Die Legende vom Mädchen vom Mond der Illusionen ( LMMI ) von LennStar ================================================================================ LMMI 4 Kapitel 5 ---------------- Kapitel 5 Der Crusador überflog die Grenze Fanelias. Sie war hier nicht mehr als ein unregelmäßiger Strich auf der Landkarte. Unter dem Crusador war nur Wald und die Ausläufer der Berge. "Du solltest dich auch langsam schlafen legen." meinte Gades zu Thana, die in die nur von den Lampen des Crusadors erhellte Dunkelheit starrte. Es war weit nach Mitternacht, und alle die nicht das Luftschiff steuern mussten hatten sich zu Bett begeben. Alle bis auf Thana. Nur das Surren der Motoren und die ein oder andere bedachtsame Anweisung durchbrachen die Stille. "Nein." antwortete sie leise. "Ich kann nicht. Mir geht zu viel durch den Kopf." "Es ist nicht gut so viel zu grübeln." tadelte Gades sie Schulmeisterlich. Thana lachte, doch bevor sie antworten konnte betrat Allen den Raum und zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. "Na, Kommandant? Jetzt schon schlafwandeln?" Allen lächelte. Solche Bemerkungen waren um diese Zeit normal. Des Nachts, wenn man unter sich war, versuchte man sich mit solchen Neckereien wach zu halten. Strikte Disziplin war für den Tag. Nicht dass dieser Haufen am Tag besonders diszipliniert gewesen wäre. "Die Sterne leuchten so schön." antwortete er und trat ans Fenster der Brücke. Gedämpftes Gelächter antwortete ihm. Es war stockfinster draußen, schwere Wolken hingen undurchdringlich am Himmel. Selbst der Mond der Illusionen mit seinem hellen, blauen Licht war in dieser Nacht nur erahnbar. "Aber dass ihr wach seid wundert mich." sagte er zu Thana, die mit den Augen rollte. "Nicht ihr auch noch. Gades hat mich schon gelöchert. Ist es einer Frau nicht erlaubt, auch mal nicht einschlafen zu können?" "Nein." antwortete Allen einfach. "Geht ins Bett. Eine Frau braucht ihren Schönheitsschlaf." "Was wollt ihr damit sagen?" fragte Thana spitz. Ein leises "Uhhh!" ertönte aus dem Hintergrund, gefolgt von unterdrücktem Gekicher. Thana warf einen vernichtenden Blick in die Runde und gab dann seufzend auf. "Na schön, ich beuge mich eurer Befehlsgewalt Herr Ritter. Aber gewöhnt euch nicht dran." Sie wandte sich zum Gehen. "Gades! Bring sie zu ihrer Kabine!" befahl Allen. "Und dann kannst du dich auch hinlegen. Ich übernehme die Nachtwache." "Ist gut." erwiderte Gades und damit war die Kommandoübergabe erfolgt. Er bot Thana seinen Arm an. Thana schaute erst demonstrativ in eine andere Richtung, hakte sich aber doch bei ihm ein. "Na, dann zeigt mir mal den Weg. Könnte ja sein, er hat sich in den letzten Stunden verändert." Unter dem anerkennenden Pfeifen der Männer verließ sie die Brücke, die sie damit zur Siegerin des kleinen Wortduells kürten. Allen starrte noch eine ganze Weile nachdem die beiden die Brücke verlassen hatten auf die Tür. Dann drehte er sich achselzuckend wieder um. Menschen wurden halt vertrauter miteinander, so war der Lauf der Welt. Die einen kamen sich näher, die anderen entfernten sich. Er seufzte lautlos. Diese Nacht verursachte wirklich schwere Gedanken. *** Hitomi hatte sich von Van mit einem langen, innigen Kuss verabschiedet und lag immer noch wach in ihrem Bett. Es war schon irgendwie verrückt. In der vorigen Nacht war sie erst spät eingeschlafen. Ihr Herz hatte viel zu sehr geschlagen, mit Van an ihrer Seite, selbst als er ihre Angst durch seine zärtliche, Kraft gebende Anwesenheit vertrieben hatte. Heute war es umgekehrt. Sie vermisste ihn. Dennoch wusste sie, dass auch er kaum geschlafen hatte. Beide hatten es vorgegeben, aber in Wirklichkeit war die Nähe des anderen zu viel gewesen. Hitomi seufzte. Es war ungerecht. Wenn Van sie in seinen Armen hielt fühlte sie sich wie auf einer Wolke und kam nicht zum Schlafen. Sie hatte wahrscheinlich schon Ringe unter den Augen. Doch wenn er weg war sehnte sie sich nach ihm, wollte, dass er seinen Arm um sie legte, wollte seinen Atem sanft über ihren Nacken streichen fühlen... Sie drehte sich auf den Rücken und atmete tief durch. Sie musste schlafen. Es nützte gar nichts, wenn sie halb tot herum lief. Mit Sicherheit würden sie in den folgenden Tagen alle ihren wachen und aufmerksamen Verstand brauchen. "Ach Van!" klagte sie. "Es kommt mir trotzdem reichlich komisch vor!" beklagte Van sich. Asuna warf entnervt die Arme in die Luft. "Van! Wie oft muss ich noch sagen, es geht wesentlich schneller und einfacher, wenn niemand weiß, dass wir hier sind." "Es ist deine Entscheidung." beugte sich Van schließlich der Stimme der Vernunft und folgte den anderen. Der Crusador war auf einer kleinen Lichtung nur wenige Meilen vor den Toren der Hauptstadt des ehemaligen Zaibacher Reiches gelandet. Laut Asuna befand sich das Archiv, in dem sie suchen wollte, hier ganz in der Nähe. Es war eine geheime Anlage, so dass sie nicht in der Stadt errichtet werden konnte, aber sie sollte dennoch für die Regierenden leicht erreichbar sein. So hatte man diesen schlecht zugänglichen Platz in der Nähe der Stadt ausgesucht, um den Eingang des Archivs zu verbergen. "Es ist nicht mehr weit!" munterte Asuna alle auf, als sie bereits eine halbe Stunde gegangen waren. Tatsächlich erreichten sie nur wenig später ihr Ziel. Das aber wusste bis auf Asuna niemand. "So, da wären wir." erklärte sie. "Der Eingang zum erwähnten Archiv. Toll, nicht?" Alle schauten sich um, aber niemand konnte erkennen, wo dieser Eingang sein sollte. "Gut, es ist definitiv ein verstecktes Archiv." meinte Thana und blickte Asuna herausfordernd an. "Aber würdest du so freundlich