Erwachen von VZerochanV (Die Welt nach dem Ende) ================================================================================ Kapitel 5: Zuhause ------------------ Das große Zelt, in das Mina Aaron geführt hatte, beinhaltete einen niedrigen, runden Tisch in der Mitte, um den sich einige Kissen verteilten. Durch den Platz und die vielen Sitzgelegenheiten wurde der Eindruck eines Versammlungsraumes vermittelt. In diesem Moment befand sich allerdings nur eine Person dort. Sofort erkannte Aaron den Bewohner des Zelts. 70-80 Jahre, ein langer Bart und hinzu kam noch das auffällige, lange Gewand, das er trug. Er war der Anführer. Aaron rückte ein wenig näher an Mina heran, richtete seinen Oberkörper kerzengerade und stellte sich anschließend vor: „Guten Abend, meine Name ist Aaron. Ich möchte Sie darum bitten, mir für diese Nacht Unterschlupf in eurer wundervollen Siedlung zu gewähren. Es wird wirklich nur für diese Nacht sein, das verspreche ich. Bei Morgenanbruch werde ich so schnell es geht weiterziehen. Doch für diese Nacht-“ „Was er meinte…“ Plötzlich trat Mina vor Aaron und führte das Gespräch an seiner Stelle fort. Aaron musste nicht lange überlegen, um zu verstehen, dass sein Auftritt fehlgeschlagen war. „Wir würden gerne eine Weile mit dir reden, Großvater.“ Einen Augenblick regte sich keiner der Drei, während sich Mina und der Älteste nur gegenseitig Blicke zuwarfen, bis der Angesprochene in die Konversation einstieg: „Natürlich. Du weißt doch, wie gerne ich mit dir rede, Mina.“ Sein nächster Blick fiel auf Aaron, der als Gegenreaktion nervös lächelte. „Du hast also Besuch mitgebracht. Das ist wahrhaftig eine Überraschung. Wie wäre es, wenn wir uns erst einmal setzen und bei einer Tasse Tee alles Weitere besprechen?“ Der ältere Mann betrat den Raum mit einer Kanne, aus der heißer Dampf strömte, und nahm neben Mina auf einem der Kissen Platz. In der Zwischenzeit hatte Mina drei Keramiktassen zusammengesucht, die sie an die Anwesenden verteilte. Vorsichtig nahm Aaron das noch leere Gefäß entgegen. Es war schwerer, als sein Äußeres vermuten ließ. „Möchtest du?“, fragte der Älteste, noch immer die Teekanne in der Hand haltend. Nickend beantwortete Aaron die Frage: „Sehr gerne.“ Als alle mit dem warmen Getränk versorgt waren, wurde es Zeit, auf Aarons und Minas Anliegen einzugehen. Mit einem Mal wurde die Atmosphäre dunkler, kaum hatte Mina das erste Wort geäußert. „Aaron stammt aus der Kriegszeit. Ich habe ihn während des Jagens in einer unterirdischen Forschungseinrichtung im Wald gefunden. Es waren noch andere Menschen dort, allerdings sind sie alle...“ Sie stoppte ihren Satz und ließ ihren Blick über den Tisch schweifen. Aaron sah das als gute Gelegenheit, um selbst das Wort zu ergreifen. „Das muss für Sie mit Sicherheit unmöglich klingen, aber sie sagt die Wahrheit. Ich habe in dieser Zeit keinen Ort mehr, den ich mein Zuhause nennen kann. Deshalb wäre es eine große Hilfe, wenn diese Siedlung wenigstens für eine Nacht als Ersatz dienen könnte.“ Die ausbleibende Reaktion rief in Aaron augenblicklich Bedenken aus. Der Älteste verzog nicht einmal ansatzweise die Miene. Er trank zwei Schlucke Tee, setzte die Tasse ab und atmete aus. Das tat er viermal, ohne dass Mina oder Aaron ihn unterbrachen. „Entschuldigung, aber-“, entschied sich Aaron schließlich einzugreifen, doch rasch wurde er von der tiefen Stimme zurückgedrängt. „Ich habe verstanden. Das klingt wahrlich unglaublich, dennoch nicht unmöglich.“ Überrascht schaute Aaron den Ältesten an. „Das heißt… Sie glauben mir?