Botanica von Kau-tan ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Schon seit der Gründung gibt es in Pochka eine Legende. Ein Junge sollte geboren werden, mit unglaublichen magischen Fähigkeiten. Dieser Junge bin ich.     „Uwaaah-“ Poppy streckte die Hände über seinen Kopf als er gähnte, sichtlich ermüdet von seiner monotonen Arbeit. Es war aber auch einfach langweilig, jeden Tag irgendwelche Goldkettchen, Ohrringe und ähnliches Zeugs zu reparieren. Der Achtzehnjährige wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, bevor er seufzte und sich wieder über sein momentanes Projekt lehnte. Die Perlenkette, die ihm die alte Myrtle aus dem Nachbardorf gebracht hatte, lag auf dem dunklen Holztresen, Goldglieder und Perlen lose verteilt. Myrtle war beim Beeren pflücken wohl damit hängengeblieben, und natürlich war Poppy die erste Anlaufstelle. Als Goldschmied und „Auserwählter“. Immerhin brachte es Geld ein, und das hatte Poppy immer nötig. Das Ziehen in seinem Kreuz ignorierend, holte er ein kleines Stückchen Gold unter dem Tresen hervor. Myrtle hatte nicht alle Glieder der Kette retten können. Sollte ihm recht sein, das brachte schließlich mehr Geld.   Für einen Moment studierte er die Folge, in der die Perlen angebracht waren. Eine Perle nach jedem Glied in der Mitte, eine nach jedem zweiten an den Seiten, und je Eine um den Verschluss. Mit einem weiteren Seufzer nahm er die Perlen in eine Hand und das Gold in die Andere. Es dauerte einen Moment, doch dann verformte sich der Klumpen Gold zu weiteren Gliedern, die sich nahtlos den anderen anpassten. Wann immer nötig, gab er eine Perle hinzu, die sich ebenso einfügten. Nach ein paar Minuten war die Kette wieder ganz, als ob nie etwas passiert war. Poppy nahm einen weichen Lappen und polierte die Kette vorsichtig, ehe er sie behutsam in eine kleine Holzkiste legte. Bis die alte Myrtle die Kette abholte, würde er sie hierbehalten. „Na, alles gut bei dir?“ Die Stimme seines großen Bruders und die Hand auf seiner Schulter ließen Poppy zusammenzucken, und ein heftiger Schmerz durchzog seinen Hals als er zu schnell über seine Schulter blickte. „Ugh, Dianthus, erschreck mich nicht so,“ murmelte Poppy, seinen Nacken reibend um den nur langsam abklingenden Schmerz wenigstens ein bisschen zu lindern. Sein älterer Bruder grinste nur und setzte sich auf den Tresen. Seine ehemals weiße Schürze – mittlerweile war sie grau, gelb und an manchen Stellen rötlich - zierten frische Flecken. Er hatte wohl das Mittagessen gekocht. Just als Poppy zu dieser Schlussfolgerung kam, knurrte sein Magen, und er erinnerte sich daran, dass er heute noch nichts gegessen hatte. „Ich hab uns Eintopf gemacht. Wenn du soweit fertig bist, komm bitte essen,“ sagte Dianthus und nahm seine Schürze ab, ehe er vom Tresen hüpfte und den Vorhang, der Poppys Laden von ihrem Wohnbereich trennte zur Seite schob. Der Geruch von Fleisch und Karotten ließ seinen Magen wieder knurren. Er sah Dianthus noch kurz nach, dann schloss er die Tür ab und folgte ihm. Die Arbeit konnte warten. ~°~   „Was? Myrtle ist immer noch auf den Beinen? Ist die nicht schon um die neunzig?“, fragte Dianthus als er Poppys Schüssel mit Eintopf befüllte und ein paar Kräuter darüber streute. Er stellte sie vor seinen kleinen Bruder auf den Tisch, und setzte sich dann zu ihm, seine eigene Portion in seinen Händen. Poppy rührte die Kräuter unter, bevor er sich einen Löffel voll Karotten, Kartoffeln und kleinen Fleischfetzen in den Mund schob. Er kaute ein paar Mal und schluckte, dann nickte er. „Mh. Sie hat gemeint, sie würde ihre Kette heute Abend wieder abholen. Und dass sie vorher noch nach zurück nach Risoma müsste, um Holz zu hacken,“ erklärte er als er ein Stück Kartoffel mit dem Löffel halbierte, und es mit ein paar Erbsen zermatschte. „Die Alte ist ein Phänomen.“ Sein Bruder lachte auf als er über die Stunde Fußweg nachdachte, die zwischen Pochka und Risoma lagen. Das Myrtle das auf ihre alten Tage noch freiwillig mitmachte... Die beiden aßen für eine Weile in Ruhe, bis Dianthus sich räusperte und wieder in seiner Schüssel rührte. Seine dunkelrosa Augen ruhten für einen Moment auf einem Stück Zwiebel, doch dann sah er auf und lächelte. „Wenn du morgen Zeit hast, sollten wir was zusammen unternehmen. Wir verbringen so wenig Zeit miteinander... Ist doch irgendwie schade, nicht?“, fing er langsam an, und er machte eine Pause in der er weiter aß. „Wir könnten zum See gehen und schwimmen gehen. Das wird sicher lustig!