sein, uns dennoch zu verraten, wo der Eingang ist? Ich sehe hier nur ein paar seltsam gewachsenen Bäume und einen ziemlich großen Felsen, hinter dem sich sogar ein kleiner Guymelef verstecken könnte, wenn er sich ordentlich zusammen faltet. Also, wo geht's hinein?" Es war offensichtlich, dass man den beiden eine gewisse freundschaftliche Rivalität nicht absprechen konnte. Sowohl Thana als auch Asuna hatten ein gewisses Faible für Ironie. "Du hast es fast erraten." meinte Asuna und trat zu dem Felsen, den Thana als Guymelefversteck vorgeschlagen hatte. "Er ist genau..." Sie drückte auf eine bestimmte Stelle des Felsens. "...hier." Das letzte Wort ihres Satzes ging im Knirschen des Felsens unter, der sich langsam hob und dann zur Seite schob. "Beeindruckend." musste Thana zugeben, und alle anderen nickten nur in stiller Überraschung. Der Felsen hatte ausgesehen, als ob er im Boden verwachsen gewesen wäre. "Na dann, tritt ein, bring Glück herein!" witzelte Asuna, und betrat den dunklen Eingang. Ein paar Meter in den Gang hinein standen einige Dutzend Laternen. Asuna verteilte an jeden eine und zündete sie mit einem der ebenfalls bereit liegende Zündrohre an. "Kommt!" befahl sie "Und bleibt dicht beieinander. Das erste Stück ist ein kleines Labyrinth- und wer den falschen Gang nimmt, wird von herabfallenden Steinplatten eingeschlossen. Es ist euch vielleicht noch nicht aufgefallen, aber es gibt hier nicht so viel Personal, als dass ich mal schnell ein Dutzend Leute abstellen könnte um die Steinplatten wieder hochhieven zu lassen." Raschen Schrittes folgte sie einem Weg, der sich nicht sichtbar von den anderen unterschied, die sich anboten. Aufgrund Asunas Warnung blieb die Gruppe dicht beieinander. Doch dann bogen sie um eine Kurve und standen vor einer Wand. "Sag nicht, du hättest dich verlaufen." rief Hitomi ängstlich und klammerte sich an Van. "Keine Sorge. Das ist nur eine neue versteckte Tür, oder?" versuchte dieser Hitomi zu beruhigen. Doch seine Stimme war nicht ganz so fest, wie seine Worte vermuten ließen. "In gewissem Sinn ja." antwortete Asuna auf seine Frage und begann dann aus Leibeskräften loszubrüllen. "He, Miranda! Die Blende ist schon wieder unten! Mach das verdammte Ding auf!" Nach ein paar Sekunden fing es an zu rumpeln und die Wand schob sich langsam in die Decke. "Tut mir leid!" rief eine durch das Echo verzerrte und dumpfe, trotzdem als weiblich erkennbare Stimme aus dem Dunkel des Ganges. Hinter einer Kurve flackerte schwach ein Licht. "Ich war ein bisschen nervös, als ich so viele Leute ankommen sah." Das Licht wurde heller und Miranda bog um die Ecke. Sie war hochgewachsen und erschien fast ein wenig verhungert, ihr langes Haar fiel ihr bis zu den Hüften hinab. Auch im Dunkeln konnte man die Farbe von reinen Honig erkennen. Aus dem schmalen Gesicht musterten zwei intelligente Augen die Neuankömmlinge. Neugier sprach aus diesem Blick, aber auch eine gewisse Unnachgiebigkeit. Ohne Zweifel war sie hier der Boss, und das würde sie jedem schnell klar machen, wenn es nötig wäre. Sie wirkte insgesamt nicht sehr freundlich den Neuankömmlingen gegenüber, die sie in ihrer Arbeit störten- und noch dazu wahrscheinlich kein Recht hatten, hier zu sein. "Ich habe endlich die 6/12er knacken können." berichtete sie Asuna und meinte dann recht eisig "Aber ich nehme nicht an, dass das der Grund ist, warum du so viele... Besucher hier herein führst." Bevor Asuna antworten konnte trat Flöte vor. "Ich mag dieses Mädchen." verkündete sie breit grinsend und hielt ihr die Hand hin. "Hallo. Schön dich kennen zu lernen." Miranda blickte die kleine Göttin erst erstaunt, dann verstört an, ging in die Hocke und erwiderte den Händedruck. "Hallo! Wer bist du denn Kleine?" "Ich bin Flöte!" "Flöte?" Mirandas Verwirrung stieg bei diesem seltsamen Namen. "Ja. Und du arbeitest hier?" Miranda nickte. "Das muss toll sein. Du musst mir unbedingt mehr erzählen." Flöte streckte die Arme aus und Miranda hob sie ohne darüber nachzudenken hoch. "Ja, sicher..." stotterte sie. "Aber erst mal sollten wir weiter gehen. Asuna meinte, wir können hier etwas ganz wichtiges finden, und es ist eilig." Flöte nickte wichtig und Miranda setzte sich in Marsch. Sie schien dabei geistig nicht ganz anwesend zu sein. Thana folgte ihr auf den Fuß, den Kopf schüttelnd und Flöte einen mahnenden Blick zuwerfend. Dieser wurde von einer herausgestreckten Zunge beantwortet. "Habe ich etwas verpasst?" fragte Hitomi leise und zu niemanden im Besonderen. "Folgen wir ihnen einfach." meinte Allen und setzte sich in Marsch. "Asuna? Was ist?" "Ich komme!" rief die Zaibacherin und folgte ihm. Sie schien noch viel mehr verdutzt zu sein als die anderen. Auf dem Weg zur Zentrale, wie Miranda es nannte, erzählten sie ihr von dem Dorf. Sie verstand schnell. "Ich glaube, ich weiß was ihr sucht. Ihr habt Glück. Ich habe da erst vor ein paar Tagen etwas entdeckt. Leider kann ich mich nicht mehr genau daran erinnern, es ist ja so viel..." Sie erreichten eine Tür, die Miranda mit einem seltsam geformten, verschnörkelten Schlüssel öffnete, den Miranda aus einer Tasche ihrer Kleidung holte. Sie wollte den Schlüssel wieder in die Tasche stecken, doch Flöte streckte die Hand danach aus. Wieder schien Miranda irgendwie abwesend, als sie Flöte den Schlüssel in die Hand drückte. Sie noch immer auf dem Arm haltend trat Miranda ein. Das Licht in diesem Raum flammte bei ihrem Eintreten automatisch auf. Die Wände dieses Raumes waren mit Bildschirmen bedeckt, die Hitomi an die Anfangszeit des Fernsehens erinnerten. Runde, weißlich blasse