“ Wieder einmal gelang es dem älteren Herren Aaron zu verblüffen. Seine Antwort wurde von einem lauten Lachen eingeleitet, das minimal drei Zelte weiter zu hören war. „Glauben? Natürlich tu ich das! Oder nenn mir bitte einen Grund, weshalb ein wildfremder Mann plötzlich mitten im Nirgendwo auftauchen und mich anlügen sollte, um in dieser winzigen Siedlung zu übernachten, in der es absolut nichts Sehenswertes gibt.“ Aaron blieb nichts anderes übrig als zu schweigen. Wenn der Älteste es so formulierte, kam ihm seine Frage auf einmal dumm vor. „Dann…?“ Minas Augen glühten förmlich. „Er darf hierbleiben. Immerhin wurde er deinen prüfenden Augen unterworfen, Mina. Und jeder hier vertraut dir ohne Wenn und Aber. Würde ich deine Bitte ablehnen, hätte ich vermutlich die gesamte Siedlung gegen mich aufgelehnt.“ Erleichtert atmeten Mina und Aaron aus. Dieses Problem war somit aus der Welt, allerdings war das nur der Anfang. „Es ist schön, dass ihr euch freut, aber das eigentliche Problem, die Suche nach deinem Zuhause, löst es trotzdem nicht.“, tat der Älteste seine Meinung unverblümt kund. Aaron senkte den Kopf. Denn auch wenn er wusste, dass es nur eine vorübergehende Lösung war, traf ihn die Realität wie ein Schlag ins Gesicht. Er war froh, Mina begegnet zu sein und ihre Hilfe erhalten zu haben. Was kam aber danach? Würde es ein Ende geben „Und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“? Diese Gedanken bereiteten ihm Kopfschmerzen. Natürlich wollte er glücklich sein. Nur war ihm die Bedeutung seines Glücks unbekannt; damals wie heute. Während seine Gedanken weiter kreisten, erläuterte der Älteste seine Ansichten: „Du kannst zwar gerne hier leben, doch willst du das? Ich möchte ehrlich zu dir sein: Als junger Mensch ist dieser Ort wie ein Gefängnis. Wir brauchen junge Leute zum Jagen, aber ich möchte niemanden zwingen, hier den Rest seines Lebens zu verbringen. In dieser Siedlung ist jeder Tag gleich. Hingegen ist die Welt da draußen anders. Du weißt nie, was passiert, wem du begegnest oder ob du den nächsten Tag überhaupt noch miterlebst, genauso wie auf einer Abenteuerreise.“ „Ein Abenteuer?“, war es Mina, die dieses Wort in den Mund nahm. Aaron lächelte, als er Minas erstauntes Gesicht sah. Sie war begeistert von den Vorstellungen, die der Älteste ihrer Fantasie als Futter gegeben hatte. „So was, wie wilde Monster erlegen, eine Prinzessin aus den Händen des Bösen befreien und ein Held werden, den die ganze Welt kennt?“ „Nun, ja… so ungefähr. Vielleicht aber nicht ganz so stereotypisch.“, antwortete der Älteste möglichst ehrlich, ohne dabei Minas Gefühle zu verletzen. Aaron war nicht ganz so begeistert von der Idee, die unbekannte Welt zu bereisen. Wenn er Minas Worten Glauben schenken konnte, gab es ohnehin nicht mehr viel, das bereist werden konnte. Möglicherweise wären sie Wochen unterwegs, ohne eine Siedlung zu finden und fielen letztlich dem Hungerstod zum Opfer. Er hing nicht mehr aber auch nicht weniger als andere Menschen an seinem Leben, doch an Hunger zu sterben war für ihn ausgeschlossen. „Ich weiß ja nicht… Hier ist es doch auch ganz schön.“, meinte er. Das Erste, dem er zum Opfer fallen sollte, waren allerdings Minas Hundeaugen, die sich wie zwei Messer durch sein Herz bohrten. Ihre Augen waren kurz davor jeden Augenblick in Tränen auszubrechen, oder zumindest wirkten sie so. Es war mehr als eindeutig, welche Antwort sie sich von ihm erhofft hatte. „Mina…“, seufzte er. Er konnte ihr nicht länger ins Gesicht schauen, aber eine positive Antwort wollte er ihr auch nicht geben. „So ist das also.“, sagte der Älteste plötzlich und setzte ein hämisches Lächeln auf. „Du bist also einer der langweiligen Sorte. Dabei hätte ich von einem Zeitreisenden wesentlich mehr Pepp erwartet. Willst du gar nicht wissen, was aus deiner alten Welt geworden ist, oder ob vielleicht noch andere auf gleiche Weise wie du überlebt haben?