sie viel einfacher gewesen sein. Sie kannte Flöte ja schon lange. Aber Hitomi... Sie nimmt sich immer alles so sehr zu Herzen.> Er schaute liebevoll auf die Schlafende, die mit ruhigen Atemzügen und einem friedlichen Gesichtsausdruck dalag. < Sie wirkt so... zart...> "Sie sieht zerbrechlich aus, stimmts?" fragte Taros leise Stimme hinter ihm und Van fuhr erschrocken herum. "Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken." Er wies auf Hitomi "Wenn man sie so daliegen sieht, kann man kaum glauben, das sie es war, die Gaia durch ihren Willen gerettet hat. Sie wirkt so schwach und zerbrechlich, das es unmöglich scheint, dass in ihrem Körper ein solch starker Geist steckt." "Ja. Etwas ähnliches habe ich auch gerade gedacht" flüsterte Van. "Deine Wache ist vorbei. Leg dich hin. Hier." Er gab ihm die Flasche mit dem Schlafmittel. Nach kurzem Zögern griff Van danach. Schon nach kurzer Zeit war er eingeschlafen. In seinem Traum saß er zu Hause, mit seinen Eltern, Vargas und Hitomi. Der Morgen war klar. Die Sonne strahlte und der Himmel zeigte sich in seiner blauesten Farbe. Rasch brachen sie auf. "Wir sollten gegen Nachmittag da sein." Meinte Flöte, die aber immer noch nicht verraten hatte, von wo und was sie holen wollte. Hitomi ritt neben dem kleinen Mädchen und fragte sie neugierig "Was ist eigentlich dein richtiger Name?" Sinnend schaute Flöte in die Weite. "Eigentlich ist Flöte mein richtiger Name. Niemand außer mir kennt den Namen, den meine Eltern mir gaben. Weißt du, Hitomi, den Namen Flöte gab ich mir deswegen." Sie holte ihre Syrinx hervor und pfiff behutsam ein paar Töne. "Meine Mutter hat sie mir gegeben. Sie war die beste Spielerin, die es gab." Leise begann sie, eine einfühlsame, getragene Weise zu spielen. Überraschend fielen Thana und Eliandra ein, und sogar Keel schien leise zu singen. Nur Taro hielt sich zurück, schloss aber die Augen um zu lauschen. Dazu hatte er auch allen Grund. Thana hatte eine glockenhelle, verspielte Singstimme, und Eliandra sang tiefer mit mühsam unterdrückter Energie. Ihre Stimme schien stark genug, um Hunderte von Kilometern zu reichen. Keels tiefer Bass ergab einen angenehmen Kontrast dazu. Es schienen nicht drei, sondern ein ganzer Chor zu singen. Mit einem sanften Ausklang endete das Lied und Hitomi konnte ihre Begeisterung nicht mehr bremsen. "Das war wunderschön! Was für ein Lied war das?" Prosaisch antwortete Flöte "Dies war die Hymne von Atlantis. Der Stolz und der Willen des göttlichen Volkes liegen in seiner Melodie, und die Worte vibrieren von seiner Kraft." Traurig fügte sie hinzu "Stolz, Kraft und Willen der Atlanter haben ihnen den Untergang gebracht. Sie haben eine Welt vernichtet." Plötzlich leuchteten ihre Augen in einem alles verzehrenden Feuer. "Und ich werde nicht zulassen, das etwas, das von den Atlantern erschaffen wurde, auch nur ein Leben mehr kostet. Bei Dornkirk ist mir der Fehler unterlaufen, es für unmöglich zu halten, dass Atlantis nach all den Jahrtausenden noch Verderben über diese Welt bringen könnte. Noch einmal passiert mir das nicht." Sie wandte den Blick auf Van und Hitomi und aus ihr sprach unbeugsamer Wille. "Ich werde nicht zulassen, dass ihr für die Fehler der Atlanter, oder auch meine Fehler sterben müsst. Wir werden das Tor retten, und damit auch euch." Sie blickte entschuldigend zu Thana "Es tut mir leid, dass ich bei dir übertrieben habe, Kind. Ich habe viele Fehler in meinem langen Leben gemacht, aber dieser war einer der furchtbarsten. Ich verspreche dir, ich werde es wieder gut machen. Du warst immer wie eine Schwester für mich. Seit meine Eltern gestorben sind, habe ich niemanden mehr so geliebt. Es tut mir leid, was ich dir angetan habe." Die Tränen rannen ihr über die Wangen, und Thana ritt zu ihr, hielt ihre Hand und tröstete das kleine, uralte, weinende Mädchen. "Ich weiß, Flöte. Ich liebe dich auch. Und ich werde nie mehr wütend auf dich sein." Flöte wischte sich die Tränen aus den Augen. "Versprich nicht, was du nicht halten kannst. Du hattest recht, wütend zu sein. Ich habe mich falsch verhalten. Aber jetzt komm, lass uns fröhlich sein." Sie nahm ihre Syrinx und spielte ein lustiges Lied an, in das Thana sofort einfiel. "Irgend etwas erfahren?" Allen schloss die Tür und antwortete missmutig "Nein, niemand hat etwas Ungewöhnliches bemerkt. Dabei muss jemand in meinem Zimmer gewesen sein." Millerna seufzte und lehnte sich gegen das Fenster. "Aber irgend jemand muss die Nachricht doch gebracht haben. Das hier ist ein Palast! Da kann nicht einfach so jeder rein!" Dryden verneinte "Das ist leichter als du denkst. In einem Palast werden viele Diener benötigt. Finde einfach den Namen eines Dieners heraus, der krank ist, und sage du bist mit ihm verwandt und vertrittst ihn- fertig." "Wahrscheinlich hast du recht. Nanu?" Sie zog die Vorhänge zur Seite "Die Eule sitzt ja immer noch dort auf dem Pfeiler!" "Tatsächlich?" Dryden war in Gedanken versunken, aber Allen merkte auf "Auf einem Pfeiler, am hellen Tag? Du hast recht. Das ist wirklich ein merkwürdiges Verhalten für eine Eule." Als ob sie ihre Unterhaltung belauscht hätte, breitete die Eule ihre Flügel aus und flog in einem eleganten Bogen davon. "Jetzt ist sie weg." Meinte Millerna "Ich bin froh darüber. Sie wurde langsam unheimlich." Noch immer abwesend meinte Dryden "Vielleicht war sie es ja, die dir die Nachricht gebracht hat, Allen." Allen und Millerna verzogen das Gesicht ob dieses verrückten Gedankens. Ende Teil 5. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)