Scheiben, zwischen denen man allerhand Kabel, Spulen und anderes elektrisches Gerät erkennen konnte. Hitomi schaute nach oben. Es war tatsächlich elektrisches Licht. Es war zwar hinter einer undurchsichtigen, gelblich verfärbten Scheibe, aber es flackerte nicht und war zu gleichmäßig um eine Öllampe sein zu können. Den anderen fiel es nicht auf, sie hatten noch nie welches gesehen, bis auf Van und Allen vielleicht bei den Zaibachern. Asuna selbst würde nichts dazu sagen. Entweder war es ihr selbst noch nicht aufgefallen, oder sie verschwieg es. Sie ja auch keinen Grund, es extra zu erwähnen. Unter den Bildschirmen waren verschiedene Pulte aufgebaut vor denen metallene Drehstühle standen. "Ich muss ein paar Dinge erledigen. Fasst nichts an!" ermahnte Miranda streng. Sie ging von Pult zu Pult, drehte hier und dort an einem Knopf, verstellte einen Schalter. Dann trat sie zum zentralen Pult. Sie stellte Flöte auf den Boden und setzte sich, schien aber nicht zu bemerken, dass sich Flöte sofort wieder auf ihren Schoß setzte. Miranda legte einen rot markierten Hebel um und die Bildschirme erwachten zum Leben. Einige zeigten nichts an, sondern leuchteten nur. Über andere flitzten zackige Linien wie bei einem Herzschlag. Doch der größte in der Mitte zeigte eine Art Bild. "Teufel auch!" rief Van erschrocken. "Ist das Hexerei?" Auf dem Bildschirm war der Raum zu sehen, in dem er stand. Hitomi an seiner Seite, Allen hinter ihm, Thana und Asuna ein Stückchen entfernt, fast außerhalb des Bildes. "Wie kann es sein..." murmelte Van und bewegte seinen Arm. Verblüfft beobachtete er sich selbst dabei auf dem Bildschirm. Hitomi konnte sich nicht mehr zusammen reißen und lachte los. "Da ist eine Kamera. Ungefähr...." sie hob den Arm, blickte zum Bildschirm, drehte sich und hatte sie schließlich gefunden. "...ungefähr dort. Da, siehst du dieses kleine runde Glas mit dem klobigen Kasten dahinter? Das muss die Kamera sein. Alles, was vor ihr ist, kommt auf den Bildschirm." "Woher weißt du das?" zischte da Miranda so giftig, dass Hitomi erschrocken herumfuhr. Doch bevor sie irgendetwas erwidern konnte fragte Flöte "Kannst du noch andere Bilder zeigen?" Wieder trat dieser abwesende Blick auf Mirandas Gesicht, und sie nickte. Sie drehte sich schwerfällig um und verstellte einige Schalter. Flöte auf ihrem Schoß warf Hitomi einige giftige Blicke zu, was jedoch Thana böse werden ließ. In den nächsten Minuten zeigte Miranda Bilder von anderen Kameras in der Einrichtung. Dabei erhielten unsere Freunde zum ersten Mal einen Einblick in die Größe der Anlage. "Das ist ja wirklich riesig hier." bemerkte Thana, als Miranda fertig war. "Es ist noch größer, als du glaubst." bemerkte Asuna. "Einige Bereiche hast du gar nicht gesehen, von dort gibt es keine Bilder mehr. Ich denke, da ist irgend etwas kaputt, aber wir wissen nicht, wie wir es reparieren sollen." "Die Baupläne und ähnliches sind nämlich allesamt kodiert." erklärte Miranda. "Ich arbeite Tag und Nacht daran, hinter die Geheimnisse zu kommen, aber es ist sehr schwierig." Noch eine Weile lang stellte Miranda an den verschiedensten Knöpfen und Hebeln herum, bis sie schließlich gefunden hatte, was sie suchte. "Ich habe es gefunden. Aber es ist ziemlich instabil. Du da!" Sie zeigte auf Gades, der erschrocken zusammen zuckte. Aufmerksamkeit war im Augenblick nichts das, was er unbedingt haben wollten, und jetzt schauten ihn alle an. "Setzt dich dort vor das linke Pult. Ja, genau. Der rote Hebel, nein, der daneben. Halt ihn fest, und wenn ich "aus" rufe, reißt du ihn nach unten. Aber bitte ohne ihn abzureißen." Mit rotem Kopf tat Gades, wie ihm geheißen. Er war es ja gewöhnt, herum kommandiert zu werden, aber diese Frau... Miranda legte auf dem Pult vor ihr einen weiteren Hebel um, und auf dem großen Hauptschirm begann flackernd ein Bild zu entstehen, das den meisten Anwesenden bekannt vorkam. "Aber... das ist doch der Berg bei dem Dorf!" erkannte es Allen schließlich zuerst. Er musste niemandem sagen, was für ein Dorf er meinte. "Passt auf!" rügte Miranda. Eine leise Stimme erklärte, dass dieser Film ein Experiment beschrieb, das vor einem Monat erfolglos abgebrochen worden war, da sich die Risiken als zu groß heraus gestellt hatten. "...Lebensverlängerung als durchaus möglich herausgestellt, doch die Projektleiter sind übereinstimmend zu dem Schluss gekommen, dass die Risiken das Ergebnis bei weiten überwiegen. Nicht nur, dass der Transfer von Lebensenergie nur unter hohen Verlusten und nur von Menschen auf Menschen erfolgreich sein kann, sondern auch die Tatsache der unzureichenden Fokussierung und ungenügenden Zielgenauigkeit der Strahlung bezeugen die Unmöglichkeit..." "Wie es scheint, wurde zumindest das Problem mit der Zielgenauigkeit gelöst." meinte Miranda mit - fast - unbeteiligter Mine. "Was machen wir jetzt?" fragte Thana in die Runde, und Van antwortete grimmig. "Ganz einfach. Wir räuchern das Nest aus." "Dumm." meinte Miranda und erklärte "Es gibt dort viele Verteidigungseinrichtungen, die allerdings so geheim sind, dass es hier keine genauen Aufzeichnungen darüber gibt. Auf alle Fälle aber seid ihr nicht stark genug, einen erfolgreichen Angriff zu führen. Man bräuchte eine kleine Armee dafür, und selbst dann wäre es ein Risiko." "Das mit der Armee überlasst mir." Alle schauten Flöte verwundert an, doch sie ließ sich nicht dazu herab, ihnen eine Erklärung zu geben. Statt dessen wurden sie von Flöte belehrt, dass sie schon wisse, was sie tue, und das es Zeit wäre, sich auf den Weg zu machen, wenn man die anderen nicht warten lassen wollte. Wer diese anderen