“ So wie sein Bruder grinste, konnte Poppy ihm den Wunsch nicht abschlagen. Die beiden hatten im Moment nur sich und auch Poppy vermisste es, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Zwar würden sicher auch am folgenden Tag neue Aufträge kommen, aber er konnte auch mal einen Tag frei haben... Poppy aß auf und nickte noch während er kaute. Der freudige Ausdruck in Dianthus' Gesicht brachte ihn zu lächeln, doch er sah weg bevor sein Bruder es richtig sehen konnte. Klar er war glücklich, aber-   Das metallische Läuten der Glocke an der Tür ließ ihn Aufschrecken. Myrtle vielleicht, die ihre Kette abholen kam. Poppy spürte wie ihm der Eintopf wieder hochkam als er plötzlich aufstand, und er verzog das Gesicht als er schluckte und zurück in den Laden ging, den Vorhang hinter sich zuziehend. Als er den Schlüssel ins Schloss steckte, versuchte er durch die Fenster einen Blick auf die Person – die immer noch die Glocke schellen ließ – zu erhaschen, doch er konnte nichts sehen. Grummelnd zog er den Schlüssel ab und öffnete die Tür. „Ja ja, ich komm schon-“ Das war definitiv nicht die alte Myrtle. Das Mädchen vor der Tür war definitiv um die fünfundsiebzig Jahre jünger, wenn nicht mehr. Poppy kannte es. Es was Thistle, die Tochter des Bäckers. Ihre violetten Haare waren mit Mehl bestäubt, genau wie ihr hellblaues Kleid. Ihre weiße Schürze wohl auch, aber Poppy hatte keine Lust, genau nachzusehen. Das Mädchen rieb seine gebräunten Arme, bevor es zu ihm hochsah. „Auserwählter, ich brauche deine Hilfe!“ Poppy ignorierte seinen ungeliebten Spitznamen und trat zurück, sodass Thistle mit ihm in den Laden gehen konnte. Während er sich hinter den Tresen setzte, nahm das Mädchen auf dem Stuhl davor Platz. Zuerst schien sie darauf zu warten, dass Poppy etwas sagte, doch als sie merkte, dass er sie nur anstarrte, räusperte sie sich und setzte sich gerade hin. „Ich war beim alten Brunnen um dort Löwenzahn zu pflücken, aber...,“ fing sie an und hob ihre linke Hand. „Ich hab meinen Armreif in den Brunnen fallen lassen. Und da du doch der Auserwählte bist...“ Sie schenkte ihm einen hoffnungsvollen Augenaufschlag, ehe sie in die Tasche ihrer Schürze fasste. Thistle nahm eine kleine handvoll silberner Münzen heraus und legte sie auf den Tresen. Es war nicht viel, und das wusste sie wohl, doch ihr Blick blieb voller Hoffnung auf Hilfe. „Ich werde Papa fragen, ob ihr nicht Brot umsonst haben könnt, wenn das nicht genug ist. Aber ich brauche meinen Armreif wirklich zurück! Den hat mir Papa geschenkt...“ Poppy nahm die Münzen vom Tisch und seufzte als er sie in seine Geldschatulle steckte. Gut. Er würde niemals nein zu Essen umsonst sagen. Und er konnte Dianthus' Blick in seinem Nacken spüren und war sich sicher, dass dieser ziemlich enttäuscht über ihn wäre, würde er der Bitte des Mädchens nicht nachkommen. Er fühlte sich schon schuldig, wenn er nur über das enttäuschte Gesicht des Vierundzwanzigjährigen dachte!   „Gut, ich bereite mich noch vor, dann hol ich dir deinen Armreif wieder,“ sagte Poppy und packte im Kopf schon alles zusammen. Wenigstens war da noch die Chance, im Brunnen kleine Schätze zu finden. Das versüßte ihm die Situation ungemein.   ~°~ Während Dianthus den Laden hütete, stand Poppy vor dem alten Brunnen am Rand des Dorfes. Seit Poppy denken konnte, war er trocken gelegt gewesen. Nun war er mehr oder weniger ein kleines Wahrzeichen, und ein Treffpunkt für die Dorfjugend. Und er musste jetzt da rein. Mit einer Fackel bewaffnet band er ein Ende eines dickes Seils um einen der dicken, mit Metall verstärkten Holzbalken. Er warf das andere Ende in den Brunnen, und hörte den dumpfen Aufschlag als es auf dem Grund auftraf. Gut, der Brunnen war also nicht allzu tief. Poppy schluckte dennoch als er sich die Fackel zwischen die Zähne klemmte und begann, das Seil hinabzuklettern. Die kalte Luft, die der dunkle Brunnenschacht ausstrahlte, ließ ihn bereuen, die Mission mehr oder weniger halbnackt angenommen zu haben. Aber egal – die Aussicht auf mehr verlorenen Schmuck war genug, um ihn das vergessen zu lassen. Nach ein, zwei Minuten vorsichtigen Kletterns traf auch er auf dem Boden auf, und entfachte die Fackel, nur um mehr als nur den steinernen Schacht zu sehen. Eine Höhle. Eine Höhle, auf deren Grund etwas im Licht seiner Fackel blitzte. Poppy grinste als er sich bückte um einen Ring aufzuheben, und der Armreif verschwand für einen Moment aus seinen Gedanken. Die Mission konnte warten! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)