“ Der alte Mann war kein Anfänger im Überreden. Obwohl Aaron wusste, dass er provoziert wurde, konnte er diese Unterstellungen nicht einfach so hinnehmen. „Sie kennen mich nicht einmal und wollen wissen, dass ich ein Langweiler bin? Von wegen! Außerdem steht ja wohl außer Frage, dass ich wissen will, was sich in den 277 Jahren verändert hat! Dafür sterben möchte ich aber trotzdem nicht.“ „Oho. Also kein Langweiler, sondern ein Angsthase!“, korrigierte der Älteste. „Was wagen Sie sich eigentlich…? Ich bin auch kein Angsthase!“, konterte Aaron und stand auf. Seinen Zeigefinger richtete er auf den Ältesten und fuhr fort: „Meinetwegen mache ich bei diesem 'Abenteuer' mit! Aber davor will ich eine Karte von der Umgebung haben! Sonst setze ich keinen Fuß aus dieser Siedlung!“ Erst nach seiner Aufforderung merkte Aaron, dass er gerade sein Einverständnis gegeben hatte, mit Mina zu reisen. Innerlich verfluchte er sich, auf diese billigen Tricks hereingefallen zu sein, aber er wollte auch keinen Rückzieher machen. Wenn er auch sonst alles verloren hatte, seinen Stolz wollte er nicht auch noch hergeben. „Eine Karte hab ich leider nicht.“, gestand der Älteste, was Aaron fast einen Freudensprung machen ließ. „Aber ich weiß, wo du eine bekommen kannst.“ „Das war aber nicht, was wir vereinbart ha-“ Minas Hundeaugen mussten genau in diesem Moment in Aarons Sichtfeld fallen. „Und wo?“ „Nördlich von hier gibt es ein Dorf. Dort soll es eine Bibliothek geben. Bestimmt lässt sich dort auch eine Karte auftreiben. Und nicht nur das…“ Endlich begann die Reise in Aarons Ohren vielversprechend zu klingen. Eine Bibliothek war das beste Argument, das man ihm nennen konnte. „Dort gibt es Aufzeichnungen der letzten hundert Jahre!“, schlussfolgerte Aaron und hatte schon fast die gleichen leuchtenden Augen wie Mina. Damit war die Sache in Sack und Tüten. Er und Mina würden morgen früh aufbrechen, daran gab es nichts zu rütteln. „Wie weit ist das Dorf von hier entfernt?“, fragte er lieber jetzt, bevor das böse Erwachen ihn erst auf der Reise dorthin traf. Mina hatte gemeint, die Dörfer seien zu weit weg, weshalb sie noch nie die Siedlung verlassen hatte. „Einen halben Tag eventuell? Ich war lange nicht mehr dort. Aber man braucht definitiv nicht länger.“ Entweder log er oder Mina. Ein halber Tag war zu Fuß keine weite Entfernung. Misstrauisch hob Aaron die rechte Augenbraue. „Sind Sie sich sicher?“ „Genau! Bist du dir sicher, Großvater?“, wollte Mina ebenfalls erfahren. „Damals hast du mir nämlich gesagt, in der Nähe gäbe es keine Dörfer…“ „Ach, ja… Das war eine Lüge. Du warst noch so unerfahren und ich wollte unsere beste Jägerin doch nicht verlieren!“ Wenn Blicken töten könnten, wäre der alte Mann an Ort und Stelle an Herzversagen gestorben. Minas Wut war kaum zu übersehen. In diesem Moment glich sie ihrem erbarmungslosen Selbst, das kurz davor war, Wild zu erlegen. „A-aber jetzt bist du schon viel reifer und Aaron ist an deiner Seite! Und wir haben auch genug andere fähige Jäger…“, versuchte sich der Älteste rauszureden, aber Mina blieb stur. Ihr Blick war weiterhin eiskalt und sie sah es nicht ein, ein weiteres Wort mit ihm zu wechseln. „Auf geht’s, Aaron! Wir haben morgen einiges vor, also sollten wir uns lieber gut ausruhen.“ Aaron folgte ihr still, konnte sich aber nicht das leise Lachen verkneifen, das ihm beim Anblick des deprimierten Ältesten entfuhr. Diese Behandlung hatte er mehr als verdient. Was ihn weniger amüsierte, war der Gedanke an den morgigen Tag. Er würde also tatsächlich eine Reise antreten, in einer Welt, die er nicht kannte. Welche Gefahren auf ihrem Weg lagen, wusste zu diesem Zeitpunkt weder er noch Mina. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)