waren, verriet sie allerdings auch nicht. "Nicht doch, seid vorsichtig, ihr könnt doch nicht einfach...!" Gades schloss seine Augen als Miranda mitten in das sich bewegende Gestänge griff und mit einer raschen Drehung des Schraubenschlüssels das Verbindungsstück wieder fest zog. Es machte leicht *klang*, als der Schraubenschlüssel noch eine leichte Abschiedsberührung einer der sich rasch bewegenden Stangen erhielt, dann wagte es Gades wieder, seine Augen zu öffnen. "Kein Grund, die Maschinen abzustellen, ich sagte es doch!" meinte Miranda mit hochgezogener Augenbraue, und ließ den Schraubenschlüssel in die Hand des Käseweißen Mechanikers neben ihr fallen. "Es ist nur eine Frage der Beobachtung und Vorausberechnung." Miranda drehte sich um und ging wieder zu dem Teil des Antriebes zurück, vor dem sie gestanden hatte, als der Mechaniker einen Fluch ausgestoßen hatte. "Männer und Technik..." meinte sie mit einem Schmunzeln. Das war das erste Mal, dass Gades wirklichen Humor bei ihr erlebte. Und jetzt verstand er auch ihr Verhalten besser. Sie war nicht unvorsichtig, wie er zuerst geglaubt hatte. Sie beugte sich so dicht über die Maschinen, dass manche Teile nur wenige Zentimeter an ihrem Gesicht vorbei flogen, ratterten oder drehte, doch sie war niemals, niemals von einer Bewegung überrascht worden. Trotzdem war das keine Garantie für die Zukunft. "Bitte seid vorsichtig! Der Boss reißt mir den Hals ab, wenn euch etwas passiert!" "Mir passiert nichts!" erwiderte Miranda abwesend im Ton, in dem man jemanden antwortet der feststellt, dass Regen nass ist. "Falls mir doch etwas passieren sollte, ist das ganz allein meine Schuld und Dummheit. Es ist Unsinn, jemanden für die Taten anderer verantwortlich zu machen. Dieses Zahnrad sollte im Übrigen bald ausgewechselt werden, es dürfte sonst in drei, vier Wochen brechen. Am besten, ihr baut gleich die ganze Maschine aus. Das ist so primitiv, dass es mir fast Angst macht." "Es ist das beste, was Asturia zu bieten hat." "Sagte ich doch." "Zumindest vor ein paar Jahren." schränkte Gades ein. Miranda sah ihn erstaunt an und lächelte dann. Es war das erste ehrliche, warme Lächeln, das er bei ihr sah. "Ihr seid stolz darauf, nicht?" Gades nickte steinern. Er war stolz auf den Crusador. Es war bei weitem nicht das größte Luftschiff Astorias, und mittlerweile auch nicht mehr das modernste, aber es war schnell, zuverlässig... und in gewissem Sinne sein Zuhause. Er hatte hier die letzten Jahre seines Lebens verbracht, und wäre es ein anderes Schiff gewesen, hätte er das wahrscheinlich nicht von sich behaupten können. Dann wäre er mit Sicherheit tot. Miranda lachte und schob ein paar ihrer Haare unter den Haargummi, der ihre Mähne vor Kontakt mit den Maschinen geschützt hatte. "Das zumindest ist ein Stolz, den ich verstehen kann." meinte sie schmunzelnd. Sie lächelte Gades beinahe schüchtern an, klopfte ihm auf die Schulter und ging weg. "Ich gehe in meine Kabine. Ihr könnt also beruhigt sein, ich werde nicht mehr in Gefahr geraten, von dem Schiff, auf das ihr so stolz seid, verletzt zu werden, Außer natürlich, es stürzt ab oder so." Gades schüttelte den Kopf. Frauen waren an sich schon kaum zu verstehen, aber diese... Für einen Moment hatte er doch tatsächlich geglaubt, sie würde mit ihm flirten. Miranda schloss die Tür hinter sich und lehnte sich seufzend gegen das kühle Metall. Was war bloß los mit ihr? Ihr Herz klopfte so heftig, und sie fühlte sich so seltsam beschwingt. Dabei war sie sich sicher, dass sie heute früh ihre Medizin eingenommen hatte. Warum also fühlte sie sich so seltsam? Es hatte angefangen, als die Fremden gekommen waren. Und jetzt eben im Maschinenraum war es noch schlimmer gewesen. Um ein Haar hätte diese Stange nicht den Schraubenschlüssel, sondern ihre Hand getroffen. Sie war sich sicher, dass es niemand bemerkt hatte, aber sie hatte sich tatsächlich vermacht. Das war ihr noch nie passiert. Das war gefährlich. Doch was war der Grund? Und würde es wieder passieren? Sie schmiss sich auf die harte Pritsche. Es störte sie nicht. Sie war an harte Betten gewöhnt. Nachdenklich betrachtete Miranda ihre Hand. Sie hatte irgendwie das Gefühl, ihre Hand müsste zittern, doch diese lag ganz still neben ihrem Kopf auf dem Bett. Was war bloß los mit ihr? *** Der Crusador hielt auf die Lichtung zu, die Flöte als Treffpunkt deklariert hatte. Natürlich hatte sie immer noch nicht gesagt, wen sie hier treffen sollten. Flöte schien in sich hinein zu horchen, dann lächelte sie. "Sie sind hier." erklärte sie zufrieden. Doch es war niemand auf der Lichtung zu sehen. "Ich sehe niemanden." bemerkte Van deshalb auch. "Sie sind hier." bekräftigte Flöte noch einmal und schwieg dann. Sie deutete lediglich auf einen runden Fleck auf der Lichtung, der sich beim näherkommen als ein vorbereitetes Lagerfeuer herausstellte. Alle hatten sich um das Lagerfeuer versammelt, doch von den Erbauern war weit und breit nichts zu sehen. "Sieh mal Allen!" rief Van da. "Hier sind Spuren. Spuren von großen Tieren." Allen trat zu Van, und seine Stimme klang leicht besorgt. "Du hast Recht. Spuren von sehr großen Tieren." "Darüber braucht ihr euch keine Gedanken machen." sagte Flöte, und das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde breiter. Sie strahlte wie ein kleines Kind, das den Eltern das selbstgemalte Bild als Geburtstagsgeschenk schenken möchte. "Mache ich mir aber." sagte Van. "Ich möchte nicht mitten in der Nacht von... von einem solchen Tier angegriffen werden, was immer es auch ist, das diese Spuren hinterlässt." Flöte winkte ab, und die Diskussion wurde ohnehin beendet durch einen lauten Knall, der das Brechen eines äußerst dicken Astes verkündete. Wie ein Mann zogen Allen und Van ihre Schwerter. "Sind das diese Tiere?" fragte Hitomi ängstlich. Ihre Frage wurde umgehend beantwortet, als ein riesiger, schuppiger Kopf durch die Blätter der Sträucher am Waldrand brach. Ihm folgte ein noch größerer, ebenfalls geschuppter Körper. "Ein Drache!" schrie Asuna und wich ein paar Schritte zurück. Van und Allen stellten sich beschützend vor die Frauen. "In den Crusador!" kommentierte Allen und bewegte sich langsam ein paar Schritte zur Seite, um sich von Van zu entfernen. Sicherlich wollte er den Drachen in die Zange nehmen, wenn er kämpfen musste. Doch Flöte konnte sich nicht mehr halten und lachte laut los. Hemmungslos liefen ihr die Tränen über das Gesicht. Von dem Drachen kam eine Stimme, die Hitomi bekannt vorkam. "Ich dachte, der Krieg wäre vorbei." Eine weibliche Stimme. "Steckt euer Schwert weg. Es wäre doch sehr schade, wenn wir euch grillen müssten. Eigentlich hatten wir das mit einem Wildschwein vor. Außerdem würde das unserer Freundin Hitomi sicher nicht gefallen." Der Drache senkte sein Haupt, so dass die Gestalt in seinem Nacken sichtbar wurde. Buntes Fell bedeckte den Körper der Katzenfrau. "Naria!" "Sie sind noch jung, deshalb konnten wir nicht mit Flöte und Akoth mithalten. Wir wären gerne gekommen Hitomi. Aber es ist sicherlich auch besser so. Drei Drachen auf einmal wären sicher ein bisschen viel gewesen für die armen Menschen in Fanelia." Eriya lachte und schlürfte dann an ihrem Tee. "Und welcher ist nun deiner?" "Der mit dem goldenen Streifen auf der Schnauze. Er heißt Donner. Der andere, Blitz, hat einen weißen Streifen. Genau wie die Haarfarbe bei Naria und mir." Hitomi stutzte. Eriya hatte recht, beide Drachen hatten, kurz unter den Augen beginnend, einen farbigen Streifen auf ihren hellroten Schuppen. "Ist ja komisch. So ein Zufall." "Ja, das ist wirklich erstaunlich. Wir waren gerade beim Baden, als ihr kamt. Was meinst du, wie schmutzig Drachen werden können." Eriya rollte mit den Augen, und Donner schnaubte vernehmlich. "Versteht er dich?" fragte Van neugierig. "Ja, natürlich. Sie verstehen euch auch... oder zumindest werden sie mal alles verstehen. Wie gesagt, sie sind jung... "Wo habt ihr denn gebadet?" fragte Thana "In dem See da hinten? Ist der groß genug für Drachen?" Naria lachte. "Groß genug schon, nur nicht tief genug. Sie mussten sich ganz schön winden, um überall nass zu werden." Eriya nickte. "Das stimmt. Da hatten wir es einfacher. Die heiße Quelle..." "Heiße Quelle!!!" Hitomi war aufgesprungen und ihre Augen leuchteten in fanatischem Feuer. "Ist das wirklich war? Eine heiße Quelle?" Sprachlos durch Hitomis Ausbruch konnte Eriya nur nicken. "Das ist fantastisch. Eine heiße Quelle! Endlich! Das ist etwas, das mich an Fanelia stört: keine heiße Quelle! Es ist eine Schande!" Hitomis Blick fiel auf Van und sie wurde ein wenig rot. "Äh... wenn ihr mich entschuldigt. Eriya, zeigst du es mir?" "Sicher." "Warte Hitomi, ich komme mit." rief Thana. "Und ich auch." meinte Asuna. Dann wandte sie sich an die Männer. "Die Damen nehmen jetzt ein gemeinschaftliches Bad. Die Herren der Schöpfung bleiben hier und kümmern sich um den Braten. Wenn wir einen von euch erwischen... na, ihr werdet euch gar nicht erst trauen." "Kein Grund, mich vorwurfsvoll anzusehen!" meinte Allen beleidigt und drehte den Kopf weg, konnte aber ein leichtes Grinsen nicht verbergen. "Also dann, bis in einer ganzen Weile." "Ahhhhh! Tut das gut!" Hitomi ließ sich mit geschlossenen Augen in das Wasser sinken. Es war nicht wirklich eine heiße Quelle, eher eine warme, aber es war nicht kalt und das war das wichtigste. Auf dem Crusador war wegen des Antriebs kein Mangel an heißem Wasser- an Wannen oder Duschen aber schon. "Und du willst nicht reinkommen, Eriya?" "Nein, nein, ich bin doch erst beim Drachenschrubben nass geworden. Und ein Katzenfell ist nun mal etwas langsamer beim trockenen als Menschenhaut." "Das kann ich mir gut vorstellen." "Hitomi?" Eriya schien zu zögern. "Ich weiß nicht, ob ich das fragen soll..." "Nur zu! Wir sind doch Freunde!" Asuna konnte nur staunen. Sie hatte sich beim Hinweg von Thana erklären lassen, wer die Katzenschwestern waren, und woher Hitomi sie kannte. Es war eine Geschichte, die Asuna sehr an ihre eigene erinnerte. Und nun sah sie wieder einmal aus erster Reihe, welchen Einfluss Hitomi auf andere hatte. Man konnte einfach nicht anders, als sie ins Herz zu schließen. Eriya zögerte noch einen Moment, setzte sich dann am Rand des Wasserbeckens hin und fragte "Wie steht es mit dir und Van? Ich meine, als wir dich das letzte Mal..." "Sie werden bald heiraten." plauderte Thana wie nebensächlich, während auch sie sich ins Wasser gleiten ließ. "Waaaaas? Stimmt das?" Eriyas Augen glühten. Hitomi nickte schüchtern. Eriyas Überraschung war verständlich, und trotzdem... "Ist was?" fragte Eriya "Ist dir das etwa peinlich?" ihr Mund verzog sich zu einem hinterlistigen Lächeln, dass Hitomi sehr genau von Merle kannte. "Nein, nein!" Wiegelte sie ab. "Es ist nur... es kam... überraschend. Nicht, dass ich mich nicht freuen würde oder so, ich meine..." Hitomi schaute in die Runde, unfähig zu sagen, was sie empfand, aber es war ihr so deutlich anzusehen, dass die Frauen laut zu lachen anfingen. "Die Entscheidung geschah ein wenig unter Druck." erklärte Thana Eriya und warf theatralisch die Arme in die Luft. "Politik. Und nun fragen sie sich natürlich, ob es richtig war, ob sie die Entscheidung bereuen werden... Lampenfieber halt, das übliche." "Hey, du musst nicht reden, als wäre ich gar nicht da!" "Ups! Habe ich dich doch glatt übersehen!" "Thana! Duuu..." wütend schlug Hitomi auf das Wasser und spritzte Thana voll. "HE! Hitomi! Das ist ungerecht! Was habe ich denn getan?" protestierte die ebenfalls getroffene Asuna. "Entschuldige, ich..." Weiter kam Hitomi nicht, denn Asuna wehrte sich und eine kleine Welle schlug in Hitomis Gesicht ein. Eriya sprang davon, bevor sie erneut nass werden konnte, und beobachtete lachend aus sicherer Entfernung den freundschaftlichen Wasserkampf. Asuna und Eriya gingen langsam zu den anderen zurück. Hitomi und Thana lagen noch im Wasser. Es dunkelte bereits, doch die beiden ungleichen Frauen hatten keine Probleme, den Weg zu erkennen. Seit sie sich getroffen hatten, lag eine gewisse Spannung zwischen Asuna und den Katzenfrauen in der Luft. Eine Anspannung, die dadurch entspannt, dass alle drei wussten, wer sie einmal gewesen waren. Alle hatten sie unter den Zaibachern gedient, hatten in ihrem Befehl Leben ausgelöscht... "Ungleich... und doch ähnlich." murmelte Asuna. "Was hast du gesagt?" fragte Eriya und blieb stehen. "Wie? Ohm nichts, ich war in Gedanken. Ich habe nachgedacht... über dich und mich, in gewissem Sinn..." Die angespannte Haltung der Katzenfrau kam einer Frage gleich. "Man sollte meinen, es gibt kaum Menschen, die unterschiedlicher sind als wir beide." setzte Asuna zu einer Erklärung an, wurde aber von Eriya unterbrochen, die leise auflachte. "Vor allem, da ich kein Mensch bin." "Du weißt, dass ich das nicht gemeint habe. Aber obwohl wir so unterschiedlich sind, haben wir vieles gemeinsam. Beide sind wir Opfer der Zaibacher, beide haben wir Dinge getan, auf die wir nicht stolz sein können." "Ich habe von dir gehört, Asuna. Eliandra hat mir und Naria von dir erzählt. Eigentlich hat sie es jedem erzählt, der in die Nähe kam. Sie war ziemlich stolz darauf, deine Abhängigkeit geheilt zu haben." "Ja, das habe ich gemerkt!" Asuna lachte. "Am Anfang hat sie noch gemeint, es wäre kein großes Problem." "Manche Lügen sind notwendig." "Ja, vielleicht. Worauf ich hinaus wollte ist dies: Unser aller Leben hat sich verändert. In gewissem Sinn zum Besseren, auch wenn uns jetzt unser Gewissen zu Boden drückt..." Asuna machte eine kleine Pause, lachte dann ein resigniertes Lachen und fuhr fort. Eriya hörte schweigend zu. "Aber um nichts in der Welt möchte ich die alten Zeiten zurück haben. Und wodurch hat sich unsere Situation geändert?" Langsam verstand Eriya, worauf Asuna hinaus wollte. "Es war Hitomi. Mit ihr hat alles angefangen. Durch sie hat sich diese Welt verändert." "Ja." Asuna nickte. "Aber was ich nicht verstehe ist: Wie? Ich meine, sieh sie dir an! Sie ist im Grunde ein ganz normales Mädchen. Ich will nicht sagen, dass sie dumm ist, nur..." "Naiv. Einfach." "Ja, einfach. Das ist es vielleicht. Bevor sie kam, war alles so kompliziert. Dann war sie da, und die Sachen begannen einfach zu werden. Es gab plötzlich nur noch eine Möglichkeit." "Nein." Widersprach ihr Eriya. "Es gibt immer mehrere Möglichkeiten. Jeder hat immer zu jeder Zeit die Wahl. Meist sind wir nur so festgefahren, dass wir meinen, uns bliebe nichts weiter übrig, als dem ausgefahrenen Weg zu folgen. Aber Hitomi..." "Aber Hitomi hat uns einen anderen Weg gezeigt. Einen einfachen Weg. Klar und direkt. Den richtigen Weg. Warum nur ist es ausgerechnet sie?" Eriya lachte erneut, laut und voller Belustigung. "Das ist die große Frage, nicht war? Wieso schafft ausgerechnet sie es, die Dinge auf den Kopf zu stellen? Wie schafft sie es, dass alle sie mögen?" "Genau, Eriya. Das ist die Frage, auf die ich keine Antwort finde." "Vielleicht sollten wir sie fragen? Wenn sie alles so einfach macht..." Asuna schüttelte den Kopf. "Nein, lieber nicht. Ich glaube, es gibt Dinge, die sollten nicht erklärt werden. Sonst verlieren sie noch ihren Zauber." "Da kannst du Recht haben." Eriya schaute Asuna nachdenklich an, ging dann auf sie zu und hielt ihr die Hand hin. "Hitomi würde jetzt wahrscheinlich sagen, irgendwer muss damit anfangen. Es ist ganz einfach, anzufangen. Also, was ist, Freunde?" Asuna starrte auf die pelzige Hand, dann streckte sie zögernd ihre eigene aus. "Kann nicht schaden." meinte sie und ergriff das Angebot. Eine Weile standen die beiden ungleichen Gestalten im Halbdunkel, dann umarmten sie sich. Zögernd, aber voller Wärme. "Ich glaube, wir sollten ins Lager zurück. Wir haben etwas zum Anstoßen." meinte Asuna schließlich. "Auf eine neue Freundschaft?" "Und auf eine gute, einfache Zukunft." Thana glitt lautlos durch die Gänge des Crusadors. Eigentlich hätte sie ja erwartet, dass Gades wie zuvor zu ihr kam, aber er war nicht erschienen. Nun stand sie vor seiner Tür und klopfte. Auf sein "Herein!" hin betrat sie seine schmale Kabine. Wenn noch mehr Passagiere an Bord kamen, blieb wohl nichts anderes übrig, als die Kabinen doppelt zu belegen, kam es Thana in den Sinn. Dann richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf Gades, der am kleinen Fenster stand und hinaus starrte. "Was willst du?" fragte er. "Ich habe mich nur gewundert, warum du heute nicht gekommen bist." antwortete Thana und legte die Arme um ihn. Sie spürte, wie er zusammen zuckte und trat einen Schritt zurück. "Was ist mit dir?" fragte sie. "Nichts." kam die einsilbige Antwort. Entschlossen drehte Thana Gades um und hielt seinen Kopf in ihren Händen, so dass er gezwungen war, sie anzusehen. "Ich habe das Gefühl, du weichst mir schon den halben Tag lang aus." meinte sie. Gades blickte an ihr vorbei. "Das stimmt nicht." gab er zurück, aber die Unsicherheit in seiner Stimme war deutlich zu hören. "Sieh mich an!" kommandierte Thana, bestimmt, aber immer noch sanft. Ihre Augen trafen sich erneut, und dieses Mal war sich Thana sicher. Sie lächelte. Es sah ein wenig schmerzhaft aus, aber nicht böse oder enttäuscht... "Also doch. Es ist diese Miranda, richtig?" "Ich weiß nicht, wovon du redest!" sagte Gades entschlossen und versuchte, Thanas Arme zur Seite zu schieben. "Ach Gades, warum machst du es so schwer? Du hättest mir doch bloß sagen brauchen, dass du dich in sie verguckt hast. Ich habe dir von Anfang an gesagt, unsere Beziehung stellt keine Ansprüche. Hast du vergessen, was ich bin? Hast du geglaubt, du könntest deine Gefühle vor mir verbergen?" "Ich weiß nicht, was ich geglaubt habe. Und ich weiß auch nicht, was meinen Gefühle sind, wenn ich tatsächlich welche für Miranda haben sollte!" Thana kicherte leise. "Oh ja, die hast du. Aber vielleicht weißt du es tatsächlich selbst noch nicht. So etwas soll ja häufiger vorkommen." Thana entließ Gades aus ihrer Umklammerung und er drehte sich wieder zum Fenster. "Sie ist kalt wie ein Eisblock." murmelte Gades. Thanas Lachen zwang ihn, sich erneut zu ihr umzudrehen. Thana legte die Arme um ihn und flüsterte ihm ins Ohr "Vielleicht ist sie aber auch einfach nur einsam, hast du darüber schon mal nachgedacht?" Gades sah sie verwundert an. "Damit du mich nicht vergisst!" sagte Thana und gab ihm einen langen und intensiven Kuss. Sie rauschte aus dem Raum und ließ einen verwirrten Gades zurück, der wieder einmal die Erkenntnis hatte, dass kein Mann eine Frau wirklich verstehen konnte. Thana auf dem Gang hatte sich gegen die Wand gelehnt und atmete schwer. Egal was sie gesagt hatte, so einfach war es auch nicht. Aber sie hatte von Anfang an gewusst, dass es nicht von Dauer sein würde, und lieben tat sie ihn auch nicht. Trotzdem hinterließ es eine Lücke. "Viel Glück, Gades." murmelte Thana und riss sich zusammen. "Euch beiden." Auf dem Rückweg zu ihrer Kabine blieb sie kurz vor der Tür von Miranda stehen. Doch dann entschied sie sich weiter zu gehen. Sie konnte niemanden zwingen. Gades zögerte. Aber er war nun hier, und es hatte keinen Sinn, wieder umzukehren. "Wer da?" drang Mirandas Stimme barsch durch die Tür. Gades öffnete sie einen Spalt weit. "Ich bin es, Gades. Ich wollte nur wissen, wie weit du mit den Plänen bist." Miranda saß an ihrem Tisch, den Kopf in die Hände gestützt und starrte auf die Pläne der versteckten Festung. "Ich bin im Grunde fertig." sagte sie etwas sanfter. "Aber ich versuche immer noch einen einfacheren Weg zu finden." "Du solltest dich nicht überanstrengen." meinte Gades und trat hinter sie. Die Karte war übersäht mit Zeichen und Strichen, die er nicht zu deuten verstand. Auch einige Notizen in feiner, zierlicher Handschrift waren darauf. Sie mussten von Miranda stammen. "Ich bin daran gewöhnt, lange zu arbeiten." erwiderte Miranda und rollte mit den Schultern. "Verspannt?" "Ja. Auch wenn ich daran gewöhnt bin... was machst du?" fragte sie erschrocken. "Was denkst du denn, was es ist?" fragte Gades lächelnd zurück und fuhr fort ihre Schulter zu massieren. "Das tut gut!" meinte Miranda nach einer Weile und konnte sich endlich entspannen. "Sehr gut..." *** Leise drang das Dröhnen der Motoren auf die Brücke des Crusadors, und langsam schob sich das von allem Leben bare Dorf in Sichtweite. "Gespenstisch." murmelte Naria. Sie und ihre Schwester standen am Fenster und schauten ungläubig auf das Dorf unter ihnen. Es zu sehen war anders, als bloß davon zu hören. Noch immer mieden selbst die Vögel das Gebiet über dem Dorf. Die Haare der beiden Katzendamen sträubten sich als Reaktion auf die Gefühle ihrer Besitzer, aber nicht bloß ihrer. "Wir gehen zu Donner und Blitz. Sie spüren irgendwas und haben Angst." verkündete Eriya und lächelte warm. "Es sind halt noch Kinder, und brauchen ihre Mütter!" "Und du?" fragte Asuna Miranda. "Hast du Angst?" Miranda zögerte. "Kein Angst." antwortete sie schließlich. "Mehr... Entsetzen. Ich weiß nicht, ob es Einbildung ist, aber ich glaube das Entsetzen der Dorfbewohner noch spüren zu können." "Das ist keine Einbildung." meinte Thana. "Davon abgesehen, dass jeder hier Entsetzen empfinden muss... bei jedem Tod bleibt ein Eindruck der letzten Gefühle des Sterbenden zurück. Je grässlicher der Tod, und je mehr Leute gestorben sind, desto länger und stärker bleibt etwas zurück. Wer dafür empfänglich ist, kann es spüren." "Das klingt, als ob du daran glaubst." sagte Miranda. "Ich glaube nicht daran, ich weiß es. Denn ich bin jemand, der es spüren kann. Es ist nicht leicht, sich dagegen abzuschirmen, jedenfalls für mich." Thana lächelte "Ich glaube, jeder Mensch hat ein wenig dieser Gabe. Aber den meisten gelingt es sehr gut, die Gefühle anderer aus ihren Herzen zu verbannen. Aber selbst für diese Leute gibt es Orte, an denen sie die Vergangenheit auf diese Weise spüren können. Eine Wiese, die niemand betritt, obwohl keiner sagen könnte, warum, und bei der sich dann herausstellt, dass es einmal ein Schlachtfeld war. Eine Kirche, die selbst mit geschlossenen Augen Ehrfurcht einflößt. Eine Ruine, in der das unbewusst empfangene Gefühl, dass dieser Ort einmal bewohnt war, nun aber nicht mehr ist, Angst verursacht, Angst vor der eigenen Vergänglichkeit... all das sind Dinge, die jeder Mensch empfingen kann." "Das klingt voller... Ehrfurcht." bemerkte Miranda nachdenklich. "Ehrfurcht vor dem Unsichtbaren?" Thana schüttelte den Kopf. "Eher Ehrfurcht vor der Schöpfung. Ich..." Mehr bekam Hitomi nicht mit. Die Welt um sie herum wurde schwarz und sie fühlte, wie die Beine unter ihr nachgaben... Pulsierendes Licht umgab sie. Die Umgebung wirkte verschwommen, wie durch eine alte Glasscheibe verzerrt. Geräusche drangen an ihr Ohr, klirrendes Metall, verwaschene Stimmen. Von Energiefluss redeten sie und erneuter Aufladung und Zellaktivierung und Zielen und Eindringlingen. »Wo bin ich hier?« fragte sich Hitomi. »Was ist das für ein Ort?« Wie zur Antwort schwebte sie nach vorne, durch das Glas hindurch, und sie erkannte nun, dass es zu einer riesigen, Angst einflößenden Maschine gehörte. »Was ist das?« Ihr Blick richtete sich auf die verhüllten Gestalten, die um einen Steintisch versammelt waren. Ein Mensch schien auf diesem Tisch liegen, doch sie konnte ihn nicht erkennen, er lag im Dunkeln. Die Gestalten drehten sich um, als ob sie Hitomi nun endlich bemerken würden. Dort, wo ihre Augen hätten sein müssen, waren bloß leere, ins unendliche Schwarz getauchte Höhlen. Kein Haar und keine Haut bedeckte die Knochen der Totenschädel. "Aaaaaaaaaahhhhhh!" "Hitomi! Hitomi! Hörst du mich! Was ist los!" Diese Stimme... "Van? Van, bist du das?" Hitomis Sicht klärte sich, und sie sah in das besorgte Gesicht von Van und Thana. Sie lag auf dem Boden. Dunkel erinnerte sie sich noch daran, dass jemand sie aufgefangen hatte, wahrscheinlich war es Van gewesen... Wie durch einen Nebel hörte sie Kios Stimme, die besorgt von hinten rief "Boss, etwas stimmt mit den Drachen nicht. Die Katzen können sie nicht beruhigen, es sieht aus, als ob die Drachen denken, sie stehen direkt vor der Hölle..." "O Gott!" Hitomi setzte sich auf, und ihr wurde schwindelig. Sie klammerte sich an Van fest. "Van, mir müssen sofort von hier verschwinden!" "Aber warum..." "Sofort!" Die schrille Panik in Hitomis Stimme ließ Van aufblicken. Seine Augen trafen die von Allen, und der Ritter des Himmels nickte. "Volle Kraft voraus!" kommandierte er mit lauter Stimme. "Kurs West! Höchste Geschwindigkeit!" Die Motoren des Crusadors verstärkten ihr Brummen, und das Luftschiff legte sich in eine leichte Kurve. So kam der Wind von hinten, nicht zu unterschätzen bei einem so großen Gefährt, selbst bei leichtem Wind. "Schneller! Wir müssen schneller fliegen!" kreischte Hitomi. Bilder steigen in ihr auf, von bleichen Menschenschädeln in den Kleidern ihrer Freunde. "Schneller!" rief sie noch einmal verzweifelt, dann verlor sie das Bewusstsein. Van hielt sie unschlüssig in seinen Armen, doch dann sah er auf, als er Flöte murmeln hörte. Das Gesicht der Kindgöttin war angespannt und leichenblass. Sie hatte Angst. Van lief ein kalter Schauer über den Rücken. Wenn eine Göttin Angst hatte, war das Grund genug auch Angst zu haben, wenn er auch keine Ahnung hatte wovor. Ein Ruck ging durch das Luftschiff, ein irrsinniger Sturm tobte um den Crusador und riss die Steuersegel in Sekundenbruchteilen in kleine Fetzen. "Was soll das?" rief Van, doch noch während er das fragte, wusste er, was Flöte damit bezweckte. Schneller als jemals zuvor flog der Crusador über die Landschaft, umgeben von dunklen Sturmwolken vor einem roten Himmel. Das Rot war am intensivsten dort, wo der Crusador eben noch gewesen war. »Blutrot.« bemerkte Van. Der Himmel riss dort auf, wo das Rot am intensivsten war, rot wie Rubine, und ein fahles, kaltes Licht tauchte die Landschaft in seinen erschreckenden Schein. "Was zum Teufel ist das!" entfuhr es Allen, und Flöte antwortete leise, aber für jeden hörbar "Das ist das Licht des Todes, das Licht, dass allem Leben die Energie entzieht und es zu leblosen Klumpen Materie macht, toter als die Oberfläche des kalten Mondes." Starr vor Entsetzen konnte Van seinen Blick nicht von dem abwenden, was sich hinter dem Crusador in so grellem Licht abspielte. Bäume verdorrten, noch während er sie ansah, Vögel fielen reglos vom Himmel, und wo sie auf die nun leeren Äste trafen, zerfielen diese mitsamt den Vögeln zu grauem, leblosen Staub. Neben sich hörte er Kio auf die Knie sinken und Gebete herunterrasseln. Er drehte den Kopf und sah, wie sich die Lippen des Soldaten scheinbar lautlos bewegten, und obwohl er nichts hören konnte, verstand er jedes Wort "...mich in die Hände der Götter, dein mein Leben ist nun beendet, meine Seele soll in Frieden ruhen..." Das unheimlich Licht hinter ihnen verblasste, flackerte und verschwand, und zurück blieb nur ein großer Kreis ohne Leben. "Eigentlich sollte ich beleidigt sein, dass du mir so wenig Vertrauen entgegenbringst, obwohl du zu so vielen Göttern betest." Flötes Stimme klang hohl. Van fragte sich, ob es an ihm oder an Flöte lag. In seinen Armen regte sich Hitomi, und Van drückte sie glücklich an sich. "Was... Sind wir... ist jemand..." stammelte sie und versuchte sich aufzurichten. "Alles in Ordnung. Wir leben noch. Wir sind noch mal davon gekommen. Dank deiner Warnung. Und Flöte." fügte er schnell hinzu. Doch die Kindgöttin schien ihn nicht gehört zu haben. Sie starrte aus dem Fenster. "Ist was?" fragte Thana ängstlich. Zu ihrer Erleichterung schüttelte Flöte mit dem Kopf, wies dann aber nach draußen. "Wir sind außer Gefahr. Für meinen Geschmack aber ein wenig zu knapp." Allen schaute dorthin, wo Flöte hinwies, und die gerade wieder in sein Gesicht zurückkehrende Farbe verschwand aufs Neue. "Das gibt es doch nicht!" brachte er heiser hervor. Der Steuerbordrotor des Crusadors hatte seine Farbe geändert. Er war jetzt rostrot, und noch während Allen ihn anstarrte, flatterten die hölzernen Teile des Gestänges in schwarzen Fetzen davon und zerstoben im Wind. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)